Archiv des Themenkreises ›Lost‹


Lost: 5. Staffel, 12. Folge

London, 13. April 2009, 18:53 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »Dead Is Dead«
Episode Number: 5.12 (#97)
First Aired: April 8, 2009 (Wednesday)
Deutscher Titel: »Tot ist tot« (EA 25. 6. 2009)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Es wird immer schwieriger, »Lost« ohne sich steigernden Ingrimm zu sehen, denn der mythologische Unterbau der Serie wird leider in einer schrecklichen Weise konkretisiert und dadurch wie befürchtet mit bekloppten Erklärungen und billigen Effekten profanisiert. In dieser Folge etwa leistet das Machttalent Ben Abbitte beim Rauchmonster, und diese Szene ist als Konkretum einfach nicht ohne Lachanfälle durchzustehen.

Dass sich Ben nach einigen taktischen Fehlern und seiner Abkehr von der Insel mit einem immer deutlicher werdenden Machtverlust konfrontiert sieht, ist dabei trotzdem ein schönes Sujet, insofern soll uns diese für »Lost«-Verhältnisse handwerklich ziemlich dürftig umgesetzte Szene nicht allzu sehr ablenken.

Ben vs. Widmore

Neben den Abenteuern von Ben und Locke gibt es diesmal auch einige zeitliche Rücksprünge, die alle die Entstehung und die Folgen des Konflikts zwischen Ben und Widmore thematisieren. Als Richard den kleinen verwundeten Ben (im Anschluss an die letzte Folge) zu den Others bringt, auf dass er »von der Insel geheilt« werde, ist Widmore auch gar nicht einverstanden, als ob er ahnen würde, was folgt.

Einige Jahre später bekommt der mittlerweile erwachsene Ben zusammen mit dem nun im Teenie-Alter befindlichen Ethan den Auftrag, die verwilderte Rousseau zu töten. Sie lassen sie jedoch leben und nehmen ihr stattdessen ihr Kind weg, die kleine Alex. Mit ihrer Überführung ins Others-Biwak ist Widmore wieder nicht einverstanden, aber Ben setzt sich durch und zieht Alex als seine Tochter groß.

Ein weiterer Zeitsprung zeigt uns dann den Abschied Widmores von der Insel. Er hat offenbar selbst seine Verbannung vorgeschlagen, nachdem er gegen »die Regeln« verstoßen und mit einer Nicht-Insulanerin ein Kind (nämlich Penny) gezeugt hat. Was soll das denn für ein Grund sein! Siehe Tao bei Critik en séries: « Je m’attendais à du spectaculaire, à une vraie trahison. Il n’en est rien. »

Und dann wird endlich noch eine viel zu lange offen gebliebene Frage beantwortet: Wieso kam Ben eigentlich damals (gerade noch rechtzeitig) mit blutig gehauener Visage in den Flug 316 gestürmt? Hier die Nacherzählung: Unmittelbar vor dem Einchecken ruft Ben bei Widmore an und teilt ihm mit, dass er dessen Tochter Penny killen werde, als Rache für die Ermordung von Alex. Als er zur Tat schreiten will, wird er von Desmond aufgehalten und schießt diesen erst mal nieder. Dann verkündet er Penny wie in einem schlechten Krimi, warum er sie jetzt erschießen werde. Er hält jedoch inne, als Charlie, Pennys und Desmonds Sohn, aufs Deck springt. Big mistake, denn sofort wird er vom nicht erfolgreich erschossenen Desmond angefallen, der ihm ordentlich die Fresse poliert und ins Wasser wirft. So also war das.

Ben und Locke on tour

Als Cliffhanger der Vorgängerfolge saß der wiedererweckte Locke an Bens Krankenbett, diese Szene wird jetzt fortgesetzt. Wie neulich schon anhand einer Reproduktion von Caravaggios »Ungläubigem Thomas« spricht Ben zunächst über den Unterschied zwischen believing und seeing. Als er genug gestaunt hat über Lockes Auferstehung eröffnet er seine weiteren Pläne (Achtung, es wird albern!): Er will sich in dieser Folge vom Black Smoke Monster richten lassen (»I came back to the Island […] to be judged.«). Aha, natürlich, wer verstünde das nicht, hehe. Ganz nebenbei spricht Locke übrigens noch kurz seine Ermordung durch Ben an:

LOCKE: Well, Ben, I was hoping that you and I could talk about the elephant in the room.
BEN: I assume you’re referring to the fact that I killed you.
LOCKE: Yeah.

Nicht schlecht, dieser trocken-humoristisch runtergesprochene Dialog. Ben entschuldigt sich jedenfalls nicht für seine Tat und erklärt nur, dass er »im Interesse der Insel« (na klar) gehandelt habe, und das habe doch nun bestens funktioniert, da alle Inselflüchtigen zurück seien. Locke ist dann auch nicht nachtragend und verkündet, dass er Ben begleiten werde.

Gerade wollen sie sich auf den Weg machen, da werden sie von Caesar gestoppt. Nachdem er über mehrere Folgen hinweg als Anführer in spe inszeniert wurde (»I’m calling the shots here!«), wird er nun einfach von Ben umgeknallt – wieder so ein herrlicher »Lost«-Moment, mit dem man nicht gerechnet hatte (hoffentlich ist Caesar jetzt auch mausetot, bei »Lost« ist ja inzwischen alles möglich). Später werden sich Ilana und die anderen bewaffnen, eine weitere Partei formiert sich und wird in die Aktion eingreifen, die Spannung steigt.

Die sich anschließende idyllische Bootstour von Ben und Locke endet an einem Steg der Hauptinsel. Zwischendurch gibt es noch einen schönen Ben-Satz; angesprochen auf sein letzthinniges Verletzungspech meint er:

»I’ve found sometimes that friends can be significantly more dangerous than enemies.«

Und dann sind sie schon im verlassenen Dharmadorf und sehen Licht in Bens ehemaligem Haus. Sie stoßen dort auf Sun und Chopper-Frank, die dort planlos herumzuwarten scheinen, weil die Geistererscheinung namens Christian Shephard ihnen so befohlen hat.

Ein Foto wird herumgezeigt, die Dharma-Familie von 1977, Hurley, Kate und Jack sind darauf mit zu sehen. Dieser ganze zeitreisige Mummenschanz geht Frank auf den Wecker, er fordert Realismus: »Sun, please, let’s just go back to the plane, see if I can fix the radio, and maybe we can get some help!« Bei seiner Rückkehr wird er dann von Ilana brutal mit dem Gewehrkolben niedergestreckt, Erinnerungen an das Ende von Tarantinos »Death Proof« werden wach.

Insgesamt wirkt die ganze Begegnungsszene in Bens altem Haus unheimlich hölzern, wie ein Treffen von Leuten, die eigentlich nicht zusammentreffen wollten und sollten. Die Darstellerin der Sun spielt wieder ultraschlecht, ihren ganzen Ben-Hass scheint sie komplett vergessen zu haben, aus der toughen Managerin ist auf einmal wieder dieses leichtgläubige Luftwesen geworden.

Dann der Klassiker: Ben schiebt einen Bücherschrank zur Seite und entert einen hinter einer Kleiderstange versteckten Höhlengang. Dort lässt er irgendwelches Schmutzwasser ablaufen, um den Monsterrauch von seinem Beichtvorhaben zu verständigen (whatever).

John Locke verkörpert wie immer sehr überzeugend sein Erleuchtet­sein, diesmal noch gestärkt durch seine Lazarus-Erfahrung. Er spielt dieses Feeling nun gegenüber Ben aus, und nun ist es Ben, der Fragen stellen muss, weil er die Geschehnisse nicht mehr kontrollieren kann.

Locke führt ihn zum Tempel. In einem diesigen Indiana-Jones-Setup schwingt Ben noch schnell eine Rede über seine Schuld am Tod von Alex und fällt dann eine Etage tiefer. Er läuft mit der Fackel in der Hand auf eine Art Altar zu (der übliche ägyptisierende Zinnober: Hieroglyphen, Anubis etc.).

Auftritt das Black Smoke Monster, dazu die üblichen Klapper­schlangengeräusche. Im Rauch sieht Ben ein paar Szenen aus der Vergangenheit, dieser Effekt wirkt überholt wie entsprechende Szenen aus den Bibelverfilmungen der 50er-Jahre. Überhaupt hat diese ganze schreckliche Szene sogar fast das Zeug, die Aura der Figur Ben anzukratzen.

Ben verliert seine allegorischen Qualitäten, er steht da wie ein kleiner Versageridiot, der Abbitte bei einem Bündel Rauch leistet. Nach einer Weile erscheint ihm seine tote Tochter Alex in voller Pracht, packt ihn am Schlafittchen und trotz ihm das Versprechen ab, von nun an jeden Befehl John Lockes zu befolgen. Ende.


Lost: 5. Staffel, 11. Folge

London, 11. April 2009, 17:35 | von Dique

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »Whatever Happened, Happened«
Episode Number: 5.11 (#96)
First Aired: April 1, 2009 (Wednesday)
Deutscher Titel: »Zurück in die Zukunft« (EA 18. 6. 2009)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

»Whatever happened, happened« heißt diese Folge, und diese Phrase ist durchaus auch als knappe Beschreibung des gesamten Zeitreisequarks in »Lost« akzeptierbar. Diese Floskel wurde auch schon des Öfteren von Faraday in Anschlag gebracht, es sei demnach völlig unmöglich, etwas in der Vergangenheit zu richten, auf dass sich die Zukunft ändere, whatever happened, happened.

Die ganzen SciFi-Umstände werden diesmal in einem lustigen Dialog zwischen Hurley und Miles diskutiert, und diese skurrile audience education hat tausendmal mehr Charme als das schwer zu ertragende Geschwätz von Eloise Hawking. Einfach schon deshalb, weil Hurleys Überlegungen auf populärkulturellem Wissen basieren und sich vor allem aus den »Back to the Future«-Filmen speisen. (Vgl. »From Dusk Till Dawn«, wenn sich Harvey Keitel in der Vampirhölle erkundigt: »Has anybody here read a real book about vampires, or are we just remembering what a movie said?«)

HURLEY: »Okay, answer me this. If all this already happened to me, then why don’t I remember any of it?«
MILES: »Because once Ben turned that wheel, time isn’t a straight line for us anymore. Our experiences in the past and the future occurred before these experiences right now.«
HURLEY: »Say that again.«
MILES (zieht seine Knarre und will sie Hurley geben): »Shoot me, please. Please!«
HURLEY: »Aha! I can’t shoot you because if you die in 1977 then you’ll never come back to the island on the freighter 30 years from now.«
MILES: »I can die because I’ve already come to the island on the freighter. Any of us can die because this is our present.«
HURLEY: »But you said Ben couldn’t die because he still has to grow up and become the leader of the others.«
MILES: »Because this is his past.«
HURLEY: »Like when we first captured Ben, and Sayid, like, tortured him, then why wouldn’t he remember getting shot by that same guy when he was a kid?«
MILES: »Huh. I hadn’t thought of that.«
HURLEY: »Huh.«

Dieser Dialog war mal ein gelungenes, weil lustiges Ablenkungs­manöver von den Konkreta des bescheuerten Zeitreise-Überbaus. Und nach dieser Vorwegnahme nun zum Anfang der Episode:

Der von Sayid niedergestreckte Jin wird von einem Dharma-Funkspruch geweckt, während ein paar Metern entfernt von ihm der 1977er Ben liegt, schwer verletzt, weil in der letzten Folge angeschossen von Sayid. Der kleine Racker mit Kassenbrille lebt also noch, was auch viel einfacher ist fürs Drehbuch, denn jetzt muss nicht noch ein albernes Zusatzkonzept her, um den Ben des 21. Jahrhunderts wieder zum Leben zu erwecken.

