»Harzreise im Sommer«:
Gustav Seibt auf der Suche nach Andacht

London, 20. Juni 2008, 07:28 | von Paco

AAACHTUNG! Ich bin Gustav Seibt und suche Andacht! Und Kuchen! Im Osten! Das scheint das Motto des Autors zu sein. Es geht um den reportageartigen Artikel »Harzreise im Sommer«, der in der S-Zeitung vom 9. Juni veröffentlicht wurde (S. 11). Er ist leider mal wieder nicht im Netz, nur beim Perlentaucher, im DLF-»Fazit«, auf Spreeblick und in der »jungen welt« gibt es Spurenelemente des Textes.

Seibt war in osteutschen Kirchen unterwegs, vor allem in »Sachsen-Anstalt« (Oliver Kalkofe) und Brandenburg, und beschreibt nun seine Abenteuer. Leider ist seine Studie nicht religionssoziologisch unterfüttert: Dass die DDR nun mal im protestantischen Kernland stattfand und das eben Folgen hatte, scheint ihm entgangen zu sein, und daher klingt sein Text wohl auch so verschnupft. Es ist auch unklar, an wen er jetzt genau gerichtet sein soll, es handelt sich eher um einen langen pingeligen Eintrag ins Gästebuch ostdeutscher Hotels, Kirchen und Museen.

Die Überschrift

Gabriel, der Überschriftenerfinder, von dem hier ab und zu die Rede ist, fiel der Text schon wegen der selten misslungenen Überschrift auf: »Für SZ-Verhältnisse ein schlimmer Fauxpas.« Sowas hatte er noch nie gesagt.

»Harzreise im Sommer«, das spielt natürlich auf Heinrich Heines »Harzreise« an und gleichzeitig aber irgendwie auch auf dessen »Deutschland, ein Wintermärchen«. Offenbar hat der zuständige Überschriftenredakteur diese beiden Dinge durcheinandergebracht. Denn Heine unternahm seine Harzreise im September 1824, also irgendwo zwischen Spätsommer und Herbstanfang. »Harzreise IM SOMMER« suggeriert nun aber, dass irgendjemand Berühmtes mal eine »Harzreise im Winter« unternommen hat, was ja nicht der Fall ist.

(Edit: An alle Seibtologen! Der gerade gelesene Witz wird in den Kommentaren so halb erklärt – thanks to our all-too anonymous readers. Der Spaß hat auch mit den »10 Sekunden Googeln« zu tun, um die es hier gleich noch geht.)

Auf lustig geschrieben

Zurück zum Text. Seibt beschwert sich an mehreren Stellen über den Eintritt, der in vielen Kirchen zu entrichten ist. Er stellt das als ostdeutsches Phänomen dar. In Italien, nur mal als Beispiel, kann man aber auch öfters ordentlich was bezahlen für eine Kirchen­besichtigung, teilweise sogar doppelt, wie Niklas Luhmann mal irgwendwo in einer Fußnote berichtet hat.

Seibts Text ist trotz des vorherrschenden Unmuts auch erkennbar auf lustig geschrieben:

»Sachsen-Anhalt bezeichnet sich auf Schautafeln am Wegrand als ›Land der Frühaufsteher‹, das aber heißt: Kirchen und Museen schließen dort einvernehmlich um 17.00 Uhr, es gilt der Stundenplan des Kollektivs, ausgeschlafen wird nicht, und am Abend herrscht die Ruhe der Toten. Andacht am Feierabend ist nicht vorgesehen.«

Also DDR-Relikte-Bashing, und warum auch nicht, das kann Gustav Seibt ja auf jeden Fall machen. Nur stimmt es nicht mal, was er schreibt. Jetzt werde ich zwar etwas pfennigfuchsig, aber schon 10 Sekunden Googeln bringen ans Licht, dass die Dome in Magdeburg, Merseburg, Naumburg und Quedlinburg länger geöffnet haben, außerdem die Hallenser Laurentiuskirche, St. Bonifatius und St. Marien in Bernburg, St. Peter und Paul in Dessau, um nur mal eine Handvoll zu nennen. Die 10 Sekunden Googeln hätten die gesamte Textstelle zunichte gemacht, denn »17 Uhr« klingt einfach untouristischer und muss eben die Stoßrichtung des Textes stützen.

Okay, vielleicht schießen die gegoogelten Schließzeiten etwas übers Ziel hinaus, aber man kann schon mal darauf hinweisen, dass es ein wenig unlauter ist, aus einem allgemeinen ein ostdeutsches Phänomen zu machen. Als Abgleich wieder der Blick nach Italien, wo Kirchen oft nur bis 13.00 Uhr geöffnet haben, und das war’s dann für den ganzen Tag. Let’s call it Entchristiani­sierung, wie Seibt das tut, hehe.

Dann noch zur Kuchenepisode:

»Jeder französische Kleinstadtbäcker würde vor Scham im Boden versinken vor dem, was im Harz als ›selbstgemachter Kuchen‹ angeboten wird: ein labberiger Fertigboden mit Erdbeeren belegt und von einer dicken Gelatineglasur geschmackstötend zugekleistert.«

Über diese Stelle hat sich schon das DLF-»Fazit« mokiert, ich kenne aber mindestens zwei Leute, die Fans dieser Textpassage sind. Alles in allem ist Seibts Unmutstext ein würdiger Kandidat für den besten schlechten Text des Jahres, so wie weiland Christine Dössels Lawinky-Porträt.

Übrigens scheint Seibt doch ab und zu auch ein Freund ostdeutscher Landpartien zu sein, mir fällt da spontan sein Artikel vom letzten Jahr ein (SZ, 6. 9. 2007), der zwischen Wittenberg und Weimar die »Toskana« Deutschlands ausmachte. Da war er entschieden besser gelaunt im Mitteldeutschen unterwegs, schrieb aber auch nicht über Kirchen und ihre Öffnungszeiten.

Robert Hughes: Caravaggio (1975)

London, 19. Juni 2008, 08:29 | von Paco

Giorgio Vasari hat leider nicht lange genug gelebt, um auch die Vita des Caravaggio zu beschreiben. Also hat das der herrliche Robert Hughes mehr als 350 Jahre nach C.s Tod übernommen, natürlich nicht als Erster oder Einziger, aber als einer der kurzweiligsten Biographers.

In Vorbereitung auf den Italien-Betriebsausflug der Umblätterer-Squadra hatte ich mir noch mal Hughes‘ TV-Doku »Caravaggio« angesehen, die 75 Minuten lang ist und auch irgendwo in 7 Teilen auf YouTube rumfliegt.

In der Doku sehen wir Hughes in Jeans auftreten, in einem weiß-rosa Streifenhemd, manchmal mit einer Jeansjacke drüber, und einem fetten Staubwedel als Frisur (es waren die 70er). Damit mag der Porträtist heute wie ein Hallodri wirken – kunsthistorisch gesehen macht Hughes auf alte Schule: Der Australien-born Kunstkritiker und langjährige »Time«-Autor hatte in einem Interview vom Mai 1997 mal jeglichen Kommentar zu interaktiver Videokunst und dergleichen abgelehnt, mit den Worten: »I just don’t know. I’m a print asshole. I’m a paint boy.« (salon.com)

In seiner Annäherung an Michelangelo Merisi weist er zunächst jegliche biografische Sicherheiten von sich: »We don’t know how or why Caravaggio became a painter.« Mehrfach lobt er dann überschwänglich die realistische Malweise und den plastischen Eindruck, den bestimmte Gemäldeausschnitte beim Betrachter hinterlassen – diese Effekte sind auch ungeschulten Museumsbesuchern sofort vermittelbar und dürften noch immer erheblich zur Vermittelbarkeit und Popularität des Malers beitragen.

