En lisant la FAS du 25 janvier 2009

Leipzig, 28. Januar 2009, 18:20 | von Niwoabyl

Quelle admirable masse de papier ! Mes bras s’engourdissent déjà du doux fardeau qu’ils tâchent de maintenir à la hauteur (olym­pienne) de mon regard avide. Les francfortois (berlinois !) sont gens bien fortunés, de se farcir chaque dimanche un pareil canard !

Et cette couverture, cette couverture ! Où Helmut Schmidt tend (en effigie pur métal) à Müntefering une paluche énorme et grandiose sous les yeux bienveillants de l’Ayatollah Khomeyni.

FAS couverture (détail)

Le souffle déjà coupé, je m’apprête à franchir le seuil du sanctuaire où se révèlent les méandres (Windungen) du Zeitgeist (esprit du temps, pour autant que ça veuille dire quelque chose).

Oh ! Ah ! Mais ce sont d’autres « tronches amies » (Michel Audiard) qui me saluent gracieusement page 28 ! Le Houellebecq, le Houellebecq, plus baveux et relentifère que jamais, et surtout, surtout, ce bon Véhache, « ein Autor, mit dem ich mich in meiner Eigenschaft als Vollbartträger ganz besonders verbunden fühle » (Jules Ferry). Voilà pour nous consoler des âneries électronicolâtres et jeunistes des pages 13 et 23, héhé.

Pour le reste, bah, das Jahr (l’année) 1959 et son « Weltniveau »
(Hans Caius Enzenshügler), une actrice vous parle de ses rides, et il y a un nouveau musée de la bagnole à Stuttgart. Okay. Pas trop d’une semaine pour digérer ça. À dimanche prochain, chers amis lecteurs, « chers amis français » (Iris Radisch), à dimanche prochain !

Die Handschellen-Odyssee:
Leo Perutz: »Zwischen neun und neun«

London, 27. Januar 2009, 12:34 | von Dique

Studenten sind oft begnadete Nebenfiguren, etwa Øien in Hamsuns »Mysterien« oder Charousek in Meyrinks »Golem«. In Leo Perutz’ Roman »Zwischen neun und neun« (1918) begegnen wir dem Studenten Stanislaus Demba dann aber in einer Hauptrolle. Es ist ein Wien-Roman, die Geschichte um ein kleines Verbrechen.

Vor drei Jahren hat Demba drei Bände aus der Bibliothek mitgehen lassen und beginnt diese nun in Geldnot an einen Trödler zu verscherbeln. Beim letzten Band, dem wertvollsten, riecht der Ankäufer Lunte und ruft die Polizei. Demba wird gestellt und kann dann zwar fliehen, ist dabei allerdings immer noch in Handschellen gekettet, bekommt diese in den kommenden 12 Stunden (zwischen neun und neun) auch nicht ab und streicht mit diesem misslichen Handicap durch die Stadt.

Dummerweise ist ihm gerade die Freundin ausgespannt worden, welche am folgenden Tag mit ihrem neuen Verehrer eine Reise nach Venedig antreten wird. Demba will sich nun selbst Geld besorgen, um im letzten Moment vielleicht doch noch an der Seite seiner Ex in die Lagunenstadt fahren zu können, und so beginnt seine mehrstündige Handschellen-Odyssee.

Aus diesem Roman sollte ursprünglich eine 12-teilige Serie entstehen, die den Namen »12« trägt und in 12 Episoden jeweils genau eine Stunde dieser Zeitspanne in Echtzeit nachzeichnet. Aber dann hatte niemand diese Idee. Umgesetzt wurde sie erst Jahrzehnte später in der Actionserie »24«.

Die weltweite Perutz-Rezeption wird außer bei Borges u. a. auch in den Filmen von Hitchcock sichtbar. Er insinuiert im Gespräch mit Truffaut jedenfalls, dass die Handschellen-Szene in »The Lodger« auf der Perutz-Vorlage basiert.

Aber mir geht es weniger um die Inhalte und die Aufnahme des Buchs, sondern um den Charakter Stanislaus Demba, besonders im Vergleich zu anderen Studententypen. Anders als die oben genannten ist Demba ein unfreundlicher, aufbrausender Choleriker voll spöttischer Menschenverachtung, dabei allerdings bizarr komisch und einfach sehr sympathisch in seiner Antiheldenrolle.

