Archiv des Themenkreises ›Kunstkunst‹


Das anti-minimalistische Manifest

Paris, 12. März 2009, 08:01 | von Dique

Nach dreieinhalb Stunden de Chirico und ein bisschen Museums­kaffee spazieren Paco und ich gerade am Grand Palais vorbei und sprechen natürlich noch einmal über die kürzlich hier präsentierte und versteigerte Kunstsammlung von YSL. Paco kann es immer noch nicht fassen, dass der de Hooch nicht weggegangen ist, der sicher in restaurationsbedürftigem Zustand, aber eben ein subtiles Meisterwerk ist, also wie kann das sein, für nicht einmal 300.000 Euro.

Ich selbst konnte mir das Spektakel in Paris nicht ansehen, aber ein kleiner Teil der Sammlung wurde einige Wochen vorher bei Christie’s in London gezeigt. Man widmete YSL einen großzügigen Raum während der Vorbesichtigung der Post-War & Contemporary Art Sales im Februar.

Der YSL-Raum bildete eine kleine feine Insel inmitten der neuen und neueren Kunst und war für mich das eigentliche Highlight. Jedes Jahr im Februar spaziere ich hier zwischen hellgrün schimmernden Impressionisten, weichen Bleistiftzeichnungen von Klimt und Schiele auf bräunlichem Papier und dem kühlen Acryl zeitgenössischer Künstler umher, aber selten bin ich gerührt (wie unfair, gab es doch einen wundervollen Modigliani zu sehen und ein kleines dieser wie abgeschliffen wirkenden abstrakten Bilder von Gerhard Richter, hehe).

Normalerweise werden hier bei Christie’s in diesem heute YSL gewidmeten Raum bei den Frühjahrs-Sales die Surrealisten ausgestellt. Vor ein paar Jahren wurde man wie durch einen kleinen dunklen Gang ins Innere geschleust. Durch ein kleines Loch konnte man schon mal in den Raum sehen, ein kleiner surrealistischer Vorgeschmack also.

Dieses Mal nun YSL, und am meisten faszinierte das Gesamt­kunstwerk des Raumes, diese breite Mischung der Epochen und Stile. Gemälde von Frans Hals und Géricault, manieristische Bronzen nach Giambologna, vollgepfropfte Vitrinen, in denen neben Silberzeug auch diese schräge Parfumflasche »Belle haleine – Eau de voilette« von Duchamp stand, welche ganze 11+ Millionen Dollar einspielte, und in einer Ecke eine wunderschöne, hauchzarte Bleistiftzeichnung von Ingres.

An der Stirnseite des Raumes hing ein riesiges tapetegewordenes Foto des Originalsetups vieler der Objekte. Mich erinnerte dieses Bild sofort an eines der neuen Highlights des Verlages Umberto Allemandi, einen Bildband, der ganz schnell zum Tophit unter den Coffee Table Books geworden ist oder zumindest werden sollte, »The Anti-Minimalist House«.

Das Buch ist in Rubriken unterteilt und versammelt Fotos von Massimo Listri, ergänzt durch kurze Kommentare. Es ist nicht nur ein wunderschönes Buch in diesem typischen dezenten Mintgrün der Allemandi-Bildbände, es versammelt auch die besten Beispiele häuslicher Überfrachtung. Besonders empfehlenswert ist der Teil über die Bibliotheken, in dem zum Beispiel die Bibliothek des Ham House in London fotografiert wurde.

Usw. usw.

Etwas später scheint uns dann die Brasserie Flo als Ambiente recht geeignet, um hundert Jahre nach Marinetti endlich mal das anti-minimalistische Manifest nachzuliefern. Wir bestellen natürlich Côte de Bœuf, ein ganzes Kilo zartestes Fleisch aus der Rinderhoch­rippe, einen Cut, den es in unserem schönen Heimatland leider nicht gibt. Vergangenen November hatte ich im Les Halles in New York den gleichen Cut, vom amerikanischen Rind, aber ähnlich zuberei­tet, das wurde dort dann als American Beef French Style beworben.

Heute dann einfach French Beef French Style, und nach einem Kilo Fleisch und Kartoffelgratin, denn mit dem serviert das Flo das Côte de Bœuf, fällt uns nichts mehr ein, gar nichts.


Der Schatten und die Kunstgeschichte:
Giorgio de Chirico im Musée d’Art moderne

Paris, 11. März 2009, 07:25 | von Paco

Das absolut Hervorragende an der Ausstellung ist natürlich, dass man hier den ganzen de Chirico bekommt, sowohl den der metaphysischen als auch den der späteren vulgärklassizistischen Bilder. De Chirico hat sich in den 1920er Jahren langsam zur Tradition zurückgeübt, teils mit ziemlich gewollten Kopien von Renaissancegemälden, wofür ihn dann die Surrealisten ausgebuht haben. Eines seiner »Autoportraits nus« aus den 40ern erinnert übrigens sogar fast an einen diesbezüglichen Nachfolger de Chiricos, an den hervorragenden Kitschnorweger Odd Nerdrum.

