Vorwort zum laufenden Feuilletonjahr (5/2009)

Paris, 29. November 2009, 10:10 | von Paco

Der Brocken im November – O Brocken em Novembro

1. Um|blät|te|rer, der; -s, - (Feuilleton-Thinktank).

2. Nur noch ein paar Wochen bis zum Goldenen Maulwurf – Best of Feuilleton 2009, die fünfte Ausgabe. (vorherige Jahrgänge: 2005, 2006, 2007, 2008)

3. Kunstbücher von Taschen sind wie Schuhe von Deichmann.

4. Я в восторге! Gestern in der FAZ in »Bilder und Zeiten« ein riesiger Artikel über Jünger, also die Renovierung seines Hauses und den damit verbundenen temporären Umzug seiner Hinterlassen­schaften nach Marbach. Dann noch Biller und Grandmaster Flash, da braucht man gar kein eigentliches Feuilleton mehr, deshalb haben sie das auch entsprechend mies belegt.

5. »Klassenkampf«, sagte Doppler. »Wäre ’ne schöne Überschrift. Wie Klassenkrampf. Vielleicht lohnte es sich schon deshalb, einen Artikel über ihn zu schreiben. Wegen der Überschrift.« (Karasek, Das Magazin, S. 358)

6. US-TV-Serien: Wie gesagt, der Hype ist vorbei (cf. Umbl und serienjunkies.de). Narratologisch steht jetzt eine Flaute an, zu sehen an all den unterirdischen bis höchstens semi-mediokren Serien-Neustarts der Saison, detailliert nachzuverfolgen im sablog. Wir machen hier nur noch Curb 7 zu Ende (ich weiß, wir sind etwas hinterher) und im nächsten Jahr Lost 6.

7. »Dienstag, zu Hause, ich tat, ich weiß nicht was.« (Pontormo, »Il Libro Mio«)

8. L’Umblätterer goes Reading Room. Nach dem zehnteiligen Rundown der »Wohlgesinnten« im letzten Jahr folgt nun eine vierzehnteilige Exegese des grandiosen Supermarkt-Romans »Vier Äpfel« von David Wagner, und zwar am Dienstag.

 
Weitere Vorworte des Herausgebers zum aktuellen Jahrgang

 
I (29. 1.)   —   II (20. 4.)   —   III (22. 5.)   —   IV (29. 9.)
 

Endlich mal

Venedig, 27. November 2009, 07:49 | von Dique

Neulich endlich mal von Patricia Highsmith »Venedig kann sehr kalt sein« zu Ende gelesen. Endlich, denn das Buch war grottenlahm. Ich wollte ein bisschen Venedigstimmung für meinen jetzigen Aufenthalt aufbauen, aber wie gesagt, ein äußerst sinnloses Buch, auch sehr schlecht geschrieben, vielleicht auch eine schlechte Übersetzung, aber ich erinnere mich, dass ich mich durch den »Ripley« auch gequält habe, den las ich auf Englisch, ehrlicherweise war hier der Film, waren beide Filme deutlich besser als das Buch.

Also lieber nie wieder Patricia Highsmith, die amerikanische Donna Leon, hehe. Stattdessen las ich gestern einfach mal den »Tauge­nichts« von Eichendorff, herrlich, wie er da kurzzeitig als Zollvorsteher arbeitet und den ganzen Tag im gepunkteten Morgenmantel seines Vorgängers herumstolpert, einfach sehr köstlich das ganze Buch, ein 100-Seiten-Powerpackage.

Jetzt sitze ich also in der Dogenstadt und lese Eichendorff. Und die Dürer-Briefe. Lasset mich Euch hiemit befohlen sein. Geben zu Venedich am anderen Sunntag in der Fasten im 1506 Jahr. Grüsst mir Euer Gesind.

Eine Pferdewurst, die nicht abnimmt

Hamburg, 22. November 2009, 08:33 | von Dique

In vielen Witzen erhält jemand von einem Geist, einem verwunschenen Tier oder einer Fee ein Geschenk. Zum Beispiel der Typ, der irgend­einem Waldgeist behilflich gewesen ist und dafür zwei Wünsche frei hat.

Er wünscht sich eine Flasche Bier, die sich, nachdem man sie ausgetrunken hat, immer wieder von selbst füllt. Der Typ bekommt seine Flasche, trinkt sie aus, sie füllt sich wieder auf und er freut sich. Der Geist drängt nun, dass der Typ seinen zweiten Wunsch einlöse, und er wünscht sich dann eben noch so eine Flasche.

In »Peter Schlemihls wundersamer Geschichte«, aufgeschrieben von Adelbert von Chamisso, erhält dieser Schlemihl von einem Mann im grauen Rock einen kleinen Sack mit Gold, der sich von ganz allein immer wieder füllt. Dafür muss ihm der Beschenkte allerdings seinen Schatten überlassen. Das erscheint ihm zunächst nicht weiter tragisch, bis er dann erfahren muss, dass er ohne Schatten von seinen Mitmenschen verstoßen wird.

Peter hat keinen zweiten Wunsch frei. Immerhin taucht der Mann im grauen Rock nach einem Jahr wieder auf und möchte ihm den Schatten zurückgeben. Er könne sogar das Goldbeutelchen behalten, müsse ihm dafür allerdings seine Seele überlassen.

