Archiv des Themenkreises ›FR‹


Wie die FR das FAZ-Titelbilder-Voting erfand

Konstanz, 19. Oktober 2008, 20:12 | von Marcuccio

–Auch schon gevotet?
–Nee.
–Aber schon gehört?!
–Was?
–Na, wovon die halbe Halbwelt flüstert …
–???
–Von dem FAZ-Titelbilder-Voting, das ja eigentlich die FR erfunden hat. Genauer gesagt Arno Widmann, als er am 12. Juli diese Hymne anstimmte:

Das Foto ist inzwischen meistens völlig unerwartet und die Bildunterschrift klärt dieses Überraschungsmoment nicht flugs auf, »um die Leser« – wie es auf Journalistenschulen heißt – »abzuholen«, sondern spielt mit ihm, treibt es weiter bis zur Selbstpersiflage.

Tatsächlich ist das Seite-1-Foto der F-Zeitung nur selten ein klassisches Nachrichtenbild (dann ohne Strich direkt an den Aufmacher-Artikel gekittet). Meistens bildet das Titelbild eine Nische für sich, vom informationsjournalistischen Nachrichten-Rest durch einen mitteldicken Strich getrennt. Gedeiht hier also so was wie ein neues Feuilleton über dem Strich? Wenn man Widmann glauben darf, schon:

Man lese den von durchtriebenster Jean Paulscher Umständlichkeit inspirierten FAZ-Zehnzeiler, der gestern unter dem Foto von Seite eins stand: »›Unterteuft‹ nannte Thomas Mann die Tiefenschichten deutscher Geschichte und Politik (im ›Doktor Faustus‹), ein Wort aus dem Bergbau, wo Schächte nicht einfach gebohrt, sondern abgeteuft werden. Das Wort hat aber auch etwas von Taufe und Teufel in sich, weshalb es zu weitreichenden Betrachtungen über die unterschwellige Religion mancher Politik taugen könnte (zum Beispiel in der Atompolitik). Unser Bild zeigt eine Nische im Endlager Schacht Konrad mit der heiligen Barbara, der Schutzheiligen der Bergleute.«

Ein Klick ins Titelbilder-Mosaik und schon ist Widmanns Lieblingsnische (2. von links, 2. von unten) zu entdecken. »Auf sie soll’s tausend Preise regnen«, sagt Widmann, der seinerseits aber auch einen Preis verdient hat, für seine FAZ-Foto-Love-Story.


Europa sucht den Superleser

Konstanz, 14. August 2008, 06:56 | von Marcuccio

»Zu Hause lese ich schon seit Jahren kein Buch mehr (…), ich habe niemals in meinem Leben ein einziges Buch ausgelesen, meine Art zu lesen ist die eines hochgradig talentierten Umblätterers, also eines Mannes, der lieber umblättert als liest …«

(Thomas Bernhard: Alte Meister. Ffm.: Suhrkamp 1985, S. 38 f.)

Hatte es der Umblätterer, auf den Spuren von Thomas Bernhard, getAbstract und Lesen 2.0, nicht immer prophezeit? Das ungelesene Buch wird das Mega-Thema der nächsten Jahre. Jetzt geht’s los: Der Literaturbetrieb schreibt sein erstes Lesestipendium aus.

Richtig gelesen: Le–se–sti–pen–di–um. Subventioniertes Schreiben im Bahnwärterhäuschen ist megaout, neu gibt’s Geld und Zeit und Haus (ok, Gästewohnung) fürs Lesen, offeriert von der Grazer Schreibkraft.

Was man mitbringen muss, ist eine Leseliste mit zehn Titeln. Eine Begründung, warum man die zu lesen vorhat. Plus die Bereitschaft, sich als Vertreter der »subventionswürdigen Spezies« Leser (FR) hinterher interviewen zu lassen. Im Gegenzug bekommt man drei Wochen Lesezeit in Graz mit 1100 Euro spendiert. Ist das ein Angebot für Umblätterer oder ist es keins?


