Das »Stuttgart 21« des 19. Jahrhunderts?
Baumschützer gegen Bahn —
Eine kleine Kulturgeschichte

Konstanz, 12. Februar 2011, 08:02 | von Marcuccio

Das beste Argument gegen »Stuttgart 21«? Ein Baum, sagen die Schlossgarten-Beschützer von Stuttgart. Und deswegen ja auch gestern wieder, wie jeden Freitag, Baum-Qi-Gong! Heute Abend dann übrigens Premiere des ersten S21-Theaterstücks: »Antigone 21«.

Das untrüglich Bildungsbürgerliche von Anti-S21 ist die andauernde kulturhistorische Selbstveredlung, ebenso wie die schamlose Beschlag­wortung der eigenen Protest-Aktivitäten. Das Vokabular reicht vom »Platz des himmlischen Friedens« bis zur »Klagemauer«, von der »Montagsdemo« bis zum Transparent »Von Tunis lernen«.

Keine Frage: Wutbürger sind vor allem Bildungsbürger, und sie haben verstanden, dass man die richtigen Keywords liefern muss, um die eigenen Belange kultur- und zeitgeschichtlich aufzuwerten.

Serpentara statt »Stuttgart 21«

Wenn’s aber wirklich bildungsbürgerlich zugehen soll, könnte man auch mal an die eisenbahnhistorischen Vorläufer von S21 erinnern. Baum­schützer gegen Bahnprojekt, das hat deutsche Tradition. Wer wissen will wo, sollte mal nach Olevano Romano fahren, »das kaputte Berg­nest« (Rolf Dieter Brinkmann, hehe) bei Rom. Gerade im Vorfrühling kann es dort schon sehr schön mild sein. Und wahrscheinlich genau deswegen hat die deutschrömische Künstlerkolonie früh Gefallen an dem Ort gefunden.

Besonders ein immergrünes Eichenwäldchen namens La Serpentara, zu deutsch Schlangenhain, hatte es den Landschaftsmalern der Romantik angetan. Ihre ästhetische Landnahme ging sogar so weit, dass sie sich dieses beliebte Motiv nicht abholzen lassen wollten, denn eigentlich stand dieses Eichenwäldchen kurz vor der Rodung: Aus dem Holz sollten Gleisschwellen für die Italienische Eisenbahn enstehen.

Edmund Kanoldt setzte sich 1873 erfolgreich an die Spitze der Bewegung gegen Serpentara 21. Die Abholzung konnte nicht nur verhindert, sondern das Waldstück durch Spenden der deutschen Künstlerschaft sogar gekauft werden. (Die Villa Massimo dankt es bis heute mit dem Villa-Serpentara-Stipendium.) Lebendiger Beleg für den Erfolg der Rettungsaktion ist eine Kanoldt-Zeichnung, die die Kunst­halle Karlsruhe erst letztes Jahr frisch erworben hat. Sie zeigt das Waldstück in einer mehr als geschickten Komposition:

Edmund Kanoldt: La Serpentara di Olevano, 1873

»Die Lenkung des Blicks auf die gerettete Serpentara wird durch eine Eintönigkeit in der Wiedergabe des Berghangs gegeben, wo Kanoldt in ruhigen Parallellinien die Modulierung des Geländes als lichtüberflutete Fläche darstellt – ein Hinweis auf landschaftliche Ödnis, die aus der Abholzung des Waldes resultieren würde?«

… fragt Regine Hess im Katalog der Karlsruher Ausstellung »Viaggio in Italia« (S. 248). Und noch ein Beweis, warum sich Katalogkäufe lohnen: Angeblich wurde die Kanoldt-Zeichnung für Max Jordan angefertigt, den damaligen Direktor der Berliner Nationalgalerie. Ob der in seinen Leipziger Italien-Vorlesungen noch zu letzten Spenden aufgerufen hat?