Arno Schmidt erwähnt in seinem Kurzroman »Aus dem Leben eines Fauns« die Schlemihl-Geschichte im Zusammenhang mit den möglichen Gaben und Geschenken:

»Sommersonne: Schatten: Peter Schlemihl!: Heute würd er in‘ Zirkus gehen und Unsummen verdienen! Wenn mir bloß mal son <Grauer Mann> erschiene, und mir was dafür böte, was Zeitgemäßes: ne Tabakspfeife, die nie leer wird; n Auto, das ohne Benzin fährt, ne Pferdewurst, die nicht abnimmt.«

Und Recht hat er, was gibt es Besseres, Schöneres, Zeitgemäßeres als eine never-ending Pferdewurst!

Kaffeehaus des Monats (Teil 49)

sine loco, 21. November 2009, 08:49 | von Paco

Wenn du mal richtig Zeitung lesen willst:

Café Menzel, Mühlhausen, Interieur

Mühlhausen
Das Café Menzel in der Linsenstraße.

(Key Facts Mühlhausen: 1. Vor den Toren der
Stadt wurde Thomas Müntzer hingerichtet.
2. Innerhalb der Stadttore betreiben die
Menzels – Konditormeister mit eigener Mühle –
eine Art Little Austria. Key Facts Ende.)
 

Lars-Oliver Frökel: Von einem Bett zum andern

sine loco, 18. November 2009, 17:20 | von Guest Star

Unsere Popmoderne (Cover)Der 2005 erschienene Band »Unsere Popmoder­ne« von Marc Degens präsentiert 28 Auszüge aus fiktiven Werken der Gegenwartsliteratur mit kurzen Erläuterungen zu Autor und Wirkungsge­schichte. Unser Lieblingstext ist das hier folgende erotische Käsegedicht eines übereifrigen Ex-Thomaners.

Eine erweiterte Neuausgabe des Buches ist für 2010 im Verbrecher Verlag geplant.

*

                        Die Stühle
                        bilden
                        ein Quadrat

Ein kleiner, runder Beistelltisch
               steht im Schnittpunkt der Diagonalen

    Die Hände der Frauen
    sind mit Elektrokabeln
    hinter den Lehnen
    zusammengezurrt

        ihre Füße
        mit Stricken
        an die vorderen
        Stuhlbeine gefesselt

    Auf leisen Sohlen 
schleiche ich
        durch die Waschküche
    trete zum Tisch
                in die Mitte
        des Frauenquartetts
und lasse meinen Blick schweifen

Die Frauen atmen flach und erwartungsvoll
    vielleicht gar erregt

Ihre Gesichter sind mir zugewandt
                                ihre Augen
                                mit Seidentüchern
                                verbunden

Ich genieße das Stilleben
    die reglosen Körper
im Geist rufe ich ihre Vornamen

        Auf der Tischplatte liegt
        eine gelbe, bleiche, viereckige
    Käsescheibe
            nackt
von keiner Hülle geschützt.

Ich nehme sie in meine Hand
    und prüfe
    mit den Fingerkuppen
        ihre Beschaffenheit

        Das Käsestück fühlt sich künstlich an
        unecht
        wie ein Streifen Kautschuk

oder ein zu weiches Radiergummi

    Ich habe meine Wahl rasch getroffen
    und trete zu der Frau im langen, schwarzen Kleid
deren Mund

                                    ein Stück weit
geöffnet ist
        so daß ich ihre obere Zahnreihe sehen kann

    In aller Ruhe pirsche ich um den Stuhl
                                            beäuge sie
von allen Seiten
                    in immer engeren Kreisen

Sie spürt meine Anwesenheit
merklich von Minute zu Minute beben ihre Brüste heftiger

                                    ihr Atem wird gepreßter
                                    sie schluckt arg
                                    und aufgebracht

        Ich stelle mich vor sie

                schiebe mit den Fingerspitzen
            die schulterlangen, kupferbraunen Haarsträhnen
        aus ihrem Gesicht

        und entblöße die sonnverbrannt fleckigen

Wangen

Hernach rolle ich die Käsescheibe zusammen
                der Silberring an ihrem Ohrläppchen zittert

    ihr Atem stockt
    und scheint für einen Moment sogar zu versiegen

Mit der Spitze des Käsestücks streichele ich sanft

                                    beinahe 
                                        ohne Berührung
                    ihre Stirn

Vorsichtig tupfe ich ihre Haut
        wandere an ihr hinab
    bemale episodisch den Nacken
            das Kinn
                ihre Wangen

    Sie erschaudert bei jeder Berührung
                zittert
zuckt und meidet die Treffen

                    Bestimmter herze ich nunmehr ihre Haut
                    der Käse gleitet
                    langsam
                    über jede Pore
            wird stetig schlaffer
und sämiger

                        Ihre Wehr erstirbt
schlagartig
                            unterbreche ich
    die Verbindung
                                                isoliere sie
entrückt harrt ihr Kopf in stummer Erwartung

    um sich endlich
                        als ich sie wieder berühre
                            wie selbsttätig
                        und mit aller Kraft

    in mein Gekose zu stemmen

Ich wische ihr Fleisch

                        Der Käse klebt und seift
                        hinterläßt eine molkige Spur
                        nicht Butter, nicht Wachs

    Entschlossen umkreise ich nunmehr ihre Lippen

            begierig öffnet sich der Mund
        die Zunge schnellt hervor
                        und sucht das Labnis

    Ich locke sie
        spiele mit ihr

                kurz küßt der Köder die Glut

        entflammt einen Vorgeschmack
    sie schwärmt
und erlebt in Gedanken bereits die Erfüllung

                        Krankhaft buhlt sie um das Geschenk

schmust nach Genuß
                flau und vergebens

    Ich rolle die Käsescheibe auseinander

                                presse sie an ihre Stirn

an ihr Kinn
                                drücke sie fest
                                auf ihre linke
                                und rechte Wange