Peter Richter schrieb neulich in seinem Madrid-Artikel und anlässlich der dortigen »La Sombra«-Ausstellung darüber, »wie wenig sich die Kunsthistoriker mit dem Schatten auseinandersetzen mochten. Mit Studien zum Licht könnte man dagegen Bibliothek füllen.« (FAS, 22. 2. 2009, S. 24) De Chirico war einer der bestrebtesten Schattenmaler (auch in Madrid kommen sie nicht ohne ihn aus), und so ist die Pariser Ausstellung naturgemäß ebenfalls eine ziemliche Shadows-Ausstellung geworden, und de Chirico liefert das Hammerzitat gleich selber mit:

»Sur la terre, il y a bien plus d’énigmes dans l’ombre d’un homme qui marche au soleil que dans toutes les religions passées, présentes et futures.«

In! Your! Face! De Chiricos gesammelte Schatten finden sich vor allem auf den verschiedenen Varianten des »Place d’Italie«-Stoffes. Und ansonsten scheinen auch die gemalten Eierköpfe ein ganz eigenes Kontinuum zu bilden, und da kann man dann einen schönen Querverweis zu Brâncuşi ziehen, und der zugehörige Aufsatz würde dann eben »Eierköpfe in den Œuvres von …« heißen und in irgendeinem Sammelband erscheinen.

Wir waren dreieinhalb Stunden im Musée d’Art moderne de la Ville de Paris, soweit der vollständige Name, gewesen. Draußen schien die Sonne sehr chiriquesque und erzeugte streng fixierte Schatten am Rive Droite. Wir saßen im Museumscafé und unterhielten uns über die am besten geschriebenen Bücher, die nur 100 Seiten haben, »Der Fürst«, »Lazarillo de Tormes«, »Candide«, »Ecce homo« und noch ein paar andere.

Usw.


Mit Pierre Bourdieu in Algerien

Konstanz, 2. März 2009, 14:10 | von Marcuccio

Oben Kaschmir, unten Sneakers: Die aparte Französin (gewiss keine Kolonialherrin) hat sich ein wenig in Rage geredet. Aus ihrer unverdächtigen Wortmeldung entwickelt sich gerade eine kleine (aber ob ihres Akzents doch noch gern gehörte) Suada: Warum der französische Kolonialismus in Afrika besser gewesen sei als der britische (ihr Sohn zur Zeit in Kenia) usw. usf.

Doch so harsch wie Madame jetzt von einer Hiesigen auf gut alemannisch gestoppt wird: »Entschuldigung, wir sind nicht wegen IHREM Vortrag hier, wir würden gern weiter dem jungen Mann zuhören.« Der junge Mann, das sehen wir ihm an, sortiert gerade im Kopf, was aus dieser Szene zum Thema Habitus zu sortieren ist. Und wir halten fest:

Pierre Bourdieus Algerien-Fotos in Konstanz – da begegnen sich sozusagen gleich zwei französische Ex-Besatzungszonen auf einmal.

Images d’Algerie. Une affinité élective

Bourdieus fotografische Feldforschung zeigt Zeugnisse der Entwurzelung: Was im alten Europa über Jahrhunderte, Generationen und Epochen Zeit hatte – im Algerien des Algerienkriegs geschieht es irgendwie alles gleichzeitig und gleichzeitig nicht. Zivilisatorischer Zeitraffer.

Die Bilder (allesamt um 1960) dokumentieren aber auch den Blick eines Wissenschaftlers, der während seiner Algerien-Jahre als Soldat, später Dozent ein persönliches Re-Modeling durchmacht: vom Philosophen zum Ethnologen zum Soziologen. Mein Lieblingsobjekt der Fotoserie deshalb die Straßenecke in Blida. Bourdieu hat sich einfach mal neben das Café d’Orient gestellt und ein paar Stunden lang feine Unterschiede geknipst. Von »Totalverhüllung« über »oben Bettlaken, unten nackte Beine« bis »Kopftuch – was ist das?« alles dabei. Auch bei den Mannen: Vom in der Work-Life-Ballance des Westens sichtlich verlorenen Kabylen bis zum zukünftigen Vater eines Zinedine Zidane alles dabei.

References:
taz (Patrick Eiden)
Auswahl der Bilder bei camera-austria.at [PDF]


Dissertationen von Feuilletonisten (Teil 1):
Peter Richter über den Plattenbau

Paris, 27. Februar 2009, 10:56 | von Paco

Ich habe jetzt endlich mal die hochinteressante 2006er Dissertation des FAS-Schriftstellers Peter Richter zuende gelesen:

»Der Plattenbau als Krisengebiet. Die architektonische und politische Transformation industriell errichteter Wohnge­bäude aus der DDR am Beispiel der Stadt Leinefelde«

Es geht im weitesten Sinne um Kunstgeschichte, Richter nimmt sich mit dem DDR-Plattenbau und seiner Behandlung nach der Wieder­vereinigung ein Richter-typisches Thema vor. Vielleicht kam ihm im Zuge der medialen Berichterstattung über die preisgekrönte Umge­staltung von Leinefelde-Süd die Idee zu der Arbeit. Sie liest sich jedenfalls trotz Times New Roman mit 12 pt und 1,5er Zeilenab­stand gut weg.

