Turandot und die Sitznachbarin des Grauens

Hamburg, 13. Juli 2009, 08:10 | von Dique

Für den Kalaf mag es im Augenblick keine Stimme geben, aber ich gehe dennoch in die »Turandot«-Aufführung der Staatsoper. Nun komme ich kurz vor Beginn der Vorstellung in Loge 4, Reihe 2 an, und auf meinem Sitz liegt, trotz des sommerlichen Wetters, ein recht großer und leicht angeschmutzter Anorak und einer dieser wiederverwendbaren Supermarktstoffbeutel.

Widerwillig nimmt die daneben sitzende Dame ihre Sachen weg, knautscht den Anorak lieblos unter ihren Sitz und hantiert mit dem ebenfalls verschmutzten Beutel herum. Ich nehme ihn ihr ab und lehne ihn an die Wand neben den Sitzen.

Bei Vorstellungsbeginn nimmt die Dame neben mir selbstbewusst die Gemeinschaftsarmlehne des Sitzes in Anspruch. Ihr Ellbogen befindet sich so weit in meinem Sitzbereich, dass ich die Spitze konstant in meiner Seite spüre, obwohl ich mich so gut wie möglich nach außen drücke, denn glücklicherweise sitze ich am Rand und habe Raum, sitze aber äußerst unbequem.

Von jetzt an habe ich über die gesamte Vorstellungsdauer das Gefühl, dass mich ein Ellbogen, wenn auch nur leicht, an der Seite berührt, auch wenn ich deutlich sehe, dass es nicht so ist. Nach einer Weile kommt sie trotz der engen Sitze auf die Idee, ihre Beine übereinander zu schlagen, und berührt mit ihrem in der Luft hängenden Fuß auch noch mein Bein.

In der Pause heule ich mich bei San Andreas aus, wir hatten zu spät gebucht und keine zusammenhängenden Plätze mehr bekommen. Kurz vor dem zweiten Akt komme ich zurück, auf meinem Stuhl das alte Bild, der Anorak wird aber recht zügig entfernt. Den Beutel hat sie auf dem Schoß, darauf eine Keksbox, sie kaut noch, Krümel um den Mund, und bietet mir dann noch, die Keksdose reichend, einen ihrer an den Ecken schon stark zerbröselten Butterkipfel an.

Ich lehne höflich ab, stelle den Beutel wieder auf die Seite, und es geht einfach so weiter, Ellbogen, irgendwann gehen die Beine wieder übereinander und ich halb aus dem Stuhl und habe das Gefühl, dass es bereits viel zu spät ist, um noch irgendetwas dazu zu sagen und zu klären.

Nach der nächsten Pause kann ich mich dann gleich hinsetzen, mein Platz ist frei, der Beutel lehnt an der Wand. Eine Sekunde vor Beginn, das Licht wird gerade ausgeblendet, fragt sie jemanden, der hinter ihr sitzt und anscheinend zu ihr gehört: »War die mit dem weißen Kleid die Prinzessin, die heiraten soll?« Und sagt gleich hinterher: »Gestern habe ich Asterix und Obelix gesehen, da sind die auf einer Insel gestrandet, aber da war schon jemand.«

Im dritten Akt habe ich mich an meine Situation bereits sehr gut gewöhnt, es erscheint mir einfach normal, und ich genieße endlich in Ruhe das wunderbare Schauspiel auf der Bühne. Direkt als der Schlussapplaus einsetzt, fragt sie mich dann noch, ob es denn jetzt zu Ende sei. Ich bejahe, und sie fängt mit großer Begeisterung an zu klatschen.

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