Das Kinojahr 2008
(Vorwort und Kommentare zu dieser Übersicht hier.)
»There Will Be Blood« (Paul Thomas Anderson) Der Ölfilm. Das schwarz glänzende Juwel des Filmjahres, so einer kommt nicht alle Tage. Im Mittelpunkt ein Soziopath, ein Magnat, ein massives Ego im Clinch mit seinen Mitmenschen – insbesondere einem bigotten Prediger. Der Konflikt lauert, schwelt, zeigt dann und wann sein hässliches, gleichwohl menschliches Gesicht – exemplarisch für die Unvereinbarkeit von Kapitalstreben und Nächstenliebe. Präzise und kraftvoll, ohne Ballast und Schlacke, geht das Werk vollends in sich auf. Film in Reinform. Best Bit: Die finale Konfrontation der Antagonisten. Ein Dialog kubrickschen Kalibers, ein Martyrium bitterer Konsequenz, und furioser Schlusspunkt einer larger-than-life-Performance von Daniel Day-Lewis.
Umblätterers ausführliche Kritik …
»No Country for Old Men« (Ethan & Joel Coen) Nach einer Durststrecke der große Wurf. Die Coens kehren mit ihrer ersten Romanadaption stilistisch zu ihren »Blood Simple«-Wurzeln zurück: Ohne skurrile Schnörkel findet McCarthys grimmige Poesie kongenial ihre filmische Form. Texas. Ein müder Sheriff stimmt ein Lamento auf den Exodus althergebrachter Werte an. Er sieht den ganzen Film über keinen Stich, denn Javier Bardems ikonischer Schurke Anton Chigurh (der aus dem Stand die Filmgeschichte betritt) ist ihm stets ein paar Schritte voraus. Er wird den Film ungeschoren verlassen, während unser eigentlicher Held sein Ende nicht erlebt. Die Dramaturgie macht keine Kompromisse, der Thrill ist schier unerträglich. Ein beängstigend ausgekochtes Werk von versteckter Komplexität und glasharter Präzision. Unverpassbar. Best Bit: Chigurh verwickelt einen Tankstellenbesitzer in ein Glücksspiel um Leben und Tod. Der Killer als personifiziertes Schicksal.
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»The Dark Knight« (Christopher Nolan) Der Überflieger. Aber was zeichnet den neuen »Batman« gegenüber anderen Superheldenfilmen aus? Falsche Frage. Die Comic-Insignien des dunklen Ritters sind kaum mehr als Zugeständnisse an die Bat-Tradition. Man vergleiche Nolans Film lieber mit »Heat« als mit »Spider-Man«. Die Intensität. Die Düsternis. Die psychologischen Untiefen. Die ambivalente Beziehung der Antagonisten. Der Joker vereint Wahnsinn und Kalkül, wütet als unwägbarer Agent des Chaos. Unausgesetzt treibt er den Helden und mit ihm den Zuschauer in haarsträubende moralische Zwickmühlen. Batman muss sich definieren, muss Verantwortung, Macht und Ehre im Angesicht des Terrors balancieren. Und sich gefallen lassen, dämonisiert zu werden, denn er operiert außerhalb des Gesetzes. Politische Allegorien, das alles? Vielleicht. »The Dark Knight« findet Resonanz auf vielen Ebenen. Nicht zuletzt raffen einen die brillanten Actionsequenzen dahin (das Batbike ist schon ziemlich cool). Best Bit: Der Prolog. Eine Bande von Clowns überfällt eine Mafiabank, Gier rafft einen nach dem anderen dahin, übrig bleibt der Irrsinn in Person: »Whatever doesn’t kill you, simply makes you … stranger.«
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»Waltz with Bashir« (Ari Folman) Vielleicht der erstaunlichste Film des Jahres. Eine animierte Doku, die eine kollektive Amnesie, die Konflikte wie den libanesischen Bürgerkrieg umflort, gleichsam therapiert. Die Wahl der Mittel ist ungewöhnlich, doch seltsam adäquat: Die Animation enthebt die Bilder ihrer Direktheit und lässt sie auf tieferen Ebenen wirken. Umso kathartischer die Realsequenz zum Schluss. Best Bit: Die traurigen Gestalten junger Männer schälen sich unter einem phosphoreszierenden Himmel aus dem schwarzen Wasser vor Beirut.
