Curb Your Enthusiasm: 7. Staffel, 7. Folge

Paris, 11. November 2009, 17:03 | von Paco

»The Black Swan«
(1. 11. 2009 · HBO)

Larrys Vater, gespielt von Shelley Berman, ist zurück, und er trägt den notorischen Florida-Rentner-Trainingsanzug. Und auch Cousin Andy, »the primary reason for anti-Semitism« (Folge 4.10), ist mal wieder mit dabei. Alle zusammen besuchen sie das Grab von Larrys Mutter, Adele David.

Statt »Passed away« ist auf dem Grabstein jedoch zu lesen: »Past away«. Larrys Vater ist aber kein Legastheniker, sondern ein Geizkragen: »I know how to spell it, it’s 50 dollars a letter!« Irgendwann wird dann mit dem zuständigen Steinmetz über eine Korrektur des Fehlers telefoniert. Während des Gesprächs bricht aber ein Streit über den Yankees-Star Derek Jeter los, und schon da wird die erwartbare Pointe vorbereitet, siehe Ende des Textes.

Diese Folge sieht im Großen und Ganzen die Einheit des Ortes vor: Schauplatz ist der Golfclub, in dem Larry und seine Peer Group verkehren. Wegen Andys dezidierter Bestellung von unbedingt crispy onions kommen sie zu spät auf den Platz – und der »slowest golfer in the world« hat sich vor sie geschoben, der schon aus Staffel 4 bekannte Norm (gespielt von Paul Mazursky). Als es ihm langsam zu lange dauert, schreit Larry den Slowgolfer zusammen. Wenig später meldet dann ein Bote in die Umkleidekammer hinein, dass Norm gestorben sei, zack. Kausal sei der Herztod direkt zurückzuführen auf Larrys Geschrei. Funkhouser kommentiert das in aller Ruhe Richtung Larry: »Look, it may have been an accident, but you’re a murderer!«

Nächster Tag, die Vier wieder auf dem Golfkurs. Larry schlägt den Ball in die Nähe eines Sees, in dem weiße Schwäne schwimmen. Als er weiterschlagen will, kommt vom Land aus ein majestätisch schwarzer Schwan auf ihn zugerannt (vielleicht Norms persönlicher Racheengel). Larry haut das Vieh jedenfalls mit dem Golfschläger kurz und klein, Federn wirbeln durch die Luft. Das schwarze Vogel ist natürlich das Lieblingstier von Takahashi, dem Besitzer des Golfclubs. Im Nu wandelt sich »Curb« hier zu einer Verschwörerstory. Um das Geheimnis des Vogelmords zu bewahren, wird die Parole ausgegeben: »We’re all in this together, no wives!«

Im Dining Room blinken dann auf einmal überall Embleme mit dem schwarzen Schwan auf, ein Effekt überbordender Schuldgefühle. Das von Larry erschlagene Tier war offenbar im Alleingang für die Corporate Identity des Clubs zuständig. Nachdem ein paar Arbeiter den toten Vogel finden und bei Takahashi abliefern, werden die Vier in dessen Büro bestellt und einzeln befragt, eine relativ gut durchkomponierte Grundschulsituation. Am Ende gibt es endlich mal wieder einen Indianerblick, mit dem Larry in früheren Staffeln ab und zu die Seele von offensichtlich lügenden Gesprächspartnern ausgeleuchtet hat. Diesmal geht der Indianerblick aber von Takahashi aus, nicht von Larry.

Etwas später, auf Norms Beerdigung, beschwert sich Larry bei Funkhouser über den bescheuerten Steinmetz. Während seiner Philippika steht ein Mann nahebei, der sich nach den erfolgten Beleidigungen natürlich als eben dieser Steinmetz Ed zu erkennen gibt und ankündigt, sich bald dem Grabstein von Larrys Mutter zu widmen. So wird die Schlusspointe noch mal mit vorbereitet.

Währenddessen schickt Jeff eine Mail an Larry:

To: Larry David
Subject: Swan killing

I am nervous. We should confess and get this over with. We’re going to get caught, I know it.

Schön im Ton eines Grundschülers geschrieben, und auch der nüchterne Betreff dieser Mail, »Swan killing«, ist ganz hervorragend. Larry ist gegen ein Mordbekenntnis und streut nach dem Memorial Service ein Gerücht, dass das Zeug zum urbanen Mythos hätte: nämlich dass der Black Swan für Norms Tod verantwortlich sein könnte.

In trauter Eintracht mit Takahashi marschiert er später den Friedhof entlang. Auf dem gerade vom Steinmetz fertig gestellten Grabstein der Mutter dann die diesmal, wie schon gesagt, erwartbare Pointe:

ADELE
DAVID

WIFE OF
NAT

MOTHER OF
LARRY, AN ASSHOLE
AND
SWAN KILLER

(Der Steinmetz ist von Andys Frau über den Schwanenmord informiert worden, die trotz der »No wives!«-Parole davon erfahren hat. Damit rächt sie sich an Larry, weil der nicht ihre Cosmetology-Kurse finanzieren will.)

Der Umblätterer über andere »Curb«-Episoden:
Season 6: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10
Season 7: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10

Was haben die Basterds uns gebracht?

