Archiv des Themenkreises ›Nominiert 2009‹


Vorwort zum laufenden Feuilletonjahr (4/2009)

Paris, 29. September 2009, 10:19 | von Paco

Oh Meer, oh Meer des Nordens

1. Der Umblätterer – Pindarische Sprünge, Inc.

2. Drei Viertel des Jahres sind um, wir haben schon 30 sehr gute Feuilletonartikel auf der Longlist stehen, Anfang Januar wird dann wieder Der Goldene Maulwurf für das Jahr 2009 vergeben, hier. Die Gewinner der letzten Jahre: 2005 ∙ Stephan Maus – 2006 ∙ Mariusz Szczygieł – 2007 ∙ Renate Meinhof – 2008 ∙ Iris Radisch.

3. Anfang August: Mona Lisa bekommt Teetasse an den Kopf. Entgegen anders lautender Meldungen (»Kein Schaden!«) ging die Tasse dabei zu Bruch.

4. Die rhetorische Frage des Jahres: »Was wäre eigentlich, wenn das Computerspiel eine sowohl ästhetische als auch soziale Zäsur markiert, die dem Einbruch der Zentralperspektive und damit einer neuen Zeit vergleichbar ist?« (Martin Burckhardt, FAZ, 4. 6. 2009)

5. Paul Drägers manischer Verriss von Raoul Schrotts Homer: 68 Seiten! Der Geist der Errata-Liste weht durchs Netz. Allein Fußnote 9 (»v. u. Z.«) ist der Hammer, hehe. Andere Lieblingsfußnoten: 11, 18, 46, 79, 92.

6. Es geht um eine junge Dame, die in keinem Zimmer schlafen will, in dem nicht das Bildnis ihres Verlobten hängt. Und dann schreibt Jean Paul das: »Auf der ganzen empfindsamen Reise hatte der Kubikinhalt der Braut in lauter Zimmern geschlafen, an denen der Flächeninhalt des Bräutigams wie eine Kreuzspinne die ganze Nacht herunterhing.«

7. Der bisher biografischste Satz eines Feuilletonisten in diesem Zeitungsjahr: »Doch wer je selbst mit Drogen sein Bewusstsein erleuchtet hat, weiß, (…)« (Matthias Heine im Zuge seiner Rezension des Ernst-Jünger-Abends von Martin Wuttke, way to go!)

8. Die Marquise ging um 16:53 Uhr, kehrte aber noch mal zurück, weil sie etwas vergessen hatte. Um 17 Uhr verließ sie dann erneut das Haus.

9. Aufsatz: »Ich bin!« oder Der Schrei nach Aufmerksamkeit. Über die Rolle(n) des Wissenschaftlers Tim Boson im Weblog des Alban Nikolai Herbst. (forthcoming 2010)

 
Weitere Vorworte des Herausgebers zum aktuellen Jahrgang

 
I (29. Januar)   —   II (20. April)   —   III (22. Mai)
 


Im »Spiegel« Nr. 22 (25. 5. 2009):
Kurbjuweit über Mißfelder

Paris, 30. Mai 2009, 07:18 | von Paco

Montag am Jardin du Luxembourg gewesen und endlich mal wieder den »Spiegel« gekauft (Nr. 22/2009). Es sollte eigentlich mein Roman für diese Woche werden, doch dann habe ich ihn gleich am Montag ausgelesen gehabt, im südlichen Bereich des Jardin, in der Nähe des triumphierenden Löwen von Auguste Caïn.

Ein komplettes Heft zu lesen, diese unendlich schöne Spiegel-Sprache, war wieder mal ein Moment höchster Erphyllung des Alphabetentums. Und neben der beinharten Titelstory über den Schuss des mittlerweile als Stasimensch enttarnten Polizisten auf Benno Ohnesorg gab es auf den Seiten 68 bis 75 einen weiteren absoluten Hammertext, der hier­mit automatisch für unsere 2009er Feuilleton-Top-Ten nominiert ist:

Der Schattenmann

Niemand hat so zielstrebig Karriere in der CDU
gemacht wie Philipp Mißfelder. Er ist auf dem Weg nach
ganz oben, aber dafür muss er sich ständig der
Kanzlerin anbiedern. Ein Bericht über den Zustand des
Menschen in der Politik. Von Dirk Kurbjuweit

Es ist ein exemplarischer Text über einen neuartigen homme politique. Mißfelder, der derzeitige JU-Vorsitzende, sei als Vertreter dieses Typus »die Zuspitzung, die Verdichtung des politischen Systems«.

Es geht auch um einen Zeitungsmoment, den »Tagesspiegel« vom 3. August 2003, in dem das Interview publiziert wurde, in dem Mißfelder den armen 85-Jährigen keine künstlichen Hüftgelenke auf Staatskosten mehr gönnen wollte. Und es geht um die drei Handys, mit denen der Parvenü ständig hantiert.

