Archiv des Themenkreises ›Die Zeit‹


Die NYT, der NYRB, das TLS, der LRB

Leipzig, 23. April 2008, 14:08 | von Paco

Sapperlot noch mal, jetzt ist uns doch etwas durch die Lappen gegangen. Und zwar:

Michael Hofmann: »Die Literaturkritik sitzt huckepack und sagt, wo’s lang geht«. Zwischen Ruhm, Spott und Bescheidenheit: Vier Charakterphysiognomien der angelsächsischen Literaturkritik. (Aus dem Engl. von Axel Monte.) In: Süddeutsche Zeitung, 22. 12. 2007, S. 16. (vgl. Perlentaucher, Original hier als PDF)

Definitiv Top-10-Kaliber, jetzt eben apokryphe Schrift zu unserem Feuilleton-Reader für 2007.

Der in der S-Zeitung ganzseitige Text basiert auf einem Vortrag, den Michael Hofmann im November auf der Tagung »LitCrit« gehalten hat. Eberhard Falcke von der »Zeit« empfand ihn damals als »erhebendes Intermezzo«. Es geht darin um die 4 Leitsterne der weltweiten Literaturkritik, hier 13 Stichpunkte:

New York Times (NYT)

Seinen ersten Auftrag für einen NYT-Artikel ereilt Hofmann als »unergründlicher Gandenerweis aus der Welt der Götter«.

Zum Ansehen, zur Breitenwirkung der NYT: »Wer eine Besprechung in der NYT bekommt, und sei es ein Verriss, der hat es in gewisser Hinsicht geschafft.«

Zur Rezeption: Auch eine nicht besonders negative Kritik kann einem den rezensierten Autor oder dessen Freunde auf den Hals hetzen, wenn sie in der NYT erscheint, Hofmann bringt als Beispiel seinen Review eines Bandes von Donald Justice (»Note 2 plus«).

Die US-Verhältnisse sind also in Maßen vergleichbar mit dem Hörisch/Müller-Battle, ganz anders als in England, denn dort, »wo ich viel mehr und weitaus bissiger geschrieben habe, ist mir so etwas nie passiert, (…). Man reagiert dort nicht auf Rezensionen«.

New York Review of Books (NYRB)

Ein anglophiles Blatt: »wenn ich es in die Hände bekomme, mache ich mir den Spaß, nachzuzählen, wie viele Beiträge von Autoren von diesseits des Großen Teiches stammen, es sind immer um die fünfzig Prozent«.

»Abgesehen von ihrer Ostküstenvorliebe für (fast) alles Britische bleibt die NYRB für mich durch Umständlichkeit und Pedanterie gekennzeichnet. Dort erscheinen die einzigen Rezensionen, die regelmäßig mit Fußnoten aufwarten.«

Daher habe Hofmann auch nie für die geschrieben, denn ein abgeliefertes Manuskript kam mal mit einer Armada von Annotationen zurück, »ärgerlichen und einfältigen kleinen Fragen und Einwänden«: »Das Ding sah aus, als sei es tätowiert worden.«

Times Literary Supplement (TLS)

»Das TLS, das jede Woche vierzig bis fünfzig Seiten mit Rezensionen und Artikeln über Bücher füllen muss, ist für junge Autoren noch immer ein Geschenk des Himmels, auch wenn das Meiste heutzutage von Professoren verfasst wird«.

»Es ist meines Wissens die einzige englischsprachige Zeitschrift, die alle paar Monate ein oder zwei Seiten für Originaltexte in anderen europäischen Sprachen, zumindest den größeren, reserviert: Französisch, Deutsch, Spanisch, Italienisch.«

London Review of Books (LRB)

Sei im Gegensatz zur NYRB weniger umfangreich bei sowieso kürzeren Artikeln und »weniger aufgeblasen« als diese.

»Unter den Genannten ist es die einzige Zeitschrift, von der ich mir tatsächlich vorstellen kann, sie von vorne bis hinten durchzulesen; von der ich sagen kann, dass jede Ausgabe mit etwas Lesenswertem aufwartet, mit Beiträgen, an die man sich noch Jahre später erinnert«.

»Wenn ich mich beim TLS zu Hause gefühlt habe, dann hege ich für die LRB patriotische Gefühle. Sie ist eine kleine literarische Republik.«

Zum Stil: Die LRB liefere »einen Text, der Wissen voraussetzt, aber auch Nichtwissen respektiert; der gleichermaßen Leser, Nicht-Leser und (…) Autoren anspricht, der zugleich unterhält (immer wichtig in England!) und bildet«.


