Bei Sotheby’s

London, 22. Juni 2008, 23:58 | von Dique

Gestern MIA. im Goethe-Institut. Das ist immer so geil bei diesen deutschen Bands, die auf deutsch singen und zu denen hier auch nur deutsche Expats gehen, die eine Handvoll britischer Freunde mitschleifen, weswegen die Bands dann immer auf Englisch reden. »We are the group MIA. from Berlin.« The group MIA., hehe.

Zum Ausgleich für gestern dann heute ein bisschen Kultur (hehe) bei Sotheby’s, Modern and Contemporary Art Sales Preview. Ziemlich geiles Zeug überraschenderweise, zwei dieser abgeschliffen wirkenden Richter-Leinwände, eine in kleinem Format. Und wie immer Lucio Fontanas unifarbene Leinwände mit Schlitzen, die mich in ihrer Simplizität immer mehr begeistern.

Das Gleiche kann ich von Piero Manzoni sagen, ein weißer Rahmen, darin 30 Quadrate aus weißer Dämmwolle, super. Der Hit sind aber Anish Kapoor und sein ca. 2 Meter großer Alabasterblock, in den hinten und vorn ein großes Loch hineingefräst ist. Auch hier bestechen die Schlichtheit und das wunderbare Material. Nach dem Hit noch der Knüller, die »Danseuse« von Gino Severini, eine in gelb, grün, rosa und hellblau leuchtende futuristische Tänzerin, so schön, hat aber auch einen Schätzwert zwischen 7 und 10.000.000 britischen Pfund.

Gerade rüber, bei Partridge, läuft momentan ein Hammer Sale, Correggio, Pontormo, Reni, Preti, Allori und: Parmigianino. Ein Porträt. Im Katalog vergleichen sie es mit dem Kunsthändler-Porträt in der National Gallery, allerdings wegen der Form des Hutes und der daraus folgenden Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Position des Porträtierten, es ist nämlich lange nicht so schön, aber eben ein typisches seiner Porträts.

Und der Preis? »Fern jeder Schätzung«, sage ich da Mal mit Vincent Ludwig, der Frank Drebin mit diesem Satz in »Die nackte Kanone« ein paar japanische Zierfische zeigt, welche Frank kurze Zeit später mit einem Füllfederhalter, dessen Feder nur durch Wasser zerstörbar ist, aufspießen wird.

Dann Treffen mit Paco, der die FAS verschlampt hat, Mann, was soll ich heut abend lesen.

Die FAS vom 22. 6. 2008:
Maschinenwinter am Strand

London, 22. Juni 2008, 19:36 | von Paco

Abbildung:
Holbein d. J., »Der Leichnam Christi im Grabe« (1521), Kunstmuseum Basel.

Es ist das wohl horizontalste Gemälde der Kunstgeschichte. Rainald Goetz hat Holbeins Christus gerade aufrecht in die rechte Seitenleiste seines »Klage«-Blogs hingestellt. Der Witz dabei ist, dass er so einerseits Abschied feiert, denn »Klage« ist zumindest in Blog-Gestalt inzwischen auch eine Art Leichnam und wird im Herbst bei Suhrkamp als Buch erscheinen. Andererseits zeigt er mit dem aufrecht hingepappten Bild gleich mal allen den Finger, denn der tote Christus hält auf Holbeins Bild den Mittelfinger aus dem Fingerensemble hervorgestreckt wie ein Aggro-Rapper auf Provo-Tour in der »Bravo«.

Das sollte man einfach mal als unmittelbare Reaktion auf Nils Minkmars unfeinen Verriss im Aufmacher des heutigen FAS-Feuilletons deuten (S. 21). Es ist aber auch schwer, noch irgendwas Wichtiges zu »Klage« zu sagen, nachdem Burkhard Müller den treffendsten, eventuell sogar bestmöglichen Text zu Goetz‘ Projekt schon veröffentlicht hat, in der S-Zeitung vom 28. 5. (»Zeitgenosse des Jahres«). Nur in der Kategorie »best supporting author« war noch was zu reißen, doch dieser Posten ist inzwischen von Joachim Lottmann mit einem der üblichen Mocking-Berichte zur gestrigen »Klage«-Abschiedsparty besetzt worden.

Dann empfiehlt die Feuilleton-Redaktion noch Bücher für den Sommer (S. 22). Peter Richter will sich ausgerechnet Dietmar Daths »Maschinenwinter« mit an den Strand nehmen, eine gute Idee auf jeden Fall, und so begründet er seine Wahl: »Weil ich ›Weltall – Erde – Mensch‹ schon kenne.« Sehr gut, der Jugendweihe-Klopper hätte auch in keinen Strandkorb reingepasst, hehe.