Schlußendlich verhülle ich ihre Lippen

    Ihr Mund springt auf
    klafft auseinander
            die Zunge trachtet nach dem Schlemmen

sie schlingt

    hungrig, gierig und geizig

        der Käse verschwindet im Krater

*

Das erotische Traumtagebuch Von einem Bett zum andern des 19 Jahre alten Leipziger Gymnasiasten Lars-Oliver Frökel verkaufte sich in den ersten vier Monaten nach Erscheinen bislang über zehntausendmal und gilt als die literarische Entdeckung der diesjährigen Frühjahrsbuchsaison. Die Frauenzeitschrift Mademoiselle wählte Lars-Oliver Frökel kürzlich zum »hübschesten Schriftsteller Deutschlands«, und ab November wird der ehemalige Thomaner-Chorknabe die Lifestyle-Sendung Glam des Kölner Musiksenders Viva moderieren. Zehn der achtundzwanzig Traumaufzeichnungen aus Von einem Bett zum andern werden derzeit für die ARD verfilmt, Regisseure der TV-Folgen sind unter anderem Detlef Buck und Sönke Wortmann.

Lars-Oliver Frökel: Von einem Bett zum andern
 

Curb Your Enthusiasm: 7. Staffel, 8. Folge

Paris, 18. November 2009, 00:51 | von Paco

»Officer Krupke«
(8. 11. 2009 · HBO)

Susie und Jeff cruisin‘ down the freeway. Sie sucht nach Taschen­tüchern und findet im Handschuhfach eine Damenunterhose. Und überhaupt wird der grundgütige Jeff in dieser Staffel zum immer schlimmeren Finger aufgebaut, nachdem er in der ersten Folge bereits Funkhousers meschuggene Schwester vernascht hat. Später wird Jeff von Larry verlangen, die Schuld auf sich zu nehmen: »I told Susie that you’re wearing women’s panties.«

Szenenwechsel: Larry beim Kauf einer Hose. Plötzlich Feueralarm, alle verlassen das Gebäude. Draußen begegnet er einem Officer Krupke. Er erheitert sich über den Namen und fragt ihn, ob er die »Westside Story« kenne (tut er nicht). Und so singt er dem Polizisten die wichtigste Stelle daraus vor: »Officer Krupke, krup you!«

Das Warten vor dem Bekleidungsgeschäft zieht sich eine Weile. Larry macht sich daher von dannen und behält einfach die anprobierte Hose am Leib. Aus den Hosentaschen schlackern Preisschild und Diebstahl­sicherung heraus.

Es folgt ein Besuch bei den Greens:

Larry: You know, I know all the lyrics from Westside Story.
Susie (gelangweilt): Really, fascinating.

Währenddessen lungert ein befreundetes Paar auf dem Sofa und erzählt Susie gerade seine Kennenlernstory. Larry will das nicht hören (»Let me guess how it ends, you get together in the end?!«) und dreht eine Runde um den sogenannten Block. Unterwegs kauft er bei drei Entrepreneur-Kids eine Limonade, die aber furchtbar schmeckt. Fiese Kids – ein echter »Curb«-Klassiker.

Cheryl und Virginia (die oben erwähnte Bekannte von Susie) treffen sich beim Vorsprechen für den Part der Amanda, der Exfrau von George bei der »Seinfeld«-Reunion. Cheryl liest die Szene mit dem TiVo-Guy, das Telefonat, das schließlich und letztlich zum Breakup der beiden geführt hat. Der Deal scheint besiegelt, Larrys Plan zur Rückgewinnung Cheryls scheint in die nächste Stufe zu gehen. Aber dann spricht diese Virginia vor, und Seinfeld lacht sich kaputt. Die Diskussion wird dann entschieden durch den dritten Typen, der im Zimmer sitzt, und der favorisiert auch Virginia. Larry knirscht sich ein Okay heraus.

Larry wieder im Hosenladen, einen Tag später. Die haben seine Hose verloren, die er für die Anprobe abgelegt hatte. Also sieht er nicht ein, warum er für die neue Hose bezahlen soll und verlässt, immer noch mit der Diebstahlsicherung versehen, den Laden.

Draußen trifft er Cheryl, der er erzählt, dass der Reunion-Part doch nicht an sie ging, sondern an Virginia. Cheryl berichtet im Gegenzug davon, wie ihr Dennis, der Boyfriend von Virginia, eine Ménage à trois vorgeschlagen hat (kleine Reminiszenz an den letzten Woody-Allen-Film »Whatever Works«).

Aber es gibt Hoffnung. Bei Jeff erfährt er, dass Virginia den Part wegen einer Nackenverrenkung doch nicht übernehmen kann. Außerdem arbeiten beide an der Überzeugungskraft von Larrys Freundschafts­dienst:

JEFF: Who are you?
LARRY: I’m Larry David.
JEFF: What do you happen to enjoy?
LARRY: I happen to enjoy women’s panties.

Danach checken die beiden Virginias Auto, weil Larry sichergehen will, dass sie sich ihren Nacken bei einem Unfall, nicht bei der angebotenen Ménage à trois mit Cheryl verzogen hat. Eine mehr als hanebüchene Idee, die aber die Handlung beschleunigt.