Das Trinktier oder
Return to the Feuilleton i. e. S.

auf Reisen, 13. August 2008, 12:00 | von Paco

»Wann ist diese Serienschrottliste endlich am Ende?« – die einen.

»Jajaja! Warum keine Top-50?« – die anderen.

Ich gehöre zu den einen, hehe. Es ist also an der Zeit, unser Die-hard-Feuilleton wieder etwas zu diversifizieren. Im Mittelpunkt steht nach wie vor die Zusammenstellung des Top-10-Readers mit den zehn wichtig-, be-, interessante-, usw. -sten Feuilletontexten des Jahres 2008. Selbst in den Sommermonaten gab es da bisher sehr gute Sachen. Danke, liebes verrücktes deutsches Feuilleton!

Das Hauptevent der letzten Wochen war für mich eine unschein­bare Überschrift in der S-Zeitung vom 29. Juli 2008, Seite 18:

Das Trinktier
Ein Spitzhörnchen säuft täglich
Alkohol – und bleibt dabei nüchtern

Die S-Zeitung war auch zu Recht stolz auf diese Findung: Der textunlastige Kleinstartikel zum Federschwanzspitzhörnchen wurde bereits auf der Frontseite des Feuilletons (S. 13) angekündigt. (Einen Artikel zum selben Thema gab es am gleichen Tag u. a. auch bei Telepolis, zurückgehend auf einen Aufsatz in PNAS. Die ganzen Lorbeeren gehören aber dem Erfinder der SZ-Überschrift!)

Auch ziemlich sehr gut war eine Überschrift in der FR vom 1. 8., S. 54: »Sack Reis umgekippt«. Eine nahe liegende, nicht schwer zu errechnende Headline, aber: »Wann sonst hat man die Chance einen solchen Kalauer in eine Zeitung zu schreiben, und dabei gleichzeitig selbstreflektiv auf das Problemfeld Presse und Politik in China einzugehen?« (Horatiorama im gelblog) Den Text unter der Überschrift braucht man im Prinzip nicht zu lesen, und das macht ja eine gute Überschrift eben aus.

Dann noch mal die S-Zeitung, Axel Rühles Artikel zu den immer dicker werdenden Bildbänden: »Wer hat den Dicksten?«. Es geht darin um die Pointlessness dieser Wolkenkratzerbücher, darum, dass sie als lebloser Fetisch gekauft und verehrt werden, die Inhalte sind zweitrangig:

»Das sind keine Bücher mehr (…). Das sind Module. Möbel. / Als gäbe es ein Wettrüsten unter den Bildbandverlegern. Als hätte jemand das Wort Coffeetable-Book falsch verstanden und allen Ehrgeiz darangesetzt, Bücher zu drucken, groß wie Serviertischchen.«

Morgen suchen wir dann den Superleser und übermorgen feiern wir ein Robert-Musil-Jubiläum. Stay tuned.


»El País« im Stadtbild

Barcelona, 28. Juli 2008, 15:49 | von Paco

Oliver Gehrs erwähnte das mal, dass der »stern« nie im Stadtbild zu sehen sei: »Ich meine, das ist wirklich die größte Auflagenlüge der Pressegeschichte: Eine Million Auflage!«, hatte er gesagt. »Der ›Spiegel‹ hat genauso viel Auflage, den siehst du aber ständig.«

Die spanische Tageszeitung »El País« sieht man auch ständig (nicht die uruguayische, obwohl die auch okay gut ist, hehe). Denn die spanische »EP« hat eine Präsenz im Stadtbild, die ihresgleichen sucht:

»El País« liest man im Gehen. Man trägt sie aufgeschlagen vor sich her, während man dezidiert nicht auf andere Passanten oder gar den Straßenverkehr achtet. Ich beobachte hier in Barcelona gerade aufs neue, wie Auto- und Krad-Fahrer respektvoll doch noch mal anhalten, obwohl sie bereits GRÜN signalisiert bekommen haben, wenn ein El-País-Leser, in seine Lektüre vertieft, etwas spät über die Straße schreitet.