Die Arbeit liegt als PDF komplett auf dem Server der SUB, inkl. Abbildungen, aber man sollte sowieso lieber gleich selbst mal nach Leinefelde fahren, schon der Kritiker Kaye Geipel hatte 2001 über­schwänglich ausgerufen: »Architekten, kommt nach Leinefelde und seht euch diese Sanierung an.« Und außerdem liegt die Stadt direkt an der Kulturautobahn A38.

Im allgemeinen Teil (zwei Drittel der Arbeit) beginnt Richter mit einer kleinen Kulturgeschichte des industriellen Wohnungsbaus, im speziellen des Plattenbaus in Deutschland seit den 1920er Jahren (Martin Wagner, Ernst May). Insofern macht die von ihm erwähnte Deutung der DDR-Plattenbauten als »Exzess der Moderne« (S. 7) auch Sinn.

Nach kurzen Abschnitten über Entwicklungen im NS (Ernst Neuferts »Hausbaumaschine«) und der Bundesrepublik folgt ein genauer Abriss der Geschichte der Plattenbauweise in der DDR seit den 1950er Jahren, in der auch die zeitgenössischen Diskussionen (etwa die Monotonie-Debatte) mit abgebildet werden. Die DDR-Neubauten und ihre Anordnung zu Großsiedlungen sollte die Heranbildung der sozialistischen Gesellschaft forcieren und repräsentieren, und damit war es dann 1989 vorbei und die Stigmatisierung begann, die Richter mit sehr schönen Zitaten nachzeichnet (S. 62-74).

Ebenso lesenswert ist das darauf folgende Kapitel über die nach 1990 einsetzenden, sich teils widersprechenden staatlichen Aufwertungsmaßnahmen. Viele Häuser sollten damals etwa im Schnellschussverfahren »durch esoterische Farbmanöver« (S. 189) individualisiert werden. Nach dem für einige vielleicht überraschen­den Kapitel »Plattenbau und Denkmalschutz« und dem Einbezug der Arbeit in die Diskussion um die »shrinking cities« bringt Richter einige Beispiele für die Auseinandersetzung der bildenden Kunst mit dem Thema Plattenbauten, etwa Erik Schmidts crossmediale Inszenierung seiner Berliner Plattenbauwohnung am Platz der Vereinten Nationen. Auch sehr gut ist der Hinweis auf das Plattenbau-Quartett von Cornelius Mangold.

Im letzten Drittel widmet sich Richter dann dem Umbau von Leinefelde im nördlichen Thüringen. In der Stadt wurde ab 1961 eine große Baumwollspinnerei installiert, die dafür nachkommenden Arbeiter sollten in Plattenbauten untergebracht werden. So wurde südlich der Altstadt Neubau um Neubau hochgezogen, die Einwohnerzahl der Stadt wuchs bis zur Wende von ca. 2.500 auf über 16.500 an. 90 Prozent der Bevölkerung wohnte in Platten­bauten. Nach dem üblichen Hin und Her der Nachwendejahre lag 1995 ein städtebaulicher Rahmenplan vor. Zu seiner Umsetzung gab es im Jahr darauf einen Architekturwettbewerb, der nach Lösungs­vorschlägen für das Physikerquartier und das Dichterviertel verlangte. Am Ende wurden zwei Architekten ausgewählt: Stefan Forster fielen die Dichter zu, Muck Petzet die Physiker.

Die erfolgreiche Umgestaltung von Leinefelde wurde nicht ohne Grund mit Preisen überhäuft, und so fallen Richters detailreiche Beschreibungen vor allem von Petzets Arbeit dann auch fast schwärmerisch aus. Dass Forster und Petzet äußerst gegensätz­liche Ansätze haben (Rückbezug auf die Gartenstadt bzw. auf die »sozialistischeren Traditionen der Moderne«), interpretiert Richter dann gegen Ende seiner Dissertation als Vorteil. Beide Archi­tekten haben einen Antagonismus geschaffen, »der den Stadt­umbau von Leinefelde als Möglichkeitsraum ausreizt und den Ort geradezu im Sinne einer Bauausstellung zur Modellstadt macht«.

Soweit zum Inhalt, also absolute Empfehlung für ein paar Nachmittagsstunden.


Im Grand Palais

Paris, 23. Februar 2009, 17:02 | von Paco

Als »musée éphémère« wurde die Besichtigung im Grand Palais im Figaro bezeichnet. Das kann man noch etwas genauer formulieren: Sehr sehr sehr ephemer war dieses kurzlebige Museum. Nur für eine zweieinhalb Tage lange Besichtigung wurde die Sammlung YSL/Bergé aufgebaut. Im Moment und noch die folgenden Tage werden die Einzelstücke vor Ort versteigert.

Fast das beste am Kurzmuseum ist der Opener, der im Zentrum zwischen den beiden Ausstellungsflügeln mit je 6 Salons steht: der etwas trotzig dreinblickende Marmor-Minotaurus. Wer sich für Werke und nicht für den Geschmack von Yves Saint Laurent interessiert (»Warum haben die beiden dieses Bild gekauft?«), ist ansonsten in 5 Minuten durch den Rest des Areals gerauscht.

