Deleuze und Wittgenstein

Paris, 6. März 2010, 10:45 | von Paco

Die einzigen leidenschaftlichen Wittgensteiner, die ich kenne, sind ein paar Bekannte aus der ENS, Trotzkisten. Diese Typen, die ernstlich die KPF eine »ruse de la bourgeoisie« nennen. Manchmal sehr amüsant, alte Folklore aus dem Quartier Latin, aber auf die Dauer ein bisschen schwer auszuhalten.

Eben bin ich einem von ihnen über den Weg gelaufen, und während unseres kurzen stop-and-chat fiel mir ein Artikel aus der letzten FAS von 2009 wieder ein, Anlass war das Erscheinen der eingedeutschten Version von Gilles Deleuzes großem »Abécédaire«, fast acht Stunden frei delirierender Deleuze auf Video, ganz hervorragend großartig.

Ich hatte eben jenen Artikel von Cord Riechelmann erst vor kurzem wiedergelesen und immer noch ziemlich gutgefunden, wie Riechelmann ein IMHO treffendes Bild der Deleuze’schen Philosophie liefert und sich gleichzeitig allmählich verliert und am Ende Satz auf Satz ganz ohne Bezüge folgen lässt. Irgendwie macht das Deleuze im »Abécédaire« ja auch. Er scheint manchmal auf ziemlich komische Ideen zu kommen, die nur für eingeweihte und eingeschworene Fans noch irgendeine Logik haben. Also ersetzt Riechelmann langsam, vielleicht ohne es selber wirklich zu bemerken, Zusammenfassung durch Mimesis, und bei Deleuze ist es wahrscheinlich das einzig Machbare.

Aber nun zum tieferen Zusammenhang zwischen Deleuze und Wittgenstein, zu einer dieser zelebrierbaren Anekdoten der jüngeren, jüngsten Philosophiegeschichte. Deleuze war der totale Wittgenstein-Hasser, er nannte ihn gern den »Großinquisitor« (in einer Vorlesung über Leibniz). Im »Abécédaire« weigert er sich glatt, irgendwas zu »W wie Wittgenstein« zu sagen, und wird, auf seine gutmütige Art, wütend. Die Szene gibt es bei YouTube, kurzes Zitat:

»Pour moi c’est une catastrophe philosophique, (…) c’est une régression massive de toute la philosophie.«

Man versteht auch sehr schnell, wieso Deleuze die Wittgensteiner nicht abkonnte. Wenn es einem darum geht, neue Begriffe zu schöpfen, concepts, die das Undenkbare, das eigentlich Nur-noch-nicht-Gedachte, denkbar machen sollen, dann ist ein »wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen« das genaue Gegenteil und tatsächlich der ultimative Schlag ins Gesicht des Gilles Deleuze.

Und daran dachte ich eben gerade ganz kurz, aber ich musste Deleuze nicht einmal erwähnen, unser stop-and-chat war auch so schnell vorbei, und ich ging meiner Wege.

Süddeutsche Zeitung:
Action-Feuilleton in Sachen Michelangelo

Paris, 5. März 2010, 06:56 | von Paco

Danke, Kia Vahland! Letztes Jahr gab es eine feuilletonistische Actionszene, die wir hier noch nicht erwähnt haben. Sie spielte sich im Frankfurter Städel ab und wurde glücklicherweise für die SZ eingefangen:

Kia Vahland: Ein Feuer, das nicht sein durfte. Das Frankfurter Städel zeigt fragwürdige Michelangelo-Zeichnungen, um ein eigenes Blatt dem Meister zuzuordnen. In: Süddeutsche Zeitung, 21. 4. 2009.

(And don’t ask me why, der Artikel ist im Moment nur noch als PDF auf der Website der, hä?, Frankfurter Rundschau zugänglich.)

Und zwar hatte das Städel von März bis Juni die Schau »Michelangelo. Zeichnungen und Zuschreibungen« veranstaltet. In deren Mittelpunkt stand ein Blatt mit Skizzen von mehreren grotesken Köpfen, das nun offenbar endlich offiziell dem Meister persönlich zugeschrieben werden sollte, nachdem britische Kunsthistoriker sich schon positiv dazu geäußert hatten.

Vahland beschreibt ein bisschen die Kontroversen, aber schon der Teasertext des Artikels zeigt, dass sie eher zu einer reduktionistischen Sicht neigt, was Michelangelo-Zuschreibungen angeht. Ihr Kronzeuge dabei ist Alexander Perrig, der sich auch eines Tages in das Museum begeben haben muss. Vor Ort glaubt er dann auch sofort, in der zur Disposition stehenden Zeichnung eine Arbeit des Michelangelo-Schülers Antonio Mini zu erkennen. Eine derart apodiktische Aussage würde natürlich den Frankfurtern komplett die Show stehlen. Aber da wird Perrig vom zuständigen Kurator Martin Sonnabend gesichtet, der rasch herbeigeeilt kommt.

Normalerweise, wenn nicht gerade die Mona Lisa oder ein paar Munch-Gemälde eingesackt werden, geschieht in Museen nicht sehr viel. Menschen stehen herum, schauen, gehen weiter, bis sie irgendwann den Ausgang oder den Museumsshop erreicht haben. Alles nicht der Rede wert. Aber hier treffen mitten auf dem Terrain der Kurator und der schärfste Kritiker direkt aufeinander, tourismusfreundliche Groß­zügigkeit bei der Zuschreibung trifft auf den radikalen Glauben an die Schmalheit des überlieferten Werks.

Und Kia Vahland war dabei und berichtet uns davon. Auf einmal ist Action im Feuilleton, jeder Bericht über eine Podiumsdiskussion ist dagegen toter Text. Das Streitgespräch will ich hier nicht komplett zitieren, siehe Link oben, viertletzter Absatz. (Die schönste Stelle darin ist Perrigs Frage: »Haben Sie selbst nie gezeichnet?«)

Lost: 6. Staffel, 6. Folge

Paris, 4. März 2010, 09:21 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »Sundown«
Episode Number: 6.06 (#108)
First Aired: March 2, 2010 (Tuesday)
Deutscher Titel: »Bei Sonnenuntergang« (EA 21. 4. 2010)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Okay, das könnte alles doch noch irgendwie funktionieren. Fake-Locke wird systematisch zum mephistophelischen Verführungskünstler aufgebaut. Er sucht, als schwarzer Rauch verkleidet, den Temple heim und rekrutiert sich weiter sein Team zusammen. Die Geschichte in der Nicht-Absturz-Welt (a.k.a. flash-sideways) ist dagegen wieder dröge wie nur was, es geht um Sayid und seine Verflossene.