Irgendwann hat er »La Serpentara di Olevano« wahrscheinlich einfach mal grinsend auf den Overhead-Projektor gelegt, die Wald-Trophäe mit der triumphalen Bildinschrift: »Eigenthum der deutschen Künstler« steht da tatsächlich reingeschrieben, und wie zum Beweis sieht man ein kleines Männchen (mit Malerhut und Zeichenmappe?) auf dem Weg zum nächsten Motiv.

Alle Macht geht vom Künstlervolke aus, würden jetzt wohl auch die Parkschützer von Stuttgart skandieren. Und wenn der Stuttgarter Bauzaun (vulgo Klagemauer) soeben als »soziale Skulptur« ins baden-württembergische Haus der Geschichte aufgenommen wurde, dann ist der gerettete Eichen(!!!)hain von Serpentara ja wohl allemal ein Beuys-Ding. Nur eben knapp hundert Jahre avant la lettre.

(Bild: zeno.org)
 

N wie Nachruf

Konstanz, 8. Februar 2011, 23:19 | von Marcuccio

Jeder hat irgendwie schon mal die Geschichte vom Nachrufschreiber gehört, der beim Erscheinen des Nachrufs selbst schon tot war: »By the time Gerald Ford died in December 2006, his obituary writer had been dead for 11 months.« (slate.com)

Um diese Art der journalistischen Vorratsdatenspeicherung und um ein paar andere memorialkulturelle Aspekte geht es in der neuen Folge des Feuilleton-ABCs, »N wie Nachruf«, drüben in der »Welt«.
 

Vossianische Antonomasie (Teil 18)

Leipzig, 6. Februar 2011, 13:38 | von Paco

 

  1. ein Thukydides der DDR
  2. der Columbo von Altusried
  3. die New York Yankees der 2. Bundesliga
  4. der Bruce Chatwin der europäischen Peripherie
  5. der Jon Bon Jovi der Schwabenschlichter

Mit Dank an J. B. (#88) und M. H. (#90).

 

Regionalzeitung (Teil 42)

Leipzig, 1. Februar 2011, 13:27 | von Paco

 
  206.   sind wieder im Lande

  207.   in den wohlverdienten Ruhestand

  208.   ein Meister der genauen Beobachtung

  209.   die Weggefährten von einst

  210.   gibt sie mit einem Augenzwinkern zu
 

Geistzeit

Stanford, 28. Januar 2011, 08:19 | von Srifo

Es war die »Atemwolke« eines Mannes Ende sechzig mit Baskenmütze, die gerade in der »Zeit« (4/2011) die nötige Aura zum Ausrufen des philosophischen »Debattierbürgertums« geschaffen hat. In den mittel­grauen Luftzug hinein meldet der »aufgewühlte Herr« gegen Ende des kleinen Reports »Freie Geister im Café« (S. 41/42), dass er »nichts Konkretes« aus dem soeben von ihm in Bonn beigewohnten »148. phi­losophischen Café« mitnehme. Jedoch halle Tage später nach, was we­gen Wolkigkeit eben nicht sofort per Aufklärung auf Sicht gewonnen werden konnte.

Was der »Zeit«-Autor Christian Schüle da abhört, ist aber nicht das Gurgeln theoretischer Versinterung per se (um eins der schönen Wörter von Werner Spies zu klauen, ein anderes wäre »pastose Malmaterie«). Nein, er erzählt von etwas, das Hans Ulrich Gumbrecht vor einiger Zeit in der FAZ schon mal »eine neue Sensibilität für die Phänomene der Stimmung« genannt hat.