Ich selber habe vor einigen Jahren das Gerücht gehört, dass sich vor dem »Supper at Emmaus« in der Londoner National Gallery mal jemand am visuell herausgestreckten Ellenbogen des links vom Betrachter sitzenden Tischgenossen gestoßen haben soll. Hughes zeigt uns nun dieselbe Stelle und weist auf die Löchrigkeit der aus dem Bild ragenden Kleidung hin.

Dann wird Caravaggio von Hughes vor allem noch als »connaisseur of violence« verstanden. Dafür wird uns das »Sacrifice of Isaac« präsentiert. In der Uffizien-Variante des Themas drückt Abraham seinen Sohn derb gegen den Boden: »Only a connaisseur of violence would show you that thick implacable thumb forcing Isaac’s head down on the altar, and that squalling mouth.«

Als weiteres Beispiel führt Hughes das Blutrunst-Bild schlechthin an, die Judith, wie sie Holofernes den Kopf bereits zur Hälfte abgeschnitten hat (im Palazzo Barberini, neulich schon von Dique erwähnt). Sowas widersprach natürlich dem Decorum-Gedanken der Kirchenleute, das ist was ganz anderes als Gerhard Richters bunte Glasfenster für den Kölner Dom, hehe.

Und dann ist die Hughes-Doku auch noch ein Stelldichein dieser britischen Überbetonung und beschert uns folgende Klangerlebnisse, ganz im Sinne des neulich beobachteten graw-tsee-yeah und des Titelhelden der Doku selber, »Kerewartscho«:

  • Majkilendschelo.
  • Tischen.
  • Louränsoh Lattoh.
  • Dschordschionäj.

Usw.

Mit Thomas Bernhard auf NZZ-Rallye

Konstanz, 18. Juni 2008, 07:05 | von Marcuccio

Wir Umblätterer tun ja viel, um an unseren Stoff zu kommen: Wir stellen uns dem Tauben-Terror und teilen brüderlich den »Spiegel«. Aber bei aller Passion haben wir immer noch ein unerreichtes Role Model: Thomas Bernhard.

»Und es ist mir damals auch klargeworden, daß ein Geistesmensch nicht an einem Ort existieren kann, in dem er die Neue Zürcher Zeitung nicht bekommt. (…) Wir sollten uns nur immer da aufhalten, wo wir wenigstens die Neue Zürcher Zeitung bekommen (…).«

Was sich hier und heute wie ein bestelltes Testimonial-Statement liest, steht so tatsächlich in »Wittgensteins Neffe« (Suhrkamp-Ausgabe von 1982, S. 90) und kündet von weiland echter Not: Denn erstens gab es damals weder NZZglobal noch Perlentaucher noch sonstige Netz-Dienstleistungen des »betreuten Lesens« (Kathrin Passig). Und zweitens war die papierne NZZ in Österreich seinerzeit wohl wirklich nicht an jeder Ecke erhältlich. »Jedenfalls«, so Bernhard, »nicht an jedem Tag und gerade dann, wenn man sie unbedingt braucht.«

km 0

Einmal aber, schreibt Bernhard in »Wittgensteins Neffe«,

»(…) hatte ich die Neue Zürcher Zeitung haben müssen, ich wollte einen Aufsatz über die Mozartsche Zaide, der in der Neuen Zürcher Zeitung angekündigt gewesen war, lesen und da ich die Neue Zürcher Zeitung, wie ich glaubte, nur in Salzburg, das von hier achtzig Kilometer weit weg ist, bekommen kann, bin ich im Auto einer Freundin mit dem Paul um die Neue Zürcher Zeitung nach Salzburg, in die sogenannte weltberühmte Festspielstadt gefahren. Aber in Salzburg habe ich die Neue Zürcher Zeitung nicht bekommen. Da hatte ich die Idee, mir die Neue Zürcher Zeitung in Bad Reichenhall zu holen und wir sind nach Bad Reichenhall gefahren, in den weltberühmten Kurort. Aber auch in Bad Reichenhall habe ich die Neue Zürcher Zeitung nicht bekommen und so fuhren wir enttäuscht nach Nathal zurück. Als wir aber schon kurz vor Nathal waren, meinte der Paul plötzlich, wir sollten nach Bad Hall fahren, in den weltberühmten Kurort, denn dort bekämen wir mit Sicherheit die Neue Zürcher Zeitung und also den Aufsatz über die Zaide und wir sind tatsächlich die achtzig Kilometer von Nathal nach Bad Hall gefahren. Aber auch in Bad Hall bekamen wir die Neue Zürcher Zeitung nicht. Da es von Bad Hall nach Steyr nur ein Katzensprung ist, zwanzig Kilometer, fuhren wir auch noch nach Steyr (…)« usw. usf. (S. 88)

Man mag die absatzlose Rallye kaum unterbrechen, um raffend zu erwähnen, dass es bei dieser ganzen erfolglosen NZZ-Besorgungsfahrt noch »durch halb Oberösterreich und bis nach Bayern« ging. Gleichzeitig läuft Bernhards Österreich-Zorn, sein »Zorn gegen dieses rückständige, bornierte, hinterwäldlerische, gleichzeitig abstoßend größenwahnsinnige Land«, in dem noch nicht mal eine ordentliche Zeitung zu bekommen ist, mal wieder zur Hochform auf.

km 350

Am Ende sind es dann wirklich »dreihunderfünfzig Kilometer« geworden, noch dazu, »das muss ausdrücklich gesagt werden, in einem offenen Auto, was unweigerlich eine wochenlang anhaltende Verkühlung von uns dreien zur Folge gehabt hatte«.

Der vermutlich längste, auf jeden Fall atemloseste Zeitungs­einkaufsversuch der deutschen Literatur. Und alles wegen eines einzigen Artikels über die Zaide.

»Ich habe den Aufsatz längst vergessen und ich habe naturgemäß auch ohne diesen Aufsatz überlebt. Aber im Augenblick hatte ich geglaubt, ihn haben zu müssen.« (S. 91)

That’s true passion for the paper. Das ist Umblättern. Wer das nächste Mal zu faul für den Sonntagsspaziergang zur FAS-Ausgabestelle ist, denke gefälligst an den Bernhard’schen Roadmovie.

Mit der FAS und Cy Twombly nach Ciampino

wieder in London, 17. Juni 2008, 10:06 | von Dique

Wir standen im Palazzo Barberini und schauten uns an, wie Judith dem Holofernes angewidert den Kopf abtrennt, angestachelt von dieser bösen Alten im Hintergrund, die ein Tuch für den bevor­stehenden Schädel bereithält. Das klingt ja fast ein bisschen nach einer neuen Massakerminiatur von Kollege John Roxton. Ich rede aber von Caravaggio, der für sein visuelles Ölmassaker das gleiche Model wie für seine Katharina im Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid verwen­dete. Das sage ich mal so aus dem Hut heraus, ohne nachzulesen.

À propos Lesen, die FAS schleppten wir noch weitgehend ungenutzt umher, doch dann wurde mitten im Barbarini-Palast doch mal ins Feuilleton geschielt. Als Aufmacher (S. 25) gibt es ein riesiges Tilda-Swinton-Foto, das auch ein bisschen caravaggista aussieht, und oben drüber steht: »Mein Beruf ist ganz einfach«. Da blätterte ich ganz einfach mal weiter. Das Interview taugt maximal als Ernstfallbackup.