1. – Insel-Plot

Jetzt aber! Sayid will Antworten von Dogen, der in seiner Privatkammer hockt und ein Buch liest (hoffentlich was Lustiges, es wird seine letzte Lektüre sein). Reichlich grundlos folgt eine Kampfszene, die beiden schmeißen sich gegenseitig durch den dunklen Raum. Irgendwann fällt der Baseball, mit dem Dogen in der vorvorletzten Folge schon gespielt hatte, auf den Boden, von der »Lost«-Kamera signalartig inszeniert. Alea iacta est, so scheint es, und der japanische Tempelmensch raunt seinem irakischen Sparringspartner verschwörerisch zu: »Go! Leave this place! Never come back!«

Inzwischen sind Claire und ihr Kumpel Fake-Locke am idyllischen Tempelteich angekommen. Claire informiert Dogen darüber, dass »er« ihn sehen wolle. Und auf einmal soll Sayid doch bleiben, verkündet durch den wieder mal typisch überinszenierten Satz von Dogen: »Things have changed.« Jedenfalls sei der Typ, der mit Claire jetzt hier hergekommen sei, »evil incarnate« und wolle jetzt, da Jacob krepiert ist, alles Leben auf der Insel vernichten.

Es geht weiter mit klischiertem Unsinn: Sayid soll nun einfach mal so diesen allegorischen Brausepöter mit einer Art Stilett umbringen gehen. Wichtige Info: Er soll sein Opfer nicht zum Sprechen lassen kommen, dann sei es schon zu spät. Sayid trifft dann kurz noch auf Kate, die beiden gehen aber in verschiedene Richtungen weiter, Kate zum Tempel, wo Claire wartet, das »Australian chick, (…) acting all weird, still hot, though« (Miles).

Sayid trifft dann auch wirklich gleich den gefakten Locke, der schafft es aber problemlos, »Hello, Sayid!« zu sagen, und zieht dann das Stilett einfach wieder aus seinem Leib: »Now why did you go and do that?!« Sayid lässt sich dann mehr oder weniger von Fake-Locke rekrutieren, Mephistopheles at work: »What if I told you that you could have anything you wanted?«

Sayid singt das Lied verlorener Liebe, aber selbst im Falle der dahingestorbenen Nadia ist das letzte Wort vielleicht noch nicht gesprochen, so jedenfalls der geschickte Verführer, und überhaupt ist ja die »Lost«-Insel mit ihren Auferstehungserscheinungen so was wie ein Friedhof der Kuscheltiere.

Doppelagent Sayid soll nun alle Tempelbewohner von ihrer Heimstatt weglocken, damit sie geschlossen die Insel verlassen können. Entscheidung bitte bis Sonnenuntergang, sonst werden sie alle jämmerlich verrecken. Die Nachricht wird überbracht, ordnungsgemäß bricht Panik aus.

Nun ist es erst mal an Dogen, Sayid eine anrührende Geschichte zu erzählen. Sein Sohn sei nach einem Unfall in Lebensgefahr gewesen, aber ein Unbekannter, Jacob nämlich, habe ihn retten wollen unter der Bedingung, dass Dogen zur Insel komme und seinen Sohn niemals wiedersehe. Aber Sayid ist natürlich kalt gegen so ein gefühliges Geschwurbel und ertränkt Dogen kurzerhand. Dessen windiger und an Nervigkeit schwer zu überbietender Übersetzer, der »Holzperlenketten­hippie«, eilt zur Hilfe und wird auch abgemurkst. (Vielen Dank, Sayid!)

Es ist dunkel geworden. Sundown. Wie zu erwarten besucht nun das vor Lust quiekende Rauchmonster den Temple und zieht einen nach dem anderen aus dem Verkehr. Gleichzeitig trifft aber auch die mehr oder weniger Jacob-treue Strandtruppe ein: Ilana, Chopper-Frank, Ben und Sun. Ilana, Spitzname ab jetzt: Lara Croft, öffnet durch das Berühren eines bestimmten Steins einen geheimen Gang, wohinein ihr die anderen nachfolgen und so dem Rauchmonster knapp entrinnen.

Sayid sehen wir das Schlachtfeld abwandern, Leichen überall, dazu fast weihnachtlich anmutende Musik. Kate, die sich zu Claire in die Grube geflüchtet hatte, wird nun von dieser mit nach draußen gezogen. Dort wartet Fake-Locke mit einem guten Dutzend von überlebenden Temple-Others, die auf seine Seite gewechselt sind. Diese Szene ist so unheimlich und endlich wieder mal exciting wie eine ähnliche Situation in Folge 2.11 (»The Hunting Party«), als um die Lostianer herum aus dem nächtlichen Nichts heraus plötzlich dutzende Others-Fackeln aufleuchten.

2. – L.A.-Plot (Sayid)

Sayid hat sich fein gemacht, Besuch bei Nadia, seiner Traumfrau. Aber dann springen da Kinder herum und reden den Ankömmling mit »Uncle Sayid« an, und dann kreuzt Nadias Ehemann auf, der nun also nicht Sayid ist, sondern dessen Bruder Omar. Ein Businesstyp, der in finanziellen Nöten steckt, wie er Sayid schnell offenbart. Er habe sich Geld von einem Mann geborgt, das inzwischen auch zurückgezahlt wurde, aber jetzt wolle der Geldgeber jeden Monat frische Zinsen. Foltermeister Sayid soll nun »convince these people to leave me alone«.

Omar landet bald im Krankenhaus, Sayid kümmert sich um die Kinder, die den sympathischen Ex-Folterer abgöttisch zu lieben scheinen. Es gibt ein »Why?!«-Gespräch zwischen Nadia und Sayid, er habe sie damals verlassen weil (der Klassiker!): »Because I don’t deserve you!«

Später erscheinen Männer in einem schwarzen SUV und nehmen Sayid darin mit. In einer düsteren Großküche wartet Keamy auf sie, der ja eigentlich am Ende der 4. Staffel von Richard abgestochen wurde. Nun brät er in der Parallelwelt fröhlich wie Mutter Beimer ein paar Eier und bietet sie Sayid an, »I make good eggs!«

Wie bei Ethan vor zwei Folgen ist auch dies ein interessanter Charakterwechsel, der aber nicht lange für was gut ist. Denn erst macht Sayid die beiden Bodyguards klar, Keamy will daraufhin beschwichtigen, aber Sayid erschießt auch ihn, so eiskalt wie Keamy damals in Folge 4.09 Alex hingerichtet hat.

Und dann, uff!, entdeckt Sayid im Kühlraum eine Inselbekanntschaft, und zwar Jin, der auf Koreanisch vor sich hin flucht.

Sueton, Claudius, H. P. Lovecraft

Hamburg, 2. März 2010, 21:35 | von Dique

Suetonius: »The Lives of the Caesars«, gerade gelesen, und das rief mir wieder »I, Claudius« von Robert Graves ins Gedächtnis und ebenso zwei Bilder von Lawrence Alma-Tadema.