Da beschreibt er doch seinen Rivalen Georg Weiner im Streit um seine Geliebte, welche ihn eigentlich schon verlassen hat, herablassend, im Gespräch mit einer Freundin, wie folgt:

»Dieser Mandrill hat doch eigentlich einen ganz menschenähnlichen Gang. Weißt du, nicht aus Gehässigkeit, sondern ich war wirklich erstaunt, dass er so gut aufrecht gehen konnte, und dachte mir, das muss ihm doch große Mühe machen, warum plagt er sich so und geht nicht einfach auf allen vieren?«

Außerdem ist sein äffisch wirkender Kontrahent ein Mensch, der kein Kinn hat, und Demba hat das gleiche an dem Trödler beobachtet, welcher ihn dann an die Polizei ausliefern wird, und entwickelt die folgende Theorie über die Kinnlosen:

»Manchen Menschen fehlt das Kinn. Das Gesicht geht unter dem Mund gleich in den Hals über. Sie sehen aus wie Hühner. Auch der Weiner gehört zu diesen Menschen. Sie tragen entweder Vollbart, dann sieht man es weniger, oder, wenn sie glattrasiert sind, dann sehen sie stupid aus. Ich glaube, das ist ein Atavismus. Zwischen der zweiten und der dritten Eiszeit sollen die Menschen so ausgesehen haben. – Nein, das ist kein Witz, ich hab’ das wirklich einmal in einem Aufsatz über den prähistorischen Menschen gelesen. Mir sind Leute ohne Kinn zuwider. Und wie ich den Alten anschau’, kommt mir der verrückte Gedanke, dass vielleicht ein Geheimbund aller dieser Kinnlosen besteht gegen die übrige Welt, dass sie zusammenstehen, und dass vielleicht der alte Trödler mit dem Georg Weiner im Einverständnis ist und mir nur eine Bagatelle für das Buch zahlen wird, damit ich nicht mit der Sonja nach Italien fahren kann.«

Die 12 Stunden mit dem handgeschellten Stanislaus Demba sind jedenfalls wahre Freuden. Aber die 24, welche ich letzthin an die erste Staffel der gleichnamigen Serie verschwendet habe, waren auch nicht zu verachten.

»The Antiques Rogue Show«

London, 24. Januar 2009, 12:12 | von Dique

Bei uns heißt es »Kunst und Krempel«, und das Äquivalent bei der BBC nennt sich »Antiques Roadshow«. An diesen Titel wiederum lehnt sich dann die am 4. Januar ausgestrahlte »Antiques Rogue Show« an, eine dieser sehr gut gemachten BBC-Docufictions, welche sich oft weltweit verkaufen like hot buns.

Es geht um Shaun Greenhalgh, einen britischen Künstler, der sich aber vor allem als Fälscher einen Namen machte. Passt also sehr gut zum zweitbesten Feuilleton-Artikel 2008, die »Spiegel«-Story von Jörg Diehl und Ralf Hoppe, die sich auch um die Frage drehte, was denn ein fanatischer Künstler macht, wenn er seine Werke nicht verkaufen kann.

Hans-Jürgen Kuhl jedenfalls ging den direkten Weg und fälschte Geld. Greenhalgh dagegen fälschte Kunst und machte diese dann erst zu Geld. Während Kuhl irgendwann mal ein Teil des etablierten Kunstbetriebs war, Warhol persönlich traf usw., fristete Greenhalgh ein eher bizarres Dasein, welches er auch nicht änderte, nachdem er einige Stücke aus seiner Fälscherwerkstatt zu Geld gemacht hatte.

Sein Leben lang wohnte er mit Eltern und Tante in einer Sozialwohnung in Bolton bei Manchester und kam selten da heraus. Aber in seiner Gartenlaube fälschte er Kunstwerke aller Art. Sein größter Hit war die Amarna Princess, eine angeblich über 3.000 Jahre alte ägyptische Figur aus der Amarna-Periode.

Shaun studierte die wenigen vorhandenen Kunstwerke dieser Zeit sehr genau. Er besorgte sich dann Alabaster aus Ägypten, den er überwiegend mit Baumarktwerkzeugen bearbeitete. Den Alterungseffekt erreichte er mit einem Sud aus Tee und Chicken-Shit. Auch unser großer deutscher Fälscher, Konrad Kujau, tauchte die Seiten zumindest in Tee, um seine Hitlertagebücher alt aussehen zu lassen.

Alt sahen dann jedenfalls die Experten aus, die mit ihrer Begeisterung das lokale Museum anstachelten, die Alabaster-Prinzessin für 440.000 Pfund zu kaufen. Um abzusichern, dass dieses bedeutende Kunstwerk nicht das Land verlässt und natürlich auch, um einen Knüller im eher provinziellen Museumsprogramm zu haben.

