Die Vatikanischen Museen in 30 Minuten

Rom, 10. Juni 2008, 15:01 | von Paco

Wir sind vor allem nach Rom gekommen, weil uns Sébastien2000 (* Name geändert) dazu eingeladen hat. Er ist Anfang des Jahres aus Madrid weggezogen, arbeitet aber weiterhin als Speed Guide, wobei er jetzt eben nicht mehr im Prado mit seinen Kunden durch die Säle rennt (wo wir erst im September seine Tour mitgemacht hatten), sondern in den Vatikanischen Museen.

Das Kunstgelände mitten in der Città del Vaticano ist ungleich größer als das in Madrid, und daher veranschlagt er statt 10 auch 30 Minuten. Dique, Millek, San Andreas und ich haben uns in der Nähe des Eingangs eingefunden, zusammen mit einer Handvoll Geschäftsmännern, die sich erkundigen, ob die Tour auch wirklich in amerikanischem Englisch stattfinden wird. Wird sie.

Die meisten von ihnen haben Anschlusstermine und sind deshalb leicht nervös, als Sébastien2000 erst eine Minute vor 9 Uhr angerannt kommt, völlig verschwitzt, denn er hat gerade die französischsprachige Variante seiner Führung hinter sich gebracht und sich dabei etwas verspätet. Er schlägt mit seinem verschwitzten Hemd und ein paar Kommandotönen als Argument eine Schneise in die Warteschlange und schleust uns so innerhalb weniger Sekunden ins Gebäude.

Einige unwichtige Gebiete der Museen werden auf jeden Fall weggelassen, so hatte es auf dem Flyer gestanden. Natürlich nicht die Pinacoteca, wo es mit dem Stefaneschi-Triptychon von Giotto & Co. gleich gut losgeht. Auf Englisch, wie gesagt. Also ›Dschahdo‹ statt ›Giotto‹, amerikanischer Akzent.

Die Fresko-Fragmente von Melozzo da Forlì werden von einer anderen Truppe blockiert, deren Führerin gerade folgenden Satz sagt, als wir vorbeirennen: »This is actually not a painting, it’s a fresco.« – »That’s a good one«, sagt Sébastien2000 und kuckt sich um, ob auch alle Speed-Tour-Teilnehmer folgen können. Noch ist das so, aber es sind ja auch erst 40 Sekunden verstrichen.

Weiter in den Raum mit Raffaels »Verklärung Christi«. Die nach Kartons von Raffael gewebten Gobelins bitte alle außer Acht lassen, heißt die Anweisung, »not worth a dime«, und eine koreanische Reisetruppe zeigt sich leicht irritiert, als wir uns vor der »Trasfigurazione« mitten in sie reinstellen, aber nur fünf Sätze lang, 15 Sekunden, dann geht es schon weiter. St. Matthew mit seinem Buch in der Hand ist der letzte Satz gewidmet gewesen, es ging unter anderem darum, dass Hand und Fuß 3D-mäßig aus dem Gemälde ragen, den Rest habe ich vergessen.

Im nächsten Saal Leonardos »Hieronymus«, »unvollendet, wie alle guten Leonardo-Gemälde«. Bei dieser Gelegenheit folgt ein 15-sekündiger Vortrag über den Stein als Attribut des Heiligen, mit dem er sich die weltlichen Begierden aus dem Leib geschlagen haben soll. Die 15 Sekunden bringen auch die Chance, sich den Schweiß kurz wegzuwischen. Einer der Businessmen verliert dabei sein Schweißtuch und bückt sich leider danach. Er ist dann offenbar zu langsam wieder auf die Beine gekommen und hat deshalb den Anschluss verloren. Wir haben ihn nicht wiedergesehen.

Anhand eines Veronese-Gemäldes erklärt Sébastien2000 dann, dass dieser »angebliche Maler« vollkommen überschätzt sei, und einige freuen sich mit einem leisen »Wow!« darüber, dass man sowas einfach mal sagen kann. Die »Hochzeit von Kanaa« im Louvre zum Beispiel, ein völlig überdimensioniertes RIESENDING, kucke sich niemand an, obwohl ihr gegenüber nur ein mickriger Leonardo hänge (gemeint ist die »Mona Lisa«). »Now that’s a useful bon mot«, meint jemand keuchend neben mir.

Am Ende des ersten Parcours gibt es dann Wenzel Peter und seinen Ölriesen »Adam und Eva im Irdischen Paradies«. »Never heard of him, huh?«, wirft Sébastien2000 in die Runde. Und deshalb zeigt er gleich noch auf ein weiteres Werk des passionierten Tiermalers, seinen »Tigre ruggente«. Das Fell sei ja »gut gemalt«, brüllt Dique, wir lachen, und einer der anderen Teilnehmer bringt einen Witz darüber, dass der Tigerkopf dann doch eher aussieht wie von Rousseau (dem ›Zöllner‹) hingeschmiert, dem anderen passionierten Tiermaler, hehe.