Es gibt ein paar römische Torsi, ein paar schöne Ingres-Zeichnungen, ein paar gemalte Géricault-Kinder (und überhaupt kein einziges Géricault-Pferd!), zerbrochene Instrumente von Gris und Picasso, einen wirklich schönen Januskopf aus dem Primaticcio-Umfeld, zweimal Klee von 1932, das relativ gut gemalte (hehe) »Bord de rivière« vom Zöllner (I’m going out on a limb here, aber es sieht aus wie ein Christian Schad ohne Menschen), viel von James Ensor (davon ein herausragendes Bild).

Im Salon Augsbourg geht einem der Geschmack der Sammler zum ersten Mal richtig auf die Nerven, die Anhäufung von goldenen Tellern und Gefäßen wirkt wie eine besonders gelungene Kitsch-Installation von Jeff Koons.

Doch gleich im nächsten Raum, dem Salon Frans Hals, das Highlight des Umblätterers: ein Pieter de Hooch. Und zwar die »Jeune femme nourrissant son perroquet«, taxiert auf 200-300.000 Euro, ein Schnäppchen für dieses Meisterwerk.

Auch sehr interessant hinsichtlich unserer forthcoming Studie:

Kuck, was kommt von draußen rein. – Die Öffnungs­grade von Türen und Fenstern auf den Gemälden von Pieter de Hooch. In:

Denn auf dem Gemälde ist zwar das nur knapp zu sehende Fenster untypischerweise verschlossen, und es gibt auch keine von Menschen benutzbare Tür. Dafür aber steht die Tür des Käfigs sperrangelweit offen, nach Messungen vor dem Original (etwas erschwert wegen der runden Form des Käfigs) ungefähr genau 90°. Diese offene Tür zum Papageienreich ist eine ganz hervorragende thematische Sublimierung im Spätwerk von de Hooch.

Mal sehen, wohin das Gemälde wegverkauft wird. Hoffentlich an ein schönes Museum mit schönem Museumscafé.


»Le Figaro« du 20 février 2009:
Das futuristische Manifest / Der Verkauf des Jahrhunderts

Paris, 20. Februar 2009, 16:31 | von Paco

»Tu peux pas acheter le Figaro aujourd’hui ! Impossible !«, schrie mich Niwoabyl an. »Juste parce que ce scheiß Marinetti a pondu son scheiß paragraphe futuriste il y a 100 ans !«

»Deux secondes, gars ! C’est toi qui t’es enquillé la BILD-Zeitung quand Horst Tappert a crevé.«

Ainsi me suis-je rendu au Luxembourg tôt ce matin et me suis acheté le Fig. Die Marinetti-Artikel standen alle schon gestern drin, auf einer Doppelseite der »littéraire«-Beilage:

Jacques de Saint-Victor: Que devons-nous au futurisme ?
Maurizio Serra: Poésie et politique
Jean Clair: Marinetti, le chauffard de l’art

In der heutigen Ausgabe dann gar nichts Futuristisches, dafür der Werbe-Hinweis gleich auf Seite 1, rechts unten, dass es am Abend im Fernsehen ein Gespräch mit Pierre Bergé geben werde, dem Lebens- und Sammlungspartner von YSL, der »intime et authentique« über seine Kindheit usw., über seine 50 Jahre mit YSL und natürlich die Gründe für den Verkauf der Sammlung sprechen will, den »vente du siècle«, wie es dann hinten im, na ja, Feuilleton-Teil »Le Figaro et vous.« heißt. Dort ist auch ein gezeichneter und teilkolorierter Übersichtsplan (PDF) zu finden, der auf die morgen beginnende Christie’s-Präsentation im Grand Palais vorbereitet.

Futuristen haben YSL und Bergé ja nicht so extrem gesammelt (hehe), aber die Gründe für den Verkauf interessieren mich sehr, schließlich hätte man damit ein schönes neues Musée Yves Saint Laurent komplett bestücken können, endlich mal eines, in dem es alles durcheinander gibt, von Polsterbänken mit Leopardenfell über Picassos bis hin zu, sagen wir mal, wertvollen güldenen Strumpf­haltern. Auch ein Pieter de Hooch ist mit dabei, und das alles wird jetzt in alle Winde verstreut.

Morgen mehr.


Im Halbschlaf

London, 1. Februar 2009, 13:21 | von Dique

London Symphony Orchestra, »Death and Transfiguration« von Richard Strauss, dirigiert von dem schweren und etwas bärigen Leif Segerstam, der mit seinem langen weißen Bart an die vielen Darwin-Poster erinnert, welche im Darwin-Jahr die Stadt schmücken.

Strauss schrieb dieses über den Tod sinnierende Stück in jungen Jahren, doch als er dann im hohen Alter von 85 im Sterben lag, sagte er zu seiner Schwiegertochter, dass sich der nun kommende Tod genauso anfühle, wie er ihn damals in »Tod und Verklärung« beschrieben hatte.

