Archiv des Themenkreises ›Consortium‹


Feuilletonismus 2010

Leipzig, 10. Januar 2011, 00:15 | von Paco

The Golden MoleIn wenigen Stunden, am Dienstagmorgen, 11. Januar 2011, kürt Der Umblätterer zum sechsten Mal seit 2005 die zehn besten Texte aus den Feuilletons des vergan­genen Jahres (a.k.a. Der Goldene Maulwurf 2010).

Die (interne) Longlist war diesmal 49 Artikel lang. Das entspricht also pro Woche knapp einem Artikel, der unseren sicher fragwürdigen Kriterien irgendwie entsprochen hat, hehe. Danke, German Feuilleton!

Öfters hört man ja mal jemanden sagen: »DIE ZEIT ist wieder besser geworden.« Oder: »Die SZ ist wieder besser geworden.« Usw. usw. Solche Aussagen sind natürlich einer selektiven Wahrnehmung ge­schuldet (Probeabo?), denn die erwähnten Zeitungen waren ja nie schlecht, und noch immer gilt, was wir hier letztes Jahr behauptet haben (und was schönerweise auch das Grimme-Institut in die Begründung für unsere Nominierung übernommen hat): Wir haben es immer noch und immer wieder mit dem besten Feuilleton aller Zeiten zu tun.

Unser Kriterium ist ja, siehe hier, die Kaffeehausfähigkeit eines Zeitungsartikels. Es geht aber immer auch um den Zusammenhang Zeitung, um die etwaige Schönheit einer einzelnen formvollendeten Feuilletonseite. Es war ein großer Moment des Feuilletonjahres 2010, als Rainald Goetz am 8. April bei Harald Schmidt saß und eine Seite des FAZ-Feuilletons hochhielt, links ein Hettche-Artikel, rechts ein Bild, und dazu die Worte sprach: »Ich finde, das schaut einfach super aus irgendwie.« (YouTube, bei Min. 1:25)

Es gab im letzten Jahr überraschende Coups wie den Plagiatstext von, ähm, Durs Grünbein in der FAZ (nur echt mit den doppelten Anfüh­rungszeichen) und den Recap des Bachmann-Wettlesens von Airen in der FAS. Überhaupt gab es viel Meta-Polterei zum Literatur- und Rezensionsbetrieb (z. B. Jörg Sundermeier in der »Jungle World«, Sibylle Lewitscharoff in der »Welt«, Arno Widmann in der FR, Martin Hielscher und Helmut Böttiger in der SZ). Und es gab ein sagenhaftes Nicht-Interview, das Johanna Adorján mit Reich-Ranicki geführt und das offenbar immer noch so viele Fans hat, dass einige von ihnen uns Mails schickten und verlangten vorschlugen, es in die Top Ten aufzunehmen.

Das war jetzt ein kurzer Rückblick nur auf die Literaturberichterstat­tung des letzten Jahres. Das Feuilleton, dieser »nicht enden wollende Gegenwartsroman mit all seinen literarischen Glanzpunkten und inhalt­lichen Schrecklichkeiten«, war natürlich viel reicher. In ein paar Stunden dann, wie gesagt, mehr.

Hier noch schnell unsere Backlist, die Preisträger der vergangenen Feuilletonjahre:

2005
*   2006   *
*       2007       *
*   2008   *
2009

Bis Dienstag im Morgengrauen,
Consortium Feuilletonorum Insaniaeque
 


Das Consortium hat …

St. Moritz, 5. Januar 2011, 14:02 | von Paco

wieder da getagt, wo es schön ist. Noch die letzten Feuilletons des Jahres gelesen, dann hinaus auf den Hang.

Drei Bilder

Bei so viel Schönwetter stumpft ja eine Handykamera der ersten Ge­neration noch erkennbarer vor sich hin, der Meteoriteneinschlag auf Angie Merkels Loipe (Bild rechts) ist daher nur unzureichend zu erken­nen. Wobei ultraschlechte Handyfotos hier ja so was wie eine Tradition haben, siehe die Kaffeehäuser des Monats, hehe.

