Grimmelshausen in der FAS

Paris, 21. April 2009, 07:53 | von Paco

Hä? Häää? Ist das der zweite Teil des am 27. Juni 2000 nur unvoll­ständig erfolgten Genom-Abdrucks in der FAZ? Endlich? Nein. Der komische Buchstabenbrei ist schönstes, frühstes, »sometimes very strange sounding« Neuhochdeutsch. Die FAS vom 5. April 2009 hat auf S. 31 des Feuilletons unter dem Titel »Die rothe Ruhr im Leib« eine ganze Seite Grimmelshausen abgedruckt.

Vor gerade ein paar Wochen hat Reich-Ranicki einer FAS-Leserin aus Wiesbaden versichert, dass er den Simplicissimus »nicht nur mit Gewinn, sondern auch mit Genuss« gelesen habe. Und diese Aussage hat dann vielleicht gleich den Takt für diese gelungene FAS-Kommandoaktion vorgegeben.

Es handelt sich bei dem Text um eine (leicht gekürzte) Kalender­geschichte aus dem Jahr 1675, die vor kurzem in einem Berliner Archiv entdeckt wurde. Sie ist gerade zusammen mit anderen simplicianischen Kalendertexten herausgegeben worden, aber die genauere Stellung innerhalb der Grimmelshausen-Forschung sei hier jetzt außen vor gelassen.

Inhaltlich geht es um eine sprichwörtliche Reise ans Ende der Nacht, in diesem Fall um den betrüblichen Weg in eine Vernunftehe hinein. Die Story setzt damit einen Kalendertext des Vorjahres fort (der offenbar nach wie vor verschollen ist).

Reichlich unbedarft, genau wie Célines Bardamu, lässt sich der simplicianische Ich-Erzähler in die Armee ziehen, nachdem ihn seine Tante vor die Wahl gestellt hat: reich heiraten oder zum Militär. Und leider hat der Simplicius auf der Liebe zum armen Lisel bestanden (wie romantisch) und muss nun den Soldatenrock überziehen.

Er beschreibt von einem geläuterten Standpunkt aus, wie ungeho­belt er sich der Zivilbevölkerung gegenüber verhält und wie ihn der Lohn für diese »kopffschütlens=würdige Helden=Thaten« bald ereilt, als sich die Truppe in der Gegend um Gerau am Rhein aufhält. »Mein Geltgen war fort«, jammert er, und es grassieren Fahnenflucht und Hunger, auch weil die Bauern aus der Umgegend samt Vieh vor den rüpelhaften Truppen geflohen sind.

Als eine Schar Reiter sich im Odenwaldgebiet aus den fortgetrie­benen Rinderherden bedienen will, wehrt sich eine Handvoll Bauern erfolgreich, obwohl sie in vielfacher Unterzahl sind. Der Erzähler wird dabei von einer Kugel getroffen und stopft die Wunde provi­sorisch mit Spinnweben. Er überlebt jedenfalls knapp, hat sich aber die »rote Ruhr« eingefangen und wird nur durch die Hilfe der rei­chen Madame von Daeldorp vor einer Schenkelamputation bewahrt.

Auf dem Krankenlager erkennt er schließlich seinen Fehler: dass er trotzig auf seiner Liebe zum armen Lisel bestanden hat. Und nach einer einfachen Kosten-/Nutzenrechnung (wie unromantisch) entscheidet er sich für die reiche Madame, obwohl ihm die Tante die Wahl nunmehr freigestellt hat. Lisel ist natürlich gnatzig, ebenso wie eine Handvoll Freier, die sich die Hand der reichen Daeldorp erhofft hatten.

Aber das macht dem Simplicius nichts aus, er hat auf gutbürger­liche Art und Weise ausgesorgt. Und schon nach einem Jahr wird ihm ein Junge geboren, und die Tante hat ihren Erben. Das Ganze ist so mit diesem naiven, hintergründigen Humor geschrieben wie der »Simplicissimus« und macht leicht süchtig, weß halb ich jetzo erstmalen eine Weill benöttigen werdt, biß ich auß dissem Lese=Moduss wider heraußen binn, hehe.

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