Vier Nachrufe und ein Todesfall

Konstanz, 7. November 2009, 16:49 | von Marcuccio

Bestattungskultur und Feuilleton, das latente Novemberthema. Todesfall der Woche natürlich Claude Lévi-Strauss (»Strooß« in der Tagesschau des Schweizer Fernsehens; »Strauß« wie Franz Josef in der ARD-Tagesschau). Im Perlentaucher vom Donnerstag hieß es:

»In der FAZ erhält Claude Levi-Strauss ein dreiseitiges Staatsbegräbnis«

Und das war doch mal ein schönes Stück Teaser-Text. Mir gefällt wirklich nur dieses Bild, dieses Bild vom

»FAZ-Gegenstück eines Staatsbegräbnisses«

oder, platztechnisch gesprochen: »Titelfoto und dann ganze drei Feuilletonseiten«.

Und dann fällt mir Volker Hage ein, der neulich (wie angekündigt) sein Spektrometer literaturkritischer Textsorten vorgelegt hat. Das Buch enthält auch vier exemplarische Nekrologe. Wenn man Hages Nachrufe jetzt mal mit der Perlentaucher-Bestattungsmetaphorik kurzschließt, lassen sich folgende Ereignisse rekonstruieren:

Max Frisch († 1991) – bekam seinerzeit auch ein Staatsbegräbnis (4 Seiten in der ZEIT),

Jurek Becker († 1997) – eine ganz normale Erdbestattung (1 Seite im »Spiegel«),

John Updike († 2009) – eine Totenwache bei SPON.

Für Ulrich Plenzdorf († 2007) – aber blieb nur ein anonymes Urnen-Schließfach im »Spiegel«-Register (»Gestorben«).

 

Vossianische Antonomasie (Teil 8)

Konstanz, 5. November 2009, 23:50 | von Marcuccio

 

  1. der Proust des Plattenbaus
  2. die Rosa Luxemburg des Mittelalters
  3. der Umberto Eco des Wilhelminismus
  4. der Porsche Cayenne unter den Schuhen
  5. der Wladimir Kaminer der deutschen Ästhetik-Kongresse

 

Curb Your Enthusiasm: 7. Staffel, 6. Folge

Paris, 30. Oktober 2009, 12:00 | von Paco

»The Bare Midriff«
(25. 10. 2009 · HBO)

Meg Ryan kann nicht, Jerry bringt deswegen Lisa Kudrow und Renée Zellweger ins Spiel. Es geht um die Rolle für Georges Ex-Wife in der »Seinfeld«-Reunion-Show. Larrys Masterplan ist ja die Rückgewinnung von Cheryl durch die Vergabe der Rolle an sie, deswegen wehrt er die Vorschläge von Jerry ab.

Während die beiden »Seinfeld«-Creators vor sich hin disputieren, schneit die Assistentin Maureen ins Zimmer, samt ihrem sehr barock freiliegenden Midriff, auch bekannt als love handles, rouleau de gras oder ganz einfach: Hüftspeck. Als Maureen sie wieder verlassen hat, beflüstern Jerry und Larry angewidert das Midriff-Problem. Jerry, immer schon der geborene Nicht-Schauspieler, grinst sich durch diesen Dialog wie in alten »Seinfeld«-Zeiten. Nach einem Münzwurf muss Larry nun Maureen auf das Problem ansprechen, die entrüstet ihren Job kündigt.

Schnitt. Jerry und Larry in Izzy’s Deli. Ein Kristallisationspunkt des »Seinfeld«-Mythos. In dieser Konstellation, in den Booths von New Yorker Cafés, ist Ende der Achtziger die Show entstanden. Beide sitzen herum, essen Burger, trinken Kaffee und ergehen sich in einer Konversation irgendwo zwischen Alltagsmythen und Kleinlichkeiten.

Julia/Elaine hat diesmal nur einen funktionalen Kurzauftritt und muss sich entsetzt zeigen über die Kündigung von Maureen, weil deren Mutter mal als Babysitterin für sie gearbeitet habe und mentally unstable sei, vielleicht sogar suicidal. Larry soll die Midriff-Kündigung daher lieber wieder rückgängig machen.

