Milk/Frost/Nixon/W.

Hamburg, 6. Januar 2009, 12:03 | von San Andreas

Wann kommt sie endlich, die vom Umblätterer groß angekündigte Werkmonografie der Coen-Brüder? Sie wird kommen, und zwar bald. Ansonsten:

Die Award Season rückt näher, es häufen sich politisch ambitionierte Filme, die dem »Besonders Wertvoll«-Stempel, selbst wenn sie wollten, nicht ausweichen werden können. Einige davon zieren erfrischend knappe Titel, wie etwa »Milk«, die Geschichte des ersten offen homosexuellen Politikers der Vereinigten Staaten, der – und das ist mal kein Spoiler – kurz nach Amtsantritt von einem Rivalen erschossen wurde.

Gus Van Sant, der bislang zweigleisig fuhr – spröde Arthouse-Perlen auf der einen, gefälliges Star-Kino auf der anderen Seite – hat es bei »Milk« mit einem Mittelweg versucht. Der Vibe des schwulenbewegten San Francisco brandet nur so in den Saal, intime und kolossale Momente geben sich die Klinke in die Hand, zudem entpuppt sich Sean Penn in der Titelrolle als einer dieser seltenen Glücksfälle. An »Milk« wird man nicht vorbeikommen.

Ebenso wenig an »Frost/Nixon«, der Umsetzung des Stücks von Peter Morgan, das 2006/07 in London und New York lief. Es behandelt die Umstände der Nixon-Interviews von 1977 und zeigt ungefähr, dass David Frosts journalistische Arbeit ebenso essenziell für das Verständnis der Verfehlungen Nixons war wie die von Woodward/Bernstein für deren Enthüllung.

Ron Howard stach im Regie-Rennen Kollegen wie Scorsese, Clooney und Mendes aus und macht nach dem Da-Vinci-Durchhänger diesmal einfach keinen einzigen Fehler.

»Frost/Nixon« zeigt, wie seinerzeit »All the President’s Men«, wie die Medien funktionieren, während diese ja zeigen sollen, wie Politik funktioniert. Beide Seiten haben Macht, beide Verantwortung, sie können beide redlich vorgehen oder eben nicht.

In diesem Zusammenhang erinnern wir uns auch an »Nixon«, Oliver Stones genauso strikt betiteltes Politiker-Porträt. Aber es geht noch kürzer, sein jüngster Beitrag heißt schlicht »W.« (lies: Dubya), handelt vom sagenhaften Aufstieg des aktuellen, gerade noch so amtierenden US-Präsidenten.

Die halbe Welt sieht das Ergebnis seit Monaten im Kino, allein in Deutschland fand sich kein Verleih. Wir dürfen das Werk stattdessen im Januar im Pantoffelkino bewundern, ProSieben wird damit eine Reihe von Werbeblöcken unterbrechen.

Manolo für George W. Bush

London, 5. Januar 2009, 11:51 | von Dique

Stilfragen sind nicht unsere Hauptbeschäftigungslinie, doch kommen wir nicht umhin, ab und an unsere Freude zu teilen, wenn zum Beispiel Hans Magnus Enzensberger im knallrot leuchtenden Pullunder aus dem »Spiegel« grüßt oder Peter Rühmkorf in einem besonders interessanten Trenchcoat in der FAS auftaucht.

Und natürlich können wir nicht schweigen, wenn wir bemerken, dass Erich Priebke eine Karstadt-Style-Bundjacke trägt, die der berüchtigten Ahmadinejacket des iranischen Präsidenten zum Verwechseln ähnelt, noch dazu, wenn besagter Priebke auf einem Motorroller zusammen mit seinem Anwalt auf dem Weg zum Gerichtstermin in Rom an den Quattro Fontane vorbeizirkelt.

Diesen Kleinodien widmen wir uns nur am Rande und nur dann, wenn es sich nicht vermeiden lässt, denn normalerweise hegen wir andere Sorgen und besonders jetzt stecken wir wie mehrfach berichtet tief in einem Kleinkrieg um die zu kürenden »Best of Feuilleton 2008«, der hoffentlich Ende der Woche beendet ist.