Die Ergebnisse unserer Après-Ski-Tagungen folgen dann hier wie geplant nächsten Dienstag, am 11. Januar: Der Goldene Maulwurf – Best of Feuilleton 2010.

Feuilletonistische Grüße,

i.A. Paco
–Consortium Feuilletonorum Insaniaeque–
 


40 Doppelrufe der Kulturgeschichte

Leipzig, 10. November 2010, 12:09 | von Paco

Handeln! Handeln!   (Fichte)
Schnell, schnell!   (Baron Holstein, der Schnitzelesser)
The horror, the horror!   (Joseph Conrad)
Nach Moskau! Nach Moskau!   (Tschechow)
Lang Lang   (die Eltern von Lang Lang)

Dahin! Dahin   (Goethe)
Ei, ei! Ney, Ney!   (Friedrich Rückert)
Allein Allein   (Polarkreis 18)
Tiger, tiger   (William Blake)
(«Pallaksch. Pallaksch.»)   (Celan feat. Hölderlin)

Ja, ja; nein, nein.   (Matthäus-Evangelium)
Gute Ruh‘, gute Ruh‘!   (Wilhelm Müller/Franz Schubert)
Mein Vater, mein Vater   (Goethe)
Zu Hilfe! Zu Hilfe!   (Emanuel Schikaneder/Mozart)
Wir weben, wir weben!   (Heine)

The window! The window!   (H. P. Lovecraft)
Out, out   (Shakespeare)
So, so!   (Kurt Schwitters)
well, well   (John Lennon)
Serenity Now! Serenity Now!   (Seinfeld)

Kraweel, kraweel!   (Loriot)
Manta, Manta   (~)
schtzngrmm / schtzngrmm   (Ernst Jandl)
Vorbei, vorbei   (Henning Ahrens)
întotdeauna, întotdeauna   (M. Blecher)

Hojotoho! Hojotoho!   (Richard Wagner)
Das Schnabeltier, das Schnabeltier   (Robert Gernhardt)
merdre, merdre   (Alfred Jarry)
Thalatta! Thalatta!   (Xenophon)
Hail, Hail   (Pearl Jam)

szara naga jama / szara naga jama   (Miron Białoszewski)
Brekekekex koax koax. Brekekekex koax koax.   (Aristophanes)
Nudge Nudge   (Monty Python)
Vera! Vera!   (Pink Floyd)
La-di-da, la-di-da   (Annie Hall)

Attica! Attica!   (Dog Day Afternoon)
Toga! Toga!   (Animal House)
Hey, Stella! Hey, Stella!   (A Streetcar Named Desire)
Sanctuary! Sanctuary!   (The Hunchback of Notre Dame [1939])
Madness! Madness!   (The Bridge on the River Kwai)
 


Umblätterer @ NDR Kultur

Saint-Jean-de-Luz, 9. August 2010, 23:46 | von Paco

Ach ja, letzte Woche (4. August, 19:30 Uhr) gab es in der Reihe »Lesen im Netz« bei NDR Kultur ein kleines UMBL-Feature (–anhören–). Auftritt Dique mit unseren Freunden:

Einen Tag nach Dique war übrigens Don Alphonso dran, der u. a. über das neue FAZ-Blog »Deus ex Machina« sprach, für das außerdem die hervorragenden Autoren Sophia Amalie Antoinette Infinitesimalia, Nicander A. Indescretius von Saage und Violandra Temeritia von Avila schreiben, so muss es sein. Auch dieses Feature bitte –anhören–.