»Das beste Buch der jungen BRD«

Leipzig, 12. April 2008, 17:05 | von Paco

Florian Illies ist ja mittlerweile bei der »Zeit« und kann daher ganz regulär einen schönen Text im »ZEIT MAGAZIN LEBEN« schreiben, so wie vorgestern in Nr. 16 (10. 4. 2008), S. 12-15, Titel: »Walsers Nr. 1«, Inhalt: »Martin Walser wird gerade für sein Buch über Goethe gefeiert. Dabei sind seine ›Ehen in Philippsburg‹ von 1957 der wahre Klassiker.«

Illies hat vor allem das, was gutes Feuilleton seit mindestens Kleist auszeichnet: eine gute Idee. Der Autor muss so ein Hammervorhaben dann natürlich nicht immer gut umsetzen können (wie damals etwa Andreas Bernard mit seinem Kosenamen-Text im SZ-Magazin), aber Illies gelingt das hier.

Als Ausgangspunkt nimmt er Walsers Goethe-Bestseller »Ein liebender Mann«, mit dem er gerade das »ganze deutsche Heidenreich« bezirzt – allein diese Formulierung rechtfertigt diese Woche den Kauf der gesamten »Zeit«. Von dort blickt er 51 Jahre zurück, ins Jahr 1957, als Walsers Romanerstling »Ehen in Philippsburg« erschien.

Illies‘ erster Satz ist komischerweise dieser: »Das ist die Geschichte des besten Buches der jungen Bundesrepublik.« Wenn die Jungheit des Landes mindestens zwei Jahre weiter reicht, bis 1959, disst er mit diesem Satz die »Blechtrommel«, was zumindest gewagt ist. Das fulminante Grass-Romandebüt habe die »Ehen« ausgebootet, denn:

»Walser hatte den Fehler gemacht, zu einem Zeitpunkt über die Untiefen der Gegenwart zu schreiben, als das Land erst mühsam begann, sich den Untiefen der Vergangenheit zuzuwenden. (…) Man kann sagen, dass Walsers Ehen in Philippsburg über die fünfziger Jahre leider etwa fünfzig Jahre zu früh erschienen ist.«

Dann steht da noch, dass dieses Werk »vielleicht Walsers stärkstes Buch« sei (d’accord, abgesehen vom »Tod eines Kritikers«, hehe). Und daher wird beklagt, dass man es zwar als »Frühwerk, wichtig« abgestempelt hat, es aber nicht mehr liest. Na ja, die SZ-Redaktion hat es immerhin in die ersten 50 Bände ihrer Belletristik-Bibliothek aufgenommen, als Band 9, und wenn man nach den Amazon-Rezensionen geht, hat es da schon auch einige Leser gegeben.

Im Teasertext wurde angekündigt, dass »Geheimnisse gelüftet« würden. »Philippsburg« entspricht »Stuttgart«, soviel ist ja klar. Literaturwissenschaftlich ist es dann natürlich leicht unlauter, wenn Walser dann einfach mal Arno Schmidt als Vorbild für seine Figur des skurrilen Autors Berthold Klaff enthüllt.

Ob sich Walser in seinem Roman dann auch selbst den Journalisten Hans Beumann porträtiert hat, winkt Illies dann aber schnell als »unwichtige Frage« ab, es geht also doch vorrangig um Entertainment. Illies‘ Reportage ist ein DVD-Extra, ein CD-Bonustrack, ein Trivia-Eintrag in einem Wiki zum Buch, insofern: Eins-A-Feuilleton.

Die Pointe wird dadurch vorbereitet, dass Walsers »Ehen in Philippsburg« als heute wieder interessantes Buch dargestellt wird. Walser wird auch in diesem Sinne zitiert: »Ein Buch kann auf seine Leser warten.« Dann schildert Illies, wie die beiden vom Arbeits- hinunter ins Wohnzimmer gehen, und das ist der letzte Absatz:

»Martin Walser geht vor. Ein Autor kann auf seine Leser warten.«

Die Pointe geht absolut okay. Diese Ausführlichkeit dient hier natürlich auch nur der Vorbereitung unserer Sammlung von Pointenstrukturen im deutschsprachigen Feuilleton.

Usw.


Nachträglich zum Achtzigsten:
Die Klaus-Heinrich-Charts

Leipzig, 27. März 2008, 21:32 | von Paco

Am 23. September 2007 wurde Klaus Heinrich 80 Jahre alt. Also der Mensch, der das aus dem Blick geratene Altertum so vergegenwärtigt, dass die Philosophie des 20. Jahrhunderts daneben zuweilen alt aussieht (Stichworte: Heidegger, Strukturalismus).

Seine Dahlemer Vorlesungen waren eine derartige class of their own, dass die gesammelten Vorlesungsmitschriften eben auch »Dahlemer Vorlesungen« heißen dürfen, selbst wenn Heinrich und die Herausgeber der Reihe anfangs Zweifel hatten, ob dieser Titel nicht zu sehr nach Provinz klinge (›nie aus Dahlem rausgekommen‹ oder so, was ja letztlich auch stimmt, Henning Ritter nennt es schönerweise »intellektuelle Sesshaftigkeit«).

