Jochen Schmidt über »Curb Your Enthusiasm«

Madrid, 22. September 2007, 13:57 | von Paco

Ich bin hier, um Jochen Schmidt zu retten. So wie das einige Feuilletonisten schon nach dem diesjährigen Bachmann-Wettbewerb getan haben, bei dem Schmidt mit dem ohne Zweifel besten Text im Rennen leer ausging.

Jedenfalls, vor genau einer Woche hat J. S. im Aufmacher (!) der Wochenendbeilage der S-Zeitung über »Curb Your Enthusiasm« berichten dürfen. Und jetzt sind es Teile der deutschsprachigen »Curb«-Szene, die ihm übel wollen. Warum? Kommt gleich.

»Das Leben ist doch viel zu kurz, um auf Enthusiasmus verzichten zu können«, sagte Rüdiger Safranski am Dienstag im FR-Interview. True that, und deshalb stelle ich jetzt schon mal fest: Jochen Schmidt’s the maaan!

Es hat zwar vor ihm auch schon mal einen »Curb«-Review von Oliver Kalkofe gegeben (im »Eulenspiegel« oder irgendwo, mal beim Umblättern in der Bahnhofsbuchhandlung aufgeschnappt), und auch Maxim Biller hat die Serie mal irgendwann empfohlen in einer der Redaktionsempfehlungsrubriken der FAS.

Jochen Schmidt aber hat nun den deutschsprachigen feuilletonistischen Standard-Text über »Curb Your Enthusiasm« und über Larry David geschrieben. Nebenbei, der international anerkannte Standard-Text zu Larry David ist immer noch der, der im Januar 2004 im New Yorker gestanden hat und »Angry Middle-Aged Man« betitelt war.

»Angry Middle-Aged Man« war eine geniale Überschrift. Sie wird heute noch zitiert, wann immer irgendwo LD erwähnt wird. Dagegen war die Überschrift der S-Zeitung eine der schlechtesten Überschriften des Jahrtausends: »Deutschland vergessen«.

»Damit ist zwar natürlich etwas Bestimmtes gemeint«, sagte Gabriel, »das hat mit der Einzigartigkeit des Schmidt-Textes aber nichts zu tun.« Diese Ungenauigkeit setzt sich dann in den redaktionellen Paratexten fort. Ein hervorgehobenes Zwischenzitat lautet:

»Warum passt kein Finger durch Tassenhenkel? Larry David weiß es.«

Nichts weiß er! Das wird nie beantwortet, und in Schmidts Text steht auch, dass diese Art Fragen nur gestellt und auf keinen Fall im Stil von etwa Schrotts Sammelsurium beantwortet wird.

Und dann ist da noch die von Schmidt nicht ganz richtig wiedergegebene Information, dass es die Serie »nicht nach Deutschland geschafft« habe. Na gut, die Serie ist hierzulande nur über das UMTS-Mobilfunknetz von Vodafone zu sehen (wie Schmidt selber auch weiß), aber immerhin ist die Serie auch synchronisiert. Ob es freilich Sinn hat, sie zu synchronisieren, ist die Frage. Schmidt spricht da sicher vielen Serienjunkiez aus der Seele, wenn er feststellt:

»Aber in Deutschland wird jede Serie synchronisiert und damit halb verstümmelt, weil man hier den Menschen nicht zutraut, was für Polen, Slowenen oder Niederländer normal ist, beim Fernsehen, also spielend, Englisch zu lernen.«

Spätestens dieser Satz hat die Szene auch wieder beruhigt. Es ist aber wirklich als Glück zu werten, dass der Text in der Wochenendbeilage stand und daher sozusagen nicht als Rezension gilt. Denn ein unfassbarer (na ja) journalistischer Fauxpas kommt noch hinzu: Es gab nämlich durchaus einen Anlass für die Platzierung des Artikels gerade zu diesem Zeitpunkt.

Nur 6 Tage vor der Veröffentlichung begann auf HBO die lang ersehnte sechste Staffel, endlich, nach fast zwei Jahren. Ein Anlass zur Berichterstattung, wie er im Buche steht. Und der wird im Artikel eben nicht erwähnt.

Einige Curb-Your-Enthusiasts waren dermaßen enttäuscht von der S-Zeitung, das ging bis hin zur Androhung von SZ-Abo-Kündigungen (vgl. die FAZ-Abbesteller-Szene). Was natürlich keiner machen würde, aber die Androhung der Kündigung ist ja ein immer wieder gern bespieltes Unter-Genre der Leserbriefpost.

Soweit sind die Journalismus-Bits abgehandelt, und jetzt kommt’s: Als Feuilleton ist Jochen Schmidts Text eine seltene Perle. So sieht’s aus, und also rein damit in die Nominierungs-Longlist für 2007.

Proust wird erwähnt (natürlich), dann Kafka, Benjamin, dann allen Ernstes noch Horaz und Tocotronic, und natürlich spätestens da wird es zu viel. Aber noch diese brachiale Verortung in der Kulturgeschichtsschreibung unterstreicht, dass »Curb Your Enthusiasm« eben nun mal die Feuilleton-Serie ist.

Es gibt zurzeit keine besser geschriebenen Drehbücher, auch wenn das im Falle von »Curb« nur Outlines sind. Als Ergebnis sehen wir dann aber »wahre Meisterwerke der Plottechnik«, von denen auch Schmidt schreibt. Das muss man wirklich gesehen haben.

Am Ende des Artikels steht ein Satz, auf den offenbar auch die misslungene Überschrift rekurriert. Ein Satz, der den Grundtenor bei Medienjournalisten wie Peer Schader und Stefan Niggemeier schön zusammenfasst und insgesamt wohl auch die deutsche Medienberichterstattung der letzten Jahre. Er lautet:

»Kein Mensch braucht deutsches Fernsehen.«

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