Auf S. 27 bewunderten wir die gute Arbeit der Anzeigenredaktion. Unter Nils Minkmars Artikel über George W. Bush und den Anwalt, der ihn nach seiner Amtszeit wegen Mordes verklagen will, prangt eine große Anzeige für Obamas Buch »Hoffnung wagen«. Well done.

Auf S. 29 dann eines der seltenen Interviews mit Cy Twombly. Das hat die FAS aber nicht selber geführt, sondern druckt einen Auszug des Gesprächs, das der Tate-Direktor Nicholas Serota aufgezeichnet hat (vor 2 Wochen gab es auch schon im »Guardian« eine Kurzfassung davon). »Der große Cy Twombly über seine noch größere Kunst« steht übrigens im Untertitel der FAS-Version. Ich muss aber gestehen, dass ich mit ihm wenig anfangen kann, und das Interview, wie selten es auch sein mag, verschafft auch keine Erleuchtung.

Oft setzt er noch ein paar Bleistift-Kritzeleien auf seine Bilder. Eine wichtige Inspirationsquelle ist ihm T. S. Eliot, und er hat sich wohl eine schöne Sammlung Erstausgaben zugelegt, sagt er, inklusive einem Faksimile von Ezra Pounds Korrekturen zu »The Waste Land«.

»Die nächste Bilderserie enthält Zeilen aus ›The Waste Land‹. Es gibt kaum etwas Schöneres, vor allem der Anfang, über die Jahreszeiten. ›Sommer überfiel uns, kam über den Starnberger See / Mit Regenschauer; wir rasteten im Säulengang / Und schritten weiter im Sonnenschein in den Hofgarten.‹«

Da fällt mir die prima Simpsons-Referenz auf »The Waste Land« ein: Als Lisa ein paar traurige Notizen des Kneipenmannes Moe zusammenfügt, erinnert sie das sofort an Eliots Jahrhundertwerk (Folge 18.06: »Moe’N’a Lisa«).

Wenn ich jedenfalls auf das mit dem Interview gepaarte große Foto schaue (Cy Twombly vor einem seiner Monumentalbilder), dann sehe ich da einen netten alten Herrn, der vor einer riesigen Leinwand voller Farbkleckse steht. Der etwas krakelige in der Mitte, der mehr oder weniger auf seinem Rücken klebt, hat dann auch noch ungeheure Ähnlichkeit mit dem Ergebnis des wunderbaren Spiels Misthaufenfahren (kann man hier spielen). Immerhin ist der Kunstkaiser auf dem FAS-Foto nicht nackt: C. T. trägt zu einem hellblauen Button-down-Hemd eine sackhosenähnliche Sackhose, die gerade noch so von Hosenträgern gehalten wird.

Zu viel mehr kamen wir kaum in der FAS, aber gegen Abend mussten wir zum Flughafen und da würden wir ja Zeit genug haben. Statt den Shuttle Bus zu nehmen, der uns vielfach empfohlen wurde, fuhren wir lieber wieder mit der U-Bahn bis zur äußersten Station und von dort mit dem Bus weiter nach Ciampino. 5 Minuten dauert das normalerweise und kostet nur eineinhalb Euro oder so. So waren wir vor ein paar Wochen morgens angekommen, und das ging ganz prima.

Als wir aber gerade eben in Anagnina ankamen, war alles anders. Wo am Morgen unserer Ankunft Trubel herrschte und Händler von der Pferdedecke bis zum Bügeleisen so ziemlich alles feilboten, war jetzt gähnende Leere und kaum eine Menschenseele zu sehen. Die Ausschilderung war immer noch miserabel, aber irgendwie fanden wir doch den richtigen Busstand.

Ich wollte eigentlich das 12-seitige China-Spezial der FAS lesen, wurde aber langsam nervös, weil ewig kein Bus kam. Ging heute überhaupt noch einer? Paco machte in einer dunklen Ecke eine Art Information ausfindig und bekam die beruhigende Antwort, dass schon noch Busse verkehrten und wir nur eine Weile warten müssten, da wir den vorigen gerade verpasst hatten.

Einen FAS-Text später war immer noch kein Bus da. Jürgen Kesting schreibt über das neue Buch von Jonathan Carr über den Wagner-Clan (S. 30). Das umfangreiche Werk deckt 150 Jahre deutscher Geschichte ab und macht auf jeden Fall neugierig.

Schon am Samstag hatte die FAZ deutsche Historie empfohlen. Tilmann Lahme besprach die Hörbuchausgabe von Golo Manns »Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts«, ungekürzt, 37 CDs, 41 Stunden. Ein tollkühnes Projekt, nur die CD-Einlegerei verdirbt mir den Geschmack. Gibt’s das nicht als MP3 auf einer einzigen DVD? Oder gleich im Paket mit dem Wagnerbuch, als Popcorn-Edition für ein verlängertes Wochenende.

Irgendwann kam dann übrigens der Bus. Weil es aber spät am Abend war, fuhr er nicht direkt zum Flughafen, sondern über ein paar Vororte, um noch Leute einzusammeln. Langsam wurde die Zeit etwas knapp (wie damals in Madrid). Außerdem waren wir so ziemlich allein im Bus und eingesammelt wurde auch niemand so richtig. Der Bus gurkte nur durch viele angekaffte Dörfer. In einem hielt der Fahrer dann an, machte den Motor aus, nahm seine Tasche und Jacke und verließ den Bus.

Er machte sich eine Zigarette an, und es kamen zwei andere Typen, und zu dritt quatschten und rauchten sie vor sich hin. Irgendwann stellten wir fest, dass zumindest einer von denen unser neuer Busfahrer sein musste, Fahrerwechsel also. Wir versuchten ein bisschen Druck zu machen, aber der wurde nur freundlich abgetan, »wann fliegt ihr, in einer Stunde, ach, kein Problem«.

Der Neue stieg dann endlich ein, legte die Jacke ab und öffnete seine Tasche. Er wühlte eine Weile darin und holte ein Glas hervor. Es sah aus wie ein Honigglas, und das gab er dann unserem Ex-Fahrer. Der sah es sich an, bedankte sich und redete weiter. Der neue Fahrer ging dann noch mal raus zu ihm, kam dann aber nach kurzer Diskussion und Blicken auf das Honigglas wieder in den Bus und wühlte in seiner Busfahrertasche.

Er holte eine Zeitung heraus, überraschenderweise den »Corriere della Sera«, und schlug damit das Honigglas ein. Der Beschenkte war es zufrieden, und nach einem herzlichen Abschied fuhren wir endlich zum Flughafen.

Dann kam es doch noch zu einem gemütlichen Check-in, und auf ging’s nach London. Ich hatte dann endlich Zeit für das China-Spezial, stand aber nichts Neues drin.

Fußball-Feuilleton (Teil 5):
Deutschland – Österreich (Córdoba 1978)

Rom, 15. Juni 2008, 07:15 | von Paco

Kurze Frage: Wer war 1941 Deutscher Fußballmeister?

Antwort: Rapid Wien.

Trotz der bekannten Umstände erzeugt dieser Dialogfetzen beim ersten Hören ein wenig kognitive Dissonanz. Einen ähnlichen Effekt nutzt das deutsch-österreichische Moderatoren-/Comedy-Duo Stermann & Grissemann für seinen schon legendären Córdoba-Sketch. Vor dem morgigen EM-Gruppenspiel DEU–ÖST soll hier ganz kurz daran erinnert werden.