Zur Feier der philosophischen Verwolkung genehmigte Adorno dage­gen noch 1962 im »Merkur« eine grimmige Fürwörtertirade sich. Der Text »Wozu noch Philosophie«, dessen wohlgewählter Ton das Frage­zeichen macht – »eine Frage …, für deren Formulierung ich selbst ver­antwortlich bin« –, prustet vor kritischem Ärgernis über all das hirnlose Blahblah:

»Wären nicht alle positiven Redeweisen tief verdächtig geworden, so könnte man sich ausmalen, daß erst einem solchen zugleich freien und in sich reflektierten Bewußtsein das sich entfaltete, was die traditionelle Philosophie sich verbaute, indem sie sich selbst mit dem verwechselte, was sie deuten will.«

Gumbrecht liegt da gefühlt ähnlich, im Ton aber eher glucksend, wenn er vom »asketischen Selbstmitleid der Dekonstruktion« auf die Stimmung der Skepsis in der »›Literaturwissenschaft‹, wie man in Deutschland sagt«, kommt. Hier in Stanford hat er gerade ein Seminar zum anstehenden Stimmungsbuch gegeben. Unter dem (selbst von ihm als Romanist gepriesenen) gleißenden kalifornischen Licht verflog bei den Thomas-Mann-, Machado-de-Assis- und Heidegger(!)-Sitzungen dem Hirn jede wolkige, deutsche ›Stimmung‹, wobei gleichsam auf ewig klar wurde, was z. B. einen Bewohner der diesigen Oberrheinebene dazu bewegt, unter ›Geischt‹ auch Spirituosen zu zählen. Nebel, vernebelnd und benebelt liegen dicht (pardon) beieinander.

Zwischen Weinstüble und Silicon Valley wird jedenfalls die im Untertitel angemahnte Debatte »Über eine verdeckte Wirklichkeit der Literatur« ausgetragen werden. Ob Gumbrecht geplant hat, sein Buch mit dem Karnevalsschlüsselwort im Titel kurz vor der Fastnachtszeit zu veröffentlichen, werden hoffentlich die Rezensionen eruieren!

Putzig ist übrigens noch, wie das »Titelcomposing« auf der Frontseite der »Zeit« der Uffizienbüste des Aristoteles eine kalifornischen Yoga-Mom um den Hals geworfen hat (ihr Prius ist nicht zu sehen, vernünf­tigerweise). Stimmungsvoll schattet sich letztlich auch das Blutkarmin ihrer Lippen in den geheimnisvoll-violetten Schriftzug »Die neue Lust an Philosophie« ab.
 

Ganz viele Filme:
Das Kinojahr 2010

Hamburg, 26. Januar 2011, 01:25 | von San Andreas

Kinojahr 2010 Einklinker 480 Filme sind im vergangenen Jahr in deutschen Kinos gestartet, alle konnte man nicht sehen, wie immer musste man sich auf eine alte Kulturtechnik besinnen: die kluge Auswahl. Wobei es manchmal schwierig war, die Perlen zu orten. Wer vermutet schon hinter »Ein Sommer in New York« oder »Immer Drama mit Tamara« halbwegs gute Filme? Das Ergebnis jedenfalls ist wie in den Vorjahren (2009, 2008, 2007) der vermutlich einzige klickstreckenfreie Rückblick seiner Art.

Die Liste mit 40 Filmen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ist nicht viel mehr als der Versuch einer bescheidenen Retrospektive auf die Kinolandschaft von 2010. Es finden sich die unverpassbaren Knaller darunter, die jede Menge Presse bekommen haben, aber auch ungehobene Schätze, die mehr Aufmerksamkeit verdienen. Die Reihenfolge der Titel ist nicht von Belang (»Was? Hirschbiegel vor Affleck? Was soll das!!!«), es ist lediglich vorn ein Top-6-Spitzenfeld abgesetzt und hinten eine Gruppe von unerwartet schrottigen Filmen.

Zur ausführlichen Fassung geht es hier bzw. direkt über die einzelnen Titel:

5 Sterne
»Inception« (Christopher Nolan)
»A Serious Man« (Ethan Coen, Joel Coen)
»The Social Network« (David Fincher)
»Up in the Air« (Jason Reitman)
»A Single Man« (Tom Ford)
»El secreto de sus ojos« (Juan José Campanella)

