Archiv des Themenkreises ›L’homme politique‹


Oskar Lafontaine als Umblätterer

Konstanz, 5. September 2009, 09:49 | von Marcuccio

Das Praktische am Wahlkampf ist ja, dass jetzt wieder diese ganzen Interviews aus den Abgeordnetenbüros kommen, mit Fotos direkt vom Politikerschreibtisch. Uns von der Partei der Zeitungswähler interes­siert da natürlich vor allem, welches Presse-Portfolio so ausliegt. Lafontaine hat griffbereit:

Obenauf die Junge Welt
dann die taz,
erst dann Neues Deutschland,
und zuunterst die Süddeutsche.

Ob sich das Quartett nach Zeitungsformat, Weltanschauung oder Leseritual stapelt, haben die Regionalzeitungskorrespondenten leider nicht gefragt. Vorn auf dem Tisch übrigens ein Buch namens »Die Linke Versuchung«, rechts hinter Lafontaine, auf dem Regal, winkt Papst Benedikt von einem Foto.


Im »Spiegel« Nr. 22 (25. 5. 2009):
Kurbjuweit über Mißfelder

Paris, 30. Mai 2009, 07:18 | von Paco

Montag am Jardin du Luxembourg gewesen und endlich mal wieder den »Spiegel« gekauft (Nr. 22/2009). Es sollte eigentlich mein Roman für diese Woche werden, doch dann habe ich ihn gleich am Montag ausgelesen gehabt, im südlichen Bereich des Jardin, in der Nähe des triumphierenden Löwen von Auguste Caïn.

Ein komplettes Heft zu lesen, diese unendlich schöne Spiegel-Sprache, war wieder mal ein Moment höchster Erphyllung des Alphabetentums. Und neben der beinharten Titelstory über den Schuss des mittlerweile als Stasimensch enttarnten Polizisten auf Benno Ohnesorg gab es auf den Seiten 68 bis 75 einen weiteren absoluten Hammertext, der hier­mit automatisch für unsere 2009er Feuilleton-Top-Ten nominiert ist:

Der Schattenmann

Niemand hat so zielstrebig Karriere in der CDU
gemacht wie Philipp Mißfelder. Er ist auf dem Weg nach
ganz oben, aber dafür muss er sich ständig der
Kanzlerin anbiedern. Ein Bericht über den Zustand des
Menschen in der Politik. Von Dirk Kurbjuweit

Es ist ein exemplarischer Text über einen neuartigen homme politique. Mißfelder, der derzeitige JU-Vorsitzende, sei als Vertreter dieses Typus »die Zuspitzung, die Verdichtung des politischen Systems«.

Es geht auch um einen Zeitungsmoment, den »Tagesspiegel« vom 3. August 2003, in dem das Interview publiziert wurde, in dem Mißfelder den armen 85-Jährigen keine künstlichen Hüftgelenke auf Staatskosten mehr gönnen wollte. Und es geht um die drei Handys, mit denen der Parvenü ständig hantiert.

Kurbjuweit hat seine Langzeitstudie entlang der These geschrieben: »Die Leere des Menschen könnte bald zu einer Voraussetzung für den Erfolg in der Politik werden.« Und es gab sicher auch schon andere Texte über dieses Thema, Klagen über eine austauschbare, leiden­schaftslose Politikergeneration. Aber die Exemplarik des Kurbjuweit-Textes ist atemberaubend. Nie wieder muss jemand dieses Thema beackern, ein Link auf Kurbjuweit wird in Zukunft völlig ausreichen.

Usw.


Altes Fleisch: Cäsar und die Nazis

Leipzig, 27. Juli 2007, 14:45 | von Millek

Als ich gerade ins Institut zurück kam, lag mir der Mittagstisch noch schwer im Magen. Seine Jacke über die Schulter geworfen, sah ich Paco beim Pförtner stehen. In der Hand hielt er die »Caesar«-Biografie von Hans Oppermann, und endlich, endlich gab er sie mir zurück.

Ich betrachtete sie und erinnerte mich kurz daran, dass ich einmal in einer Festschrift gelesen hatte, Oppermann sei »einer der wenigen nationalsozialistischen Altertumswissenschaftler«. Diese Einschätzung stammt zwar von Parteigenossen, aber gerade deswegen ist das Licht, das sie wirft, besonders schlecht.