Die Erstsendung erfolgte am 11. 11. 2004 nach 22:00 Uhr in der ORF-Sendung »Dorfers Donnerstalk«. Nachdem der nur 2,5-minütige Einspieler seit März 2006 in der Blogosphäre verlinkt und embedded wurde, hat er eine ansehnliche YouTube-Karriere hingelegt. Mehrere Versionen wurden im Laufe der Zeit bei allen möglichen Videohostern hochgeladen. Die populärste YouTube-Variante weist im Moment mehr als 430.000 Views aus.

Der Plot: Das Wiener Fernsehen greift für den Spielbericht zur Partie Österreich – Deutschland während der WM 1978 in Argentinien auf Ortskräfte zurück, zwei herrlich ignorante Altnazis. Die beiden scheinen die Endniederlage des Deutschen Reiches 1945 durch ihre Emigration irgendwie verpasst zu haben und interpretieren das Spiel nun als Sieg einer imaginären großdeutschen Mannschaft gegen sich selbst.

Demzufolge wird aus dem eigentlichen 3:2-Coup der Österreicher, dem »Wunder von Córdoba«, ein 5:0-Sieg, den »Ergebnis­einblendungen der Feindpropaganda« zum Trotz. Dabei sind vor allem die Attribute, mit denen Grissemann die Torschützen versieht, eine Ohrenweide:

1:0 – Karl Heinz Rummenigge, »der blonde Gott aus Detmold«
2:0 – Hubert Vogts, »Berti, der Kämpfer vom Niederrhein«
3:0 – Johannes Krankl, »der bergdeutsche Bomber«
4:0 – Bernd Hölzenbein, »der Hallodri aus Hessen«

Für das 5:0 (das eigentliche 3:2-Siegtor für Austria) greift Grissemann dann auf die legendäre Formulierung des Ösi-Moderators Edi Finger zurück: »Und da werd‘ ich narrisch, da schießt der Johannes Krankl das 5:0.«

Die Moderation erfolgt steif und zackig und lebt von der Akkumulation archaisch-militärisch klingender Begriffe (»Fernmelder«, »Sportskamerad«, »Zeugwart«, »Sporthemd« usw.). Wie in vielen seiner NS-Parodien scheut sich das Duo auch nicht vor Kalauern (»Um 13:45 wird angeschossen.«).

Die beiden bewahren in ihren Rollen als gute Ewiggestrige aber Haltung und verziehen keine Miene, was die Krassheit des Witzes noch etwas steigert – beim erstmaligen Sehen dürfte jedem der sprichwörtliche Döner aus der Hand gefallen sein.

(Mit Dank an Constanze von willkommen-tv.at!)

Hulk. Smash. David. Smash. Citizen Kane.

Rom, 14. Juni 2008, 10:37 | von Dique

Zur Abwechslung mal den »Guardian«. Ob man den lesen darf verraten wir ein anderes Mal. Gerade im Palazzo Doria Pamphilj, und ich bin deutlich schneller fertig als San Andreas, denn der hat auf meine Empfehlung hin den Audio Guide genommen, welcher vom aktuellen Prinzen Jonathan Doria Pamphilj in exzellentem Englisch gesprochen wird. Da gibt es neben der angenehmen Stimme auch ein paar kleine Palazzofamilienanekdoten und damit hebt er sich ein bisschen vom üblichen Audio-Guide-Einheitsbrei ab.

Ich warte also im Buchladen der Galerie neben einer gelangweilt dreinschauenden Spanierin ohne Lesematerial und beschäftige mich mit dem »Guardian«-Kulturteil. Peter Bradshaw schreibt über die neuste Verfilmung des Hulk und für eine gute Kritik braucht man ja bekanntlich nicht zwangsläufig einen guten Film. Umgekehrt läuft es oft besser.

»Hulk. Smash!« Yes. Hulk. Smash. Yes. Smash. Big Hulk smash. Smash cars. Buildings. Army tanks. Hulk not just smash. Hulk also go rarrr! Then smash again. Smash important, obviously.

So geht der Text los, so geht er weiter und so kommt er zum brillanten Ende. Und ich frage mich, ob Peter Bradshaw vielleicht heimlich »Jungle World« liest. Im dortigen Heuteblog gab es Ende März einen Kurzreview von Maik Söhler zu »Gran Turismo 5«, welcher sich so anliest:

Brum, bruuuum, brm, brm, quieeetsch, schepper, bruuuuuum, brm, brm, bruuum, knack, bruuuum, quietsch, zosch. 5000 Credits. Neues Auto. Neue Strecke. Bruum, bruuuum, knack, schepper, bruuum, bruuuuum, brm, brm, zadong. Scheiß Kiesbett. Bruuum, bruuuuuum, brm, brm, endlich im Ziel.

Aber bleiben wir im Hulk-Text, denn der ist schon ein bisschen ausgereifter als die kleine Spaßattacke der Jungle World. Da werden zum Beispiel wichtige Analysen zur Physiognomie des Hulk geliefert:

Film co-written by star. Edward Norton. Norton in it. Norton write it. Norton not need gamma-radiation poisoning to get big head. Thing is: Hulk head weirdly small. Compared with rest of big green body. Hulk not scary. Hulk look like Shrek. Wait. Critic have … second thought. Hulk look like Shrek when Shrek turn handsome, in Shrek 2. Like Gordon Brown.

Und bei dieser Exegese über die Größe von Hulks Kopf denke ich an den David von Michelangelo, denn dessen Kopf halte ich für viel zu groß. Erst vor zwei Wochen stand ich mit San Andreas (dem Filmkritiker des Umblätterers, hehe) vor der riesigen Marmorstatue in der Galleria dell’Accademia und wunderte mich erneut über dessen großen Kopf und seine recht überdimensionierten Hände.

Tatsächlich fragte ich damals San Andreas, wieso es nach der Verfilmung von Ang Lee nun schon wieder einen »Hulk« im Kino gibt? Der Film von Ang Lee sei wohl zu kopflastig gewesen, heißt es. Deshalb waren die Fans enttäuscht, und deswegen gibt es jetzt wieder einen Hulk Classic. Yes. Hulk smash. Yes. Smash. Big Hulk smash. Natürlich konnte Bradshaw diesen Kontext nicht umgehen:

Critic remember Ang Lee version. Ang Lee version slagged off. Yet rubbish new Hulk film make that look like Citizen Kane. Critic exit cinema miffed. Film take away two hours of critic’s life. Critic not get time back. Ever. Rarrrrr.

Ein bisschen dankbarer könnte er allerdings sein, denn ohne den grünhäutigen Schotter hätten wir nicht diesen Lesespaß gehabt. Ich gebe den Text spontan an meine wartende Nachbarin weiter. This is so funny, read this, sage ich. Etwas zögerlich nimmt sie die Zeitung, starrt eine Weile auf den Text und sagt: »What mean ›smash‹?«

Graw-tsee-yeah!

Rom, 13. Juni 2008, 16:40 | von Paco

Von unserer Erasmus-WG in Parioli ist es nicht weit bis zur Villa Borghese. Nach einem Zwischenstopp bei Il Cigno gehen wir direkt zur Galleria Borghese, wo im Moment eine Correggio-Ausstellung läuft, das dritte der Dekadenprojekte der Galerie nach Raffael und Canova – es folgen u. a. 2009 Bacon & Caravaggio, 2011 Tizian, 2012 Cranach.

Eine Correggio-Einzelausstellung war längst mal fällig, allerdings wird man von der unerwarteten Phylle halb erschlagen. Außerdem befinden sich im Präsenzbestand der Galleria natürlich auch noch die Wahnsinnsstatuen von Bernini und Canova, dazu noch 6 Bilder von Caravaggio, mehr als irgendwo sonst, Raffaels »Kreuzabnahme« und Correggios »Danae«.