Kurbjuweit hat seine Langzeitstudie entlang der These geschrieben: »Die Leere des Menschen könnte bald zu einer Voraussetzung für den Erfolg in der Politik werden.« Und es gab sicher auch schon andere Texte über dieses Thema, Klagen über eine austauschbare, leiden­schaftslose Politikergeneration. Aber die Exemplarik des Kurbjuweit-Textes ist atemberaubend. Nie wieder muss jemand dieses Thema beackern, ein Link auf Kurbjuweit wird in Zukunft völlig ausreichen.

Usw.


Vorwort zum laufenden Feuilletonjahr (3/2009)

Paris, 22. Mai 2009, 09:19 | von Paco

les pâquerettes dans le pré

1. Zulu–Romeo–Romeo! Nach dem ersten und zweiten hier nun das dritte Vorwort zum lfd. Feuilletonjahr.

2. Der Umblätterer – Feuilletonismus und Maulwurfsforschung.

3. Wie jedes Jahr am 23. Mai, dem Tag der Gründung der BRD, wird es morgen eine schöne Massakerminiatur von John Roxton geben.

4. Dialog, unfreiwillig mit angehört: »Und du?« – »Ich komm aus Göttingen.« – »Göttingen kenn ich, da studiert meine Mutter.«

5. Zehn Jahre Tristesse Royale (24.-26. April 1999). »Wäre das hier Cambridge und nicht Berlin, und wäre es jetzt der Herbst des Jahres 1914 und nicht der Frühling des Jahres 1999, wären wir die ersten, die sich freiwillig meldeten.« (S. 138)

6. Er schrie mich völlig ungehalten an: »Celan war WAHNSINNIG! Das dürfen Sie NIE VERGESSEN! WAHNSINNIG!«

7. Schon jetzt die größte Gurke des gesamten Jahres, allein wegen des unfreiwillig rekursiven Titels: »User-generated Nonsense«, der Telepolis-ähm-Aufsatz von einem Oliver Bendel. Bitte unbedingt in der überragend kommentierten Version von Andrea Diener lesen.

8. »Der Themenwechsel ist eine hohe Kunst und der Schlüssel zu fast allen anderen Künsten.« (César Aira, »Humboldts Schatten«)

9. Ein heißer Kandidat für den besten schlechten TextTM des Feuilletonjahres: Wolfgang Büscher war jetzt mal im St. Oberholz in Berlin-Mitte und hat in der »ZEIT« über seine Erfahrungen berichtet. So geil. (via 6 vor 9)

10. Wer sich über unsere megalomanischen »Lost«-Recaps beschwert: Diese TV-Serie ist einfach der größte erzählerische Wurf der letzten Jahre, daran kommt man nicht vorbei, wie sogar Marcel Gauchet neulich in Libé (28. April, S. 31) schrieb, über US-Serien allgemein, aber speziell auch über »Lost«: « J’y retrouve ce qui continue de m’enchanter dans les grands romans populaires français du XIXe siècle : l’art et les pouvoirs du récit, avec un sens plus poussé, souvent, de l’épaisseur des personnages. »

11. »Saving Private Ryan: Kriegsklamotte ohne Bud Spencer.« (aus einer Inhaltsangabe)

12. »Browserschwein!« Rief neulich ein bekannter Software-Entwickler, als sein Firefox abstürzte.


Vorwort zum laufenden Feuilletonjahr (2/2009)

London, 20. April 2009, 08:08 | von Paco

1. »Mehr Vorworte!« (Goethe) Nach dem von Ende Januar hier also Vorwort Nr. 2/2009.

2. Die Kommandoaktion des Jahres! Eine ganze Seite Grimmelshausen in der FAS. Morgen mehr an dieser Stelle.

3. »Ist doch schön hier: Kommst morgens rein, trinkst deinen Kaffee, blätterst in deinen zehn Zeitungen, schälst ein paar Kartoffeln.« (Charles Schumann im FAS-Interview, 29. 3.)

4. Demnächst: Teil 3 der Speed-Tour-Serie. Nach dem Prado und den Vatikanischen Museen nun der Louvre. Sébastien2000 (unser Speed Guide) hat mich gebeten, mit dem Bericht zu warten, bis er mit seiner letzten Louvre-Tour durch ist. Jetzt ist es soweit, Text folgt nächste Woche (oder später).

5. Zuschrift von Leser Franz: Er werde den Umblätterer nicht mehr lesen, wegen der ausufernden »Lost«-Reviews. Macht nichts, Leser Franz, und ich halte das für die genau richtige Konsequenz, schließlich bedienen wir hier nicht nach Wunsch.

6. Der beste 2009er Text der Blogosphäre so far: »Willy Reichert oder der letzte Grund« bei Wall of Time.

7. »Unsere Knie schienen uns nicht mehr zu tragen, wie das in Träumen manchmal passiert, wenn man von bärtigen Nachrich­tensprecherinnen verfolgt wird.« (Evelyn Waugh, »Befremdliche Völker, seltsame Sitten«)

8. »Gosford Park: Whodunnit mit alten Frauen.« (aus einer Inhaltsangabe)

9. End of Blog, nach 2 Jahren: tobias-schwartz.de – Ein Klassiker des Genres ›arbeitsbegleitendes Bloggen eines Kulturjournalisten‹. Immer herausragend und immer to the point.

