Das Consortium tagt …

St. Moritz, 2. Januar 2010, 08:42 | von Paco

… da, wo es schön ist (Kommando Malojaschlange):

St. Moritz, Zarathustra auf Skiern

Im Hintergrund: Zarathustra auf Skiern. Und von oben scheint der Große Mittag ins Bild hinein. Die Ergebnisse der täglichen Après-Ski-Tagungen erscheinen dann hier ordnungsgemäß am 12. Januar.

Feuilletonistische Grüße,

Paco
–Consortium Feuilletonorum Insaniaeque–

Vorwort zum laufenden Feuilletonjahr (6/2009)

Paris, 30. Dezember 2009, 09:12 | von Paco

Ein schönes Bild

1. Der Umblätterer – 5 Jahre Feuilleton-Exzellenz-Initiative. Bald:

2. Am 12. Januar erscheint hier die fünfte Ausgabe unserer jährlichen Feuilleton-Top-Ten. DER GOLDENE MAULWURF wird also wieder verliehen. Letztes Jahr ging er an Iris Radisch für ihren herausragen­den Littell-Verriss. In diesem Jahr haben es bis jetzt 30 Feuilletontexte in die Longlist geschafft (noch sind eineinhalb Tage Zeit, hehe). Die endgültige Auswahl erfolgt dann nach der Lektüre der Silvester­ausgaben. Die Beratungen werden bis zum Schluss andauern, harte Kämpfe innerhalb des Consortiums zeichnen sich schon jetzt ab.

3. »UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali hat sich für den Weltfrieden ausgesprochen.« (Meldung auf Deutschlandfunk, Anfang/Mitte 90er)

4. Der in Vorwort 4/2009 unter Nr. 9 erwähnte Aufsatz über die Kommentatoren in Alban Nikolai Herbsts Dschungel-Weblog ist fast fertig. ANHs Position wird darin mit einem Wort Zarathustras herausgestrichen werden: »Ich bin nicht auf der Hut vor Betrügern, ich muss ohne Vorsicht sein: so will es mein Loos.« – Der Satz fällt im Vierten Teil des Nietzschebuches, im Gespräch mit dem Zauberer (einem Prä-Internet-Troll), der den Wanderer mit seinem Kohlenbecken-Gedicht zum Narren halten will.

5. »Sie habe nicht alles von Christian Kracht gelesen, aber ›1979‹ habe ihr auch gefallen, sagt Judith Hermann.« – http://bit.ly/5vFvUZ

6. Angesprochen auf Schillers Gedichtfragment »Deutsche Größe« sprach Minister zu Guttenberg von einem »gedichtähnlichen Zustand«.

7. Die 7. Staffel von »Curb Your Enthusiasm« hat neulich spektakelartig geendet, versehen mit mehreren Momenten TV-Geschichte. (Unser Episodenführer.)

8. Nächstes Jahr noch die letzte Staffel »Lost«, und das war es dann erst mal mit den US-Serien. In »Desperate Housewives« geht es ja mittlerweile auch nur noch darum, dass irgendwelche Leute sinnlos in der Vorstadt herumwohnen.

9. Weiter im TEXT.

 
Weitere Vorworte des Herausgebers zum aktuellen Jahrgang

 
I (29. 1.)  —  II (20. 4.)  —  III (22. 5.)  —  IV (29. 9.)  —  V (29. 11.)
 

Der Titelkopf der F.A.Z.

Paris, 29. Dezember 2009, 11:08 | von Paco

Bis auf eine wirklich SCHLIMME Wortspielerei auf Seite 154 ist das Buch »loslabern« von Rainald Goetz das Buch des Jahrzehnts, also zumindest der zweiten Hälfte meines Lesemonats Dezember.