Davon muss man sich erst mal mit ein paar Nebenwerken erholen: Ein Sassoferrato hängt überraschenderweise im selben Raum wie ein de Hooch. Das glaubt man immer gar nicht, dass das Zeitgenossen waren. Von Sasso hängt hier die übliche wächserne und superschöne Madonna, von de Hooch das Flötistenbild, das inklusive offenem Fenster wieder voller lüsterner Anspielungen ist.

Wir kommen dann irgendwann wieder auf das Veronese-Mocking und die Leonardo-Relativierung von Sébastien2000 zu sprechen und das Alan-Bennett-Interview neulich in »La Repubblica« (28. 5., S. 53, Aufmacher von »R2 Cultura«). »Leonardo? Non mi piace« war die Überschrift. Das ist wie wenn Umberto Eco in der SZ zitiert wird mit »Goethe? Find ich echt scheiße«.

Der Interviewer (Enrico Franceschini) hatte dann nachgefragt, was seine beleidigten Landsleute mit so einer Aussage bitteschön machen sollen. Bennett erwiderte, dass er Leonardo als Meister der Renaissance natürlich schon irgendwie anerkenne, dass seine Werke aber nicht seine Interessenssphäre berührten. Ob er nicht mal die »Mona Lisa« gut finde? Nun ja, er habe sich das Bild nie angesehen, da er stets von dem Massenauflauf davor abgeschreckt worden war.

Der Anlass für die Intervista war übrigens das Erscheinen der italienischen Übersetzung seines Buches über die Londoner National Gallery bei Adelphi. Er macht in dem Gespräch auch wieder Stimmung für den unvoreingenommenen Blick auf Kunstwerke. Das ist subtextuell natürlich auch ein Diss gegen die Audio-Guide-Kultur. Außerdem zeigt sich Bennett belustigt darüber, dass alle immer mit diesem Pathos ins Museum gehen und dadurch jedes dort ausgestellte Ding automatisch als anerkannt gut empfinden.

Nach 2 Stunden wird man bekanntlich aus der Galleria Borghese geschmissen, wir legen ein paar alte SZs und FAZs auf eine Villa-Wiese und machen Siesta. Noch im Halbschlaf kriege ich nach einer Weile mit, wie Dique einem Amerikaner mit »Lone Star State«-T-Shirt den Weg zur Piazza del Popolo beschreibt.

Der gut ausgestattete Touri hält Dique dann wegen seines blauen Hemds eventuell für einen Italiener und bedankt sich mit einem kräftigen: »Graw-tsee-yeah!« So ungefähr dürfte die »Grazie«-Ausspracheanweisung im Lonely Planet lauten. Diese herrlichen Amerikaner!

Auf einmal ist alles graw-tsee-yeah, wir schießen auch noch mal Richtung Piazza del Popolo, noch mal wegen ein paar Lieblingsdetails in die Caravaggio-Kirche rein, und danach mache ich ziemlich in der Mitte des Platzes noch dieses Bild, ich, Dique, Millek, Sébastien2000 (hat heute frei), San Andreas:

Piazza del Popolo

Matussek, Folge 69:
Mein perfektes Promi-Dinner

Rom, 12. Juni 2008, 07:25 | von Paco

Nachdem unsere Enzyklopädisierungen der Folgen 56 (»Spe salvi«) und 63 (»Anleitung zum Nein-Sagen«) ein paar Monate zurückliegen, geht es heute endlich weiter. Diesmal ist eine meiner Lieblingsfolgen dran, Folge 69. Wie immer geschieht alles in der Diktion des TV-Serien-Mekkas TV.com. Enjoy!

Matusseks Kulturtipp (2006 and on)

Ep. Title: »Matussek, Walser, Goethe: Mein perfektes Promi-Dinner«
Episode Number: 69
First Aired: February 26, 2008 (Tuesday)
URL: http://www.spiegel.de/video/video-27501.html

Synopsis

This episode confronts us with a proud Matussek who talks about a dinner he shared with famous German novelist Martin Walser and some other special guests in the Hamburg mansion of Walser’s publisher, Alexander Fest. The reason for Walser being in town was the audio book recording of his acclaimed new novel, »Ein liebender Mann« (»A Loving Man«). While ingesting a tasty wild boar dish the distinguished party crowd discusses the problem of elites in Germany. Towards the end, after a good share of impassioned debates, we witness a recital of a Pushkin poem in its original language which is rendered with small mistakes.

Cast

Star: Matthias Matussek (himself)

Recurring Role: Goethe (himself)

Guest Star: Martin Walser (himself), Günter Berg (himself), Alexander Fest (himself), unidentified Pushkin reciter (herself)

Compositing/Production: Jens Radü

Memorable Quotes

Matussek: »Allen, die immer noch zweifeln, dass Martin Walser Goethe ist, sei sein neuester Roman ›Ein liebender Mann‹ dringendst empfohlen.«

Walser: »Was muss man alles bedenken, wenn man vergleichen will. Schau mal, ich sag auch immer leichtfertig: Alles, was schön ist, kommt aus Italien.«

Matussek: »Es war klar in dem Moment, dass ich auf Goethe hinauswollte. Ich will immer auf Goethe hinaus, wenn die Ehre der deutschen Kulturnation auf dem Spiel steht.«

Walser: »Das ganze 19. Jahrhundert gibt es keinen gescheiten deutschen Roman. Und in England und in Frankreich explodiert der Roman.«

Matussek: »Eine neue Walser-Debatte konnte dank der Geistesgegenwart aller Beteiligten in letzter Sekunde verhindert werden.«

Trivia

Running time of this episode: 5’27 mins.

Matussek wears no suspenders in this episode after the opening credits.

»Der alte Schirrmacher« (»good old Schirrmacher«) is not mentioned in this episode. The same goes for Ding and Dong (i. e., Mephisto).

Matussek opens with the sentence: »Das schönste an einem Essen unter Freunden ist doch die selige Erinnerung danach, heißt es irgendwo im Faust.« This is well said but not a quotation from any part of Goethe’s play. Matussek kind of imitates the rhythm of 18th century German prose and thus mocks the whole genre of Klassikerzitat.

The second component of Walser’s ad hoc compound »Elitescheiß« is bleeped out. The word is subsequently repeated by Matussek and also suffers a loud and clear BEEP.

The blonde lady next to Walser is reciting some lines from Russia’s finest poet, Alexander Pushkin. Being playfully concealed behind a napkin raised by Walser she goes, »Мне не снится нет огна; / Всю ночь и сон докучный.« Yet the wording is not entirely correct. This is what the original looks like: »Мне не спится нет огна; / Всюду мрак и сон докучный.« – Okay, »сниться« (›to dream‹) and »спать« (›to sleep‹, 2nd conjugation!) can be easily confused with one another. Anyway, the excerpt stems from the short (15 lines) poem »Стихи, сочиненные ночью во время бессонницы« (»Verses, composed during a night of insomnia«). The whole passage translates as »I can’t sleep, the light is out; / Chasing senseless dreams in gloom.« That’s how Mikhail Kneller puts it (original text and translation here).

Enough with the Pushkin! Just before he closes the curtain for the time being, Matussek postpones his plans for some math coursework to a later episode. For those not in the know: As 2008 was declared the »Year of Mathematics« he wants to promote this forgotten branch of science by, e. g., offering another $1.000.000 out of his own pocket for a proof of the Riemann Hypothesis in episode #66 (»Eine Million Dollar: Topp, die Wette gilt!«)

Allusions

The title of this episode, »Mein perfektes Promi-Dinner,« alludes to a show broadcast by German television channel VOX since 2006. The original is a cooking show called »Das perfekte Promi Dinner« which involves different types of celebrities. Matussek’s dinner crew also consists of more or less prominent people.

