Bei Jan Fabre in Bregenz

Zürich, 8. Januar 2009, 20:43 | von Paco

Die heftige interne Diskussion um den angeblich™ besten Feuilleton-Text des Jahres 2008 geht in die letzte Phase, Anfang nächster Woche (Montag? Dienstag?) posaunen wir hier das Ergebnis heraus.

Um angespannte Diskussionsstränge wieder zu lockern, waren wir heute schnell mal im Kunsthaus Bregenz (KUB), um endlich die dort gerade stattfindende Jan-Fabre-Ausstellung anzusehen und gutzufinden.

Fabre darf mit seiner Schau »From the Cellar to the Attic | From the Feet to the Brain« das gesamte KUB bespielen. Sogar die WCs im Untergeschoss hat er höhlenartig zementiert. Zwischen Waschbecken und Urinalen stehen außerdem Geschosse und Patronen für jeden militärischen Zweck bereit. Um die Ecke gibt es dann einen Saal mit blauen Betten und einem aus der Decke wachsenden Beinpaar, das irgendetwas Bestimmtes bedeutet. Der Saal führt zu einer Munitionskammer, in der sich allerdings nur Wesen bedienen können, die nicht viel dicker als 10 Zentimeter sind. Ansonsten kann man das reichhaltig gemischte Arsenal nur durch den Wandspalt betrachten.

Die fünf von Fabre bearbeiteten Etagen sollen den Körperzonen Füße – Genitalien – Bauch – Herz – Gehirn entsprechen. Das ist aber zunächst mal vor allem eine esoterische Behauptung, die man schnell vergessen sollte, um sich den Etagen einzeln zu widmen. Im Erdgeschoss liegt ein Alter Ego des Künstlers mitten in einer Grabsteinorgie herum. Aus seiner Hose ragt eine Porno­erektion, sicher eine Anspielung auf Jeff Koons‘ Abenteuer mit Cicciolina oder irgendetwas anderes.

Im 1. Obergeschoss liegt dann auch wieder eine Menschengestalt, eine Art Gegenstück zum onanierenden Grabsteinlümmel in der vorhergehenden Etage. Laut Info handelt es sich um einen zu Tode gepeitschten Kongolesen. Zur Installation gehört auch ein nach oben hängender Kronleuchter, der mit exotisch schimmernden Prachtkäfern ausgekleidet ist. Es handelt sich um eine Variante von Fabres Deckengestaltung »Heaven of Delight« im Königlichen Palast in Brüssel, und es geht hier also irgendwie noch nachträglich um die unglorreichen Teile der belgischen Geschichte. Die Wirkung bleibt auch nicht aus, denn die tote Menschenfigur liegt bäuchlings auf einem Teppich, der ebenfalls aus den schönen Käfern besteht. Als Anspielung auf die von Fabre in Brüssel bearbeitete Palastdecke ist auch er bei exaktem Hinsehen wunderschön, aber diese Schönheit bleibt einem natürlich planungsgemäß im Halse stecken wie die sprichwörtliche schwarze Milch der Frühe.

Das 2. Obergeschoss ist angenehm leer. Zwei Haufen aus gläsernen Knochen und Schädeln stehen da, auf denen jeweils ein Herz präsentiert wird, ein männliches und ein weibliches. Die unentrinnbar per Katalog, Leaflet, Website, Audioguide usw. vermittelte Bedeutung ist leicht uninteressant, deshalb gleich weitergehen …

… ins 3. Obergeschoss, auf eine Holzterrasse, von der aus man Einblick in sehr schön gestaltete Schützengräben hat. Außerdem ist das Gelände mit Bombentrichtern (umgedrehte Maulwurfshügel) übersät. In der Mitte liegt die sehr vergrößerte Nachbildung eines menschlichen Kopfes. Ein Abbild des Künstlers steht darauf und scheint sich frohen Mutes ins Gehirn des Riesenkopfes graben zu wollen. Sicher das stärkste Bild dieses schönen, empfehlenswerten Gesamtkunstwerks.

Jan Fabre, KUB, Bregenz

Andere Besucher, die vor uns da waren, bedankten sich übrigens für

»die Anregung zum Nachdenken
durch die Provokation«

Das klingt fast wie der Titel eines nicht geschriebenen Kleist-Aufsatzes, also großartig, und wäre auch mal ein superster Ausstellungstitel, egal für welchen Künstler und welche Schau.

Oft war das KUB-Café der eigentliche Grund für einen Bregenz-Aufenthalt. Heute zwar nicht, denn die Jan-Fabre-Tentoonstelling war wie gesagt sehr hervorragend, aber wir gingen natürlich trotzdem noch ins Café rüber und sprachen endlich wieder entspannter über die Feuilleton-Meisterschaft ’08.

(Service-Hinweis: Ausstellung läuft noch bis 25. Januar.)

2 Reaktionen zu “Bei Jan Fabre in Bregenz”

  1. Alexander v. d. Marwitz

    In Peter Zumthors heilgen Hallen habe ich schon so manches gesehen, was mich wirklich nachdenklich gemacht hat, aber Fabre? Der Keller ist noch einfach, man kann ihn einfach als Sanitärbereich sehen und sowas kann man ja ruhig mit bisserl Phantasie nett machen.
    Nun das EG – muß ich nicht haben…. lieber kleiner Jan, Dein Innenleben und so manches darunter scheint noch viel Entwicklung zu brauchen.
    Der gefolterte Afrikaner im 1.OG ist da schon andere Kost – auf den unzähligen Käferrücken – unglaublich schön – dieser grausam zugerichtete Mensch. Selten so eine tiefgehende Kolonialismus-Aufarbeitung gesehen. Im nächsten Stock gebe ich unumwunden zu: Nix verstanden, aber macht nichts, es muß ja auch Pausenzeiten geben.
    3. OG – Krieg. Krieg der Gefühle. Israel kommt aktuell in den Sinn, sehenden Auges den Verstand verlieren. Oder Verstand als Urquelle von Gewalt? Oder Restmensch, nur noch Kopf in Verwesung, aus dem Schützengräben wie Flüsse in alle Himmelsrichtungen entspringen…..
    …..nur, Fabre, was willst Du denn hier im Zentrum der Aufmerksamkeit? Raus mit Dir, Du suchst mit Deinem Spaten umsonst nach Tiefe, Du machst nur alles kaputt und zerstörst Dein stärkstes Bild unter der obersten Decke dieses Tempels. Geh runter und kümmere Dich um Deinen EG-Ego, da wirst Du dringender gebraucht. Am besten mit Spaten, vielleicht kann da was beerdigt werden.

  2. vanessa

    Hallo!
    ich war auch auf der austellung mit meiner Klasse im geheim zimmer da wollte ich ein foto machen und ausversehen ist die Alarm anlage angeganngen. Ich fand die Ausstellung super!
    ICh habe mich im 1.OG als ich aus dem Aufzug kamm als ertes erschreckt!

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