Am Ende sehen wir Officer Krupke bei Susie & Jeff hereinschneien. Er sucht nach Larry, der gerade »Krup you!« sang, als er bei den Limonadenkindern vorbeifuhr. Deren Mutter hat dann die Polizei rangeholt. Krupke sieht die Diebstahlsicherung an der Hose, Larry zieht sie aus, darunter kommt natürlich eine Frauenunterhose zum Vorschein. Und dann sagt er wie erwartet den Satz auf: »I’m Larry David. I happen to enjoy wearing women’s panties.«

Diesmal gibt es noch eine etwas wohlfeile Zusatzpointe. Zunächst hatte Larry apodiktisch festgestellt: »We all know, there’s only two ways a person can injure their neck. One is: a car accident. (…) The other is: cunnilingus.« Und nun klingelt Jeff mit eingegipstem Hals an Larrys Tür: »You gotta tell Susie I was in a car accident.«

Der Umblätterer über andere »Curb«-Episoden:
Season 6: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10
Season 7: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10

Genudelt voll mit Pontormo

Hamburg, 17. November 2009, 08:15 | von Dique

»Il Libro Mio« heißen die Aufzeichnungen Pontormos aus seinen letzten beiden Lebensjahren, 1554–1556. Inhaltlich geht es im Wesentlichen um seine Nahrungsaufnahme und das leibliche Wohl bzw. meist Unwohl, Darmstörungen, das Zipperlein allgemein und das schlechte Wetter.

Angaben über sein künstlerisches Schaffen werden eher uninspiriert erwähnt und sind ohne Kontext kaum nachvollziehbar. Er sagt maximal, dass er »Dienstag und Mittwoch den Alten gemacht (hat) mit seinem Arm und zwar so: (…)«. Dahinter sieht man dann eine kleine Miniskizze, nur aus ein paar Strichen bestehend.

Zu kompositorischen oder inhaltlichen Fragen des von ihm Erschaffenen äußert er sich gar nicht. Dafür erwähnt er immer und immer wieder die Essen mit seinem ehemaligen Schüler und Freund Bronzino:

»Sonntag, Mittagsmahl mit Bronzino
fühlte mich genudelt voll, also
nichts zum Abendessen.«

Ich las die deutsche Ausgabe des Buches. Für »satt sein« nimmt der Übersetzer meist »genudelt« oder »genudelt voll«. Das sagt doch aber eigentlich niemand. Vielleicht wurde das aus atmosphärischen Gründen benutzt, oder es ist tatsächlich die beste Entsprechung zum Original.

Folgt man der Beschreibung einer typischen Woche im Hause Pontormo, dann ist vor allem sonntags eine Nudelorgie fällig:

»Sonntag Mittagsmahl mit Bronzino, kleine Nudeln.
Montag den Helm.
Dienstag den Kopf (…)
Mittwoch den Rumpf; und kein Abendessen.
Donnerstag den Arm; und zum Abendessen Eierfisch.
Freitag den Leib, es war St. Lukas, zum Abendessen Eier und
14 Unzen Brot und Kohl.
Samstag den Arm und wo er sitzt; zum Abendessen Eier und
9 Unzen Brot und 2 Dörrfeigen.
Sonntag, Mittagsmahl mit Bronzino, kleine Nudeln,
Abendessen auch mit ihm.«

Zur Zeit der Aufzeichnungen arbeitete Pontormo in der Florentiner Kirche San Lorenzo an einem Jüngsten Gericht, vor dessen Fertigstellung ihn der Tod ereilte. Vasari erwähnt in der Vita des Pontormo den langen Zeitraum, der für dieses Werk draufging. Elf Jahre brachte er damit zu, in einer Kapelle »mit Mauern, Bretterwänden und Planen verhüllt und sich völlig der Einsamkeit hingegeben«.

Vasari wirft Pontormo, der stark von Dürers Druckgrafik inspirieren war, auch ständig vor, sich seinen eigenen Stil durch die Nachahmung des deutschen Stils ruiniert zu haben. Zwar lobt er die frühen Werke und lobt deren Maler als großen Meister, doch kann er mit seinem Spätwerk wenig anfangen. So auch mit dem Ergebnis des Freskos in San Lorenzo:

»Statt dessen malte er überall nackte Figuren in einer Ordnung, einem disegno, einer Bildfindung, Komposition und Farbgebung, die er nach seinem Sinn gestaltete und dazu in einer so tiefen Melancholie und für den Betrachter so wenig ansprechend, daß ich beschlossen habe, das Urteil darüber jenen zu überlassen, die es sich anschauen werden, da ich es noch nicht verstehe, obwohl ich selbst Maler bin. Ich befürchte nämlich, dabei verrückt und verwirrt zu werden, so wie er scheinbar in der ihm zur Verfügung stehenden Zeit von elf Jahren sich selbst und jeden anderen zu verwirren suchte, der diese Malerei mit derartigen Figuren betrachtet.«

Dieses Urteil können wir uns nicht mehr bilden, denn das Werk wurde Mitte des 18. Jahrhunderts übertüncht und schlussendlich wurde gar die Mauer eingerissen, auf der es sich befunden hatte. Alles, was uns bleibt, sind einige seiner Skizzen und Studien und das etwas verwirrende »Libro Mio«.

