Archiv des Themenkreises ›Filmakademie‹


»Once Upon a Time in Hollywood«

Hamburg, 18. August 2019, 14:37 | von San Andreas

… war diese Woche gleich zur Premiere … (Achtung, Spoilers. →)

… und fand den schon gut, all in all. Aber als Tarantino-Skeptiker freue ich mich, dass ich einer bleiben kann. Zwei Stunden Reenactment diverser Serien und Westernfilme (schön gemacht, granted) ist ein bissel dünn, Hommage hin oder her. 10 Sekunden Manson eingestreut, zu wenig, die Dynamik der Sekte hätte einen wunderbaren creepy Film abgegeben, stattdessen kriegen wir eine weitere Viertelstunde fiktives Saloongeschwafel. Und dann noch eine. Die Szene auf der Ranch mit Pitt und den Hippies indes sehr gut.

Viele loben Pitt, aber ich sah immer nur Pitt, DiCaprios Vorstellung hingegen ziemlich grandios, das leichte Stottern und seine Realisierung, ein has-been zu sein, fantastisch. Dagegen Pitt ein never-was, no Entwicklung there. Sharon Tate kriegt keine echte Dialogszene, auch schade.

Die Gewaltorgie am Ende passt nicht zum Rest, aber im Saal war sofort Stimmung: Endlich passiert mal was. Das war aber nicht die carefully aufgebaute Spannung, die sich entlädt (cos it wasn’t, so it couldn’t), sondern die Freude darüber, endlich die erwarteten eingedrückten Schädel zu sehen. Tarantinos poetic-licence-Kniff ist freilich genial, ähnlich wie in »Basterds«, nur besser.

Aber my biggest gripe ist der Erzähler, der nach zwei Stunden auf einmal auftritt und uns erzählt, was wir auf dem Screen sehen (Ach, die gehen ins Restaurant? Seh ich selbst, but thanks.) bzw. Dinge zusammenfasst, die Mr. T plötzlich keine Lust hat, filmisch zu erzählen. Da sage ich nur WTF. Selbiges war in »Hateful Eight« der Fall: Ach so, was ich vergessen hatte: Die Tussi hat eben den Kaffee vergiftet, hihi, sorry.

Anyhow, that said, »Hollywood« zu sehen hab ich auf keinen Fall bereut. Aber wenn ich die 10/10-Reviews von den Fanboys auf IMDb lese, denke ich nur ›Ach Du je, wie schrecklich: Diese Leute haben nie einen sehr sehr guten Film gesehen.‹ … 4/5
 


Ganz viele Filme:
Das Kinojahr 2014

Hamburg, 20. Februar 2015, 23:47 | von San Andreas

Kinojahr 2014 Einklinker Zwar zum letzten Mal, aber wie immer noch kurz vor Oscar kommt hier Umblätterers Rundumschlag des vergangenen Kinojahres (vgl. 2013, 2012, 2011, 2010, 2009, 2008, 2007). 566 Produktionen sind 2014 auf deutschen Leinwänden gestartet, es galt wie immer, genau die richtigen auszuwählen. Unsere Auswahl umfasst in loser Reihenfolge die (25) Filme, über die am meisten geredet wurde, und solche, über die ruhig etwas mehr geredet werden hätte sollen. Können. Müssen. Dazu noch die übliche Handvoll Blindgänger. Und unten folgt traditionell ein Block mit lobenden Erwähnungen und unglaublichen Ein-Satz-Kritiken.

Zur ausführlichen Fassung geht es hier bzw. direkt über die einzelnen Titel:

»12 Years a Slave« (Steve McQueen)
»Philomena« (Stephen Frears)
»The Lego Movie« (Phil Lord, Christopher Miller)
»Gone Girl« (David Fincher)
»Exodus: Gods and Kings« (Ridley Scott)
»All is Lost« (J. C. Chandor)
»Grand Budapest Hotel« (Wes Anderson)
»Interstellar« (Christopher Nolan)
»Ida« (Pawel Pawlikowski)
»Boyhood« (Richard Linklater)
»Noah« (Darren Aronofsky)
»The Theory of Everything« (James Marsh)
»The Wolf of Wall Street« (Martin Scorsese)
»Pride« (Matthew Warchus)
»Guardians of the Galaxy« (James Gunn)
»Deux jours, une nuit« (Jean-Pierre & Luc Dardenne)
»Her« (Spike Jonze)
»The Hobbit: The Battle of the Five Armies« (Peter Jackson)
»Calvary« (John Michael McDonagh)
»Dallas Buyers Club« (Jean-Marc Vallée)
»Snowpiercer« (Joon-ho Bong)
»The Secret Life of Walter Mitty« (Ben Stiller)
»Enemy« (Denis Villeneuve)
»Fruitvale Station« (Ryan Coogler)
»Edge of Tomorrow« (Doug Liman)

Bildgänger’s Delight

»The Giver« (Phillip Noyce)
»Before I Go to Sleep« (Rowan Joffe)
»Transcendence« (Wally Pfister)
»The Monuments Men« (George Clooney)
»Diana« (Oliver Hirschbiegel)

*

Und hier jetzt noch wie verkündet der Block mit wohlwollenden Erwähnungen:

»Magic in the Moonlight« (Woody Allen) – Allen light, angenehm altbacken, amüsant genug. »The Zero Theorem« (Terry Gilliam) – Gilliamesk wie lange nicht, aber auch nicht wirklich gut. »Nebraska« (Alexander Payne) – Unver­passbares ›Alterswerk‹ von Menschenversteher Payne. »X-Men: Days of Future Past« (Bryan Singer) – Kreativ-cleveres Mutanten-Gipfeltreffen. »Dawn of the Planet of the Apes« (Matt Reeves) – Klug konstruierte Fortsetzung des Reboots. »American Hustle« (David O. Russell) – Spitzenklasse-Schauspieler­kino. »Lone Survivor« (Peter Berg) – Patriotische, aber packende Taliban-Kloppe. »The Judge« (David Dobkin) – Gerichtsfilm und Familienmelodram in einem: überfrachtet, aber gut gespielt. »Godzilla« (Gareth Edwards) – Brauchte eigentlich keiner, dieses Monster-Massaker, aber Edwards macht was draus. »August: Osage County« (John Wells) – Eine schrecklich schreckliche Familie. »Lucy« (Luc Besson) – Völlig durchgeknallte SciFi-Action: so hanebüchen, dass es schon wieder Spaß macht. »Stories We Tell« (Sarah Polley) – Faszinierende Meditation über die Familie: ihre Geschichten, ihre Erinnerungen – und die Wahrheit. »The Drop« (Michaël R. Roskam) – Beängstigend gutes Crime-Drama nach Dennis Lehane: Gandolfinis Abschied, Tom Hardys Bravourstück. »The Two Faces of January« (Hossein Amini) – Klassischer, unter der Sonne Griechenlands schwelender Highsmith-Suspense. »Captain America: The Winter Soldier« (Joe & Anthony Russo) – Nicht ganz dumme Materialschlacht. »Mr. Turner« (Mike Leigh) – Meisterhaftes Künstler­porträt: eher detailversessene Collage als traditionelles Biopic. »Qu’est-ce qu’on a fait au Bon Dieu?« (Philippe de Chauveron) – Vergnüglicher Multikulti-Reigen (what?). »Blue Ruin« (Jeremy Saulnier) – Grimmige, Haken schlagende Rachegeschichte mit Coen-Touch.

Soviel also zum Kino 2014,
San Andreas
 


Mar del Plata

Buenos Aires, 2. Dezember 2014, 03:53 | von Paco

Irgendwann letzte Woche kamen wir aus dem Ambassador und hatten da grad Bruno Dumonts »P’tit Quinquin« gesehen. Der Film kam im September schon als 4-teilige Serie auf Arte, und nun wurde die Serie also als 3:20h-Film auf eine südamerikanische Leinwand projiziert.

Viele Leute hatten eigentlich Bruno Dumont nach seinen letzten, in mehrfacher Hinsicht abgedrehten Filmen noch eine letzte Chance geben wollen. Und um die Wirkung des kleinen Quinquin auf die vielleicht 200 Zuschauer zu beschreiben, könnte eine neue Floskel dienen, die ich hiermit in die Kinorezeptionsberichterstattung einführen möchte: »Für viele Leute war es der beste Film, den sie seit langem gesehen haben.«

Wir gingen dann wie fast jeden Tag runter in den Club de Pesca, es gab wahrscheinlich einen Abadejo zu gelbem Weißwein, dazu den gesamten Atlantik als Kulisse. Und natürlich Brot mit Butter und grobem Salz à la Thielemann. Später gingen wir dann wieder langsam hoch, zum Teatro Auditorium, und dort sah ich dann, wie ein verdienter Jubilado vor der Logowand des Filmfestivals gerade ein Foto seiner Reisebegleiterin schoss, und das musste ich natürlich festhalten, so schön:

29. Festival del Cine, Mar del Plata, Argentinien

Die beiden so entstandenen Bilder sind nun wahrscheinlich das, was Schiller mit naiver und sentimentalischer Fotografierung gemeint hat. Und wir sahen dann noch Alice Rohrwachers wunderbaren Honigfilm »Le Meraviglie«, und eine Alexei-German-Retrospektive gab es außerdem und auch eine zu Claire Denis und noch ein paar andere Sachen, und eines Abends schoss River Plate mit einem Tor von Pisculichi die Boca Juniors ab, und danach fand so ein Asado statt und ein paar Schnecken kamen rasant in die Weingläser gekrochen und irgendwer erwähnte Buñuel und ein paar Brasilianer und Italienerinnen waren auch da.
 


Ganz viele Filme:
Das Kinojahr 2013

Hamburg, 1. März 2014, 18:25 | von San Andreas

Kinojahr 2013 Einklinker Kurz vor Oscar noch schnell die traditionelle Mainstreamkinofilmjahresrückschau des Umblätterers (vgl. 2012, 2011, 2010, 2009, 2008, 2007), wie üblich im zu Unrecht berüchtigten Fernsehzeitungskurztippstil. Der Rückblick handelt von den annehmbarsten oder wenigstens meistbesprochensten Filmen, die letztes Jahr ihren Weg auf die Leinwände Kinodeutschlands gefunden haben. Diesmal eine ungeordnete, ich wiederhole: ungeordnete, Liste von 22 Lobpreisungen, ohne Sternchen und Zeug, plus die übliche Handvoll Blindgänger und noch weitere 22 Kurzerwähnungen. Zu den ausführlichen Texten geht es hier bzw. direkt über die einzelnen Titel:

»Gravity« (Alfonso Cuarón)
»De rouille et d’os« (Jacques Audiard)
»Inside Llewin Davis« (Ethan Coen, Joel Coen)
»The Master« (Paul Thomas Anderson)
»The Place Beyond the Pines« (Derek Cianfrance)
»Stoker« (Chan-wook Park)
»Lincoln« (Steven Spielberg)
»Jagten« (Thomas Vinterberg)
»Frances Ha« (Noah Baumbach)
»The Lone Ranger« (Gore Verbinski)
»A Late Quartet« (Yaron Zilberman)
»Prisoners« (Denis Villeneuve)
»Captain Phillips« (Paul Greengrass)
»Kapringen« (»A Hijacking«, Tobias Lindholm)
»Blue Jasmine« (Woody Allen)
»Django Unchained« (Quentin Tarantino)
»Rush« (Ron Howard)
»La migliore offerta« (Giuseppe Tornatore)
»Flight« (Robert Zemeckis)
»Elysium« (Neill Blomkamp)
»La vie d’Adèle – Chapitres 1 et 2« (Abdellatif Kechiche)
»Enough Said« (Nicole Holofcener)

Blindgänger:

»Gangster Squad« (Ruben Fleischer)
»To the Wonder« (Terrence Malick)
»Hangover 3« (Todd Phillips)
»Kick-Ass 2« (Jeff Wadlow)
»Olympus Has Fallen« (Antoine Fuqua)

*

Und hinterdrein noch wie angekündigt der Block mit wohlwollenden Erwähnungen, nämlich Ein-Satz-Kritiken im Stil des großen und unvergessenen BamS-Literaturkritikers Alex Dengler:

»I Give It a Year« (Dan Mazer) – Eine Rom-Com ohne Rom, dafür mit mehr Com. »Side Effects« (Steven Soderbergh) – Ein Pharma-Thriller, clever! »Iron Man 3« (Shane Black) – Schon wegen Kingsley. »Man of Steel« (Zack Snyder) – Superman-Reboot, wuchtig, Nolan hat die Finger drin. »World War Z« (Marc Forster) – Zombies, schon wieder? Ja! »The East« (Zal Batmanglij) – Öko-Thriller um die Frage: Aktivist oder Terrorist? »La grande bellezza« (Paolo Sorrentino) – Fellini lässt grüßen. »The Conju­ring« (James Wan) – Grusel, gut gemacht. »The Bling Ring« (Sofia Coppola) – Wieder ein klasse Coppola. »Room 237« (Rodney Ascher) – Was Verschwörungstheoretiker in »The Shining« alles so entdecken. »Albert Nobbs« (Rodrigo García) – Glenn Close ist ein guter Mann. »Behind the Candelabra« (Steven Soderbergh) – Damon und Douglas am Turteln. »Blackfish« (Gabriela Cowperthwaite) – Was man über Orca-Shows nie wissen wollte, aber sollte. »Chasing Ice« (Jeff Orlowski) – Klimawandel im Zeitraffer, Achtung: nichts für Klimaskeptiker. »Don Jon« (Joseph Gordon-Levitt) – Regiedebüt von Gordon-Levitt, und endlich hat mal die Browser History einen reifen Filmauftritt. »Carrie« (Kimberly Peirce) – Überflüssig, aber trotzdem so gut wie das Original. »The Hobbit: The Desolation of Smaug« (Peter Jackson) – Besser als der erste Teil. Außerdem noch: »Silver Linings Playbook« (David O. Russell). »The Impossible« (Juan Antonio Bayona). »Zero Dark Thirty« (Kathryn Bigelow). »The Sweeney« (Nick Love). »Sightseers« (Ben Wheatley).

Soviel zum Kino 2013, bis Nächstjahr,
San Andreas
 


Ganz viele Filme:
Das Kinojahr 2012

Hamburg, 21. März 2013, 01:52 | von San Andreas

Kinojahr 2012 Einklinker Also, viel länger als Oscar wollte sich der Umblätterer auch nicht Zeit lassen für die traditionelle Kinojahres­rückschau (vgl. 2011, 2010, 2009, 2008, 2007). Hier also wieder eine Revue der passabelsten und am-meisten-drüber-geredetsten Filme, die letztes Jahr bei uns in die Kinos gekommen sind. Diesmal ohne Ranking als bunte, ungeordnete Liste ohne Sternchen und Zeug plus einer Handvoll Blindgänger hinterdrein. Zu den ausführlichen Texten geht es hier bzw. direkt über die einzelnen Titel:

»Take Shelter« (Jeff Nichols)
»Argo« (Ben Affleck)
»Amour« (Michael Haneke)
»The Descendants« (Alexander Payne)
»Life of Pi« (Ang Lee)
»The Artist« (Michel Hazanavicius)
»Drive« (Nicolas Winding Refn)
»Prometheus« (Ridley Scott)
»Monsieur Lazhar« (Philippe Falardeau)
»Extremely Loud and Incredibly Close« (Stephen Daldry)
»Skyfall« (Sam Mendes)
»Looper« (Rian Johnson)
»Intouchables« (Olivier Nakache, Éric Toledano)
»Tinker Tailor Soldier Spy« (Thomas Alfredson)
»Hugo« (Martin Scorsese)
»Bir Zamanlar Anadolu’da« (Nuri Bilge Ceylan)
»War Horse« (Steven Spielberg)
»Moonrise Kingdom« (Wes Anderson)
»The Dark Knight Rises« (Christopher Nolan)
»Beasts of the Southern Wild« (Benh Zeitlin)
»Cloud Atlas« (Tom Tykwer, Andy & Lana Wachowski)
»Moneyball« (Bennett Miller)
»The Hobbit: An Unexpected Journey« (Peter Jackson)
»Le gamin au vélo« (Jean-Pierre & Luc Dardenne)
»Chronicle« (Josh Trank)

Blindgänger:

»To Rome with Love« (Woody Allen)
»Battleship« (Peter Berg)
»Twixt« (Francis Ford Coppola)
»J. Edgar« (Clint Eastwood)
»Dark Shadows« (Tim Burton)

*

Ach so, noch ein paar lobende Erwähnungen:

»Young Adult« (Jason Reitman) – Charlize Theron als Nicht-Erwachsen-Werden-Wollende. »The Iron Lady« (Phyllida Lloyd) – nur kuckbar wegen Frau Streep. »John Carter« (Andrew Stanton) – macht mehr Spaß als die Kritik erlaubt. »The Girl with the Dragon Tattoo« (David Fincher) – so gut wie das Original, mindestens. »The Pirates! Band of Misfits« (Peter Lord) – völlig irres Knetspektakel. »Martha Marcy May Marlene« (T. Sean Durkin) – verstörendes Psychodrama über Sekten und Identitätsverlust. »The Hunger Games« (Gary Ross) – besser als das Buch, so they say. »Holy Motors« (Leos Carax) – kryptisches Kunstkino, aber nicht uninteressant. »The Avengers« (Joss Whedon) – kolossales Superhelden-Gipfeltreffen. »50/50« (Jonathan Levine) – sehr gute Krebsdramödie. »We Bought a Zoo« (Cameron Crowe) – netter, wirklich netter Familienfilm. »We need to talk about Kevin« (Lynne Ramsay) – schlechte Erziehung oder von Geburt an böse – außergewöhnliches Drama mit einer großen Swinton. »Premium Rush« (David Koepp) – kurzweiliger Kinetik-Knaller im Messenger-Milieu. »The Angels’ Share« (Ken Loach) – Verschnitt aus Sozialdrama und Gaunerkomödie, warm im Abgang. »Seven Psychopaths« (Martin McDonagh) – genau wie »In Bruges«, nur anders. »Shame« (Steve McQueen) – intensive Charakterstudie um Sucht und Schande.