Zweite Leipziger Erklärung

Leipzig, 21. März 2010, 13:30 | von Paco

(Zum Werk von Alban Nikolai Herbst)

Sehr verehrte Damen und auch Herren,

wenn ein Autor unangekündigt und auf bewusst undurchsichtige Weise Authentizität und Fiktion, Realität und Phantastik miteinander vermengt, wenn dies vom Leser und von der Forschung einfach so hingenommen werden muss, demonstriert dies eine gefährliche Anomalie im etablierten Literaturbetrieb.

Die Rede ist von Alban Nikolai Herbst. Er hat sich auf der noch bis heute Abend andauernden Leipziger Buchmesse aufgehalten und berichtet in seinem Weblog »Die Dschungel. Anderswelt.« für den 19. März 2010 das Folgende:

»Ach so, ja […], nachmittag traf ich dann bei Beck >>>> Benjamin Stein, >>>> Umblätterers Paco kam dazu, plötzlich wurde das ein Treffen von Netzbürgern, in die die schöne Ophelia Abeler ihre neue >>>> Traffic hineinreichte; dann kam sogar der BILD-Blog hinzu, wir alle sahen uns zum ersten Mal in all den rund sieben Jahren, in denen wir immer nur kommunizierten, ohne uns persönlich zu sehen.«

Um der Forschung zum Autor zu- und um falschen Vermutungen entgegenzuarbeiten, bestätige ich hiermit:

Das von Alban Nikolai Herbst geschilderte Treffen hat im Hyper­raum der diesjährigen Leipziger Buchmesse, am Stand von C. H. Beck, tatsächlich stattgefunden.

Nur so, durch den Nachweis realer Realitäten, kann der Wert der ANH’schen Wortkunst richtig eingeschätzt und in den Kontext der künstlerischen Freiheiten aller Autorinnen und Autoren gestellt werden.

Leipzig, 21. März 2010
Umblätterers Paco
–Consortium Feuilletonorum Insaniaeque–


Vorwort zum laufenden Feuilletonjahr (1/2010)

Paris, 1. Februar 2010, 07:01 | von Paco

In Island

  ∙ für Julien Louis Geoffroy ∙  

1. The Maulwurf has landed! Ausgabe 5, für das Feuilletonjahr 2009, ergänzt von einem Umbl-Interview bei DRadio Kultur: »Das Feuilleton lauert überall.« – 12. Januar 2010, mp3

2. Vor ein paar Jahren, im Café Cantona: Die Erfindung des Umblätterers.

3. Das neue Outfit der Literaturzeitschrift EDIT, aua! Dieses Apothekerblau, und die Frontpage sieht aus, als ob die eigentliche Frontpage mutwillig ausgerissen wurde. Was ist da passiert? WER IST DAFÜR VERANTWORTLICH!

4. Auch wenn Christian Kracht inzwischen von Guido Westerwelle bevorwortet wird, wogegen sich leider niemand wehren kann, und jetzt hab ich das Ende des Satzes vergessen. Jedenfalls, der gerade erschienene Band »Christian Kracht« ist voller primärer Sekundär­literatur und eine uneingeschränkte Empfehlung wert. Eckhard Schumacher in Bestform! Und die erste apokryphe Schrift zum Band ist bereits hier im Umblätterer erschienen: »Der Eisenbahner Christian Kracht«.

5. »Zum 80. Geburtstag von Rainald Goetz.«

6. Immer noch die germanistische Königsdisziplin: die Aufzählung aller Teilbände der »Römischen Octavia«.

7. Seit dem 25. November 2008 kündigen wir hier so regelmäßig wie großspurig die große Coen-Brothers-Retrospektive an, eine Werkmonografie über alle bisherigen 14 Coen-Filme. Seit über einem Jahr war sie »so gut wie« fertig, und jetzt musste noch »A Serious Man« laufen, und jetzt ist es dann angeblich soweit. Der reguläre Betrieb setzt aus, hier gibt es dann zwei Wochen lang In-depth-Film-Feuilleton von San Andreas.