Darin auch ENDLICH mal eine zitierfähige Passage zum größten bestehenden MYTHOS der Zeitungswelt, dem frakturenen Titelkopf der F.A.Z. – Teil dieses Titelkopfes ist ja nämlich folgende Zeile:

HERAUSGEGEBEN VON WERNER D’INKA, BERTHOLD KOHLER, GÜNTHER NONNENMACHER, FRANK SCHIRRMACHER, HOLGER STELTZNER

Und jetzt RAINALD GOETZ:

»Wer war eigentlich Holger Steltzner, und warum kannte ich den nicht? Ich kannte seinen Namen als den eines der Herausgeber der Zeitung, wusste aber nicht einmal, welches Ressort er verantwortete, Berthold Kohler, wer bist du?, was machst du?, zeig dich doch mal bitte kurz. Ein Sympathieflash für diese Nonfaces an der Spitze dieser Riesenzeitung erfasste mich, zugleich die Einsicht in das Wahnhafte meiner Obsession mit Zeitung überhaupt, mit dieser Art gedruckter, täglich sich erneuernder Totalöffentlichkeit.« (S. 79f.)

Usw.

Die Idee

Paris, 27. Dezember 2009, 08:20 | von Paco

Maxim Biller vs. Henryk M. Broder. In dem ganz herausragenden Doppelinterview des SZ-Magazins von vor zwei Wochen (11. Dez. 2009), heißt es:

SZ-Magazin: Warum ist das Gespräch nie zustande gekommen?

Broder: Weil keiner die Idee hatte.

Diese Idee dann also tatsächlich zu haben, genau das ist spitzen­mäßiges Spitzenfeuilleton. Das Gespräch ist nachher ein Selbstläufer. Das ganze schöne Stück liest sich weg wie warme Bagels, wie ein Mix aus »Curb Your Enthusiasm« und »Die Wohlgesinnten«, wie die besten Texte der polemischen Überfeuilletonisten der Zwanzigerjahre (und das meine ich jetzt alles positiv, hehe).

Also: Mehr Ideen wagen. Durs Grünbein muss mit Uwe Tellkamp sprechen. Und Rainald Goetz wird für eine Stunde mit Joachim Lottmann zusammen­gesperrt. So was.

Usw.

Christian Klippel: »Es hatte Sinn« (1979/1984)

Paris, 21. Dezember 2009, 10:59 | von Paco

»Es hatte Sinn, in ’ner WG zu wohnen, ZDF zu sehen, TAZ zu lesen, es hatte Sinn, Palästinensertücher, Parkas, Transpa­rente zu tragen. Marx hatte Sinn, Hegel, die Bremer Stadt­musikanten. Alles hatte Sinn.«

Gerade von mir im Online-Feuilleton satt.org herausgegeben: »Es hatte Sinn«. Der Text ist zuerst in der sagenhaften 1274-sei­tigen »MAMMUT«-Anthologie des März Verlags erschienen (1984). Es handelt sich um die letzten Seiten des ersten Kapitels des unveröf­fentlichten Romans »Metro Babylon«, die 1979 entstanden sind.

Christian Klippel (der sich zeitweise »Kristian Klippel« nannte) be­schreibt darin einen Besuch am Grab von Jim Morrison auf dem Père Lachaise in Paris. Der wiederkehrende Satzbeginn »Es hatte Sinn« bildet den Refrain zu einer beeindruckenden Phänomenologie der 60er- und 70er-Jahre, die DAS KULTURELLE ARCHIV reichhaltig be­stückt. (PEZ-Spender kommen sonst nur noch in alten »Seinfeld«-Folgen vor, hehe.)

Voyage Voyage (Teil 5):
Der Tourismus-Superlativ

Konstanz, 19. Dezember 2009, 08:12 | von Marcuccio

Am 26. April 2009 definierte Andreas Lesti in der Randspalte des FAS-Reiseteils den Tourismus-Superlativ.

Beispiele für diese grammatikalische Sonderkategorie kennt man ja: Der zweithöchste freistehende Berg der Welt, der drittgrößte Binnensee Mitteleuropas, die längste baumfreie Nordabfahrt in den Westalpen usw.