Gott sei dank erschien seine »Caesar«-Biografie erst 1968. Sie liefert schöne Details über den Vormarsch des Prokonsuls in Gallien. Gedanklich hält sich Oppermann aber woanders auf. Von der Ernährung der Legionäre schreibt er:

»Fleisch war nur ein Hilfsmittel für den Mangel, und es ist ein Zeichen von Verpflegungsschwierigkeiten, wenn der Soldat darauf angewiesen ist. Mit Recht: als während des schnellen Vormarsches in Frankreich 1940 einige Tage das Brot nicht nachkam, waren wir trotz reichlichen Fleischgenusses dauernd hungrig.« (S. 53 f.)

Das Fehlen weiterer Vergleiche dieser Art lässt hoffen, dass Oppermann den Frankreichfeldzug im Ganzen nicht als experimentalarchäologische Selbsterfahrung missverstand.

Als Experimentalarchäologie für alle, zumindest zum Zukucken, kann auch die viel gerühmte HBO-Serie »Rome« gelten. (Da ja alle die Krteken bereits gelesen haben, verzichte ich an dieser Stelle mal wieder auf Links.)

Leider fehlen der deutschen Synchronfassung die fein austarierten sprachlichen Unterscheidungen zwischen Plebs und Patriziern innerhalb der römischen Nobilität. Aber vielleicht ist das ja nur Teil des Experiments. Auch passt ein lässiges People’s Tribune Mark Antony viel besser zur Rolle als ein etwas angestrengt klingendes Volkstribun Marc Antoooon. An Marcus Antonius Tribunus Plebis möchte ich allerdings auch nicht denken.

Fleisch jedenfalls ist hier nicht nur Hilfsmittel. Im Gegenteil, es wird in allen Verwendungen und Missbräuchen dargebracht und ist der rote Faden eines materialistischen Subtextes. Folge 11, »Die Beute«, ging den Freiwilligen Jugendwächtern dann zu weit. Sie erhielt keine Freigabe (PDF).

Kann zuviel Fleisch denn Frevel sein?

Na ja – ich geh wieder an die Arbeit, und am Montag, ja am Montag nehme ich Paco mit zum Essen. Dann liegt ihm auch etwas schwer im Magen.

hehehe


Elböhi

Berlin, 11. Juni 2007, 17:13 | von John Roxton

Der Kommentar zu Altkanzler Schmidt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 10. Juno 2007 ist absolut preiswürdig und wird daher vom Unterzeichnenden offiziell nominiert. Herr Zastrow (FAS) hat das Phänomen »Schmidt« mit erstklassiger Klarheit beschrieben und auf die These verdichtet, dass Schmidt zu seinen Amtszeiten ein hochgradig entscheidungsschwacher Kanzler war, der es bis heute glänzend versteht, den knallharten Exekutor zu geben. Von dieser hackenschlagenden Warte aus nimmt sich Schmidt die Politweicheier und Kompromisskaliber unserer Zeit zur Brust. Bravo!

In die Kategorie Feuilleton gehört das, weil Schmidts Bühne gottlob schon lange nicht mehr die Politik, sondern die Quatschecke der Gesellschaft ist.


Sarkozy

London, 22. Mai 2007, 10:01 | von Dique

Es war in der französischen Wahlnacht. Die französische Wahlnacht, so könnte man eine Operette nennen. Ich war auf dem Weg zur South Kensington Station und mir kommen ein paar Franzosen entgegen, überwiegend schöne junge Frauen, und sie rufen mir zu: »Sarkozy«, mit diesem französischen Akzent, unmöglich aufschreibbar, »Sarkozy«.

Ich kam gerade aus dem Builders Arms. Ich hatte dort eines dieser wunderbar zarten Steaks gegessen, mit normalen Frites, nicht den üblichen Chunky Chips, also Steak et Frites, unbewusst französisch, sort of. Sicher kamen die Franzosen aus dem Institut français, denn wie das Goethe-Institut ist das in South Kensington.

»Sarkozy«, heißt es immer wieder, und dann nimmt mich eine bei der Hand. »Good luck« oder irgend so was sage ich, »good luck«, na ja, was soll man da auch sagen. Ich war etwas überrascht, freute mich noch über den Geschmack dieses Steaks, und dann diese feiernden Franzosen, junge Leute, huldigen dem konservativen Kärchermeister, und ich frage mich, was ich gemacht hätte, wenn das Deutsche gewesen wären, die den Wahlsieg von Angela Merkel gefeiert hätten. Nicht, dass ich Angela Merkel schlecht finde. Aber sie hat ja auch irgendwie keinen Sarkozy-Sieg errungen, »Sarkozy«.