Im Dharmadorf herrscht derweil Geschäftigkeit, man befürchtet einen Angriff der Hostiles a. k. a. The Others. Der wirklich extrem unansehnliche und unsympathische Horace erteilt Befehle. Bei all dem Trubel bleibt aber Zeit für einen Kurzflirt zwischen Kate und Roger Linus, dem nicht minder unsympathischen Vater von Klein-Ben. Doch siehe da, aus dem Vatervieh wird für einige Momente ein Mensch.

Das ist wieder der für »Lost« so typische Facettenwechsel, das Vatermonster erklärt, dass es auch gern ein guter Vater geworden wäre usw., was ziemlich unglaubwürdig wirkt, wenn man bedenkt, mit welcher Lust der olle Dharma-Hausmeister seinen Sohn gezüchtigt hat. Doch dann platzt Jin in die Szene, mit eben diesem Sohn auf dem Arm, und im Wechselbad der Gefühle steht da ein ernsthaft besorgter Vater, der betroffen ruft: »That’s my kid!«

Die Flashbackprotagonistin dieser Folge ist Kate. Um sie zirkelt sich auch der größte Teil der Inselgeschichte, sie kontempliert ihr verhauenes Leben, ihre Zerrissenheit, die sich auch und vor allem im Spannungsfeld zwischen Sawyer und Jack abspielt, und damit kommt auch ihre Nebenbuhlerin Juliet ins Spiel und im Off-Island-Teil natürlich ihr angenommener Sohn Aaron.

Nach ihrer Rückkehr von der Insel freundet sich Kate außerdem mit Sawyers Ex-Freundin Cassidy an, der Frau, die Sawyer in der Folge »The Long Con« (2.13) so verarscht hat und die dann die Mutter von dessen Tochter Clementine geworden ist. Die beiden Sawyer-Ex-Geliebten kennen sich schon aus Folge 3.15, als Kate der mittlerweiligen Trickbetrügerin Cassidy vor der Polizei aushalf. Nun im Flashforward dürfen sie sich sogar richtig gut verstehen, es gibt da lupenreinen Girl Talk zu bestaunen.

Später bringt Kate den kleinen Aaron zu seiner rechtmäßigen Großmutter, der Mutter von Claire, Carole Littleton, der sie, um Verständnis ringend, die ganze Sache erläutert. (Damit ist auch die Frage geklärt, wo eigentlich Aaron abgeblieben ist, während sich die Oceanix Six samt Kate zurück zur Insel begeben haben.) Überhaupt ist Kate letzthin auf Freundlichkeit gebürstet, in der 1977er Inselwelt versteht sie sich mittlerweile auch mit ihrer Nebenbuhlerin Juliet glänzend.

Nebenbei, ich kann es immer noch nicht fassen, dass Juliet jahrelang in einer dieser Dharma-Spießerbuden zusammen mit dem Dharma-Oberspießer Sawyer/LaFleur zusammen gelebt und selige Pasta-mit-Dharmawein-Abende abgefeiert hat. Dass sich die Freude über das Wiedersehen mit ihren vormaligen Inselbekannt­schaften in engen Grenzen hält, wird sie gegen Ende der Folge Jack vor den Latz knallen: »We didn’t need saving! We’ve been fine for three years!«

Der Doc übrigens macht inzwischen eine Sinnkrise durch. Wie in Staffel 3, als es um Bens Wirbelsäulentumor ging, hängt Bens Leben nun von Jack ab. Anders als damals scheint der hippokratische Eid für Jack seinen Reiz verloren zu haben, vor allem in Anbetracht der Tatsache, was aus Ben mal werden wird. Jack hat einfach keinen Bock mehr und argumentiert mittlerweile so wie sein Esoterik-Kumpel Locke:

»You know, when we were here before, I spent all of my time trying to fix things. But did you ever think that maybe the island just wants to fix things itself? And maybe I was just getting in the way?«

Weil Jack diesmal also nicht als »Retter willkommen erscheinen« will, um kurz mal mit Schiller zu sprechen, scheint es nur einen Ausweg zu geben. Young Ben muss zu den Hostiles gebracht werden, zu Richard Alpert und seinen Mannen.

Und obwohl Ben zusammen mit den Others noch die gesamte Dharma-Crew ausrotten wird etc. scheinen irgendwie fast alle den späteren Inseldiktator jetzt retten zu wollen, als ob sie Stephen Frys Alternative-History-Reißer »Making History« gelesen haben (darin wird durch eine Zeitreise Hitlers Geburt verhindert, die Menschheitsgeschichte bekommt dadurch aber unerwarteterweise eine noch drastischere Wendung zum Schrecklichen ab).

Jedenfalls schlägt Juliet vor, Klein-Ben zu den Others zu bringen. Als Summe ihrer Flashbacks will Kate das dann allein durchziehen, sie will dieses Kind retten, sie belädt einen dieser hellblauen VW-Busse und macht sich auf den Weg.

Okay, was noch? Die von uns hier in die Nähe der Goethe’schen »Wahlverwandtschaften« gerückte Viererbeziehung zwischen Jack, Kate, Sawyer und Juliet, wird schön in Szene gesetzt. Juliet passt Jack an der Dusche ab und fragt ihn, den Tränen nahe, warum zur Hölle er zurückgekommen ist. Währenddessen treffen Kate und Sawyer am Sonarzaun aufeinander, um von dort aus den siechenden Ben zu den Others zu bringen. Unterwegs erzählt Kate noch ein paar Storys von Sawyers Tochter Clementine und yada yada yada.

Diese Gesprächsidylle wird jedoch jäh unterbrochen, Gewehre klicken, »do not move!«, die Hostiles sind da und finden das Eindringen in ihr Gebiet gar nicht lustig. Die Eindringlinge samt dem Ben-Kind werden abgeführt, bis aus dem sonnigen Inselgrün der niemals alternde Richard Alpert auftaucht. Er übernimmt Ben, aber nur unter Auflagen:

»If I take him, he’s not ever gonna be the same again. (…) What I mean is that he’ll forget this ever happened and that his innoncence will be gone. He will always be one of us. You still want me to take him?«

Die Schwere dieser Entscheidung wird allerseits mit ein paar bedeutsamen Blicken unterstrichen. Und dann zieht Richard ab und bringt Ben in diesen komischen Dharma-Tempel.

Mit einem längst fälligen Blick voraus endet die Folge dann: Wir sehen plötzlich Locke am Bett des ebenfalls verletzten Zukunfts-Ben (Paddelattacke von Sun!), und er sagt in dessen erstauntes erwachendes Gesicht hinein: »Hello Ben, welcome back to the land of the living!«


Lost: 5. Staffel, 10. Folge

Paris, 4. April 2009, 16:50 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »He’s Our You«
Episode Number: 5.10 (#95)
First Aired: March 25, 2009 (Wednesday)
Deutscher Titel: »Deswegen bin ich hier« (EA 11. 6. 2009)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Eine Sayid-Folge reinsten Wassers bzw. reinsten vergossenen Blutes, fast klassisch werden in den verschiedenen Flashbacks die Erlebnisse des irakischen Killerbuben weitererzählt. Nur ist inzwischen so viel geschehen, dass der Rücksprung in eine einzige zeitliche Ebene der Vergangenheit nicht mehr ausreicht. Es sind mindestens vier Ebenen, die in dieser doch eher langweiligen Folge beleuchtet werden, am Ende dann aber zu einem wirklich großartigen Schlusseffekt führen:

Ebene 1 (Kindheit in Tikrit, 70er-Jahre)

Ein leicht klischiertes Intro mit Vorausdeutungspotenzial versetzt uns in die Kindheit von Klein-Sayid. Sein älterer Bruder wird vom Vater beauftragt, ein Huhn abzuschlachten, und weil der sich nicht traut, bricht stellvertretend Sayid dem wehrlosen Federvieh das Genick. Sein Name fällt er ganz zum Schluss, obwohl man von Anfang an weiß, worauf die Szene hinausläuft, aber wir sollen wieder mal bass erstaunt erst hinterher erkennen, dass Sayid der brutale Hühnermörder gewesen ist.

Trotz dieser lahmen Art der Spannungserzeugung strotzt diese Szene vor Urwüchsigkeit, sie wirkt, so einen Vergleich kann man ja ruhig einmal anstellen, mindestens so urwüchsig wie die Schlacht­hofmotivik in Döblins »Berlin – Alexanderplatz« oder ähnliche Sachen, der Mensch als brutales Raubtier etc. etc.

Ebene 2 (Sayid als Bens Scherge, Ende 2005–2007)

Sayid hat als Bens gutgläubiger Scherge eine Reihe von Auftrags­morden ausgeführt, die jeweils Leute aus Widmores Umfeld betrafen. Diesmal gibt es wieder etwas »Lost«-Tourismus, wir werden Zeuge, wie Sayid in Moskau einen Mann namens Andropov kaltblütig erschießt. Er übermittelt Ben die Vollzugsnachricht in einer verkitschten Hinterhofszene, in der Ben als 40er- oder 50er-Jahre-Agenten-Kopie auftritt, mit schwarzem Mantel, schwarzen Handschuhen, schwarzem Hut.

Die Szene wirkt wie »Der dritte Mann« in billig, hehe. In diesem Ambiente verkündet Ben auch das Ende der Zusammenarbeit: »Andropov was the last one. You’ve taken care of everyone who posed a threat to your friends.« Und Sayid weiß vor lauter Schreck nicht, was er jetzt mit seiner Zeit anfangen soll. Irgendwann muss er sich dann in die Dominikanische Republik zurückgezogen haben, um der gemeinnützigen Organisation »Construyendo Nuestro Mundo« beim Häuserbau zu helfen.