Soviel zum Kino 2012, bis nächstes Jahr,
San Andreas
 


Ganz viele Filme:
Das Kinojahr 2011

Hamburg, 31. Januar 2012, 01:55 | von San Andreas

Kinojahr 2011 Einklinker 494 Filme sind in Deutschland im letzten Jahr gestartet. Alle konnte man nicht sehen, alle musste man nicht sehen. Hier unser alljährliches Kompendium mit den allerbesten und den allerenttäuschendsten Werken, so wie in den Vorjahren (2010, 2009, 2008, 2007).

Eine kleine, gefühlte Spitzengruppe hat sich abgesetzt, in ihr die Produktionen aus Hollywood und England, die künstlerischen mit kommerziellem Erfolg verbinden konnten (zusammen 994 Mio. $), aber auch Beiträge aus Dänemark, Spanien und Kanada, die im Vergleich viel größere thematische Bögen schlugen – nach Afrika, nach Bolivien, in den Libanon – und so mehr Resonanz mit der Welt da draußen aufbauten. Der Erfolg dieser durchaus wichtiger und wertvoller er­scheinenden Filme hielt sich freilich in Grenzen (zusammen 19 Mio. $).

Der Rest der Liste versammelt zweieinhalb Dutzend gute und/oder bedeutende Werke, plus eine Handvoll derjenigen Filme, die leider nicht so toll ausfielen wie gedacht. Zur ausführlichen Fassung geht es hier bzw. direkt über die einzelnen Titel:

5 Sterne
»También la lluvia« (Icíar Bollaín)
»True Grit« (Ethan & Joel Coen)
»Incendies« (Denis Villeneuve)
»Black Swan« (Darren Aronofsky)
»Jodaeiye Nader az Simin« (Asghar Farhadi)
»The King’s Speech« (Tom Hooper)
»Hævnen« (Susanne Bier)

4 Sterne
»Melancholia« (Lars von Trier)
»Super 8« (J. J. Abrams)
»Carnage« (Roman Polanski)
»Tyrannosaur« (Paddy Considine)
»The Ides of March« (George Clooney)
»The Guard« (John Michael McDonagh)
»Halt auf freier Strecke« (Andreas Dresen)
»Rise of the Planet of the Apes« (Rupert Wyatt)
»Cave of Forgotten Dreams« (Werner Herzog)
»Another Year« (Mike Leigh)
»This Must Be the Place« (Paolo Sorrentino)
»Mission: Impossible – Ghost Protocol« (Brad Bird)
»Winter’s Bone« (Debra Granik)
»La piel que habito« (Pedro Almodóvar)
»The Tree of Life« (Terrence Malick)
»127 Hours« (Danny Boyle)
»The Adventures of Tintin« (Steven Spielberg)
»Pina« (Wim Wenders)
»Biutiful« (Alejandro González Iñárritu)
»Let Me In« (Matt Reeves)
»Margin Call« (J. C. Chandor)
»Rango« (Gore Verbinski)
»Contagion« (Steven Soderbergh)
»The Fighter« (David O. Russell)
»Attack the Block« (Joe Cornish)
»Four Lions« (Christopher Morris)
»Inside Job« (Charles Ferguson)
»Blue Valentine« (Derek Cianfrance)
»Midnight in Paris« (Woody Allen)
»The Thing« (Matthijs van Heijningen Jr.)

1 Stern
»Sanctum« (Alister Grierson)
»Kokowääh« (Til Schweiger)
»Cowboys & Aliens« (Jon Favreau)
»Sucker Punch« (Zack Snyder)
»Battle Los Angeles« (Jonathan Liebesman)

*

Und wie immer ist Vollständigkeit kein realistisches Kriterium für die Liste. Um einen Teil der wütenden Proteste im Vorhinein abzufangen, folgt hier noch eine kleine Sammlung von Filmen, die auf jeden Fall auch kuckbar waren, es aber aus irgendeinem Grund nicht auf die Liste geschafft haben:

»Beginners« (Mike Mills) – Coming-Out mit 75, warum nicht. »Crazy, Stupid, Love.« (Glenn Ficarra, John Requa) – die Konsenskomödie des Jahres. »Hanna« (Joe Wright) – stylischer Rachethriller mit Powermädel. »Trolljegeren« (André Øvredal) – eine norwegische Monster-Mockumen­tary, wer hätte das gedacht. »Never Let Me Go« (Mark Romanek) – traurige, anmutige Dystopie über Sterblichkeit und Repression. »Tucker and Dale vs Evil« (Eli Craig) – selten ein lustigeres Blutbad gesehen. »Win Win« (Tom McCarthy) – einnehmende, amüsante Indie-Perle. »Kokuhaku« (Tetsuya Nakashima) – ausgekochtes Psychospielchen mit viel Zeitlupe. »Senna« (Asif Kapadia) – die definitive Doku über die F1-Legende. »Harry Potter and the Deathly Hallows: Part 2« (David Yates) – ein würdiger, fulminanter Abschluss der Zauberburschen-Saga. »Somos lo que hay« (Jorge Michel Grau) – Kannibalen haben’s auch nicht leicht. »Howl« (Rob Epstein, Jeffrey Friedman) – Ode an ein Gedicht: mal was anderes.

Und ach so, der Film »Let Me In« war bereits auf der 2010er Liste erschienen, kein Mensch weiß warum. Er startete in Deutschland erst Mitte Dezember 2011, über ein Jahr nach seiner Weltpremiere im September 2010, auch ein Skandal eigentlich. Der Text ist noch mal derselbe wie letztes Jahr.

Soweit jetzt also das Kinojahr 2011. Bis nächstes Jahr,
San Andreas
 


SPON, Helmut Kohl, Bundespresseball

Konstanz, 10. August 2011, 06:43 | von Marcuccio

Drei schöne Szenen aus Herlinde Koelbs Doku »Die Meute«, die dem deutschen Fernsehen vor genau zehn Jahren, am 10. August 2001, eine Sternstunde bescherte und längst zum Klassiker geworden ist – vgl. die Quotes in der Publizistikwissenschaft. Aber ich empfehle natürlich den ganzen Film (z. B. bei YouTube, dort in sechs Teilen).