Deutsche Zeitungen sind leider zu großformatig für eine solche Art der Lektüre. Mit einer »Zeit« vor dem Körper hat man das Gefühl, man würde ständig gegen eine Betonwand laufen. Lediglich die »taz« und die FR böten sich vom Format her an, jedoch ist dann nicht sichergestellt, dass die Autofahrer einen auch wirklich immer ungehindert passieren lassen, hehe.


Markus Peichl und sein »Neues Deutschland«

Konstanz, 2. Juli 2008, 22:46 | von Marcuccio

Neulich wurde in der FR die Partie Österreich–Schweiz ausgetragen, ein redaktionelles Benefizspiel, bei dem sich die beiden Länder mal über eine komplette Zeitungslänge und quer durch alle Ressorts duellieren durften. Wobei es nicht nur zu spannenden Zweikämpfen kam, über die wir hier vielleicht noch mal gesondert berichten. Es gab mit Franz Schuh auch eigens einen Günter Netzer (»Ich behaupte, dass die Schweiz die Antwort auf die Fragen ist, die Österreich stellt«). Vor allem aber gab es diese Überraschung:

48. Spielminute respektive Zeitungsseite: Arno Widmann führt uns in seiner schönen Rückblende »Tutti Frutti und der Zeitgeist« noch mal vor Augen, was die beiden wichtigsten Medieninnovationen in der BRD vor dem Internet waren: das Privatfernsehen à la Helmut Thoma und der Zeitgeistjournalismus à la Markus Peichl. Wahrlich historische Achtziger-Jahre-Flanken aus Österreich, während die späteren drei Rogers aus der Schweiz, von denen Oliver Gehrs im aktuellen »Dummy«-Magazin erzählt, nicht wirklich torgefährlich wurden.

Doch zurück zum Widmann-Artikel. Wirklich augenfällig an dem war nämlich dieser Markus Peichl auf dem Foto von anno ’88:

Peichl, Neues Deutschland, Quelle: FR 2008

Da steht er und liest sein »Neues Deutschland«, als ob ihn das Duell AUT–SUI in der FR überhaupt nichts anginge. Und er hat ja recht, schließlich, hehe, war diese Partie bei »Tempo« längst entschieden: Da saß Peichl im Chefsessel, und Kracht und Kummer standen am Kopierer

Das Peichl-Foto erinnert selbstverständlich an die »Tempo«-Aktion schlechthin:

Frühjahr 1988. Redakteure des Hamburger Zeitgeist-Magazins fälschen eine komplette Ausgabe des ND und schmuggeln sie in die DDR: Immerhin 6.000 Exemplare verkünden den neuen Glasklar-Kurs der SED und machen aus dem ND ein historisch einmaliges Lesevergnügen.

In dem ganzen Widmann-Artikel wird die Sache, auf die das Foto verweist, übrigens mit keinem Satz erklärt oder erwähnt, insofern war das wirklich Feuilleton für Fortgeschrittene. Als Genuss-Umblätterer kann man aber trotzdem noch mal die schöne Seite 3 der »Berliner Zeitung« hinzuziehen. Dort hat Andreas Förster nicht nur erschöpfend zu der Tempo-Aktion geschrieben, er wartet auch mit der eigentlichen Pointe der Geschichte auf, die – wie könnte es anders sein – in der Nachwendezeit spielt.

Nicht zu vergessen das falsche »Neue Deutschland«, dessen Lektüre im Original natürlich unbedingt lohnt, voilà.


Wann fusioniert das deutsche Feuilleton?