Dort war Sayid in Folge 5.07 bereits von Locke aufgesucht worden, in dieser Folge (einige Zeit nach dem Andropov-Mord) kreuzt nun Ben als zweiter Besucher auf. Mit feinster Lügenpropaganda schafft er, was Locke nicht geschafft hatte, nämlich Sayid da wegzu­locken, schließlich muss er mit zur Insel zurück. Locke sei von Leuten umgebracht worden, die es nun auch auf Sayid und den Rest der Inselflüchtigen abgesehen haben. Und da Sayid ja gar nichts anderes könne als Killen (siehe die Anfangsepisode mit dem armen Huhn), soll er sich und die anderen Losties jetzt mal schützen und den für Lockes Tod verantwortlichen Killer um die Ecke bringen:

BEN: It’s in your nature, it’s what you are. You’re a killer, Sayid.
SAYID: I am not what you think I am. I don’t like killing.
BEN: Well, then I apologize. I was mistaken about you.

Ebene 3 (Sayid und die Kopfgeldjägerin, Anfang 2008)

In einer Bar trifft Sayid auf Ilana, und zwar nach dem gemeinsamen Losties-Treffen in Folge 5.05, bei dem Sayid klugerweise schnell das Weite gesucht hat, bevor Eloise Hawking in der nächsten Folge ihre leicht lächerliche Erklärungs-Suada vom Stapel ließ. Jedenfalls scheint ihn Ilana verführen zu wollen, aber dann, später, mitten beim Making-out, tritt sie ihm volle Kanne ins Gesicht und hält ihn at gunpoint. Sie verklickert ihm, dass sie ihn nach Guam bringen soll, auf dass er dort von der Familie des von ihm hingerichteten Seychellen-Golfers aus Folge 4.03 zur Rechenschaft gezogen werde. Später sehen wir die beiden, Kopfgeldjägerin und Auftragsmörder, noch mal zusammen im Flug 316, wir alle wissen, dass sie nach dem Absturz zeitlich ziemlich verschiedene Wege gehen werden.

Ebene 4 (Sayid als Gefangener der Dharmas, 1977)

Im Moment wirkt es komischerweise so, als ob die Handlung im Jahr 1977 die Gegenwart sei. Für die dorthin gebeamten Losties ist sie es ja gewissermaßen auch. Es ist sicher auch nur eine Frage der Zeit, bis die zwei Erzählfäden, die nach dem erneuten Crash auf der Insel entstanden sind, wieder zusammenfinden. (Der irgendwohin entschwundene Faraday wird dabei sicher irgendeine Rolle spielen, werden sehen.)

Sayid war ja in der letzten Folge, handgeschellt wie Stanislaus Demba in dem Perutz-Roman »Zwischen neun und neun«, durch die Gegend geirrt, und nun spielen diese Handschellen endlich auch mal ihren Vorteil aus. Dharma-Horace denkt nämlich, dass Sayid von seinen vermeintlich eigenen Leuten, den Others (damals noch als Hostiles bekannt), verstoßen wurde.

Sawyer würde Sayid am liebsten mit einer kleinen Lüge in den Dharma-Korpus integrieren. Denn der konservativ gewordene Haus-und-Herd-Sawyer hat sich in den 70ern ein Leben aufgebaut, »and a pretty good one«, das will er sich nicht von Sayid zu Schanden machen lassen. Sayid aber willigt in Sawyers Plan nicht ein.

Nachdem Sayid wiederholt mit keinem der Dharmas reden wollte, wird er zum Dharma-Folterer Oldham gebracht. Also: Folterer trifft Folterer, oder, wie Sawyer es gegenüber Sayid erklärt: »He’s our you.« Ein guter Satz, von Sawyer diesmal ganz ohne seine übliche Ironie dargebracht, und gleich auch der Titel dieser Episode.

Dann wird es wieder etwas lächerlich, Sayid wird mit Gewalt eine Art Wahrheitsserum verabreicht, das als gezuckerter Deus-ex-machina fungieren soll. Und Sayid sagt denn auch die Wahrheit, die ganze »Lost«-Wahrheit, er plaudert alles aus, was er über die Dharma-Stationen weiß, auch über die damals noch nicht gebauten. Es muss also so aussehen, als ob er hier als Spion unterwegs ist. Aber dann sagt er fast den coolsten Satz der Folge: »I’m from the future!«

Dabei wird er von Katatonien geschüttelt und lacht das Lachen eines Wahnsinnigen. Laut den Statistikern der Lostpedia ist das nach viereinhalb Jahren »Lost« überhaupt erst das dritte Mal, dass wir Sayid lachen sehen.

Hinterher kommt es zu einer Kampfabstimmung, bei der sich alle Entscheidungsträger für Sayids Hinrichtung aussprechen, letztlich auch Sawyer, der Sayid im Anschluss aber immerhin noch einmal zur Flucht verhelfen möchte. Der will sich jedoch gar nicht helfen lassen, er nimmt seine Situation vielleicht als Schicksal hin, und dieses Schicksal ist: der kleine Ben Linus. Und der Darsteller des jungen Nickelbrillenträgers spielt einfach sensationell, er spielt die einzigartige Mischung aus Souveränität und Skrupellosigkeit des späteren Ben schon mit.

Klein-Ben ist es dann auch, von dem sich Sayid befreien lässt, während Dharmaville durch einen brennenden Dharma-Kleinbus abgelenkt wird. Bei ihrer Flucht begegnen sie Jin, der von Sayid umgehauen wird, weil er Sawyer/LaFleur benachrichtigen will.

Und dann folgt eine große, wirklich ganz unerwartete Szene:

SAYID: You were right about me.
DER JUNGE BEN: What?
SAYID: I am a killer.

Und Sayid schießt eiskalt den kleinen niedlichen Ben nieder, zack! Der kann natürlich nicht wirklich so einfach in der Vergangenheit sterben, und schon die nächste Folge heißt auch: »Whatever happened, happened«, das alte Mantra von Faraday, insofern wird der Kleine schon irgendwie überleben.


Lost: 5. Staffel, 9. Folge

London, 22. März 2009, 23:40 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »Namaste«
Episode Number: 5.09 (#94)
First Aired: March 18, 2009 (Wednesday)
Deutscher Titel: »Namaste« (EA 4. 6. 2009)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

(Bevor wir gerade auf Sky1 die neue »Lost«-Folge gesehen haben, waren wir noch kurz im Apsley House, dazu später mehr von Dique.)

Narrativer Rücksprung hinein in den Flug 316. Wir wissen bereits, dass er ordnungsgemäß abgestürzt ist, aber noch nicht genau wie. Die Maschine befindet sich schon im Inselradius und wird augenscheinlich von einem Zeitflash erfasst, daher landen einige altgediente Insulaner (Jack, Kate, Hurley) in den Siebzigern; der Pilot, die Inselneulinge, aber auch Ben, Sun und Locke in der 2008er Gegenwart.

Und Sun hat es wirklich drauf und fragt Piloten-Frank: »What happened?« – »Ähm, wir sind abgestürzt, glaube ich.« Sagt er dann aber nicht, sondern verschnellert das Erzählen durch die Frage: »Where is everyone else?« Frank ist es dann auch, der als erster eine Ansprache an alle anwesenden Überlebenden hält, bla bla, aber Caesar wird sofort laut und macht seinerseits auf Princeps. Er trommelt die Leute zusammen und schlägt vor, die Gebäude und Tierkäfige in der Nähe zu untersuchen (zu sehen in Folge 5.07), und außerdem sei da drüben noch eine größere Insel zu sehen.

Vielleicht ist Frank nach dieser rhetorischen Niederlage eingeschnappt, jedenfalls folgt er Sun, die wiederum Ben in den Dschungel gefolgt ist. Ziel des altgedienten Others-Anführers sind ein paar versteckte Kanus, mit denen er auf die Hauptinsel übersetzen möchte. Die drei geben erst mal ein interessantes neues Team ab, überhaupt sind diese personellen Umgruppie­rungen ja stets ein Highlight der Serie. Auch wenn sich diese Gruppe erst mal wieder dezimiert: Frank warnt Sun vor Ben, aber das ist nicht richtig nötig, denn schon schlägt sie ihn hinterrücks mit einem Paddel den Schädel ein, und mehr sehen wir von ihm in dieser Folge nicht, jedenfalls nicht in der Gegenwart.

Frank und Sun erreichen die Hauptinsel in hoher Nacht und schlagen sich bis zum Dharmadorf durch, das mittlerweile zur Wüstung geworden ist. Dort tritt aus einem Haus Christschen Shephard heraus. Auf Suns dringende Frage, wo ihr Mann sei, zeigt ihr der irgendwie viel zu selbstverständlich auftauchende Jack-Vater ein Foto des 77er Dharma-Jahrgangs, bei dem sich auch Jin befand/befindet. Es folgt ein tradierter Settingwechsel-Effekt: Vom Foto wird ins Jahr 1977 zurückgesprungen, direkt zu dem Moment, in dem das Foto gemacht wurde. Und alle sagen: Namaste!

1977

Also: Willkommen im Jahr 1977! Tao von Critik en séries hat übrigens eine interessante These zur inneren Notwendigkeit des Rücksprungs in die Siebziger: « Pour le moment ça ressemble à un grand complot pour faire durer la série une saison supplémentaire. »

Dieser Folgenstrang beginnt mit der Begegnungsszene, die am Ende der letzten Folge so cliffhangermäßig geendet hat. Hurley greift sich nun Sawyer und umarmt ihn heftigst, woraufhin ihn der Südstaatenslanger freudig mit dem Sobrenombre »Kong« versieht.

Dann erfährt Jin, dass Sun mit im Absturzflug gewesen ist und macht sich auf die Socken zur Flame-Station: »If a plane landed on the Island, Radzinsky will know.« Dieser Radzinsky wurde schon mal kurz in Folge 2.23 erwähnt, er war vor Desmond mit im Hatch stationiert, wo er dann irgendwann Selbstmord begangen hat. 1977 lebt er aber noch, und Jin checkt jetzt bei ihm die Radar-Logs, findet jedoch nichts, stattdessen wird dem Überwachungssystem ein »14-J« gemeldet, ein Hostile, der in das Dharmagebiet eingedrungen ist.

Es ist aber nur Sayid, der also auch in die Vergangenheit gebeamt wurde und immer noch seine Handschellen trägt. Weil dieser Radzinsky mit unterwegs ist, fällt das fröhliche Wiedersehen zwischen Jin und Sayid etwas unfröhlich aus. Radzinsky würde ihn am liebsten gleich umlegen, er vermutet hinter Sayid einen besonders schlimmen Spion der Hostiles. Dann taucht Sawyer alias LaFleur auf und nimmt Sayid mit, gegen Radzinskys Protest.

Um die aufgesammelten Oceanic Three in den Dharma-Korpus zu integrieren, schleust Sawyer Jack, Kate und Hurley zu den neuen Dharma-Rekruten, die gerade per U-Boot eingetroffen sind. Im Dharma-Dorf gibt es dann auch erst mal eine überbordende Welcome-Party für die Neuen. Danach sucht Jack nach Sawyer/LaFleur, Phil weist ihm den Weg und kuckt ganz misstrauisch. Die Haustür wird Jack dann von Juliet geöffnet, sie umarmen sich, obwohl »we’re not supposed to know each other«. Sicher wird Philly das aus irgendeinem Winkel beobachtet haben.