Zu mehr bin ich diesmal nicht gekommen, denn der Wind erfasste irgendwann die einzelnen Teile der FAS und trug sie davon. Und es war so so heiß, selbst im gewaltigen Baumschattenreich von Hampstead Heath, dass wir viel zu träge waren, um der FAS hinterherzulaufen.

Der Verlust der Sonntagszeitung ist auch deshalb schlimm, weil im morgen erscheinenden »Spiegel« nichts drinsteht, und vor allem der »Kultur«-Teil bildet hier mal wieder die Speerspitze. Vielleicht habe ich dann nächste Woche endlich mal Zeit, die für hier geplante Serie »Feuilleton und Pornografie« zuende zu schreiben.

Slayer und Caravaggio

London, 21. Juni 2008, 18:21 | von Dique

Ich höre gerade Possessed, diesen völlig geilen 80er-Jahre-Death-Metal. Es ist die erste Scheibe, »Seven Churches« von 1985, und die ist so hammergut. Der Nachfolger »Beyond the Gates« ist nicht der Rede wert und nach einer darauf folgenden EP, die ich nicht kenne, barst die Band Ende der 80er auseinander.

Ich habe »Seven Churches« seit 15 Jahren nicht gehört, oder länger, und nun zufällig an diesem römischen Antiquariatsstand geangelt. Dieser Hammerstoff haut einen immer noch um. Er ist ein bisschen ein anderes Kaliber, aber grundsätzlich nicht schlechter als das 85er Slayer-Album »Hell Awaits«.

Das war die erste Slayer-Platte von ungeheurer Qualität, viel reifer als »Show No Mercy«, die Debütscheibe von 83, die noch sehr Speed-Metal-mäßig war.

Dazwischen gab es noch zwei EPs, »Haunting the Chapel« und das gefakte Live-Album »Live Undead«, na ja, nicht erwähnenswert dieser Schrott, wobei die Live-Version von »Die By The Sword« schon was hat.

Nach »Hell Awaits« kam dann 86 das unschlagbare Album »Reign in Blood«, unerreicht in seiner Qualität, jedenfalls nicht mehr von Slayer. Die Band wusste das selber und trieb sich danach in für ihre Maßstäbe seichteren Gewässern herum, mit den ruhigeren Alben »South of Heaven« und »Seasons in the Abyss«.

Erst Sepultura konnte 91 mit »Arise« aufschließen, obwohl hier gern, nicht ganz unberechtigt, der Kopiervorwurf kommt. Die Stücke sind länger als die der »Reign in Blood«, aber sie werden ähnlich hart und gnadenlos durchgeprügelt.

Und da bin ich dann wieder bei Caravaggio, denn Hughes sagt in der vorgestern von Paco erwähnten Doku, dass erst ein Rembrandt oder ein Velázquez wieder an Caravaggio anknüpfen konnte, den Faden aufnehmen und weiterspinnen, und Recht hat er:

»Now in the event all that the Caravaggisti could imitate was the shell and stage props of Caravaggio’s work. And the real lesson to be drawn from his art, that extraordinary overlap between epiphanies and ordinary substances needed a Velázquez, or a Georges de la Tour, or a Rembrandt to carry it on and complete it.«

Der Link auf Velázquez ist natürlich klar, und überhaupt wäre das »goldene Zeitalter« der spanischen Malerei ohne Caravaggio kaum denkbar. Lange dachte ich ganz vage, dass Ribera die wichtigste Verbindung zu dessen Stil war, der zwar in Spanien geboren wurde, sich aber lange in Neapel aufhielt, wie Caravaggio.

In Neapel wurde die Hell-Dunkel-Malerei, das Chiaroscuro, ziemlich kultiviert, viele der so genannten Caravaggisti stammen aus dieser Gegend. Aber ein viel wichtigeres Bindeglied von Italien nach Spanien ist, zumindest nach Jonathan Brown (»Painting in Spain, 1500-1700«, 1998), Juan Bautista Maíno, der noch zu Caravaggios Lebzeiten 8 Jahre in Italien verbrachte.

Fazit: Es brauchte einen Rembrandt und einen Velázquez (und Georges de la Tour, jawohl!), um den Caravaggio-Style wirklich weiterzutreiben, und weniger die ungezählten Caravaggisti, und so ist das auch bei Slayer und Sepultura, und das kann man doch einfach mal so in den Raum stellen, als eine Art »useful bon mot«, wie neulich jemand sagte.

»Harzreise im Sommer«:
Gustav Seibt auf der Suche nach Andacht

London, 20. Juni 2008, 07:28 | von Paco

AAACHTUNG! Ich bin Gustav Seibt und suche Andacht! Und Kuchen! Im Osten! Das scheint das Motto des Autors zu sein. Es geht um den reportageartigen Artikel »Harzreise im Sommer«, der in der S-Zeitung vom 9. Juni veröffentlicht wurde (S. 11). Er ist leider mal wieder nicht im Netz, nur beim Perlentaucher, im DLF-»Fazit«, auf Spreeblick und in der »jungen welt« gibt es Spurenelemente des Textes.