1. »A Roman Emperor« zeigt Claudius in den Schatten eines Vorhangs gelehnt:

Alma-Tadema, A Roman Emperor (source: Wikimedia Commons)

Der Arme trägt eine weiße Tunika und rote Pantoffeln und will sicher nicht, dass dieser Praetur ihm da jetzt huldigt. Neben ihm liegt die frische Leiche des Caligula, dahinter steht eine blutbeschmierte Stele, die in einer Augustusbüste endet. Alles gemalt in Breitbandformat, im Hintergrund prangt das untere Drittel eines Gemäldes der Schlacht bei Actium, auf dem Bildausschnitt oben leider nicht zu sehen.

2. »Proclaiming Claudius Emperor« zeigt den zukünftigen Kaiser auf Knien vor dem Praetur, der ihm an Ort und Stelle sein neues Amt aufdrängt:

Alma-Tadema, Proclaiming Claudius Emperor (source: Wikimedia Commons)

Claudius hält die Hände bettelnd gefaltet, bitte verschont mich von diesem Amt, so schaut es aus, und so heißt es bei Graves: »Put me down! I don’t want to be Emperor. I refuse to be Emperor. Long live the Republic!« (S. 395 in meiner Penguin-Ausgabe)

Aber der Praetur verbeugt sich, und die Legionäre bejubeln den neuen Kaiser, den einst verspotteten Claudius, von dessen mitleidigem Zustand Sueton ausführlich berichtet, von seinen schwachen Knien, seinem zitternden Kopf, seinem konfusen Stottern und davon, dass ihm bei Aufregung die Nase lief und er zu sabbern begann.

Die Mutter des Claudius, Antonia, sprach von ihrem Sohn als »eine Missgeburt von Menschen«, »die Natur hätte ihn nur skizziert, nicht vollendet«. Parallelen zu Lovecraft sind natürlich an den Haaren herbeigezogen, schließlich wurde HPL in seiner Jugend nicht gehänselt und war auch keine »Missgeburt«, jedenfalls nicht per se.

Allerdings bezeichnete seine Mutter ihn offiziell als hässlich, er sei so hässlich, dass er sich nicht gern auf die Straße wage, weil ihn die Leute anstarren. Dabei war Lovecraft zwar keine Schönheit, aber so hässlich nun auch wieder nicht, hehe. Angestarrt wurde er maximal, weil der arme Mensch in den frühen 1930er Jahren mit einem Mantel von 1909 und einem völlig durchgeriebenen Anzug herumlief.

Wie auch immer, das Beste am Claudius-Buch von Graves ist dieser herrliche Anfang, der ebenso von Derek Jacobi in der Eröffnung der gleichnamigen Serie aufgesagt wurde:

»I, Tiberius Claudius Drusus Nero Germanicus This-that-and-the-other (for I shall not trouble you yet with all my titles) who was once, and not so long ago either, known to my friends and relatives and associates as ›Claudius the Idiot‹, or ›That Claudius‹, or ›Claudius the Stammerer‹, or ›Clau-Clau-Claudius‹, …«

Das ist natürlich völlig blödsinnig, diese Passage hier einfach so als die beste des Buches auszurufen, aber vielleicht finde ich bei der Zweitlek­türe noch eine bessere Stelle.

(Bilder: Wikimedia Commons [1] [2])

Kulinarische Literaturkritik

Konstanz, 1. März 2010, 08:15 | von Marcuccio

Auch schon vor Jürgen Dollase gab es sensationelle Geschmacks­erlebnisse im Feuilleton. Darauf weist Michaela Köhler hin, in ihrer jetzt nicht neuen, aber immer noch einzigartigen Arbeit zur Sprache der Literaturkritik. Ihr Thema u. a.: die »Tradition der Synästhesien von Geschmacksempfindung und Literatur«, also die »Anwendung des Begriffs Geschmack nicht nur auf die Wahrnehmung von Essen und Trinken, sondern auch von ästhetischen Objekten«.

Hier mal für zwischendurch einige Gaumen-Hits des Literaturjahres 1988. Cocktails, Longdrinks, Feinschmeckersuppen. Festmähler, Braten und Pralinen:

  • »Der Roman-Cocktail, mit Krimi- und Gesellschaftssatire-Sätzen aufge­peppt, mundet nicht (…)« (Walter Klier über Karin Scholten, in: Die Zeit, 25. 3. 1988)
  • »Gegen dieses von Gerd-Peter Eigner vor drei Jahren ausgeschenkte hochprozentige Sprachelixier ist das Nachfolgeprodukt, ist ›Mitten entzwei‹ wohl eher ein Longdrink.« (Ulrich Horstmann über Gerd-Peter Eigner, in: Die Zeit, 19. 8. 1988)
  • »Mir schmeckt diese Suppe. In den Gebräuchen des ästhetischen Nihilis­mus ein braves Eintopfgericht. Ihr gleichwohl unleugbarer Mangel an literarischer Delikatesse (…).« (Karl Heinz Kramberg über Werner Kofler, in: SZ, 10. 2. 1988)
  • »Der ›Anhang‹: Ein Meisterstück. Ein Festmahl des Geistes mit immer­grünen ewigfrischen Zutaten. Biß für Biß ein Genuß.« (Andreas Kilb über Ulla Hahn, in: Die Zeit, 25. 3. 1988)
  • »›Barbarswila‹ ist ein epischer Brocken, wie er nicht alle Tage auf den Tisch kommt, ein deftiges, dampfendes Stück Literatur« (Jürgen Jacobs über Gerold Späth, in: FAZ, 10. 9. 1988)
  • »eine schweizerische Prosapraline erster Wahl« (Friedhelm Rathjen über Jürg Laederach, in: SZ, 15. 11. 1988)

(nach Michaela Köhler: Wertung in der Literaturkritik. Bewertungs­kriterien und sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten des Bewertens in journalistischen Rezensionen zeitgenössischer Literatur. Würzburg. Diss. 1999, S. 125–129.)
 

Lost: 6. Staffel, 5. Folge

Paris, 28. Februar 2010, 12:20 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »Lighthouse«
Episode Number: 6.05 (#107)
First Aired: February 23, 2010 (Tuesday)
Deutscher Titel: »Der Leuchtturm« (EA 14. 4. 2010)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Fake-Locke hat erst am Ende dieser Folge einen Kurzauftritt. Ansonsten geht es diesmal in der Nicht-Absturz-Welt um Jack und seinen Überraschungssohn, und auf der Insel sehen wir Hurley und Jack zu einer neuen Location marschieren, dem Leuchtturm. Und Jin ist zu Besuch in Claires Camp:

1. – Insel-Plot

Hurley und Miles spielen Tic Tac Toe auf dem Inselboden und überbieten mit ihrer Gelangweiltheit locker die beiden Putten, die Raffael unter seine Sixtinische Madonna gesetzt hat. Dann will Hurley wissen, ob es im Temple eine Küche gebe, hehe. Und wird stattdessen wieder mal von Jacob mit einem Auftrag versehen, »someone is coming to the island, I need you to help him find it«.