Hamburg, 9. November 2009, 08:00 | von San Andreas

»Inglourious Basterds« gab uns auf jeden Fall die Gelegenheit, wieder einmal David Bowies »Cat People« zu hören. Und das ist schön. Etwas unvermittelt bricht der Glamrock zwar ein in die späten Kriegsjahre, aber auf derlei sorglosen Eklektizismus muss man bei Tarantino ja gefasst sein. Seine Filme wähnt man an der Speerspitze moderner Filmkultur, stets erwartet man Neues, Großes. Doch was von den »Basterds« bleibt – zumindest für eine kleine Ewigkeit – tatsächlich hängen im kollektiven Filmgedächtnis?

Seit elf Wochen läuft der Film jetzt, über zwei Millionen Bürger wollten ihn sehen, allerorten war er der talk of the town. Wieland aus Dresden brachte es mit einem Hinweis auf die außerordentliche Beliebtheit der Basterds in Deutschland zum letter of the month in der (englischen) »Empire«. Und irgendjemand meinte, der Film wäre der beste des Jahres, neben »Frost/Nixon«. Really.

Nun sind die zahlreichen Vorschusslorbeeren gegessen, der Hype ist abgeflaut, die Sensation verblasst. Was übrig bleibt, ist der Film. Und bei Lichte besehen offenbart er doch die eine oder andere Schwäche.

Zum Beispiel die flatterhafte Ästhetik, ist die jetzt gut oder schlecht? Wir erleben ein Stelldichein der Genres, ein wildes Haschmich der Versatzstücke: Der Italo-Western geht auf im Zweiten Weltkrieg, »The Wild Bunch« trifft Grimms Märchen, Leone und Lubitsch geben sich die Klinke in die Hand, das Dreckige Dutzend erscheint im Smoking und macht auf witzig.

Anderen Regisseuren hätte man vorgehalten, sie wüssten zum Geier nicht, welchen Film sie denn nun drehen wollten, Tarantino hingegen wird postwendend ein genialer Stilmix bescheinigt. Na klar, er ist ein Profi, er hat so viel auf der Pfanne, er wird doch wissen, was er tut? Seeßlen schreibt stante pede ein ganzes Buch über den Film, erklärt das Durcheinander zur neuen Ordnung und pamphletisiert über einen neuen Antifaschismus. Gut, Kunst ist auch, was man draus macht. Schaut man sich aber die stilistische und narrative Geschlossenheit früherer Werke an, muss man sich schon wundern. Ziellos wirkt das, unausgegoren, beliebig.

Ein Glück, dass die Episoden in sich oft funktionieren, und siehe da: Ein paar davon gerinnen tatsächlich zu Kleinoden großer Filmkunst. Da gibt es unverschämt lange, meisterlich choreographierte Dialogpassagen, Kammerspiele, die ihre Kraft aus sich selbst heraus entwickeln, die in ihrer klaren Intuition einfach funktionieren, ohne Brimborium und Beiwerk. Sie sind unbestritten die Stärke des Films.

Und dann gibt es da noch das Brimborium und das Beiwerk. Als müsse Tarantino seinem Avantgarde-Ruf Genüge tun, verteilt er neckische Gimmicks im Film, die dessen ohnehin heterogenes Gerüst weiter fragmentieren; sie tauchen zu sporadisch auf, als dass sie ästhetisch Sinn ergeben würden. Da durchbrechen unversehens fremde Erzähler den Fluss, da blitzen Rollennamen in Exploitation-Gelb über Standbildern, da geben hibbelige Montagen überflüssige Hintergrundinformationen.

Den Einschub über das brennbare Filmmaterial zum Beispiel leistet sich Tarantino doch offenbar nur, um einen kleinen Hitchcock-Schnipsel unterbringen zu können. Ansonsten hatte der Dialog bereits klargestellt: Das Zeug brennt. Und wenn eine Rückblende das Publikum noch mit der Nase drauf stößt, dass es sich bei dieser jungen Frau eben um genau jenes Mädchen vom Anfang des Films handelt, spricht Tarantino dem Zuschauer wieder die Intelligenz ab, die er ihm während der ausufernden, ausgefeilten Dialogszenen unterstellt.

Selbige reißen selbstverständlich viel raus. Unvergessen bleiben wird der dräuende Wahnsinn der Auftaktszene im französischen Landhaus, der geniale Dialog, die schlichte Präzision. Selten war Tarantino ernsthafter, nie war seine Inszenierung profunder, feinfühliger, einnehmender. Der Zuschauer merkt sofort: Hier geht es um was. Das ist nicht der verspielte Tarantino, das sind keine coolen Ganoven, die »Seinfeld«-Dialoge zum Besten geben.

Hier versammelt sich die Essenz dessen, was »Inglourious Basterds« hätte sein können: eine feine Beobachtung des menschlichen Naturells, eine frische Analyse verkrusteter Rollenmuster. Die Eloquenz des Scheusals, die perfide Rhetorik des Bösen, die ewige Gefahr elitären Kalküls. Die Hybris seziert in Verbalpracht Marke Tarantino.