1. Markus Deggerich!

»Deutschlands erster parlamentarischer Berichterstatter, der ausschließlich ins Internet berichtet« (Koelbl). 2001 unter lauter Print- und Rundfunkhasen noch eine echte Sensation. Mir gefällt, wie er sein Exotendasein mit diesem Laptop-Deckel behauptet, auf dem ein geradezu obszön großer (und deswegen auch hässlicher) Aufkleber von »Spiegel Online« prangt.

2. Buchpräsentation: »Mein Tagebuch« von Helmut Kohl

Sie klettern auf Stühle. Sie drängeln, sie schubsen. Die Fotografen wollen Helmut Kohl mit Buch. Der kapiert gar nicht, wie mediale Bilderlogik funktioniert – oder hat vielleicht auch einfach keine Lust:

–Aber Sie haben doch schon Bilder vom Buch.
–Ja, aber doch nicht mit Ihnen. Können Sie’s mal in die Hand heben?

3. Bundespresseball 2000

Herlinde Koelbl fragt den Silberfuchs Carl Weiss (* 1925):

Koelbl: Warum sind Sie Journalist geworden?
Weiss: Ich wollte immer Journalist werden. Ich glaube, ich war gut im Aufsatz, als ganz kleiner Junge schon. Das war natürlich im Dritten Reich. Ich hab mir gar nicht klar gemacht, wie das eigentlich sein würde, dann wäre es wohl auf Feuilleton hinausgelaufen. Ich wollte immer Journalist werden, das ist mein Beruf.
Koelbl: Was hat Sie so fasziniert?
Weiss: Die Oberflächlichkeit, fürchte ich.
Koelbl: Die Oberflächlichkeit der Welt?
Weiss: Die Oberflächlichkeit dieses Berufes, bei dem man nicht gezwungen ist, allzusehr in die Tiefe zu gehen, und es reicht trotzdem. Ein Diplomingenieur, Brückenbauer, Lungenfacharzt, der kann sich doch all so Dinge nicht leisten. So wie wir im Ungefähren zu bleiben und trotzdem akzeptiert zu werden.

Usw. usw.

Zum Nachlesen:
Herlinde Koelbl: Die Meute. Macht und Ohmacht der Medien. München: Knesebeck Verlag 2001. (DNB)

Zeitgenössische Rezensionen bei SPON (Christian Bartels) und in der FAZ.
 


Sonne und Kino — Ein Wochenende in 3D

London, 9. Mai 2011, 18:07 | von Dique

Ich gehe am liebsten am frühen Nachmittag ins Kino, da ist es immer so schön ruhig. Wenn der Film dann vorbei ist, bin ich stets angenehm erfreut, dass ich noch den ganzen Abend vor mir und scheinbar schon so viel erlebt habe.

Werner Herzog: »Cave of Forgotten Dreams«

Am Samstag sind wir zur Nachmittagsvorstellung ins Gate Cinema in Notting Hill gegangen, um uns »Cave of Forgotten Dreams« anzusehen, den neuen Hit von Werner Herzog. Es wird ein dreifacher Abstieg an diesem sonnigen Tag, in die Dunkelheit des Kinos, in die Tiefe der Höhle und in die plastische 3D-Welt. Als vierte Dimension sollte ich vielleicht noch die eigenartig einzigartige Welt erwähnen, die das sonore Englisch erzeugt, in dem Werner Herzog seine Filme kommentiert.

An der Kasse fragt man uns, ob wir unsere eigenen 3D-Brillen dabeihaben oder für zusätzliche 70 pence welche kaufen werden. Die Frage kommt mit einer Selbstverständlichkeit daher, dass ich mich beinahe schäme, jetzt hier eine der 3D-Brillen erwerben zu müssen, statt gleich mein eigenes cooles Teil aus der Tasche ziehen zu können. Wegen des billigen Preises halte ich den Obolus zuerst für eine Miete, aber die Brillen gehen tatsächlich in unseren Besitz über. Beim nächsten Mal werde ich also lässig nicken können, wenn jemand mein 3D-Brillen-Besitztum abfragt.

Im Film selbst gibt es dann neben der irren Landschaft im Tal der Ardèche die über 30.000 Jahre alten Kunstwerke zu sehen. Sie haben die vergangenen Jahrtausende in der zugeschütteten Chauvet-Höhle überlebt und sind erst vor ein paar Jahren wieder entdeckt worden, und Besucher haben normalerweise keinen Zutritt. Als ich die ersten Bilder an den Wänden erblicke, klar und scharf und in 3D, denke ich sofort an einen Fake, einen Hoax, einen Scherz, denn Qualität und Zustand der uralten Malereien sind atemberaubend.

Im Film wird deshalb auch gleich erklärt, dass die Echtheit in wissenschaftlich redlicher Weise eindeutig nachgewiesen worden ist, dank der Mineralschichten, die über den Zeichnungen gewachsen sind. An einer Wand hat einer der Künstler seine Handabdrücke hinterlassen, die müssten jetzt nur noch mit der Fingerprint-Datei des FBI abgeglichen werden, um vollkommene Sicherheit zu erlangen.

Ansonsten sieht man meist Pferde, Höhlenbären und Bisons, manche haben ganz futuristisch acht Beine, um Bewegung zu suggerieren, ganz so wie das später auch Giacomo Balla mit seinem vielbeinigen Hund versucht hat. Neben der Kunst an den Wänden gibt es in den Höhlengängen weiteres perfektes 3D-Material. Zugestaubte Totenschädel von Höhlenbären liegen auf dem Boden herum, und Tropfsteine bilden bezaubernde Formationen. Dazu dudelt die im positiven Sinne einlullende Stimme von Werner Herzog.

Nach dem Film begeben wir uns aus der Quasihöhle in Notting Hill wieder an die Sonne. Es ist noch nicht zu spät für einen Kurzbesuch im wie üblich vollkommen unaufgeräumten »Lisboa« in der Goldborne Road. Trotz intensiven Sonnenscheins lastet noch die Höhlenerfahrung auf meiner Seele, und gedankenversunken suche ich in den Zuckerformationen meines frischen Palmiers nach den Skelettresten von Höhlenbären.