Quoi qu’il en soit, jedenfalls lebt Sawyer jetzt voll seinen sicheren Posten aus. Vorher hatte er gegenüber Juliet schon sein konservatives Manifest verkündet: »I gotta find a way to bring ’em in before somebody else finds ’em and they screw up everything we got here.« Bei Jacks Besuch begegnen wir nun wieder dem Kernthema von »Lost«: sich ändernden, sich invertierenden Machtverhältnissen. Das Thema wurde wieder mal in einen wirklich schön geschriebenen Schlussdialog gepackt:

JACK: So where do we go from here?
SAWYER: I’m working on it.
JACK: Really? Because it looked to me like you were reading a book.
SAWYER: I heard once Winston Churchill read a book every night, even during the Blitz. He said it made him think better. It’s how I like to run things. I think. I’m sure that doesn’t mean that much to you, because back when you were calling the shots, you pretty much just reacted. See, you didn’t think, Jack, and as I recall, a lot of people ended up dead.
JACK: I got us off the island.
SAWYER: But here you are, right back where you started. So I’m gonna go back to reading my book, and I’m gonna think, because that’s how I saved your ass today. And that’s how I’m gonna save Sayid’s tomorrow. All you gotta do is go home and get a good night’s rest. Let me do what I do. (Lässt Jack zur Tür hinaus.) Now ain’t that a relief?
JACK: Yeah.

Es gibt noch einen zweiten Schlussdialog. Ein lieber kleiner Junge bringt Sayid ein Sandwich in die Zelle:

DER JUNGE: Are you a hostile?
SAYID: Do you think I am?
DER JUNGE: What’s your name?
SAYID: Sayid. What’s yours?
DER JUNGE: I’m Ben.
SAYID: It’s nice to meet you, Ben.

Der kleine Benny und spätere Anführer der Hostiles/Others ist also schon damals von dieser Truppe fasziniert. Das letzte Mal haben wir den Teenie-Ben in der Ben-centric episode 3.20 gesehen. In derselben Folge, als etwas erwachsenerer Ben, hat er dann auch sein Massaker an den Dharmas begangen. Daran hat Hurley etwas besorgt erinnert, als er und die anderen von Sawyer zum Dorf gebracht wurden: »You do realize those dudes get wiped out, right?« Aber gut, das liegt von 1977 aus gesehen noch ein paar Jahrzehnte in der Ferne.

Ach ja, mittendrin gibt es eine kleine Szene zwischen Juliet und Amy. Die Neumutter und Horace wollen ihren Spross Ethan nennen, was für ein Fehler, jetzt wird er keine 30 Jahre später leider von Charlie (in Folge 1.15) erschossen werden.


Lost: 5. Staffel, 8. Folge

Paris, 15. März 2009, 22:32 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »LaFleur«
Episode Number: 5.08 (#93)
First Aired: March 4, 2009 (Wednesday)
Deutscher Titel: »LaFleur« (EA 28. 5. 2009)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Jaaaaa! Endlich!!! Die Statue!!!!! Die mit den vierzehigen Riesenfüßen!!!!!!! Sie ist nur von hinten zu sehen und nur aus der Ferne und nur ganz kurz, eine Art Koloss von Rhodos mit ägyptisierenden Einschlägen. Sind die Zeitreisen also doch zu was gut, hehe. Ansonsten geht es in dieser Folge aus der Sicht der Inselverbliebenen um die drei Jahre, die die Oceanic Six fern der Insel verbracht haben. Sie wurden nach dem Kurzaufenthalt in archaischer Zeit ins Jahr 1974 zurückgebeamt, wo sie den damaligen Dharmas begegnen, mit denen sie bis 1977 auf der Insel leben.

1974

Es geht zunächst weiter da weiter, wo die vorvorletzte Folge geendet hat, diesmal nicht unterirdisch mit Locke, sondern ober­irdisch mit den übrigen. Sawyer sieht nach dem Zeitsprung nur noch das Seil, an dem sich John abgeseilt hatte, im Boden stecken. Jetzt brüllt er »no! no! no!«, als ob Locke sein bester Kumpel gewesen ist. Dann sehen sie kurz die Vierzehen-Statue, werden aber auf dem Zeitstrahl gleich weitergeschossen, da Locke in seiner Unterirdischkeit am Inselrad dreht.

Mit offenbar gutem Ausgang: »I think it’s over«, sagt Juliet. Alles ist wieder super in Ordnung, scheint’s, Locke hat’s gerissen. Nun wollen die Inselverbliebenen warten, bis Locke zurückkehrt, »as long as it takes«. Sie finden Faraday, allerdings ohne Charlotte, denn »she’s gone … she’s dead«. Der Physikus ist etwas weinerlich ob des Verlustes, bestätigt aber, dass es mit den Zeitsprüngen jetzt vorbei ist. »Wherever we are now, whenever we are now, we’re here for good.«

Auf dem Weg zum Strand werden sie dann Zeugen einer Gewalt­szene und entschließen sich rasch zu handeln. Sawyer und Juliet erschießen, in Notwehr, zwei unbekannte Typen, die eine um ihr Leben schreiende Frau gefesselt hatten und diese offenbar hinrichten wollten, genau wie ihren bereits hingestreckten Husband. Die auf diese Weise Gerettete ist Amy, der wir 3 Jahre später wieder begegnen werden.

Sie schlägt vor, die beiden getöteten Spitzbuben zu begraben, »we have to, the truce!« Dann marschieren alle von dannen, bis sie den Sonarzaun erreichen. Amy gibt dann vor, den Mechanismus zu deaktivieren und überschreitet die Linie. Als die anderen ihr nachkommen, fallen sie jedoch ausnahmslos in Ohnmacht, geplanterweise.

Dann wacht Sawyer auf und wird von Horace interviewt. Dieser ist nicht undankbar für die Rettung Amys, möchte aber, dass die Frischlinge so schnell wie möglich mit dem (damals noch nicht von Locke zerstörten) U-Boot nach Tahiti verbracht werden. Sawyer hat ihm derweil vorgeflunkert, sein Name sei LaFleur (später zu den anderen: »It’s Creole, I had to improvise!«) und er sei Kommandant eines Bergungsschiffs gewesen, dass in einen Sturm geraten und gekentert sei.

Irgendwann taucht Richard Alpert auf, die von Sawyer und Juliet erledigten Unsympathen waren also Others. Deswegen ist jetzt die Waffenruhe zwischen den Others und den Dharmas in Gefahr. Sawyer entwickelt Leader-Qualitäten und erzählt Alpert die ganze »Lost«-Story. Richard spricht nur auf das an, was für ihn nicht in der Zukunft liegt.

Juliet will übrigens die Gelegenheit ergreifen und in 2 Wochen mit dem U-Boot die Insel verlassen, obwohl es, verdammt noch mal, fucking 1974 ist: »It’s not a reason not to go«, sagt sie erst, steht dann aber davon ab, wir sehen sie auch im »Three Years Later«-Teil der Handlung wieder:

1977

Der 1977er Erzählstrang dieser Folge beginnt mit zwei Dharma-Angestellten plus Konkubine in einer Überwachungsstation (einer davon ist Patrick Fischler, der bei den »Mad Men« sehr bravourös den unerträglich sarkastischen Komiker Jimmy Barrett spielt). Im Gespräch werden Eisbären und ihre Käfige erwähnt, somit wird also auch dieses magische Element (Folge 1.02!) profanisiert, es wird sich also bei den polaren Raubtieren um Mitbringsel zu Testzwecken gehandelt haben, wie langweilig.

Plötzlich zeigt einer der Überwachungsmonitore ein Problem an: Horace Goodspeed wirft in der Nähe des Sonarzaunes volltrunken mit Dynamit um sich. Die Dharmas holen ihren Chef, einen Typen namens LaFleur, und tadaaa: Es ist Sawyer, der irgendwie jetzt laut seinem Dharma-Anzug »Head of Security« ist und so eine kassengestellige Beamtenbrille trägt. Das ist eine ziemlich waghalsige Drehbuchentscheidung, durch diesen Figurentwist wird die Figur Sawyer ganz schön angekratzt, also hoffen wir, dass diese Nebenstory nicht nur zur Lückenfüllerei dient.

Der besoffen im Gras liegende Horace, der später beim Massenmord an den Dharmas mit umkommen wird, haben wir zuletzt u. a. in 4.11 mit den Augen von Locke als magische Erscheinung gesehen. Er wird jetzt von den anderen eingesammelt und offenbart sich später: Er habe sich aus Eifersucht zugesoffen, weil seine Amy immer noch dieses Ankh-Kreuz aufbewahrt, eine Erinnerung an ihren vor 3 Jahren von den Others getöteten Mann Paul. Amy hat inzwischen übrigens mit Juliets Hilfe per Kaiserschnitt ihr Baby entbunden. Sicher handelt es sich dabei um einen schon bekannten Main Character, die Vermutungen sind zahlreich: Jacob? Ethan? Desmond? Karl? Irgend jemand vom Flight 815?

Das wichtigste Ergebnis der 3 bei den Others verbrachten Jahre ist aber die Beziehung von Juliet und Sawyer. Sie sind jetzt ein Paar, ihr »I love you« wird von seinem »I love you, too« erwidert. Sawyer riecht sogar ganz klischeehaft an einer frisch gepflückten Blume (hence the name: LaFleur), die er mit nach Haus bringt, wo Juliet schön Pasta gekocht und eine Flasche Dharma-Rotwein bereitgestellt hat.

Der Link zu Goethes »Wahlverwandtschaften« war neulich also doch gar nicht so abwegig. Das Beziehungsviereck Jack–Kate–Sawyer–Juliet entspricht ungefähr dem von Goethes Roman, auch darin gruppieren sich die Beziehungen vierer Liebender in ähnlicher Weise um. Ok, wo ich hier Goethe-Vergleiche ziehe, fühlt sich Tao von Critik en séries bei seinem Recap der Folge eher an »Melrose Place« erinnert, hehe.

Wie auch immer, zum Ausklang wird die gerade gesehene Folge handlungstechnisch noch mit der vorletzten Folge zusammen­getackert: Sawyer trifft in Küstennähe auf Jack, Kate, Hurley und Jin. Ein Blickekonzert, niemand spricht, Ende.


Lost: 5. Staffel, 7. Folge

London, 14. März 2009, 19:32 | von Dique

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »The Life and Death of Jeremy Bentham«
Episode Number: 5.07 (#92)
First Aired: February 25, 2009 (Wednesday)
Dt. Titel: »Leben und Tod des Jeremy Bentham« (EA 21. 5. 2009)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Zeitreisen macht’s möglich, John Locke trifft Caesar! Wir kennen Letzteren schon vom Sehen, aus dem Flieger Nr. 316, der auf Befehl von Eloise Hawking die Oceanic Six zur Insel zurück­bringen sollte. Nach den ganzen Physikern und Philosophen bekommen wir nun einen der beliebtesten Diktatoren aller Zeiten vorgesetzt. Und langsam könnte beim Namedropping mal weniger mehr sein.