Konstanz, 2. März 2008, 22:00 | von Marcuccio

Nach dieser Woche kann und muss man sich das schon mal fragen, denn so viel Gemeinsamkeit im Protokoll war selten. Donnerstag abend waren sie alle im Berliner Ensemble, bei Jonathan Littells einzigem Auftritt in Deutschland:

Eckhart Fuhr erlebte für die »Welt« einen »Nazi-Synthesizer«, Harry Nutt von der FR einen »Schriftstellerdarsteller« und Lothar Müller (S-Zeitung) einen Yale-Absolventen.

Sieglinde Geisel von der NZZ griff »sicherheitshalber zur Simultanübersetzung (…); doch auch der Übersetzer hat zu kämpfen«. Dirk Knipphals von der taz sah einen Littell, der mit allem, was er sagte, drauf aus war, »die Sache niedriger zu hängen«, während Hubert Spiegel für die F-Zeitung (Reading Room!) natürlich betont, dass Littell gar »nicht daran denkt, die Provokationen seines Romans kleinzureden«.

Schon am Mittwoch abend waren sie in Weimar kollektiv zur Urlesung von Martin Walsers »Ein liebender Mann« versammelt (und zwar nicht nur die gleichen Zeitungen, sondern sogar Eckhart Fuhr und Dirk Knipphals, so dass man sich unwillkürlich bei der Frage ertappte, ob taz und »Welt« denn jetzt schon Fahrgemeinschaften bilden).

Neben Walsers Krawatte, auf die wir wohl noch eigens in unserer Umblätterer-Rubrik »Eingeschneidert« zurückkommen werden müssen, bleibt uns aus Weimar vor allem Edo Reents als Lach-Detektor in Erinnerung:

An der Stelle »noch Gelegenheit gab zu rühmen, wie gesund er sich hier fühle«, lacht Joachim Kaiser das erste Mal laut auf: »Ha!« In den Anlaut ist ein kleines p hineingeschmuggelt, das a hat leichte Tendenz ins ä oder ö: »Hpäöh!« Was es da zu lachen gibt? Der nächste Lacher kommt bei »dringend zu wünschen«, wo Goethe Ulrike das Wort »unvorgreiflich« erklärt: »Hpäöh!« Das geht dann so weiter: Martin Walser liest in seinem alemannischen Singsang seine nicht immer ganz stubenreinen Goetheana, und Joachim Kaiser macht alle paar Minuten »Hpäöh!«

Das Live-Lachen des Kaisers hat sogar soviel News-Wert, dass es zu einem eigenen Interview mit dem »Leit-Lacher« geführt hat. Da findet man Martin Walser lustig, und schon ist man selber im Feuilleton, hehe.


Endlich fertig: Die Feuilleton-Charts 2007

Leipzig, 15. Januar 2008, 00:30 | von Paco

Hier sind sie, die Autoren und Zeitungen der 10 besten Artikel aus den Feuilletons des Jahres 2007:

1. Renate Meinhof (SZ)
2. Peter Richter (FAS)
3. Henning Sußebach (ZEITmagazin LEBEN)
4. Jean-Philippe Toussaint (FAS/FR)
5. Robin Meyer-Lucht (SZ-Magazin)
6. Ursula März/Claudia Schmölders (Zeit)
7. Matthias Matussek (Spiegel)
8. Heribert Prantl/Remigius Bunia (SZ/FAZ)
9. Henning Ritter (FAS)
10. Jan Wigger (SPON)

Kurze Begründungstexte und Links (sofern vorhanden) gibt es auf dieser Seite, die sich wie schon die Top-10s für die Jahre 2005 und 2006 direkt von der rechten Seitenleiste aus aufrufen lässt.

Auch in diesem Jahr speichert die Liste unseres Erachtens snapshotartig ein repräsentatives Bild des Lebens in den Feuilletons im Jahr 2007. Zusammen bilden die Texte ein erstklassiges virtuelles Lesebuch, und wer den ein oder anderen Artikel noch nicht gelesen hat, sollte dies unbedingt nachholen – es sind alles Krachertexte, die jede Zeile wert sind.

