Meine Jacke

Leipzig, 17. Juli 2007, 01:27 | von Paco

Ich wollte heute unbedingt schnell weg aus dem Institut, um endlich in Ruhe den »Spiegel« zuende zu lesen. Ich war gestern nacht und heute früh nur bis zum Bayreuth-Artikel von Moritz von Uslar, der Luhmann-NSDAP-Geschichte und dem Tarantino-Verriss von L.-O. Beier gelangt. Und nachdem Oliver Gehrs, der popkulturjunkie und ein Dutzend andere Kulturmenschen so vom F.-J.-Wagner-Artikel über Fauser geschwärmt hatten, wurde es auch für mich mal Zeit.

Es war wie immer zu früh um zu gehen, und jeder nagelt einem ja noch ein Gespräch ans Knie, wenn man fast als erster nach Hause strebt. Und ich will ja keine schlechte Stimmung verbreiten, deswegen lasse ich mich normalerweise darauf ein. Heute aber wollte ich nicht und griff auf den Trick für den Fall der Fälle zurück. Meine Jacke.

Obwohl es inzwischen ja derb heiß ist auf der Welt, habe ich immer noch eine Jacke im Institut hängen. Ich ziehe sie natürlich nie an und werfe sie mir nur zum Gehen kurz über. So eine offene Jacke, die sich nach hinten weg in die Stromlinien legt, die durch meine Hast erzeugt werden, ist irgendwie ein überzeugendes Signal dafür, dass ich es jetzt mit guten Gründen eilig habe wegzukommen.

Ich konnte wieder die langen Flure durchschreiten, ohne aufgehalten zu werden. Draußen gab ich die Jacke wie immer beim Pförtner ab, mit der Bitte, sie bis morgen aufzubewahren. Dann kurz in der Lucca-Bar, und den Fauser-Artikel kann man ja tatsächlich ruhig mal nominieren.

Er ist ein bisschen gewollt dreckat geschrieben (die Szene mit dem Flachmann bei der Beerdigung usw.), und ansonsten wird noch mal alles verwertet, was Pop ist: Kerouac und Kracht werden erwähnt, außerdem Reich-Ranicki, und die Hälfte des Textes (kleine Übertreibung) schreibt dann auch nicht Wagner, sondern Fauser selber, in Form von Bukowski-artigen Gedichtzitaten.

Und außerdem gibt es da diesen herrlichen Screenshot mit Westernhagen, aus der »Schneemann«-Verfilmung von 1985. Die Bildunterschrift ist wieder mal ein Hoch auf die Bildredaktion wert: Der auf den Schienen liegende Westernhagen wird kommentiert mit dem Reich-Radetzky-Zitat zu Fausers Klagenfurt-Auftritt 1984: »Er passt nicht hierher«.

2 Reaktionen zu “Meine Jacke”

  1. Marcuccio

    Diese Siesta mit dem Spiegel hat sich gelohnt: Wagners Fauser ist so umwerfend gut, dass man ihn nicht nur sofort küren, sondern auch jetzt schon für die große Austellung „Der Trinkkumpan“ (zur Eröffnung der vereinigten SpiegelSpringer-Kantine 2013) rahmen möchte.
    Boulevard schult eben doch: Was Wagner da auf zwei Seiten rüberbringt, schaffen andere in den längsten XXL-Formaten nicht. Und der Schluss à la „Eigentlich war ich wie Fauser, doch ich rettete mich in den Journalismus und „verdiente mein Geld mit leichteren Worten“, machte mir erst mal so richtig klar, dass es da noch ein Wagner-Oeuvre vor BILD und BUNTE gibt.

    Dann noch eine Frage, den Spiegel (haha) deiner Lucca-Bar betreffend: Sehe ich richtig, dass da wirklich so eine schwarze Rillengummi-Wandtafel hängt, so eine mit den original weißen, wahrscheinlich 13-mm-Steckbuchstaben, die in Italien immer die „BEVANDE“ anzeigen? Das ist ja incredibile, da schlägt mein Barista-Herz noch 650 km weiter südlich höher…

  2. Paco

    Ja, es stimmt, die Lucca-Bar ist genau so. Da gibt es auch eine croissant-cappuccino-Combo zum »Frühstück«, zur direkten Einnahme an der Bar. Es gibt glücklicherweise auch un-italienische Komponenten, zum Beispiel eine Auswahl aller ordentlichen Tageszeitungen und einen Stoß abstruser Magazine, was ja auch wichtig ist.

    Und dann, der Fauser-Artikel macht wirklich gerade die Runde. Leute, die Fauser bisher nicht kannten, begehen den Fehler & gehen das »Tournee«-Buch kaufen, einen fragmentarischen Roman, mit dem man die Fauser-Lektüre auf keinen Fall beginnen sollte. Gerade vorhin im Hugendubel gesehen bzw. gehört: zwei Leute mit dem Buch in der Hand an der Kasse, »auch im Spiegel gelesen?«, »jaja, genau«.

    Außerdem wird das Wort ›Trinkkumpan‹ als Rezensentenbezeichnung perpetuiert, gerade im »Spiegel«, jetzt auch im »stern«, wo Werner Mathes exakt so bezeichnet wird.

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