Seibt war in osteutschen Kirchen unterwegs, vor allem in »Sachsen-Anstalt« (Oliver Kalkofe) und Brandenburg, und beschreibt nun seine Abenteuer. Leider ist seine Studie nicht religionssoziologisch unterfüttert: Dass die DDR nun mal im protestantischen Kernland stattfand und das eben Folgen hatte, scheint ihm entgangen zu sein, und daher klingt sein Text wohl auch so verschnupft. Es ist auch unklar, an wen er jetzt genau gerichtet sein soll, es handelt sich eher um einen langen pingeligen Eintrag ins Gästebuch ostdeutscher Hotels, Kirchen und Museen.

Die Überschrift

Gabriel, der Überschriftenerfinder, von dem hier ab und zu die Rede ist, fiel der Text schon wegen der selten misslungenen Überschrift auf: »Für SZ-Verhältnisse ein schlimmer Fauxpas.« Sowas hatte er noch nie gesagt.

»Harzreise im Sommer«, das spielt natürlich auf Heinrich Heines »Harzreise« an und gleichzeitig aber irgendwie auch auf dessen »Deutschland, ein Wintermärchen«. Offenbar hat der zuständige Überschriftenredakteur diese beiden Dinge durcheinandergebracht. Denn Heine unternahm seine Harzreise im September 1824, also irgendwo zwischen Spätsommer und Herbstanfang. »Harzreise IM SOMMER« suggeriert nun aber, dass irgendjemand Berühmtes mal eine »Harzreise im Winter« unternommen hat, was ja nicht der Fall ist.

(Edit: An alle Seibtologen! Der gerade gelesene Witz wird in den Kommentaren so halb erklärt – thanks to our all-too anonymous readers. Der Spaß hat auch mit den »10 Sekunden Googeln« zu tun, um die es hier gleich noch geht.)

Auf lustig geschrieben

Zurück zum Text. Seibt beschwert sich an mehreren Stellen über den Eintritt, der in vielen Kirchen zu entrichten ist. Er stellt das als ostdeutsches Phänomen dar. In Italien, nur mal als Beispiel, kann man aber auch öfters ordentlich was bezahlen für eine Kirchen­besichtigung, teilweise sogar doppelt, wie Niklas Luhmann mal irgwendwo in einer Fußnote berichtet hat.

Seibts Text ist trotz des vorherrschenden Unmuts auch erkennbar auf lustig geschrieben:

»Sachsen-Anhalt bezeichnet sich auf Schautafeln am Wegrand als ›Land der Frühaufsteher‹, das aber heißt: Kirchen und Museen schließen dort einvernehmlich um 17.00 Uhr, es gilt der Stundenplan des Kollektivs, ausgeschlafen wird nicht, und am Abend herrscht die Ruhe der Toten. Andacht am Feierabend ist nicht vorgesehen.«

Also DDR-Relikte-Bashing, und warum auch nicht, das kann Gustav Seibt ja auf jeden Fall machen. Nur stimmt es nicht mal, was er schreibt. Jetzt werde ich zwar etwas pfennigfuchsig, aber schon 10 Sekunden Googeln bringen ans Licht, dass die Dome in Magdeburg, Merseburg, Naumburg und Quedlinburg länger geöffnet haben, außerdem die Hallenser Laurentiuskirche, St. Bonifatius und St. Marien in Bernburg, St. Peter und Paul in Dessau, um nur mal eine Handvoll zu nennen. Die 10 Sekunden Googeln hätten die gesamte Textstelle zunichte gemacht, denn »17 Uhr« klingt einfach untouristischer und muss eben die Stoßrichtung des Textes stützen.

Okay, vielleicht schießen die gegoogelten Schließzeiten etwas übers Ziel hinaus, aber man kann schon mal darauf hinweisen, dass es ein wenig unlauter ist, aus einem allgemeinen ein ostdeutsches Phänomen zu machen. Als Abgleich wieder der Blick nach Italien, wo Kirchen oft nur bis 13.00 Uhr geöffnet haben, und das war’s dann für den ganzen Tag. Let’s call it Entchristiani­sierung, wie Seibt das tut, hehe.

Dann noch zur Kuchenepisode:

»Jeder französische Kleinstadtbäcker würde vor Scham im Boden versinken vor dem, was im Harz als ›selbstgemachter Kuchen‹ angeboten wird: ein labberiger Fertigboden mit Erdbeeren belegt und von einer dicken Gelatineglasur geschmackstötend zugekleistert.«

Über diese Stelle hat sich schon das DLF-»Fazit« mokiert, ich kenne aber mindestens zwei Leute, die Fans dieser Textpassage sind. Alles in allem ist Seibts Unmutstext ein würdiger Kandidat für den besten schlechten Text des Jahres, so wie weiland Christine Dössels Lawinky-Porträt.