»Da muss man erst mal abholzen, um zu erkennen, dass es hier um die ›längste Abfahrt der Alpen‹ geht. Weil es aber nicht die längste Abfahrt der Westalpen ist, und auch nicht die längste Nordabfahrt der Westalpen, rechtfertigt sich dieser Superlativ erst über die vierte baumfreie Einschränkung.«

Und weil Lesti ein ausgewiesener Kenner alpiner und anderer Superlative ist, liefert er uns die lexikonfertige Definition des Tourismus-Superlativs gleich dazu:

»Das Grundprinzip des Tourismus-Superlativs lautet: Man muss ihn so lange einschränken, bis die Kategorie so speziell, spezieller, am speziellsten ist, dass es keine Gegner mehr gibt. Die Marketingleute gehen also nicht vom Superlativ selber aus, sondern von der Konkurrenz, die sich durch – das muss man zugeben – beachtlich kreative Einschränkungen eliminieren.«

Im Guinness-Buch der (Pseudo-) Rekorde würde der touristische Superlativ also wahrscheinlich noch nicht einmal auffallen. Schön wäre aber auch mal eine Art Enzensberger-Poesieautomat der Fremdenverkehrssprache, in der jede (vermeintliche) USP einer Destination automatisch einen so noch nie gehabten Superlativ erzeugt. Die generative Grammatik des Tourismus freut sich jedenfalls auf weitere Kapitel.

(Der Lesti-Artikel ist leider nicht online, Spuren davon hier.)

Voyage Voyage (Teil 4):
Die Häkeldecke aus wetterfestem Weichgummi

Konstanz, 16. Dezember 2009, 10:33 | von Marcuccio

Und auch heuer gab es wieder ein paar schöne Reise-Stücke. Da wäre zum Beispiel Claus Spahns Weinreise durch die Saale-Unstrut-Region (Die Zeit 42, 8. 10. 2009).

Das Highlight dieses Artikels war die unverhoffte Berührung mit einer Häkeldecke aus wetterfestem Weichgummi. Für Freunde der Antonomasie gab es aber erst mal einen O-Ton vom Geschäftsführer des Nietzsche-Weinguts Kloster Pforta (»Wir sind das Kloster Eberbach des Ostens«), wenig später ging es dann um das Für und Wider einer Degustation von Bernhard-Pawis-Weinen beim Winzer selbst oder eben auswärts, zum Beispiel

»auf der Terrasse des Hotels Rebschule bei Naumburg (…), mit herrlichem Blick über die Weinberge. Aber da serviert man ihn auf einer blassgelben Häkeldecke aus wetterfestem Weichgummi, wie sie einst in den Schrebergärten beliebt war.«

Peng, und das Ding ist da, das Ding hat sogar endlich einen Namen, was es bei mir bis hierher noch nie hatte. Mein bescheidenes Sprachzentrum hatte sich schlicht und ergreifend noch keinen Begriff von diesem Ding gemacht, das, meine ich, auch als Unterbau des berühmt-berüchtigten Kännchenkaffees zum Einsatz kommt. Ich glaube sogar, dass ich mich in einem unbeobachteten Augenblick schon einmal getraut habe, so ein Häkeldeckchen aus wetterfestem Weichgummi anzufassen.

Vom natürlichen Weichgummivorkommen ist es dann auch nicht mehr weit bis zum Gustav Seibt für Weinverkoster:

»Die Gastronomie will nicht davon lassen, (…) die Käseplatte zum Wein mit frisch aus der Folie gepelltem Schmelzkäse zu bestücken.«

Die Besichtigung der von Neo Rauch gestalteten Domfenster (»Soviel Pathos spült man am besten mit einem extra säurebetonten Riesling hinunter«) endet dann auf dem Naumburger Weinfest:

»Ein verliebtes Paar teilt sich einen Rotkäppchen-Piccolo. Die Rentnerpaare sitzen sich nicht gegenüber, sondern nebeneinander und starren schweigend in die Probiergläser.«

Sideways an der Saale-Unstrut. Zum Wohl!

Curb Your Enthusiasm: 7. Staffel, 10. Folge

Paris, 14. Dezember 2009, 14:51 | von Paco

»Seinfeld«
(22. 11. 2009 · HBO)

Diese vorerst letzte »Curb«-Folge, das Finale von Staffel 7, ist so so so gut, ein Erfüllungsmoment für alle »Seinfeld«-Sozialisierten, und endlich einmal kann man den oft verschwendeten Satz wahrhaftig verwenden: Dass wir das noch erleben durften!