Hurley hat sich ein paar Anweisungen auf den Unterarm geschrieben und wird beim Umherlaufen im Temple von Dogen gestellt. Während­dessen erscheint ihm wieder Jacob, der für Dogen unsichtbar ist, der wiederum auf die Information hin, dass Hurley ein candidate sei, abgeht.

Hurley soll Jack mit auf den bevorstehenden Trip zum Leuchtturm nehmen, die Überredung ist ein typischer Zeitspieldialog, erst will Jack nicht, dann sagt Hurley irgendwas, dann will Jack auf einmal nichts lieber als mitkommen, gääähn.

Auf dem Weg treffen die beiden Wandersleut‘, natürlich, auf Kate, die ihrerseits auf der Suche nach Claire ist und das auch bleibt, und tschüss. Zwischenstopp bei den Caves, dem Refugium aus Staffel 1. Dort sieht Jack auch wieder den zerbrochenen Sarg seines Vaters, in dem dessen Leiche damals ja nicht mehr drin gewesen war.

Während des weiteren Dschungelspaziergangs reflektiert Hurley, was sie da eigentlich gerade machen, und das könnte auch als Tagline für die gesamten Serie dienen: »This is cool, dude. Very old school, (…) you and me trekking through the jungle, on our way to do something that we don’t quite understand. Good times.«

Sie gelangen schließlich zum Leuchtturm, wo Jack die dümmste Frage ever stellt: »How is it that we’ve never seen it before?« Hurley antwortet irgendwas darauf, aber liegt ganz falsch. Die Wahrheit ist natürlich, dass wir den Leuchtturm erst jetzt sehen, weil er erst jetzt von den Schreibern da hingeschrieben wurde, als Ausweg für die Gesamtstory, als Gimmick, was auch immer.

Sie drehen an dem Riesenkompass oben im Ausguck. Jedem Grad sind Namen zugeordnet, bei 23 Grad steht »Shephard« (vgl. das »Lost«-Sudoku in der Vorgängerfolge). Jack dreht den Kompass an diese Stelle, und in den Spiegeln, die eigentlich vielleicht zur Verstärkung der Leuchtfeuer dienen, ist jetzt Jacks Haus seiner Kindheit zu sehen. »He’s been watching us! The whole time! All of us! He’s been watching us!« Diese Leuchtturmspiegel sind also ungefähr das, was Borges als »Aleph« bezeichnet hat.

Aber Jack ist jetzt nicht nach Literaturgeschichte zumute. Er rastet aus und zerkloppt den Wunderspiegel, zersplittertes Glas auf dem Boden, das klassische schlechte Omen, hehe.

Nach dieser Wutorgie sitzt Hurley allein vor dem Leuchtturm und hat wieder eine Jacob-Erscheinung. Das sei jetzt nicht so schlimm, dass die Spiegel kaputt seien. Die mysteriösen Leute, die zur Insel kommen, »will find some other way«. Jacob habe die beiden auch nur vom Temple weglocken wollen, denn jemand arg Böses komme da gerade zu Besuch, und er meint damit sicher Fake-Locke, seinen großen rauchmonsterigen Multi-Shape-Gegner, der am Ende der Folge bei Claire und Jin reinschneit: »Am I interrupting?« Und Claire erläutert Jin: »This is not John, this is my friend.«

Übrigens Claire, sie hat Jin aus der Bärenfalle herausgeholfen. Sie ist da jetzt also seit drei Jahren im Dschungel unterwegs und sieht auch so aus und erinnert eben an die ebenso verwilderte und verstörte Rousseau. »Where are you hiding my son?«, fragt sie den einen überlebenden Others-Typen. Ihre Frage bleibt ohne Antwort, also will sie den Typen umhauen, aber Jin hält sie zurück, mit der Info, dass der kleine Aaron von Kate zu sich genommen wurde, als die Oceanic Six die Insel verlassen haben. Und dann drischt Claire trotzdem diesem Typen die Axt in den Leib.

Jin überschlägt kurz seine Überlebenschancen und entscheidet sich dafür, die Aussage, Aaron sei mit Kate von der Insel gegangen und von ihr aufgezogen worden, zurück. Nein, gar nicht, der Kleine sei bei den Others im Temple. Und dann schneit, wie gesagt, Fake-Locke herein, Claires »friend«.

2. – L.A.-Plot

Jack kommt nach Hause, zwischen zwei Familienfotos liegt unter einer Teetasse und Büchern ungelesen das »Wall Street Journal« und wird wohl auch auf ewig ungelesen bleiben, bei all dem, was Jack sonst noch zu tun hat. Er ist nämlich, soweit einer der Twists dieser Folge, Vater eines pianobegabten Jungen, David. Wer die Mutter ist, von der Jack getrennt lebt, erfahren wir jetzt noch nicht, und das lässt darauf schließen, dass das ein nächster Twist werden wird.

Die Vater-Sohn-Problemgeschichte ist an Klischees kaum zu überbieten: Ein Gespräch über »Alice in Wonderland« verläuft im Sand, der Junge leidet unter der ständigen Abwesenheit des Vaters, der Vater versucht das bei den raren Treffen zu überspielen, »I’m just trying to have a conversation with you, David« etc. etc.

Jack stattet außerdem seiner Mutter einen Besuch ab. Die Leiche von Christian Shephard ist gerade irgendwo in Berlin gelandet, egal, jedenfalls findet Jacks Mutter das Testament ihres Mannes. Darin wird eine Claire Littleton erwähnt, sie fragt Jack, ob er wisse, wer das sei.

Als Jack zurück in seine Wohnung kommt, ist sein Sohn nicht mehr da. Er spürt ihn schließlich abends beim Vorspiel am Konservatorium auf. Dort begegnet er noch jemandem: Schon von hinten, am seidig glänzenden Pferdeschwanz, erkennen wir den neuen Serienjapaner Dogen. Jetzt ist der Tempelboss eben auch am Konservatorium zugange und schwätzt ein bisschen doppeldeutig mit Jack herum.

Zum Abschluss des Nicht-Absturz-Plots gibt es noch einen sentimentalen Vater-Sohn-Dialog vor dem Konservatorium, in dem es um Versagensangst geht. Und dann ist alles wieder gut: »I’ve got some pizza back at the house. You hungry?«

Lost: 6. Staffel, 4. Folge

Paris, 27. Februar 2010, 10:23 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »The Substitute«
Episode Number: 6.04 (#106)
First Aired: February 16, 2010 (Tuesday)
Deutscher Titel: »Der Stellvertreter« (EA 7. 4. 2010)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Nachdem Fake-Locke, a.k.a. NotLocke, a.k.a. Jacobs Erzfeind, a.k.a. Der Antagonist, a.k.a. The Man in Black usw. in Folge 3 abgetaucht war, geht es in Folge 4 hauptsächlich um dieses allegorische Mischwesen. Achtung, es wird mal wieder leicht lächerlich:

1. – Insel-Plot

Unser Inselaufenthalt beginnt mit einer Kamerafahrt aus dem Point of View des Rauchmonsters. Eigentlich ja mal eine gute Idee. Nach ein bisschen Achterbahnfahren verwandelt sich das Rauchvieh aber schon wieder in Fake-Locke und hebt eine verrostete Machete vom Boden auf.