»WALL·E« (Andrew Stanton) Für »Ratatouille« waren schon sämtliche Superlative bemüht worden – man muss sie wieder hervorholen. Was die Animation betrifft, scheint selbst ›perfekt‹ unangemessen. Wirklich beeindruckend aber ist Pixars Risikofreude: Einen guten Teil des Films ohne Dialog, nur mit der täppischen Interaktion von Robotern zu bestreiten, hat Stil und Größe. Der Auftritt von Menschen wirkt dann fast wie ein Rückschritt. Best Bit: Der Anfang. Die desolate, menschenleere Erde, dazu Michael Crawfords »Put On Your Sunday Clothes«.
»Into The Wild« (Sean Penn) Chris McCandless ist kein Misanthrop. Er ist auch nicht politikverdrossen oder mit dem Gesetz uneins. Trotzdem steigt er aus, sucht die Essenz des Lebens abseits der Zivilisation. Die Reise eröffnet Perspektiven auf die Freiheit des Individuums, aber auch auf seine Zerbrechlichkeit: Am Abgrund scheint das Leben unendlich kostbar, aber einen Schritt weiter ist es keinen Pfifferling mehr wert. True Story. Best Bit: Chris verlässt den alten Mr. Franz (hervorragend: Hal Holbrook), der in ein Leben stiller Verzweiflung zurückkehren wird. Träne im Knopfloch.
»In Bruges« (Martin McDonagh) Das Label »Gangsterkomödie« ließ zunächst den üblichen überkonstruierten Plot und das Dutzend grotesker Figuren vermuten, aber siehe da: »In Bruges« wartet mit echten Charakteren auf (einer davon die Stadt), bemüht keine Killerklischees, persifliert sie auch nicht. Das smarte Skript hat was von Mamet und den Coens, glänzt mit knackigen Dialogen und kokettiert nicht mit Selbstironie: Tod und Gewalt sind nicht witzig, sondern tragisch. Best Bit: Ray (Colin Farrells bis dato beste Rolle) kann Brügge nur bedingt etwas abgewinnen: »If I grew up on a farm, and was retarded, Bruges might impress me. But I didn’t, so it doesn’t.«
»The Kite Runner« (Marc Forster) Ohne Big-Budget-Gehabe und ohne Stars kommt dieses epische Drama daher. Eine Geschichte um verlorene Freundschaft und späte Reue vor dem Hintergrund des afghanischen Bürgerkriegs. Best Bit: Der Bruch am Granatapfelbaum: Amir versucht in einer verzweifelten Geste die Schande seiner Schuld auf Hassan zu übertragen.
»Earth« (Alastair Fothergill, Mark Linfield) Dieser Film hinterließ 3,7 Millionen Menschen hierzulande tief beeindruckt – mehr als Batman, Indy oder Wall•E. »Earth« zeigt Orte und Kreaturen, denen man näher wohl nie (mehr) kommen wird als über diese kolossalen (und manchmal bitteren) Bilder. Best Bit: Das abstrakte Tanztheater der Paradiesvögel. Völlig abgefahren.
»Cloverfield« (Matt Reeves) Der Film, der seinen Decknamen behielt. Aus dem Nichts kam das Ungetüm, es tobte und siegte. Weit mehr aber als ein Monsterfilm, barg der Film eine völlig neue Kinoerfahrung. In einem frappierenden Experiment kombiniert er die authentischste Ästhetik mit dem fantastischsten Sujet. Die Distanz des Zuschauers reduziert, seine Sinne betrogen – das ist pures Kino. Man kann den Film leider nur einmal zum ersten Mal sehen. Best Bit: Eine Explosion downtown, dann kracht ein Objekt die Avenue entlang, kommt zu liegen: der Kopf der Freiheitsstatue. Was zum Teufel –?
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»Paranoid Park« (Gus Van Sant) Eine weitere Indie-Perle von Van Sant. Behutsam nähert er sich der Psyche eines jungen Skaters, der ein traumatisches Erlebnis zu verarbeiten hat. Die Ästhetik fast experimentell – grobkörnige Fahrten, traumartige Zeitlupen, lange Takes – aber immer inspiriert, nie beliebig. In seiner Einfühlsamkeit erreicht der Film stille Größe. Best Bit: Detective Lu: »No Mayo? You gotta have mayo with that.« Alex: »Mayo is sick.«
»El Orfanato« (Juan Antonio Bayona) Ein Schauerdrama, das den Zuschauer nicht mit Klischee-Gimmicks hinters Licht führt, sondern Spannung aus erster Hand liefert, gespickt mit Spitzen wahren Terrors. Das clevere Skript vollbringt das Kunststück, das Versprechen der Prämisse auf eine Weise einzulösen, die nicht enttäuscht. Best Bit: Laura probiert den Abzählreim im verlassenen Waisenhaus, die Kamera schwenkt, und – !!! Die gruseligste Szene des Jahres.