Beruhigenderweise ist unsere Arbeit in Modefragen auch nicht notwendig, denn dafür gibt es »Manolo for the Men«. Hier beschäftigt sich Izzy (Isidore Gallant), der von sich konsequent in der dritten Person schreibt, nicht nur mit den kleinen Gimmicks, welche auch wir im Programm gehabt haben könnten, wenn sich beispielsweise Fidel Castro im Adidas-Tracksuit mit Kuba-Flagge portraitieren lässt. Izzy beleuchtet auch die großen modischen Fauxpas.

Die Fliege, der Bowtie, welcher seit der Folge »The Bowtie« von »Curb Your Enthusiasm« (Season 5, Episode 2) wieder wachsende Verbreitung auch unter jungen Menschen findet, fristet trotzdem ein Nischendasein und wird, wenn überhaupt, in der vorgebundenen Variante getragen, und das ist natürlich furchtbar, wie Izzy anhand eines Vergleichs von John Travolta (pre-tied) mit Peter O’Toole (self-tied) im Beitrag »Pre-Tied Bowties: Why Not Just Wear Sweatpants?« zeigt.

Ende letzten Jahres, das kann man ja nun wieder sagen, wurde das zweite George-W.-Bush-Portrait für die National Gallery Washington enthüllt, welches einen lächelnden noch amtierenden US-Präsidenten zeigt, der allerdings mit einem Hemd mit zwei eigenartigen Brusttaschen bekleidet ist, welches auf den zweiten Blick und im Kontext von Izzys scharfer Analyse recht ominös erscheint (besonders unter dem Jackett, auf dem Bild mit Putin, sieht es eigenartig aus):

»Izzy is almost certain that that light-blue shirt, with its two unusual pocket flaps, is the same one Bush wore when engaging in diplomacy with Vladimir Putin. As Izzy pointed out at the time, that quasi-militaristic style has also been favored by fellow Texan Charlie Wilson. Clearly, Bush’s choice of shirt and pose—bent over, sitting on a couch while smiling—was intended to give an air of casualness and familiarity. Unfortunately, given how the shirt’s cuffs ride up due to bent arms, Izzy mainly sees poor tailoring. (The pleats adjacent to the cuffs are a further sign that the shirt was not custom-made.)«

Die SZ bescheinigt dem Porträt eine Art Biedermeierei in schweren Zeiten, und wer will es verübeln, dass der Präsident da ein bisschen auf Kaminfeuerromantik macht. Aber auch Kia Vahland kommt nicht umhin, das Präsidentenhemd zu kommentieren:

»Nehmen Sie Platz in der guten Stube, der Gastgeber schenkt Ihnen sein Ohr. Er erwartet Sie auf der Sofakante, im frischgebügelten himmelblauen Hemd, die Brusttaschen in Cowboyart, die Manschetten dagegen staatsmännisch anzugsfähig. Noch lächelt er etwas verkrampft, aber nach zwei Gläsern wird sich die Stimmung schon auflockern. Fühlen Sie sich wie zu Hause.«

Bevor ich hier aber alle Artikel abrolle, lasse ich das so stehen. »Manolo for the Men« ist nicht nur lesbar, sondern eine seriöse Empfehlung im Namen des Umblätteres.

Die Karnickelzüchter

Leipzig, 4. Januar 2009, 03:35 | von Austin

Ein Jahr geht, das neue Jahr kommt. Und gleich nach den von der FAS noch schnell am 28. 12. ins Rennen geschickten apokalyp­tischen Reitern und Reiterinnen – übrigens, liebe FAS, bitten wir an dieser Stelle und vor diesem Hintergrund um Hilfe, die uns der Duden nicht geben kann, die aber nützlich sein könnte, um das Jahr mit der FAS verfolgen zu können, und die uns, nebenbei, auch ganz persönlich betrifft: Gesucht wird so langsam mal die kanzlerinnenkompatible Äquivalenz zum ›Herrenreiter‹ … Herrenreiterin? – gleich nach diesem Aufmarsch lässt die S-Zeitung am 2. 1. die apokalyptischen Rammler frei, mit einem Text von Holger Gertz über den Karnickelzüchterverein W152 Dortmund–Oespel, bzw. mittlerweile: Kaninchenzüchterverein W152 Dortmund–Oespel–Kley.