Damit befreit er nun Richard, den er in der Zwischenzeit in einem Netz oben im Wipfelbereich zwischengelagert hatte: »time to talk«. Die Gestalt John Lockes habe sich Fake-Locke gegeben, da sie ihm Zugang zu Jacob ermöglicht habe, da Locke ein what-so-ever candidat gewesen sei. Es folgt etwas faustischer Schmus, Fake-Locke zu Richard: »Come with me, and I promise, I’ll tell you everything!« Aber Richie Boy will nicht. Die Erscheinung eines blondschopfigen Jungen beunruhigt Fake-Locke, er macht sich von dannen.

Er sucht Sawyer im verlassenen Dharma-Dorf auf. Dieser wundert sich nicht über die Präsenz von Locke: »I don’t give a damn if you’re dead, or time-travelling, or the Ghost of Christmas Past.« Das dürfte auch vielen Zuschauern aus dem Herzen sprechen, hehe. Dann verspricht mit Fake-Locke mal wieder jemand das Blaue vom »Lost«-Himmel, die Antwort auf die »most important question in the world«: »Why are you on this island?!«

Ok, Sawyer folgt dem gefakten Locke, und wieder begegnen wir dem blonden Jungen, der zunächst von Fake-Locke gejagt wird, ihn dann aber zurechtweist: »You know the rules! You can’t kill him!« Und der Fake-Locke antwortet lustigerweise mit dem Mantra des realen, jetzt toten Locke: »Don’t tell me what I can’t do!«

Zwischendurch trifft Sawyer auf dem weitläufigen Inselgelände ganz zuuufällig noch auf Richard, der ihn zum Temple mitnehmen will. Aber er will nicht, und Richard tritt in dem Moment wieder ab, in dem Fake-Locke wieder auftritt. Ein ziemlich unmotiviertes Erscheinen und Verschwinden von Figuren, über so was hat sich ja schon Lessing in der »Hamburgischen Dramaturgie« kaputtgelacht, und zwar zu Recht, hehe.

Als Nächstes gibt es ein wenig Bildungsfernsehen: Sawyer erzählt Fake-Locke von Steinbecks »Of Mice And Men«, der Stelle am Schluss, als George dem armen Lennie ein Loch in den Hinterkopf schießt, um ihn vor der Lynchjustiz der heranrückenden Menge zu bewahren. Sawyer hält nun auch Fake-Locke at gunpoint, um Lennies Schicksal nicht zu teilen. Aber Fake-Locke spricht, zu Trähnen rührend, von seinem eigenen Problem: Er sei trapped, er sei auch mal ein Mensch gewesen, »like you«, und ist nun offenbar eine Art Geist in der Flasche. Sawyer lässt dann auch von ihm ab und folgt ihm zu einer Felsklippe.

Die beiden klettern eine Leiter hinab, direkt Richtung Hades, scheint’s. Es folgt natürlich noch ein bisschen alpine Dramatik, Sawyer rutscht von der Leiter ab, Kampf am Berg, Mann gegen Leiter, und Fake-Locke rettet ihn. Sie gelangen unten in eine kleine Höhle. Dort steht eine Waage mit ein paar Steinen als Gewichten. Fake-Locke nimmt einen weißen Stein vom einen Ende der Waage und wirft ihn ins Meer, ein »inside joke«, haha.

Dann wird es wieder halbwegs interessant: An der Höhlendecke stehen die Namen der Oceanic-Abstürzler, einige davon sind durchgestrichen, jedenfalls: »that’s why you’re all here«. Jacob habe die Namen da hingeschrieben. Die Namen sind mit Zahlen kombiniert, einige Lostianer haben die bekannten »Lost«-Zahlen bei sich stehen, wohl ein Fingerzeig auf die nahende Auflösung. Dieses wohlfeile »Lost«-Sudoku lädt aber erst mal noch zum Gähnen ein: 4–LOCKE, 8–REYES, 15–FORD, 16–JARRAH, 23–SHEPHARD, 42–KWON.

Es gehe jedenfalls im großen Ganzen um den Schutz der Insel. Es folgen weise Worte von Fake-Locke, die weisesten seit dutzenden Folgen: Die Insel müsse eigentlich vor niemandem geschützt werden, das sei eben der Witz. Und dass sie deshalb lieber allesamt nach Hause gehen sollten. Sawyer: »Hell, yes!«

Meanwhile, am Strand. Ilana will Erklärungen von Ben, der ihr sagt, Locke habe sich in das Monster verwandelt und habe Jacob und Ilanas Kumpel gekillt. Ilana ruft zum Aufbruch, sie kriegt auch Sun dazu, mit der Aussicht auf ein Wiedersehen mit Jin, später, im Temple. Aber unser wallonischer Freund Tao von Critik en séries hat sicher Recht, wenn er vermutet: « Mais s’ils doivent se retrouver, j’ai l’impression que ce ne sera pas avant les ou le dernier épisode de la série. »

Vorher findet aber noch das Begräbnis des realen Locke statt. Das hätte der auch nicht gedacht, dass sein letztes Geleit mal aus Sun, Ilana, Chopper-Frank und Ben Linus bestehen würde. Ben hält die Grabrede auf den »man of faith«, darin der schöne Halbsatz: »and I’m very sorry I murdered him«.

2. – L.A.-Plot (Nicht-Absturz-Welt)

Locke zu Hause bei seiner Frau Helen, die beiden stecken in Hochzeitsvorbereitungen. Helen findet die Visitenkarte von Jack, Locke findet seine Begegnung mit ihm eher wenig anschlussfähig, aber Helen sagt: »Maybe it’s destiny.«

Da Locke nicht auf der Konferenz in Sydney war, wird er nun gefeuert. Kurz darauf begegnet er Hurley, der glücklicherweise der zuständige Firmenchef ist und Mitleid mit ihm hat. Er verweist ihn an eine ihm gehörende Arbeitsvermittlung. Dort trifft Real-Locke nach einigen Umwegen bei der Jobberatung (»What kind of animal would you describe yourself as?«) auf Rose. Als Ergebnis landet er als Aushilfslehrer an einer Schule.

Im Lehrerzimmer begegnet er dann, *huch*, einem pseudobebrillten Ben Linus, Lehrer für Europäische Geschichte, der den Aushilfslehrer Locke herzlich willkommen heißt. Da fragen wir uns doch endlich mal folgsam, was sich auch Tao fragt: « Je me demande toujours quel est le but de ce monde parallèle. »

(Morgen folgt hier der kulturhistorische Recap zu Folge 5, dann sind wir wieder auf der Höhe und bleiben dann aktuell, soweit zumindest DER PLAN. Dienstagabend »Lost«, Mittwochmorgen Umbl-Recap.)