Diese Folge beginnt sehr dunkel: mit Caesar und Ilana, der anderen Neuen mit Hauptrollenpotenzial, in einer der verlassenen Dharma-Stationen auf der Nebeninsel. Weiter geht es am Strand, wo ein Mensch mit heruntergezogener Kapuze sitzt, umringt von Leuten. Es ist Nacht, im Hintergrund brennt ein Lagerfeuer, und Caesar nähert sich der Szenerie mit dem umringten Kapuziner.

Wieder so ein typischer »Lost«-Moment, wir sehen jemanden von hinten, ein bisschen zu gewollt versteckt, wir wissen noch nicht, wer es ist, ahnen es aber schon. Caesar stellt sich dem Unbekannten vor: »Hello, my name is Caesar, what’s yours?« Und dann gibt die Kamera den Mann unter der Kapuze frei: »My name is John Locke.« Allein dieser Dialog ist so wahnwitzig und gleichzeitig so gut und so schlecht, dass ich ihn noch mal aufschreiben muss:

–Hello, my name is Caesar, what’s yours?
–My name is John Locke.

Der Dialog könnte im selben Wortlaut auch in einer Irrenanstalt stattgefunden haben, hehe.

Aber genug der Späße, Locke lebt, das kommt nicht überraschend. Und mit dem lebendigen John Locke kommt diese Folge fast im klassischen Stil daher, sie widmet sich fast gänzlich einer Figur, in Vergangenheit, Zukunft und/oder Gegenwart. Es gibt noch stärkere Referenzen auf das Old-School-»Lost«, die erneute Bruchlandung auf der Insel, ein Flugzeugwrack am Strand, dieses Mal scheinbar noch fast intakt, die Suche nach Passagierlisten.

Dann wird uns nach und nach erzählt, wie es Locke nach dem Drehen des Glücksrads ergangen ist. Da er nun wieder glücklich auf der Insel angelangt ist, sehen wir ihn zur Einleitung in eine Mango beißen, und es ist nach eigenem Bekunden die beste Mango, die er je hatte. Vor dem Hintergrund, dass John »Lazarus« Locke gerade eine Auferstehung von den Toten hinter sich hat, ist das natürlich nur allzu verständlich, hehe.

Der Inselneuling Ilana will wissen, wer Locke jetzt gleich noch mal ist, da er nicht mit im Flugzeug gewesen sei, aber Locke weiß selber nicht so richtig, wie ihm geschah. Als sie ihn fragt, woran er sich erinnern kann, antwortet er: »You asked what I remembered. I remember dying.« Kurioserweise bricht die Konversation hier ab, Ilana entfernt sich nach dieser Aussage, vielleicht war sie ihr einfach etwas zu theatralisch.

Dann geht’s zurück in die Vergangenheit, wir sehen Locke wieder an dem papieren wirkenden Drehrad und hören noch einmal (schon wieder) den mittlerweile berühmten Dialogfetzen zwischen Locke und dieser Schimäre von Jacks Vater, Christian Shepard. Locke solle doch bitte seinen Sohn grüßen, worauf Locke konsterniert zurückfragt: »Who is your son?«

Und nun beginnt der Erklärungsteil. Locke liegt mit gebrochenem Bein in der Wüste, und auf ihn ist eine kleine Kamera gerichtet. Eine Horrorszene à la Hitchcocks »North by Northwest«, klarer Himmel, Tageslicht, weiter Blick, das Gegenteil einer dunklen, gruseligen Schreckensszenerie, würde da nicht plötzlich ein Flugzeug im Tiefflug Dünger über einem abwerfen, oder wäre da nicht, wie in diesem Falle, diese fiese kleine Kamera auf Locke gerichtet. So schmort er einen ganzen Tag vor sich hin, denn erst im Dunkel der Nacht wird er abgeholt und in einer »ER«-mäßigen Szene wieder zusammengeflickt.

Geweckt wird er von Charles Widmore, der an seinem Bett hockt: »John! John, wake up!« Und er erzählt ihm dann gleich von seinem Kampf gegen Ben. Wieder eine schöne Propagandaszene, denn es ist immer noch nicht klar, wer hier der Gute, wer der Böse ist. Widmore scheint nicht in alle Inselgeheimnisse eingeweiht zu sein, jedenfalls zeigt er sich etwas überrascht, dass John genauso aussieht wie vor etlichen Jahrzehnten, als der damals noch 17-jährige Others-Jüngling Widmore ihm kurz auf der Insel begegnet ist. Für den Zeitreisenden John sind seitdem jedenfalls nur 4 Tage vergangen.

Widmores weitere Ausführungen dienen glücklicherweise zum Handlungsprogress, so wie in der vorhergehenden Folge die ziemlich lächerliche Rede von Eloise Hawking, die, das muss man immer mal wieder erwähnen, ja Faradays Mutter ist, hehe. »That’s the exit«, sagt Widmore über den Ort in der tunesischen Wüste, an dem Locke nach seinem Rendezvous mit dem blinkenden Drehrad wieder aufgetaucht ist. Dieser Ausgang muss in 4.09 auch Bens Ankunftspunkt gewesen sein, bevor er kurz entschlossen zwei Einheimische platt gemacht hat. Damals hatte Widmore aber noch keine Kamera installiert.

John gesteht gegenüber Widmore nicht sofort, dass er die anderen zurück auf die Insel holen will und ist überrascht, als ihm Widmore dafür dann seine uneingeschränkte Hilfe anbietet. Und zwar darum: »Because there’s a war coming, John. And if you’re not back on the Island when that happens, the wrong side is going to win.«

Da Locke ja offiziell gar nicht mehr am Leben ist, überreicht ihm Widmore einen Pass auf den Namen: Jeremy Bentham. Er thematisiert dann zum ersten Mal immanent die ambitionierte Namensgebung der »Lost«-Autoren: »He was a British philosopher. Your parents had a sense of humor when they named you, so why can’t I?« Berechtigte Frage.

Kurz darauf verbricht Widmore ein weiteres schlimm-schönes Zitat: »The island needs you, John. It has for a long time.« Die Warum-Frage wird dann mit einem Zirkelschluss beantwortet: »Because you are.« Der ultimativen Sterbeprognose von Richard Alpert wird von Widmore widersprochen, vielleicht muss Locke also gar nicht sterben, vielleicht war das nur ein Bluff, ein Test.

Nun sucht Locke nacheinander alle entkommenen Losties auf, angefangen bei Sayid, den er beim Dachdecken in der Dominikanischen Republik erwischt, wo er ein ganz passables Spanisch spricht. Für seine Rückholaktionen wurde Locke übrigens ein Assistent zur Verfügung gestellt, Matthew Abaddon, welcher sehr stark an den berühmten Haitian aus »Heroes« erinnert.

Die nächste Station ist New York City, wo Locke auf den mittlerweile baumhoch gewachsenen Walt trifft. Es gibt nur eine kurze Unterhaltung, einen quick catch-up, versetzt mit etwas Esoterik, denn Walt hat ein paar Mal komisch von Locke geträumt. Er fragt noch schnell nach seinem Vater, den er seit 3 Jahren nicht gesehen hat.

Dann zieht es Locke zu seiner Ex-Geliebten, Helen, doch der Haitian präsentiert ihm nach zunächst vagen Aussagen über ihren Verbleib nur noch ihr Grab. Nach einer Diskussion über den Sinn des Lebens blockt der Haitian irgendwann mit einem Zitat aus »Eastern Promises« ab: »I am just your driver!« (allerdings ohne Viggo Mortensens berühmten Nachsatz »I go left, I go right«), und es geht dann auch Eastern-Promises-mäßig weiter, der Haitian wird erschossen, und Locke will im angeschossenen Auto fliehen, kracht irgendwo dagegen und erwacht im Krankenhaus, behandelnder Arzt: Jack.

Dann gibt es in der Irrenanstalt in Santa Rosa noch ein Intermezzo mit Hurley. Er hält Locke zuerst für eine unwirkliche Traumgestalt und will ihm nicht glauben, dass er real ist. Aber dann fragt er ein paar Bystanders: »Am I talking to a dude in a wheelchair right now?« Und in der Tat macht er genau das, schockierend für ihn, und Lust, auf die Insel zurückzukommen, hat er auch nicht. Auch Kate lehnt dankend ab.

Etwas früher in der Folge hat Locke zu seinem Haitian-ähnlichen Gehilfen gesagt: »I only need to convince one. And if I can do that, the rest will come.« Ist das sein Plan mit dem Selbstmord, er springt über die Klinge, um diesen einen zu überzeugen, also Jack, den pragmatischen Leichtgläubigen? Aber ich greife schon wieder etwas vor bzw. zurück, denn wir wissen ja schon, was kommt und kennen den verzweifelten bärtigen Jack vom Ende der 3. Staffel.

In einer langen Szene schreitet John zur Tat, behutsam bereitet er sich vor. Als er seinen Kopf dann endlich in die Schlinge legt, erscheint Ben und verwickelt den Todesmutigen in einen mephistophelischen Dialog. Locke erinnert dabei an den grüblerischen Christus in Scorseses »Last Temptation of Christ« und lässt sich retten. Ben ist aber auch ein rhetorischer Teufels­kerl: »John, you have no idea how important you are! Let me help you!«

Doch dann endlich wieder mal ein Knalleffekt à la Ben: Nachdem John den Namen ›Eloise Hawking‹ erwähnt hat, erwürgt Ben den armen Locke in einer ziemlichen Übersprungshandlung mit dem Kabelband. Da ist er wieder, der skrupellose Ben, der sich ohne zu zögern die Hände schmutzig macht, was auch immer der Grund dafür gewesen sein mag.

Vielleicht räumt er hier auf einer ganz oberflächlichen Ebene einfach den Nebenbuhler aus dem Weg. Aber es ist wohl reiner Pragmatis­mus und nicht fehlende Zuneigung. Bevor er geht, schickt er seinem Opfer noch einen netten Abschiedsgruß hinterher: »I’m gonna miss you, John. I really will.«

Soweit der Rückblick auf Lockes Werdegang. Im Rahmen der Inselhandlung lässt sich Locke gegenüber Caesar dann ein bisschen über seine Vergangenheit aus, ohne groß Details zu erwähnen. Im Gegenzug erzählt ihm Caesar von den Mysterien an Bord des später abgestürzten Flugzeugs. Der Dicke mit dem Lockenhaar, also Hurley, sei zum Beispiel einfach so verschwunden, als das Flugzeug anfing sich wild zu schütteln.