Ein »Seite 3«-Artikel, der sich, das Jahr ist zwar noch jung, schon jetzt als Anwärter für die Top-Ten 2009 nominiert sehen darf. Nicht nur wegen des gabrielhaften Headliners »Zucht ist Ordnung«, sondern wegen der minutiösen Sozialrecherche in einem Milieu, das über aller Lehman-Brothers-Apokalypse schon fast vergessen ist: Ja, auch das war die BRD. Der Hammersatz:

»Wenn die Namen ihrer Klubs immer länger werden, ist das kein gutes Zeichen für die Kaninchenzüchter.«

Dennoch gibt uns der Sektionschef W152 dann noch als Lösung für alle eventuellen Apokalypsen den guten alten Selbstversorger­gedanken mit auf den Weg. Seine Hasen jedenfalls haben keine Namen.

Ansonsten? Im April ist die große Anja Silja, eben noch in Covent Garden, an der Oper der Umblätterer-Homebase Leipzig. Nicht als Rosina Leckermaul (und auch nicht als Gräfin in »Pique Dame«), sondern in der dritten Rolle ihres nun schon länger währenden Altersrepertoires, in Schönbergs »Erwartung«, wo sie die ebenso große Deborah Polaski ersetzt, die letztes Jahr diese Sache sensationell über die Bühne gebracht hat. Mit Marcuccio also ist an diesem Punkt zu sagen: 1:1 in und für Leipzig. Bezüglich der »Erwartung«. Und bezüglich London.

Das Feuilletonjahr 2009 beginnt

Zürich, 1. Januar 2009, 20:23 | von Paco

So. Die letzten Feuilletons des Jahres sind erschienen und durchgelesen, die Best-of-Feuilleton-Liste für 2008 wird letzten internen Streitereien unterworfen (Erscheinungsdatum: 1. bis 2. Januar-Woche).

Währenddessen beginnt das Feuilletonjahr 2009 mit der aktuellen »Weltwoche«, deren Nr. 1/2009 (1. 1. 2009) gerade von mir gelesen wurde, von hinten nach vorn:

Wolfram Knorr schreibt über die zweite Staffel von »Rome« (S. 62), die offenbar gerade auf DVD erschienen ist: »›Rom‹ ist eine kopernikanische Wende im Genre des Sandalen­films.« Na aber mindestens. Und außerdem beginnt gerade wieder ein Kopernikus-Jahr (Commentariolus, 1509), da kann man ruhig mal schön kopernikanisch formulieren.

Auf S. 60 hat es einen Text von Michael Klonovsky über den (Entschuldigung für das Tucholsky-Zitat:) »Verdi des kleinen Mannes«, also Puccini. Es geht wieder mal darum, dass »die Hohepriester der Zunft« ihn so gering schätzen, natürlich absolut ungerechtfertigtermaßen.

Schreibgast Ulf Poschardt rezensiert auf S. 57 den neuen Skoda Superb 2,0 TDI (Preis: 41.800 Franken). Außerdem gibt es auf S. 13 noch die Broder-Kolumne, diesmal geht es um Juristen (»Die Strafrechtspflege ist meiner Gesundheit bekömmlich.«).

Usw. usw. usw.

Die Bratwurst in der Literatur:
»Niemals mit Senf«

Zürich, 31. Dezember 2008, 10:20 | von Marcuccio

Noch ein kleiner literaturgeschichtlicher Nachtrag kurz vor Jahresende. Hanns-Josef Ortheil hat sich in seinem immer noch aktuellen Roman »Das Verlangen nach Liebe« (2007) als Kurator einer exquisiten Sonderausstellung im Bratwurstmuseum empfohlen, und Rainer Moritz unterstützt ihn in der NZZ (23. 1. 2008):

»Selten dürfte in der Weltliteratur derart genüsslich der Verzehr von St. Galler Bratwürsten nebst Bürli beschrieben worden sein«.