Matussek vividly remembers Günter Berg’s wedding and jokes about having lost his job in the meantime (as head of the cultural department of German weekly »Der Spiegel«).

Matussek’s mentioning of a possible new »Walser-Debatte« can be considered slightly edgy. In October 1998, after being awarded the Peace Prize by the »Börsenverein des Deutschen Buchhandels« (German Publishers & Booksellers Association), Walser held a speech where he described the use of Auschwitz as Moralkeule (killer argument) in debates. What followed where accusations of anti-Semitism and a heated, unfair, over the top discussion which lead away from the actual speech.

Walser’s comment on the dangers of comparison (see above) reproduces a popular German saying which is regarded the 11th commandment: »Thou shall not compare!« It especially refers to people who try to compare something to the Holocaust.

Die Vatikanischen Museen in 30 Minuten

Rom, 10. Juni 2008, 15:01 | von Paco

Wir sind vor allem nach Rom gekommen, weil uns Sébastien2000 (* Name geändert) dazu eingeladen hat. Er ist Anfang des Jahres aus Madrid weggezogen, arbeitet aber weiterhin als Speed Guide, wobei er jetzt eben nicht mehr im Prado mit seinen Kunden durch die Säle rennt (wo wir erst im September seine Tour mitgemacht hatten), sondern in den Vatikanischen Museen.

Das Kunstgelände mitten in der Città del Vaticano ist ungleich größer als das in Madrid, und daher veranschlagt er statt 10 auch 30 Minuten. Dique, Millek, San Andreas und ich haben uns in der Nähe des Eingangs eingefunden, zusammen mit einer Handvoll Geschäftsmännern, die sich erkundigen, ob die Tour auch wirklich in amerikanischem Englisch stattfinden wird. Wird sie.

Die meisten von ihnen haben Anschlusstermine und sind deshalb leicht nervös, als Sébastien2000 erst eine Minute vor 9 Uhr angerannt kommt, völlig verschwitzt, denn er hat gerade die französischsprachige Variante seiner Führung hinter sich gebracht und sich dabei etwas verspätet. Er schlägt mit seinem verschwitzten Hemd und ein paar Kommandotönen als Argument eine Schneise in die Warteschlange und schleust uns so innerhalb weniger Sekunden ins Gebäude.

Einige unwichtige Gebiete der Museen werden auf jeden Fall weggelassen, so hatte es auf dem Flyer gestanden. Natürlich nicht die Pinacoteca, wo es mit dem Stefaneschi-Triptychon von Giotto & Co. gleich gut losgeht. Auf Englisch, wie gesagt. Also ›Dschahdo‹ statt ›Giotto‹, amerikanischer Akzent.

Die Fresko-Fragmente von Melozzo da Forlì werden von einer anderen Truppe blockiert, deren Führerin gerade folgenden Satz sagt, als wir vorbeirennen: »This is actually not a painting, it’s a fresco.« – »That’s a good one«, sagt Sébastien2000 und kuckt sich um, ob auch alle Speed-Tour-Teilnehmer folgen können. Noch ist das so, aber es sind ja auch erst 40 Sekunden verstrichen.

Weiter in den Raum mit Raffaels »Verklärung Christi«. Die nach Kartons von Raffael gewebten Gobelins bitte alle außer Acht lassen, heißt die Anweisung, »not worth a dime«, und eine koreanische Reisetruppe zeigt sich leicht irritiert, als wir uns vor der »Trasfigurazione« mitten in sie reinstellen, aber nur fünf Sätze lang, 15 Sekunden, dann geht es schon weiter. St. Matthew mit seinem Buch in der Hand ist der letzte Satz gewidmet gewesen, es ging unter anderem darum, dass Hand und Fuß 3D-mäßig aus dem Gemälde ragen, den Rest habe ich vergessen.

Im nächsten Saal Leonardos »Hieronymus«, »unvollendet, wie alle guten Leonardo-Gemälde«. Bei dieser Gelegenheit folgt ein 15-sekündiger Vortrag über den Stein als Attribut des Heiligen, mit dem er sich die weltlichen Begierden aus dem Leib geschlagen haben soll. Die 15 Sekunden bringen auch die Chance, sich den Schweiß kurz wegzuwischen. Einer der Businessmen verliert dabei sein Schweißtuch und bückt sich leider danach. Er ist dann offenbar zu langsam wieder auf die Beine gekommen und hat deshalb den Anschluss verloren. Wir haben ihn nicht wiedergesehen.

Anhand eines Veronese-Gemäldes erklärt Sébastien2000 dann, dass dieser »angebliche Maler« vollkommen überschätzt sei, und einige freuen sich mit einem leisen »Wow!« darüber, dass man sowas einfach mal sagen kann. Die »Hochzeit von Kanaa« im Louvre zum Beispiel, ein völlig überdimensioniertes RIESENDING, kucke sich niemand an, obwohl ihr gegenüber nur ein mickriger Leonardo hänge (gemeint ist die »Mona Lisa«). »Now that’s a useful bon mot«, meint jemand keuchend neben mir.

Am Ende des ersten Parcours gibt es dann Wenzel Peter und seinen Ölriesen »Adam und Eva im Irdischen Paradies«. »Never heard of him, huh?«, wirft Sébastien2000 in die Runde. Und deshalb zeigt er gleich noch auf ein weiteres Werk des passionierten Tiermalers, seinen »Tigre ruggente«. Das Fell sei ja »gut gemalt«, brüllt Dique, wir lachen, und einer der anderen Teilnehmer bringt einen Witz darüber, dass der Tigerkopf dann doch eher aussieht wie von Rousseau (dem ›Zöllner‹) hingeschmiert, dem anderen passionierten Tiermaler, hehe.

Davor haben wir kurz noch Giulio Romanos »Madonna di Monteluce« und Caravaggios »Deposition from the Cross« angesehen, aber nur im Vorbeilaufen, und das war es dann auch schon mit der Pinacoteca. 7 Minuten sind verstrichen.

Wir rennen kurz durch die anderen Abteilungen, »these are statues, these are hieroglyphes, these are mummies [Mumien]«, kommentiert unser Guide ganz unspezifisch. Der Subtext ist also: interessiert doch eh keine Sau, aber ich finde das zum Beispiel erst lustig, als der Scherz schon sekundenlang verklungen ist.

Dann geht es auf den schwersten Abschnitt der Strecke: Wir rasen den endlos langen Bibliotheksgang Richtung Cortile del Belvedere entlang, und ich merke, dass Bootsschuhe keine gute Wahl waren für diese Museumstour im Schnelldurchlauf. Sébastien2000, Dique und Millek zum Beispiel tragen extra für diesen Zweck diese bequemen MBT-Schuhe (Masai Barefoot Technology) und sind damit klar im Vorteil.

Vor der Laokoon-Gruppe (engl. Laocoön; ital. Laocoonte) wird kurz zu den offenen Mündern der einzelnen Figuren referiert. Die Luft im Skulpturenhof tut gut, kleine Verschnaufpause. Während wir zum nächsten Objekt weiterziehen, gelingt es mir noch, dieses leicht verwischte Foto zu schießen:

Laokoon-Gruppe, Speed-Tour, Vatikanische Museen

Für meine Begriffe viel zu schnell wird dann mit ein paar gelangweilten Sätzen der Apoll von Belvedere abgehakt, »been there done that« ist das Motto, keine Zeit verlieren, und schon sind wir in den Raffael-Stanzen. Dort gehen ungelogen fast 4 Minuten drauf, auch weil Sébastien2000 im Angesicht der »Schule von Athen« kurz alle abgebildeten Figuren aufzählt bzw. in Ansätzen den Forschungsstand hinsichtlich deren Identität zusammenfasst.