Übrigens scheint Seibt doch ab und zu auch ein Freund ostdeutscher Landpartien zu sein, mir fällt da spontan sein Artikel vom letzten Jahr ein (SZ, 6. 9. 2007), der zwischen Wittenberg und Weimar die »Toskana« Deutschlands ausmachte. Da war er entschieden besser gelaunt im Mitteldeutschen unterwegs, schrieb aber auch nicht über Kirchen und ihre Öffnungszeiten.

Robert Hughes: Caravaggio (1975)

London, 19. Juni 2008, 08:29 | von Paco

Giorgio Vasari hat leider nicht lange genug gelebt, um auch die Vita des Caravaggio zu beschreiben. Also hat das der herrliche Robert Hughes mehr als 350 Jahre nach C.s Tod übernommen, natürlich nicht als Erster oder Einziger, aber als einer der kurzweiligsten Biographers.

In Vorbereitung auf den Italien-Betriebsausflug der Umblätterer-Squadra hatte ich mir noch mal Hughes‘ TV-Doku »Caravaggio« angesehen, die 75 Minuten lang ist und auch irgendwo in 7 Teilen auf YouTube rumfliegt.

In der Doku sehen wir Hughes in Jeans auftreten, in einem weiß-rosa Streifenhemd, manchmal mit einer Jeansjacke drüber, und einem fetten Staubwedel als Frisur (es waren die 70er). Damit mag der Porträtist heute wie ein Hallodri wirken – kunsthistorisch gesehen macht Hughes auf alte Schule: Der Australien-born Kunstkritiker und langjährige »Time«-Autor hatte in einem Interview vom Mai 1997 mal jeglichen Kommentar zu interaktiver Videokunst und dergleichen abgelehnt, mit den Worten: »I just don’t know. I’m a print asshole. I’m a paint boy.« (salon.com)

In seiner Annäherung an Michelangelo Merisi weist er zunächst jegliche biografische Sicherheiten von sich: »We don’t know how or why Caravaggio became a painter.« Mehrfach lobt er dann überschwänglich die realistische Malweise und den plastischen Eindruck, den bestimmte Gemäldeausschnitte beim Betrachter hinterlassen – diese Effekte sind auch ungeschulten Museumsbesuchern sofort vermittelbar und dürften noch immer erheblich zur Vermittelbarkeit und Popularität des Malers beitragen.

Ich selber habe vor einigen Jahren das Gerücht gehört, dass sich vor dem »Supper at Emmaus« in der Londoner National Gallery mal jemand am visuell herausgestreckten Ellenbogen des links vom Betrachter sitzenden Tischgenossen gestoßen haben soll. Hughes zeigt uns nun dieselbe Stelle und weist auf die Löchrigkeit der aus dem Bild ragenden Kleidung hin.

Dann wird Caravaggio von Hughes vor allem noch als »connaisseur of violence« verstanden. Dafür wird uns das »Sacrifice of Isaac« präsentiert. In der Uffizien-Variante des Themas drückt Abraham seinen Sohn derb gegen den Boden: »Only a connaisseur of violence would show you that thick implacable thumb forcing Isaac’s head down on the altar, and that squalling mouth.«

Als weiteres Beispiel führt Hughes das Blutrunst-Bild schlechthin an, die Judith, wie sie Holofernes den Kopf bereits zur Hälfte abgeschnitten hat (im Palazzo Barberini, neulich schon von Dique erwähnt). Sowas widersprach natürlich dem Decorum-Gedanken der Kirchenleute, das ist was ganz anderes als Gerhard Richters bunte Glasfenster für den Kölner Dom, hehe.

Und dann ist die Hughes-Doku auch noch ein Stelldichein dieser britischen Überbetonung und beschert uns folgende Klangerlebnisse, ganz im Sinne des neulich beobachteten graw-tsee-yeah und des Titelhelden der Doku selber, »Kerewartscho«:

  • Majkilendschelo.
  • Tischen.
  • Louränsoh Lattoh.
  • Dschordschionäj.

Usw.

Mit Thomas Bernhard auf NZZ-Rallye

Konstanz, 18. Juni 2008, 07:05 | von Marcuccio

Wir Umblätterer tun ja viel, um an unseren Stoff zu kommen: Wir stellen uns dem Tauben-Terror und teilen brüderlich den »Spiegel«. Aber bei aller Passion haben wir immer noch ein unerreichtes Role Model: Thomas Bernhard.