4 Sterne
»Fantastic Mr. Fox« (Wes Anderson)
»Bad Lieutenant« (Werner Herzog)
»The Kids Are All Right« (Lisa Cholodenko)
»Let Me In« (Matt Reeves)
»Io sono l’amore« (Luca Guadagnino)
»The Visitor« (Thomas McCarthy)
»Shutter Island« (Martin Scorsese)
»The Messenger« (Oren Moverman)
»Exit Through The Gift Shop« (Banksy)
»Fish Tank« (Andrea Arnold)
»Un prophète« (Jacques Audiard)
»The American« (Anton Corbijn)
»Somewhere« (Sofia Coppola)
»Toy Story 3« (Lee Unkrich)
»The Last Station« (Michael Hoffman)
»Monsters« (Gareth Edwards)
»Precious« (Lee Daniels)
»Lebanon« (Samuel Maoz)
»The Ghost Writer« (Roman Polanski)
»Anvil! The Story of Anvil« (Sacha Gervasi)
»Moon« (Duncan Jones)
»Five Minutes of Heaven« (Oliver Hirschbiegel)
»The Town« (Ben Affleck)
»Sin Nombre« (Cary Fukunaga)
»Cyrus« (Jay Duplass, Mark Duplass)
»The Road« (John Hillcoat)
»How to Train Your Dragon« (Chris Sanders, Dean DeBlois)
»Please Give« (Nicole Holofcener)
»Crazy Heart« (Scott Cooper)

1 Stern
»Skyline« (Colin Strause, Greg Strause)
»The Tourist« (Florian Henckel von Donnersmarck)
»Clash of the Titans« (Louis Leterrier)
»The Wolfman« (Joe Johnston)
»Alice in Wonderland« (Tim Burton)

*

Das wär’s. Ach ja, zu folgenden Filmen steht hier nichts, sie sind aber auf jeden Fall auch eine Kinokarte wert: »Scott Pilgrim vs. the World« (Edgar Wright), »Micmacs à tire-larigot« (Jean-Pierre Jeunet), »Nowhere Boy« (Sam Taylor-Wood), »Tamara Drewe« (Stephen Frears), »Drei« (Tom Tykwer), »An Education« (Lone Scherfig), »Red« (Robert Schwentke), »Kick-Ass« (Matthew Vaughn), »Fair Game« (Doug Liman), »Le Refuge« (François Ozon), »Me and Orson Welles« (Richard Linklater), »Unstoppable« (Tony Scott), »Buried« (Ro­drigo Cortés).
 

Vorwort zum laufenden Feuilletonjahr (1/2011)

Leipzig, 25. Januar 2011, 07:50 | von Paco

Orangenhain

1. The Maulwurf has landed again, der aktuelle Preisträger und seine Vorgänger: 2010 Christopher Schmidt (SZ), 2009 Maxim Biller (FAS), 2008 Iris Radisch (ZEIT), 2007 Renate Meinhof (SZ), 2006 Mariusz Szczygieł (DIE PRESSE), 2005 Stephan Maus (SZ).

2. Und morgen früh folgt hier gleich der nächste feuilletonistische Shellshock, der übliche »prägnante Rückblick« (Grimme-Institut) auf das Kinojahr 2010. Prägnant auch deshalb, weil es weltweit wahrscheinlich der einzige klickstreckenfreie Rückblick sein wird, hehe. (Bisherige Ausgaben: 2009, 2008, 2007.)

3. Kurz darauf wird dann der neue Coen-Brothers-Film, der fünfzehnte, »True Grit«, hier genau abgezirkelt und lexikonisiert für die ewige Coen-Retrospektive des Umblätterers.

4. Ach Gottchen, Jonathan Lethem als ›Wikipedia-Kritiker‹, das ist ja überhaupt das neue Synonym für ›Warmduscher‹. (im »Atlantic«)

5. Eventuell schon der Satz des Jahres: »Kultur ist nichts, über das man wirklich vernünftig debattieren kann.« (Georg Diez bei SPON)

6. Aktueller Stand unserer Dauerserien: Kaffeehaus des Monats (Teil 59), Regionalzeitung (Teil 41), Vossianische Antonomasie (Teil 17). Fortsetzungen folgen.