Wim Wenders: »Pina«

Begeistert vom 3D-Erlebnis am Samstag und angefixt von der Kinowerbung müssen wir am Sonntag gleich in den nächsten 3D-Film gehen. Auch dieser stammt von einem »alten deutschen Regiehelden«, wie San Andreas später in einer E-Mail an mich schreiben wird, aber um ehrlich zu sein hat mir außer dem »Untergang« kein Film von Wim Wenders jemals gefallen, hehe.

Auch die Worte Pina Bausch und Tanz erzeugen bei mir eigentlich ignorantes Schulterzucken und die Erinnerung an einen bestimmten Typ Frau. Der Kinotrailer für »Pina«, der tags zuvor vor dem Werner-Herzog-Film gelaufen ist, hat mich allerdings sofort überzeugt. Dieses Mal gehen wir ins Curzon Chelsea und haben unsere neuen 3D-Brillen dabei, die eigentlich sogar ziemlich schick aussehen, wie Wayfarers, aber eben aus sehr billigem schwarzen Plastik gemacht sind. Zuerst hatten wir sie vergessen, ich bin extra noch mal nach Hause gerannt, sie zu holen.

Nun kaufe ich die Eintrittskarten, und gleich werde ich sagen können, dass ich natürlich meine eigene Brille dabei habe. Allerdings wird die entsprechende Frage gar nicht gestellt, und ich muss erfahren, dass wir im Kino ein spezielles Modell bekommen werden. Man habe eine eigene Technologie, jeder Zuschauer bekomme dafür eine Leihbrille, denn die 70-pence-Teile funktionieren hier wohl nicht.

Die Curzon-Brillen sind schwer und klobig und sehen aus wie Schweißerbrillen. Sie lohnen sich von der ersten Minute an. Zunächst werden reichlich Ausschnitte aus einer »Sacre du Printemps«-Choreografie von Pina Bausch gezeigt. Eine Bühne wird mit Erde vollgeschüttet, man sieht das im Zeitraffer, durch den 3D-Effekt spürt man das Gewicht der Erde und ist gleich ganz tief drin, und dann beginnen Musik und Tanz, erst langsam, aber bald schon tobt auf dem frisch bestellten Acker das organisierte Chaos.

Ich habe ungeheure Lust, jetzt einfach dieses eine Stück komplett sehen zu wollen, aber irgendwann wird dann zum nächsten Stück gejumpcuttet, dann zur nächsten Choreografie usw. Dazwischen O-Töne der Tänzer des Ensembles über Pina. Der ganze Film ist ein ziemlicher Rausch, wie tags zuvor der Höhlenbesuch mit Werner Herzog.

Als der Film zu Ende ist und wir das Kino verlassen, scheint noch immer die Sonne. Wir sind noch benommen von der Vorstellung, und es wird geschwiegen. Da unsere 70-pence-3D-Brillen abgedunkelt sind, benutzen wir sie nun einfach als Sonnenbrillen und schlendern die Kings Road hinunter, und ich freue mich, dass wir noch den ganzen Abend vor uns, aber schon so viel erlebt haben.
 


Nach 15 Coen-Filmen: Grafik-Update

Hamburg, 28. März 2011, 07:43 | von San Andreas

Ok, »True Grit« ist verarztet, jetzt noch schnell das Grafik-Update. Das vor einem Jahr hier veröffentlichte Diagramm ist mit Coen-Brothers-Film Nr. 15 ja überholt, wir mussten auch den Maßstab ändern, weil »True Grit« so einen through-the-roof-Erfolg hatte.

Und wie schon gesagt, die Quantifizierung der Coens ist ein ziemlicher Frevel, hehe, aber wer eben eine schöne Übersicht über die nunmehr 15 Filme haben möchte, so könnte sie aussehen (auf die Grafik klicken zum vergrößern, lizenziert unter der CC by-sa 3.0):
 

Alle bisherigen 15 Coen-Filme, grafisch dargestellt (Stand: März 2011)
Die 15 Coen-Filme: Einspielergebnisse (Box Office Mojo),
Userwertungen (IMDb), Tenor der Kritik (Rotten Tomatoes)

 
In der Top 250 der IMDd ist »True Grit« im Moment nicht zu finden, mal abwarten. Die drei dort vertretenen Coen-Filme sind im Vergleich zu letztem Jahr übrigens ein wenig umplatziert worden:

118. Fargo   (+/–0)
121. No Country for Old Men   (–10)
135. The Big Lebowski   (+6)

Und jetzt warten wir mal alle auf den Coen-Film Nr. 16.
 


Coen-Film Nr. 15:
True Grit (2010)

Hamburg, 25. März 2011, 07:12 | von San Andreas

(= Fortsetzung unserer ewigen Coen-Retrospektive.)

True Grit (Icon)

Arkansas, 1878. Die 14-jährige Farmerstochter Mattie Ross will Tom Chaney, den Mörder ihres Vaters, dingfest machen. Dafür heuert sie den schneidigen wie trinkfesten Marshal Cogburn an. Auf ihrem Weg durch das Land der Choctaw begleitet sie Texas Ranger LaBoeuf, der Chaney aus anderen Gründen sucht. Selbiger hat sich mittlerweile der Bande von Lucky Ned Pepper angeschlossen, mit dem Cogburn noch eine Rechnung offen hat.

Coen Country. Arkansas stellt kaum prototypisches Western-Gelände dar, auch wenn hier damals die Frontier verlief. In westlicher Richtung – und dahin führt die Jagd auf Tom Chaney – schließt sich das ›Indian Territory‹ an, das für weiße Siedler verboten war und heute Oklahoma heißt. Das Gebiet bietet kaum Schauwerte, aber auch das ist der sogenannte Wilde Westen, dessen Idiosynkrasien die Coens dankbar in ihr Universum aufnehmen.