Das erinnert mich an die Prequiems von David Woodard, die den jeweiligen Sterbenden angemessen hinüber auf die andere Seite begleiten sollen. Wie man in einem Interview mit ihm lesen kann, entwirft er dazu auch fantastisch-gesamtkonzeptige Aufführungs­visionen.

Irgendwie könnte man Strauss‘ »Tod und Verklärung« als eine Art unbewusst geschriebenes persönliches Prequiem verstehen, auch wenn es im Vergleich zu Woodards Ideen sicher deutlich weniger malerisch daherkommt, und sicher ist das auch ein bisschen sehr weit hergeholt.

Jedenfalls fängt der Abend mahlerisch, hehe, an, mit dem Adagio aus Mahlers unvollendeter 10. Sinfonie. Ganze 9 hat er vollendet, und das liegt ja zumindest quantitativ im guten komponistischen Mittelfeld, aber an so was denke ich natürlich nicht. Erst als ich im Programmheft lese, dass Leif Segerstam ganze 215(!) Sinfonien komponierte, denke ich daran und ich frage mich, ob jemals alle wenigstens einmal irgend­wann gespielt werden oder gar schon wurden?

Und als ich mir Segerstam noch mal ansehe und an diese ungewöhnlich hohe Sinfonienanzahl denke, fällt mir meine morgendliche Lektüre beim Schweinsohr im Lisboa ein, »The Picture in the House« von HPL. Ein Mann betritt irgendwo in der Einsamkeit, bei einer Radtour, ein einsames Haus, welches ungeheuerlich altmodisch eingerichtet ist, wie aus einer anderen Zeit, aber sehr bescheiden:

»Most of the houses in this region I had found rich in relics of the past, but here the antiquity was curiously complete; for in all the room I could not discover a single article of definitely post revolutionary date. Had the furnishings been less humble, the place would have been a collector’s paradise.«

Im Regal entdeckt er dann aber ein paar recht antiquarisch-wertvolle Bücher, die nicht so recht zum Rest des Hauses passen wollen. Um hier nicht in die Tiefe zu gehen, schlussendlich hat das Haus doch noch einen Besitzer, der dann auch noch, wie man über Winkelzüge und Andeutungen erfährt, sein Leben sehr stark durch den Konsum von Menschenfleisch verlängern konnte, wie schaurig.

Jedenfalls sehe ich Segerstam nun in anderem Licht. Wenn er auch über 200 Jahre alt wäre, dann wäre die Zahl seiner Sinfonien schon weniger beeindruckend, ich denke daran, weil er physisch an den Alten in der HPL-Story erinnert, aber ich verwerfe diesen Gedanken schnell, denn die Konsequenz wäre ja selbst als Vermutung viel zu grausig, zumal Leif Segerstam ungeheuer gütlich und gemütlich erscheint, besonders, wenn er beim Applaus seine Arme ganz weit aufblättert, ganz so wie der vitruvianische Mann von Leonardo.

Aber diese Gedanken habe ich auch, weil ich mich gerade in einer Art leichten Müdigkeitsdeliriums befinde, in so einem halbwachen Zustand, in welchem sich Traum und Wirklichkeit fließend annähern. Und es geht weiter, im Anschluss an Mahlers Adagio gibt es nämlich noch vier Lieder von Strauss (Four Last Songs), gesungen von Christine Brewer.

Sie trägt einen kupferfarbenen Mantel mit dunklen Zeichen darauf und ist eine sehr voluminöse Erscheinung mit recht großer blonder Frisur und in meinen zufallenden Augen ähnelt sie plötzlich dem babylonischen König Belshazzar, so wie ihn Rembrandt in einem seiner berühmtesten Gemälde darstellte. Das kommt mir wohl in den Sinn, weil ich am Morgen in der Babylon-Ausstellung im British Museum war.

Dort widmet man eine ganze Ecke dieser Geschichte und dort wird, wenn auch nur in Form einer Farbfotografie, auf das Rembrandt-Bild verwiesen. Belshazzar im güldenen Mantel, erschrocken auf die Zeichen an der Wand (»The writing is on the wall!«) deutend.

Daneben hängt dann, im Original und in all seiner Pracht, John Martins »Belshazzar’s Feast«, auch hier is the writing on the wall, wenn auch weiter weg, am Ende des Prachtsaals. Und ganz im Hintergrund, im Dunkel, der Turm zu Babel, im kegelförmigen Bruegel-Style.

Brian Sewell ist von Martins Arbeit in Öl nicht so besonders angetan, er nennt das Werk in seinem Babylon-Review eine »crude and ugly illustration«, aber dem muss man ja nicht folgen. Ich versuche jedenfalls meine crude and ugly Halbschlaf­assoziationen loszuwerden, auch wenn das nur durch einen kurzen Moment des Schlafs gelingt. Im zweiten Teil, nach der Pause, bin ich endlich wieder fit für »Death and Transfiguration«, meiner Hauptmotivation für den heutigen Besuch.


»The Antiques Rogue Show«

London, 24. Januar 2009, 12:12 | von Dique

Bei uns heißt es »Kunst und Krempel«, und das Äquivalent bei der BBC nennt sich »Antiques Roadshow«. An diesen Titel wiederum lehnt sich dann die am 4. Januar ausgestrahlte »Antiques Rogue Show« an, eine dieser sehr gut gemachten BBC-Docufictions, welche sich oft weltweit verkaufen like hot buns.