Alle überregionalen Feuilletons, die etwas auf sich halten (also alle außer »FR« und »Welt«, hehe), haben Klaus Heinrich mit einem Gratulationsartikel Respekt gezollt. Alle 4 Beiträge sind sehr gut, und deshalb werden sie hier zwar gerankt, aber wie (sagen wir mal:) Koransuren der Länge nach angeordnet, nicht unbedingt nach inhaltlichen Kriterien:

1. FAZ (Henning Ritter)
2. TAZ (Cord Riechelmann)
3. ZEIT (Klaus Hartung)
4. SZ (Thomas Meyer)

Jeder der Artikel ist mehr oder weniger zweiteilig. Erstens wird der Konnex zwischen Heinrichs Biografie und der Geschichte der Freien Universität in Berlin-Dahlem hervorgehoben; zweitens werden Heinrichs Forschungen zum »Verdrängten der Philosophie« beschrieben, einschließlich der Erwähnung des »eigentlichen Hauptwerks«, den nach studentischen Mitschriften und Tonbandaufnahmen edierten, bei Stroemfeld erscheinenden »Dahlemer Vorlesungen«, die auf ca. 40 Bände angelegt sind.

1. FAZ

Henning Ritter: Die lange Lehre zum kurzen Protest. In: FAZ, 22. 9. 2007, S. Z1-Z2.

Den meisten Platz räumt dem Jubilar die F-Zeitung ein, der Aufmacher der Beilage »Bilder und Zeiten« belegt ganze zwei großformatige Seiten! Auch das Foto auf der zweiten Artikelseite ist hervorragend: Klaus Heinrich vor einem Bücherregal, im Hintergrund schimmert u. a. das »Lexikon der alten Welt« heraus, das er in seiner Vorlesung »arbeiten mit ödipus« der Benutzung nur mit Vorsicht anempfiehlt. Es steht dann also trotzdem in Griffnähe bei ihm im Regal wie ein Beispiel seiner intellektuellen Redlichkeit, sehr gut.

Im Text selber holt Henning Ritter ganz weit aus und beginnt mit Walter Benjamin, mit der Benjamin-Rezeption der frühen 60er-Jahre, »noch bevor die Schlachten um den Marxisten Benjamin entbrannten, von dem man [damals] noch nichts wusste«. Außerdem werden sehr plastisch die Stellungskämpfe um den sozialwissenschaftlich ausgerichteten »Fachbereich 11« rekapituliert, in die neben Heinrich vor allem Peter Szondi und Jacob Taubes verwickelt waren.

Ritter beschreibt auch am ausführlichsten die Faszination der vorwiegenden Mündlichkeit der Lehre: Heinrich hielt seine Vorlesungen stets ohne Stichwortzettel oder Manuskript und betrieb trotzdem »detaillierte Exegesen zu griechischen Mythen, zu frühneuzeitlicher Wissenschaft, zu Kantischer oder Hegelscher Philosophie oder zu Heidegger«.

2. TAZ

Cord Riechelmann: Die Chance des Verschwindens. In: die tageszeitung, 22./23. 9. 2007, S. 20.

Auch die »taz« ist großzügig und spendiert eine ganze Seite ihres Feuilletons. Cord Riechelmann legt den Schwerpunkt auf Heinrichs Apotheose einer unabhängigen Universität. Sein gleichzeitiges Schulterzucken ob der Tatsache, dass auch die Universität inzwischen von ökonomischem Denken durchwirkt ist, hat damit zu tun, dass diese Institution für Heinrich auch nur episodischen Charakter hat als Ort einer (von ökonomischen Zwängen freien) unabhängigen Wissenschaft.

3. DIE ZEIT

Klaus Hartung: Denken, sprechen, anklagen, besser machen. In: Die Zeit, 20. 9. 2007, S. 56.

Der »Zeit«-Artikel legt den Schwerpunkt ein wenig auf das Verhältnis von Heinrichs Habilitationsschrift »Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen« (1964) und den Studentenprotesten, die ja bekanntlich in die Gewalt mündeten. Wobei es Heinrich eben auch immer wieder darum gegangen sei, die »Blutseite philosophischer Abstraktionen« aufzudecken. Auch Klaus Hartung beschreibt lebendig die Vorlesungsatmosphäre und darüber hinaus das Phänomen, dass Heinrich bei der Wirkmacht seiner Gedanken doch so »verfügbar entzogen« sei, so »präsent verborgen«.

4. SZ

Thomas Meyer: Der ewige Wissenstrieb. In: SZ, 22./23. 9. 2007, S. 14.

Trotz der Knappheit seines Artikels gelingt es Thomas Meyer, die Eigentümlichkeit von Heinrichs Denkstil zu umreißen und die wilden Jahre an der FU zu evozieren. Sogar seine spätere Rivalität zu Taubes kriegt einen Satz ab: »Dass dies [Heinrichs Forschungen] etwa beim philosophierenden Kollegen Jacob Taubes, der in allem das Gegenteil von Heinrich war, wütende Ausfälle provozierte, gehört zur Geschichte der produktiven Jahre der Freien Universität.« Auch Meyers Text ist wie die anderen Text da am stärksten, wo er Heinrichs Lehrumgebung, die FU, anekdotisch wieder aufleben lässt.