Als es am Anfang dieser Staffel darum ging, die alten Seinfelder wieder zusammenzutrommeln, um eine Reunion-Show zu drehen, hat Larry die Parole ausgegeben: »We’ll do it in a way that won’t be lame«. Und das gelingt tatsächlich, sowohl die Reunion als Serie in der Serie funktioniert bestens als auch die gesamte sich darum drehende »Curb«-Staffel selbst.

In dieser Finalfolge, die schönerweise über 40 Minuten lang ist, gibt es neben dem Reunion-Strang noch zwei thematische Aufhänger, die sich wieder als diese »Curb«-spezifische, detailversessene Art von Sozialkritik interpretieren lassen.

Erstens ist das die Geschichte um den Kaffeebudenbetreiber Mocha Joe (»the best vanilla decaf latte«), mit dem sich Larry eine aggressive Diskussion über das Handling von Gefälligkeiten liefert. »Could you do me a favor? Could you bring some jumper cables to Tim Kaiser, I gotta return them.« – »Yeah, sure«, sagt Mocha Joe, aber bekommt kein erwartetes Trinkgeld und besteht daher auf einem Gegengefallen. Dieser ist dann mehr als überzogen, aber Larry will Vorbild sein und laggt durch den L.-A.-Feierabendverkehr nach West Hollywood, um ein paar bescheuerte Kaffeebohnen abzuholen.

Zweitens geht es um die Ringe, die sich in Holz einfräsen, wenn man ein nasses Glas darauf stellt. Der Refrain zu diesem Stoff ist Larrys stetige detektivische Nachfrage, die sofort alle Eigenschaften einer catchphrase erfüllt: »Do you respect wood?« Wie üblich wird erst mal Larry verdächtigt, als Julia einen solchen ringförmigen Wasserfleck auf ihrem wertvollen Holztisch entdeckt. Sie hat eine Party für Jason Alexander organisiert, denn der hat ein Buch geschrieben: »Acting Without Acting«. Im Gespräch über das Buch, das Larry, Jerry und Jason führen, werden dann viele Wortklaubereien hin- und hergeschickt, ergänzt um generelle Überlegungen zur Wendung »having said that«, alles sehr gut.

Der Clou dieser Abschlussfolge aber sind einige echte neue »Seinfeld«-Szenen. Es beginnt gleich mit George und Amanda (gespielt von Cheryl) im Monk’s. Die schon während des Table Reads und der Probe durchschimmernde Handlung wird in Schauspielerei umgesetzt: George hat Geld in Madoff investiert und alles verloren. Amanda hat rechtzeitig ihre Hälfte aus dem Geschäft herausgeholt und ist nach der Scheidung von George finanziell wohlauf.

Bei der Probe am Set kommt es zum Eklat, weil sich Jason/George und Cheryl/Amanda für Larrys Begriffe zu sehr und auch privat annähern und damit seinen ganzen Cheryl-Rückgewinnungsplan zu durckreuzen scheinen. Larry will die beiden mit völlig sinnlosen Regieanweisungen körperlich trennen: George wird hinten in die Bathroom-Kammer gesperrt, kläglich schreit er heraus: »Jerry, is this working for you???«

Jerry will wissen, was los ist. Larry verweigert ein Geständnis, und dann gibt es endlich wieder einen Indianerblick. Diesmal ist es Jerry, der Larry auf den Grund seiner Seele schaut. Allerdings wird dieses unvergleichliche Stilmittel dann leider überzogen, indem Jerry noch einen Überraschungsblick zum Schluss in Larrys Gesicht schickt, indem er mit dem Kopf vorschnellt und dabei die Augen aufreißt wie irgendeine billige Comicfigur.

Drastik der Ereignisse: Jasons Auto mit den getönten Scheiben wackelt fröhlich vor sich hin, Larry vermutet Cheryl & Jason darin, aber dann sind es nur Jasons Kampfhunde, die sich über die aufgerissene Tür freuen und sich auf die Jagd nach – Mocha Joe machen. Eine dieser überraschenden Verknüpfungen zweier Themenstränge, die den »Curb«-Skripts so leicht keiner nachmacht.