Es geht um Shaun Greenhalgh, einen britischen Künstler, der sich aber vor allem als Fälscher einen Namen machte. Passt also sehr gut zum zweitbesten Feuilleton-Artikel 2008, die »Spiegel«-Story von Jörg Diehl und Ralf Hoppe, die sich auch um die Frage drehte, was denn ein fanatischer Künstler macht, wenn er seine Werke nicht verkaufen kann.

Hans-Jürgen Kuhl jedenfalls ging den direkten Weg und fälschte Geld. Greenhalgh dagegen fälschte Kunst und machte diese dann erst zu Geld. Während Kuhl irgendwann mal ein Teil des etablierten Kunstbetriebs war, Warhol persönlich traf usw., fristete Greenhalgh ein eher bizarres Dasein, welches er auch nicht änderte, nachdem er einige Stücke aus seiner Fälscherwerkstatt zu Geld gemacht hatte.

Sein Leben lang wohnte er mit Eltern und Tante in einer Sozialwohnung in Bolton bei Manchester und kam selten da heraus. Aber in seiner Gartenlaube fälschte er Kunstwerke aller Art. Sein größter Hit war die Amarna Princess, eine angeblich über 3.000 Jahre alte ägyptische Figur aus der Amarna-Periode.

Shaun studierte die wenigen vorhandenen Kunstwerke dieser Zeit sehr genau. Er besorgte sich dann Alabaster aus Ägypten, den er überwiegend mit Baumarktwerkzeugen bearbeitete. Den Alterungseffekt erreichte er mit einem Sud aus Tee und Chicken-Shit. Auch unser großer deutscher Fälscher, Konrad Kujau, tauchte die Seiten zumindest in Tee, um seine Hitlertagebücher alt aussehen zu lassen.

Alt sahen dann jedenfalls die Experten aus, die mit ihrer Begeisterung das lokale Museum anstachelten, die Alabaster-Prinzessin für 440.000 Pfund zu kaufen. Um abzusichern, dass dieses bedeutende Kunstwerk nicht das Land verlässt und natürlich auch, um einen Knüller im eher provinziellen Museumsprogramm zu haben.

Neben der Kunstfertigkeit des fälschenden Künstlers war besonders der Verkaufs-Style bemerkenswert. Hier trat der betagte Vater Greenhalgh in Aktion. Er besorgte einen alten Auktionskatalog aus dem späten 19. Jahrhundert, in dem zwei ägyptische Statuen angeboten wurden, welche aus dem Nachlass eines Earls stammten. Er behauptete dann einfach, dass sein Großvater eine davon gekauft hat und sich diese seitdem im Familienbesitz befindet.

Hier funktionieren die gespielten Szenen der Doku besonders gut. Eine Kunstexpertin besucht Mutter und Vater Greenhalgh zu Hause, und während die alte Greenhalgh so tut, als würde sie auf dem Dachboden nach diesem alten Auktionskatalog kramen, nervt ihr Mann die Expertin mit langweiligen Geschichten aus seinem Leben, aus seiner Jugend, vom Krieg, und die Arme macht mit all ihrer britischen Höflichkeit eine gute Miene. Die reine Zermürbungstaktik, denn der Katalog liegt natürlich im Nebenzimmer bereit und muss nicht erst noch auf dem Dachboden zufällig gefunden werden.

Der Trick geht jedenfalls auf. Der Katalog und ein bisschen gefälschte Familienkorrespondenz helfen bei der Bescheinigung der Echtheit. Insgesamt 17 Jahre verhökern die Greenhalghs fröhlich und erfolgreich die vom Sohn gefälschte Kunst. Immer wieder geht der unscheinbare Alte zu Auktionshäusern und Händlern und bietet seine Familienstücke an und fragt ganz unschuldig, »whether they are worth a couple of quid?«

Kurioserweise bleiben sie bei allem Erfolg auf dem Teppich, wohnen weiter gedrängt in ihrer Sozialwohnung, haben aber eine halbe Million Pfund auf dem Konto. Erst als sie dem britischen Museum drei assyrische Reliefs anbieten, auf denen sich einige Schreibfehler in die Keilschrift geschlichen haben, fliegt der Schwindel auf. Shaun sitzt jetzt für vier Jahre und acht Monate im Gefängnis, aber »it could have been much worse«, wie die Doku gleich am Anfang feststellt, und zwar unter Verweis auf das Schicksal von van Gogh.


Der Vagina-Katalog

London, 18. Januar 2009, 13:00 | von Dique

Venus ist verheiratet mit Vulkan, doch Mars ist scharf auf die Schöne. Irgendwann geht sie auf das Werben des Kriegsgottes ein, und beide treffen sich zum heimlichen Liebesspiel. Vulkan bleibt das nicht verborgen, und er stellt den beiden eine Falle. Er bringt ein fast unsichtbares Netz an seinem Ehebett an, um sie bei ihrem nächsten Rendezvous darin zu fangen. Der Plan geht auf, und Vulkan rächt sich nun, indem er die beiden im Netz Gefangenen dem Gespött der übrigen Götter aussetzt.