Die Szene im O-Ton: Ortheils Ich-Erzähler Johannes besucht den Grillstand am Zürcher Bellevue (S. 25):

»Als ich den Platz erreichte, erkannte ich einen schmalen, zum Teil überdachten Grillstand, der in einer Häuserlücke untergebracht war, diesen Grillstand kannte ich, ja genau, hier gab es diese unvergleichlichen Bratwürste, wie hießen sie doch gleich, diese leicht gedrungenen Würste mit einer hellen, porenlosen, milchig wirkenden Füllung von Kalb- und Schweinefleisch. Wegen ihres intensiven und für Bratwürste ganz raren Eigengeschmacks aß man sie niemals mit Senf, sondern mit dunkelbraunen, knusprigen Bürli, die ebenfalls eine Köstlichkeit waren und in nichts mehr erinnerten, was man im Deutschen als Brötchen bezeichnete. Bürli waren nämlich innen flockig, porös und weich wie gewisse Pilz-Schwämme, außen aber überzogen von einer hier und da aufgeplatzten Kruste mit einer ganz unmerklich dunklen Lasur. Eine solche Bratwurst und ein solches Bürli, dazu ein kaltes Glas Bier – das war genau richtig (…).«

Irgendwann wird es also sicher Zeit, Elisabeth Frenzels »Motive der Weltliteratur« um die Bratwurst zu erweitern.

Kaffeehaus des Monats (Teil 42)

sine loco, 30. Dezember 2008, 18:36 | von Millek

Wenn du mal richtig Zeitung lesen willst:

Stolberg/Harz, Friwi

Stolberg/Harz
Das FRIWI in der Niedergasse.

(Gleich ein paar Häuser neben dem Café selbst liegt die etwa tausend Jahre alte FRIWI-Backfabrik. Von dort karren die Kellnerinnen den ganzen Tag edelste Torten hinüber ins Stammhaus, einfach so über die Straße, im Plastekorb. Diese inkommensurablen Kreationen dürften auch einen gestrengen Kuchentester wie Gustav Seibt restlos überzeugen.)

Wildes Gefecht

Zürich, 29. Dezember 2008, 16:03 | von Paco

In Dresden haben zum Jahresende alle erleichtert ihre Uwe-Tellkamp-Schinken ins Bücherregal des Vergessens gestellt, das Lesezeichen irgendwo zwischen Seite 30 und 40. Das Jahr 2008 geht zu Ende, niemand muss mehr Tellkamp lesen.

Ansonsten hat wirklich jeder, den ich kenne, zu Weihnachten die Marx-DVDs von Alexander Kluge geschenkt bekommen oder diese verschenkt. Die Gabentische müssen in diesem Jahr also in diesem etwas krank aussehenden Suhrkamp-Orange geleuchtet haben.

Und dann gab es im Dezember noch eine der besten Überschriften des Jahres, in der SZ natürlich (Ausgabe vom 16. 12.). Es ging um das Römer-Schlachtfeld aus der Commodus-Zeit, das bei Kalefeld im Kreis Northeim entdeckt wurde und eigentlich gar nicht hätte da sein dürfen. In der SZ war der Artikel von Harald Eggebrecht so überschrieben:

»Ein wildes Gefecht an der A7«

Das ist so hervorragend gut wie es ahistorischen Benennungen oft eben sind. Wenn etwa Hannibal durch Frankreich Richtung Alpen zieht. Oder wenn der Museumsmann von Lützen sagt: »Das protestantische Heer stand südlich der B87.«

Wie auch immer. Hier beim Umblätterer geht es ab jetzt um unser Hauptprodukt, die Jahresendliste, den Feuilleton-Reader mit den »angeblich zehn besten Feuilletonartikeln des Jahres«, wie es der Perlentaucher wahrheitsgemäß formulierte. (Hier die Top-10 der Jahre 2005, 2006, 2007, demnächst dann die für 2008.)

Dieses Jahr war ein sehr gutes Jahr, die Ausbeute ist unvorhersehbar riesig gewesen. Wir warten jetzt noch die Silvesterausgaben ab und zerfetzen uns dann sicher wieder wildes-gefecht-mäßig über das Ranking, von dem wir öffentlich immer behaupten, dass es in der Liste gar keine Rolle spielt.