Dann ein geiler Szenenbeginn: Larry sitzt, Maureen steht, und Larrys Gesicht spricht quasi mit dem entblößten Hüftspeck. Irgendwann tritt Maureens Mutter auf und kriegt einen Hotflash, weil Larry genauso aussehe wie ihr 1962 ermordeter Ehemann (dieser Erinnerungskurzschluss erinnert an die Folge 3.01, »Chet’s Shirt«).

Es folgt ein für »Curb« sehr ungewöhnlicher Flashback. Larry sitzt als verjüngte Kopie seiner selbst mit Hut und frisch angetrauter Ehefrau im Auto, singt und raucht, auf dem Weg in die Flitterwochen. Ein anderer Wagen schiebt sich vor ihn, Mittelfinger werden gezeigt, beide Wagen halten, beide Fahrer steigen aus, eine Diskussion folgt, und dann wird auf die Larry-Kopie solange mit einem Brecheisen eingedroschen, bis Blut spritzt.

Nach dieser Geschichte verabschiedet sich Larry erst mal zum Bathroom. Er pisst im Stehen, und ein paar Querschläger springen auf das Jesus-Bild, das rechts neben dem Klo hängt. Direkt unter dem rechten Auge des Heilands kleben nun gelbe Tränen, was ein bisschen an den weinenden Christus von Antonello da Messina erinnert, der im Louvre hängt.

Als die beiden Frauen später dieses Wunder sehen, knien sie nieder und beten. Zusammen mit ihrer Mutter und der Reliquie will Maureen jetzt das Land durchqueren und kündigt wiederum bei Jerry und Larry.

Ein weiteres Thema in dieser wieder prallvollen Folge ist die Servietten-Politik. Beim Takeaway-Italiener wird Larry untersagt, sich mehr als zwei Servietten mitzunehmen. Aus Trotz packt er eine Extraladung Papiertücher dazu und wird später deswegen von der Polizei angehalten. Das ist völlig überzogen und unrealistisch, aber einfach sehr gut gemacht und zuende geführt, inkl. Gegenüberstellung auf dem Revier.

Maureens Mutter (mit der Larry eine Verabredung wegen der Bürgschaft für den Jesus-Tourbus hatte) holt ihn vom Revier ab. Und dann wiederholt sich die traumatische Szene aus ihren Flitterwochen. Diesmal ist es Richard Lewis, der sich vor Larrys Wagen schiebt. Wieder steigen beide aus und diskutieren die üblichen Missverständnisse. Lewis holt sein Geschenk aus dem Kofferraum, einen Joe-DiMaggio-Baseballschläger. Für die Alte im Wagen muss das wie das Brecheisen wirken, dem einst ihr Mann zum Opfer fiel. In einer Kurzschlussreaktion springt sie auf den Fahrersitz, fährt auf Lewis zu und schickt ihn damit ins Krankenhaus.

In der Schlussszene sehen Maureen & Mutter, wie Larry am Bürohaus Wasser abschlägt, und ein Tropfen landet bei Maureen im Gesicht. Den beiden geht auf, wie ihr Jesus-Gemälde zu weinen begonnen haben muss. Die selbstmordgefährdete Mutter steigt aufs Dach und will springen. Larry stößt sie zurück, kippt dabei rücklings weg und kann sich nur knapp festhalten – an Maureens schwabbelndem Hüftspeck.

Der Umblätterer über andere »Curb«-Episoden:
Season 6: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10
Season 7: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10

Curb Your Enthusiasm: 7. Staffel, 5. Folge

Paris, 27. Oktober 2009, 12:19 | von Paco

»Denise Handicapped«
(18. 10. 2009 · HBO)

Wieder spielt der »Seinfeld«-Reunion-Storybogen der siebten Staffel keine Rolle in dieser Folge. Sie lassen sich Zeit damit, was vielleicht auch genau gut ist. Dafür ist diese fünften Folge wieder ein richtiger Themenverknüpfungsparteitag. Wheelies, Rollstuhlfahrer, sind bereits in früheren Staffeln ab und zu in Nebenplots aufgetaucht, wurden aber bisher noch nie mit einer eigenen Folge bedacht. Das Ganze ist so gekonnt zuende geplottet, dass die etwas gesucht wirkenden Kausalitäten in der Folge davor sofort vergessen sind.