Aber ach, wie schnöde dann schon die nächste Episode, ihre stilistische Unvereinbarkeit kaschiert mit Schwarzblende und Zwischentitel. Die Basterds, dieses A-Team des Widerstands, werden vorgestellt, und der Film verfällt in tarantineskes Hommage-Potpourri, komplett mit markigen Dirty-Dozen-Sprüchen, Spaghetti-Musik und einer original Peckinpah-Zeitlupe.

Da sind auch drastische Bilder nicht weit. In Großaufnahme wird da skalpiert, ein Baseballschläger todbringend zweckentfremdet, Stirnpartien mit dem Dolch verziert. Dass eine komplette Szene ihre Spannung daraus bezieht, dass alsbald ein Schädel zerdroschen werden wird, ist nicht nur grundsätzlich fragwürdig, es ist auch nicht eben subtil. Unwillkürlich beschleicht einen das Gefühl, hier nicht der grausamen Realität des Krieges ausgesetzt zu sein, sondern den Ausgeburten des kranken Hirns des Regisseurs.

Warum der Mann seine Filme permanent mit ordinären Splatter-Effekten glaubt würzen zu müssen, ist anybody’s guess. Unablässig jubelt er dem Publikum Widerwärtigkeiten unter – stilvoll umgesetzt zwar, obszön nichtsdestoweniger. Statt effektivem Entsetzen bemüht Tarantino affektive Abscheu, und das ist immer die schlechtere Wahl. Das mag manch einem zwar gefallen, aber gefallen tut der Film an diesen Stellen in erster Linie sich selbst.

Und nebenbei – der riesige Aufwand, mit dem die Figur des Sgt. Donny »Bear Jew« Donowitz (Eli Roth, Großmeister des Torture Porn) eingeführt wird, rechtfertigt sein Nebenröllchen im Rest des Films in keiner Weise. Überhaupt besteht die komplette Mannschaft der Basterds aus uninteressanten Schergen-Schablonen; man fragt sich, wieso der Film nach ihnen benannt ist. Selbst ihr Anführer, Brad Pitt als Lt. Aldo Raine, gerät zur Kentucky-Karikatur, die Untertitel vermissen lässt und irgendwann auf die Nerven geht.

Tarantinos Augenmerk liegt vielmehr – kaum eine Überraschung – auf der Psychologie der Bösewichte. Allerdings interessiert er sich nicht für die seelischen Abgründe des Nazifaschisten im Speziellen; er spielt lieber mit der Idee des gewandten Gentleman-Gangsters, dessen einnehmendem, doch bösartigen Wesen. In dieser Rolle geht Christoph Waltz allerdings vollständig auf; seinen Hans Landa in einwandfreiem Französisch süffisant parlieren zu erleben ist allein das Eintrittsgeld wert.

Überhaupt ist Tarantinos Entscheidung, sämtliche Charaktere in ihren jeweiligen Mutter- und Fremdsprachen reden zu lassen, unbedingt zu begrüßen; sie sollte Schule machen. Dieser Kniff verleiht dem Film eine weltläufigen Charakter und gerade das Quäntchen Authentizität, das den meisten Tarantinos zuvor naturgemäß abging.

Bei allem Gerede über Tarantinos Beitrag zum Zweiten Weltkrieg muss man aber bedenken: Nicht die Weltgeschichte gab Tarantino dieses Sujet, sondern die Filmgeschichte. Den Titel von einer drittklassigen Ballerklamotte entliehen, ist es aber nicht einmal der Fundus der Kriegsfilme, bei dem er sich am meisten bedient; daher stammen nur die Uniformen und die groben Zusammenhänge. Der Rest fügt sich keinen Konventionen: Von Western bis Screwball kann alles passieren.

Es gelten nicht die Regeln des Krieges, sondern die Launen des Tarantino. Ihn interessieren keine Kampfhandlungen, die Front lässt er aus (sie kommt nur als Film im Film vor, eine feine Idee). Auch beklemmende Aspekte blendet er aus, die Opfer, die Lager, die Gräber. Trotzdem kommen natürlich Leute ums Leben. Doch sie werden nicht getötet; sie werden ermordet (wir erinnern uns an Lee Marvin in »The Big Red One«, der das Umgekehrte predigte). List und Tücke braucht es dazu, vieles ist Schauspiel, vieles ist Schein, es wird verkleidet, es wird enttarnt. Der Krieg als Spiel.

Wenn man denn will, kann man den Szenen schon einiges entnehmen, sagen wir Gedanken zu Rassismus und seiner Legitimation, zu Widerstand und Idealismus, zu Heldentum und Propaganda. Dennoch muss man konstatieren, dass es sich hier nicht um einen Kriegsfilm mit Tarantino-Touch handelt, sondern um einen Tarantino-Film im Kriegsgewand. So sucht sich auch des Regisseurs unbändige Liebe zum Kino gerade diesen Film aus, um unverblümter als sonst zutage zu treten; praktisch alle Beteiligten unterhalten sich über Filmkunst, eine Schauspielerin (hölzern: Diane Krüger) bildet die Schnittstelle zwischen Besatzern und Befreiern, und am Ende opfert Tarantino gar ein komplettes Lichtspieltheater für den guten Zweck.