Zeitungsgeburtstage 2008 (Teil 3):
1 Jahr FR im Tabloid-Format

Konstanz, 23. Dezember 2008, 01:25 | von Marcuccio

Nach Teil 1 (60 Jahre WamS) und Teil 2 (30 Jahre taz) gibt es heute:

Das Feuilleton-Match des Jahres! Wir feiern nach und übertragen (re-live, wie es bei Eurosport so schön heißt) die Partie:

Österreich–Schweiz (AUT–SUI)

Das ist das redaktionelle Benefizspiel, das die »Frankfurter Rundschau« am 30. 5. ausgetragen hat, zur Feier ihres ersten Geburtstags im neuen Tabloid-Format und zur Einstimmung auf die Euro 2008 natürlich auch. Deswegen mal schnell White Stripes einlegen und los geht’s!

Die Spielidee: Die beiden EM-Gastgeberländer sollten mal über eine komplette Zeitungslänge zu einem sportlich-landeskundlichen Vergleich antreten. Eine Zeitung als Zweiländerturnier, quer durch alle Ressorts und Themen, ja in insgesamt 30 Kategorien. Das ging von der Frage nach der schöneren Flagge und dem besseren Humor bis hin zu Hunderassen, Schriftstellern und Nobelpreisträgern.

Die Spielregeln: Auf jeder Zeitungsseite hatte die FR unten so einen kleinen redaktionellen Fight Club eingerichtet. Mit jeweils 600 Zeichen Text ging es für die Kombattanten aus Österreich und der Schweiz zur Sache. In jedem Fall wurde per Schiedsspruch ein Zweikampfsieger erklärt, gewertet in Form von einem Treffer (Punkt).

Das Spiel: Was für ein enzyklopädisches Match. Im Prinzip war die FR an diesem Tag das, was Moritz Baßler einen deutschen Pop-Roman nennt: ein Verfahren, das mit Lust und Laune Exponenten aus zwei Landeskulturen archiviert. Neben Klischeevergleichen (Sissi vs. Heidi, Mozartkugel vs. Toblerone) gab es da auch das ein oder andere Tertium comparationis der weniger landläufigen Sorte, ich denke nur an den Umgang mit den Türken vor den Toren.

Ein Zweikampf ist derweil auch schon historisch: Im Duell der Rechtspopulisten vom Mai schlägt Christoph Blocher noch Jörg Haider, inzwischen aber wohl nur noch sich selbst bei Eidgenössischen Bundesratswahlen.

Jetzt aber endlich direkt zur

1. Halbzeit (mit den Ressorts:)
POLITIKREPORTAGEMEINUNGWISSEN & BILDUNGWIRTSCHAFT

Halbzeitpause

2. Halbzeit (mit den Ressorts:)
SPORTFEUILLETONMEDIENMAGAZINRHEIN-MAIN

Zum Endergebnis

*

Und ab hier die eigentliche Liste, also so was wie der archivierte Live-Ticker der gesamten Partie AUT–SUI (mit Ressort / Zwei­kampfkategorie / Resultat).

1. Halbzeit mit den Ressorts

– POLITIK

Fahne: Rot-Weiß-Rot vs. Schweizerkreuz 0:1.

Klarer erster Treffer. »Ist die schon Pop, die Schweizer Fahne?«, fragt die FR. Von Swissness mal ganz zu schweigen.

Polit-Frauen:
Benita Ferrero-Waldner vs. Beatrice Weder di Mauro 0:1

Bei diesem Duell mit dem onomastischen Etwas hätte die Schweiz mit Carla Del Ponte noch mindestens eine ebenbürtige Auswechselspielerin auf der Bank gehabt.

Nationalheldinnen: Sissi vs. Heidi 0:1

Heidi ist wohl der größere Global Player (Japan usw.)

Demagogen: Jörg Haider vs. Christoph Blocher 0:1

Im Mai vergab die FR noch einen »Punkt für die Schweiz: Weil die Eidgenossen ihren Demagogen trotz Wahlsieg aus der Regierung kickten.« Haider hat sich derweil selbst aus dem Verkehr gezogen, bürgt aber als »Lebensmensch« weiterhin für das österreichische Wort des Jahres 2008.