Lost: 6. Staffel, 3. Folge

Paris, 26. Februar 2010, 08:10 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »What Kate Does«
Episode Number: 6.03 (#105)
First Aired: February 9, 2010 (Tuesday)
Deutscher Titel: »Taxi in die Freiheit« (EA 31. 3. 2010)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Sayid: »Jack, what happened to me?«
Jack: »Erm, you died.«

Ein Sinnlosdialog wie aus einem Helge-Schneider-Roman. Weiter geht’s mit den lustigen Drehbuchideen der TV-Megaserie »Lost«. Fake-Locke und die Strandtruppe kommen in dieser dritten Folge nicht vor, wir haben es also nur mit den beiden anderen aktuellen Schauplätzen zu tun:

1. – Der Temple-Plot

Sayid, der Lazarus der Stunde, ist wieder am Start. Alle wundern sich natürlich, aber der japanische Tempelherr Dogen und sein Dolmet­scher, der übrigens aussieht wie ein besonders bösartiger Sozialarbeiter, diese beiden wundern sich anders über Sayids Resurrection.

Der japanische Tempelboss führt ein Elektro-Experiment an Sayids Körpers durch, wirklich nicht sehr feinfühlig, und am Ende steckt er noch eine glühende Speerspitze in dessen vormalige Wunde. Der Übersetzer, dieser Hallodri mit Nickelbrille, lässt ihn danach wenigstens wissen, dass er den Test bestanden habe. Im Gespräch mit seinem Boss wird aber klar, dass das nicht zu stimmen scheint. Und was das jetzt für ein meschuggener Test war: Auf diese Information sollen wir spannungsgeladen warten. Ziemlich billige Erzeugung von Suspense.

Jack soll auf Anweisung der Tempelherren Sayid irgendeine Pille verab­reichen, denn sonst: »The infection will spread.« Dogen redet Jack mit ein wenig Rhetorik die Schuldrolle ein (Sayid sei wegen ihm verwundet etc.), um ihn willfährig zu machen. Es folgt eine Cowboy-Unterhaltung zwischen Jack und Sayid, ob der jetzt die Pille schlucken soll oder nicht, »Matrix« für Minderbemittelte.

Dogen spielt derweil mit einem Baseball, Jack stößt zu ihm. Who are you, fragt Jack. Dogen: »I was brought here like everyone else.« Weil Dogen ihm nicht sagen will, was die Pille enthält, die er Sayid verabreichen soll, provoziert Jack drauflos und schluckt kurzerhand die Pille selbst, aber Dogen prügelt sie ihm wieder heraus, es sei nämlich Gift drin, aha.

Dann rücken Japaner und Dolmetscher endlich mit einer Information heraus: Sayid solle sterben, weil er »claimed« sei. Eine Dunkelheit werde sein Herz ergreifen und ihn ziemlich abfucken, das sei jedenfalls auch Jacks Schwester passiert, also: Claire.

Sawyer ist unterdessen entflohen mit den Worten »don’t come after me!«, aber natürlich wird ihm dann doch gefolgt, Kate und Jin sollen ihn holen gehen. Zusammen mit zwei Aufpassern der Others (Aldo und Justin) machen sie sich auf den Weg. Kate haut dann die beiden Others um, schnappt sich ihre Waffen und sucht das sogenannte Weite.

Im verlassenen Dorf der Others (uuaaahh, unheimlich!) trifft sie auf Sawyer, den sie beim Trauern beobachtet. Auf einem romantisch gelegenen Bootssteg unterhalten sie sich über Juliet und die jüngsten Ereignisse, was-wäre-wenn bis zum Erbrechen, Sawyer meint, er habe Juliet heiraten wollen usw. usf., Kate heult. Auf dem Reißbrett entstandenes Gefühlstheater.

Irgendwo in der Nähe wird Jin festgenommen, seine beiden Festneh­mer werden aber abgeschossen, und zwar von: Claire. Sie ist also zurück und sieht jetzt verstört und dschungelig aus wie einstmals die Inselfranzösin Rousseau.

2. – L.A.-Plot (Nicht-Absturz-Welt)

Kate ist im von ihr usurpierten Taxi zunächst gar nicht nett zu Claire. Der Taxifahrer und Claire machen sich irgendwann aus dem Staub, Kate befreit sich in einer Werkstatt von den Handschellen. Beim Umkleiden entdeckt sie in Claires Tasche ein paar Kindersachen, darunter einen schönen Plüschdelfin, der sie ganz sentimental stimmt.

Sie pickt Claire wieder auf und fährt sie zu ihrem ursprünglichen Zielort, den Adoptivmenschen, die Claires Baby haben wollen. Claire und Kate sind dann fast so Thelma-&-Louise-mäßig unterwegs.

Die Adoptiveltern in spe sind aber inzwischen schon nicht mehr zusammen, das wird also nix werden mit der Babyweitergabe, und vor lauter Schreck macht sich Claires Baby bemerkbar, auf ins nächste Krankenhaus! Dort dann große Überraschung: Ethan arbeitet da als Weißkittel, »Dr. Goodspeed«, und macht eine gute Figur als beruhigen­der Doktor in komplett doktoraler Profiart, ein interessanter Charakterwechsel.

Dann taucht die Staatsgewalt auf und sucht nach Kate, aber Claire wimmelt die Uniformierten ab. Dann verabschieden sich die beiden »Lost«-Mädels freundlich voneinander, Kate geht.

(Morgen weiter mit Folge 4.)

Ein Essen mit San Andreas

Hamburg, 25. Februar 2010, 18:56 | von Dique

Wir sitzen auf eine Thaisuppe im Cha Cha. Zwei Schlucke vom Bier und ein paar Löffel Suppe, und auf einmal springt San Andi auf, schreit, dass er weg müsse. Ich frage mich, was los ist, vielleicht Besuch, der mit Koffern vor der Wohnung steht? Er sprudelt heraus, dass er Kinokarten habe, wohl die Preview für den neuen Scorsese-Film. Er wirft sich die Jacke über, sagt nervös, dass er das nie schaffen werde, und verschwindet, fairerweise ließ er noch Geld für sein Essen zurück.

Ich saß dann allein dort, vor mir mein Bier und meine Suppe, auf der anderen Tischseite das gleiche Bild, nur ohne Esser. Ich habe dann mein Buch ausgepackt, die extremst gute Rudolf-II.-Biografie von Gertrude von Schwarzenfeld (1. Aufl. 1961), und beim Lesen meine Suppe gegessen und langsam mein Bier geleert und später noch einen Schluck von San Andis Bier getrunken, die Suppe ging zurück. Ein Essen mit San Andreas.