Neben der Kunstfertigkeit des fälschenden Künstlers war besonders der Verkaufs-Style bemerkenswert. Hier trat der betagte Vater Greenhalgh in Aktion. Er besorgte einen alten Auktionskatalog aus dem späten 19. Jahrhundert, in dem zwei ägyptische Statuen angeboten wurden, welche aus dem Nachlass eines Earls stammten. Er behauptete dann einfach, dass sein Großvater eine davon gekauft hat und sich diese seitdem im Familienbesitz befindet.

Hier funktionieren die gespielten Szenen der Doku besonders gut. Eine Kunstexpertin besucht Mutter und Vater Greenhalgh zu Hause, und während die alte Greenhalgh so tut, als würde sie auf dem Dachboden nach diesem alten Auktionskatalog kramen, nervt ihr Mann die Expertin mit langweiligen Geschichten aus seinem Leben, aus seiner Jugend, vom Krieg, und die Arme macht mit all ihrer britischen Höflichkeit eine gute Miene. Die reine Zermürbungstaktik, denn der Katalog liegt natürlich im Nebenzimmer bereit und muss nicht erst noch auf dem Dachboden zufällig gefunden werden.

Der Trick geht jedenfalls auf. Der Katalog und ein bisschen gefälschte Familienkorrespondenz helfen bei der Bescheinigung der Echtheit. Insgesamt 17 Jahre verhökern die Greenhalghs fröhlich und erfolgreich die vom Sohn gefälschte Kunst. Immer wieder geht der unscheinbare Alte zu Auktionshäusern und Händlern und bietet seine Familienstücke an und fragt ganz unschuldig, »whether they are worth a couple of quid?«

Kurioserweise bleiben sie bei allem Erfolg auf dem Teppich, wohnen weiter gedrängt in ihrer Sozialwohnung, haben aber eine halbe Million Pfund auf dem Konto. Erst als sie dem britischen Museum drei assyrische Reliefs anbieten, auf denen sich einige Schreibfehler in die Keilschrift geschlichen haben, fliegt der Schwindel auf. Shaun sitzt jetzt für vier Jahre und acht Monate im Gefängnis, aber »it could have been much worse«, wie die Doku gleich am Anfang feststellt, und zwar unter Verweis auf das Schicksal von van Gogh.

Pflicht und Kür im Gedenkfeuilleton

Konstanz, 22. Januar 2009, 15:25 | von Marcuccio

Frankfurt, wir haben ein Problem. Die Kalenderfeuilleton-Novelle. Seit dem 5. Januar werden die Geburtstagsartikel einer FAZ-Woche immer montags auf der Feuilleton-Rückseite gebündelt, Todesnachrichten und andere wichtige Jubiläen bleiben weiterhin tagesaktuell vorn bei den Kollegen im Frontoffice.

Und gleich zum Auftakt dieser Patzer:

»Herwig Birg, dem großen Warner vor den Folgen der geburtenarmen und darum überalterten Gesellschaft, ist von uns gestern zum sechzigsten Geburtstag gratuliert worden. Er beging jedoch seinen siebzigsten. Wir bedauern den Fehler.« (FAZ vom 6. Januar)

Bürokratieabbau geht anders. Mag sich die FAS schon mal zwei Tage vor Inkrafttreten der neuen Jubiläumsartikel-Verwaltungs­richtlinie bei der FAZ gedacht haben und zeigte uns allen, wie es geht:

»So wird 2009 gewesen sein«
(FAS Nr. 1/2009 vom 4. Januar, S. 23)

Das war die Seite mit dem riesenroten Fake-»Spiegel«-Cover von der herrlichen Kat Menschik: eine zum Entkorken bereite Rotkäppchen-Sektflasche, darunter die Titel-Schlagzeile, die uns dieses Jahr in abgewandelter Form sicher noch blüht:

»Die Besser-Ossis. 20 Jahre nach dem Mauerfall:
Wo die Ossis die Nase vorn haben«

Im vorangehenden, echten »Spiegel« (Nr. 1/2009) stand ja diese Prosit-Mauerfall-Story (von und mit Matthias Matussek, S. 38-41), im Inhalt unter dem Rubrum

»Unternehmen: Die Sektkellerei Rotkäppchen
startet ins Jubiläumsjahr des Mauerfalls«

Außerdem enthielt dieses Heft das ominöse Nachrichten-Horoskop (»Was läuft 2009«). Bei der FAS muss man all das zusammenge­dacht haben, und statt der Jubiläumsartikel-Pflicht der FAZ gab es die Kür:

»Die wichtigsten Jubiläen des Jahres und wie
die Medien darauf reagieren werden«

Eine witzig-kreative Meta-Parade auf den Berichterstattungswahn zu runden Anlässen. Lauter Preziosen waren das, Thea Dorn als Running Gag und auch sonst viele feine Ideen, auf die der Umblätterer dann vielleicht mal unterm Jahr zurückkommen wird: »Aus Frankfurt nun die FAS-Jubiläumsvorhersage für morgen Mittwoch, den 500. Krönungstag von Heinrich VIII.«

Usw.