»Und es ist mir damals auch klargeworden, daß ein Geistesmensch nicht an einem Ort existieren kann, in dem er die Neue Zürcher Zeitung nicht bekommt. (…) Wir sollten uns nur immer da aufhalten, wo wir wenigstens die Neue Zürcher Zeitung bekommen (…).«

Was sich hier und heute wie ein bestelltes Testimonial-Statement liest, steht so tatsächlich in »Wittgensteins Neffe« (Suhrkamp-Ausgabe von 1982, S. 90) und kündet von weiland echter Not: Denn erstens gab es damals weder NZZglobal noch Perlentaucher noch sonstige Netz-Dienstleistungen des »betreuten Lesens« (Kathrin Passig). Und zweitens war die papierne NZZ in Österreich seinerzeit wohl wirklich nicht an jeder Ecke erhältlich. »Jedenfalls«, so Bernhard, »nicht an jedem Tag und gerade dann, wenn man sie unbedingt braucht.«

km 0

Einmal aber, schreibt Bernhard in »Wittgensteins Neffe«,

»(…) hatte ich die Neue Zürcher Zeitung haben müssen, ich wollte einen Aufsatz über die Mozartsche Zaide, der in der Neuen Zürcher Zeitung angekündigt gewesen war, lesen und da ich die Neue Zürcher Zeitung, wie ich glaubte, nur in Salzburg, das von hier achtzig Kilometer weit weg ist, bekommen kann, bin ich im Auto einer Freundin mit dem Paul um die Neue Zürcher Zeitung nach Salzburg, in die sogenannte weltberühmte Festspielstadt gefahren. Aber in Salzburg habe ich die Neue Zürcher Zeitung nicht bekommen. Da hatte ich die Idee, mir die Neue Zürcher Zeitung in Bad Reichenhall zu holen und wir sind nach Bad Reichenhall gefahren, in den weltberühmten Kurort. Aber auch in Bad Reichenhall habe ich die Neue Zürcher Zeitung nicht bekommen und so fuhren wir enttäuscht nach Nathal zurück. Als wir aber schon kurz vor Nathal waren, meinte der Paul plötzlich, wir sollten nach Bad Hall fahren, in den weltberühmten Kurort, denn dort bekämen wir mit Sicherheit die Neue Zürcher Zeitung und also den Aufsatz über die Zaide und wir sind tatsächlich die achtzig Kilometer von Nathal nach Bad Hall gefahren. Aber auch in Bad Hall bekamen wir die Neue Zürcher Zeitung nicht. Da es von Bad Hall nach Steyr nur ein Katzensprung ist, zwanzig Kilometer, fuhren wir auch noch nach Steyr (…)« usw. usf. (S. 88)

Man mag die absatzlose Rallye kaum unterbrechen, um raffend zu erwähnen, dass es bei dieser ganzen erfolglosen NZZ-Besorgungsfahrt noch »durch halb Oberösterreich und bis nach Bayern« ging. Gleichzeitig läuft Bernhards Österreich-Zorn, sein »Zorn gegen dieses rückständige, bornierte, hinterwäldlerische, gleichzeitig abstoßend größenwahnsinnige Land«, in dem noch nicht mal eine ordentliche Zeitung zu bekommen ist, mal wieder zur Hochform auf.

km 350

Am Ende sind es dann wirklich »dreihunderfünfzig Kilometer« geworden, noch dazu, »das muss ausdrücklich gesagt werden, in einem offenen Auto, was unweigerlich eine wochenlang anhaltende Verkühlung von uns dreien zur Folge gehabt hatte«.

Der vermutlich längste, auf jeden Fall atemloseste Zeitungs­einkaufsversuch der deutschen Literatur. Und alles wegen eines einzigen Artikels über die Zaide.

»Ich habe den Aufsatz längst vergessen und ich habe naturgemäß auch ohne diesen Aufsatz überlebt. Aber im Augenblick hatte ich geglaubt, ihn haben zu müssen.« (S. 91)

That’s true passion for the paper. Das ist Umblättern. Wer das nächste Mal zu faul für den Sonntagsspaziergang zur FAS-Ausgabestelle ist, denke gefälligst an den Bernhard’schen Roadmovie.

Mit der FAS und Cy Twombly nach Ciampino

wieder in London, 17. Juni 2008, 10:06 | von Dique

Wir standen im Palazzo Barberini und schauten uns an, wie Judith dem Holofernes angewidert den Kopf abtrennt, angestachelt von dieser bösen Alten im Hintergrund, die ein Tuch für den bevor­stehenden Schädel bereithält. Das klingt ja fast ein bisschen nach einer neuen Massakerminiatur von Kollege John Roxton. Ich rede aber von Caravaggio, der für sein visuelles Ölmassaker das gleiche Model wie für seine Katharina im Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid verwen­dete. Das sage ich mal so aus dem Hut heraus, ohne nachzulesen.

À propos Lesen, die FAS schleppten wir noch weitgehend ungenutzt umher, doch dann wurde mitten im Barbarini-Palast doch mal ins Feuilleton geschielt. Als Aufmacher (S. 25) gibt es ein riesiges Tilda-Swinton-Foto, das auch ein bisschen caravaggista aussieht, und oben drüber steht: »Mein Beruf ist ganz einfach«. Da blätterte ich ganz einfach mal weiter. Das Interview taugt maximal als Ernstfallbackup.