»Control« (Anton Corbijn) Schwarzweiß-Großmeister Corbijn versucht sich abendfüllend. Ein Künstlerporträt, das nicht glamourisiert, nicht mystifiziert; das Abbild einer Ära, in der Musik noch gelebt, noch neu erfunden wurde. Nüchterne, gleichwohl wunderschöne Bilder, die Tristesse Nordenglands: greifbar. Curtis‘ gepeinigte Seele, wie sie die düstere Poesie der Depression in Joy Divisions hypnotischem Post-Punk aufgehen lässt. Best Bit: Corbijn-Kunde Grönemeyer als schlabberiger Arzt verschreibt eine Anti-Epilepsie-Droge: »Side effects include skin rash, double vision, drowsiness, dizziness, gastric disturbances – that means, farting.«
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»Der Baader Meinhof Komplex« (Uli Edel) Kein einnehmendes Wesen hat dieser Polit-Kaventsmann aus dem Hause Eichinger. Spröde und teilweise anstrengend, biedert er sich dem Mainstream nicht eben an. Kein Thriller, kein Moralstück. Zehn Jahre Zeitgeschichte, akkurat, kompromisslos. Vielleicht zu breit, um in die Tiefe zu gehen. Trotzdem: besseres deutsches Kino. Best Bit: Baader rastet aus, als ihm in Rom sein geklautes Auto geklaut wird.
»Hellboy II: The Golden Army« (Guillermo del Toro) Ein überbordendes Creature Feature, mit ordentlich was auf die Augen. Del Toro genießt es offensichtlich, dass die Technik seiner Schöpfungskraft keinen Einhalt mehr zu gebieten vermag. Das ist inspiriertes, fantastisches Kino, größer, bunter und ja: besser als der erste Teil. Best Bit: Prinz Nuada, wohl einer der charismatischsten Schurken des Jahres, haucht sein Leben aus, und mit ihm sein Elfengeschlecht: »We die, and the world will be poorer for it.«
»Gomorra« (Matteo Garrone) Die Vorlage hat dem Autor permanenten Polizeischutz beschert, denn die Camorra betrachtet die Welt als Brettspiel; unliebsame Spielfiguren werden rausgekickt. Wenn in »Gomorra« jemand dieses Schicksal erleidet, zwinkert der Film nicht einmal. Fünf finstere Geschichten erzählt er, ohne Mafia-Schablonen, ohne Musik, ohne Identifikation und Sentiment. Solch Realismus ist bestürzend, aber adäquat. Best Bit: Der junge Totó wird genötigt, eine unschuldige Bekannte in eine Falle zu locken. Der Schuss hallt durch die Hinterhöfe.
»Juno« (Jason Reitman) Die Dramödie um eine unversehens schwanger werdende Teenagerin schlich sich in viele Herzen, besaß die Titelheldin doch so ein gewinnendes Wesen. Das gewichtige Thema wird in flockigen Dialogen verhandelt, die Moralkeule glänzt durch Abwesenheit. Ein grundsympathischer Film. Best Bit: Junos köstlicher Sarkasmus (»They say pregnancy often leads to, you know, infants.«), dazu Paulies linkischer Charme (»You seem to be getting pregnanter these days.«).
»Before the Devil Knows You’re Dead« (Sidney Lumet) Kalten Schweiß und zerdrückte Armlehnen garantiert dieser fiese Thriller um einen todsicheren Coup. Selbiger misslingt, und Täter und Opfer sind verwandt: Auftakt zu einer Tragödie shakespeareschen Kalibers. Multiperspektivisch erzählt, erfährt der Zuschauer die sozialen und moralischen Zwangslagen der Figuren aus erster Hand. Pechschwarzes, verblüffendes Alterswerk von Lumet. Best Bit: Der Familienvater (groß: Albert Finney) zieht am Ende eine drastische Konsequenz. Provokant, provokant.