8. »Lost«, die sechste Staffel, das Finale, ab dem 2. Februar auf ABC. Wir sind beim narrativen Showdown dabei, Folge für Folge, wie immer (our very own Episodenführer). Nach dem ganzen zusammenge­stückelten SciFi-Brei in den Staffeln 4 und vor allem 5 kann es eigentlich nur schlecht enden, hehe. Bisheriger dramatischer Tiefpunkt ist natürlich der Satz von Locke bzw. dessen Resurrection-Double: »I think this is the best mango I’ve ever eaten.« (Folge 5.07) Die Recaps starten hier dann irgendwann nach der Coen-Brothers-Werkschau.

9. Hehe.


Fünf Jahre Feuilleton-Meisterschaft:
Das beste Feuilleton aller Zeiten

Leipzig, 7. Januar 2010, 02:25 | von Paco

Am 12. Januar 2010 kürt Der Umblätterer zum fünften Mal die zehn besten Texte aus dem Feuilleton des vergangenen Jahres. Als Steilvorlage dafür hier ein kleiner Essay über den täglichen Zeitungskauf, über »Brechertexte« und die weltweit hervorragendste Publikationsbastion.

»Einmal alle Zeitungen, bitte.« Die FAZ, die SZ, die taz immer zuerst, später die NZZ, die FR und auch die »Welt«, montags den »Spiegel«, donnerstags die »Zeit«, freitags den »Freitag«, sonntags die FAS. In dieser sowieso unvollständigen Aufzählung fehlen auch nicht-deutschsprachige Zeitungen und Zeitschriften, die französischen, italienischen und spanischen Blätter mit ihren Sparfeuilletons, die »New York Times«, der »Guardian«, der »Spectator« usw. Es passiert einfach selten, dass wir darin etwas so Geschärftes, Getriebenes, Wahnwitziges wie in den deutschsprachigen Kulturressorts finden.

Dort gibt es ihn noch, diesen schwer zu beschreibenden Willen zum unbedingten Feuilletonismus. Hier wird für die drei Leser geschrieben, die auch noch die hinterletzte Anspielung verstehen und dann auch noch wohlfeil oder richtig schlimm finden.

Wenn man genau liest, stehen jeden Tag unfassbare Dinge im deutschen Feuilleton. Und seit dem Zeitungsjahr 2005 küren wir jährlich die zehn angeblich™ besten Texte aus der Kulturbericht­erstattungsszene. Ursprünglich erschien die Bestenliste im Online-Feuilleton satt.org, aus dem dann ein Feuilleton-Thinktank ausgegliedert wurde, das Consortium Feuilletonorum Insaniaeque. Dessen Hauptinteresse: die Zeitungen von gestern, vorgestern und vorvorgestern.

Der »Goldene Maulwurf«

The Golden MoleHier im Umblätterer schreiben wir – nicht hauptsäch­lich, nur nebenbei – über die Kandidaten für die Feuilleton-Top-10. Anfang Januar, nach der Durchsicht aller Silvesterausgaben letzter Hand, wird der Inhalt unseres jährlichen Feuilleton-Readers ein paar Tage lang intern diskutiert und danach veröffentlicht, am 12. Januar 2010 zum fünften Mal.

Dem besten Text des Feuilleton-Jahrgangs verleihen wir dann den »Goldenen Maulwurf«, auch wenn wir immer behaupten, dass die Top-10 nicht gerankt, sondern nur durchnummeriert ist. Dazu gibt es zehn Mini-Laudationes, zu denen im letzten Jahr unser Leser »heiner« bemerkte:

»Von mehreren Artikeln wird ausdrücklich und ohne entschlüsselbare Ironie behauptet, sie seien schlecht. Trotzdem stehen sie auf einer Bestenliste. Was soll das.«

Genau das ist es: Nur beim Lesen des Feuilletons regt man sich über seine Hassautoren auf, über den von der FAZ, die von der SZ und den vom »Spiegel«, und liest sie dann trotzdem jedes Mal wieder mit unbändiger Neugier. (Nebenbei: Nicht ohne Grund haben die Absoluten Beginner dem deutschen Feuilleton ihren Song »Fäule« gewidmet, hehe.) Das Feuilleton ist die schönste Intellektuellen-Soap, und man hat es nur wirklich verstanden, wenn der Name des Journalisten unter dem Text mindestens genauso wichtig ist wie das, was er oder sie geschrieben hat.