Davor haben wir kurz noch Giulio Romanos »Madonna di Monteluce« und Caravaggios »Deposition from the Cross« angesehen, aber nur im Vorbeilaufen, und das war es dann auch schon mit der Pinacoteca. 7 Minuten sind verstrichen.

Wir rennen kurz durch die anderen Abteilungen, »these are statues, these are hieroglyphes, these are mummies [Mumien]«, kommentiert unser Guide ganz unspezifisch. Der Subtext ist also: interessiert doch eh keine Sau, aber ich finde das zum Beispiel erst lustig, als der Scherz schon sekundenlang verklungen ist.

Dann geht es auf den schwersten Abschnitt der Strecke: Wir rasen den endlos langen Bibliotheksgang Richtung Cortile del Belvedere entlang, und ich merke, dass Bootsschuhe keine gute Wahl waren für diese Museumstour im Schnelldurchlauf. Sébastien2000, Dique und Millek zum Beispiel tragen extra für diesen Zweck diese bequemen MBT-Schuhe (Masai Barefoot Technology) und sind damit klar im Vorteil.

Vor der Laokoon-Gruppe (engl. Laocoön; ital. Laocoonte) wird kurz zu den offenen Mündern der einzelnen Figuren referiert. Die Luft im Skulpturenhof tut gut, kleine Verschnaufpause. Während wir zum nächsten Objekt weiterziehen, gelingt es mir noch, dieses leicht verwischte Foto zu schießen:

Laokoon-Gruppe, Speed-Tour, Vatikanische Museen

Für meine Begriffe viel zu schnell wird dann mit ein paar gelangweilten Sätzen der Apoll von Belvedere abgehakt, »been there done that« ist das Motto, keine Zeit verlieren, und schon sind wir in den Raffael-Stanzen. Dort gehen ungelogen fast 4 Minuten drauf, auch weil Sébastien2000 im Angesicht der »Schule von Athen« kurz alle abgebildeten Figuren aufzählt bzw. in Ansätzen den Forschungsstand hinsichtlich deren Identität zusammenfasst.

Im Trakt mit den modernen religiösen Gemälden begegnet uns dann überraschenderweise die »Crucifixon« von Gerardo Dottori, die Dique neulich schon in der Estorick Collection gesehen hatte. Ein Wahnsinnsbild, das auch unserem Guide immerhin 10 Sekunden wert ist. Am modernen Rest, darunter eine Handvoll Dalís, sprinten wir (und auch die normalen Museumsbesucher) achtlos vorüber. In jeder anderen Ausstellung wären sie der Hit und verursachten Massenaufläufe. Hier taugen sie offenbar vor allem als Füllsel.

Dann die von Michelangelo ausgemalte Sixtinische Kapelle. Ich kann nur noch ungefähr die Hälfte unserer Truppe ausmachen, der Rest ist unterwegs verloren gegangen. Für die überfüllte Kapelle bekommen wir die Anweisung, uns einzeln durchzuschlagen. Einige unbekanntere Details des »Jüngsten Gerichts« und der Gewölbeszenen (»Die Erschaffung Adams« usw.) werden kurz anerklärt, dann geht es auch schon los. Ich verliere die anderen sofort aus den Augen und brauche eine Minute, um mich zum anderen Ende durchzuwühlen. Dabei gelingt es mir, einige gezielte Blicke auf die Kapellenwände zu werfen.

Draußen treffe ich einen der Businesstypen, auch er ziemlich verschwitzt. Es sind tatsächlich genau 30 Minuten verstrichen, er hat die Zeit gestoppt. Er meint, dass er gern auch mehr als die 100 Euro für die Tour gezahlt hätte, wenn es noch etwas schneller gegangen wäre.

2 Reaktionen zu “Die Vatikanischen Museen in 30 Minuten”

  1. Besteckfachinlaufrichtung

    In der Tate wird fleißig kopiert.
    Da nur tiefstes Deep-Linking funktioniert, noch die Bildzeile:
    London, UK: An athlete runs through Tate Britain as part of a live art installation entitled ‚Work No 850‘ by Martin Creed

  2. Paco

    man darf natuerlich nicht vergessen, nach links und rechts zu kucken beim durchrasen, sonst hat es ja keinen sinn. auf dem foto sieht es eher nach riefenstahl aus *g*

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