Eine sehr schöne dunkle Jacke

Konstanz, 15. November 2009, 20:01 | von Marcuccio

Deutschland wird auch in Stilfragen am Hindukusch verteidigt, findet Kurt Kister mit Blick auf den neuen Verteidungsminister und seinen gerade absolvierten Afghanistan-Besuch. Der Beitrag beginnt so richtig gut im Bunte-Style …

»Er trug eine sehr schöne dunkle Jacke von Loro Piana, natürlich 100 Prozent Kaschmir, mit elfenbeinfarbenem Innenfutter.«

… reiht sich dann goldrichtig ins Genre der KT-Hagiografie ein:

»Die Hände hat er in die Hüften gestützt, das subalterne Offiziersvolk im Tarngewand umgibt ihn in einer distanzwahrenden, ehrfurchtsschwangeren Korona. Natürlich ist es nur Licht, das von außen auf den Baron fällt, aber er sieht auf dem Foto trotzdem so aus, als leuchte er selbsttätig von innen.«

… und wagt dann einen, wir denken an die Wendung vom »Baron aus Bayern«, gar nicht so pindarischen Sprung zum Brioni-Kanzler Gerhard Schröder:

»Die Angelegenheit war deswegen so bemerkenswert, weil dieser Politiker und dieser Anzug nicht zusammenpassten. Einer von beiden war dem anderen ein Fremdkörper. Poltrige Männer mit nach oben gedrehten Nackenlocken gehören nun einmal nicht in Brioni und in Versace, nur wenn sie bei den Sopranos eine Nebenrolle spielen.«

Ein weiterer Stopp bei Peter Struck (»fuhr gerne Motorrad und rauchte Pfeife. So sah er auch am Hindukusch aus«), aber dann sind wir auch schon angekommen, beim schönsten Satz des ganzen Artikels:

»Im Rückblick auf 30 Jahre bundesdeutscher Wehrgeschichte von Manfred Wörner bis zu Karl-Theoder zu Guttenberg ist erkennbar, dass die Bundesrepublik souverän geworden ist – zumindest was die Klamotten angeht.«

Ganz am Schluss wird Guttenberg zum Ehrenmitglied im Queen’s Own Corps of Guides ernannt, und das liest sich dann wirklich so, wie wenn Christian Kracht immer noch Asien-Korrespondent des »Spiegel« wäre.

Usw.

Curb Your Enthusiasm: 7. Staffel, 7. Folge

Paris, 11. November 2009, 17:03 | von Paco

»The Black Swan«
(1. 11. 2009 · HBO)

Larrys Vater, gespielt von Shelley Berman, ist zurück, und er trägt den notorischen Florida-Rentner-Trainingsanzug. Und auch Cousin Andy, »the primary reason for anti-Semitism« (Folge 4.10), ist mal wieder mit dabei. Alle zusammen besuchen sie das Grab von Larrys Mutter, Adele David.

Statt »Passed away« ist auf dem Grabstein jedoch zu lesen: »Past away«. Larrys Vater ist aber kein Legastheniker, sondern ein Geizkragen: »I know how to spell it, it’s 50 dollars a letter!« Irgendwann wird dann mit dem zuständigen Steinmetz über eine Korrektur des Fehlers telefoniert. Während des Gesprächs bricht aber ein Streit über den Yankees-Star Derek Jeter los, und schon da wird die erwartbare Pointe vorbereitet, siehe Ende des Textes.

Diese Folge sieht im Großen und Ganzen die Einheit des Ortes vor: Schauplatz ist der Golfclub, in dem Larry und seine Peer Group verkehren. Wegen Andys dezidierter Bestellung von unbedingt crispy onions kommen sie zu spät auf den Platz – und der »slowest golfer in the world« hat sich vor sie geschoben, der schon aus Staffel 4 bekannte Norm (gespielt von Paul Mazursky). Als es ihm langsam zu lange dauert, schreit Larry den Slowgolfer zusammen. Wenig später meldet dann ein Bote in die Umkleidekammer hinein, dass Norm gestorben sei, zack. Kausal sei der Herztod direkt zurückzuführen auf Larrys Geschrei. Funkhouser kommentiert das in aller Ruhe Richtung Larry: »Look, it may have been an accident, but you’re a murderer!«

Nächster Tag, die Vier wieder auf dem Golfkurs. Larry schlägt den Ball in die Nähe eines Sees, in dem weiße Schwäne schwimmen. Als er weiterschlagen will, kommt vom Land aus ein majestätisch schwarzer Schwan auf ihn zugerannt (vielleicht Norms persönlicher Racheengel). Larry haut das Vieh jedenfalls mit dem Golfschläger kurz und klein, Federn wirbeln durch die Luft. Das schwarze Vogel ist natürlich das Lieblingstier von Takahashi, dem Besitzer des Golfclubs. Im Nu wandelt sich »Curb« hier zu einer Verschwörerstory. Um das Geheimnis des Vogelmords zu bewahren, wird die Parole ausgegeben: »We’re all in this together, no wives!«

Im Dining Room blinken dann auf einmal überall Embleme mit dem schwarzen Schwan auf, ein Effekt überbordender Schuldgefühle. Das von Larry erschlagene Tier war offenbar im Alleingang für die Corporate Identity des Clubs zuständig. Nachdem ein paar Arbeiter den toten Vogel finden und bei Takahashi abliefern, werden die Vier in dessen Büro bestellt und einzeln befragt, eine relativ gut durchkomponierte Grundschulsituation. Am Ende gibt es endlich mal wieder einen Indianerblick, mit dem Larry in früheren Staffeln ab und zu die Seele von offensichtlich lügenden Gesprächspartnern ausgeleuchtet hat. Diesmal geht der Indianerblick aber von Takahashi aus, nicht von Larry.

Etwas später, auf Norms Beerdigung, beschwert sich Larry bei Funkhouser über den bescheuerten Steinmetz. Während seiner Philippika steht ein Mann nahebei, der sich nach den erfolgten Beleidigungen natürlich als eben dieser Steinmetz Ed zu erkennen gibt und ankündigt, sich bald dem Grabstein von Larrys Mutter zu widmen. So wird die Schlusspointe noch mal mit vorbereitet.