Es beginnt damit, dass Larry in einem Kaffeehaus sitzt und eine Melodie der Violinistin Chee-Yun pfeift. Er kommt dadurch mit einer »decent looking« Frau ins Gespräch, Denise, und lädt sie zu einer Privatvorstellung mit der südkoreanischen Virtuosin ein. Denise entpuppt sich aber als Rollstuhlfahrerin. Larry starrt sein auf ihn zurollendes Date fassungslos an.

Der Slapstick hat in dieser Staffel schon breit Raum bekommen, und es geht weiter: Der betreppte Aufgang zum Restaurant bietet keine Rollrampe, Larry muss sein Date nach oben tragen, und wie so oft ergibt er sich in sein Schicksal.

Bei Tisch entspinnt sich eine Diskussion: Nicht nur Larry war geschockt, als er sein Date plötzlich auf sich zurollen sah. Auch die Rollstuhlfrau erlebte ihren Moment des Erschreckens, als Larry sie auf einmal ohne Basecap abholen kam. »I get, I get it, I had a hat on, and then baldie showed up.« Um nicht inkorrekt zu wirken, folgt ihr Larry noch auf den berühmten Espresso ins Haus nach und versucht dann auch standes­gemäß, sie abzuküssen, wieder eine umständliche Slapsticknummer, und das Ganze setzt sich im Schlafzimmer unter der Bettdecke fort.

Eine typische »Curb«-Volte ist dann Larrys Entdeckung der positiven Aspekte der Bekanntschaft mit einer Rollstuhlfahrerin. Und er reizt den Behindertenbonus ziemlich aus. Behindertenparkplätze! Bevorzugung in Restaurants! Menschen, die einen anlächeln und auf den ersten Blick erst mal positiv bewerten! Gegenüber dem politisch überkorrekten Ehepaar Fowler war Larry eben noch der diskriminierende Fragenstel­ler in Sachen chinesisches Adoptivkind. Und ist nun auf einmal der gute Mensch mit Rollstuhlbekanntschaft.

Den Twist, der zu einer schönen Finalpointe führt, liefert eine Strandszene. Jeff & Susie kapseln sich kurz ab und lassen Larry auf Sammie aufpassen, die dann aber beim Baden im Ozean ein bisschen untergeht. Und Larry folgt seinem Rettungsimpuls, kehrt dann aber auf halber Strecke um, weil er sein Blackberry zurückbringen will. Als Larry dies als Entschuldigung hervorbringt, wirft Susie das Blackberry ins Meer. Alle Nummern sind weg, der Kontakt zu Denise ist unterbrochen.

Also macht sich Larry unmittelbar vor der Chee-Yun-Privataufführung auf die Suche nach ihr und begeht den nächsten Incorrectness-Fauxpas: mit der Annahme, dass sich alle Rollstuhlfahrer einer Nachbarschaft kennen, weil sie ja irgendwie dasselbe Schicksal teilen. Jedenfalls hört die von ihm befragte neue Rollstuhlfahrerin, Wendy, auch gerade Chee-Yun, und mangels seines ursprünglichen Rollstuhldates nimmt er einfach sie mit.

Denise ist dann doch anwesend, der Storybogen entlädt sich irgendwo zwischen Inflagranti und Verwechslungskomödie. Larrys Ausweg ist die Flucht auf eine Treppe, auf die ihn die erbosten Wheelchair-Ladys nicht folgen können, aber Rosie O’Donnell übernimmt für die beiden und macht sich auf Larry-Jagd.

Alles in allem war das eine autarke, wunderschön gestrickte Einzelfolge mit übrigens noch zwei Zugaben: 1. der lang erwarteten Rückkehr von Leon und 2. einem Streitgespräch mit Ted Danson, der Larry im Restaurant einen Kuchen schicken lässt (den dieser dann wegen Gesättigtheit ablehnt, es geht also wie so oft um die Ethik des Schenkens und Beschenktwerdens).