Wie auch immer, aus Eifersucht schreibt Larry das Reunion-Skript um und vergrault damit Jason vom Set. DANN EIN MOMENT TV-GESCHICHTE: Larry bietet sich als Ersatz-George an. »I will play George Costanza! I can do it! (…) I wrote it, the character is based on me.« Er macht das auch sehr gut, aber natürlich geht das nicht, dass er George spielt, und in bester George-Manier verabschiedet auch er sich vom Set: »I quit!«

Am Ende sitzt Larry zu Hause vor dem Fernseher und sieht sich die Reunion-Show an. Bei einer Szene im Monk’s tritt plötzlich Amanda auf, die aber überraschenderweise nicht mehr von Cheryl gespielt wird. Sie hat sich ebenfalls vom Set zurückgezogen, in romantischer Absicht, denn sie hat mitbekommen, dass Larry die gesamte Reunion nur für sie ins Leben gerufen hat. Sie klingelt dann pünktlich bei ihm, ein Happy End steht sozusagen vor der Tür. Aber dann wird das ring stain-Thema wieder aufgegriffen: Cheryl gibt nebenbei zu, dass sie für den Holzschaden bei Julia verantwortlich ist, und nachdem Larry darauf besteht, dass sie nun bitte dort anrufe, um die Sache zu klären, ertönt der »Curb«-Jingle, Ende der 7. Staffel. Forsetzung 2012?

Der Umblätterer über andere »Curb«-Episoden:
Season 6: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10
Season 7: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10

Curb Your Enthusiasm: 7. Staffel, 9. Folge

Paris, 9. Dezember 2009, 07:08 | von Paco

»The Table Read«
(15. 11. 2009 · HBO)

Eine Hammerfolge, sie beginnt in Monk’s Cafe, dem alten »Seinfeld«-Abhängort, der detailliert nachgebaut wurde. »Larry, it’s exactly the same«, befindet Julia Louis-Dreyfus, die wenig später wieder als Elaine agieren wird. Ein bisschen Smalltalk folgt, bis Julia die Schauspielfähig­keiten von Cheryl infrage stellt. Auch Jason Alexander (George) wird das tun. Nur Michael Richards (Kramer) hat andere Sorgen. Er leidet, vermutet er, am Groat’s Syndrome, der schlimmen Krankheit, die extra für »Curb« erfunden wurde.

Am Set laufen auch noch ein paar andere Leute herum, zum Beispiel die neunjährige Emma. Sie hat auch ein gesundheitliches Problem, ihre Mutter beschwichtigt aber gleich, »she just has a rash on her pussy«, und man muss da wirklich zweimal hinhören, aber genau das sagt sie, und nach einem irritierten Blick nimmt Larry diese Formulierung an und wird sie später gegenüber Anderen auch genau so benutzen, bis am Ende jemand die Polizei rufen wird. Wieder eine geschickt ausgelotete Grenzwertigkeit, die dem vollurinierten Jesus aus Folge 7.06 mindes­tens ebenbürtig ist.

Plötzlich taucht Marty Funkhouser auf und bedient sich am Büfett: »I’m here for support!«, ist seine Ausrede, aber Larry will ihn sofort wieder vom Set vertreiben. Er bittet Jerry um Hilfe, der sich aber an Funkhou­sers Stippvisite nicht stört. Und Marty erzählt ihm im Gegenzug einen ziemlichen langen Witz: »A woman is very afraid of the size of her opening …« Jerry: »What is she afraid of?« Marty: »The size of her opening. So she goes to her mother …« Usw. »I like that guy«, meint Jerry am Schluss, trotz des Witzes, und das ist doch schön, dass das in der Geschichte des Fernsehens stattfinden durfte: Jerry Seinfeld meets Marty Funkhouser.

Dann folgt der Table Read, der dieser Folge den Titel gibt. Alles sehr, sehr gut, sofort entsteht ein »Seinfeld«-Feeling, was ja nicht unbe­dingt so hätte sein müssen. Während der Lesung lutscht George ununterbrochen an dem Stift, den Larry ihm geborgt hat. Dann puhlt er sich damit auch noch im Ohr herum usw. Die Probelesung dauert noch eine Weile an, Georges Mutter Estelle taucht kurz auf, ebenso Jerrys mittelmäßiger Standup-Kollege Kenny Bania. Und Cheryl schlägt sich wider Erwarten äußerst gut.

