»Das beste Buch der jungen BRD«

Leipzig, 12. April 2008, 17:05 | von Paco

Florian Illies ist ja mittlerweile bei der »Zeit« und kann daher ganz regulär einen schönen Text im »ZEIT MAGAZIN LEBEN« schreiben, so wie vorgestern in Nr. 16 (10. 4. 2008), S. 12-15, Titel: »Walsers Nr. 1«, Inhalt: »Martin Walser wird gerade für sein Buch über Goethe gefeiert. Dabei sind seine ›Ehen in Philippsburg‹ von 1957 der wahre Klassiker.«

Illies hat vor allem das, was gutes Feuilleton seit mindestens Kleist auszeichnet: eine gute Idee. Der Autor muss so ein Hammervorhaben dann natürlich nicht immer gut umsetzen können (wie damals etwa Andreas Bernard mit seinem Kosenamen-Text im SZ-Magazin), aber Illies gelingt das hier.

Als Ausgangspunkt nimmt er Walsers Goethe-Bestseller »Ein liebender Mann«, mit dem er gerade das »ganze deutsche Heidenreich« bezirzt – allein diese Formulierung rechtfertigt diese Woche den Kauf der gesamten »Zeit«. Von dort blickt er 51 Jahre zurück, ins Jahr 1957, als Walsers Romanerstling »Ehen in Philippsburg« erschien.

Illies‘ erster Satz ist komischerweise dieser: »Das ist die Geschichte des besten Buches der jungen Bundesrepublik.« Wenn die Jungheit des Landes mindestens zwei Jahre weiter reicht, bis 1959, disst er mit diesem Satz die »Blechtrommel«, was zumindest gewagt ist. Das fulminante Grass-Romandebüt habe die »Ehen« ausgebootet, denn:

»Walser hatte den Fehler gemacht, zu einem Zeitpunkt über die Untiefen der Gegenwart zu schreiben, als das Land erst mühsam begann, sich den Untiefen der Vergangenheit zuzuwenden. (…) Man kann sagen, dass Walsers Ehen in Philippsburg über die fünfziger Jahre leider etwa fünfzig Jahre zu früh erschienen ist.«

Dann steht da noch, dass dieses Werk »vielleicht Walsers stärkstes Buch« sei (d’accord, abgesehen vom »Tod eines Kritikers«, hehe). Und daher wird beklagt, dass man es zwar als »Frühwerk, wichtig« abgestempelt hat, es aber nicht mehr liest. Na ja, die SZ-Redaktion hat es immerhin in die ersten 50 Bände ihrer Belletristik-Bibliothek aufgenommen, als Band 9, und wenn man nach den Amazon-Rezensionen geht, hat es da schon auch einige Leser gegeben.

Im Teasertext wurde angekündigt, dass »Geheimnisse gelüftet« würden. »Philippsburg« entspricht »Stuttgart«, soviel ist ja klar. Literaturwissenschaftlich ist es dann natürlich leicht unlauter, wenn Walser dann einfach mal Arno Schmidt als Vorbild für seine Figur des skurrilen Autors Berthold Klaff enthüllt.

Ob sich Walser in seinem Roman dann auch selbst den Journalisten Hans Beumann porträtiert hat, winkt Illies dann aber schnell als »unwichtige Frage« ab, es geht also doch vorrangig um Entertainment. Illies‘ Reportage ist ein DVD-Extra, ein CD-Bonustrack, ein Trivia-Eintrag in einem Wiki zum Buch, insofern: Eins-A-Feuilleton.

Die Pointe wird dadurch vorbereitet, dass Walsers »Ehen in Philippsburg« als heute wieder interessantes Buch dargestellt wird. Walser wird auch in diesem Sinne zitiert: »Ein Buch kann auf seine Leser warten.« Dann schildert Illies, wie die beiden vom Arbeits- hinunter ins Wohnzimmer gehen, und das ist der letzte Absatz:

»Martin Walser geht vor. Ein Autor kann auf seine Leser warten.«

Die Pointe geht absolut okay. Diese Ausführlichkeit dient hier natürlich auch nur der Vorbereitung unserer Sammlung von Pointenstrukturen im deutschsprachigen Feuilleton.

Usw.

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