Luxus auf Zeitungspapier

Der »Goldene Maulwurf«, unsere Wühltiertrophäe, ist – sicher zum Vorteil aller Beteiligten – eine rein virtuelle. Und sie handelt nicht von rein journalistischen Glanzleistungen, von gewagten Reportagen oder Textergüssen aus Krisengebieten – dafür gibt es schon genügend Auszeichnungen. Es geht um den Zusammenhang zwischen Kulturjournalismus und einem darin stattfindenden stilistischen und epistemologischen Überhang, um die Feuilletontradition, für die immer die Goldenen Zwanziger herhalten müssen, Tucholsky und eine Handvoll anderer Flaneure und Theaterkritiker. Dabei ist das gegenwärtige Feuilleton, dieser Luxus auf immer noch vorwiegend Zeitungspapier, das beste Feuilleton aller Zeiten, immer noch und immer wieder.

Jeder Journalist muss täglich neu ein Problem lösen: einen Text abliefern und dabei so gut wie möglich aussehen. Dabei ist im Feuilleton wie in keinem anderen Ressort auch Platz für Neuansätze und Experimente, die, wenn sie gelungen sind, laut und nachhaltig in den Lesealltag hineinbrechen. Das passiert vielleicht nur einmal im Monat. Aber wenn es passiert, wenn es zwischen dutzenden anderen Texten, nach wochenlanger Durchsicht von lediglich Rezensionsfried­höfen und Jubiläumsartikeln, wenn man dann diesen einen Brechertext liest, feiert und wiederliest, dauernd andere damit nervt und dauernd von anderen damit genervt wird, wenn dieser Zeitungs- oder Zeitschriftentext, gedruckt irgendwo hinten links zwischen fünf anderen Artikeln, monatelang im Gedächtnis bleibt, dann heißt das was.

Die Preisträger 2005–2008

2005 war das ein Verriss des Kritikers Stephan Maus. Sein Gegenstand war ein unbedeutendes Buch von Augusten Burroughs. Der in der SZ veröffentlichte Verriss begann mit den Worten: »Hi, ich bin Stephan. Ich bin Kritiker.«

2006 war das ein Text des polnischen Journalisten Mariusz Szczygieł, den die Wiener »Presse« nachgedruckt hatte, ein Text, den sich in seiner Unheimlichkeit sonst nur Jorge Luis Borges hätte ausdenken können: die Beschreibung des Tagebuchs einer Krakauer Hausfrau, die über 57 Jahre hinweg emotionslos all ihre Tätigkeiten verzeichnet hat.

2007 ist Renate Meinhof für die »Seite Drei« der SZ eine hinreißende Reportage über einen 90-jährigen Wagnerianer gelungen, die sich einmal nicht mit der Erbfolgepolitik oder einer Premierenkritik beschäftigte, sondern mit dem letzten verbliebenen Rest von echtem Publikum.

Und 2008 hat Iris Radisch mit ihrer ungerechten, aber unübertroffen emphatischen Rezension von Jonathan Littells »Wohlgesinnten« den Text des Jahres verfasst. Ekkehard Knörer nannte ihn »den dämlich­sten Text des Jahres«, womit er zweifelsohne auch ein wenig Recht hat, und Alban Nikolai Herbst bemerkte: »Wenn Iris Radisch ein Buch mit Schaum vorm Mund verreißt, dann ist das immer ein unabweisbares Zeichen dafür, daß man es lesen muß.« Welcome to the German Feuilleton, der weltweit hervorragendsten Publikationsbastion! Noch neulich traf ich Karl-Heinz Ott in irgendeinem süddeutschen ICE, und nach ein paar anderen Themen kamen wir, en détail, auf diesen einen Artikel der »rasenden Radisch« zu sprechen, wie sie der erboste Klaus Theweleit genannt hat.