Lost: 6. Staffel, 1. und 2. Folge

Paris, 25. Februar 2010, 08:00 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »LA X (Parts 1 + 2)«
Episode Number: 6.01+02 (#103+#104)
First Aired: February 2, 2010 (Tuesday)
Deutscher Titel: »Los Angeles (Teil 1 + 2)« (EA 17./24. 3. 2010)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

»Lost«, 6. Staffel, wir sind ein bisschen hinterher, auf geht’s.

Das Gute zuerst: Gleich zu Beginn dieser initialen Doppelfolge wird ein alternativer Zeitstrang eingeführt, diesmal ganz ohne Weißflash-Orgien. Auf dieser zusätzlichen Erzählebene stürzt der Flug Oceanic 815 nicht ab und kommt demzufolge also im September 2004 wohlbehalten in L.A. an, vielleicht als Ergebnis der Jughead-Explosion am Ende von Staffel 5. (Die Spiegel-Online-Recapper nennen es die »Nicht-Absturz-Welt«, diese Bezeichnung übernehme ich mal.)

Trotzdem läuft natürlich der 2007er Zeitstrang auch weiter, und da kommt mit dem Temple eine neue Insel-Location dazu, neue Klischeecharaktere, neues mystisches Geraune und Getue, und außerdem wird dort weiter am mythologischen Überbau gearbeitet (Jacob vs. böser Erzfeind).

Vor lauter Enträtselungssucht scheint den meisten zu entgehen, wie bescheuert sich auf dieser Ebene Plot und Charaktere entwickelt haben. Jack hat alle paar Minuten dieses angepisste Überraschungs­grinslachen im Gesicht. Ben ist vom coolen Machtbolzen zum Lutscher geworden, der nur noch blöd in den Kulissen herumlungert. Sawyer ist vom Slanger und Checker zum romantischen Vollpfosten abgestiegen. Mit andern Worten: Diesen ganzen Zeitreisemist der Vorgängerstaffel haben die Figuren nicht gut überstanden.

Unter den neu eingeführten Charakteren sticht sofort dieser nicht Englisch sprechen wollende Japaner hervor (wir werden erst am Ende von Folge 3 erfahren, dass er sich Dogen nennt). Der ist von Anfang an eine auf Big Mystery machende Klischeefigur à la »Lost«. Allein dieser kaftanartige Umhang, den er trägt und der aussieht wie eine billige Longjacke von Quelle. Dogen ist irgendwie der Häuptling einer versprengten Others-Gruppe, die im Temple residiert. Nebenbei, dieser Bau sieht aus wie eine Maya-Pyramide für Arme und wirkt so billig zusammengeklebt wie damals das Pappmaché-Drehrad, mit dem Ben die Insel hat verschwinden lassen.

Der »Lost«-Stil scheint endgültig an sein kreatives Ende gekommen zu sein. Schon 150 Mal wurde in der Serie jemand im Dschungel abgegriffen und irgendwohin abgeführt. Und das geht einfach so weiter. Dann finden durch diverse Umgruppierungen Leute wieder zusammen und fragen sich gegenseitig, wo sie gewesen sind, erhalten als Antwort dann aber nie mehr als irgendwelche ungenauen Mystikkommentare. Das, liebe Freunde, ist die totale ERZÄHLHÖLLE. Und man will gar nicht mehr darüber nachdenken, welche Pfeile am Figuren-Reißbrett wohin gezogen worden sind von den Autoren, um einerseits das Serienende eine weitere Staffel lang hinauszuzögern und die Serie dann andererseits irgendwie doch noch zu Ende zu schaukeln.

Aber der Reihe nach: drei Schauplätze, zwei Zeitebenen.

1. – Flugzeug und Flughafen, September 2004

In der Nicht-Absturz-Welt wird Oceanic 815 zwar von irgendeiner Luftwelle erfasst, aber es geht alles gut. Die »Lost«-Insel wird reibungslos überflogen, und das wissen wir so genau, weil die Kamera kurz auf Tauchfahrt geht, durch die Wolken hinab und bis auf den Meeresgrund hinunter, wo ein vom Wasser verschlucktes Dharma-Dorf durchflogen wird bis hin zum ebenfalls unter Wasser befindlichen vierzehigen Statutenfuß. Nicht so schlecht, das sieht dann gleich wie eine Atlantis-Story aus, mal sehen.

Ansonsten hat Jack an Bord einen kurzen Chat mit der Stewardess Cindy, die wir nachher auch auf der Insel unter einer Abordnung der Others wiedertreffen. Außerdem begegnet Jack noch kurz Desmond (»Do I know you from somwhere?«), der ja zeitgleich eigentlich einen Button im Hatch zu drücken hat. Und es gibt ein Wiedersehen mit dem am Ende von Staffel 3 abgesoffenen Charlie, der jetzt hier im Flugzeug bewusstlos auf der Toilette liegt und von Jack gerettet wird.

Irgendwann landet Oceanic 815 ganz normal in L.A., eine nachdenkliche-süß-saure Happy-End-Melodie setzt ein, alles wird in Zeitlupe getaucht.

Im zweiten Teil der Doppelfolge geht es im L.A.-Plot dann vor allem um Kates Flucht. Es gelingt ihr, den Marshal loszuwerden, sie klaubt sich noch seine Pistole und wuuuuush, weg ist sie. Sie flieht weiter in ein Taxi, wo neben ihr dann die schwangere Claire sitzt. Ansonsten ist nicht viel los auf dem Flughafen: Der Sarg von Jacks Vater ist abhanden gekommen. Der wartende Jack verfängt sich in ein Gespräch mit Locke und gibt ihm seine Visitenkarte mit Aussicht auf Hilfe für den Querschnittsgelähmten (»Nothing is irreversible!«).

2. – Auf der Insel, nach Jacks Atombombenabwurf

Falls der weiß aufgeblendete Bildschirm am Ende von Staffel 5 einer Detonation gleichzusetzen ist, dann war das eine physikalisch recht merkwürdige Angelegenheit. Denn der Stammcast liegt lediglich bewusstlos irgendwo im Dschungelgras herum und versammelt sich jetzt wieder, als sei nichts geschehen (Kate, Jin, Jack, Sawyer, Miles, später kommen Hurley und Sayid dazu). Sie finden dann auch noch die Überreste des zerstörten Swan-Hatch, der nach dem Atombomben-Incident im Jahr 1977 eigentlich gar nicht hätte gebaut werden dürfen.

Die an Goethes »Wahlverwandtschaften« angelehnte Vierecksstory zwischen Juliet, Sawyer, Kate und Jack wird auf die nächste Ebene gewuchtet. Sawyer ist jetzt nämlich sehr sauer auf Jack, weil er Juliet auf dem Gewissen habe. Noch aber ist Hoffnung, eifrig graben die gebeutelten Lostianer einem leisen Wimmern entgegen, und tatsächlich, Juliet ist blutüberströmt, wie sich das nach einem Sturz in den Brunnen und einer kurz darauf folgenden Atombombenexplosion gehört, hehe, lebt aber noch so ein bisschen.