Nach der Lesung will Jason den geborgten Stift an Larry zurückgeben, der aber ablehnt und einen neuen verlangt, »that’s the fair thing to do, that’s the nice thing to do, that’s the right thing to do«. Jerry klagt er sein Leid, der dann eine allgemeine Lehre formuliert: »You don’t loan Jason anything, anything that can be inserted.« Später überbringt Jason immerhin einen neuen Stift, allerdings ein anderes Modell, und das gibt natürlich ein neues Streitgespräch über soziale Verhaltens­weisen am Beispiel von geborgten Schreibgegenständen.

Am Set gibt es dann eine gespielte Szene zwischen Elaine und Jerry, mit der üblichen Clark Kent-Anspielung. Dann Klopfen an der Tür, es ist Newman (Postbote, Nachbar, Erzfeind). Dann kommt noch Kramer mit einer Prostituierten hereingeschneit, mit der er später die Car-Pool-Lane benutzen will, um schneller zum Stadion zu kommen (siehe »Curb«-Folge 4.06).

Auch Leon, das einzige Überbleibsel der Black-Familie, wird mit einem Kunstgriff in die Folge geschrieben. Er soll als Experte auf Kramer einreden, damit der sich seine eingebildete Groat’s Disease aus dem Kopf schlage, um sich besser auf die Show konzentrieren zu können. Da Larry bei einer ersten Beschwichtigungsrede den Namen seines Bekannten Duberstein verwendet hat, der aber inzwischen an Groat’s gestorben ist, schickt er Leon als Duberstein los. Leon ist dazu natürlich null geeignet, beim Treffen mit Kramer muss er nun irgendwie seinen jüdischen Namen rechtfertigen, was herrlich und hervorragend ist. Über seine Bar Mitzwa (Leon: »Bar Misfit?«) sagt er etwa: »It’s once every thirteen years, y’know. You gotta recharge the Mitzvah.«

Die Tarnung fliegt auf, als die Witwe vom toten Duberstein am Set auftaucht. Entsetzt rennt Kramer nach draußen und beschimpft Leon, den falschen Duberstein. Statt eines Schimpfwortes formuliert er sehr vorsichtig: »If only there were a horrible name that I could call you that would make you as angry as I am!«

Es ist also nicht zu übersehen: Die Begegnung zwischen Kramer und Leon spielt mit Pauken und Trompeten auf Michael Richards‘ rassis­tischen Ausrutscher von vor drei Jahren an. Damals hatte er in ein kritisches Publikum hinein eine »50 years ago«/»fork up your ass«-Bemerkung gebrüllt, und irgendjemand hatte das mitgefilmt und geyoutubet. Und auch bei dieser »Curb«-Reprise des Vorfalls steht im Hintergrund eine Meute mit knipsenden Handykameras.

Soweit die vorletzte Folge dieser wieder großartigen Staffel. Die letzte Folge bringt dann ein ebenso großartiges Finale, dessen Ausstrahlung jetzt auch schon wieder mehr als zwei Wochen her ist. Der Recap dazu folgt hier umgehend, zumindest ist das der Plan.

Der Umblätterer über andere »Curb«-Episoden:
Season 6: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10
Season 7: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10

Tobias Wimbauer

Hamburg, 6. Dezember 2009, 21:43 | von Dique

Tobias »téwé« Wimbauer beim Twittern zuschauen ist wie Joachim Lottmann lesen, ist wie Guido-Knopp-Dokus schauen. Alles eigentlich ungehbar und höchst zweifelhaft, aber auf diese streng antiaufkläre­rische Weise süchtig machend. Es handelt sich um eine dieser »Unwürdigen Lektüren«, über die Autoren in der Literaturzeitung »Volltext« immer berichten.