Auf S. 27 bewunderten wir die gute Arbeit der Anzeigenredaktion. Unter Nils Minkmars Artikel über George W. Bush und den Anwalt, der ihn nach seiner Amtszeit wegen Mordes verklagen will, prangt eine große Anzeige für Obamas Buch »Hoffnung wagen«. Well done.

Auf S. 29 dann eines der seltenen Interviews mit Cy Twombly. Das hat die FAS aber nicht selber geführt, sondern druckt einen Auszug des Gesprächs, das der Tate-Direktor Nicholas Serota aufgezeichnet hat (vor 2 Wochen gab es auch schon im »Guardian« eine Kurzfassung davon). »Der große Cy Twombly über seine noch größere Kunst« steht übrigens im Untertitel der FAS-Version. Ich muss aber gestehen, dass ich mit ihm wenig anfangen kann, und das Interview, wie selten es auch sein mag, verschafft auch keine Erleuchtung.

Oft setzt er noch ein paar Bleistift-Kritzeleien auf seine Bilder. Eine wichtige Inspirationsquelle ist ihm T. S. Eliot, und er hat sich wohl eine schöne Sammlung Erstausgaben zugelegt, sagt er, inklusive einem Faksimile von Ezra Pounds Korrekturen zu »The Waste Land«.

»Die nächste Bilderserie enthält Zeilen aus ›The Waste Land‹. Es gibt kaum etwas Schöneres, vor allem der Anfang, über die Jahreszeiten. ›Sommer überfiel uns, kam über den Starnberger See / Mit Regenschauer; wir rasteten im Säulengang / Und schritten weiter im Sonnenschein in den Hofgarten.‹«

Da fällt mir die prima Simpsons-Referenz auf »The Waste Land« ein: Als Lisa ein paar traurige Notizen des Kneipenmannes Moe zusammenfügt, erinnert sie das sofort an Eliots Jahrhundertwerk (Folge 18.06: »Moe’N’a Lisa«).

Wenn ich jedenfalls auf das mit dem Interview gepaarte große Foto schaue (Cy Twombly vor einem seiner Monumentalbilder), dann sehe ich da einen netten alten Herrn, der vor einer riesigen Leinwand voller Farbkleckse steht. Der etwas krakelige in der Mitte, der mehr oder weniger auf seinem Rücken klebt, hat dann auch noch ungeheure Ähnlichkeit mit dem Ergebnis des wunderbaren Spiels Misthaufenfahren (kann man hier spielen). Immerhin ist der Kunstkaiser auf dem FAS-Foto nicht nackt: C. T. trägt zu einem hellblauen Button-down-Hemd eine sackhosenähnliche Sackhose, die gerade noch so von Hosenträgern gehalten wird.

Zu viel mehr kamen wir kaum in der FAS, aber gegen Abend mussten wir zum Flughafen und da würden wir ja Zeit genug haben. Statt den Shuttle Bus zu nehmen, der uns vielfach empfohlen wurde, fuhren wir lieber wieder mit der U-Bahn bis zur äußersten Station und von dort mit dem Bus weiter nach Ciampino. 5 Minuten dauert das normalerweise und kostet nur eineinhalb Euro oder so. So waren wir vor ein paar Wochen morgens angekommen, und das ging ganz prima.

Als wir aber gerade eben in Anagnina ankamen, war alles anders. Wo am Morgen unserer Ankunft Trubel herrschte und Händler von der Pferdedecke bis zum Bügeleisen so ziemlich alles feilboten, war jetzt gähnende Leere und kaum eine Menschenseele zu sehen. Die Ausschilderung war immer noch miserabel, aber irgendwie fanden wir doch den richtigen Busstand.

Ich wollte eigentlich das 12-seitige China-Spezial der FAS lesen, wurde aber langsam nervös, weil ewig kein Bus kam. Ging heute überhaupt noch einer? Paco machte in einer dunklen Ecke eine Art Information ausfindig und bekam die beruhigende Antwort, dass schon noch Busse verkehrten und wir nur eine Weile warten müssten, da wir den vorigen gerade verpasst hatten.

Einen FAS-Text später war immer noch kein Bus da. Jürgen Kesting schreibt über das neue Buch von Jonathan Carr über den Wagner-Clan (S. 30). Das umfangreiche Werk deckt 150 Jahre deutscher Geschichte ab und macht auf jeden Fall neugierig.

Schon am Samstag hatte die FAZ deutsche Historie empfohlen. Tilmann Lahme besprach die Hörbuchausgabe von Golo Manns »Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts«, ungekürzt, 37 CDs, 41 Stunden. Ein tollkühnes Projekt, nur die CD-Einlegerei verdirbt mir den Geschmack. Gibt’s das nicht als MP3 auf einer einzigen DVD? Oder gleich im Paket mit dem Wagnerbuch, als Popcorn-Edition für ein verlängertes Wochenende.