Vor allem unser Lieblingstext, Renate Meinhofs Porträt eines 90-jährigen Wagnerianers, ging uns nicht mehr aus dem Kopf. Er ist im Juli erschienen, aber noch im November und Dezember sprachen wir gelegentlich über das Bayreuth-Erlebnis des Walter Odrowski, seine »Eppendorfer Heimoper« und seine Reaktion auf Stoibers Ignoranz.

Odrowski wollte auf dem Staatsanfang nach der »Meistersinger«-Premiere dem damaligen Ministerpräsidenten für die Einladung danken, dringt aber mit seinen dünnen Worten nicht zu ihm durch, bis es ihm schließlich auch egal ist und er im Hinblick auf Stoibers leicht unfreiwillige Demission trocken kommentiert: »Na macht nichts, nächstes Jahr ist der auch nicht mehr hier.«

Meinhofs Idee, dass Odrowski ein bisschen aussieht wie Franz Liszt und die diesbezügliche Bestätigung durch das zugehörige Foto sorgen zusätzlich dafür, dass man dieses Porträt nicht so schnell vergisst.


»Autogeographie«

Konstanz, 12. November 2007, 16:05 | von Marcuccio

P. S. Ich bin Landkarten-Hardliner. Erdkunde zählte schon zu meinen Lieblingsfächern, als sie noch Heimat- und Sachkunde und nicht Google Earth hieß. Ich bin auch der Meinung, dass alle Nerv-Navis dieser Welt das bisschen Restgeografie, das wir in unseren Köpfen noch haben, zerstören.

Und natürlich, niemand will zurück zum Schmalkunde-Lehrer der Marke »Geo & Sport«. Aber wirklich verwunderlich, nein beängstigend war schon, dass Missing Montenegro niemandem auffiel, noch nicht mal den Kollegen vom Tagesschau-Blog.

Dabei waren doch gerade erst positive Anzeichen einer Re-Geografisierung unseres Kulturkreises zu spüren:

»Die Zeit« erfand mit ihrer Deutschlandkarte eines der innovativsten Formate des Jahres, die FR postete zur Einführung ihres neuen Formats eine Weltkarte des Tabloids, und der frauenlose deutsche Osten hätte wohl längst nicht so schöne Pointen abbekommen, wäre die Lila-Landkreis-Optik nicht überall präsent gewesen.

Schönes Erdkunde-Feuilleton war auch, als Claudius Seidl, bester Feuilleton- und Reise-Ressortleiter seiner Zunft, diese ganzen Burma-Birma-Myanmar-Toponyme der Nachrichtensprache aufspießte (FAS vom 30. 9., S. V 1). Und last but not least gab es da noch diese Thomas-Cook-FAS vom 23. 9., in der Jonas Siehoff (S. 71-73) eine Lanze für die Geografie als solche brach.

Nur die Karten-Redaktion der Tagesschau übte sich in ihrer »Autogeographie«. War das nicht eigentlich das Genre, das gerade in der F-Zeitung vorabgedruckt wird?


Reihenweise Vorzüge

Leipzig, 23. August 2007, 20:32 | von Millek

Heute Morgen kam mir Paco aufgeregt entgegen. Seine Aufregung hatte zwei Gründe. Erstens hatte er Angst, seinen Flug zu verpassen. Es handelte sich, glaube ich, um eine schon länger geplante Reise, und ich wunderte mich, ihn überhaupt noch im Institut anzutreffen.

Zweitens war er im Straßenbild daran erinnert worden, dass diese große Computerspielemesse gerade begonnen hatte. Das versuchte er zu verdrängen, denn er muss nun »wegen dieser vermaledeiten Reise« auf seine Lieblingsdialogfetzen verzichten, Dialoge à la

»Aus der Schweiz kam noch nie ein guter CS-Gamer!«

Ich schenkte ihm kurzerhand meine »Frankfurter Rundschau«. Darin findet sich heute der herrliche Artikel von Arno Widmann, der endlich einmal die Vorzüge der Wagenbach’schen Vasari-Reihe preist, die sich skandalöserweise so schlecht verkauft.