Der Pilot, also der ehemalige Chopper-Flieger Frank, ist zwar offenbar ordnungsgemäß mit abgestürzt, sei dann aber samt Passagierliste in den Busch gerannt. Und dann erzählt Caesar von den Verletzten, und John will gleich hin, und dort liegt jemand auf einer Liege, eingerollt, wieder der »Lost«-typische Spannungsaufbau, nicht zu sehen, bis ihn dann endlich die Kamera ins Visier nimmt. Es ist Ben, wieder eher in hellerer Inselkleidung, also kein schwarzer Düsterlook mehr, und Caesar fragt Locke: »You know him?« – »Yeah, he’s the man who killed me.«

Die Folge endet also mit einem Paradebeispiel für ein Epimenides-Paradoxon, was nicht so originell und auch ein bisschen lächerlich ist, aber es gibt schlechtere Schlusseffekte.


Lost: 5. Staffel, 6. Folge

Paris, 3. März 2009, 22:40 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »316«
Episode Number: 5.06 (#91)
First Aired: February 18, 2009 (Wednesday)
Deutscher Titel: »316« (EA 14. 5. 2009)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Jacks plötzlich aufgerissenen Augen, Jack im Anzug, auf dem Dschungelboden liegend. So ist »Lost« vor viereinhalb Jahren gestartet, und mit dieser Anspielung auf den Serienbeginn hebt diese 6. Folge der 5. Staffel an. Die Eröffnungsszene wird schnell weitererzählt: Jack springt einen idyllischen Wasserfall hinunter in eine Art Lagune, um Hurley zu retten und dann auch die bewusstlos herumliegende Kate, der er beim Erwachen bestätigt: »We’re back!«

(Kate hat also auch überlebt, leider, wie Tao von Critik en Séries findet: « on m’a même fait une fausse joie en nous faisant croire que Kate était morte. Ça aurait été tellement bien, mais on ne nous donnera pas cette satisfaction. Pire, si elle meurt, on pourra toujours la ressusciter. » – Well roared, lion!)

Und dann folgt der textliche Hinweis: »46 Hours Earlier«. Das Stilmittel der Vorwegnahme wird hier gut eingesetzt, am Ende wird sich die Anfangsszene wiederholen, dann mit einer kleinen Erweiterung. Die Inselstory um Locke und die anderen wird in dieser Folge nicht behandelt, aber ab jetzt ist die Serie ja eh wieder inselzentriert.

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Lost: 5. Staffel, 5. Folge

London, 25. Februar 2009, 12:16 | von Dique

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »This Place Is Death«
Episode Number: 5.05 (#90)
First Aired: February 11, 2009 (Wednesday)
Deutscher Titel: »Dieser Ort ist der Tod« (EA 7. 5. 2009)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

»You wanna shoot me, then shoot me, but let’s get on with it! What’s it gonna be?«

Das klingt zwar ziemlich nach Jack Bauer, diesen Satz hören wir aber von Benjamin Linus in der »Lost«-Folge 5.05, während im Sun mit einer Pistole bedroht. Ben hat leider etwas verloren in dieser Staffel, nachdem seine Einführung in Staffel 2 und sein im Rückblick erzählter Aufstieg zum Anführer der Others zu den Höhepunkten der ganzen Serie geworden sind.

Jetzt trägt er immer diese schwarzen Klamotten und hat etwas von einem mystischen Großstadtritter. Diese Akzentsetzung ist ziemlich verfehlt, denn Ben war als Insel-Ben schon einnehmend und unheimlich genug, und es passte sehr gut, dass er immer eher sonnig und ein bisschen bieder gekleidet war, helle Chinos, gestreiftes Hemd etc. In seiner schwarzen Kluft erinnert er an die nach großem Start zu Masken erstarrten Helden aus »Heroes«.

Kick-off zu Folge 5 ist ein Meeting mit fast allen Oceanic Six minus Hurley plus Ben. Sun fehlt erst noch, beobachtet die Szene aber aus dem Auto und platzt dann mit einer Waffe in die Runde. Sie will sich an Ben rächen, weil er angeblich Jin auf dem Gewissen habe. Aber Ben pariert in alter Manier (hätte er nur nicht diese blöden schwarzen Klamotten an!). Mit seinem leichten, sonoren Vibrato in der Stimme sagt er, behauptet er, dass Jin nicht tot sei, und wir wissen ja seit der letzten Folge, dass das zur Abwechslung auch mal stimmt. »Jin is still alive, and I can prove it.«

Zwischenzeitlich schickt uns die Regie auf die Insel, und man muss ja hier nicht mehr nach dem ›Wo‹ auf der Insel fragen, sondern nach dem ›Wann‹. Im Anschluss an den Cliffhanger der Vorgängerfolge erfahren wir und erfährt Jin von der pausbäckigen, noch jungen Danielle Rousseau, dass es gerade 1988 ist.

Was die Franzosen eigentlich auf der Insel wollen, bleibt unklar, aber sie haben großes Interesse am Radio Tower, zu welchem sie Jin nun geleitet. Rousseau ist hochschwanger, ihre Tochter Alex ist also gerade im Anmarsch, und wir sehen sie mit dem Kindsvater scherzen und darüber streiten, ob es denn nun ein Junge oder Mädchen werden würde: « Elle m’a juste donné un petit coup de pied. » « Elle ? » « Elle ! »

Rein ästhetisch gefallen mir die Inselszenen besser als die dunklen L. A.-Settings oder andere Flashforward-Off-Island-Szenarios. Das dichte Grün, das Dschungelige verkörpert einfach den Style der Serie am besten, und in dieser Szene marschiert dann ganz klassisch und old-school eine Gruppe Menschen durch den Wald, jetzt also die Franzosen samt Jin.

Und dann taucht endlich mal wieder das Black Smoke Monster auf. Eine der Französinnen, Nadine, wird als vermisst gemeldet, es folgen großes Geschrei und Grunzgeräusche, und dann klatscht die verschwundene Nadine tot vom Baum. Jin hatte auf die Nachfrage »What is that?« irgendwann einfach entgeistert »Monster!« geantwortet, und nun taucht es auch schon höchstpersönlich auf, und in solchen Momenten ruft dann irgendeiner »Ruuuuuuunn!«, in diesem Falle eben Jin, und Chaos bricht aus.

Das Rauchmonster schnappt sich dann einen der Frenchmen und schleift ihn durch den Dschungel. Der Arm, an dem ihn die anderen viribus unitis festhalten, wird irgendwann abgerissen, das Smoke Monster zieht den Rest des Körpers in seinen Bau (so muss man diese Tempelloch wohl bezeichnen). Auf dem templigen Mauerwerk befinden sich übrigens ein paar Hieroglyphen, die Hoffnung wächst, dass wir endlich mehr über den vierzehigen Statuenrest erfahren werden, für viele der einzige Grund, überhaupt noch einzuschalten, hehe.

Jin hält Rousseau übrigens aus dem Geschehen heraus und wird dann plötzlich weitergebeamt, um ein paar Zeiteinheiten nach vorn, denn er stolpert über den leicht angerotteten Armrest. Später findet er das Strandcamp der Restfranzosen, allerdings liegen da schon zwei Leichen. Er wohnt einer Szene bei, bei der Danielle ihren Freund und Kindsvater umschießen will. Und zwar weil ursprünglich er sie ohne Angabe von Gründen umlegen möchte. Irgendein Brainwashing muss mit ihnen im Monstererdloch geschehen sein. Als Rousseau auch auf ihn anlegt, wird Jin passenderweise auf dem Zeitstrahl weiter geschickt, aber wenigstens wissen wir jetzt, warum Rousseau in Folge 1.09 so allein und meschugge gewesen ist, als die Losties ihr zum ersten Mal begegnen.

In der neuen Zeitspur trifft Jin auf Sawyer und den ganzen Rest, also Juliet, Charlotte, Faraday, Miles. Und auf Locke, der sich mit allen zur Orchid Station begeben will. Er gedenkt den Spuk der Zeitsprünge da zu beenden, wo er begonnen hat. Zu dieser Theorie gibt es dann später einen kurzen Monolog von Faraday (»it does make empirical sense«), welcher auch ein bisschen abgebaut hat. War er anfänglich noch der charmante, abgefahrene Wissenschaftler, ist er inzwischen zu einem lahmen Dr. Allwissend verkommen, der auch in seiner speziellen Art zu sprechen leichte Nervtendenzen hat.

Dann werden sie von einem Doppelflash ereilt – die Zeitflashes mehren sich also und damit die Anweisungen an die Schauspieler, sich wie wild in der Lichtflut zu krümmen und danach eventuell Nasenbluten zu bekommen. Charlotte jedenfalls haut das wieder um, sie spricht dann wie ein Medium: »Don’t let them bring her back. This place is death.« Soweit der Episodentitel. Und mit »her« könnte sie direkt Sun meinen, denn Locke hat Jin gerade vermittelt, dass er versucht, die Oceanic Six auf die Insel zurückzuholen, einschließlich Sun, doch Jin ist davon nicht gerade angetan: »Bring Sun back? Why you bring her back?« Locke erwidert darauf mit einer seiner typischen raunenden Nicht-Erklärungen: »Because she never should have left.«

Es folgen weitere kryptische Phrasen aus Charlottes Mund: »Look for the well! You’ll find it at the well!« (Und eigentlich könnte sie als ganz generelle Hilfestellung gleich noch hinzufügen: »Follow the white rabbit!«) Der Marsch zur Orchid wird fortgesetzt, dabei wird Charlotte zusammen mit Faraday zurückgelassen, und in trauter Zweisamkeit gibt es dann ihre einfache mündliche Beichte, dass sie als Kind schon mal auf der Insel war. Ein gruseliger Mann habe ihr damals erzählt, dass sie nicht auf die Insel zurückkehren dürfe, weil sie sonst sterben werde. »Daniel, I think that man was you.«

Also wieder eine rätselhafte Volte, wobei wir aber schon wissen, dass Faraday auf der Insel war, als die Dharma-Stationen gebaut wurde, erinnern wir uns an die herrlichen Szenen mit »Dr. Marvin Candle« in der ersten Folge der 5. Staffel.

Die Lockianer haben inzwischen die Orchid erreicht, die aber nach einem weitern Blitzdings verschwunden, dafür aber der von Charlotte angekündigte Brunnen aufgetaucht ist.

Locke seilt sich in den Brunnen hinab, aber vorher gibt er Jin noch sein Versprechen, dass er Sun von seiner Rückholaktion ausschließt und ihn ihr gegenüber für tot erklären will. Als Beweis für sein Ableben übergibt Jin seinen Ehering an Locke. Der wird dann später, am Ende der Folge in L. A., von Ben lustigerweise genau fürs Gegenteil instrumentalisiert: um Sun zu zeigen, dass Jin noch lebt und es sich lohnt, mit zur Insel zurückzukehren.

Ein weiterer Zeitsprung folgt, Locke stürzt in die Tiefe, der Brunnen ist verschwunden, oben ragt nur noch ein Seil aus der Erde. In einem Höhlengang findet sich Locke mit gebrochenem Bein wieder und stößt auf Jacks eigentlich ja mausetoten Vater, der ja damals schon in Jacobs Hütte stellvertretend für diesen gesprochen und den Auftrag zum Moving der Insel gegeben hatte (Folge 4.11).