Coen Klüngel. Jeff Bridges (Rooster Cogburn), Josh Brolin (Tom Chaney), Carter Burwell (Musik), Roger Deakins (Kamera)

Coen Quote. »Bold talk for a one-eyed fat man!« (Ned Peppers Beitrag zur Rubrik »Berühmte Letzte Worte«)

Coen Gold. Die surreale Begegnung mit dem Zahnarzt im Bärenkostüm. Die Szene gibt es nicht in der Romanvorlage, sie wurde allerdings nicht um ihrer selbst willen im Film platziert: Mattie und Rooster erfahren durch den Bärenmann von der Hütte am Fluss, darüber hinaus repräsentiert er das Fremde und Unberechenbare dieses Terrains, das für Mattie ja Neuland ist. So sind Leichen offenbar ein Handelsgut wie jedes andere auch. Den Gehenkten, den er bei sich führt, hat sich der Mann für »two dental mirrors and a bottle of expectorant« von den Indianern erkaupelt. Nicht zuletzt verschafft die Szene ›comic relief‹, wenn Cogburn, eigentlich den versprengten Texas Ranger erwartend, den reitenden Bären anraunzt: »You are not LaBoeuf!«

Classic Coen? Eigentlich können Joel und Ethan Coen machen, was sie wollen: Ob sie nun einen eigenen Stoff verfilmen oder ein Stück Literatur adaptieren, man darf stets Großes erwarten. Wie schon bei »No Country for Old Men« stellen sie sich in den Dienst der Vorlage, erfühlen ihre Substanz, transportieren sie ohne Auteur-Allüren, mit Präzision und Hingabe und einem tiefen Verständnis dafür, wie ihre Charaktere funktionieren. »True Grit« ist zuallererst eine fantastische Literaturverfilmung, nebenbei ein großer Western und erst in dritter Instanz das, was man einen echten Coen nennt.

Der Film will dezidiert nicht als Remake von Henry Hathaways Version von 1969 gesehen werden (seinerseits ein Klassiker und ein ganz guter Film), sondern als Neuverfilmung des Romans von Charles Portis (die deutsche Ausgabe trug – zur Freude aller Alliterations-Fans – den Titel »Der Marshal und die mutige Mattie«). Aber es ergibt dennoch Sinn, die beiden Werke miteinander zu vergleichen. Schließlich liegen dazwischen vierzig Jahre Kinogeschichte: Wie packen Filmemacher von heute dieselbe Geschichte an, welche Entscheidungen treffen sie wohl in punkto Ästhetik, Narrativik, Besetzung und Mise-en-scène?

Was Letzteres betrifft, könnten die Filme unterschiedlicher nicht sein. Hathaway filmt in den Rockies von Colorado, ergötzt sich an pittoresken, aufgeräumten Breitwandlandschaften, schwenkt genießerisch über felsige Hänge, rauschende Täler, glitzernde Bäche. So hatte ein Western damals auszusehen.

Die Coens begeben sich an Orte, die den Schauplätzen des Buches schon eher entsprechen. Ihr Film treibt sich in den unwirtlicheren Gefilden des damaligen ›Indian Territory‹ herum, trottet durch kahle Winterwälder, über graubraune Prärie, klettert in klammes, schneeverwehtes Karstgelände. Ungemütlich. Der Himmel ist grau, und wenn er nicht grau ist, ist er schwarz, denn es ist Nacht.

Der Coen’sche »True Grit« ist dunkel und düster, seine Bilder wollen keine Postkarten sein, sondern Daguerreotypien, monochrom, historisch und wahrhaftig. Aber auch nicht zu wahrhaftig, wohlgemerkt, nicht dogma-echt, nicht zufällig oder improvisiert. Die Tristesse hat Methode; Kamerazauberer Deakins fabriziert ausgewogene Available-Light-Einstellungen, so authentisch wie atmosphärisch, staffelt Grau- und Braunpaletten in die Dunkelheit hinein, dass Rembrandt seine Freude gehabt hätte.

Diese Art wohlkalkulierter Wahrhaftigkeit erfüllt alle Ecken und Winkel des Films. Man betrachte sich nur einmal die Szenen, die an und in der Hütte spielen, in der Quincy und Moon sich verschanzt haben. Hathaway setzt sie detailreich in Szene, von praller Sonne ausgeleuchtet und Schritt für Schritt, fast theatralisch, mit Dialogen, die die Beteiligten rezitieren, als hätten sie sie gerade frisch auswendig gelernt. John Wayne verzichtet auf keine übertriebende Geste und gibt den Macho-Marshal, einen Fuß lässig auf der Sitzbank abgestellt:

Cogburn: When’s the last time you saw Ned Pepper?
Quincy: I don’t remember any Ned Pepper.
Cogburn: Short feisty fella, nervous and quick, got a messed-up lower lip.
Quincy: That don’t bring nobody to mind. A funny lip?
Cogburn: Wasn’t always like that, I shot him in it.
Quincy: In the lower lip? What was you aiming at?
Cogburn: His upper lip.

Die Coens spielen ein anderes Spiel. Zunächst einmal knipsen sie das Licht aus: Die Belagerungsszene und auch die darauffolgende, in der die Pepper-Gang auftaucht, spielen in der Nacht. Das bedeutet eine geschlagene Viertelstunde Dunkelheit im Film, Licht spendet nur der Mond und eine Petroleumlampe.

Die Eskalation in der Hütte kommt in beiden Filmen schockierend. Hathaway spendiert Moon (dem jungen Dennis Hopper) eine ordentliche Sterbeszene, während die Coens vorher schneiden. Die Ankunft von Peppers Bande zeigen sie vollständig aus der Perspektive von Cogburn und Mattie, die auf einem Felsen auf der Lauer liegen und hilflos mit ansehen müssen, wie der ahnungslose LaBoeuf die Szene betritt und verletzt wird. Im Vergleich zu der allwissenden Drehweise Hathaways, die den Schurken Stimmen und Gesichter gibt, bleiben wir in der Subjektiven, starren mit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit und versuchen auszumachen, was zum Teufel da unten abgeht.

Das ist freilich haarsträubend spannend. Bemerkenswert an dieser Spannung aber ist, dass sie derlei simplen Umständen entspringt: Dunkelheit und Distanz. Umstände, die wiederum mit der Handlung zusammenhängen, nicht mit einer filmischen Konvention oder einem originellen Regie-Einfall. Es ist das Primat der Geschichte, dem die Regie sich gleichsam unterordnet und das diesen Film letztlich so überzeugend macht.