Im Gewandhaus:
Tschaikowski und das Programmheft

Leipzig, 20. Januar 2009, 10:45 | von Niwoabyl

Letzten Donnerstag. Um 19:50 Uhr stand ich noch mit Paco an der Bar im »Cantona«. Aber schon 10 Minuten später saß ich im Gewandhaus beim: »GROSSEN CONCERT«.

Zuerst gab es Alfred Schnittke (absoluter Lieblings-Komponist der Gegenwart), dann ein bisschen Mozart zum Atemschöpfen. Und dann die herrlich schwülstige 6. Sinfonie des Tschaikowski, die sog. »Pathétique« (jaja, russischer Gallico-Chic pur). Also auf Raffinement wird spätestens dann beinahe gänzlich verzichtet, aber bitte, SO EIN SOUND!!!

Also, Konzert: grandios, Dirigent: toll bis eigenwillig, Pianist: überraschend bis diskutabel. Der eigentliche Star aber war, wie so oft: das Programmheft.

Als Beleg erinnere ich zunächst noch mal an das famose Programmheft, das die Dramaturgie der Leipziger Oper anlässlich der Premiere des skandalumwitterten »Fliegenden Holländers« zusammengebastelt hatte. Mit Auszügen aus Wagners revolutionären Jugendschriften, aus einem Buch über das Thema ›Zombies im unabhängigen amerikanischen Film‹, aus Cees Nootebooms »Ritualen«, und, und, und aus Michel Houellebecqs »Ausweitung der Kampfzone«. Super. Und noch ein bisschen Adorno dazu, hehehe.

Und auch in der gestrigen Aushändigung zum Konzert standen 17 ganz, ganz kleine Zeilen, die ich auf Anhieb als feuilletonistische Großtat betrachtete.

Nun hat es freilich mit Konzertheften eine andere Bewandtnis. Da wird in der Regel nicht zitiert, sondern ausführlich erklärt, in altbackener Konzertführer-Manier. Wenn die Oper also schon lange die Moderne akzeptiert, zum Teil begeistert aufgenommen zu haben scheint, bleibt man schließlich im Konzert beim Alten und Bewährten, um allen Bildungsbürgern noch zu ermöglichen, sich nach Herzenslust daran zu erbauen.

Und wenn es gilt, einen so saftigen Schinken wie Tschaikowskis 6. Sinfonie h-moll (»Pathétique«) zu erläutern, lässt man es sich ungern nehmen, ein bisschen ins Biografische hineinzuspielen.

Im Gewandhausprogrammheft werden wir also in aller Ausführlichkeit an die düsteren Umstände erinnert, die den Tod des prominenten russischen Herz-Schmerz-Komponisten umgeben. Schließlich handelt es sich ja um sein letztes Werk. Also, vielleicht ist er an Cholera gestorben, vielleicht hat er aber das infizierte Wasser absichtlich getrunken, und vielleicht, ja vielleicht ist es nicht mal ein richtiger Freitod gewesen, nein, der arme Pjotr wurde möglicherweise durch ein geheimes Ehrengericht zum Selbstmord verurteilt. Und hat dann eventuell Arsen genommen.

Nach einer vollen Seite düsterer Spurensuche in bester Thriller-Tradition (siehe Klaus Manns Tschaikowski-Roman) neigt sich aber die Pause ihrem Ende zu. Schon erklingen die Trompeten. Schnell zum Schluss kommen! Sonst beginnt uns noch die Musik vor Abschluss der Lektüre. Also, schnell zum Wesentlichen (Seite 13!):

»Wie es zu Ts plötzlichem Tod kam, wird wahrscheinlich niemals eindeutig geklärt werden können. Wenn diese Frage auch im Zusammenhang mit der ›Symphonie pathétique‹ immer wieder auftaucht, …«

Na ja, ein bisschen selbstreflexiv zu sein schadet ja nicht.

»… so hat sie doch letztlich für die Musik nur eine untergeordnete Bedeutung.«

Aber, aber, das ist ja verstörend! Das hätten Sie vielleicht früher sagen sollen! Was hat denn eine größere Bedeutung? Es bleibt spannend …

»Viel mehr als die Todesumstände sollte man über die Lebenstragödie …«

Das war’s also! Die Lebenstragödie! Mensch, das war knapp!