Hexameter-Kritik im Feuilleton

Leipzig, 23. März 2008, 23:49 | von Paco

Eine dem fremdsprachlichen Original adäquate Versübertragung ist immer noch die Königdisziplin unter allen Übersetzungsmöglichkeiten.

Im Rezensionswesen gehört neben der Kritik altägyptischer Papyri sicher die nicht-wohlfeile Hexameter-Kritik in die Schwergewichts­klasse. (Es ginge natürlich auch ganz billig, etwa wenn Zlatko Trpkovski die Blankverse einer Shakespeare-Verfilmung als »Deppengeschwätz« bezeichnet, hehe).

Zuletzt konnte sich die feuilletonistische Kritik an der Hexametrisierung der »Odyssee« durch Kurt Steinmann austoben, die im letzten Jahr in einer Prachtausgabe bei Manesse erschienen ist (übrigens einige Wochen bevor Raoul Schrott mit einem Langartikel in der F-Zeitung eine neue Debatte zur Herkunft Homers in Gang setzte – der Umblätterer berichtete).

Kurt Flasch in der FAZ lobte Steinmanns Neu-»Odyssee«, Johan Schloemann in der SZ verriss sie. Beide kritisierten aber unisono die Umsetzung in deutsche Hexameter. Flasch spricht von einer »Belastung durch das Versmaß«, Schloemann bezeichnet die Übersetzung als »vielfach rhythmisch holprig und sprachlich unelegant«. Zusammengenommen gibt es folgende Kritikpunkte:

– unnatürliche Wortverlängerungen und Verkürzungen (FAZ)
– Verrenkungen der deutschen Syntax (FAZ)
– unnatürlich starke Wortbetonungen (SZ)
– Tonbeugungen bei mehrsilbigen Wörtern (SZ)

In der NZZ lobt dann Hans-Albrecht Koch an Steinmanns Neuübersetzung vor allem die Hexameter, und zwar lustigerweise aus denselben Gründen, aus denen FAZ und SZ die Versifikation ablehnten:

»Nicht mechanisch fällt bei Steinmann immer der Wortakzent mit dem Versakzent zusammen, das nimmt seiner Sprache die Schwere. Das ist in der langen Tradition deutscher Hexameter-Übersetzungen ein wenig gewagt, aber es ist schön und entlastet.«

Jens Jessen in der »Zeit« widerspricht im Übrigen allen anderen, indem er das Hexametrisieren als Bewertungskriterium herabwürdigt:

»(…) die Leistung einer neuen Übersetzung wird niemals in den Hexametern bestehen. Sie sind die leichteste Übung.«


»Die rasende Radisch«: Die FAS vom 24. 2. 2008

Leipzig, 24. Februar 2008, 23:03 | von Paco

Bevor es gleich ums FAS-Feuilleton geht: SP*N hat eben einen leicht launigen Geburtstagsgruß Richtung »Monocle« geschickt. Darin wird mal schlagend zusammengefasst, was das Magazin so angenehm macht: »Keine IT-Milliardäre, keine Celebrities, kein YouTube-Hype.« Klingt wie das Gegenteil von SP*N, hehe.

Wir lesen »Monocle« übrigens genauso regelmäßig wie die FAS, und damit zur aktuellen Ausgabe, die man am heutigen Sommersonntag mitten im Februar schon auf den Terrassen aller Kaffeehäuser des Monats lesen konnte.

Aufmacher ist ein Gespräch zwischen Julia Encke und Charlotte Roche. Die beiden siezen sich, und das wirkt irgendwie unfreiwillig komisch, wenn es dabei um Masturbation im Badezimmer und Intimrasuren geht.

Dann Klaus Theweleit zu Littell und den »Wohlgesinnten«. Auf der Seite prangt wieder die Thalia-Werbung (»Das beste Buch des Monats!«), dieser freiwillige oder unfreiwillige Gag kommt immer noch so gut wie letzte Woche.

FAS, Buch des Monats, im Hintergrund die Peterskirche

Nun aber zu Theweleits Aufsatz: Auf diese Stimme hat man irgendwie gewartet. Tilman Krause hatte ja in der »Welt« dreisterweise sogar geschrieben, dass Littell »unserem Bild vom faschistischen Charakter neue, über Theweleits ›Männerphantasien‹ hinausgehende Züge gibt«, und da ist es an der Zeit, dass er selbst spricht.

Zunächst arbeitet sich K. T. aber an der (meiner Meinung nach sehr guten) Rezension von Iris Radisch in der »Zeit« ab. Er nennt sie die »rasende Radisch«, und sofort ist klar: Es geht ein bisschen um Polemik.

Er kann Radisch jedenfalls nicht plausibel widerlegen. Ihm gelingt es aber, und das ist viel wichtiger, eine neue Phase in der Debatte um das Nicht-Jahrhundertbuch (Schirrmacher) einzuleiten. Es geht jetzt um Details, nicht mehr um das große Ganze, über das ohnehin schon alles gesagt wurde, bevor das Buch gestern offiziell erschienen ist.