Tarantinos Stilmittel ergeben im dennoch quasi-historischen Umfeld ungeahnte, durchaus erfrischende Effekte, vor allem da die geläufigen Rollenmuster bereits ungefragt einen Bedeutungsvorrat in den Film mitbringen. So birgt die Konstellation aus einer Jüdin, einem Nazi-Offizier und zwei Portionen Apfelstrudel mit Sahne automatisch ein hohes dramatisches Potenzial.

Das beutet Tarantino weidlich aus. Die Unwucht im besetzten Land entfacht Wut und Verzweiflung auf der einen, ein Gefühl der Überlegenheit auf der anderen Seite. Und so entladen sich scheinbare Alltagssituationen – es wird geplänkelt und gespielt, gegessen und getrunken, man geht ins Kino – nach einem Suspense-Anlauf regelmäßig in Salven von Gewalt. Ein effektives, wenn auch zu oft bemühtes Rezept.

Als das Blatt sich wendet, erweist sich die eisenharte Ideologie des Berufszynikers Landa auch nur als ein Ideenkorsett, das man abstreifen kann, wenn die Situation es gebietet. Das ist nur zu menschlich, schließlich ist jedem Individuum von Natur aus ein gewisser Eigennutz mitgegeben. Landa erhält trotzdem seine Strafe, genauso wie die komplette Führerriege. Das Attentat gelingt, das Gemetzel des großen Showdowns reißt Hitler und Kollegen mit in den Tod, Stauffenberg hätte seine Freude gehabt.

Viel bewundert wurde Tarantinos Chuzpe, dem tatsächlichen Verlauf der Geschichte keinen Respekt zu zollen. Nun ist es nicht so, als würden wir Zeuge der epochalen Loslösung vom Diktat der Historie. Jede alternate history bringt bessere Einsichten als dieser utopische Schlenker (Stephen Fry beispielsweise macht in »Making History« Hitlers Geburt ungeschehen, mit erstaunlichen Konsequenzen). Das Besondere liegt in der Art und Weise, wie Tarantino den Führer abtreten lässt. Den Film über auch kaum mehr als eine geifernde Fratze, gönnt er ihm keinen großen, seiner historischen Bedeutung gebührenden Abgang. Hitler geht am Ende einfach mit drauf, fertig.

Und dafür haben wir Tarantino gern. Er hat immer noch eine Überraschung im Ärmel, und seine sichere inszenatorische Hand hebelt so manche kleinliche Krittelei aus. »Inglourious Basterds« wäre sein bester Film seit »Pulp Fiction«, stand zu lesen. Mag sein. Mit Sicherheit der interessanteste. Sein Name steht für inspiriertes Spartenkino, für perfekt gemachten Trash, für explizite, aber ästhetisierte Gewalt. Er erhob das Filmzitat zur Kunstform, betrieb Genrelifting in großem Stil und gab dem Kino so manchen revitalisierenden Impuls.

Freilich trägt er die Narrenfreiheit, die er genießt, bisweilen vor sich her, und so trübt die »Basterds« eine gewisse Selbstgefälligkeit. Tarantino pflegt seinen Ruf als Filmbesessener, bauchpinselt die Kritik mit Referenzen auf teutonische Filmkunst, wobei die Hälfte der Zuschauer mit Jannings, Pabst und Piz Palü wohl kaum noch etwas anzufangen weiß. Das ist trotzdem ganz neckisch; ärgerlicher ist die sprunghafte Ästhetik des Films, er changiert entschlusslos zwischen Drama und Schenkelklopfer, und die willenlos verteilten Avantgarde-Streusel stören eher als dass sie helfen.

Aber. Das historische Setting lässt Teile des Films eine Resonanz entwickeln, die man bislang selten bei Tarantino fand (ob diese Resonanz nun gewollt ist oder nicht). Sein Sinn für astreinen Dialog und punktgenaue Figurenzeichnung sowie das exzellente Spiel besonders der deutschen Kollegen verhelfen einigen Konfrontationen, die in unkonventioneller, fast theatralischer Breite angelegt sind, zu einer Qualität, die den Selbstzweck anderer Passagen zu überstrahlen vermag. Eine richtige Balance stellt sich aber nicht ein (wie sie z. B. Peckinpahs »Cross of Iron« – ebenfalls um Deutsche, ebenfalls teilweise übersteigert – noch erreicht).

Letztenendes mag der Film nicht mehr sein als die Summe seiner Teile, doch bleibt er einer der lohnenderen und unterhaltsamsten des Sommers. Erleuchtung und Erlösung darf man nicht erwarten, und auch das große Kriegsabenteuer, das der reißerische Trailer augenzwin­kernd versprochen hatte, fand nicht statt – was gut ist. Die Scharte der »Death Proof«-Fingerübung haben die »Basterds« indes ausgewetzt, denn zwischen heiterem Filmrecycling und traditionellen Gewaltausbrüchen rutscht Tarantino hier tatsächlich auch großes Kino raus.