Konsequenterweise fällt das ordnungsgemäße Begräbnis, das Hathaway Quincy und Moon zuteil werden lässt, in der Coen-Version Cogburns nüchterner Pragmatik sowie der winterlichen Witterung zum Opfer: »Ground’s too hard. Them men wanted a decent burial, they should have got themselves killed in summer.«

Ein schroffer Klotz, dieser Cogburn, ein bärbeißiger, trinkfester Teufelskerl, dessen gurgelndes Gepolter sich erst bei genauem Hinhören als Approximation von Sprache entpuppt. Aber was er da auch absondert! Die Wortwahl und Mundart sämtlicher Grit-Figuren erscheinen heutigen Ohren gänzlich ungewohnt und antiquiert, ja im rauen Land der Choctaw Nation regelrecht deplaziert (»Gentlemen, you can not fall out in this fashion!«). Aber für die Frontier People war damals die Bibel die Fibel, und so können Joel und Ethan ihr Steckenpferd – authentische Dialekte – ordentlich auf Trab bringen. Angefangen mit dem fast schon traditionellen Eingangsmonolog bevölkern schwere Südstaatenakzente die Tonspur, archaische Phrasen ohne die Verkürzungen und Verschleifungen des modernen amerikanischen Duktus.

Der Richter und der Stallbesitzer hören sich jedoch anders an; als die einzigen Yankees im Film sprechen sie mit der Zunge der Nordstaaten. Die beiden zählen zu den sogenannten Carpetbaggers, die nach dem Bürgerkrieg (der zur Zeit der Handlung dreizehn Jahre zurückliegt, die Gräben sitzen noch tief) in den Süden gekommen sind, um sich auf Kosten der Unterlegenen zu bereichern. Details wie diese erscheinen nicht prominent im Film, aber ihnen wird Rechnung getragen, der Film lebt sein Sujet.

Dazu zählen auch die Texas Rangers, jene legendäre, ursprünglich für Aktionen gegen Indianer ins Leben gerufene lokale Polizeitruppe (die es übrigens heute noch gibt). Matt Damon als ein ebensolcher gliedert sich als Neuzugang mühelos ins Coenversum ein, und genauso mühelos überflügelt er die Leistung von Countrysänger Glen Campbell in der 1969er Version, der damals total hip war und den Erfolg des Films pushen sollte. Auch Elvis Presley war gefragt worden, aber sein Management wollte Top Billing.

Das ging natürlich nicht. Denn dort stand der Duke, dort stand John Wayne. Der Film wurde als Star-Vehikel auf den mittlerweile über 60-jährigen Haudegen zugeschnitten, und prompt bekam er auch einen Sympathie-Oscar zugesteckt (für »The Shootist«, seinen letzten Film sieben Jahre später, hätte er ihn verdient gehabt). Natürlich wurde Jeff Bridges’ Rooster Cogburn mit dem seinen verglichen, aber der Vergleich scheint müßig: Auf der einen Seite haben wir eine altgediente Leinwandlegende, einen charismatischen Helden, einen wahren Publikumsliebling, auf der anderen Seite haben wir – John Wayne.

Bridges wurde charakterisiert als »the most natural and least self-conscious screen actor that’s ever lived«, und ja: er scheint immer irgendwie er selbst zu sein, man hat kaum den Eindruck, sein Spiel wäre eine ›Performance‹. Das führt hier freilich dazu, dass man in dem verlottert-gelassenen Gehabe des Rooster Cogburn teilweise den Dude aufblitzen sieht. Aber wenn Cogburn dann im Wechselspiel mit Mattie Ross sein verschrumpeltes Herz offenbart, wächst die Figur doch zu einem echten, vielleicht sogar liebenswerten Menschen.

Apropos Mattie – ihr kommt wie im Roman die eigentliche Hauptrolle zu, und die 14-jährige Hailee Steinfeld ist als blitzgescheites, zähes Mädel punktgenau gecastet – spätestens mit ihrer forschen Verhandlung im Büro des verschlagenen Pferde-Yankees steckt sie den Film in die Tasche. Mattie ist es auch, die die Rahmenhandlung erzählt, und ihre letzten Szenen, Jahrzehnte nach der Geschichte mit dem Marshal, gestalten sich wie ein wehmütiger Abgesang auf den Western schlechthin. Mattie hat Cogburn niemals wiedergesehen (ebenso wenig wie wir) – sang- und klanglos starb er als Mitglied eines abgehalfterten Wild-West-Wanderzirkus.

Dieser Schluss-Sentiment mag ernüchternd sein, doch befördert er die Geschichte, die 1969 noch als buntes Abenteuer präsentiert wurde, in einen kulturgeschichtlichen Zusammenhang – ähnlich wie Sheriff Bells Grüblerei der Story von »No Country for Old Men« geradezu philosophische Dimensionen verliehen hatte. So kommt »True Grit« (2010) auf eigenen Beinen zu stehen: Ein Western, ja, aber kein astreines Genrestück. Eine Literaturverfilmung, ja, aber eine, die ihre fiktionale Natur zu bestreiten scheint. Ein Coen-Film? Ja, aber einer mit Understatement, mit selbstloser Klasse. Einer mit echtem Schneid.

Coen Culture. Im Abspann fällt neben den üblichen Verdächtigen ein Name auf, der bis dato im Coen-Camp noch nicht aufgetaucht war: Steven Spielberg; er zeichnet als Executive Producer verantwortlich. Auch Scott Rudin, ein brillanter Mann, der uns »There Will Be Blood«, »Fantastic Mr. Fox« und »The Hours« brachte (und für »No Country …« einen Oscar eingeheimst hat), wieder mit von der Partie. Solch illustre Produzenten zeigen, dass die Coens vollends in Hollywood angekommen sind. Beeinflusst das ihre Integrität? Roger Deakins wurde dazu befragt, und er meinte nur: »Steven Spielberg is a producer, I am told, but the film we are shooting is very much the Coen’s film – and nothing else.«