Im Trakt mit den modernen religiösen Gemälden begegnet uns dann überraschenderweise die »Crucifixon« von Gerardo Dottori, die Dique neulich schon in der Estorick Collection gesehen hatte. Ein Wahnsinnsbild, das auch unserem Guide immerhin 10 Sekunden wert ist. Am modernen Rest, darunter eine Handvoll Dalís, sprinten wir (und auch die normalen Museumsbesucher) achtlos vorüber. In jeder anderen Ausstellung wären sie der Hit und verursachten Massenaufläufe. Hier taugen sie offenbar vor allem als Füllsel.

Dann die von Michelangelo ausgemalte Sixtinische Kapelle. Ich kann nur noch ungefähr die Hälfte unserer Truppe ausmachen, der Rest ist unterwegs verloren gegangen. Für die überfüllte Kapelle bekommen wir die Anweisung, uns einzeln durchzuschlagen. Einige unbekanntere Details des »Jüngsten Gerichts« und der Gewölbeszenen (»Die Erschaffung Adams« usw.) werden kurz anerklärt, dann geht es auch schon los. Ich verliere die anderen sofort aus den Augen und brauche eine Minute, um mich zum anderen Ende durchzuwühlen. Dabei gelingt es mir, einige gezielte Blicke auf die Kapellenwände zu werfen.

Draußen treffe ich einen der Businesstypen, auch er ziemlich verschwitzt. Es sind tatsächlich genau 30 Minuten verstrichen, er hat die Zeit gestoppt. Er meint, dass er gern auch mehr als die 100 Euro für die Tour gezahlt hätte, wenn es noch etwas schneller gegangen wäre.

Lost: 4. Staffel, 13. und 14. Folge

Rom, 9. Juni 2008, 17:43 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »There’s No Place Like Home (Parts 2+3)«
Episode Number: 4.13+14 (#84+#85)
First Aired: May 29, 2008 (Thursday)
Deutscher Titel: »Die Rückkehr, Teil 2+3« (EA 7./14. 9. 2008)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Mit diesem Doppelfolgenschlag endete vor gut zwei Wochen die episodenmäßig leicht verkürzte 4. »Lost«-Staffel. Hinsichtlich des großen Storybogens mischt sich das Zeitreisenthema mit dem Thema des Wegbeamens von eigentlich fest in der Gegenwart verankerter Materie. Diese Space-Komponente ist neu und kommt in dieser Folge als Versetzung der Insel daher, so wie sie Ben, Locke & Co. in Jacobs Hütte aufgetragen worden war: »We gotta move the island.« (Folge 11)

Es bleiben nur noch 2 Staffeln, um uns das Insel-Mysterium plausibel zu erklären, und in der 4. Staffel, vor allem in Folge 5 (»The Constant«), wurde alles Richtung SciFi-Hokuspokus verschoben. Was zu dem als Robinsonande mit psychologischer Tiefenwirkung gestarteten »Lost« nicht so recht zu passen scheint.

Bisher hatte ich die Mystery der Serie ganz anders interpretiert: Wenn gleich in Folge 1.02 der berühmte »Lost«-Eisbär durch den Jungle rast oder in Folge 1.05 Jacks eigentlich toter Vater auf der Insel erscheint, dann hielt ich das für magischen Realismus in der Tradition von García Márquez‘ »Hundert Jahre Einsamkeit«. Mittlerweile wird dieser magische Realismus durch waschechte Science-Fiction-Elemente übertönt, auf die wohl auch alles hinauslaufen wird. Wobei zunächst auch stimmt, was sablog zur Teleologie der Serie anmerkt:

»Das Wichtigste ist wohl, dass man als Zuschauer wieder das Gefühl hat, dass dies alles irgendwo hinführt und dass es wirklich einen größeren Gesamtzusammenhang gibt und die Autoren nicht planlos vor sich hin spinnen.«

So viel zum Gesamtkonzept. Noch kurz zum großen Cliffhanger, der die 4. Staffel beschlossen hat: Lockes Beerdigung im Flashforward, außerhalb der Inselwelt. Diese Szene, die uns bis Januar bei der Stange halten soll, ist freilich nicht so stark wie die Entdeckung des Hatch am Ende von Staffel 1 oder der erste Flashforward am Ende von Staffel 3.

Trotzdem wirft der Blick in den Sarg genügend Interpretations­spielraum auf, der wohl demnächst das Thema ›Auferstehung‹ auf den Plan rufen wird. Denn auch wenn »Lost« dafür bekannt ist, einfach mal ein paar Hauptcharaktere zu killen, wird keiner ernstlich glauben, dass auch Locke endgültig dem Drehbuch geopfert wurde.

Nun zu einigen Details, die auch die Episoden 13 und 14 wieder ein echtes »Lost«-Erlebnis haben werden lassen. Gleich der Beginn der Doppelfolge ist fulminant: Die Others überfallen den Keamy-Trupp. Kurz darauf kommt es zu einer der besten Kampfszenen bisher: Sayid rennt Keamy um, der Ben und Kate verfolgt. Es geht hin und her, bis Keamy hinterrücks von Richard abgeschossen wird.

Ben: Thank you for coming, Richard.
Richard: My pleasure.

Zum Dank lässt Ben, der Insel-Gentleman, Kate und Sayid gehen, »the helicopter is yours, … have a safe journey back!« Die beiden gabeln noch Jack und Sawyer auf und heben ab Richtung Frachter. Die Treibstoffanzeige bewegt sich schnell Richtung Null, und Chopper-Frank meint, dass man ein paar Dinge rauswerfen solle, damit die Chopper leichter werde. Ein paar Metallkoffer usw. klatschen ins Meer. Als ob das helfen würde, Gallonen an Benzin zu sparen.

Also muss sich jemand opfern und zwar – Sawyer, aber erst nach ein paar Flüsterworten, die er Kate zuraunt und mit einem »Just do it!« bekräftigt. Er springt hinaus in den Ozean, taucht wieder auf und schwimmt zurück zur Insel. Am Strand trifft er auf Juliet.

(Für Sawyers Flüsterworte kursiert inzwischen eine plausible Verständnisvariante. Wahrscheinlich sagt er zu Kate: »I have a daughter in Albuquerque, I need you to find her, tell her I’m sorry.« – Könnte durchaus so stimmen, denn in Folge 2.04 hatte Sawyer von der Existenz seiner Tochter Clementine erfahren, die er zusammen mit einem seiner Betrugsopfer gezeugt haben soll. Die Kleine und ihre Mutter leben angeblich dort, in Albuquerque, New Mexico.)

Nahe der neu entdeckten Dharma-Station ist es davor übrigens wieder zum Glaubenskampf gekommen: Jack vs. Locke. Es geht diesmal um die Möglichkeit von Wundern. »There’s no such thing as miracles«, sagt Jack. »Just wait till you see what I’m about to do«, antwortet ihm Locke.

Er hat dabei zwar schon einen Argumentationstrumpf in der Hand: seine eigene Heilung und Auferstehung aus dem Rollstuhl nach dem Flugzeugcrash. Aber diesmal meint er sicher das bevorstehende Wegbeamen der Insel. Also endlich mal ein Punkt für Locke, den notorischen Fehleinschätzer. So ist es später auch Jacks ungläubiges Gesicht, das wir als erstes sehen, nachdem die Insel dem Meeresspiegel gleich gemacht wurde.