Vier Nachrufe und ein Todesfall

Konstanz, 7. November 2009, 16:49 | von Marcuccio

Bestattungskultur und Feuilleton, das latente Novemberthema. Todesfall der Woche natürlich Claude Lévi-Strauss (»Strooß« in der Tagesschau des Schweizer Fernsehens; »Strauß« wie Franz Josef in der ARD-Tagesschau). Im Perlentaucher vom Donnerstag hieß es:

»In der FAZ erhält Claude Levi-Strauss ein dreiseitiges Staatsbegräbnis«

Und das war doch mal ein schönes Stück Teaser-Text. Mir gefällt wirklich nur dieses Bild, dieses Bild vom

»FAZ-Gegenstück eines Staatsbegräbnisses«

oder, platztechnisch gesprochen: »Titelfoto und dann ganze drei Feuilletonseiten«.

Und dann fällt mir Volker Hage ein, der neulich (wie angekündigt) sein Spektrometer literaturkritischer Textsorten vorgelegt hat. Das Buch enthält auch vier exemplarische Nekrologe. Wenn man Hages Nachrufe jetzt mal mit der Perlentaucher-Bestattungsmetaphorik kurzschließt, lassen sich folgende Ereignisse rekonstruieren:

Max Frisch († 1991) – bekam seinerzeit auch ein Staatsbegräbnis (4 Seiten in der ZEIT),

Jurek Becker († 1997) – eine ganz normale Erdbestattung (1 Seite im »Spiegel«),

John Updike († 2009) – eine Totenwache bei SPON.

Für Ulrich Plenzdorf († 2007) – aber blieb nur ein anonymes Urnen-Schließfach im »Spiegel«-Register (»Gestorben«).

 

Vossianische Antonomasie (Teil 8)

Konstanz, 5. November 2009, 23:50 | von Marcuccio

 

  1. der Proust des Plattenbaus
  2. die Rosa Luxemburg des Mittelalters
  3. der Umberto Eco des Wilhelminismus
  4. der Porsche Cayenne unter den Schuhen
  5. der Wladimir Kaminer der deutschen Ästhetik-Kongresse

 

Curb Your Enthusiasm: 7. Staffel, 6. Folge

Paris, 30. Oktober 2009, 12:00 | von Paco

»The Bare Midriff«
(25. 10. 2009 · HBO)

Meg Ryan kann nicht, Jerry bringt deswegen Lisa Kudrow und Renée Zellweger ins Spiel. Es geht um die Rolle für Georges Ex-Wife in der »Seinfeld«-Reunion-Show. Larrys Masterplan ist ja die Rückgewinnung von Cheryl durch die Vergabe der Rolle an sie, deswegen wehrt er die Vorschläge von Jerry ab.

Während die beiden »Seinfeld«-Creators vor sich hin disputieren, schneit die Assistentin Maureen ins Zimmer, samt ihrem sehr barock freiliegenden Midriff, auch bekannt als love handles, rouleau de gras oder ganz einfach: Hüftspeck. Als Maureen sie wieder verlassen hat, beflüstern Jerry und Larry angewidert das Midriff-Problem. Jerry, immer schon der geborene Nicht-Schauspieler, grinst sich durch diesen Dialog wie in alten »Seinfeld«-Zeiten. Nach einem Münzwurf muss Larry nun Maureen auf das Problem ansprechen, die entrüstet ihren Job kündigt.

Schnitt. Jerry und Larry in Izzy’s Deli. Ein Kristallisationspunkt des »Seinfeld«-Mythos. In dieser Konstellation, in den Booths von New Yorker Cafés, ist Ende der Achtziger die Show entstanden. Beide sitzen herum, essen Burger, trinken Kaffee und ergehen sich in einer Konversation irgendwo zwischen Alltagsmythen und Kleinlichkeiten.

Julia/Elaine hat diesmal nur einen funktionalen Kurzauftritt und muss sich entsetzt zeigen über die Kündigung von Maureen, weil deren Mutter mal als Babysitterin für sie gearbeitet habe und mentally unstable sei, vielleicht sogar suicidal. Larry soll die Midriff-Kündigung daher lieber wieder rückgängig machen.

Dann ein geiler Szenenbeginn: Larry sitzt, Maureen steht, und Larrys Gesicht spricht quasi mit dem entblößten Hüftspeck. Irgendwann tritt Maureens Mutter auf und kriegt einen Hotflash, weil Larry genauso aussehe wie ihr 1962 ermordeter Ehemann (dieser Erinnerungskurzschluss erinnert an die Folge 3.01, »Chet’s Shirt«).

Es folgt ein für »Curb« sehr ungewöhnlicher Flashback. Larry sitzt als verjüngte Kopie seiner selbst mit Hut und frisch angetrauter Ehefrau im Auto, singt und raucht, auf dem Weg in die Flitterwochen. Ein anderer Wagen schiebt sich vor ihn, Mittelfinger werden gezeigt, beide Wagen halten, beide Fahrer steigen aus, eine Diskussion folgt, und dann wird auf die Larry-Kopie solange mit einem Brecheisen eingedroschen, bis Blut spritzt.

Nach dieser Geschichte verabschiedet sich Larry erst mal zum Bathroom. Er pisst im Stehen, und ein paar Querschläger springen auf das Jesus-Bild, das rechts neben dem Klo hängt. Direkt unter dem rechten Auge des Heilands kleben nun gelbe Tränen, was ein bisschen an den weinenden Christus von Antonello da Messina erinnert, der im Louvre hängt.