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»Blindness« (Fernando Meirelles) Die Vision einer erblindeten Menschheit funktioniert wie die Saramago-Vorlage als düstere Parabel: In der Krise gerät die Vernunft ins Hintertreffen, wenn das menschliche Naturell die Oberhand gewinnt. Meirelles orchestriert das Chaos in stilisierten Bildern, weiß an den richtigen Stellen wegzusehen und erhält die sinnbildliche Kraft des Originals. Best Bit: Julianne Moore.
»Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull« (Steven Spielberg) Gelinde Enttäuschung nach zig Jahren Story-Suche: Die Verquickung von gutem alten Adventure und esoterischer SciFi mag nicht so recht klappen. Aber die Legende verliert deswegen kaum an Glanz, der alte Ford läuft noch tadellos. Nostalgisches Heldenkino, das sich selbst genügt. Best Bit: Indy stolpert in ein Atomtestgelände; hier macht die Unbeschwertheit kurz surrealem Kolorit Platz – aber des Helden Flucht gelingt dann wieder in bester Schenkelklopf-Manier.
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»In the Valley of Elah« (Paul Haggis) Über einen alternden, unnahbaren Patrioten, der das Verschwinden seines Sohnes auf dessen Stützpunkt aufzuklären sucht, tastet sich Haggis an den dehumanisierenden Effekt moderner Kriege heran. Kein politisches Statement; eine ruhige, doch kraftvolle Studie amerikanischer Befindlichkeiten. Best Bit: Vielleicht eine etwas schwerfällige Metapher, aber ein schöner Schluss: Hank (wird immer besser: Tommy Lee Jones) hisst die amerikanische Flagge verkehrt herum.
»Iron Man« (Jon Favreau) Der andere überraschend gute Superheldenfilm. So *super* ist Tony Stark ja gar nicht; er hat lediglich Geld und Grips, dazu ein Gewissen. Und selbst mit monströsem Exoskelett bleibt er ein Charakter, für dessen Entwicklung sich der Film genauso interessiert wie für die Action. Die ist haarsträubend, die Dialoge lässig, die Story nicht dumm, der ganze Film spektakulär erquicklich. Best Bit: Der Endkampf im Orbit: »My suit is more advanced in every way!« – »How’d you solve the icing problem?« – »Icing problem?« – »Might wanna look into it.« <klonk!>
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»Funny Games U.S.« (Michael Haneke) Ein Film, den man ungern empfiehlt, denn er ist eine wahre Tortur. Mithin rückt dieses Traktat Perspektiven zurecht: Gewalt und Folter sind nicht unterhaltsam, schon gar nicht witzig – egal, was Hollywood sagt. Eine erschütternde, frustrierende Erfahrung, die man nur einmal machen möchte – aber machen sollte. Best Bit: Die Sache mit der Fernbedienung. Ein unerhörter Akt der Willkür, der die ersehnte Erleichterung im Nu vernichtet. Keine Gnade. Nicht bei Haneke, nicht im Leben.
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»Things We Lost in the Fire« (Susanne Bier) Der Tod reißt Lücken in zwei Leben, und obgleich man sich hasste, schlägt die Trauer zaghaft Brücken. Susanne Bier holt echte Emotionen auf die Leinwand, hat auch für schwierige Charaktere ein feines Gespür. Es geht um Verständigung, Würde, Heilung und Loyalität; Melodrama und Romantik bleiben außen vor. Eine sensible Studie, traurig, tragisch, aber nicht trostlos. Best Bit: Jerry und Audreys erstes Treffen auf der Beerdigung. Brillantes Schauspiel durchweg.
»The Savages« (Tamara Jenkins) Filme über dysfunktionale Familien gibt es viele. Hier ein gelungener. Zwei Geschwister, beide stecken geblieben in ihrem Leben, müssen sich um ihren Dad kümmern, der in die Demenz abgleitet. Spröder Humor erleichtert die schwere Kost um Alter, Verantwortung und Sterblichkeit. Hoffman und Linney: großartig. Best Bit: Die aseptische Idylle des Rentner-Resorts Sun City, Arizona: weiße Zäune, grüne Kakteen, blauer Himmel. Hinter Papas Türe geht es dann weniger reinlich zu.
»Half Nelson« (Ryan Fleck) Heikel ist die Beziehung eines unorthodoxen Geschichtslehrers zu einer Achtklässlerin, die ihn beim Drogenkonsum ertappt, aber der Film macht kein Drama draus. Leise beobachtet er, wie zwei einsame, desillusionierte Existenzen Verständnis füreinander finden. Eine Charakterstudie, so entwaffnend ehrlich, so wunderbar echt, dass man erst später realisiert, wie stark Gosling und Epps spielen. Best Bit: Die Motelszene. Kein Dialog, nur Musik. Drey und Dans Blicke treffen sich. Große Klasse.