Der alte Shephard bestätigt Locke, dass er die Oceanic Six zurück holen soll, aber auch, dass er dafür wird sterben müssen. Und Locke will sich gerne opfern, selbstlos wie John Maynard oder wie Clint Eastwood in »Gran Torino«. Märtyrer-John hinkt dann zu diesem alten Drehrad, das wieder so billig aussieht wie eine Stummfilmkulisse. Unsere willing suspension of disbelief wird also wie bei Bens Drehaktion am Ende von Staffel 4 wieder auf eine harte Probe gestellt.

In L. A. kommt es derweil zum großen Treffen bei Faradays Mutter, die ja zu allem Überfluss auch noch Hawking heißt, ein Treppenwitz der Physikgeschichte. Auch Desmond (Hume!) stößt zu diesem Stelldichein, durch ihn erfahren wir auch erst, dass es sich um das Haus von Faradays Mutter handelt. Die Folge endet mit diabolischer Musik, einem Zoom auf Frau Hawking, Faradays Mutter, hehe, und einem »Alright, let’s get started.«


Lost: 5. Staffel, 4. Folge

Paris, 18. Februar 2009, 23:35 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »The Little Prince«
Episode Number: 5.04 (#89)
First Aired: February 4, 2009 (Wednesday)
Deutscher Titel: »Der kleine Prinz« (EA 30. 4. 2009)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Es ist Nacht, wir sind auf Pennys Boot, kurz nach der Rettung der Helikopterfraktion, aus deren Reihen sich später auch die Oceanic Six rekrutieren. Jack und Kate unterhalten sich. Was wird aus Aaron, fragt sich Kate, und will ihn der Öffentlichkeit als leiblichen Sohn verkaufen. Claire habe ihn sowieso zur Adoption freigeben wollen, erklärt sie, wohl um sich vor ihrem eigenen Gewissen zu legitimieren.

Es folgt ein ziemlich unerträglicher Dialog, der seine Nähe zu schlechten Soap-Opera-Scripts nicht verbergen kann. »Are you with me?«, fragt Jack, fast so schön theatralisch wie damals Caesar fragte: »Titus Pullo, are you with me!« Und Pullo antwortete damals, vor 2.000 fiktiven Jahren: »Yes, YES, Sir!« Kate sagt dann hier und heute aber im furchtbarsten Liebesschnulzenton: »I’ve always been with you.« Da ist es fast an der Zeit, das TV-Set auszuklinken.

Aber gut, blicken wir nach Los Angeles. Sun kriegt einen Stapel Überwachungsfotos geliefert: Ben und der bärtige Jack beim Beladen eines Wagens. Außerdem wird ihr eine Pistole geliefert, traditionell versteckt unter ein paar Pralinen. Und die überforderte Sun-Schauspielerin wirkt wieder nicht echt dabei, wenn sie ihr hasserfülltes Gesicht aufsetzen soll. Sie bekommt einfach den narrativen Twist ihrer Figur nicht hin, das wird von Mal zu Mal offensichtlicher und, wie Tao bei Critik en séries schreibt, »la voir en méchante est totalement grotesque. Ça aurait pu être intéressant mais je n’arrive pas à la trouver crédible une seule seconde.«

Ansonsten überschlagen sich im Off-Island-Plot die Ereignisse (was ganz praktisch ist, denn Ben wurden neulich nur 70 Stunden Zeit gegeben). Jack überwacht die Rekonvaleszenz von Sayid, der aus der Doppelfolge 5.01/5.02 immer noch Mengen von Pferde-Tranquillizer im Blut hat. Als Sayid allein ist, wird er kurz noch von einem Auftragsschergen attackiert, kann diesen aber mit seiner eigenen Munition ruhigstellen. Hurley hat sich inzwischen in Polizeigewahrsam begeben, um sich gemäß Sayids Anweisung Bens Machtbereich zu entziehen. Ben selbst kuckt dann irgendwann in Sayids Krankenhaus vorbei.

Bevor der L.-A.-Plot kulminiert, bekommt Kate noch ein Stück Nebenhandlung zugeschustert. Sie besucht diesen Anwalt Mr. Norton, der für seinen unbekannten Klienten den »exchange of custody« in Sachen Aaron herbeiführen will: »You’re going to lose the boy.« Kate will nun herausfinden, wer der ominöse Klient ist und verfolgt Mr. Norton, nachdem Jack zu ihr gestoßen ist.

Tatsächlich fährt Norton zu einem Klienten – es ist Claires Mutter, die ja mit Jacks Vater die kleine Claire gezeugt hatte. Diese Auflösung löst eigentlich ein Versprechen vom Anfang der Folge ein, als im »Previously«-Teil die Szene mit Claires Mutter und Jack aus 4.12 wiederholt wurde. Das denkt man zumindest, aber dann weiß Carole Littleton plötzlich von nix, auch nicht von ihrem Enkel Aaron. Es handelt sich also um eine dieser immer weiter getriebenen Offensichtlichkeiten, die sich dann aber in einem Story-Stoß vor den Kopf entladen und so den Spannungsbogen erweitern, wie man das aus guten und auch schlechten Krimis kennt.

Stattdessen ist Norton dann lustigerweise auch Bens Lawyer, und Ben gibt zu, dass er ihn auf Kate angesetzt hat, wahrscheinlich um sie zu konditionieren. Dann wird Kate zu einem Treffen mit Sayid und Ben gebracht. Jack erklärt ihr alles, und zwar dass sie »help everybody we left behind« wollen. Sun ist auch noch da, in der Ferne, und beobachtet mit all ihrem schlecht gespielten Hass ihren Erzfeind Ben. Sie hat auch Aaron mit dabei, natürlich, und damit wären alle 6 außer Hurley in place.

Auf der Insel …

… wird zeitlich immer noch fleißig hin und her geschüttelt. Juliet und Faraday kümmern sich um die kollabierte Charlotte. Locke erklärt Sawyer, dass er zur Orchid-Station ziehen will, weil von dort der ganze Zeitreise-Zinnober ausging. Sein Endziel ist natürlich das Zurückholen der Oceanic Six. Er hat sich auch inzwischen damit abgefunden, dass er dafür kurz sterben müssen wird. Jetzt fragt sich nur noch, wie das geschieht. Jedenfalls wird es bald soweit sein, denn seine temporäre Leiche ist ja in dem Erzählstrang außerhalb der Insel schon längst in L. A. angelangt.

Während die Locke-Truppe zur Orchid pilgert, wird der Flak-Scheinwerfer beim Hatch eingeschaltet. Wir wissen also, »wann« sich die Losties gerade befinden: in der Nacht, in der Boone gestorben ist (Folge 1.19):

LOCKE: Light came on, shot up into the sky. At the time, I thought it meant something.
SAWYER: Did it?
LOCKE: No. It was just a light.

Dann entdeckt Sawyer noch eine schöne Szene aus der Vergangenheit: Kate hilft Claire bei der Geburt ihres Sohnes (Folge 1.20). Und dann wird er auch schon weitergebeamt. Ansonsten unterhält er sich nachgerade verständnisinnig mit Juliet, das ist dann doch gut zurechtgeschrieben, und zusammen mit Jack und Kate haben wir ein schönes, relativ komplexes Beziehungsviereck (ich will das jetzt aber nicht gleich mit den »Wahlverwandtschaften« vergleichen, hehe).

Als sie im neuen Zeitabschnitt das Camp wiederfinden, ist das Dharma-Bier leider alle. Auch das Zodiac-Schlachboot ist weg, dafür steht aber ein Kanu herum, in das zufällig alle 6 hineinpassen. Das Kanu könnte von »other others« sein, vermutet Sawyer, sehr lustig. Kaum haben sie das Boot entwendet und paddeln durch den Ozean, wird von hinten auf sie geschossen. Glücklicherweise trifft wieder ein Zeitflash ein, und überhaupt wird mit dem Stilmittel ›Zeitflash‹ ziemlich verschwenderisch umgegangen.

Es folgt eine ziemlich gute Schlussszene: Ein Rettungsboot voll mit Franzosen findet und rettet den schiffbrüchigen Jin. Am nächsten Morgen erreichen sie den Inselstrand. Mit einem stark geröteten Gesicht wird Jin von einem der Frenchmen investigativ befragt, antwortet aber nur halbherzig und vage.

Dann gesellt sich eine nette und hochschwangere Französin zu ihm und stellt sich als Dannielle vor, Dannielle Rousseau. Noch hat sie ein fröhliches Pfannkuchengesicht, das wird sich in ihren nächsten Inseljahren allerdings bekanntlich ändern, und am Ende geht sie auch noch drauf (Folge 4.08), schade.

Dass der jetzige Zeitreiseschritt in Rousseaus Vergangenheit mit Jins Wiederauftauchen verknüpft wird, ist erst mal gelungen. Ein paar lose Story-Enden werden so auf interessante Weise verknüpft. Die vielen Rekurse auf Szenen aus der 1. Staffel lassen außerdem vermuten, dass es für den Gesamtplot am Ende doch noch einen eleganten Masterplan gibt. Vielleicht artet »Lost« nach dem leicht nervigen Staffelbeginn also doch nicht in SciFi-Erklärungskram aus.


Lost: 5. Staffel, 3. Folge

London, 6. Februar 2009, 11:12 | von Dique

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »Jughead«
Episode Number: 5.03 (#88)
First Aired: January 28, 2009 (Wednesday)
Deutscher Titel: »Die Bombe« (EA 23. 4. 2009)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Es wurde ja schon in den ersten beiden Folgen amtlich, und Paco äußerte bereits unsere Zweifel an dieser narrativen Wende und dem langsam sichtbar werdenden Gesamtkonzept: »Lost«, das gute und schöne, ist nun eine Hardcore-Zeitreise-SciFi-Serie geworden.

In Folge 3 wird uns das nun noch einmal von Faraday persönlich klar und deutlich unter die Nase gerieben. Er und ein paar andere sind samt Insel im Jahr 1954 gelandet, dort findet sich eine Wasserstoffbombe (der titelgebende »Jughead«), und Faraday verklickert einer besorgten 1954erin angesichts dieser Bedrohung:

»50 years from now, this island is still here! (…) 50 years from now, me and my … me and my friends, that’s where we’re from, okay? And, here’s the key, everything’s fine! I’m not saying it’s perfectly fine, but there hasn’t been any atomic blast, all right?«

Diese Message enthält noch einmal die Quintessenz der Zeitreiserei in »Lost«, ausgesprochen von Faraday in Folge 1: »You cannot change anything. You can’t. Even if you tried to, it wouldn’t work.« Aber besser macht es das auch nicht.