Der Umblätterer über andere »Curb«-Episoden:
Season 6: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10
Season 7: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10

Martin Walser für Nichtraucher

Konstanz, 25. Oktober 2009, 08:15 | von Marcuccio

Einen besseren Künstlernamen für ihren Kurzauftritt bei den Baden-Württembergischen Literaturtagen hätte sie sich gar nicht zulegen können. +++ Jetzt spricht Michaela (31): das Mädel, das Martin Walser rausschmiss +++ Oder so ähnlich. Jedenfalls: Nach seiner Lesung neulich kehrte Martin Walser noch im Café Wessenberg ein:

»Michaela Mädel (31) war die Bedienung an diesem Abend und erinnert sich an den Moment, als Martin Walser zur Zigarette griff. ›Als ich gesehen habe, dass er sich eine Zigarette anstecken will, habe ich ihn darauf hingewiesen, dass das Rauchen hier nicht erlaubt ist. (…) Ich hatte Herrn Walser zu dem Zeitpunkt gar nicht erkannt. Als er auf meine Aufforderung nicht reagierte, habe ich nochmals erklärt, dass es sich hier um ein Nichtrauchercafé handele und er doch bitte die Zigarette ausdrücken möge.‹

Danach, so Zeugen, wurden sowohl Walser als auch die Servicekraft lauter, es kam zum Streit. Michaela Mädel: ›Am Ende sagte ich, dass es wohl besser ist, wenn er jetzt einfach das Lokal verlassen würde.‹« (Südkurier vom 23.10.2009)

Vor Ort schlagen die Walser-Wellen hoch: Entschuldigungsbrief des Wirts (bekennender Walser-Hasser) an den OB, neue Nichtraucherdebatte in der Stadt und Leitartikel zum Thema »Gelten für Promis eigene Gesetze?«

Kaffeehaus des Monats (Teil 48)

sine loco, 24. Oktober 2009, 18:16 | von Marcuccio

Wenn du mal richtig Zeitung lesen willst:

Heck-Art, Chemnitz

Chemnitz
Das HECK-ART in der Mühlenstraße.

(Die Kulturseite der »Freien Presse« hat Ruhetag, aber es gibt eine hervorragende Mandelschnitte, und wer sich vom Gunzenhauser bis hierher durchgefragt hat, hat eigentlich auch schon Chemnitz gesehen.)
 

Abonniert haben wir

Konstanz, 20. Oktober 2009, 23:25 | von Marcuccio

Sehr schön. Peter von Matt, Germanist mit dem besten Buchtitel des Jahres (»Wörterleuchten«) feiert die Zeitung! Im aktuellen NZZ Folio (10/2009, S. 63–64) geht es erst mal um Leser-Blatt-Bindungen: »Abonniert haben wir …«

Wir erfahren: Im Hause von Matt liest man die

  • Zeitung für Deutschland (FAZ)
  • Zeitung für die Schweiz (NZZ)
  • Zeitung für Zürich (Tages-Anzeiger)
  • – und die Zeitung für den Zug:

»Für längere Zugreisen kaufe ich regelmäßig die International Herald Tribune, da finde ich in jeder Nummer etwas, das ich sonst nirgends bekomme.«

Dann geht es um Ansprüche:

»Die Zeitung ist für mich eine Art Sparringpartner für meine Auseinandersetzung mit der Gegenwart, mit meiner Welt. Ich will von einer Zeitung gefordert werden. (…) Ich werde nur gefordert, wenn mir etwas begegnet, was meine momentane Kompetenz ein bisschen übersteigt. Das ist die Aufgabe der Zeitung. Sie muss sich bemühen, nicht einfach Leser, sondern gute Leser anzusprechen.«

… um Begeisterung:

»Dass ich zwei grosse Blätter vor mir habe, ist eine geniale Erfindung. Ich kann da etwas ganz lesen, dort nur den Lead oder die beiden letzten Sätze. Und dann kann ich umblättern. Das kann ich so bei keinem anderen Medium. (…) Ich kann vorwärts und rückwärts lesen, ich kann Sachen herausreissen, habe die Möglichkeit eines durchaus gestalterischen Umgangs mit der Information.«

… und um die Idee von Verbindlichkeit:

»(…) ich kann mir auch vorstellen, dass ich mich daran gewöhnen könnte, Zeitungen nur noch online zu lesen. Bloss weiss ich da nie genau, was die bringen und was nicht. Die gedruckte Zeitung ist da verbindlicher, da weiss ich: Das ist alles, was sie an diesem Tag zu sagen haben.«

Usw.

Tosca

Hamburg, 19. Oktober 2009, 15:18 | von Dique

Nach den Meistersingern, Iphigénie en Tauride, Turandot, Lohengrin und La Traviata ist die Tosca-Inszenierung die erste Aufführung der Hamburgischen Staatsoper, die für mich mehr als einfach nur ein netter Abend war. Das war ein richtiges Fest und das liegt an der Inszenierung, an der Musizierung und ganz besonders an Paoletta Marrocu.