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»Le Scaphandre et le Papillon« (»Schmetterling und Taucherglocke«, Julian Schnabel) Die Vorstellung, dass ein Mensch nach einem Schlaganfall nur noch sein linkes Augenlid bewegen kann, ist schrecklich. Dass er allein per Wimpernklimpern ein Buch verfasst, ist schwer vorstellbar. Aber dieses Schicksal zu verfilmen, scheint nachgerade unmöglich. Tausendsassa Schnabel hat es doch getan: unsentimental, doch bewegend. Best Bit: Der Kummer im Blick der Therapeutin, als Bauby ihr Buchstabe für Buchstabe diktiert: »Je veux mourir.«
»Happy-Go-Lucky« (Mike Leigh) Mal was Lebensbejahendes von Mike Leigh. Frohnatur Poppy macht sich und anderen das Leben durch ihre positive Weltsicht erträglicher, muss aber erkennen: »You can’t make everyone happy.« In den teils improvisierten Szenen steckt viel Wahrheit über das menschliche Naturell. Best Bit: Poppys Fahrstunden mit dem neurotischen Fahrlehrer: »The rear view mirror, Poppy. En-Ra-Ha. En-Ra-Ha!«
»Die Welle« (Dennis Gansel) Wie schon »Das Experiment« schildert diese spannende Chronik die Auswüchse einer sozialen Versuchsanordnung (ursprünglich 1967 an einer Schule in Palo Alto). Wenn gruppendynamische Prozesse die Vernunft ausklinken, kann jede Ideologie Fuß fassen, auch die einer faschistischen Autokratie. Vielleicht in Teilen etwas zu didaktisch und gedrängt, trotzdem überzeugend. Best Bit: Wenger führt seinen Schülern ihre Verblendung vor Augen und beendet feierlich das Experiment. Aber die Welle hat noch zu viel Schwung.
»Burn After Reading« (Ethan & Joel Coen) Ein Agentenfilm ohne Agenten. Stattdessen Idioten, überall. Nichts klappt, keiner weiß, was überhaupt los ist – außer der feixende Zuschauer. Ein kurioses Skript streift die Tücken des Internetdating, den Fitnesswahn, erotisches Heimwerken und kosmetische Chirurgie, dazwischen kursiert eine Disk mit wertlosem Schrott. »Mac oder PC?«, fragt der russische Geheimdienst. Best Bit: Rapport beim CIA-Chef. In zwei kurzen Dialogen bündeln die Coens die größten Lacher. DAS ist gutes Writing.
»The Mist« (Frank Darabont) Ein zusammengewürfelter Haufen wird von wilden Viechern drangsaliert. So weit, so old-school. Wie jeder gute Horror handelt die Geschichte aber weniger von Monstern als von Menschen – vom wahren Grauen also. In der Krise teilen sich die Lager, Fanatiker schwingen sich auf, Konflikte eskalieren. Stephen King in Reinkultur. Best Bit: Der kontrovers diskutierte Schluss. Eine Abweichung von der Vorlage, ist er für die einen eine nihilistische, unmotivierte Verstiegenheit, für andere schlicht das umwerfendste Ende ever.
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»Body of Lies« (Ridley Scott) Man kann Scotts Terrorismus-Thriller vorwerfen, dass er zu rastlos ist, um der komplexen Moral seiner Story gerecht zu werden. Aber die Energie der Inszenierung setzt jeden Argwohn außer Kraft, der Film jongliert mühelos mit reichen Texturen, die Dialoge sind scharf, das Schauspiel makellos. Best Bit: DiCaprios Ausdruck von Frust und Verzweiflung, als eine Operation auffliegt. Währenddessen Crowe, zuhause, Erdnüsse knabbernd. Aber er weiß: »Nobody is innocent in this shit.«
»The Darjeeling Limited« (Wes Anderson) Keine Komödie. Ein Wes-Anderson-Film. Im Zentrum eine kaputte Familie, aber der Film erzählt nicht viel darüber; er nutzt lediglich das melancholische Sentiment, paart es mit indischem Kulturkolorit und leicht angeschrägter Eisenbahnromantik. Launiges, detailverliebtes Außenseiterkino. Best Bit: Bill Murrays Hatz zum Bahnhof, der Endspurt in Slow Motion – aber der Darjeeling fährt ohne ihn ab. Tja, Bill: Zug verpasst, Film verpasst.