Paco und ich verbringen ganze Skype-Abende damit, abschätzig und missbilligend téwés neueste Twittermeldungen zu rezitieren. Unser Vokabular steigert sich dabei schnell zu unveröffentlichenbaren Tiraden. Und doch bringen wir Stunden damit zu, und jetzt ist es soweit. Jetzt müssen wir bekennen, dass Tobias Wimbauers jüngstes Online-Schrifttum unsere Courths-Mahler ist, unser 64-Seiten-Groschenroman.

Wir können nicht anders, wir müssen das lesen, immer wieder, eine Herauslöschung aus den Bookmarks und dem Browser-Cache hat nichts gebracht. Der Wimbauer-Fun ist ein Stahlbad, wir wissen das, in klaren Momenten handeln wir auch danach, tippen dann aber doch wieder eigenhändig die Adresse nach, twitter dot com slash wimbauer.

Wie aus dem aufsteigenden Ernst-Jünger-Forscher ein twitternder Biokoch wurde, das ist eine der schärfsten Volten der bundesrepu­blikanischen Geistesgeschichte. Der einsame Wolf, der wegen »Grössenwahn, Samenstau und grandios überzogenem Konto« auch mal für die »Junge Freiheit« schrieb, ist einer der beliebtesten Twitte­rer Deutschlands geworden. Es ist unglaublich, wie er das durchhält und stetig seine kulinarischen Tageskreationen durchzwitschert, am besten gleich mit Twitpic:

»Heut gab’s Gnocchi in Basilikum-Mascarpone-Sosse mit frischen Tomaten und Käse überbacken, alles 100%bio wie im«

Diese Meldung, erschienen vor zwei Stunden, ist wegen der Zeichen­limitierung hinten etwas abgehackt, aber wir wissen eh alle, was da stehen muss, »alles 100% bio wie immer«. Kurz vor dieser Bekanntgabe des Speiseplans hat téwé auch mal wieder seinen Hang zur Nascherei bewiesen, aber auch hier bitte nicht Ritter Sport, sondern Bioschokolade:

»Extrem lecker ist übrigens die handgeschöpfte Buttercaramel-Schokolade von Zotter«

Ja, und dann noch der liebe Wein: »Im Glas: 2007er Spätburgunder/Dornfelder von Zwölberich«. Biowein, natürlich, der gern auch mal überschwänglich attribuiert wird: »zum Niederknien«. Das ist alles zusammen genommen ähnlich inhaltsfrei wie das »Libro Mio« von Pontormo, in dem es ja auch vorderhand um die Einnahme von Nahrungsmitteln geht. Der späte Pontormo, der mittlere Wimbauer, Brüder im Geiste. Der eine hat zwischen den Mahlzeiten an ein paar Fresken herumgemalt, der andere katalogisiert in den wenigen verbleibenden Minuten Bücher und gibt einen Jünger-Newsletter heraus.

Vor Monaten haben wir mal die Idee besprochen, Wimbauers Beiträge zur Gebrüder-Jünger-Forschung mit seinen Twittereien parallel darzu­stellen. Als Online-Autor ist Tobi Wimbauer jedenfalls die Fleisch ge­wordene naive Dichtung im Schiller’schen Sinn. Er twittert über Biowein in einer Weise, wie das sonst nur unverbildete griechische Schafhirten in der vorhomerischen Zeit hingekriegt haben würden.

Gunther Nickel schrieb mal in seiner Rezension zu Wimbauers »Personenregister« der Jünger-Tagebücher, der Registermacher »hätte sein Studium doch besser beenden sollen. Und gut wäre sicher auch gewesen, seine Einleitung wäre vor ihrer Drucklegung gegen­gelesen worden.« Falsch, ganz falsch. So wie der Erzähler in Helmut Kraussers »Durach« sein Studium abgebrochen hat, um sich »nicht Freizeit und literarischen Stil mit einer Magisterarbeit zu versauen«.

Tobias Wimbauer hat den Zustand schreiberischer Glückseligkeit erreicht. Seine Twittermeldungen werden einmal historisch-kritisch ediert werden müssen, und das unverstandene Schlimme daran ist: Wahrscheinlich werden wir selbst den DFG-Antrag dazu durchboxen, obwohl wir das – so werden wir jedenfalls immer behaupten – gar nicht gewollt haben können.