Chor / Korps: Wiener Sängerknaben vs. Schweizer Garde 1:0

Homophonetisch die attraktivste Kategorie – laut FR 1:0 für Österreich, »weil Weltruhm als Musikstar verlockender ist als Rumstehen im Clownskostüm«.

– REPORTAGE

Autobahngebühr: Pickerl vs. Autobahn-Vignette 0:1

Legendär sind ja die Pasing-Münchner, die die Maut auf der Landstraße Mittenwald-Innsbruck-Brenner umfahren. (SBB gegen ÖBB, wäre auch noch ein Duell gewesen, ein sehr unfaires jedoch.)

Kulinarik: Wiener Schnitzel vs. Zürcher Geschnetzeltes 1:0

Hier wurde aus dem Gästeblock der FAZ-Leser der Ruf nach »Schiedsrichterball« laut: Jürgen Dollase, bitte übernehmen Sie!

– MEINUNG

Bundespräsident: Heinz Fischer vs. Pascal Couchepin 1:0

Oh je, dieser Vergleich ist wohl besonders heikel. Zur politischen Staatskunde immer empfehlenswert: die Neugieronautik von rebell.tv!

– WISSEN & BILDUNG

Nobelpreisträger: Elfriede Jelinek vs. Kurt Wüthrich 1:0

Alte Feuilleton-Frage: Wollen wir den »Wahnsinn« als Land (Österreich) oder als Protein-Molekül in Rinderhirnen?

Psychoanalytiker: Sigmund Freud vs. Carl Gustav Jung 1:0

Künstler: Alfred Hrdlicka vs. Niki de Saint Phalle 0:1

Eigentlich ja ein sicherer Treffer für Österreich, allein schon wegen der Pferdenummer für Kurt Waldheim, aber versehentlich verbucht die FR dann doch einen Punkt für die Mutter aller Nanas.

– WIRTSCHAFT

Manager: Ferdinand Piëch vs. Josef Ackermann 1:0

Hotel(ier)s: Sacher vs. Ritz 1:0

Alpenkräuter: Almdudler vs. Ricola 1:0

Alpenkräuter im unterschiedlichen Aggregatszustand, nicht schlecht. Die FR ist also von der Werbung (»Wer hat’s erfunden?«) genervt. Man hätte dem Almdudler auch eine Rivella zur Seite stellen können (Kategorie Alkoholfreies Skihütten-Kaltgetränk), dann sähe das Ergebnis andersrum aus.

Tunnel: Arlberg vs. Gotthard 1:0

Die Austriakos mögen im Tunneltest siegen, aber haben sie auch ein Réduit?

Hunderassen: Österreichischer Pinscher vs. Bernhardiner 1:0

Apropos: Christian Kracht aß Hund bei Grissemann & Stermann …

Architektur: Hundertwasser vs. Herzog & de Meuron 0:1

Klare Entscheidung.

Halbzeitpause

Spielstand zur Halbzeit: Österreich führt 10:7 gegen die Schweiz.

Zur Halbzeitpause, die natürlich hier die Mitte der Zeitung ist, zeigt die FR, was auch ein Tabloid-Centerfold so alles kann: Ein rot-weiß-rot gerahmtes Arnold-Schwarzenegger-Porträt.

Der Unehrenbürger

Bernd Melichar schreibt über das Hadern des Herminators mit seiner ihm einst so hagiografisch zugewandten Heimat (hier eine Version für die »Mitteldeutsche Zeitung«).

2. Halbzeit mit den Ressorts

– SPORT

Steuerfluchthilfe: Franz Beckenbauer vs. Michael Schumacher 0:1

= 1:0 für das Bankgeheimnis oder (mit dem Schiedsspruch der FR): »Treffer für die Schweiz, weil sich der Steuerflüchtling Schumi da wohler fühlt als der Fußball-Gott in Österreich«.

Die Türken vor den Toren: Wien 1683 vs. Istanbul 16.11.2005 0:1

Die FR vergibt einen »Punkt für die Schweizer, die vor den Toren ihren Mann stehen, statt sich hinter Mauern zu verstecken«, hehe.