Ich habe wie immer miese Karten, irgendwo am Rand in Loge 3, und trotzdem geht mir die Stimme der Paoletta Marrocu als Floria Tosca sofort durch und durch, ein unglaubliches Volumen, bis herauf zu mir auf dem billigen Platz. Wieso man einen Tag vor der Vorstellung an einem Samstagabend in dieser Stadt noch einfach so Karten bekommt, ist mir ein Rätsel. Noch rätselhafter ist, dass, als ich nach der Pause in die Loge zurückkehre, die Plätze eines Pärchens und einer weiteren Frau plötzlich leer sind.

Ich frage mich, wie krank diese Leute sein müssen, hier einfach auszusteigen, freue mich aber über den besseren Platz, den ich kurzerhand in Beschlag nehme. Im zweiten Akt denke ich kurz an Giovanni Battista Salvi genannt Sassoferrato. Genauer gesagt, an das Ultramarinblau der Gewänder seiner berühmten Madonnen, denn jetzt trägt Paoletta Marrocu ein Kleid in ebensolchem strahlenden Blau, nach dem tiefen Schwarz im ersten Akt.

Der Gedanke an die entrückten Madonnen des Sassoferrato passt ganz gut, betet doch Floria Tosca gleich zu Anfang in der Kirche, in der ihr Geliebter, der Maler Mario Cavaradossi, gerade ein Altargemälde fertigt, zur heiligen Mutter Gottes. Der zweite Akt spielt im Salon des fiesen Barons Scarpia, auch eins a besetzt mit Thomas Mayer, der der Schönen unter das Kleid will und dafür auf ihre Gefühle für Cavaradossi setzt, der am Galgen sterben soll.

Floria Tosca entledigt sich also ihres wunderschönen blauen Kleides, um den Geliebten zu retten, trägt darunter wieder Schwarz, klar, passt auch besser zum düsteren Szenario, und legt sich dann auf den Dielenboden der Opernbühne. Der Salon Scarpias ist sehr minimalistisch ausgestattet, ein barocker Schreibtisch, eine graue Wand im Hintergrund und eben der Dielenboden. Da steht kein Bett, wo sich die Tosca niederlässt, aber man denkt, da wäre eines, die Illusion funktioniert, so ähnlich wie in Lars von Triers Dogville, nur dass hier nicht die Umrisse der Häuser oder Gegenstände auf dem Bühnenboden aufgemalt sind.

In der folgenden Szene lässt sich Paoletta Marrocu als Floria Tosca aber, anders als Nicole Kidman in Dogville, nicht vom brutalen Zugriff des Mannes überwältigen, sondern bewaffnet sich und lässt den Baron ins vorgehaltene Messer stürzen. Ein Blutbeutel versaut ihm das Hemd und signalisiert seinen Tod und färbt außerdem den gesamten Arm von Paoletta Marrocu blutrot. Schwarz, blau, rot, alles sehr intensiv, und sicher bedeutet das alles irgendwas. Am Ende hilft aber alles nichts, denn wir wissen es, die schöne Sängerin wird sich von der Engelsburg stürzen, weil sie Cavaradossi doch nicht retten konnte.

Einen pindarischen Sprung später lese ich gestern in der FAS über die Nofretete im Neuen Museum, den ausführlichen Artikel von Andreas Kilb, der den schönen Titel »Kraut und Rüben haben mich vertrieben« trägt. In dem Text steht, dass man ›Kraut und Rüben‹ mit ›higgledy-piggledy‹ ins Englische übersetzen kann. Notiert hat sich das 1937 Samuel Beckett beim eifrigen Museumsbesuch in Berlin.

Usw.

Curb Your Enthusiasm: 7. Staffel, 4. Folge

London, 17. Oktober 2009, 10:47 | von Dique

»The Hot Towel«
(11. 10. 2009 · HBO)

Das Feuerwerk der »Seinfeld«-Reunion in der Vorgängerfolge (7.03) wird nicht gleich fortgesetzt, kein Ex-Seinfelder ist in der aktuellen Folge mit dabei, abgesehen von Philip Baker Hall, den wir als Buch­detektiv Mr. Bookman aus der »Seinfeld«-Folge »The Library« (3.05) kennen und der in »Curb Your Enthusiasm« ab und an in der Rolle des Doctor Morrison auftaucht.