Das Feuilletonjahr 2009

Auch 2009 hatte das Feuilleton wieder einige sagenhafte Ideen. Die FAS druckte eine ganze Seite Frühneuhochdeutsch von Grimmels­hausen ab. Das SZ-Magazin hatte endlich mal die Eingebung, Maxim Biller und Henryk M. Broder gemeinsam zu interviewen. Und in irgendeiner FAZ vom Juni fand sich irgendwo mittendrin die rhetorische Frage des Jahres: »Was wäre eigentlich, wenn das Computerspiel eine sowohl ästhetische als auch soziale Zäsur markiert, die dem Einbruch der Zentralperspektive und damit einer neuen Zeit vergleichbar ist?« (Martin Burckhardt)

Über das Jahr haben wir ständig Texte auf die Longlist gesetzt, – ach ja, danke für die vielen Hinweise per Mail (besonders die Peter-Richter-Gutfinder sind da sehr aktiv, hehe) – und davon sind dreißig Artikel übrig geblieben. Von zehn Texten werden wir bald behaupten, dass sie die besten des Jahres sind. Sie stehen dann vielleicht auch wieder mehr oder weniger plausibel für das Feuilletonjahr 2009, so wie unsere Listen für die Jahre davor.

Der »Goldene Maulwurf« könnte dem Namen nach auch ein Vereins­preis ambivalenter Schädlingsbekämpfer sein. Nächsten Dienstag, am 12. Januar, kommt er jedenfalls, nach einem Jahr besessenen Wühlens in einem Berg alter Zeitungen, wieder ans Licht.


Das Consortium tagt …

St. Moritz, 2. Januar 2010, 08:42 | von Paco

… da, wo es schön ist (Kommando Malojaschlange):

St. Moritz, Zarathustra auf Skiern

Im Hintergrund: Zarathustra auf Skiern. Und von oben scheint der Große Mittag ins Bild hinein. Die Ergebnisse der täglichen Après-Ski-Tagungen erscheinen dann hier ordnungsgemäß am 12. Januar.

Feuilletonistische Grüße,

Paco
–Consortium Feuilletonorum Insaniaeque–


Vorwort zum laufenden Feuilletonjahr (5/2009)

Paris, 29. November 2009, 10:10 | von Paco

Der Brocken im November – O Brocken em Novembro

1. Um|blät|te|rer, der; -s, - (Feuilleton-Thinktank).

2. Nur noch ein paar Wochen bis zum Goldenen Maulwurf – Best of Feuilleton 2009, die fünfte Ausgabe. (vorherige Jahrgänge: 2005, 2006, 2007, 2008)

3. Kunstbücher von Taschen sind wie Schuhe von Deichmann.

4. Я в восторге! Gestern in der FAZ in »Bilder und Zeiten« ein riesiger Artikel über Jünger, also die Renovierung seines Hauses und den damit verbundenen temporären Umzug seiner Hinterlassen­schaften nach Marbach. Dann noch Biller und Grandmaster Flash, da braucht man gar kein eigentliches Feuilleton mehr, deshalb haben sie das auch entsprechend mies belegt.