7. Harald Schmidt: »Das muss ich unbedingt fragen! Wie spricht man ›Jorge Luis Borges‹ aus?« – Sol Gabetta: »Genau so!«

8. »Der Perlentaucher hatte geschrieben: Sex brennt, und ich hatte die Worte dort gelesen: flammendes Enkomion. So war das eigentlich, wortmäßig jedenfalls, ein ganz bestimmt ganz schöner Tag gewesen.« (Goetz, Klage, S. 420)

9. Bis morgen früh.
 

S wie Salonkultur

Konstanz, 24. Januar 2011, 21:49 | von Marcuccio

Hilde Domin war mal so gefesselt von ihrer Tucholsky-Lektüre, dass sie sich unter der Trockenhaube fast den Kopf verbrannt hat. Das erzählt sie in dem Dokumentarfilm »Ich will dich« von Anna Ditges (2007), wo sie dann in einer wunderbaren Szene als nunmehr alte Dame in einem Salon sitzt, wieder unter der Trockenhaube, und das FAZ-Feuilleton studiert. Neben ihr ein Biene-Maja-Aufkleber auf dem Frisierwagen.

Davon unter anderem handelt also die nächste Folge des feuilletonis­tischen Abécédaires: »S wie Salonkultur«, drüben in der »Welt«.
 

Im Space-Shop am Bremer Flughafen

Hamburg, 21. Januar 2011, 08:28 | von Dique

Was bisher geschah: Ein Tag im August 2010, ich bin zusammen mit Richard Deiss auf einer seiner Buchladentouren. In der Buchhandlung Schaumburg in Stade sind wir schon gewesen, in der Buchhandlung Thye in Oldenburg ebenfalls.

Und eigentlich wollen wir nun ein sehr verspätetes Mittagessen einnehmen. Es ist inzwischen kurz nach vier, und Richard hat die Idee, doch noch schnell auf den Bremer Flughafen zu fahren, um den dortigen Space-Shop zu besuchen.

Zum Essen also wieder keine Gelegenheit, obwohl ich bereits sehr großen Hunger habe, weit über das Maß hinaus, das man noch mit einem kleinen Snack zumindest kurzfristig verringern könnte. Ich lasse mich trotzdem auf Bremen vertrösten, durch die unfassbare Rationalität der Feststellung, dass es dann sowieso auch genau die richtige Zeit zum Abendessen sei.

Eigentlich weiß Richard gar nicht, ob es sich bei diesem Space-Shop überhaupt um einen würdigen Buchladen handelt, er hat sich das aber irgendwie erschlossen, unter anderem auch durch die Lektüre der Flughafenwebsite:

»Der Space-Shop in der Bremenhalle bietet Artikel und Literatur über Luft- und Raumfahrt, sowie Flugzeugmodelle und Souvenirs an.«

Kein reiner Buchladen also. Vielleicht reicht es aber trotzdem, vielleicht gibt es ein paar qualitative verlegerische Höhepunkte da zu kaufen, damit der Laden in das berühmte, von Deiss bei BoD verlegte Werk »Kaufhaus der Worte – 222 Buchläden, die man kennen sollte« aufgenommen werden kann.

Der Besitzerin werden gute Beziehungen zur NASA nachgesagt. Eine Menge spaciger Utensilien und natürlich jede Menge Bücher zum Thema gehören zum Erwartbaren, alles eben sehr spezialisiert, und Spezialbuchhandlungen findet Richard Deiss extremst interessant. In der »Welt« hieß es einmal über den Bremer Space-Shop und seine Inhaberin Birgit Fitch:

»Birgit Fitch verkauft Raumfahrtbegeisterten Souvenirs aus dem Weltall. Meteoritenstücke, Astronautenessen und Münzen aus geflogenem Space-Shuttle-Material gibt es in ihrem Space Shop am Bremer Flughafen. Ihre Verkaufsschlager bezieht sie direkt von der Nasa sowie von einem Lieferanten der US-Weltraumbehörde.«

Pünktlich erreichen wir den Bremer Hauptbahnhof, es ist kurz nach fünf. Wir nehmen ein Taxi und rauschen zum Flughafen, viel Zeit bleibt nicht bis Ladenschluss. Den Space-Shop kennt der freundliche Taxifahrer nicht, setzt uns aber direkt »bei den Geschäften« ab, da wird der Shop schon sein.