Diese »Curb«-Folge wirkte übrigens völlig überladen und in einigen Handlungsmotivationen ziemlich weit hergeholt, am Ende war es aber wieder eine typische Verknüpfungsorgie verschiedener Themenstränge:

1. Männer in kurzen Hosen

Männer in kurzen Hosen sind unerträglich, das wissen wir schon lange, und jetzt thematisiert LD das endlich mal, der ja auch eher immer aussieht wie frisch aus dem No-go-Laden eingekleidet, hehe.

Die Folge beginnt mit einer Szene im Flugzeug. Neben Larry sitzt ein Typ mit kurzen Hosen, käsige, haarige Männerbeine ragen heraus, und sofort wird belehrt, »let me give you a little tip, ok, a little travelling tip«. Sowas mache man einfach nicht, ebenso wenig wie andere zweifelhafte Sachen, »I like to play the bongos on my leg, I like to imitate horses, but I don’t do it!«

Am Ende der Folge wird Larry dann selbst in kurzen Hosen stecken, wird an die Haustür von seinem Arzt klopfen, an die Türen von Ted Danson und von Jeff, denn er ist auf der Flucht vor dem Lover einer Ex-Freundin, der ihm an die Wäsche will. Alle überraschten Türöffner machen dabei Bemerkungen über seine kurzen Hosen, und wie unmöglich es sei, so herumzulaufen.

2. Privatsphäre des Arztes

Das Hauptelement dieser Folge, ausexerziert wird es am Beispiel des schon erwähnten Dr. med. Morrison. Sowohl Sphärengrenzen (Öffentlichkeit vs. Privatheit) als auch Autoritätsgläubigkeit gehören eh zu den beliebtesten »Curb«-Themen und sie waren es bereits, to some extent, bei »Seinfeld«.

Larry hat sich mit einer verbrühten Hand in die Obhut des Arztes begeben, weil ihm eine Flugbegleiterin ein brüllend heißes Handtuch gereicht hatte (das kennen wir bereits aus der »Seinfeld«-Folge »The Cafe« (3.07), in der Kramer in eine Zu-heißes-Handtuch-Situation gerät). Nach der Behandlung möchte sich Larry die private Telefonnummer des Arztes geben lassen, nur zur Sicherheit.

Doc Morrison lehnt das ab, aus Prinzip, und die Diskussion, die dann doch zur Übergabe der Nummer führt, is a real masterpiece: Larry sagt, wie sinnlos er es finde, dass er im Notfall die Notfallnummer anrufen müsse und die Leute an der Notfallnummer dann den Arzt, bis der dann mit Larry Verbindung aufnehme. Viel besser sei es doch, wenn er direkt anrufen könne, und Morrison lässt sich dann auch, um Larry loszuwerden, breitschlagen, allerdings mit der klaren Anweisung: »I do not expect you to abuse it and I don’t want you to call me directly at home. (…) Don’t call!«

Sein »Don’t call!« führt natürlich sofort zum Gegenteil, wenn auch aus Versehen, denn eigentlich wollte Larry Jeff erreichen:

MORRISON: I distinctly recall asking you not to call me.
LARRY: No, no, I didn’t call.
MORRISON: How can you say you didn’t call, you did call!

Der Dialog, dieser »Verwählt!«-Dialog, dauert dann ziemlich lang, »this is the longest wrong number I’ve ever had in my life«.

Beim nächsten Arztbesuch und seiner Entschuldigung rückt Larry dem armen Arzt noch weiter auf die Pelle. Er wisse nun auch, wo dieser wohne, direkt bei Larry um die Ecke nämlich, er kenne das Haus. Der Doc ist sauer und very uncomfortable, denn das sei zu viel persönliche Information über ihn für einen Patienten. Am Ende der Folge taucht Larry dann, wie oben erwähnt, tatsächlich in Shorts vor dessen Tür auf.