Die Schreiber wollten hier ganz offensichtlich noch mal die unaushaltbar emotionale Abschiedsszene vom Ende der 5. Staffel wachrufen, die kam bei den Fans ja supergut an (cf. noch mal das sablog). Juliet und Sawyer knutschen jedenfalls, blutverschmiert und schweißgebadet, Kate schaut zu, Jack schaut zu, alle schauen zu. Dann stirbt Juliet doch noch, ca. eine Sekunde, bevor sie Sawyer noch etwas Ultrawichtiges sagen kann. Der saure Sawyer zu Jack: »You did this!«

Nachdem Sawyer Juliet begraben hat, sucht er die Nähe zu Miles, der ja auch als Transmitter für Nachrichten von Toten arbeitet. Er horcht ins Grab hinein: »It worked!«, das wollte Juliet noch gesagt haben kurz vor ihrem Tod. »What worked?«, will Sawyer wissen, und wir mit ihm, aber statt Miles weiter zu befragen, macht sich Sawyer von dannen, wie logisch!

Irgendwo um die Ecke hat die Kamera wieder mal ein wenig tiefgrünes Inselgras eingefangen, bis aus dem Nichts Jacob erscheint und Hurley um ein kurzes Gespräch bittet. Jacob, eigentlich ja von Ben ordnungs­gemäß gekillt und danach verbrannt, gibt hier, sicher nicht zum letzten Mal, den Deus ex machina und spornt Hurley mit wichtigen Anweisun­gen an. Außer Hurley könne ihn übrigens keiner sehen, meint Jacob noch, »because I died an hour ago«. Dieser Satz ist mindestens genauso schlecht wie Faradays einstiges »I’m from the future!« in Folge 5.14. Wie auch immer, Hurley soll Sayid zum Temple bringen, und die anderen, bis auf Sawyer und Miles, begleiten ihn selbstverständlich, Jin weiß, wo’s langgeht.

Sie erreichen ein altbekanntes Gemäuer mit einem Loch darin und steigen hinab. Im ersten Raum finden sie einen der toten Franzosen (Opfer des Rauchmonsterviechs), sie schütten einen Proviantsack aus, ein Buch von Kierkegaard ist darin, »Crainte et tremblement«, mal wieder das typische pseudointellektuelle Namedropping der »Lost«-Autoren. (Ist übrigens ein schönes kleines 100-Seiten-Buch, das wir auch in unseren Kanon der schönen kleinen 100-Seiten-Bücher aufgenommen haben.)

Während die Lostianer die unterirdischen Gänge durchforsten, werden sie wieder mal überfallen, nach draußen geführt und at gunpoint gehalten. Eine wieder neue Abteilung Waffennarren führt sie rüber zum Temple. Die dort dann dazueilenden Tempelritter haben auch die Stewardess Cindy unter sich, die ihren unfreundlichen Kompagnons mitteilt, dass die Neuankömmlinge aus dem »first plane« stammen, wie sie selber auch. Wie Cindy zu dieser Others-Abteilung gelangt ist, keine Ahnung.

Jedenfalls tritt als Anführer dieser Dogen auf und befiehlt die sofortige Erschießung aller Aufgegriffenen. Darauf Hurley: »Jacob sent us!« Und das ist die Rettung, das Zauberwort, allerdings nur gepaart mit dem Addendum: »He gave me that guitar case!« Im Gitarrenkoffer findet sich ein großes hölzernes Anch-Kreuz, vor dem sich der Japaner kurz verbeugt, bevor er es über dem Knie zerbricht und ihm einen Zettel entnimmt. Sayid muss gerettet werden! Das steht da angeblich. Sonst seien alle seriously fucked, auch die Tempelritter.

Im Inneren des Temples gibt es einen riesigen Whirlpool. Dogen schneidet sich die Hand auf und hält sie blutig ins Wasser. Danach wird Sayid gebadet, eine Art Mikwe vielleicht, aber dann sieht es doch nach klassischer Ersäufung aus, und dann scheint er auch tatsächlich abgenippelt zu sein.

Etwas später gibt Dogen dann den Klischeejapaner, der in seinen Privatgewölben seine Pflanzen zurechtschneidet. Hurley wird zu ihm gebracht und wundert sich, warum Dogen zwar Englisch versteht, es aber nicht spricht. Darauf eine coole Antwort: »I don’t like the way English tastes on my tongue!« Hurley verklickert Dogen und seinem Dolmetscher, dass Jacob tot sei, und sofort ist Action im Bienenstock! Eine rote Signalrakete wird abgesetzt, »to keep him out«, und da raten wir mal, wer das sein wird.

Als Cliffhanger der Doppelfolge gibt es einen von den Toten auferstehenden Sayid, der mit ultrabläädem Gesichtsausdruck fragt: »What happened?«

3. – Auf der Insel, am Strand beim Statuenrest

Und noch ein Schauplatz: Im Bunker unter dem Statuenrest hängen der Fake-Locke und ein konsternierter Ben herum, der mit seinem Mord an Jacob hadert: »Why didn’t he fight back?!« Draußen sieht Ben den Leichnam des echten Locke und tut verständnislos. Statt wie befohlen Richard mitzubringen, wird Ben von ein paar Gewehrleuten zurück in diese Bunkersituation gestoßen. Es sind Jacob-Leute, die auf den falschen Locke zu schießen beginnen, der aber irgendwann einfach weg ist und als Rauchmonster samt Klapperschlangengeräusch zurückgesaust kommt.

Jedenfalls schleudert das Black Smoke Monster die Jacob-Leute ein paar Mal um ihre eigenen Gedärme. Einer kann sich retten durch einen Kreis, den er um sich zieht, aber dann fällt er um, der arme Kerl, und wird vom Monster malträtiert. Richtig schlimm ist dann die Deutlichkeit, die dem Geschehen aufgepfropft wird. Der Fake-Locke sagt zu Ben, der das alles beobachtet hat: »Sorry you had to see me like that.« Man muss diese Aussage mal auf Deutsch hier hinschreiben, um den Horror der Explizitheit, der hier sicher noch nicht seinen Gipfel erreicht hat, nachzuvollziehen: »Äh, tschuldige, dass ich mich grad in ein Rauchmonster verwandeln und diese Typen durch die Luft schleudern musste, kommt nicht wieder vor.«

Im zweiten Teil der Folge äußert der Fake-Locke gegenüber Ben dann seinen dringlichsten Wunsch: »I want to go home!« Er ist also wahrscheinlich so eine Art E.T. des 21. Jahrhunderts, hehe. Aber egal, draußen sehen die Others um Richard die rote Signalrakete. Fake-Locke kommt dann aus dieser Bunkerhalle stolziert, haut Richard ordentlich zusammen, schultert ihn und trägt ihn davon. »I’m very disappointed, in all of you!«, schreit er der Strand-Crowd noch zu.

Soweit, Recap zur dritten Folge kommt morgen.