Der Prado in 10 Minuten

Madrid, 16. September 2007, 21:26 | von Paco

Wir trafen uns gestern Vormittag etwas verspätet, weil wir offenbar alle noch unabhängig voneinander irgendwo die S-Zeitung gekauft hatten (2,70 EUR). Da stand nämlich ein »Curb Your Enthusiasm«-Artikel von Jochen Schmidt drin (siehe hier und hier), den wir alle schon im Gehen gelesen hatten, untermalt von den zwitschernden Ampeln Madrids.

Wir standen also vor dem Prado und warteten auf Sébastien2000 (* Name geändert). Dique kannte ihn, weil er vor Jahren auch mal als Speed Guide im Prado gearbeitet hatte.

Speed Guides machen Führungen für Leute mit wenig Zeit und Geduld, die »only the key facts« (Werbeprospekt) wissen möchten bzw. diese sowieso schon kennen und nur schnell ein Gefühl für die Räumlichkeit bekommen wollen, damit sie hinterher sagen können, was wo hängt.

Ein Rundlauf dauert 10 Minuten, dann steht man wieder vor dem Eingang und kann den Prado abhaken. Speed Guides sind nicht offiziell anerkannt und werden auch selten gebucht, weil sich 80 Euro für 10 Minuten nur Businessleute leisten wollen.

Die Gruppe musste gerade gestartet sein, denn wir sahen 7 Anzugträger hinter Sébastien2000 herrennen, der ihnen kommandoartig Dinge zurief. Wir schlossen schnell auf und bekamen dann alles mit:

Wir passierten die Raffaels – »Dreieckskomposition, da und da, rot, blau, angedeutete Landschaft, bei Patinir nachher dann mehr davon«.

Kurz ein Schlenker rein zu Rogier van der Weyden, Kreuzabnahme Christi – »hier, Altar, 3D-Effekt usw.« – und den Boschs – »kommen Sie, nicht aufhalten, El Bosco, so heißt hier also Bosch, Sie wissen das, aber es klingt so gut, deshalb noch mal, El Bosco, El Bosco, Garten der Lüste, der Baummensch, da und da, Sie gähnen zu Recht, deshalb auch gleich weiter zu …

… Parmigianino, eines der besten Frühwerke ever, die Heilige Barbara, sehr günstig gehängt, sieht man auch von Weitem noch, haben Sie schön gemacht hier, den Effekt haben wir auf dem Rückweg, jetzt bitte kurz hierher …

… zu Correggio, da und da, und dann noch Bernardino Luini natürlich, diese Madonna, die sollten Sie sich mal aufschreiben …«

Einer der Businessleute fragt kurz nach dem Leonardo-Einfluss bei Luini, dafür ist dann 20 Sekunden Zeit, die wir wieder aufholen müssen, indem wir ohne weitere Verzögerung die Treppen in den 3. Stock hocheilen, denn: »Das war es eigentlich im 1. Stock, weiter weiter, mir nach.«

Irgendwann entgleitet San Andreas die Kamera und springt noch ein paar Stufen nach unten, aber die Ixus-Modelle halten das ja bekanntlich aus. Angeblich ist der Aufprall auf der Horizontalen sogar ein Feature, bei dem automatisch der Weißabgleich ausgeführt wird, wie auch immer das vonstatten gehen soll, hehe.

Oben dann an den Goyas vorbei, »schauen Sie nicht hin, lohnt sich nicht«, hinter in die äußerste Ecke, die Mengs-Porträts, 12 Sekunden für Karl III. und Frau, ich bekomme nur Fetzen von den key facts mit, bin völlig außer Puste, Dique auch, er hängt ziemlich durch und wischt sich den Schweiß ins Hemd, und dann geht es auch schon wieder runter in den 2. Stock.

Vor Las Meninas traubt so eine italienische Reisegruppe, Dique und Sébastien2000 schlagen einen Keil in die Menge, sodass alle kurz ans Bild rantreten können, »achten Sie nicht auf den Maler und den Spiegel, nur auf die Meninas, da und da, sehen Sie, genau.«

Die Riberas sind dann der eigentliche Hit, zwei der Gruppe bleiben da über Gebühr hängen, vor allem vor der Mannfrau mit der zum Stillen freiliegenden Brust. Dann Murillo, die Hirtenbilder, »ein Wahnsinn«, und dann …

… gibt es noch einen kurzen Abstecher zu den pinturas negras von Goya, die lohnen sich also offenbar im Gegensatz zu dem Zeug ganz oben.

Durch den Gang mit den Italienern im 1. Stock hechten wir zurück zum Eingang, Parmigianinos Heilige Barbara sieht tatsächlich wunderhübsch aus, wie man so an ihr vorbeirennt, und dann sind 9 Minuten und 32 Sekunden vorbei, da ist noch Zeit, etwas Trinkgeld zu geben.

Und einer will wissen, was jetzt eigentlich mit dem angekündigten Patinir ist.

Sébastien2000: »Ach so, genau, hatte ich ja eben kurz angedeutet, da gibt es diese herrliche Ausstellung im 2. Stock. Mach ich jetzt gleich im Anschluss, falls Sie 3 Minuten Zeit haben. Kostet 40 Euro.«

»Das geht ja.«

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