3. Date mit der Ex-Freundin

Larry trifft Mary Jane, eine Ex-Freundin von vor 15 Jahren, die ihn überraschend sofort zu einem Wiederauffrischungsdate einlädt. Larry führt sie in ein Restaurant, das Date endet dann bei Mary Jane auf dem Sofa. Nachdem er als »lefty unhooker« trotz der verbundenen Hand ihren Bra aufgeknipst hat, klingelt leider das Telefon. Mary Janes Boyfriend ist dran. Eine Flagranti-Szene, sie hatte ihm dieses Detail vorenthalten, Larry ist vollkommen überrascht, muss fliehen, denn der Boyfriend ist nur um die Ecke und kommt gleich herauf.

4. Geburtstag bei Ted und Mary

Larry auf der Geburtstagsparty von Ted Danson, mal wieder. Dieses Mal verschenkt er einen Essensgutschein im Wert von 300 Dollar. Ted und Mary finden das Geschenk sehr gut, besonders im Vergleich zum »Freak Book« vom letzten Jahr, eine schöne Referenz auf die »Curb«-Folge mit dem Gastauftritt von John McEnroe.

Susie und Jeff haben als Geschenk für Ted eine Gesangseinlage ihrer Tochter Sammie vorgesehen, a cappella und das ziemlich grauenhaft, aber alle sind natürlich trotzdem gerührt und finden das ganz toll, außer Larry: »That’s a gift!? How is that a gift!« Er unterbricht Sammy vor allen anderen Gästen abrupt mit lautem Applaus, bevor das Lied zu Ende ist, ok, enough, that’s good, very good, that was wonderful, thank you.

Denselben knallharten Applausabbruch vollzieht er ein paar Tage später im Restaurant, als ein professioneller Sänger anhebt, der sehr schön singt. Larry erklärt sein Einschreiten mit Kindheitstraumata (sein Vater sang im Haus herum), die ihn nun »the sound of the human voice« nicht mehr ertragen lassen.

5. Christian Slater und die Unwritten Laws of Society

Zurück zur Party. Christian Slater ist auch da. Er steht am Buffet und schaufelt sich Unmengen Kaviar auf einen Keks. Larry: »I think you are going a little over your allotment.«

Slater findet Larrys Intervention ziemlich sticklerhaft, nimmt sich noch einen extra Löffel auf den Kaviarhaufen und sucht das Weite. Als die Hausherrin Mary zu Larry tritt, verdächtigt sie sofort ihn des Kaviarklaus, doch Larry verrät Slater. Er wird sich am Ende an Larry rächen, wenn dieser sich auf der Flucht vor dem aufgebrachten Boyfriend von Mary Jane verstecken muss. Slater wird ihn dabei beobachten und ihn dem Mary-Jane-Freund ausliefern.

Soweit der Recap in Rohform, eine Menge Stoff für die kurze Zeit einer Folge.

Der Umblätterer über andere »Curb«-Episoden:
Season 6: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10
Season 7: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10

Herkules Farnese

Neapel, 12. Oktober 2009, 16:01 | von Dique

»Ich lief eine Stunde in Pompeji herum und sah, was die anderen auch gesehen hatten, und lief in den aufgegrabenen Gassen und den zutage geförderten Häusern hin und her. Die Alten wohnten doch ziemlich enge.«

Das sind Johann Gottfried Seumes Bemerkungen zu Pompeji, und auch Goethe markiert die beengten Wohnverhältnisse »der Alten« in seiner italienischen Reise. Die besten Schätze aus Pompeji sieht man aber sowieso in Neapel selbst, nämlich im Museo Archeologico Nazionale. Also einfach in der Stadt bleiben, in der Bar Antille Seume lesen und dann ab ins Museum.

Vom Bahnhof kann man mit der U-Bahn direkt hinfahren. Die Linea 1 ist aber keine herkömmliche U-Bahn, hier verkehren ausrangierte Züge, die man für den überirdischen Verkehr einfach niemandem mehr anbieten kann. Für die nassfeuchten Untergrundschächte gehen sie aber gerade noch.

Tatsächlich geht es da unten tropisch zu. Es riecht ungeheuerlich vermodert, so wie in einer alten Waschküche, und die Atmosphäre hat was vom pestilenzartigen Modergeruch, den HPL in seinen Erzählungen gern mal verwendet. So mancher Tourist hält das für die Katakomben und fotografiert gleich gnadenlos durch die angelaufene Linse seiner Digicam. Frauen sehen nach weniger als zwei Stationen so aus wie Elaine in der »Seinfeld«-Episode »The Strike« (Folge 9.10) – in der sie in einem Bagel-Shop mit defektem Wasserrohr, aus dem Dampf strömt, auf einen Anruf wartet – also wie in Klamotten geduscht. Ich gehe also zu Fuß.