»… dieses äußerlich so erfolgreichen, …«

Ha, ha! »Äußerlich«! Wiederum Spannung pur! Und innerlich, bitte, innerlich?

»… aber zu innerer Einsamkeit verurteilten Mannes nachdenken, der so viel Liebe zu geben hatte und immer in Todesnähe lebte.«

Bum! Wir hofften es beinahe nicht mehr, schließlich ist sie da, die große Erschütterung. Liebe und Einsamkeit. Großartig.

»Aus der Tragödie seines Lebens …«

Lebenstragödie/Tragödie seines Lebens. Beinahe als möchte die Rezensentin ihren so gepeinigten russischen Liebling für Brahms‘ indiskutablen Vorsprung in puncto Variationstechnik rächen …

»… ist diese Musik hervorgegangen, die bis heute die Menschen so unendlich …«

Wieso unendlich? Es wurden doch nur 45 Minuten angekündigt … Ah, verstehe, vielleicht kommt noch was Abstraktes!

»… zu bereichern vermag.«

BEREICHERN! Auf einmal entdecken wir im Nachhinein, wie kunstvoll der ganze Unsinn arrangiert wurde. Von der glatten Wissenschaft­lichkeit (nie geklärt) über die entfesselte Leidenschaft (soviel Liebe hatte er zu geben! Ach!) zur Erlösung durch die Kunst, wohlgemerkt QUANTITATIV erfasst. Da ist unter der harmlosen Fassade des Salon-Gequatsches wahrlich der Teufel los.

Usw.

Mit Schirm, Charme und Scheck

Konstanz, 19. Januar 2009, 14:04 | von Marcuccio

Wahlsonntag, 18 Uhr, in der Buchhandlung Osiander. Die erste Hochrechnung aus Hessen ist hier ganz weit weg. Stattdessen große Koalition für Denis Scheck: Lehrerinnen mit Notizblöcken aus Olivenholz. Der Edeka-Geschäftsführer von gegenüber. Studentenpärchen. Und am Eingang ungefähr 150 Regenschirme ohne Garderobe.

Der Mann, der die »Spiegel«-Bestsellerliste zur Show mit der Mülltonne machte, ist da. Und will sich bei Osiander Konschdanz (er sagt natürlich: Konschdanz) ein bisschen von dem Geld wiederholen, das er als Student seinerzeit bei Osiander Tübingen gelassen hat. Lacher im badischen Publikum, das heute (Filialeröffnung) mal ganz auf Kosten der Schwaben da ist.

Dann ein Lob auf die hiesigen Seelen, mit dem er aber auch schon zur Sache kommt, denn vor zu vielen Büchern (90.000 Neuerscheinungen pro Jahr, huch!) fürchtet sich Scheck, bitteschön, »genauso wenig wie vor zu vielen Auslagen einer Bäckerei«. Es folgt: Für TV-Seher eine volle VHS-Kassette »Druckfrisch«. Für Radio-Hörer ein gelungenes Solo zur DLF-Sendung »Bestes und Allerletztes«.

19:40 Uhr. Die ersten Leute wollen heim zur »Tagesschau«. Scheck schalkt durch die letzten Bücher. Im Obergeschoss werden die Häppchen gerichtet. Die Schirme (von oben betrachtet wie ein schlecht genagelter Günther Uecker) warten mit ihren feinen Unterschieden, bis der Wein alle ist.

Der Vagina-Katalog

London, 18. Januar 2009, 13:00 | von Dique

Venus ist verheiratet mit Vulkan, doch Mars ist scharf auf die Schöne. Irgendwann geht sie auf das Werben des Kriegsgottes ein, und beide treffen sich zum heimlichen Liebesspiel. Vulkan bleibt das nicht verborgen, und er stellt den beiden eine Falle. Er bringt ein fast unsichtbares Netz an seinem Ehebett an, um sie bei ihrem nächsten Rendezvous darin zu fangen. Der Plan geht auf, und Vulkan rächt sich nun, indem er die beiden im Netz Gefangenen dem Gespött der übrigen Götter aussetzt.

Diese Szene verarbeitete François Boucher, der uns in seinen weichgespülten rosa Rokoko-Farbtönen heute eher kitschig vorkommt, in mehreren Gemälden. In einem davon stellt er den Moment dar, in dem sich Vulkan vorsichtig an die Liebenden anschleicht. Venus liegt lustvoll zurückgeworfen auf dem Bett, während Mars sie umarmt.

