Lektüreliste:
Aira, Waugh, da Vinci

London, 22. April 2009, 08:09 | von Dique

Gerade César Aira beendet, »Humboldts Schatten«. Eine waschechte Novelle, die inhaltlich stark an Kehlmann und seine »Vermessung der Welt« erinnert (und auch zwei Jahre vor ihr auf deutsch erschienen ist). Die Konstellationen entsprechen sich deutlich: Dort Humboldt als großer Checker mit Bonpland als Schattengänger, ähnlich hier das Verhältnis zwischen Rugendas und Krause. Rugendas befindet sich im Fahrwasser der ersten großen Brasilienmaler aus dem Gefolge des Moritz von Nassau, Frans Post und Albert Eckhout, aber das erwähnen weder Aira noch Ottmar Ette im gelehrten Nachwort.

Außerdem gelesen: Evelyn Waughs Bericht aus Abessinien, »Befremdliche Völker, seltsame Sitten«. Er war dort bei der Krönungsfeier von Haile Selassie, und das ist schon sehr stark. Waugh gibt sich immer dezent distanziert gegenüber all den irren Dingen. Definitiv eine der Christian-Kracht-Quellen für seine Reisenummern. Die Ausgabe der »Anderen Bibliothek« ist auch sehr schön, grüner Samt mit blauen Tupfen.

Und hatte ich schon von »A Handful of Dust« berichtet? Auch von Waugh, der Titel natürlich ein Zitat aus »The Waste Land«. Das Buch selbst ein britisches upper/middle-class-drama, welches dann aber im Dschungel Brasiliens endet: Der sehr passive Protagonist, Anthony Last, hat sich von seiner Frau betrügen lassen und sich auf der Suche nach Sinn mit dem schrägen Scharlatan, Dr. Messinger, auf eine Brasilien-Expedition begeben.

Er hängt dann in einem Indianerdorf in Brasilien fest, der Mitreisende Dr. Messinger ist umgekommen, und Tony überlebt mehr oder weniger durch Zufall, weil er auf einen Indianerstamm stößt. Dieser befindet sich unter der Führung des mysteriösen Mr. Todd, welcher einige Colonel-Kurtz-Anleihen aufweist. Der immer sehr höfliche und ruhige Mr. Todd lässt Tony nicht mehr weg, denn er braucht ihn, damit er ihm Dickens vorliest, denn er selbst kann nicht lesen.

Irgendwann entdeckt Tony das Grab seines Vorgängers, welcher im Dschungel verstarb, und so fristet er als Vorleser sein Dasein bis ans Ende seiner Tage. Das erinnert auch wieder ein bisschen an Kracht, das Ende von »1979«, hier bei Waugh ist es zwar kein Umerziehungslager, aber irgendwie auch eine Art lebenslängliche Lagerhaft.

Außerdem las ich die RoRoRo-Bio zu da Vinci, und die war wirklich gut, von Kenneth Clark geschrieben, sehr guter Mann anscheinend. Da Vinci auch edel, nichts fertig gemacht, alles angefangen, Dandy und Eigenbrötler, ein hervorragender Typ, vor allem im Vergleich zu diesen Idealtypen, zu denen Michelangelo zählt, aber eigentlich auch nicht wirklich, vielleicht gegenüber dem Typus Alles-Gelinger à la Rubens.

Las das Buch eigentlich nur als Anwärmer, bevor ich mich mehr auf den da-Vinci-Umkreis in Mailand stürze, Luini und Boltraffio, welche mir sehr gut gefallen, indem sie dieses weiche Lächeln der Leonardo-Madonnen kopieren wollen und dabei aber ihre eigenen Quirks aufweisen. Clark bürstet beide und auch den Rest des da-Vinci-Umfeldes gnadenlos ab, nicht mal zweite Reihe seien die alle, aber gut, das würde ich auch erst mal so hinschreiben.

Einen Kommentar schreiben