Währenddessen schickt Jeff eine Mail an Larry:

To: Larry David
Subject: Swan killing

I am nervous. We should confess and get this over with. We’re going to get caught, I know it.

Schön im Ton eines Grundschülers geschrieben, und auch der nüchterne Betreff dieser Mail, »Swan killing«, ist ganz hervorragend. Larry ist gegen ein Mordbekenntnis und streut nach dem Memorial Service ein Gerücht, dass das Zeug zum urbanen Mythos hätte: nämlich dass der Black Swan für Norms Tod verantwortlich sein könnte.

In trauter Eintracht mit Takahashi marschiert er später den Friedhof entlang. Auf dem gerade vom Steinmetz fertig gestellten Grabstein der Mutter dann die diesmal, wie schon gesagt, erwartbare Pointe:

ADELE
DAVID

WIFE OF
NAT

MOTHER OF
LARRY, AN ASSHOLE
AND
SWAN KILLER

(Der Steinmetz ist von Andys Frau über den Schwanenmord informiert worden, die trotz der »No wives!«-Parole davon erfahren hat. Damit rächt sie sich an Larry, weil der nicht ihre Cosmetology-Kurse finanzieren will.)

Der Umblätterer über andere »Curb«-Episoden:
Season 6: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10
Season 7: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10

Was haben die Basterds uns gebracht?

Hamburg, 9. November 2009, 08:00 | von San Andreas

»Inglourious Basterds« gab uns auf jeden Fall die Gelegenheit, wieder einmal David Bowies »Cat People« zu hören. Und das ist schön. Etwas unvermittelt bricht der Glamrock zwar ein in die späten Kriegsjahre, aber auf derlei sorglosen Eklektizismus muss man bei Tarantino ja gefasst sein. Seine Filme wähnt man an der Speerspitze moderner Filmkultur, stets erwartet man Neues, Großes. Doch was von den »Basterds« bleibt – zumindest für eine kleine Ewigkeit – tatsächlich hängen im kollektiven Filmgedächtnis?

Seit elf Wochen läuft der Film jetzt, über zwei Millionen Bürger wollten ihn sehen, allerorten war er der talk of the town. Wieland aus Dresden brachte es mit einem Hinweis auf die außerordentliche Beliebtheit der Basterds in Deutschland zum letter of the month in der (englischen) »Empire«. Und irgendjemand meinte, der Film wäre der beste des Jahres, neben »Frost/Nixon«. Really.

Nun sind die zahlreichen Vorschusslorbeeren gegessen, der Hype ist abgeflaut, die Sensation verblasst. Was übrig bleibt, ist der Film. Und bei Lichte besehen offenbart er doch die eine oder andere Schwäche.

Zum Beispiel die flatterhafte Ästhetik, ist die jetzt gut oder schlecht? Wir erleben ein Stelldichein der Genres, ein wildes Haschmich der Versatzstücke: Der Italo-Western geht auf im Zweiten Weltkrieg, »The Wild Bunch« trifft Grimms Märchen, Leone und Lubitsch geben sich die Klinke in die Hand, das Dreckige Dutzend erscheint im Smoking und macht auf witzig.

Anderen Regisseuren hätte man vorgehalten, sie wüssten zum Geier nicht, welchen Film sie denn nun drehen wollten, Tarantino hingegen wird postwendend ein genialer Stilmix bescheinigt. Na klar, er ist ein Profi, er hat so viel auf der Pfanne, er wird doch wissen, was er tut? Seeßlen schreibt stante pede ein ganzes Buch über den Film, erklärt das Durcheinander zur neuen Ordnung und pamphletisiert über einen neuen Antifaschismus. Gut, Kunst ist auch, was man draus macht. Schaut man sich aber die stilistische und narrative Geschlossenheit früherer Werke an, muss man sich schon wundern. Ziellos wirkt das, unausgegoren, beliebig.

Ein Glück, dass die Episoden in sich oft funktionieren, und siehe da: Ein paar davon gerinnen tatsächlich zu Kleinoden großer Filmkunst. Da gibt es unverschämt lange, meisterlich choreographierte Dialogpassagen, Kammerspiele, die ihre Kraft aus sich selbst heraus entwickeln, die in ihrer klaren Intuition einfach funktionieren, ohne Brimborium und Beiwerk. Sie sind unbestritten die Stärke des Films.

Und dann gibt es da noch das Brimborium und das Beiwerk. Als müsse Tarantino seinem Avantgarde-Ruf Genüge tun, verteilt er neckische Gimmicks im Film, die dessen ohnehin heterogenes Gerüst weiter fragmentieren; sie tauchen zu sporadisch auf, als dass sie ästhetisch Sinn ergeben würden. Da durchbrechen unversehens fremde Erzähler den Fluss, da blitzen Rollennamen in Exploitation-Gelb über Standbildern, da geben hibbelige Montagen überflüssige Hintergrundinformationen.

Den Einschub über das brennbare Filmmaterial zum Beispiel leistet sich Tarantino doch offenbar nur, um einen kleinen Hitchcock-Schnipsel unterbringen zu können. Ansonsten hatte der Dialog bereits klargestellt: Das Zeug brennt. Und wenn eine Rückblende das Publikum noch mit der Nase drauf stößt, dass es sich bei dieser jungen Frau eben um genau jenes Mädchen vom Anfang des Films handelt, spricht Tarantino dem Zuschauer wieder die Intelligenz ab, die er ihm während der ausufernden, ausgefeilten Dialogszenen unterstellt.

