Im »Spiegel« Nr. 22 (25. 5. 2009):
Kurbjuweit über Mißfelder

Paris, 30. Mai 2009, 07:18 | von Paco

Montag am Jardin du Luxembourg gewesen und endlich mal wieder den »Spiegel« gekauft (Nr. 22/2009). Es sollte eigentlich mein Roman für diese Woche werden, doch dann habe ich ihn gleich am Montag ausgelesen gehabt, im südlichen Bereich des Jardin, in der Nähe des triumphierenden Löwen von Auguste Caïn.

Ein komplettes Heft zu lesen, diese unendlich schöne Spiegel-Sprache, war wieder mal ein Moment höchster Erphyllung des Alphabetentums. Und neben der beinharten Titelstory über den Schuss des mittlerweile als Stasimensch enttarnten Polizisten auf Benno Ohnesorg gab es auf den Seiten 68 bis 75 einen weiteren absoluten Hammertext, der hier­mit automatisch für unsere 2009er Feuilleton-Top-Ten nominiert ist:

Der Schattenmann

Niemand hat so zielstrebig Karriere in der CDU
gemacht wie Philipp Mißfelder. Er ist auf dem Weg nach
ganz oben, aber dafür muss er sich ständig der
Kanzlerin anbiedern. Ein Bericht über den Zustand des
Menschen in der Politik. Von Dirk Kurbjuweit

Es ist ein exemplarischer Text über einen neuartigen homme politique. Mißfelder, der derzeitige JU-Vorsitzende, sei als Vertreter dieses Typus »die Zuspitzung, die Verdichtung des politischen Systems«.

Es geht auch um einen Zeitungsmoment, den »Tagesspiegel« vom 3. August 2003, in dem das Interview publiziert wurde, in dem Mißfelder den armen 85-Jährigen keine künstlichen Hüftgelenke auf Staatskosten mehr gönnen wollte. Und es geht um die drei Handys, mit denen der Parvenü ständig hantiert.

Kurbjuweit hat seine Langzeitstudie entlang der These geschrieben: »Die Leere des Menschen könnte bald zu einer Voraussetzung für den Erfolg in der Politik werden.« Und es gab sicher auch schon andere Texte über dieses Thema, Klagen über eine austauschbare, leiden­schaftslose Politikergeneration. Aber die Exemplarik des Kurbjuweit-Textes ist atemberaubend. Nie wieder muss jemand dieses Thema beackern, ein Link auf Kurbjuweit wird in Zukunft völlig ausreichen.

Usw.

10 Reaktionen zu “Im »Spiegel« Nr. 22 (25. 5. 2009):
Kurbjuweit über Mißfelder”

  1. bosch

    In der Tat war das ein großartiger Artikel, eine Vernichtung. Mißfelders Karriere dürfte das nicht gerade förderlich sein, aber wie hieß es schon einmal: 16 Jahre sind genug.

  2. Lapsus

    Grandios!

  3. St Barth

    Also ich finde Philip Mißfelder sehr unsympathisch. Ich finde seinen Ausspruch, das die Erhöhung des Hart IV ein: „Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie“ sei unglaublich. Man kann da ja drüber denken wie man will, aber man muss nicht millionen von Menschen beleidigen. Das zeigt auf der einen Seite schlechtes benehmen und auf der anderen Seite sind auch Hart IV empfänger Wähler.

    Aber auch abgesehen von Mißfelder sind die aktuellen Politker ja doch sehr bedenklich.

  4. Gregor Keuschnig

    Hier ist der Text als pdf jetzt online…

  5. begleitschreiben.twoday.net

    Das leichte Unbehagen bei der Hinrichtung…

    Nicht, daß ich mit Philipp Mißfelder Mitleid hätte. Nein. Und natürlich ist Dirk Kurbjuweits Artikel „Der Schattenmann“ (Spiegel v. 22.05.09; pdf-Dokument) irgendwie ein „exemplarischer Text“. Aber auch wenn Kurjuweit Mi…

  6. _jung _grün _stachelig » Blog Archive » Nicht nur Schattenmann, auch Mister Inhaltsleer

    […] Blogs, die berichtet haben: * Der Umblätterer * Begleitschreiben    Trackback    Kommentar […]

  7. MoinMoin

    Das eigentlich bemerkenswerte an diesem Artikel ist, dass er zwei Dinge in Klarheit und ihre Verbindung zueinander aufzeigt:

    1) Die politische Klasse ist genau, die die wir verdient haben

    2) Anstatt anzupacken jubeln wir schmeißfliegenden Verbalakrobaten zu, die nichts im Leben leisten, außer die achso schreckliche Situation unserer Politik im Urton des geifernden Anti-Establishment zu zelebrieren.

    Unser Problem ist 2) nicht 1).

  8. Gregor Keuschnig

    @MoinMoin
    Mein Problem mit dem Artikel ist unter anderem, dass Mißfelder exemplarisch für die gesamte politische Klasse Deutschlands genommen wird. Das ist natürlich Unsinn (nicht nur, wenn man sich andere Länder anschaut). Es kommt mir so vor, als sei ein waidwundes Tier hier zum Abschuß freigegeben worden und Kurbjuweit hängt sich die Trophäe ins Wohnzimmer.

  9. Der Schattenspender « Lafcadios Blog

    […] der Herr Kurbjuweit da polemisierte und vom Leder zog war schon eine reine Freude (vgl. z.B. diese Reaktion&). Allerdings blieb auch ein etwas schaler Nachgeschmack oder wie anderee befanden: ein leichtes […]

  10. Das leichte Unbehagen bei der Hinrichtung | Begleitschreiben

    […] Artikel »Der Schattenmann« (Spiegel v. 22.05.09; pdf-Dokument) irgendwie ein »exemplarischer Text«. Aber auch wenn Kurbjuweit Mißfelder als exemplarisch für einen bestimmten Typus […]

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