Als die beiden Frauen später dieses Wunder sehen, knien sie nieder und beten. Zusammen mit ihrer Mutter und der Reliquie will Maureen jetzt das Land durchqueren und kündigt wiederum bei Jerry und Larry.

Ein weiteres Thema in dieser wieder prallvollen Folge ist die Servietten-Politik. Beim Takeaway-Italiener wird Larry untersagt, sich mehr als zwei Servietten mitzunehmen. Aus Trotz packt er eine Extraladung Papiertücher dazu und wird später deswegen von der Polizei angehalten. Das ist völlig überzogen und unrealistisch, aber einfach sehr gut gemacht und zuende geführt, inkl. Gegenüberstellung auf dem Revier.

Maureens Mutter (mit der Larry eine Verabredung wegen der Bürgschaft für den Jesus-Tourbus hatte) holt ihn vom Revier ab. Und dann wiederholt sich die traumatische Szene aus ihren Flitterwochen. Diesmal ist es Richard Lewis, der sich vor Larrys Wagen schiebt. Wieder steigen beide aus und diskutieren die üblichen Missverständnisse. Lewis holt sein Geschenk aus dem Kofferraum, einen Joe-DiMaggio-Baseballschläger. Für die Alte im Wagen muss das wie das Brecheisen wirken, dem einst ihr Mann zum Opfer fiel. In einer Kurzschlussreaktion springt sie auf den Fahrersitz, fährt auf Lewis zu und schickt ihn damit ins Krankenhaus.

In der Schlussszene sehen Maureen & Mutter, wie Larry am Bürohaus Wasser abschlägt, und ein Tropfen landet bei Maureen im Gesicht. Den beiden geht auf, wie ihr Jesus-Gemälde zu weinen begonnen haben muss. Die selbstmordgefährdete Mutter steigt aufs Dach und will springen. Larry stößt sie zurück, kippt dabei rücklings weg und kann sich nur knapp festhalten – an Maureens schwabbelndem Hüftspeck.

Der Umblätterer über andere »Curb«-Episoden:
Season 6: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10
Season 7: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10

Curb Your Enthusiasm: 7. Staffel, 5. Folge

Paris, 27. Oktober 2009, 12:19 | von Paco

»Denise Handicapped«
(18. 10. 2009 · HBO)

Wieder spielt der »Seinfeld«-Reunion-Storybogen der siebten Staffel keine Rolle in dieser Folge. Sie lassen sich Zeit damit, was vielleicht auch genau gut ist. Dafür ist diese fünften Folge wieder ein richtiger Themenverknüpfungsparteitag. Wheelies, Rollstuhlfahrer, sind bereits in früheren Staffeln ab und zu in Nebenplots aufgetaucht, wurden aber bisher noch nie mit einer eigenen Folge bedacht. Das Ganze ist so gekonnt zuende geplottet, dass die etwas gesucht wirkenden Kausalitäten in der Folge davor sofort vergessen sind.

Es beginnt damit, dass Larry in einem Kaffeehaus sitzt und eine Melodie der Violinistin Chee-Yun pfeift. Er kommt dadurch mit einer »decent looking« Frau ins Gespräch, Denise, und lädt sie zu einer Privatvorstellung mit der südkoreanischen Virtuosin ein. Denise entpuppt sich aber als Rollstuhlfahrerin. Larry starrt sein auf ihn zurollendes Date fassungslos an.

Der Slapstick hat in dieser Staffel schon breit Raum bekommen, und es geht weiter: Der betreppte Aufgang zum Restaurant bietet keine Rollrampe, Larry muss sein Date nach oben tragen, und wie so oft ergibt er sich in sein Schicksal.

Bei Tisch entspinnt sich eine Diskussion: Nicht nur Larry war geschockt, als er sein Date plötzlich auf sich zurollen sah. Auch die Rollstuhlfrau erlebte ihren Moment des Erschreckens, als Larry sie auf einmal ohne Basecap abholen kam. »I get, I get it, I had a hat on, and then baldie showed up.« Um nicht inkorrekt zu wirken, folgt ihr Larry noch auf den berühmten Espresso ins Haus nach und versucht dann auch standes­gemäß, sie abzuküssen, wieder eine umständliche Slapsticknummer, und das Ganze setzt sich im Schlafzimmer unter der Bettdecke fort.

Eine typische »Curb«-Volte ist dann Larrys Entdeckung der positiven Aspekte der Bekanntschaft mit einer Rollstuhlfahrerin. Und er reizt den Behindertenbonus ziemlich aus. Behindertenparkplätze! Bevorzugung in Restaurants! Menschen, die einen anlächeln und auf den ersten Blick erst mal positiv bewerten! Gegenüber dem politisch überkorrekten Ehepaar Fowler war Larry eben noch der diskriminierende Fragenstel­ler in Sachen chinesisches Adoptivkind. Und ist nun auf einmal der gute Mensch mit Rollstuhlbekanntschaft.