Die auf der Insel verbliebenen Ben und Locke entern die Orchid-Station, wo wir endlich mal wieder das Interieur eines der finsteren Dharma-Bunker bestaunen können. Auch dieser hier habe für »silly experiences« der Dharma-Leute gedient, meint Ben lustigerweise. Es gibt qua Dharma-Lehrvideo ein Wiedersehen mit Dr. Edgar Halliwax (wie lange ist das her!). Er spricht von »experiments in both space and time«. Das wirkt erst mal lächerlich, und damit ist auch der befürchtete Moment da, im Klartext: Es geht irgendwie um time-travelling.

Ben bestätigt das so halb, nimmt dem SciFi-Kram gleichzeitig aber mit einem lustigen Kommentar glücklicherweise die Aura. Außerdem stopft er die geflieste Zeitreisenkammer, die von außen aussieht wie ein futuristischer Fahrstuhl, mit Metall voll, obwohl das Lehrvideo genau das explizit verbietet. Als Ben das Ding einschaltet, ist das Zeitreisenthema auch erst mal vom Tisch, denn die Kapsel explodiert – und gibt den Weg frei zum Schacht mit dem Bewegungsrad.

Unmittelbar bevor Ben dort tätig wird, übergibt er Locke die Führerschaft, denn: »Whoever moves the island can never come back.« Der alte Leader opfert sich für die Gemeinschaft und weiht den neuen Leader ganz persönlich. John wird zu den Others geschickt, die ihn mit verklärenden Augen anblicken und begrüßen. »Welcome home«, sagt Richard.

Ben gelingt es, die vereiste Drehkreuz-Kulisse zu bewegen. Die Szene wird wie bei vielen Atombomben-Filmen ins Weiße hin ausgeblendet. Die Insel verschwindet im Meer. In welcher Parallelwelt deren Bewohner landen, sehen wir vorerst noch nicht. Jedenfalls ist das schon ziemlich starker Tobak, den man für schlecht ausgedachten Proto-SciFi-Scheiß halten könnte. Andererseits wird dadurch das Zeit/Raum-Thema in neue Dimensionen getrieben.

Ach ja, Keamy hat die auf ihn abgegebenen Schüsse durch eine Schutzweste überlebt und ist Ben in die Dharma-Station gefolgt, wo er von diesem martialisch erstochen wird. Was nicht so gut ist, denn Keamys Puls hält über eine Fernsteuerung die Riesenbombe auf dem Frachter davon ab, in die Luft zu gehen.

Es wirkt übrigens sehr holzhammerartig, dass auf der Ansammlung von Sprengstoff ganz groß draufsteht: »C4 EXPLOSIVE!« Es könnte ja auch was ganz anderes darin sein, hehe. Und Desmond, Michael und Jin machen total auf MacGyver, wenn sie sich darüber unterhalten, welches Kabel durchzutrennen sei. Sie finden aber keine Lösung und können mit irgendwelchem kühlenden Sprühzeug die Explosion verzögern.

Da landet der Heli auf dem Frachter und wird wegen der akuten Gefahr sofort wieder weggeschickt, diesmal mit Sun und dem kleinen Aaron an Bord. Dann geht der Frachter hoch, BOOOM! Jin und Michael gehen dabei offensichtlich mit drauf.

Dann verschwindet ja die Insel, der Heli hat somit keinen Landeplatz, und das Ende des Treibstoffs zwingt ihn zur Bruchlandung im Meer. Die Besatzung findet komplett in das aufblasbare Rettungsboot, wobei es zunächst schlecht aussieht für Desmond, bis er von Jack reanimiert wird. Dann stößt ein Schiff auf die Notgelandeten, Penny Widmores Schiff. Es folgt ein kleines Happy End: das Wiedersehen von Penny und Desmond.

Statt einem Freudenfest gibt Jack aber an die anderen die Anweisung weiter, die ihm Locke zugesteckt hat: »We’re gonna have to lie!« Und zwar, um die auf der Insel Verbliebenen zu schützen. Deshalb schippern sie 3.000 Meilen weiter bis zur Insel Membata, wo sie aufgefunden werden. (Die falsche Verschollenheit wurde in Folge 12 der Öffentlichkeit präsentiert.)

Im Flashforward ist übrigens die ganze Doppelfolge lang von einem Jeremy Bentham die Rede. Es handelt sich um ein Pseudonym von John Locke, der auch irgendwie die Insel verlassen hat um die abtrünnigen Losties zurückzuholen. Jack in der Schlussszene zu Ben: »He told me that after I left the island some very bad things happened. And he told me that it was my fault for leaving. And he said that I had to come back.«

In der Lostpedia, die dem Benennungszinnober der »Lost«-Autoren ja immer weitschweifig Gründe unterlegt, wird die Kritik erwähnt, die der historische Bentham an der Gewaltherrschaft der Jakobiner geübt hat. Die Jacobins könnten dann subtextuell auf den mysteriösen Inseloberen Jacob verweisen. Vielleicht aber auch nicht, hehe.

Locke alias Bentham hat jedenfalls laut Sayid Selbstmord begangen, bzw.: »They said it was suicide.« Immer diese »they«!

Sun geht im Flashforward übrigens einen eigenen Weg. Sie darf vor einer bekannten touristischen Kulisse, der Londoner Tower Bridge, auftreten, wo sie als toughe Managerin der Firma ihres Vaters (Paik Industries) ein nicht näher erklärtes Kooperationsangebot an Widmore richtet. Die Schauspielerin der Sun (Yunjin Kim) ist mit ihrer Rolle übrigens nicht mitgewachsen: Man nimmt ihr das herrische Gebahren keine Sekunde lang ab.

Suns Geschichte ist ja überhaupt die eines verspäteten Coming of Age, das noch lange nicht abgeschlossen ist und das sicher nicht 3 Jahre nach dem Inselaufenthalt damit endet, dass sie mit einem wie Widmore auf Augenhöhe sprechen kann. »As you know, we’re not the only ones who left the island«, sagt sie zu ihm. Abgesehen davon, dass sie diesen Satz mit ihrer brüchigen Stimme absolut nicht ernst rüberbringen kann, ist das ziemlich schlechte Cliffhanger-Rhetorik.

Noch eine Kleinigkeit: Vor der Insel-Versetzung gab es zwischen Miles und Rose einen schönen Kurzdialog darüber, ob Miles jetzt die Dharma-Erdnüsse der Losties essen dürfe oder nicht. Das ist überhaupt das Problem dieser vollgestopften letzten Folgen gewesen: dass es viel zu wenig Interaktion gab zwischen den Nebenfiguren.

Dabei sorgt Miles etwas später für einen äußerst interessanten Cliffhanger. Er lässt gegenüber Charlotte durchscheinen, dass er weiß, dass sie schon mal auf der Insel gewesen ist. Charlotte stellt sich daraufhin dumm, aber wir sehen an ihrem Gesichtsausdruck: Da wird was dran sein. Im Gespräch mit Faraday erzählt sie kurz darauf, dass sie »still looking for where I was born« ist.

Es ist zur Abwechslung vielleicht auch mal ganz gut, dass es mehrere kleinere Cliffhanger gibt statt eines großen, der alle anderen übertönt. Wobei: Welche Informationslücke ist größer als diejenige, die den riesigen vierzehigen Statuenrest aus Folge 2.23 betrifft?