Diese Szene verarbeitete François Boucher, der uns in seinen weichgespülten rosa Rokoko-Farbtönen heute eher kitschig vorkommt, in mehreren Gemälden. In einem davon stellt er den Moment dar, in dem sich Vulkan vorsichtig an die Liebenden anschleicht. Venus liegt lustvoll zurückgeworfen auf dem Bett, während Mars sie umarmt.

Dieses Bild, »Mars and Venus surprised by Vulcan«, entstand um 1754 und hängt heute in der Wallace Collection in London, die eine der besten Boucher-Sammlungen der Welt hält und 2005 auch eine Sonderschau, über den Maler veranstaltete, »Seductive Visions«.

Das nur als Einleitung, als Vorgeschichte, und jetzt sitze ich mit Millek und Sébastien2000 (* Name geändert) im Café der Wallace, das zwar sehr schön ist, aber ein bisschen zu bieder, um zum Kaffeehaus des Monats ausgerufen zu werden. Jedenfalls wird das Museum in 15 Minuten schließen, und wir diskutieren: Welche beiden Bilder müsste man sehen, wenn man nur 10 Minuten Zeit hat, aber einen Eindruck von der Sammlung gewinnen will.

Zumindest das erste Werk liegt klar auf der Hand: »The Swing« von Bouchers Schüler Fragonard. Dieses Bild ist nicht nur eines der prominentesten Werke der Sammlung. Mit seinem frivolen Sujet steht es auch exemplarisch für die Interessen des Sammlers Richard Wallace, der Sinnliches mochte und konsequent heranschaffte. Religiöses oder Schlachtengemälde wird man in der Wallace Collection nicht finden.

Wir begeben uns nach oben in die Galerie, um eben jenem »Swing« die verbleibenden Minuten zu widmen. Auf dem Weg dorthin erzählt uns Sébastien (der sich nach seinen Speed-Führungen im Prado und in den Vatikanischen Museen jetzt in der Wallace Collection betätigen will) jene eingangs erwähnte Geschichte von Venus, Vulkan und Mars. Und obwohl wir wissen, dass das entsprechende Bild von Boucher auch gleich hier hängt, inspizieren wir erst noch einmal den berühmten »Swing«:

Inmitten eines tiefgrünen Parks sitzt eine Dame auf einer Schaukel. Unter ihr, im Buschwerk versteckt, aber für die Dame sichtbar: ein einladend grinsender Mann, ihr Liebhaber, welchem schon der eine Schuh der schaukelnden Frau zufliegt und andeutet, dass sie selbst wohl als nächstes folgen wird. Im Hintergrund, im Schatten, ein weiterer Mann, der die Schaukel anschiebt, wohl ihr Mann, der von einer Affäre nichts weiß. Angeblich wurde das Bild seinerzeit von dem heimlichen Liebhaber in Auftrag gegeben.

Aber kommen wir zurück auf die prominenten Liebenden aus dem Olymp. Wir brauchen uns dazu nur umzudrehen, und Sébastien setzt seine Vorgeschichte nun fort »with a rather juicy bit of information«.

Für das Cover des Katalogs zur damaligen Boucher-Ausstellung war ein Detail aus genau diesem Bild, »Mars and Venus surprised by Vulcan«, ausgewählt worden. Das Detail wurde auch für Werbeposter verwendet und zierte zur Zeit der Ausstellung als riesiges Banner das Hertford House, in dem sich die Wallace Collection befindet. Dieser Ausschnitt ist nur ein kleiner Teil des Bildes: der lustvoll zurückgeworfene Kopf der Venus.

Wie gesagt, die Ausstellung ist lange vorbei, aber das große Banner hat die Kuratorin wohl noch immer irgendwo hängen. Und eines Tages, jetzt, Jahre nach der Ausstellung, fragte sie angeblich jemand, der das Bild, den Ausschnitt, den Kopf der Venus eine Weile studiert hatte, ob ihr denn daran nicht etwas auffalle. Und sie konnte an diesem Ausschnitt, dem Aushängeschild der Ausstellung, das sie so oft gesehen hatte, das so viele Leute so oft gesehen hatten, nichts Neues entdecken.

Und auch wir stehen nun vor dem Bild, dem Original in Öl, hier in der Wallace Collection, und sehen nicht nur den Ausschnitt, sondern starren auf das gesamte Gemälde in all seiner Pracht, aber es fällt uns einfach nichts auf.

»Have a closer look at her ear«, sagt Sébastien, und dann, keiner spricht es aus, keiner muss es aussprechen, es ist ein Moment des Staunens und des Unglaubens (»Und mit Erstaunen und mit Grauen / Sehen’s die Ritter und Edelfrauen«, um den Moment in Kontext zu setzen), und nach einem Moment der Stille, unser aller Münder stehen offen, raune ich ein ungläubiges »Really!?«.