Dieses Bild, »Mars and Venus surprised by Vulcan«, entstand um 1754 und hängt heute in der Wallace Collection in London, die eine der besten Boucher-Sammlungen der Welt hält und 2005 auch eine Sonderschau, über den Maler veranstaltete, »Seductive Visions«.

Das nur als Einleitung, als Vorgeschichte, und jetzt sitze ich mit Millek und Sébastien2000 (* Name geändert) im Café der Wallace, das zwar sehr schön ist, aber ein bisschen zu bieder, um zum Kaffeehaus des Monats ausgerufen zu werden. Jedenfalls wird das Museum in 15 Minuten schließen, und wir diskutieren: Welche beiden Bilder müsste man sehen, wenn man nur 10 Minuten Zeit hat, aber einen Eindruck von der Sammlung gewinnen will.

Zumindest das erste Werk liegt klar auf der Hand: »The Swing« von Bouchers Schüler Fragonard. Dieses Bild ist nicht nur eines der prominentesten Werke der Sammlung. Mit seinem frivolen Sujet steht es auch exemplarisch für die Interessen des Sammlers Richard Wallace, der Sinnliches mochte und konsequent heranschaffte. Religiöses oder Schlachtengemälde wird man in der Wallace Collection nicht finden.

Wir begeben uns nach oben in die Galerie, um eben jenem »Swing« die verbleibenden Minuten zu widmen. Auf dem Weg dorthin erzählt uns Sébastien (der sich nach seinen Speed-Führungen im Prado und in den Vatikanischen Museen jetzt in der Wallace Collection betätigen will) jene eingangs erwähnte Geschichte von Venus, Vulkan und Mars. Und obwohl wir wissen, dass das entsprechende Bild von Boucher auch gleich hier hängt, inspizieren wir erst noch einmal den berühmten »Swing«:

Inmitten eines tiefgrünen Parks sitzt eine Dame auf einer Schaukel. Unter ihr, im Buschwerk versteckt, aber für die Dame sichtbar: ein einladend grinsender Mann, ihr Liebhaber, welchem schon der eine Schuh der schaukelnden Frau zufliegt und andeutet, dass sie selbst wohl als nächstes folgen wird. Im Hintergrund, im Schatten, ein weiterer Mann, der die Schaukel anschiebt, wohl ihr Mann, der von einer Affäre nichts weiß. Angeblich wurde das Bild seinerzeit von dem heimlichen Liebhaber in Auftrag gegeben.

Aber kommen wir zurück auf die prominenten Liebenden aus dem Olymp. Wir brauchen uns dazu nur umzudrehen, und Sébastien setzt seine Vorgeschichte nun fort »with a rather juicy bit of information«.

Für das Cover des Katalogs zur damaligen Boucher-Ausstellung war ein Detail aus genau diesem Bild, »Mars and Venus surprised by Vulcan«, ausgewählt worden. Das Detail wurde auch für Werbeposter verwendet und zierte zur Zeit der Ausstellung als riesiges Banner das Hertford House, in dem sich die Wallace Collection befindet. Dieser Ausschnitt ist nur ein kleiner Teil des Bildes: der lustvoll zurückgeworfene Kopf der Venus.

Wie gesagt, die Ausstellung ist lange vorbei, aber das große Banner hat die Kuratorin wohl noch immer irgendwo hängen. Und eines Tages, jetzt, Jahre nach der Ausstellung, fragte sie angeblich jemand, der das Bild, den Ausschnitt, den Kopf der Venus eine Weile studiert hatte, ob ihr denn daran nicht etwas auffalle. Und sie konnte an diesem Ausschnitt, dem Aushängeschild der Ausstellung, das sie so oft gesehen hatte, das so viele Leute so oft gesehen hatten, nichts Neues entdecken.

Und auch wir stehen nun vor dem Bild, dem Original in Öl, hier in der Wallace Collection, und sehen nicht nur den Ausschnitt, sondern starren auf das gesamte Gemälde in all seiner Pracht, aber es fällt uns einfach nichts auf.

»Have a closer look at her ear«, sagt Sébastien, und dann, keiner spricht es aus, keiner muss es aussprechen, es ist ein Moment des Staunens und des Unglaubens (»Und mit Erstaunen und mit Grauen / Sehen’s die Ritter und Edelfrauen«, um den Moment in Kontext zu setzen), und nach einem Moment der Stille, unser aller Münder stehen offen, raune ich ein ungläubiges »Really!?«.