Die Zeitung unter dem Arm, eilte Paco zum Ausgang. Ich schaute ihm nach und fragte mich, wer bei mir zu Hause die FR ins Probeabo genommen hat. Hoffentlich ist es nur ein Probeabo – denn eigentlich braucht man unbedingt den Platz in der Mitte der Sitzreihe eines Flugzeugs, um sich von den Vorzügen der FR überzeugen zu lassen.


Die wahre Frankfurter Rundschau

Leipzig, 11. Juli 2007, 10:31 | von Paco

Marcuccios im Namen des Umblätterers geschriebenen Lese-Wegweiser ist nichts hinzuzufügen. Nur diese Fußnoten:

Das wahre Feuilleton der FR wird seit Jahren im Titel-Magazin weitergeschrieben. Der ehemalige FR-Feuilletonhäuptling Wolfram Schütte ist dort keinem redaktionellen Zwang mehr unterworfen und treibt Literaturberichterstattung nach eigenem Gusto. Auf dem Schirm der Feuilletonredaktionen ist das TM spätestens seit seinem Zwischenruf zur »Lolita«-Abkupfer-Debatte 2004.

Man muss aber auch mal kritisieren, dass Schüttes Texte nicht wirklich netzaffin sind, sondern im Prinzip noch ein Printmedium als Outputorgan imaginieren. Oder wer hat diesen Walser-»Essay in 10 Teilen« gelesen?

Zurück zur FR, die auch heute noch gute und interessante Literaturredakteure wie Ina Hartwig hat. Im Gedächtnis bleiben vom FR-Feuilleton aber vor allem die Hammertexte ihrer freien Autoren. Stephan Maus‘ Totalverriss von Christa Wolfs pathetischem Leidensbuch »Leibhaftig« (FR vom 20. März 2002) gehört mittlerweile zu den Standardtexten literaturkritischer Polemik in der Post-Reich-Ranicki-Ära. (Ansonsten gilt, was der Umblätterer im Dezember 2005 in der Laudatio auf Stephan Maus geschrieben hat.)

Dann die Kolumne »Times mager«: Die versteht immer keiner, weil keiner weiß, was »Times mager« bedeuten soll. Ok, es ist eine Schrifttype, es hängt da irgendwie eine Assoziation zu ›mageren Zeiten‹ mit drin usw., aber trotzdem: What in the fuck! Gabriel zum Beispiel schüttelt immer noch den Kopf über so wenig Gespür beim Betiteln einer so wichtigen Textsorte wie der identitätsbildenden Glosse: »Wer hat sich denn sowas ausgedacht!«

Die taz zum Beispiel hat es mit ihrem Seite-1-Begrüßungskästchen richtig gemacht: Erst wollten sie es »tagesschau« nennen wie die gleichnamige TV-Show (gibt’s die noch?, hehe). Das wurde ihnen jedoch untersagt. Jetzt heißt das Kästchen »verboten«, und in wirklich JEDER Ausgabe steht mit dabei: »verboten darf nicht tagesschau heißen«. Wir alle wissen, dass das der wahre Titel ist, »einer der schönsten Kolumnentitel ever«, sagt Gabriel und sage auch ich.

Zurück zur FR. Der Einstieg der SPD-Medienholding und die bald darauf erfolgte unfreiwillige Bezeichnung als »abhängige Tageszeitung« seien jetzt mal nur en passant erwähnt. Zum Schluss aber noch ein Kommentar zum Tabloid-Format, mit dem die FR seit dem 30. Mai. d. J. seine Texte ausliefert. So revolutionär die Einführung des Tabloid-Formats im deutschen Qualitätszeitungsmarkt auch ist, sie trägt weiter zur Verwässerung der FR bei, weil dadurch die Buch-Struktur zerstört wird. Wo ist denn jetzt das verdammte Feuilleton! Blätter, blätter, blätter …