»Obsluhoval jsem anglického krále« (»Ich habe den englischen König bedient«, Jirí Menzel) Der tschechische Forrest Gump. Die Geschichte eines Volkes, erzählt durch das Schicksal eines Simpels, der halbwegs gewitzt durch sein Leben stolpert. Meist heiter, oft frivol, dann und wann aber auch weise und nachdenklich, löst der Film seine großen Ambitionen durchaus ein. Best Bit: Dítě läuft mit einem Butterbrot hinter einem Viehwaggon her, um es einem Juden zu reichen, dem er vor Jahren das Wechselgeld auf dieselbe Weise unterschlagen hat.
»Once« (John Carney) Zwischenmenschliches fand schon immer hervorragend Ausdruck in Songs, und so ist es in diesem kleinen großen Feelgood-Movie auch die Musik, in der ein Ire und eine Tschechin eine gemeinsame Sprache finden. Eine ›guy meets girl‹-Story von angenehmer Einfachheit; der Soundtrack geht direkt ins Blut. Best Bit: Die überraschende Lieferung am Ende: ein Klavier, ein Klavier!
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»The Happening« (M. Night Shyamalan) Was war da los? Sieht so ein Film aus, der die darbende Karriere eines einst gefeierten Regisseurs wiederbeleben soll? Der Anfang geht ja noch, aber dann türmen sich Szenen, eine lachhafter als die andere. Die Ökobotschaft versickert, das Schauspiel ist neben der Spur, die Spannung krepiert im Ansatz. Ein schlampiger, uninspirierter Film, dem es nicht mal gelingt, so schlecht zu sein, dass er schon wieder gut wäre. Mensch, Shyamalan! Worst Bit: Mark Wahlberg spricht mit einer Plastikpflanze. Einmalig.
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»The Day The Earth Stood Still« (Scott Derrickson) Ein Klassiker als Blockbuster aufgemotzt? Der Cineast winkt ab: Das ist Frevel. Wo im Original Intelligenz und Leidenschaft entzückt, tut sich im Remake eine große Leere auf, die es mit CGI-Schauwerten zu übertünchen versucht. Ohne Erfolg. Die hehre Message kommt mit dem Holzhammer daher, und eine Tonne Klischees (das Militärgeprotze, das Knuddelkind) helfen weißgott wem. Worst Bit: Klaatus Landeplatz? Manhattan, Central Park. Gähn.
»Youth Without Youth« (Francis Ford Coppola) Eine gewisse Leidenschaft spürt man schon in Coppolas Neuem, aber sie verliert sich in konfusem, esoterischem Geschwurbel und lässt den Zuschauer außen vor. Ein Egotrip oder eine Fingerübung, bleibt der Film nur mehr ein Kuriosum für Coppola-Exegeten. Worst Bit: Lara fängt an, im Halbschlaf babylonisch zu reden (oder sumerisch? klingonisch?), wirft sich umher, keift und kreischt. The horror, the horror.
Umblätterers ausführliche Kritik …
»Love in the Time of Cholera« (Mike Newell) Alle, die sich die Lektüre von Gabriel García Márquez‘ Roman sparen wollten, müssen doch ran: Die Verfilmung taugt nicht viel. Lustlos erzählt, ohne Zwischentöne und Substanz, verfehlt diese überlange Quälerei das Klassenziel. Ein Lichtblick bleibt Bardem, doch das restliche Personal lässt ihn schauspielerisch im Stich. Worst Bit: Die furchtbaren Altersmasken. Brrr.
»10,000 BC« (Roland Emmerich) Man muss ja nicht auf historische Akkuratesse pochen, aber hier lacht nicht nur der Paläontologe. Ein episches prähistorisches Abenteuer hätte es werden können, mit grandiosen Schauwerten und urwüchsiger Action. Wurde es aber nicht. Eine einzige Verschwendung von Bildern, wartet dieser Koloss mit einem Plot auf, für den Disney sich schämen würde. Worst Bit: Es wäre doch cool, wenn Mammuts um 10.000 v. Chr. beim Bau der ägyptischen Pyramiden helfen würden? Nein, Roland, wäre es nicht.
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[ veröffentlicht am 4. 2. 2009 ]
(Filmstreifen im Logo © Fabian Kerbusch/DIGITAL-CONNECTOR)