Für diese kunsthistorische Entdeckung, die in der Literatur noch nicht verzeichnet ist, wird es wohl nie eine offizielle Bestätigung geben. Doch in Anbetracht von Bouchers Gesamtwerk und der Deutlichkeit und unser aller Reaktion weist alles darauf hin, dass man 4 Jahre nach der Ausstellung den zugehörigen Katalog als Vagina-Katalog bezeichnen kann.

»Boris – La fuoriserie italiana«

Leipzig, 16. Januar 2009, 00:54 | von Paco

onde. Das italienische Kulturmagazin (Titelbild der Nr. 30, Wintersemester 2008/2009)Der unten stehende Artikel ist bereits im aktuellen Heft des italienischen Kulturmagazins »onde« erschienen (Nr. 30, S. 16-17). Textabgabe war Ende August. Mittlerweile wurde die Produktion einer 3. »Boris«-Staffel offiziell verkündet. Wer Fox Italia nicht empfängt: Bei YouTube gibt es u. a. eine längere Szene aus der Pilotfolge und die grandiose Aufforderung an einen verdienten Altschauspieler, bitte nicht so gut zu spielen: »Faccia (la scena) a cazzo di cane!«

*

»Fallo un po‘ a cazzo di cane!«

»Boris«, die grandiose TV-Comedy von Fox Italia,
arbeitet sich an den Italo-Soaps ab

Wann hat man das schon mal, dass eine italienische Fernsehsen­dung nach einem deutschen Tennisstar benannt ist? Der »Boris« der gleichnamigen Serie von Fox Italia ist allerdings ein kleiner niedlicher Goldfisch, der Boris Becker lediglich seinen Namen verdankt. Er schwimmt friedlich in seiner Wasserkugel herum, die auf dem Kontrollmonitor des Regisseurs steht.

Die Serie in der Serie

Wir können dem Regisseur auch bei der Arbeit zusehen, denn bei »Boris« handelt es sich um eine Metafiktion: Wir lernen ein ganzes Produktionsteam kennen, das eine Serie in der Serie produziert, in diesem Fall die schreckliche italienische Kitschsoap »Gli occhi del cuore 2«.

Alle Beteiligten wissen, dass diese furchtbare Serie all’italiana der reinste Schrott ist. Wir betreten das Set in der Nähe von Ciampino zusammen mit dem neuen Praktikanten Alessandro und erleben beim gesamten Team den totalen Menefreghismo hinsichtlich der fehlenden Qualität, des fehlenden Anspruchs.

Schon die drei gelangweilten Autoren erzeugen ihre Skripte größten­teils mit einem simplen Druck auf F-Tasten, mit denen sie den Darstellern die immer gleichen Textschablonen zuschustern. Auch die Anweisungen des Regisseurs René Ferretti laufen im Prinzip immer auf dasselbe hinaus: »(La scena) è molto semplice: basito lui, basita lei, macchina da presa fissa, luce un po‘ smarmellata e daje tutti che abbiamo fatto.« Wenn gar nichts mehr weiterhilft, wird er deutlicher: »Fallo un po‘ a cazzo di cane!«

Drama, Baby, Drama!

Die Hauptdarsteller von »Gli occhi del cuore 2« agieren dementsprechend. Die vollkommen talentlose Darstellerin der Dottoressa Giulia schafft es nicht, das Wort »gioielliere« richtig zu betonen und hält damit stundenlang den gesamten Dreh auf. Der übereitle Stanis La Rochelle spielt den Chirurgen Giorgio so affektiert, dass es beim Zusehen schmerzt. Und die das Ensemble später ergänzende Cristina Avola Burkstaller schafft es tatsächlich, zu den seichten Dialogen immer wieder Verständnisfragen zu stellen.

Inhaltlich gibt es dann Herzschmerz der übelsten Sorte, unaushaltbare Geständnisszenen, sogar Mord und Totschlag, wenn irgendwelche Kanten im Drehbuch ausgebügelt werden müssen, und außerdem natürlich einen geheimnisvollen gräflichen Ring. Pling!

Die furchtbaren Schauspielleistungen bricht der Regisseur fast ausnahmslos mit den Rufen »Buona!« oder »Ottima!« ab, ähnlich wie der schlechteste Regisseur aller Zeiten, Ed Wood, nach nur einem Take immer zu sagen pflegte: »Cut! That’s a wrap!«

Wir alle kennen die so entstehenden Produkte, von denen auch im deutschen Fernsehen immer wieder neue anlaufen und die »Spiegel Online« neulich treffend als »Meisterwerke der Massenver­blödung« bezeichnet hat. Die fiktiven »Occhi del cuore« haben angeblich 7 Millionen feste Zuschauer.