Karriere: Hansi Hinterseer vs. Roger Federer 0:1

Auch gut: »Punkt für die Schweiz, weil bei Federer noch die Hoffnung besteht, dass er nach der Sportkarriere keine Volkslieder singen wird«.

Rinder: Red Bull vs. Lila Kuh 0:1

Ski-Destinationen: St. Anton vs. St. Moritz 0:1

»Lieber Champagner zu Kaviar als Schnaps zu DJ Ötzi«, findet die FR. :-)

– FEUILLETON

Schriftsteller: Thomas Bernhard vs. Max Frisch 1:0

Waaahh … aber doch nicht »Holzfällen« gegen »Homo Faber«, »Wittgenstein« gegen »Gantenbein«, »Reger« gegen »Stiller«! Wo bleibt das Fairplay? Auf 3:3 unentschieden hätte ich hier entschieden …

Musiker: Falco vs. Yello 0:1

»Oooh, yeah!«

Filmemacher: Stefan Ruzowitzky vs. Marc Forster 1:0

Was sagt denn San Andreas?

Pop: Christina Stürmer vs. Stefanie Heinzmann 0:1

– MEDIEN

Models: Werner Schreyer vs. Raquel 1:0

Die Match-Szene auf der Medien-Seite ging völlig unter, weil alles durch Markus Peichl und sein »Neues Deutschland« abgelenkt war. Flitzer!

– MAGAZIN

Naschen: Mozartkugel vs. Toblerone 1:0

»Punkt für Österreich, weil Naschen dort eine runde Sache ist, während die Schweiz sich mal wieder kantig gibt«.

– RHEIN-MAIN

Es gab dann noch zwei weitere Treffer, die wegen regionaler Abseits-Stellung aber nicht gewertet wurden:

Humor: Erste Allgemeine Verunsicherung vs. Kurt Felix & Paola 1:0

Mehr Mythos als der »Ba, ba, Banküberfall, bis die Behörden einschritten«, geht natürlich nicht.

Eintracht-Spieler:
Markus Weissenberger vs. Christoph Spycher 0:1

Endergebnis

+++ AUT–SUI 14:14 unentschieden +++

Ein politisch korrektes Ergebnis. Trotzdem: Ein großes Match und eine große Idee, für einen Tag einfach mal eine komplette Austro-Suisse-FR zu machen, anstatt dem üblichen Nachrichteneinerlei hinterher zu hecheln. Zumal die FR neben allen Zweikämpfern noch jede Menge andere im Blatt hatte. Und Nachahmer, jedoch meistens auf das Feuilleton beschränkt, gefunden hat: siehe Antike-Spezial der FAS, Darwin-Spezial der FAZ usw. usf.

Die FAS vom 21. 12. 2008:
Hänsel, Gretel und der Wolf (und Buddenbrooks)

London, 22. Dezember 2008, 08:52 | von Dique

Das britische Pfund hat nun fast Parität zum Euro erreicht. Deshalb offenbar hat sich die halbe Feuilleton-Redaktion der FAS nach London begeben, und das beschert uns nicht etwa eine Ansammlung von Alibitexten parallel zum Weihnachtsshoppingtrip, sondern ein paar schöne und auch nützliche Texte.

Ganz allgemein angemerkt kann man nicht dankbar genug sein, dass Eleonore Büning seit diesem Jahr als Redakteurin für die FAS schreibt. Dieses Mal berichtet sie von ihrem vorweihnachtlichen Besuch im Royal Opera House in Covent Garden. Sie sah dort »Hänsel und Gretel« von Humperdinck, und in ihrem Text widmet sie sich besonders der Sopranistin Anja Silja, welche die Hexe Rosina Leckermaul singt, und informiert außerdem über die Wagner-Anleihen in diesem Stück, und zu diesem, Wagner, kehre ich hier gleich noch mal zurück.

Vorher aber noch zu Nils Minkmar, den anderen London-Besucher der gestrigen FAS. Er traf sich mit dem Philosophen Mark Rowlands, der 11 Jahre mit einem Wolf namens Brenin verbrachte und darüber Bücher schreibt.