Selbige reißen selbstverständlich viel raus. Unvergessen bleiben wird der dräuende Wahnsinn der Auftaktszene im französischen Landhaus, der geniale Dialog, die schlichte Präzision. Selten war Tarantino ernsthafter, nie war seine Inszenierung profunder, feinfühliger, einnehmender. Der Zuschauer merkt sofort: Hier geht es um was. Das ist nicht der verspielte Tarantino, das sind keine coolen Ganoven, die »Seinfeld«-Dialoge zum Besten geben.

Hier versammelt sich die Essenz dessen, was »Inglourious Basterds« hätte sein können: eine feine Beobachtung des menschlichen Naturells, eine frische Analyse verkrusteter Rollenmuster. Die Eloquenz des Scheusals, die perfide Rhetorik des Bösen, die ewige Gefahr elitären Kalküls. Die Hybris seziert in Verbalpracht Marke Tarantino.

Aber ach, wie schnöde dann schon die nächste Episode, ihre stilistische Unvereinbarkeit kaschiert mit Schwarzblende und Zwischentitel. Die Basterds, dieses A-Team des Widerstands, werden vorgestellt, und der Film verfällt in tarantineskes Hommage-Potpourri, komplett mit markigen Dirty-Dozen-Sprüchen, Spaghetti-Musik und einer original Peckinpah-Zeitlupe.

Da sind auch drastische Bilder nicht weit. In Großaufnahme wird da skalpiert, ein Baseballschläger todbringend zweckentfremdet, Stirnpartien mit dem Dolch verziert. Dass eine komplette Szene ihre Spannung daraus bezieht, dass alsbald ein Schädel zerdroschen werden wird, ist nicht nur grundsätzlich fragwürdig, es ist auch nicht eben subtil. Unwillkürlich beschleicht einen das Gefühl, hier nicht der grausamen Realität des Krieges ausgesetzt zu sein, sondern den Ausgeburten des kranken Hirns des Regisseurs.

Warum der Mann seine Filme permanent mit ordinären Splatter-Effekten glaubt würzen zu müssen, ist anybody’s guess. Unablässig jubelt er dem Publikum Widerwärtigkeiten unter – stilvoll umgesetzt zwar, obszön nichtsdestoweniger. Statt effektivem Entsetzen bemüht Tarantino affektive Abscheu, und das ist immer die schlechtere Wahl. Das mag manch einem zwar gefallen, aber gefallen tut der Film an diesen Stellen in erster Linie sich selbst.

Und nebenbei – der riesige Aufwand, mit dem die Figur des Sgt. Donny »Bear Jew« Donowitz (Eli Roth, Großmeister des Torture Porn) eingeführt wird, rechtfertigt sein Nebenröllchen im Rest des Films in keiner Weise. Überhaupt besteht die komplette Mannschaft der Basterds aus uninteressanten Schergen-Schablonen; man fragt sich, wieso der Film nach ihnen benannt ist. Selbst ihr Anführer, Brad Pitt als Lt. Aldo Raine, gerät zur Kentucky-Karikatur, die Untertitel vermissen lässt und irgendwann auf die Nerven geht.

Tarantinos Augenmerk liegt vielmehr – kaum eine Überraschung – auf der Psychologie der Bösewichte. Allerdings interessiert er sich nicht für die seelischen Abgründe des Nazifaschisten im Speziellen; er spielt lieber mit der Idee des gewandten Gentleman-Gangsters, dessen einnehmendem, doch bösartigen Wesen. In dieser Rolle geht Christoph Waltz allerdings vollständig auf; seinen Hans Landa in einwandfreiem Französisch süffisant parlieren zu erleben ist allein das Eintrittsgeld wert.

Überhaupt ist Tarantinos Entscheidung, sämtliche Charaktere in ihren jeweiligen Mutter- und Fremdsprachen reden zu lassen, unbedingt zu begrüßen; sie sollte Schule machen. Dieser Kniff verleiht dem Film eine weltläufigen Charakter und gerade das Quäntchen Authentizität, das den meisten Tarantinos zuvor naturgemäß abging.

Bei allem Gerede über Tarantinos Beitrag zum Zweiten Weltkrieg muss man aber bedenken: Nicht die Weltgeschichte gab Tarantino dieses Sujet, sondern die Filmgeschichte. Den Titel von einer drittklassigen Ballerklamotte entliehen, ist es aber nicht einmal der Fundus der Kriegsfilme, bei dem er sich am meisten bedient; daher stammen nur die Uniformen und die groben Zusammenhänge. Der Rest fügt sich keinen Konventionen: Von Western bis Screwball kann alles passieren.

Es gelten nicht die Regeln des Krieges, sondern die Launen des Tarantino. Ihn interessieren keine Kampfhandlungen, die Front lässt er aus (sie kommt nur als Film im Film vor, eine feine Idee). Auch beklemmende Aspekte blendet er aus, die Opfer, die Lager, die Gräber. Trotzdem kommen natürlich Leute ums Leben. Doch sie werden nicht getötet; sie werden ermordet (wir erinnern uns an Lee Marvin in »The Big Red One«, der das Umgekehrte predigte). List und Tücke braucht es dazu, vieles ist Schauspiel, vieles ist Schein, es wird verkleidet, es wird enttarnt. Der Krieg als Spiel.