Die Artikelüberschrift – »Der jüdische Zwilling« – deutet schon an, worin Theweleit einen interpretatorischen Schlüssel vermutet, nämlich in der Darstellung der »affektiv-intellektuellen Symbiose des ›Deutschen‹ mit dem ›Jüdischen‹«. Insgesamt psychologisiert Theweleit etwas zu mutig, es wurde mir auch etwas schwindlig dabei, sozusagen, aber den Aufsatz sollte man sowieso am besten nächste Woche noch mal lesen.

Als es am Ende noch mal um die literarische Qualität geht (die den »Wohlgesinnten« ja reihenweise abgesprochen wurde), prägt Theweleit übrigens, womit er eigentlich die Littell-Kritiker imitieren will, das Wort vom »Literaturgefreiten Littell«, und das ist doch mal eine schöne plastische Formulierung.

Ein paar Seiten weiter gibt es ein Interview, das der Interviewkünstler André Müller mit der Violinistin Julia Fischer geführt hat (die Stefan Raab und Tokio Hotel nicht kennt). Wie es sonst nur bei Jonas Kaufmann üblich ist, stellt Müller der Bildungsgeigerin beständig Fragen nach ihrem Aussehen, die sie aber alle abwehrt. Dann folgende Stelle:

Müller: »Kunst, sagen Sie, ist nicht Unterhaltung.«

Fischer: »Ja, das sage ich, denn ich finde, es gibt eine Trennlinie zwischen der Kunst und dem Entertainment.«

Diese Stelle ist deshalb so herrlich, weil genau auf der gegenüberliegenden Seite Reich-Ranicki widerspricht, Schiller zitierend:

»Der Zuschauer [und natürlich der Leser; R. R.] will unterhalten und in Bewegung gesetzt sein. Das Vergnügen sucht er …«

In der FAS haben schönerweise auch Widersprüche Platz, hehe.

Und zum Schluss noch, hätte ich fast überlesen, die Kolumne »Nackte Wahrheiten«, heute bespielt von Claudius Seidl. Er rechtfertigt sich dafür, dass das Bestsellerbuch »Generation Doof« nicht von der FAS besprochen wird. Denn »die beiden Autoren (waren) beim sogenannten Kerner eingeladen«, und C. S. hat zugesehen und den Titel des Buches offenbar auf das Autorenduo beziehen müssen, und dann wurde entschieden:

»Nein, haben wir vom Feuilleton zu uns selber gesagt, ganz gegen unsere Gewohnheit: Angesichts dieser Variante der Dummheit erklären wir uns einfach mal für unzuständig.«


Matthias Grünewald in Karlsruhe

Karlsruhe, 21. Februar 2008, 11:38 | von Austin

Der Umblätterer unterwegs. Heute: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, »Matthias Grünewald und seine Zeit«. Die vollste und stressigste Ausstellung seit langem. Gute Güte. Menschenmassen. Bildungswillige Rentner drängen sich durch die Räume; hunderttausend Jahre verstellen einem den Weg.

Eine absolute Unsitte: Diese schwarzen Ausstellungsklappstühle. Rentner brauchen sie nicht, um sich mal hinzusetzen (dazu nehmen sie ihren Rollator mit), sie schieben damit die Konkurrenz weg, klappen sie vor dem Bild blitzschnell auf und sichern sich so einen unverrückbaren Blick in der ersten Reihe.

Allerdings sind auch viele Besucher von der Bedienung der monströs geratenen Handapparate der Audio-Guides mehr gefangen genommen als von der Ausstellung. (»Der Faltenwurf ist ganz bemerkenswert.« – »Wo steht das?« – »Sagt der Guide hier.« – »??« – »Taste 20!« – »??« – »Du tippst 0020!«)

Und dennoch wehen durch die Räume von allüberall immer wieder Fetzen des vertrauenswürdigen Baritons aus dem Audio-Guide, wie er mit warmer Stimme die Angst vor der Kunst nimmt: … vor dunklem Hintergrund liegt der Leichnam Jesuwird der Blick des Betrachters gelenkt aufdahinter, am Rand des Bildes, ein Mann … Irgendwie kommt es einem so vor, als ob diese Stimme darauf mittlerweile in vielen Museen das Monopol hat, eine Art Christian Brückner der Kunstaufbereitung.

Ansonsten wird mit viel Materialaufwand verhangen, dass der Isenheimer Altar als das uneinholbare Hauptwerk, die »Supernova der Kunst«, wie die »ZEIT« grandioserweise titelte (6. 12. 2007), nun einmal in Colmar hängt. Bei manchen Besuchern geht der Schock noch tiefer: »Ursula, die Bilder sind gar nicht alle von dem Grünewald.«

Bemerkenswerterweise, ein Seitenaspekt der Kunstgeschichte, sind im 16. Jahrhundert Jesus et al. zu ca. 80 Prozent an expliziten Stellen rasiert. Würden sie heute in jeder Sauna durchgehen.