5. »Klassenkampf«, sagte Doppler. »Wäre ’ne schöne Überschrift. Wie Klassenkrampf. Vielleicht lohnte es sich schon deshalb, einen Artikel über ihn zu schreiben. Wegen der Überschrift.« (Karasek, Das Magazin, S. 358)

6. US-TV-Serien: Wie gesagt, der Hype ist vorbei (cf. Umbl und serienjunkies.de). Narratologisch steht jetzt eine Flaute an, zu sehen an all den unterirdischen bis höchstens semi-mediokren Serien-Neustarts der Saison, detailliert nachzuverfolgen im sablog. Wir machen hier nur noch Curb 7 zu Ende (ich weiß, wir sind etwas hinterher) und im nächsten Jahr Lost 6.

7. »Dienstag, zu Hause, ich tat, ich weiß nicht was.« (Pontormo, »Il Libro Mio«)

8. L’Umblätterer goes Reading Room. Nach dem zehnteiligen Rundown der »Wohlgesinnten« im letzten Jahr folgt nun eine vierzehnteilige Exegese des grandiosen Supermarkt-Romans »Vier Äpfel« von David Wagner, und zwar am Dienstag.

 
Weitere Vorworte des Herausgebers zum aktuellen Jahrgang

 
I (29. 1.)   —   II (20. 4.)   —   III (22. 5.)   —   IV (29. 9.)
 


Vorwort zum laufenden Feuilletonjahr (4/2009)

Paris, 29. September 2009, 10:19 | von Paco

Oh Meer, oh Meer des Nordens

1. Der Umblätterer – Pindarische Sprünge, Inc.

2. Drei Viertel des Jahres sind um, wir haben schon 30 sehr gute Feuilletonartikel auf der Longlist stehen, Anfang Januar wird dann wieder Der Goldene Maulwurf für das Jahr 2009 vergeben, hier. Die Gewinner der letzten Jahre: 2005 ∙ Stephan Maus – 2006 ∙ Mariusz Szczygieł – 2007 ∙ Renate Meinhof – 2008 ∙ Iris Radisch.

3. Anfang August: Mona Lisa bekommt Teetasse an den Kopf. Entgegen anders lautender Meldungen (»Kein Schaden!«) ging die Tasse dabei zu Bruch.

4. Die rhetorische Frage des Jahres: »Was wäre eigentlich, wenn das Computerspiel eine sowohl ästhetische als auch soziale Zäsur markiert, die dem Einbruch der Zentralperspektive und damit einer neuen Zeit vergleichbar ist?« (Martin Burckhardt, FAZ, 4. 6. 2009)

5. Paul Drägers manischer Verriss von Raoul Schrotts Homer: 68 Seiten! Der Geist der Errata-Liste weht durchs Netz. Allein Fußnote 9 (»v. u. Z.«) ist der Hammer, hehe. Andere Lieblingsfußnoten: 11, 18, 46, 79, 92.

6. Es geht um eine junge Dame, die in keinem Zimmer schlafen will, in dem nicht das Bildnis ihres Verlobten hängt. Und dann schreibt Jean Paul das: »Auf der ganzen empfindsamen Reise hatte der Kubikinhalt der Braut in lauter Zimmern geschlafen, an denen der Flächeninhalt des Bräutigams wie eine Kreuzspinne die ganze Nacht herunterhing.«

7. Der bisher biografischste Satz eines Feuilletonisten in diesem Zeitungsjahr: »Doch wer je selbst mit Drogen sein Bewusstsein erleuchtet hat, weiß, (…)« (Matthias Heine im Zuge seiner Rezension des Ernst-Jünger-Abends von Martin Wuttke, way to go!)

8. Die Marquise ging um 16:53 Uhr, kehrte aber noch mal zurück, weil sie etwas vergessen hatte. Um 17 Uhr verließ sie dann erneut das Haus.

9. Aufsatz: »Ich bin!« oder Der Schrei nach Aufmerksamkeit. Über die Rolle(n) des Wissenschaftlers Tim Boson im Weblog des Alban Nikolai Herbst. (forthcoming 2010)

 
Weitere Vorworte des Herausgebers zum aktuellen Jahrgang

 
I (29. Januar)   —   II (20. April)   —   III (22. Mai)