Wenn man denn will, kann man den Szenen schon einiges entnehmen, sagen wir Gedanken zu Rassismus und seiner Legitimation, zu Widerstand und Idealismus, zu Heldentum und Propaganda. Dennoch muss man konstatieren, dass es sich hier nicht um einen Kriegsfilm mit Tarantino-Touch handelt, sondern um einen Tarantino-Film im Kriegsgewand. So sucht sich auch des Regisseurs unbändige Liebe zum Kino gerade diesen Film aus, um unverblümter als sonst zutage zu treten; praktisch alle Beteiligten unterhalten sich über Filmkunst, eine Schauspielerin (hölzern: Diane Krüger) bildet die Schnittstelle zwischen Besatzern und Befreiern, und am Ende opfert Tarantino gar ein komplettes Lichtspieltheater für den guten Zweck.

Tarantinos Stilmittel ergeben im dennoch quasi-historischen Umfeld ungeahnte, durchaus erfrischende Effekte, vor allem da die geläufigen Rollenmuster bereits ungefragt einen Bedeutungsvorrat in den Film mitbringen. So birgt die Konstellation aus einer Jüdin, einem Nazi-Offizier und zwei Portionen Apfelstrudel mit Sahne automatisch ein hohes dramatisches Potenzial.

Das beutet Tarantino weidlich aus. Die Unwucht im besetzten Land entfacht Wut und Verzweiflung auf der einen, ein Gefühl der Überlegenheit auf der anderen Seite. Und so entladen sich scheinbare Alltagssituationen – es wird geplänkelt und gespielt, gegessen und getrunken, man geht ins Kino – nach einem Suspense-Anlauf regelmäßig in Salven von Gewalt. Ein effektives, wenn auch zu oft bemühtes Rezept.

Als das Blatt sich wendet, erweist sich die eisenharte Ideologie des Berufszynikers Landa auch nur als ein Ideenkorsett, das man abstreifen kann, wenn die Situation es gebietet. Das ist nur zu menschlich, schließlich ist jedem Individuum von Natur aus ein gewisser Eigennutz mitgegeben. Landa erhält trotzdem seine Strafe, genauso wie die komplette Führerriege. Das Attentat gelingt, das Gemetzel des großen Showdowns reißt Hitler und Kollegen mit in den Tod, Stauffenberg hätte seine Freude gehabt.

Viel bewundert wurde Tarantinos Chuzpe, dem tatsächlichen Verlauf der Geschichte keinen Respekt zu zollen. Nun ist es nicht so, als würden wir Zeuge der epochalen Loslösung vom Diktat der Historie. Jede alternate history bringt bessere Einsichten als dieser utopische Schlenker (Stephen Fry beispielsweise macht in »Making History« Hitlers Geburt ungeschehen, mit erstaunlichen Konsequenzen). Das Besondere liegt in der Art und Weise, wie Tarantino den Führer abtreten lässt. Den Film über auch kaum mehr als eine geifernde Fratze, gönnt er ihm keinen großen, seiner historischen Bedeutung gebührenden Abgang. Hitler geht am Ende einfach mit drauf, fertig.

Und dafür haben wir Tarantino gern. Er hat immer noch eine Überraschung im Ärmel, und seine sichere inszenatorische Hand hebelt so manche kleinliche Krittelei aus. »Inglourious Basterds« wäre sein bester Film seit »Pulp Fiction«, stand zu lesen. Mag sein. Mit Sicherheit der interessanteste. Sein Name steht für inspiriertes Spartenkino, für perfekt gemachten Trash, für explizite, aber ästhetisierte Gewalt. Er erhob das Filmzitat zur Kunstform, betrieb Genrelifting in großem Stil und gab dem Kino so manchen revitalisierenden Impuls.

Freilich trägt er die Narrenfreiheit, die er genießt, bisweilen vor sich her, und so trübt die »Basterds« eine gewisse Selbstgefälligkeit. Tarantino pflegt seinen Ruf als Filmbesessener, bauchpinselt die Kritik mit Referenzen auf teutonische Filmkunst, wobei die Hälfte der Zuschauer mit Jannings, Pabst und Piz Palü wohl kaum noch etwas anzufangen weiß. Das ist trotzdem ganz neckisch; ärgerlicher ist die sprunghafte Ästhetik des Films, er changiert entschlusslos zwischen Drama und Schenkelklopfer, und die willenlos verteilten Avantgarde-Streusel stören eher als dass sie helfen.

Aber. Das historische Setting lässt Teile des Films eine Resonanz entwickeln, die man bislang selten bei Tarantino fand (ob diese Resonanz nun gewollt ist oder nicht). Sein Sinn für astreinen Dialog und punktgenaue Figurenzeichnung sowie das exzellente Spiel besonders der deutschen Kollegen verhelfen einigen Konfrontationen, die in unkonventioneller, fast theatralischer Breite angelegt sind, zu einer Qualität, die den Selbstzweck anderer Passagen zu überstrahlen vermag. Eine richtige Balance stellt sich aber nicht ein (wie sie z. B. Peckinpahs »Cross of Iron« – ebenfalls um Deutsche, ebenfalls teilweise übersteigert – noch erreicht).

Letztenendes mag der Film nicht mehr sein als die Summe seiner Teile, doch bleibt er einer der lohnenderen und unterhaltsamsten des Sommers. Erleuchtung und Erlösung darf man nicht erwarten, und auch das große Kriegsabenteuer, das der reißerische Trailer augenzwin­kernd versprochen hatte, fand nicht statt – was gut ist. Die Scharte der »Death Proof«-Fingerübung haben die »Basterds« indes ausgewetzt, denn zwischen heiterem Filmrecycling und traditionellen Gewaltausbrüchen rutscht Tarantino hier tatsächlich auch großes Kino raus.