Im Übrigen viel Bourdieu. Vor Grünewalds »Kreuzigung« vom Tauberbischofsheimer Altar: »Schau mal, Marias gefaltete Hände.« – »Ja. Aber die ›Betenden Hände‹ von Dürer finde ich doch besser. Die sind so toll.« Dann, am Nachbarbild, tatsächlich live, the everlasting Top-Act in allen Museen: »Also, wir gehen dann jetzt langsam.« – »Ja, man kann sich ja gar nicht alles anschauen.«

Genau. Und deshalb hier der nutzpraktische Service des Umblätterers: Die drei Bilder, die man gesehen haben sollte. Und dann kann man eigentlich fast auch schon wieder gehen.

1) Die »Kreuzigung« des Tauberbischofsheimer Altars (Nr. 50). Nicht wegen der Hände Mariens, sondern weil die Kreuzigung fast so tot und wüst ist und so viel unendliche Leere verströmt wie die des Isenheimer Altars. Nicht ganz, aber fast. (Als Ergänzung: Nr. 83, »Christus am Kreuz«. Kohlezeichnung. Das Ganze in schwarz-weiß.)

2) Grünewalds »Beweinung Christi« (Nr. 105). Diesmal wegen der Hände Mariens. Knapp über dem bildfüllend hingestreckten Leib Christi platziert, sind sie auch das einzige, was in diesem Supercinemascope-Format überhaupt von Maria zu sehen ist. Der Rest, und also überhaupt die eigentliche Beweinung, liegt jenseits des Rahmens im Ungemalten – ausgespart, angedeutet, über den Bildrand hinaus gedacht. Was für eine Erzählperspektive. (Der drängendste Verwandte dazu: Hans Holbein d. J., »Der Leichnam Christi im Grabe«, Kunstmuseum Basel.)

3) Als Fan gegenwärtiger US-amerikanischer TV-Serien, als Fan des Weglassens & Andeutens, als Verfechter kühner Perspektiven, als Anhänger kultivierten Erzählens [siehe auch 2)] kam der Umblätterer nicht vorbei an Hans Baldung Griens »Beweinung Christi« (Nr. 106), einer Leihgabe aus der schönen und von uns auch sehr geliebten Stadt Innsbruck. Weil: Christus liegt am Boden, und von den Übrigen der am Kalvarienberg Hingerichteten zeigt uns HBG nur noch die Füße.

Die Ausstellung kostet 9 Euro Eintritt. Das macht pro Bild 3 Euro. Nimmt man die Zeichnung noch hinzu, sind es sogar nur 2,25 Euro. Das geht absolut okay.


Endlich fertig: Die Feuilleton-Charts 2007

Leipzig, 15. Januar 2008, 00:30 | von Paco

Hier sind sie, die Autoren und Zeitungen der 10 besten Artikel aus den Feuilletons des Jahres 2007:

1. Renate Meinhof (SZ)
2. Peter Richter (FAS)
3. Henning Sußebach (ZEITmagazin LEBEN)
4. Jean-Philippe Toussaint (FAS/FR)
5. Robin Meyer-Lucht (SZ-Magazin)
6. Ursula März/Claudia Schmölders (Zeit)
7. Matthias Matussek (Spiegel)
8. Heribert Prantl/Remigius Bunia (SZ/FAZ)
9. Henning Ritter (FAS)
10. Jan Wigger (SPON)

Kurze Begründungstexte und Links (sofern vorhanden) gibt es auf dieser Seite, die sich wie schon die Top-10s für die Jahre 2005 und 2006 direkt von der rechten Seitenleiste aus aufrufen lässt.

Auch in diesem Jahr speichert die Liste unseres Erachtens snapshotartig ein repräsentatives Bild des Lebens in den Feuilletons im Jahr 2007. Zusammen bilden die Texte ein erstklassiges virtuelles Lesebuch, und wer den ein oder anderen Artikel noch nicht gelesen hat, sollte dies unbedingt nachholen – es sind alles Krachertexte, die jede Zeile wert sind.

Vor allem unser Lieblingstext, Renate Meinhofs Porträt eines 90-jährigen Wagnerianers, ging uns nicht mehr aus dem Kopf. Er ist im Juli erschienen, aber noch im November und Dezember sprachen wir gelegentlich über das Bayreuth-Erlebnis des Walter Odrowski, seine »Eppendorfer Heimoper« und seine Reaktion auf Stoibers Ignoranz.

Odrowski wollte auf dem Staatsanfang nach der »Meistersinger«-Premiere dem damaligen Ministerpräsidenten für die Einladung danken, dringt aber mit seinen dünnen Worten nicht zu ihm durch, bis es ihm schließlich auch egal ist und er im Hinblick auf Stoibers leicht unfreiwillige Demission trocken kommentiert: »Na macht nichts, nächstes Jahr ist der auch nicht mehr hier.«

Meinhofs Idee, dass Odrowski ein bisschen aussieht wie Franz Liszt und die diesbezügliche Bestätigung durch das zugehörige Foto sorgen zusätzlich dafür, dass man dieses Porträt nicht so schnell vergisst.