Eine junge Frau von der Wechselstube weist uns den Weg in den ersten Stock, in dem sich dann der Space-Shop tatsächlich befindet. Es ist ein ultrakleiner Laden, eine kleine Box aus Glas, gefüllt mit Klimbim rund um die Raumfahrt, Meteoritengestein, irgendwelchen Gegenständen und Medaillen aus Space-Shuttle-Resten.

Alles spärlich eingerichtet und befüllt. Mein Interesse an Raumfahrt ist zwar sowieso sehr gering, aber ich bin mir sicher, dass es zum Thema die schönste Literatur und die prächtigsten Bildbände geben muss. Und Bücher gibt es hier auch, etwa zwei Hände voll, und sie sehen aber so aus wie diese in bunten Kunststoff geschlagenen Bildbände, die man für 5 Euro im Eingangsbereich bei Hugendubel mitnehmen kann, im Stil der »WAS IST WAS«-Reihe, nur unspannender und irgendwie angestaubt. Lieblos liegen sie irgendwo im Seitenfenster herum.

Auch die übrigen Artikel wirken ungeheuer belanglos, aber das ist gar nicht das Schlimmste. Ich habe inzwischen einfach auf eine sehr ursprüngliche Art Hunger. Ich erinnere mich an MIR-Astronautennahrung, die es hier natürlich tatsächlich geben könnte, und träume von einer Scheibe Atombrot mit Anchovispaste. Unterdessen muss Richard Deiss irgendetwas kaufen, irgendetwas aus Weltraumschrott Hergestelltes, eine Vollzugshandlung, denn er ist ja nun mal extra hergekommen.

Mit der Straßenbahn zurück in die Stadt, der Space-Shop ist schnell vergessen, denn endlich gibt es etwas zu essen, direkt an der Schlachte. Der Wind kräuselt die Weser, der Oberkellner serviert eine Suppe.

Richard muss weiter, und als er sich verabschiedet hat, blättere ich unkonzentriert und ziellos ein paar Zeitungen durch und steige dann in den Zug nach Hamburg.

Ein paar Tage später schreibt mir Richard, dass er an diesem Wochenende insgesamt ein Dutzend Buchläden besucht hat, ein Dutzend, und ich bekomme plötzlich Hunger, riesengroßen Hunger, als ich das lese.
 

Z wie Zeitungsname

Konstanz, 20. Januar 2011, 11:03 | von Marcuccio

Zeitungsspitznamen (»Prantl-Prawda«) wären natürlich auch mal ein Thema gewesen, aber in Ballung wird das schnell zur Freakshow, siehe die Raterunde zur »Rentner-Bravo« damals bei SPON.

»Z wie Zeitungsname«, schon vor zwei Wochen drüben bei der »Welt« erschienen, handelt von den Tücken, Zeitungen beim ganz normalen Namen zu nennen oder eben abzukürzen. So wie das »Pastewka« versucht hat, gleich zu Beginn der Folge »Die Saunabürste« (2007):

(Im Zeitungsladen.)
Pastewka: Guten Morgen, ich hätt gern einen Stadtanzeiger, eine WAMS und eine FAS, bitte.
Verkäufer: D-die was?
Pastewka: Die FAS. Die ›Frankfurter Allgemeine Sonntags­zeitung‹. Und WAMS ist ›Welt am Sonntag‹, WAMMMS! Ist die Abkürzung.
Verkäufer: Ah. Wusst ich nicht. Kann man eijentlich auch gleich ›Welt am Sonntag‹ sagen. Mit der Erklärung, das dauert doch viel länger.
Pastewka: Jaaa, das hat aber jetzt nur so lange gedauert, weil Sie … (usw.)