Irgendwann kam dann übrigens der Bus. Weil es aber spät am Abend war, fuhr er nicht direkt zum Flughafen, sondern über ein paar Vororte, um noch Leute einzusammeln. Langsam wurde die Zeit etwas knapp (wie damals in Madrid). Außerdem waren wir so ziemlich allein im Bus und eingesammelt wurde auch niemand so richtig. Der Bus gurkte nur durch viele angekaffte Dörfer. In einem hielt der Fahrer dann an, machte den Motor aus, nahm seine Tasche und Jacke und verließ den Bus.

Er machte sich eine Zigarette an, und es kamen zwei andere Typen, und zu dritt quatschten und rauchten sie vor sich hin. Irgendwann stellten wir fest, dass zumindest einer von denen unser neuer Busfahrer sein musste, Fahrerwechsel also. Wir versuchten ein bisschen Druck zu machen, aber der wurde nur freundlich abgetan, »wann fliegt ihr, in einer Stunde, ach, kein Problem«.

Der Neue stieg dann endlich ein, legte die Jacke ab und öffnete seine Tasche. Er wühlte eine Weile darin und holte ein Glas hervor. Es sah aus wie ein Honigglas, und das gab er dann unserem Ex-Fahrer. Der sah es sich an, bedankte sich und redete weiter. Der neue Fahrer ging dann noch mal raus zu ihm, kam dann aber nach kurzer Diskussion und Blicken auf das Honigglas wieder in den Bus und wühlte in seiner Busfahrertasche.

Er holte eine Zeitung heraus, überraschenderweise den »Corriere della Sera«, und schlug damit das Honigglas ein. Der Beschenkte war es zufrieden, und nach einem herzlichen Abschied fuhren wir endlich zum Flughafen.

Dann kam es doch noch zu einem gemütlichen Check-in, und auf ging’s nach London. Ich hatte dann endlich Zeit für das China-Spezial, stand aber nichts Neues drin.

Fußball-Feuilleton (Teil 5):
Deutschland – Österreich (Córdoba 1978)

Rom, 15. Juni 2008, 07:15 | von Paco

Kurze Frage: Wer war 1941 Deutscher Fußballmeister?

Antwort: Rapid Wien.

Trotz der bekannten Umstände erzeugt dieser Dialogfetzen beim ersten Hören ein wenig kognitive Dissonanz. Einen ähnlichen Effekt nutzt das deutsch-österreichische Moderatoren-/Comedy-Duo Stermann & Grissemann für seinen schon legendären Córdoba-Sketch. Vor dem morgigen EM-Gruppenspiel DEU–ÖST soll hier ganz kurz daran erinnert werden.

Die Erstsendung erfolgte am 11. 11. 2004 nach 22:00 Uhr in der ORF-Sendung »Dorfers Donnerstalk«. Nachdem der nur 2,5-minütige Einspieler seit März 2006 in der Blogosphäre verlinkt und embedded wurde, hat er eine ansehnliche YouTube-Karriere hingelegt. Mehrere Versionen wurden im Laufe der Zeit bei allen möglichen Videohostern hochgeladen. Die populärste YouTube-Variante weist im Moment mehr als 430.000 Views aus.

Der Plot: Das Wiener Fernsehen greift für den Spielbericht zur Partie Österreich – Deutschland während der WM 1978 in Argentinien auf Ortskräfte zurück, zwei herrlich ignorante Altnazis. Die beiden scheinen die Endniederlage des Deutschen Reiches 1945 durch ihre Emigration irgendwie verpasst zu haben und interpretieren das Spiel nun als Sieg einer imaginären großdeutschen Mannschaft gegen sich selbst.

Demzufolge wird aus dem eigentlichen 3:2-Coup der Österreicher, dem »Wunder von Córdoba«, ein 5:0-Sieg, den »Ergebnis­einblendungen der Feindpropaganda« zum Trotz. Dabei sind vor allem die Attribute, mit denen Grissemann die Torschützen versieht, eine Ohrenweide:

1:0 – Karl Heinz Rummenigge, »der blonde Gott aus Detmold«
2:0 – Hubert Vogts, »Berti, der Kämpfer vom Niederrhein«
3:0 – Johannes Krankl, »der bergdeutsche Bomber«
4:0 – Bernd Hölzenbein, »der Hallodri aus Hessen«

Für das 5:0 (das eigentliche 3:2-Siegtor für Austria) greift Grissemann dann auf die legendäre Formulierung des Ösi-Moderators Edi Finger zurück: »Und da werd‘ ich narrisch, da schießt der Johannes Krankl das 5:0.«

Die Moderation erfolgt steif und zackig und lebt von der Akkumulation archaisch-militärisch klingender Begriffe (»Fernmelder«, »Sportskamerad«, »Zeugwart«, »Sporthemd« usw.). Wie in vielen seiner NS-Parodien scheut sich das Duo auch nicht vor Kalauern (»Um 13:45 wird angeschossen.«).