Bücher, Kino, Ben Gurion, Super illu, München

München, 13. Januar 2008, 00:26 | von Paco

I.

Ruhige Tage in Gedera. Wir lagen am Hinterhof-Pool und ließen uns die Passionsfrüchte und Kakis auf die Köpfe prasseln. Nebenbei lasen wir. Ich den neuen Andreas-Eschbach-Roman, der im November als Taschenbuch erschienen ist. Millek zog mich so lange damit auf, bis ich ihm das Schirrmacher-Empfehlungszitat auf dem Buchrücken zeigte.

Ich las auch endlich Jens Biskys Kleist-Buch, das ich hiermit jedem empfehle. Außerdem zog ich widerum Millek damit auf, dass er Pascal Mercier, »Nachtzug nach Lissabon«, las. Seine Rechtfertigung: Weihnachtsgeschenk. Als Belohnung las er mir ab und zu seine Lieblings-Frauenbuch-Sätze (no offence!) daraus vor.

Ansonsten unterhielten wir uns über die Top-10. Es ging vor allem um das Autorenporträt-Gespräch »Wie sehen die denn aus?« zwischen Ursula März und Claudia Schmölders, erschienen im Januar 2007 in der »Zeit«. Jedenfalls: unsere Feuilleton-Charts sind nach diesen letzten Reibereien endlich fertig, VÖ am Dienstag, 15. 1. 2008.

II.

Gestern abend dann in Ness Ziona, kleine Party mit den leidenschaftlichen Bloggerjournalisten von israelvalley.com. Und plötzlich geht es um dieses eine Starbucks in Paris in der Nähe der Opéra, genau da, definitives Kaffeehaus des Monats, dort kann man Zeitungen lesen als ob es kein Morgen gäbe sozusagen.

Dann über den sehr sehr sehr guten neuen Claude-Lelouch-Film »Roman de gare«. Wir sahen ihn neulich im Dizengoff. Und waren begeistert. Der Film hätte ein bisschen eher enden sollen, das sagen alle, wirklich alle. Wie auch immer, die Art, wie da die immer wieder wechselnden Erzählrahmen um die Kerngeschichte geworfen werden, ist grandios.

Es geht ein bisschen zäh los, aber schon bei der ersten Begegnung des Nègre/Ghostwriters mit der Ex-sagen-wir-mal-»Friseurin« weiß man, dass das ein gut geschriebener Film ist. Der Ghostwriter beschreibt in dieser Szene am Straßenrand minutiös seine Arbeit hinter den Kulissen der Erfolgsautorin, nur um diese Informationen dann selbst für ausgedacht zu erklären. Usw.

III.

Ben Gurion Airport. Heute morgen wollte ich gerade das Display des Laptops entstauben, als mich Millek davon abhielt und meinte, dass die Security das auf dem Airport gleich selber machen würde. Gute Idee. Insofern ein Loblied auf die Sicherheitsmaßnahmen vor Ort, die übrigens auch der Turmsegler Benjamin Stein vor einer Woche über sich ergehen lassen musste.

Vorher noch schnell gebloggt, dann Übergabe des Bloggeräts an die Sicherheitskräfte, und jetzt läuft das Thinkpad viel leiser, da nach dem Auseinanderlegen die ganzen Staubhindernisse weg sind und der Lüfter die Prozessorwärme wieder frei hinausposaunen kann.

Back in Munich, mit der S8 zum Isartor. Die Frau gegenüber liest wirklich und tatsächlich die SUPER illu, es ist nicht zu fassen, die SUPER illu in Bayern. In diesem Zusammenhang erinnere ich an den umbedinkt lesenswerten taz-Artikel zum Thema, erschienen Anfang Oktober, geschrieben von Jenni Zylka.

IV.

Morgen: Parmigianino in der Alten Pinakothek.


Das Autorenfoto-Pingpong

Konstanz, 21. November 2007, 21:02 | von Marcuccio

Es ist Palmas Artikel des Jahres: ein Beitrag, der das Autorenfotojahr 2007 ihrer Meinung nach überhaupt erst einläutete, ein Gespräch aus der guten, alten »Zeit« (Nr. 4/2007), das im Neujahrskater des noch frischen Feuilletonjahres 2007 leicht übersehen worden sein könnte.