Später in der Folge und immer noch im Jahr 1954 wird Locke den ewig gleichaltrigen Richard und die frühen Others treffen. Locke wird aus dieser Situation unfreiwillig durch einen lichtumkränzten Zeitsprung erlöst. Die Zeitreisegesellschaft steht plötzlich auf einer einsamen Wiese, auf der sich eben noch die Militärzelte der Others befanden. Hier wirkt auch die Tricktechnick überartifiziell. In diesem bitteren Moment wünscht man sich, noch mal in eine alte Staffel zurückzureisen, ohne diese Entwicklung erahnen zu können.

Aber wir wollen nicht so hart ins Gericht gehen, let’s face facts, also hin zum Anfang der Folge. Penny und Desmond bekommen ein Kind. Das passiert drei Jahre nachdem Desmond zusammen mit den Oceanic Six die Insel verlassen hat. Die 6 Außerinsularen bekommen wir in dieser Folge übrigens gar nicht zu Gesicht, und für Critik en séries funktioniert das auch sehr gut: »la série fonctionne parfaitement bien et même mieux sans la présence des Oceanic 6«. In der Off-the-Island-Handlung geht es also dieses Mal ausschließlich um Desmond und Penny.

Aber vor allem um Desmond, denn der hatte sich im Finale von Folge 1 in einem Traum daran erinnert, dass Faraday einst an die Tür vom Hatch klopfte. Desmond hatte in diesem gelben Schutzanzug geöffnet und Faraday ihn bekniet, dass er in der Zukunft seine, Faradays, Mutter finden müsse, in Oxford, um den Oceanics zu helfen. Er sagte das ohne Erklärung, mehr Zeit blieb nicht, denn auch hier kam dieser blöde Lichtstrahl, der die Zeit verschiebt.

Wir folgen dann Desmond bei seiner Suche und seinem Entschluss, auf die Insel zurückzukehren. Er muss es tun, er kann nicht anders, und das ist der alte Desmond, auch wenn er in Oxford mit einer ziemlich beknackten Sonnenbrille aufläuft und so aussieht, als wolle er unbedingt auf das Cover einer alten Bon-Jovi-Platte. Aber egal, das ist der Desmond mit einem Ziel, unaufhaltsam.

Doch so ähnlich hat er Penny schon einmal verlassen, auch da war es dieser karthatische Sturm und Drang, und ebenso unaufhaltsam muss er nun seinen Idealen folgen. Als Penny eingewendet hatte, dass es doch nur ein Traum gewesen sei, und fragte, warum das jetzt nach drei Jahren noch nötig sei, antwortete er diabolisch und mit der Kamera auf Close-up: »It wasn’t a dream, Pen, it was a memory!«

Solche Szenen gehören immer noch zu den Stärken der Serie, auch wenn diese wieder ein bisschen mit Schicksalhaftigkeit überzeichnet daherkommt. Die darin liegende Tragik ist aber spannend, denn wie Schillers »Taucher« fordert Desmond nun zum zweiten Mal sein Abenteuerglück heraus, und diesmal ist alles doch ein bisschen anders, denn die beiden haben ja einen kleinen Sohn.

Kurioserweise heißt eben dieser Sohn Charlie. Man fragt sich warum, heißt doch der Unsympath Widmore, Pennys Vater, auch Charles, und beide halten sich vor dem alten Stiesel ja versteckt, warum also geben sie ihrem Sohn seinen Namen. Allerdings entpuppt sich die Namensgebung dann doch eher als Hommage an Charlie, Rockmusiker-Charlie, welcher in der Looking-Glass-Station ertrinken musste. An den sich opfernden Charlie, dessen Ende Desmond immer wieder verzweifelt prophezeite und der dann in dem Moment starb, in dem Penny und Desmond zum ersten Mal wieder Kontakt aufgenommen hatten.

Zu Beginn jeder Staffel gibt es neue Figuren. In der 2. waren es die Überlebenden aus dem Heck, neben Ana Lucia natürlich der fabelhafte Mr. Eko. In der 3. waren es die sogenannten Others (warum werden die eigentlich immer noch Others genannt, jetzt wo sie eigentlich allen bekannt sein sollten; haben die keinen eigenen, anderen, other, hehe, Namen?). In der 4. Staffel waren es dann die Soldaten vom Freighter. Und nun, ganz Zeitreise, lernen wir zum Beispiel den jungen Charles Widmore kennen, welcher von John Locke im 1954er Others-Camp mit einem wissend grinsenden »Nice to meet you!« gegrüßt wird.

Und noch ein neues Pferd gibt es im Stall, eines, wie ich hörte, das für so einige auch als einziger Grund zum Weiterkucken ausreichen würde: Ellie. Wie aus dem Nichts taucht sie aus dem Inseldschungel auf, im Military-Chic, mit britischem Akzent und bösem Jungfernblick. Das mag alles ziemlich abgedroschen sein, aber das sind die verspielten Urmomente der Serie, und die sind immer noch sehr gut und sehr packend. Also ein bisschen back to the roots, Ur-»Lost«: Eine Dschungelszene, Gefahr droht, und plötzlich ist da wer, in diesem Fall jene Ellie, auf dem Kopf ein Aushilfs-Timoschenko-Flechtwerk.

Zur Abkühlung zurück in die Zukunft, aber ehrlicherweise ist es ziemlich egal, wie, wann und wo wir auf dem Zeitstrahl eingeklinkt werden. Wir sind mit Desmond in Oxford, und sein Besuch fällt etwas billig aus: Einen Faraday hat es dort angeblich nie gegeben (er wird totgeschwiegen), sein altes Büro ist mit einem billigen »Danger!«-Hinweis abgesperrt, einem verplombten Schloss, welches Desmond einfach aufknackt, und drinnen sieht er das alte Equipment, unter Planen versteckt.

Der neugierige Des wird dann aber vom Hausmeister gestellt, der ihm erzählt, dass er nicht der erste sei, der sich für Faradays Experimente (»to send rats‘ brains back in time«) interessiert. Er solle nun abhauen und seinen Kumpels erzählen, hier sei nur »rubbish left behind by a madman«. Außerdem wird erwähnt, dass Faraday irgendeinem »poor girl« etwas angetan hat. Desmond sucht sie auf, eine bettlägerige Theresa, die durch Faradays Experimente irgendwie zeitreisegeschädigt zu sein scheint.

Jedenfalls kann Desmond nicht wie verlangt Faradays Mutter ausfindig machen und sucht daher seinen ungeliebten Schwiegervater Widmore auf, der Faradays Experimente finanziert hat. Dort gibt es wieder eine kleine, nette Freakigkeit zu entdecken, nein, nicht die Türme des Barbican Centre, in dem ich erst letzte Woche das LSO »Death and Transfiguration« habe spielen sehen, sondern ein großes und breites »NAMASTE«, das in den oberen Bereich des abstrakten Gemäldes in Widmores Büro geschmiert ist.

NAMASTE! So wurden Ben und sein Vater, der es dann nur zum Workman brachte, bei ihrer Ankunft auf der Insel begrüßt. Namaste. Desmond erfährt nun von Widmore, dass Faradays Mutter in Los Angeles ist (was für ein Zufall, da sind auch die Oceanic Six), und er bekommt sogar ihre Adresse. Widmore warnt ihn auch, dass er sich und das Leben seiner Tochter Penny aufs Spiel setze. Desmond will daraufhin seine Idee begraben (wohl nicht wirklich), aber die einsichtige Penny weiß, dass es ihm keine Ruhe lassen wird, und will ihn begleiten. Ok, das wäre beschlossen.

Auf der Insel geht es derweil heiß her. Wie gesagt, wir hängen auf Kerbe 1954 auf dem Zeitstrahl und erleben die Begegnungen mehrerer versprengter Gruppen: Zunächst werden Faraday, Miles und Charlotte von Ellie und zwei anderen in Militäroutfit gefangen genommen. Sie werden ins Camp geführt und treffen dort Richard, welcher etwas von Angriffen von US-Soldaten erzählt und der oben erwähnten Atombombe, von welcher kurioserweise auch Faraday schon zu wissen vorgibt.

Er lässt sich von Ellie, Gewehr im Anschlag, dorthin führen. Die Bombe hängt in einer Holzvorrichtung und passt ganz wunderbar zum tiefen Inselgrün. Faraday stellt fest, dass die Bombe ein Leck hat und demzufolge Gefahr im Verzug ist. Faraday ist allein mit Ellie, welche ihn at gunpoint hält, doch dann tauchen Sawyer und Juliet auf und gewinnen die Oberhand.

Schon in der letzten Folge, direkt nach der Attacke mit den brennenden Pfeilen, waren Juliet, Saywer und schließlich Locke einer anderen Others-Truppe begegnet. Durch Lockes überraschendes Auftauchen hatten sie die Oberhand behalten und zwei Gefangene gemacht, welche sich allerdings wenig kooperativ zeigten und zeigen.

Sie unterhalten sich dann auch noch relativ munter auf Lateinisch, und da spricht Juliet einfach mal mit, auch in Lateinisch, denn anscheinend ist das große Latinum bei den Others eine Voraussetzung zum Beitritt, und Juliet ist bzw. war bzw. wird ja, wie verwirrend, auch eine Other. Das Latein hat natürlich trotz klassischen Einschlags (›c‹ als [k] gesprochen usw.) einen derben englischen Akzent und erinnert damit etwas an den Song »Momento Mori« von Mike Skinner:

Mementow morrei, mementow morrei
It’s latin and it says we must all die

Weil sich der eine Other (Cunningham) auf ein Gespräch mit Juliet einlässt, bricht ihm sein gestrenger Kamerad so aus der kalten Hinterhand heraus das Genick und flieht in den Dschungel. Später erfahren wir dann, wie gesagt, dass es sich bei dem Mörder um den jungen Charles Widmore handelt. Und dann eine herrliche Szene: Locke hat die Chance, auf den Fliehenden zu schießen, aber er setzt das Gewehr ab und antwortet auf Sawyers entrüstete Frage, warum er es denn nicht getan habe: »Because he’s one of my people.« Denn Locke wird ja ein paar Jahrzehnte später der Chef der Others, und diese Stellung verpflichtet, auch während einer Zeitreise.

Locke muss übrigens dringend mit Richard sprechen, da er ihm sagen muss, wie man von der Insel herunterkommt, aber das sei »privileged information«, und bevor sie warm werden und überein kommen, sind wir wieder am Anfang dieses Textes: Das Camp verschwindet im Lichtschein, übrig bleiben nur noch Locke, Juliet, Miles, Sawyer, Faraday und Charlotte (man könnte sie die Island Six nennen).

Locke ist wegen der verpassten Chance völlig verstört und schaut sich auf der leeren Wiese um, auf der sich eben noch das Camp der Others befand. Hoffentlich sind die 6 zeitlich nicht am Sankt-Nimmerleins-Tag gelandet! Charlotte jedenfalls bricht unter Nasenbluten zusammen, und hier endet Folge 3 der 5. Staffel.