Ich schwärme hier ja ständig von Tierzeichnungen verschiedener Renaissancekünstler und werde deshalb in internen Umblätterer-Konferenzen unverhohlen als der neue Heinz Sielmann gehandelt, und deshalb erwähne ich jetzt nicht auch noch, wie schön ich das zeitgenössische Foto von Brenin bei seinem Besuch in Irland finde.

Vielmehr erwähne ich noch kurz den Artikel von Andreas Kilb über die neue »Buddenbrooks«-Verfilmung, denn schließlich hat Marcuccio gerade das Buch noch mal gelesen und dem Roman hier und hier und hier bereits mehrere Heutigkeiten entrissen, um einmal mit Claus Peymann zu sprechen.

Reiner Logik und dem Kilb-Text folgend ist die Breloer-Verfilmung ein Erlebnis, welches man getrost wie den viel zitierten Kelch an sich vorbei gehen lassen kann, und am Beispiel wird deutlich gezeigt, dass die meisten Literaturverfilmungen so überflüssig sind wie nur was. Mit böser Zunge könnte man sie audiovisuelle Vereinfachungen für Lesefaule, die mitreden wollen, nennen oder einfach wie Kilb in diesem Falle den Regisseur als Geschichtendekorateur bezeichnen.

Am Ende berichtet Kilb noch von Thomas Manns eigenen fruchtlosen Annäherungsversuchen an den Film im Hollywood der 40er-Jahre. Später soll dieser ernüchtert mit einem abgewandelten Wagner-Zitat bemerkt haben: »Wer auf den Film baut, baut auf Satans Erbarmen.«

Wo wir gerade bei Familienromanen sind, erwähne ich noch einmal meine augenblickliche Lektüre, »Zombie Nation«. Hier beschreibt der große Schriftsteller und Autor Lottmann den Verfall der Familie Lohmer, welche man auch durchaus als mikrokosmisches Paradebeispiel unserer gerontokratischen Gesellschaft auffassen könnte, nach Lottmann, nicht mir.

Usw.

Zeitungsgeburtstage 2008 (Teil 2):
30 Jahre »taz«

Konstanz, 21. Dezember 2008, 09:54 | von Marcuccio

Die taz ist in diesem Jahr endlich halb so alt geworden wie die jetzt 60-jährige WamS.

Aber: »Ist die taz überhaupt schon 30?« Das war die meistgestellte Frage zum Geburtstag, und sie wird wohl noch bis zum 17. April 2009 weiter gestellt werden. Nach dem, was man so hört, wollen die taz’ler dann eh noch mal feiern und die neue »sonntaz« starten.

Aber fürs Erste gab’s die üppige Sonderbeilage »30 Jahre. 30 Ereignisse« zum Feiern. Das Betriebsgeheimnis aus 30 Jahren taz lässt sich vielleicht am besten mit der Jahreslosung von 1995 begreifen: »Wie immer, wenn es brennt, lief die taz zur anständigen Form auf«.

Das galt für den Brent-Spar-Sommer ’95 offenbar genauso wie für Tschernobyl ’86. Die taz boomte offenbar immer dann, wenn weitaus mehr Leser als normal einen Grund hatten, sich alternativen Hintergrundinformationen zuzuwenden. Die Frage, ob es für eine wirtschaftlich florierende taz also öfters einen Super-GAU bräuchte, hat die Sonderbeilage dann aber nicht weiter vertieft.

Und noch zwei Highlights. Einmal die Gratulantendichte. »Bild«, »Spiegel«, »BP« – sie alle (und noch viel mehr) waren mit wirklich originellen Anzeigen am Start. Die brachten bestimmt auch ein bisschen Bares, wo man an der Rudi-Dutschke-Straße doch immer so chronisch klamm ist.

tazsächlich: Schon 30? Der SPIEGEL gratuliert! (Preview)

Und dann hatte die taz zu ihrem 30. echt mal schön dekoriert: So ein bisschen im Retro-Look der Deutschen Nationalbibliothek (formerly known as Deutsche Bibliothek), deren altes Logo ja tatsächlich auch aus diesen drei Streifen in den drei Farben bestand. Die Jubiläums-taz als Deutsche Nationalbibliothek auf Zeitungspapier. So mit 30 wirklich ein gut durchgezogener Marsch durch die Instanzen.