Für diese kunsthistorische Entdeckung, die in der Literatur noch nicht verzeichnet ist, wird es wohl nie eine offizielle Bestätigung geben. Doch in Anbetracht von Bouchers Gesamtwerk und der Deutlichkeit und unser aller Reaktion weist alles darauf hin, dass man 4 Jahre nach der Ausstellung den zugehörigen Katalog als Vagina-Katalog bezeichnen kann.


Bei Jan Fabre in Bregenz

Zürich, 8. Januar 2009, 20:43 | von Paco

Die heftige interne Diskussion um den angeblich™ besten Feuilleton-Text des Jahres 2008 geht in die letzte Phase, Anfang nächster Woche (Montag? Dienstag?) posaunen wir hier das Ergebnis heraus.

Um angespannte Diskussionsstränge wieder zu lockern, waren wir heute schnell mal im Kunsthaus Bregenz (KUB), um endlich die dort gerade stattfindende Jan-Fabre-Ausstellung anzusehen und gutzufinden.

Fabre darf mit seiner Schau »From the Cellar to the Attic | From the Feet to the Brain« das gesamte KUB bespielen. Sogar die WCs im Untergeschoss hat er höhlenartig zementiert. Zwischen Waschbecken und Urinalen stehen außerdem Geschosse und Patronen für jeden militärischen Zweck bereit. Um die Ecke gibt es dann einen Saal mit blauen Betten und einem aus der Decke wachsenden Beinpaar, das irgendetwas Bestimmtes bedeutet. Der Saal führt zu einer Munitionskammer, in der sich allerdings nur Wesen bedienen können, die nicht viel dicker als 10 Zentimeter sind. Ansonsten kann man das reichhaltig gemischte Arsenal nur durch den Wandspalt betrachten.

Die fünf von Fabre bearbeiteten Etagen sollen den Körperzonen Füße – Genitalien – Bauch – Herz – Gehirn entsprechen. Das ist aber zunächst mal vor allem eine esoterische Behauptung, die man schnell vergessen sollte, um sich den Etagen einzeln zu widmen. Im Erdgeschoss liegt ein Alter Ego des Künstlers mitten in einer Grabsteinorgie herum. Aus seiner Hose ragt eine Porno­erektion, sicher eine Anspielung auf Jeff Koons‘ Abenteuer mit Cicciolina oder irgendetwas anderes.

Im 1. Obergeschoss liegt dann auch wieder eine Menschengestalt, eine Art Gegenstück zum onanierenden Grabsteinlümmel in der vorhergehenden Etage. Laut Info handelt es sich um einen zu Tode gepeitschten Kongolesen. Zur Installation gehört auch ein nach oben hängender Kronleuchter, der mit exotisch schimmernden Prachtkäfern ausgekleidet ist. Es handelt sich um eine Variante von Fabres Deckengestaltung »Heaven of Delight« im Königlichen Palast in Brüssel, und es geht hier also irgendwie noch nachträglich um die unglorreichen Teile der belgischen Geschichte. Die Wirkung bleibt auch nicht aus, denn die tote Menschenfigur liegt bäuchlings auf einem Teppich, der ebenfalls aus den schönen Käfern besteht. Als Anspielung auf die von Fabre in Brüssel bearbeitete Palastdecke ist auch er bei exaktem Hinsehen wunderschön, aber diese Schönheit bleibt einem natürlich planungsgemäß im Halse stecken wie die sprichwörtliche schwarze Milch der Frühe.

Das 2. Obergeschoss ist angenehm leer. Zwei Haufen aus gläsernen Knochen und Schädeln stehen da, auf denen jeweils ein Herz präsentiert wird, ein männliches und ein weibliches. Die unentrinnbar per Katalog, Leaflet, Website, Audioguide usw. vermittelte Bedeutung ist leicht uninteressant, deshalb gleich weitergehen …

… ins 3. Obergeschoss, auf eine Holzterrasse, von der aus man Einblick in sehr schön gestaltete Schützengräben hat. Außerdem ist das Gelände mit Bombentrichtern (umgedrehte Maulwurfshügel) übersät. In der Mitte liegt die sehr vergrößerte Nachbildung eines menschlichen Kopfes. Ein Abbild des Künstlers steht darauf und scheint sich frohen Mutes ins Gehirn des Riesenkopfes graben zu wollen. Sicher das stärkste Bild dieses schönen, empfehlenswerten Gesamtkunstwerks.

Jan Fabre, KUB, Bregenz

Andere Besucher, die vor uns da waren, bedankten sich übrigens für

»die Anregung zum Nachdenken
durch die Provokation«

Das klingt fast wie der Titel eines nicht geschriebenen Kleist-Aufsatzes, also großartig, und wäre auch mal ein superster Ausstellungstitel, egal für welchen Künstler und welche Schau.

Oft war das KUB-Café der eigentliche Grund für einen Bregenz-Aufenthalt. Heute zwar nicht, denn die Jan-Fabre-Tentoonstelling war wie gesagt sehr hervorragend, aber wir gingen natürlich trotzdem noch ins Café rüber und sprachen endlich wieder entspannter über die Feuilleton-Meisterschaft ’08.

(Service-Hinweis: Ausstellung läuft noch bis 25. Januar.)