Da trafen sich mit Ursula März und Claudia Schmölders (»Hitlers Gesicht«) zwei ausgewiesene Feuilletonfrauen, breiteten stapelweise Verlagskataloge vor sich aus und unterhielten sich einfach mal über Autorenfotos, zum Beispiel über Peter Handke (hier Suhrkamp-PDF öffnen und auf S. 3 das Foto checken):

»Er ist im Profil zu sehen, ganz wichtig. Das ist schon georgemäßig.«

»Aber es gibt doch Dutzende Schriftsteller, die im Profil fotografiert wurden.«

»Ja, aber George wollte aussehen wie Dante. Die frühe Ikonografie von Fürsten war eine Profilikonografie […].«

Fast schon ein Autorenfoto-Pingpong, wie das auf Augenhöhe hin und her ging. Der Witz der ganzen Sache war, dass die Damen März und Schmölders in Wahrheit eine Art »Was bin ich?« mit Autorenfotos spielten:

»Auf welchem Bahnhof kommen wir denn mit diesem Foto an?« 

»Außerordentlich attraktiv, jung, leicht geöffneter Mund, mit Rückenlicht fotografiert, so dass die langen Haare besser zur Geltung kommt [sic!]. Undefinierbar zwischen Film und public life. […] Auf alle Fälle […] ein absoluter Ausweis des visuellen Zeitalters. Die Botschaft dieses Fotos lautet: Komm in meine Lesung. Lern mich leibhaftig kennen. Und das ist für die Literatur schon ein problematischer Aspekt. […] Die Botschaft des Bildes ist rein biologisch und kosmetisch. Das hat mit Text gar nichts zu tun.«

»… aber eben ganz viel mit Paratext«, flötet mir Palma, fast schon erregt, ins Ohr. Indes sinniere ich noch, wo & wann ich Marisha Pessl eigentlich zum ersten Mal ›begegnet‹ bin. Ich glaube, es war irgendwann im Frühling in der FAS: der wunderbare (wieder mal ein wunderbarer) Artikel von Johanna Adorján, der einerseits total auf Homestory machte und andererseits vermittelte, dass die literarische und visuelle Makellosigkeit dieser jungen Autorin der Gattung »American Streber« (Georg Diez) irgendwo auch ein Gefängnis sein muss.

Doch zurück zum »Zeit«-Gespräch, das eigentlich ein Wahnsinn war: Zum ersten Mal im deutschen Feuilleton (sagt Palma) wurde ein literarischer Bücherfrühling ausschließlich anhand der Optik seiner Autorinnen und Autoren besprochen. 

Und Palma hat Recht:

Ein solches Unterfangen, angesiedelt irgendwo zwischen Lavater und »Bunte«-Stylecheck, gehört hier schon allein deshalb nominiert, weil es ganz unmerklich eine Schallmauer durchbrach. Wo die Kritik heutzutage Debütantinnen fast schon prophylaktisch auf Fräuleinwunder-Fakes testet und auch so manches Debüt der männlichen Kollegen als Mogelpackung entlarvt, war ein klärendes Gespräch halt einfach mal überfällig. Hier wurde, als Plauderthema getarnt, ein Phänomen besprochen, ein latentes Dauerthema der letzten und nächsten Jahre, für das man noch gar keinen richtigen Namen hat.

Jedenfalls ist sich Palma ziemlich sicher: Für irgendjemanden da draußen war es bestimmt auch eine echte Steilvorlage, aus der früher oder später endlich das noch immer nicht geschriebene Standardwerk über das Autorenfoto enstehen kann. Palma wörtlich: »Mehr Zuspiel kann und mag man vom Feuilleton doch gar nicht erwarten.«


»Autogeographie«

Konstanz, 12. November 2007, 16:05 | von Marcuccio

P. S. Ich bin Landkarten-Hardliner. Erdkunde zählte schon zu meinen Lieblingsfächern, als sie noch Heimat- und Sachkunde und nicht Google Earth hieß. Ich bin auch der Meinung, dass alle Nerv-Navis dieser Welt das bisschen Restgeografie, das wir in unseren Köpfen noch haben, zerstören.

Und natürlich, niemand will zurück zum Schmalkunde-Lehrer der Marke »Geo & Sport«. Aber wirklich verwunderlich, nein beängstigend war schon, dass Missing Montenegro niemandem auffiel, noch nicht mal den Kollegen vom Tagesschau-Blog.

Dabei waren doch gerade erst positive Anzeichen einer Re-Geografisierung unseres Kulturkreises zu spüren:

»Die Zeit« erfand mit ihrer Deutschlandkarte eines der innovativsten Formate des Jahres, die FR postete zur Einführung ihres neuen Formats eine Weltkarte des Tabloids, und der frauenlose deutsche Osten hätte wohl längst nicht so schöne Pointen abbekommen, wäre die Lila-Landkreis-Optik nicht überall präsent gewesen.

Schönes Erdkunde-Feuilleton war auch, als Claudius Seidl, bester Feuilleton- und Reise-Ressortleiter seiner Zunft, diese ganzen Burma-Birma-Myanmar-Toponyme der Nachrichtensprache aufspießte (FAS vom 30. 9., S. V 1). Und last but not least gab es da noch diese Thomas-Cook-FAS vom 23. 9., in der Jonas Siehoff (S. 71-73) eine Lanze für die Geografie als solche brach.

Nur die Karten-Redaktion der Tagesschau übte sich in ihrer »Autogeographie«. War das nicht eigentlich das Genre, das gerade in der F-Zeitung vorabgedruckt wird?