Den Twist, der zu einer schönen Finalpointe führt, liefert eine Strandszene. Jeff & Susie kapseln sich kurz ab und lassen Larry auf Sammie aufpassen, die dann aber beim Baden im Ozean ein bisschen untergeht. Und Larry folgt seinem Rettungsimpuls, kehrt dann aber auf halber Strecke um, weil er sein Blackberry zurückbringen will. Als Larry dies als Entschuldigung hervorbringt, wirft Susie das Blackberry ins Meer. Alle Nummern sind weg, der Kontakt zu Denise ist unterbrochen.

Also macht sich Larry unmittelbar vor der Chee-Yun-Privataufführung auf die Suche nach ihr und begeht den nächsten Incorrectness-Fauxpas: mit der Annahme, dass sich alle Rollstuhlfahrer einer Nachbarschaft kennen, weil sie ja irgendwie dasselbe Schicksal teilen. Jedenfalls hört die von ihm befragte neue Rollstuhlfahrerin, Wendy, auch gerade Chee-Yun, und mangels seines ursprünglichen Rollstuhldates nimmt er einfach sie mit.

Denise ist dann doch anwesend, der Storybogen entlädt sich irgendwo zwischen Inflagranti und Verwechslungskomödie. Larrys Ausweg ist die Flucht auf eine Treppe, auf die ihn die erbosten Wheelchair-Ladys nicht folgen können, aber Rosie O’Donnell übernimmt für die beiden und macht sich auf Larry-Jagd.

Alles in allem war das eine autarke, wunderschön gestrickte Einzelfolge mit übrigens noch zwei Zugaben: 1. der lang erwarteten Rückkehr von Leon und 2. einem Streitgespräch mit Ted Danson, der Larry im Restaurant einen Kuchen schicken lässt (den dieser dann wegen Gesättigtheit ablehnt, es geht also wie so oft um die Ethik des Schenkens und Beschenktwerdens).

Der Umblätterer über andere »Curb«-Episoden:
Season 6: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10
Season 7: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10

Martin Walser für Nichtraucher

Konstanz, 25. Oktober 2009, 08:15 | von Marcuccio

Einen besseren Künstlernamen für ihren Kurzauftritt bei den Baden-Württembergischen Literaturtagen hätte sie sich gar nicht zulegen können. +++ Jetzt spricht Michaela (31): das Mädel, das Martin Walser rausschmiss +++ Oder so ähnlich. Jedenfalls: Nach seiner Lesung neulich kehrte Martin Walser noch im Café Wessenberg ein:

»Michaela Mädel (31) war die Bedienung an diesem Abend und erinnert sich an den Moment, als Martin Walser zur Zigarette griff. ›Als ich gesehen habe, dass er sich eine Zigarette anstecken will, habe ich ihn darauf hingewiesen, dass das Rauchen hier nicht erlaubt ist. (…) Ich hatte Herrn Walser zu dem Zeitpunkt gar nicht erkannt. Als er auf meine Aufforderung nicht reagierte, habe ich nochmals erklärt, dass es sich hier um ein Nichtrauchercafé handele und er doch bitte die Zigarette ausdrücken möge.‹

Danach, so Zeugen, wurden sowohl Walser als auch die Servicekraft lauter, es kam zum Streit. Michaela Mädel: ›Am Ende sagte ich, dass es wohl besser ist, wenn er jetzt einfach das Lokal verlassen würde.‹« (Südkurier vom 23.10.2009)

Vor Ort schlagen die Walser-Wellen hoch: Entschuldigungsbrief des Wirts (bekennender Walser-Hasser) an den OB, neue Nichtraucherdebatte in der Stadt und Leitartikel zum Thema »Gelten für Promis eigene Gesetze?«

Kaffeehaus des Monats (Teil 48)

sine loco, 24. Oktober 2009, 18:16 | von Marcuccio

Wenn du mal richtig Zeitung lesen willst:

Heck-Art, Chemnitz

Chemnitz
Das HECK-ART in der Mühlenstraße.

(Die Kulturseite der »Freien Presse« hat Ruhetag, aber es gibt eine hervorragende Mandelschnitte, und wer sich vom Gunzenhauser bis hierher durchgefragt hat, hat eigentlich auch schon Chemnitz gesehen.)
 

Abonniert haben wir

Konstanz, 20. Oktober 2009, 23:25 | von Marcuccio

Sehr schön. Peter von Matt, Germanist mit dem besten Buchtitel des Jahres (»Wörterleuchten«) feiert die Zeitung! Im aktuellen NZZ Folio (10/2009, S. 63–64) geht es erst mal um Leser-Blatt-Bindungen: »Abonniert haben wir …«

Wir erfahren: Im Hause von Matt liest man die

  • Zeitung für Deutschland (FAZ)
  • Zeitung für die Schweiz (NZZ)
  • Zeitung für Zürich (Tages-Anzeiger)
  • – und die Zeitung für den Zug:

»Für längere Zugreisen kaufe ich regelmäßig die International Herald Tribune, da finde ich in jeder Nummer etwas, das ich sonst nirgends bekomme.«

Dann geht es um Ansprüche:

»Die Zeitung ist für mich eine Art Sparringpartner für meine Auseinandersetzung mit der Gegenwart, mit meiner Welt. Ich will von einer Zeitung gefordert werden. (…) Ich werde nur gefordert, wenn mir etwas begegnet, was meine momentane Kompetenz ein bisschen übersteigt. Das ist die Aufgabe der Zeitung. Sie muss sich bemühen, nicht einfach Leser, sondern gute Leser anzusprechen.«