10. Die große Coen-Brothers-Werkmonografie unseres very own San Andreas. Zum ersten Mal angekündigt Ende November 2008. Jetzt endlich bald richtig endgültig fertig. Demnächst hier.

Usw.


Der Umblätterer 2009:
Vorwort des Herausgebers

London, 29. Januar 2009, 21:40 | von Paco

Maulwurfshügel 2009

1. Nachdem Dique, Marcuccio und unser geheimnisvoller Neuzugang Niwoabyl hier in den letzten Tagen einen Text nach dem anderen rausgeschossen haben, …

2. Danke für die mannigfachen Nachfragen: San Andis groß angekündigte Werkmonografie der Coen-Brüder kommt – demnächst. Vorher aber die Kinoschau 2008, so wie letztes Jahr.

3. Nach der Ankunft unseres lorbeerumkränzten Goldenen Maulwurfs 2008 greifen nun die Tiermetaphern um sich: Der Perlentaucher macht sich nicht etwa im Ozean auf die Suche nach neuer Perlenbeute. Sondern »im Ententeich«.

4. »Und wann kommt eigentlich die erste Doktorarbeit Über den Autounfall im Werk von Christian Petzold?« (courtesy of Wall of Time)

5. »Lost« – Season 5. Sie hat vor einer Woche begonnen und wird von Dique und mir wie Staffel 4 erzähltheoretisch und kultur­historisch (mindestens, hehe!) verhandelt werden, der Recap zur Doppelfolge 5.01/5.02 kommt morgen. (»When am I?« – Locke)

6. Ansonsten sammeln wir hier weiter die besten und schlechtesten Feuilleton-Artikel des laufenden Jahres, und schon in knapp 11,5 Monaten wird das Consortium Feuilletonorum Insaniaeque den Goldenen Maulwurf 2009 vergeben.

7. Bereits nominiert ist zum Beispiel das herrliche Bloggespräch zwischen Chris/F!XMBR und Jakob Augstein über deaktiviertes JavaScript und die Zukunft des in einer Woche gerelaunchten »Freitag« (Teil 1, Teil 2).

Usw.


Die Karnickelzüchter

Leipzig, 4. Januar 2009, 03:35 | von Austin

Ein Jahr geht, das neue Jahr kommt. Und gleich nach den von der FAS noch schnell am 28. 12. ins Rennen geschickten apokalyp­tischen Reitern und Reiterinnen – übrigens, liebe FAS, bitten wir an dieser Stelle und vor diesem Hintergrund um Hilfe, die uns der Duden nicht geben kann, die aber nützlich sein könnte, um das Jahr mit der FAS verfolgen zu können, und die uns, nebenbei, auch ganz persönlich betrifft: Gesucht wird so langsam mal die kanzlerinnenkompatible Äquivalenz zum ›Herrenreiter‹ … Herrenreiterin? – gleich nach diesem Aufmarsch lässt die S-Zeitung am 2. 1. die apokalyptischen Rammler frei, mit einem Text von Holger Gertz über den Karnickelzüchterverein W152 Dortmund–Oespel, bzw. mittlerweile: Kaninchenzüchterverein W152 Dortmund–Oespel–Kley.

Ein »Seite 3«-Artikel, der sich, das Jahr ist zwar noch jung, schon jetzt als Anwärter für die Top-Ten 2009 nominiert sehen darf. Nicht nur wegen des gabrielhaften Headliners »Zucht ist Ordnung«, sondern wegen der minutiösen Sozialrecherche in einem Milieu, das über aller Lehman-Brothers-Apokalypse schon fast vergessen ist: Ja, auch das war die BRD. Der Hammersatz:

»Wenn die Namen ihrer Klubs immer länger werden, ist das kein gutes Zeichen für die Kaninchenzüchter.«

Dennoch gibt uns der Sektionschef W152 dann noch als Lösung für alle eventuellen Apokalypsen den guten alten Selbstversorger­gedanken mit auf den Weg. Seine Hasen jedenfalls haben keine Namen.

Ansonsten? Im April ist die große Anja Silja, eben noch in Covent Garden, an der Oper der Umblätterer-Homebase Leipzig. Nicht als Rosina Leckermaul (und auch nicht als Gräfin in »Pique Dame«), sondern in der dritten Rolle ihres nun schon länger währenden Altersrepertoires, in Schönbergs »Erwartung«, wo sie die ebenso große Deborah Polaski ersetzt, die letztes Jahr diese Sache sensationell über die Bühne gebracht hat. Mit Marcuccio also ist an diesem Punkt zu sagen: 1:1 in und für Leipzig. Bezüglich der »Erwartung«. Und bezüglich London.