Es gibt viel Streit darum, welches Exponat denn der größte Hit des Museo Archeologico Nazionale sei, der Herkules Farnese oder der Farnese-Bulle, das Alexandermosaik oder die verschiedenen Wandzeichnungen aus Pompeji. Im Museum selbst spielt das aber eher eine untergeordnete Rolle. Hier sieht’s aus wie die berüchtigten Kraut und Rüben. Unzählige Räume sind abgesperrt, der Farnese-Bulle ist eingerüstet und auch nur aus der Ferne zu betrachten. Außerdem ist es staubig, wie in Pompeji, das ist vielleicht so geplant.

Trotz der vielen geschlossenen Räume kann man sich hier einen Tag lang rumdrücken. Und den Riesen, den Koloss, den Giganten, den Herkules Farnese kann man sich in seiner ganzen Pracht auch in Ruhe von allen Seiten anschauen. Er ist umringt von den drei anderen Besuchern, die sich heute in diese vielleicht weltweit beste Antikensammlung verirrt haben.

Der voluminöse Herkules ist eine aufgeblähte Kopie von Glykon nach einem Original von Lysippus, die man im 16. Jh. in Rom gefunden hat. Lange Zeit stand die Statue dort in der Villa Borghese zur Schau, bis sie dann nach Neapel gelangte. Als man den Herkules fand, fehlten die Beine ab unter dem Knie und wurden dann zeitgenössisch ersetzt. Das Ergebnis war okay so bis man die richtigen, die originalen Beine viele Jahre später ausfindig machte und dann selbstverständlich ersetzte. Goethe hatte den Herkules mit beiden Beinversionen gesehen und für ihn war die Qualität der Gliedmaßen ein Unterschied wie Tag und Nacht. Hinter dem Herkules an der Wand findet man dann auch entsprechendes Goethezitat, direkt neben den kopierten Beinen, die mir aber eigentlich ziemlich gut gefallen.

Ich wollte eigentlich nur kurz den Herkules sehen und mir dann noch den dritten und letzten Caravaggio Neapels ansehen, »The Martyrdom of St Ursula«, wohl sein letztes Bild, gemalt im Jahr seines Todes, 1610. Vorher stolpere ich aber noch an der Mosaikensammlung vorbei, wohl die besten und berühmtesten der Welt. Darauf wird aber in Understatement-Neapel nicht groß herumgepocht, denn es gibt mal wieder keine Wegweiser, also gelange ich eher zufällig dort hin, einem riesigen Schild folgend, das auf den Lift hinweist.

Im Hintergrund sehe ich dann aber plötzlich auf das Alexandermosaik, gefunden in Pompeji, wie die meisten Exponate. Alexander gegen Darius, in Pompeji liegt heute nur noch eine Kopie, hier, an der Wand, das Original. Die beiden Helden von Kämpfern umringt, Alexander angriffslustig zu Pferd und Darius, leicht verängstigt, auf einem Streitwagen.

Schade, dass ich den »Alexander«-Film mit Colin Farrell gesehen habe, denn leider habe ich jetzt diese Bilder im Kopf. Ich versuche sie mir mit Alexander- und Darius-Lektüre quasi wegzulesen, und das passiert manchmal rein zufällig, wie kürzlich in Arno Schmidts »Aus dem Leben eines Faun«:

Der Verwaltungsbeamte Düring unterhält sich mit einem Pastor, der nebenbei Alexander-Spezialist sei, »Aber Herr Pastor ! Da haben wir doch nur ganz späte und unzuverlässige Quellen ! Und auch die lediglich auf Berichten seiner eigenen Anhänger aufgebaut: Die Drittelswahrheit ! : das Andere muß aber auch dargestellt werden !« »Aber nein, Herr Pastor ! : denken Sie sich, wir hätten eine Geschichte unserer Zeit, nur auf Grund der Tagebücher von Goebbels und Göring : na ?!«

So sieht’s nämlich aus. Cave canem und dann muss ich aber los, die Via Toledo runter und zum Caravaggio, im zweiten Stock der Banca Commerciale Italiana.