… um Begeisterung:

»Dass ich zwei grosse Blätter vor mir habe, ist eine geniale Erfindung. Ich kann da etwas ganz lesen, dort nur den Lead oder die beiden letzten Sätze. Und dann kann ich umblättern. Das kann ich so bei keinem anderen Medium. (…) Ich kann vorwärts und rückwärts lesen, ich kann Sachen herausreissen, habe die Möglichkeit eines durchaus gestalterischen Umgangs mit der Information.«

… und um die Idee von Verbindlichkeit:

»(…) ich kann mir auch vorstellen, dass ich mich daran gewöhnen könnte, Zeitungen nur noch online zu lesen. Bloss weiss ich da nie genau, was die bringen und was nicht. Die gedruckte Zeitung ist da verbindlicher, da weiss ich: Das ist alles, was sie an diesem Tag zu sagen haben.«

Usw.

Tosca

Hamburg, 19. Oktober 2009, 15:18 | von Dique

Nach den Meistersingern, Iphigénie en Tauride, Turandot, Lohengrin und La Traviata ist die Tosca-Inszenierung die erste Aufführung der Hamburgischen Staatsoper, die für mich mehr als einfach nur ein netter Abend war. Das war ein richtiges Fest und das liegt an der Inszenierung, an der Musizierung und ganz besonders an Paoletta Marrocu.

Ich habe wie immer miese Karten, irgendwo am Rand in Loge 3, und trotzdem geht mir die Stimme der Paoletta Marrocu als Floria Tosca sofort durch und durch, ein unglaubliches Volumen, bis herauf zu mir auf dem billigen Platz. Wieso man einen Tag vor der Vorstellung an einem Samstagabend in dieser Stadt noch einfach so Karten bekommt, ist mir ein Rätsel. Noch rätselhafter ist, dass, als ich nach der Pause in die Loge zurückkehre, die Plätze eines Pärchens und einer weiteren Frau plötzlich leer sind.

Ich frage mich, wie krank diese Leute sein müssen, hier einfach auszusteigen, freue mich aber über den besseren Platz, den ich kurzerhand in Beschlag nehme. Im zweiten Akt denke ich kurz an Giovanni Battista Salvi genannt Sassoferrato. Genauer gesagt, an das Ultramarinblau der Gewänder seiner berühmten Madonnen, denn jetzt trägt Paoletta Marrocu ein Kleid in ebensolchem strahlenden Blau, nach dem tiefen Schwarz im ersten Akt.

Der Gedanke an die entrückten Madonnen des Sassoferrato passt ganz gut, betet doch Floria Tosca gleich zu Anfang in der Kirche, in der ihr Geliebter, der Maler Mario Cavaradossi, gerade ein Altargemälde fertigt, zur heiligen Mutter Gottes. Der zweite Akt spielt im Salon des fiesen Barons Scarpia, auch eins a besetzt mit Thomas Mayer, der der Schönen unter das Kleid will und dafür auf ihre Gefühle für Cavaradossi setzt, der am Galgen sterben soll.

Floria Tosca entledigt sich also ihres wunderschönen blauen Kleides, um den Geliebten zu retten, trägt darunter wieder Schwarz, klar, passt auch besser zum düsteren Szenario, und legt sich dann auf den Dielenboden der Opernbühne. Der Salon Scarpias ist sehr minimalistisch ausgestattet, ein barocker Schreibtisch, eine graue Wand im Hintergrund und eben der Dielenboden. Da steht kein Bett, wo sich die Tosca niederlässt, aber man denkt, da wäre eines, die Illusion funktioniert, so ähnlich wie in Lars von Triers Dogville, nur dass hier nicht die Umrisse der Häuser oder Gegenstände auf dem Bühnenboden aufgemalt sind.

In der folgenden Szene lässt sich Paoletta Marrocu als Floria Tosca aber, anders als Nicole Kidman in Dogville, nicht vom brutalen Zugriff des Mannes überwältigen, sondern bewaffnet sich und lässt den Baron ins vorgehaltene Messer stürzen. Ein Blutbeutel versaut ihm das Hemd und signalisiert seinen Tod und färbt außerdem den gesamten Arm von Paoletta Marrocu blutrot. Schwarz, blau, rot, alles sehr intensiv, und sicher bedeutet das alles irgendwas. Am Ende hilft aber alles nichts, denn wir wissen es, die schöne Sängerin wird sich von der Engelsburg stürzen, weil sie Cavaradossi doch nicht retten konnte.

Einen pindarischen Sprung später lese ich gestern in der FAS über die Nofretete im Neuen Museum, den ausführlichen Artikel von Andreas Kilb, der den schönen Titel »Kraut und Rüben haben mich vertrieben« trägt. In dem Text steht, dass man ›Kraut und Rüben‹ mit ›higgledy-piggledy‹ ins Englische übersetzen kann. Notiert hat sich das 1937 Samuel Beckett beim eifrigen Museumsbesuch in Berlin.

Usw.