Das Glück des Goldfischs

Die »Boris«-Schauspieler, die das Produktionsteam der Soap darstellen, haben sichtlich Spaß an ihren Rollen. Obwohl die beschriebenen Erscheinungen des italienischen Fernsehens gnadenlos aufgespießt werden, spielen sie ihre Figuren, ohne sie zu verraten. Die Leute am Set machen eben, was sie machen. Und schon auch freiwillig.

Für den Kameramann Duccio ist es das Paradies, er würde nirgendwo anders arbeiten wollen: »Ti chiedono di lavorare male e ti pagano bene.« Alle vom Team haben im richtigen Leben einen Traum oder ein Trauma, dazu brauchen sie im Prinzip keine Soap. Aber sie arbeiten nun mal an einer mit.

Formal steht »Boris« in einer aktuellen Tradition, die mit Mockumentarys à la »The Office« begonnen hat und mittlerweile mit ganz ähnlich gelagerten Metafiktionen wie der erfolgreichen US-Comedy »30 Rock« fortgesetzt wird. All diese Serien blicken mit einer Liebe fürs Details hinter die Kulissen althergebrachter Institutionen, und es ist eine Wonne, dabei zuzusehen.

Trotz der internationalen Vorbilder zelebriert »Boris« aber auch die eigene Italianità. Schon dadurch, dass die vor kurzem ausgestrahlte zweite Staffel als »Boris 2« an den Start ging, so wie die Staffelzahlen italienischer TV-Serien stets im Titel mitgeführt werden, damit dann niemand denkt, es handele sich um eine Wiederholung.

Mit »Boris – La fuoriserie italiana«, der ersten großen Eigen­produktion, ist Fox Italia ein großer Wurf gelungen. Auf eine gefeierte 1. Staffel im Jahr 2007 folgte eine ebenso grandiose Folgestaffel, die bis Ende Juli 2008 ausgestrahlt wurde. Die Produktion einer dritten Staffel gilt als sicher.

Stellt sich nur noch die Frage, warum die Serie den Namen eines eigentlich unbeteiligten Goldfischs trägt. Vielleicht repräsentiert der unbescholtene Aquariumsbewohner einfach nur die Alternative: das Glück, sich den Soapschrott gar nicht erst ansehen zu können.

Frank Fischer, Leipzig

Regionalzeitung (Teil 14)

Leipzig, 14. Januar 2009, 21:44 | von Austin

 
  66.   auch in diesem Jahr hieß es wieder

  67.   wurde mit viel Beifall aufgenommen

  68.   bot genügend Platz für das zahlreiche Publikum

  69.   gratulierte den Jubilaren auch im Namen von

  70.   würdigte die jahrzehntelangen Verdienste um
 

Die Ergebnisse der …
Feuilleton-Meisterschaft 2008

Zürich, 13. Januar 2009, 02:31 | von Paco

Da kommt er endlich ans Licht gekrochen, der Goldene Maulwurf 2008:

Der Goldene Maulwurf

Und hier sind sie, die Autoren und Zeitungen der 10 angeblich™ besten Artikel aus den Feuilletons des Jahres 2008:

1. Iris Radisch (Zeit)
2. Jörg Diehl/Ralf Hoppe (Spiegel)
3. Johan Schloemann (SZ)
4. Alex Rühle (SZ)
5. Benjamin von Stuckrad-Barre (Welt)
6. Ingeborg Harms (FAZ)
7. Oliver Jungen/Richard Wagner (FAZ)
8. Andreas Maier (Zeit)
9. Gustav Seibt (SZ)
10. Christian Zaschke (SZ)

Zusammen bilden diese 10 Texte vielleicht wieder einen repräsen­tativen Reader des 2008er Jahrgangs des deutsch­sprachigen Feuilletons, der weltweit hervorragendsten Publikationsbastion.

Unser Lieblingstext, Iris Radischs fulminante Besprechung des Romans »Die Wohlgesinnten«, hat sich in den letzten Monaten aus verschie­denen Gründen als der Artikel mit der größten Tiefen­wirkung erwiesen. Eine genauere Durchleuchtung unseres Rankings gibt es in den 10 Mini-Laudationes, die sich wie die Jahrgänge 2005, 2006 und 2007 auch direkt von der rechten Seitenleiste aus anklicken lassen.

Und bevor wir es vergessen: tausend Dank an CZZ und Gregor Keuschnig sowie an alle, die uns mit Nominierungsvorschlägen versorgt haben.

Bis zum nächsten Jahr,
Consortium Feuilletonorum Insaniaeque