Die beiden bewahren in ihren Rollen als gute Ewiggestrige aber Haltung und verziehen keine Miene, was die Krassheit des Witzes noch etwas steigert – beim erstmaligen Sehen dürfte jedem der sprichwörtliche Döner aus der Hand gefallen sein.

(Mit Dank an Constanze von willkommen-tv.at!)

Hulk. Smash. David. Smash. Citizen Kane.

Rom, 14. Juni 2008, 10:37 | von Dique

Zur Abwechslung mal den »Guardian«. Ob man den lesen darf verraten wir ein anderes Mal. Gerade im Palazzo Doria Pamphilj, und ich bin deutlich schneller fertig als San Andreas, denn der hat auf meine Empfehlung hin den Audio Guide genommen, welcher vom aktuellen Prinzen Jonathan Doria Pamphilj in exzellentem Englisch gesprochen wird. Da gibt es neben der angenehmen Stimme auch ein paar kleine Palazzofamilienanekdoten und damit hebt er sich ein bisschen vom üblichen Audio-Guide-Einheitsbrei ab.

Ich warte also im Buchladen der Galerie neben einer gelangweilt dreinschauenden Spanierin ohne Lesematerial und beschäftige mich mit dem »Guardian«-Kulturteil. Peter Bradshaw schreibt über die neuste Verfilmung des Hulk und für eine gute Kritik braucht man ja bekanntlich nicht zwangsläufig einen guten Film. Umgekehrt läuft es oft besser.

»Hulk. Smash!« Yes. Hulk. Smash. Yes. Smash. Big Hulk smash. Smash cars. Buildings. Army tanks. Hulk not just smash. Hulk also go rarrr! Then smash again. Smash important, obviously.

So geht der Text los, so geht er weiter und so kommt er zum brillanten Ende. Und ich frage mich, ob Peter Bradshaw vielleicht heimlich »Jungle World« liest. Im dortigen Heuteblog gab es Ende März einen Kurzreview von Maik Söhler zu »Gran Turismo 5«, welcher sich so anliest:

Brum, bruuuum, brm, brm, quieeetsch, schepper, bruuuuuum, brm, brm, bruuum, knack, bruuuum, quietsch, zosch. 5000 Credits. Neues Auto. Neue Strecke. Bruum, bruuuum, knack, schepper, bruuum, bruuuuum, brm, brm, zadong. Scheiß Kiesbett. Bruuum, bruuuuuum, brm, brm, endlich im Ziel.

Aber bleiben wir im Hulk-Text, denn der ist schon ein bisschen ausgereifter als die kleine Spaßattacke der Jungle World. Da werden zum Beispiel wichtige Analysen zur Physiognomie des Hulk geliefert:

Film co-written by star. Edward Norton. Norton in it. Norton write it. Norton not need gamma-radiation poisoning to get big head. Thing is: Hulk head weirdly small. Compared with rest of big green body. Hulk not scary. Hulk look like Shrek. Wait. Critic have … second thought. Hulk look like Shrek when Shrek turn handsome, in Shrek 2. Like Gordon Brown.

Und bei dieser Exegese über die Größe von Hulks Kopf denke ich an den David von Michelangelo, denn dessen Kopf halte ich für viel zu groß. Erst vor zwei Wochen stand ich mit San Andreas (dem Filmkritiker des Umblätterers, hehe) vor der riesigen Marmorstatue in der Galleria dell’Accademia und wunderte mich erneut über dessen großen Kopf und seine recht überdimensionierten Hände.

Tatsächlich fragte ich damals San Andreas, wieso es nach der Verfilmung von Ang Lee nun schon wieder einen »Hulk« im Kino gibt? Der Film von Ang Lee sei wohl zu kopflastig gewesen, heißt es. Deshalb waren die Fans enttäuscht, und deswegen gibt es jetzt wieder einen Hulk Classic. Yes. Hulk smash. Yes. Smash. Big Hulk smash. Natürlich konnte Bradshaw diesen Kontext nicht umgehen:

Critic remember Ang Lee version. Ang Lee version slagged off. Yet rubbish new Hulk film make that look like Citizen Kane. Critic exit cinema miffed. Film take away two hours of critic’s life. Critic not get time back. Ever. Rarrrrr.

Ein bisschen dankbarer könnte er allerdings sein, denn ohne den grünhäutigen Schotter hätten wir nicht diesen Lesespaß gehabt. Ich gebe den Text spontan an meine wartende Nachbarin weiter. This is so funny, read this, sage ich. Etwas zögerlich nimmt sie die Zeitung, starrt eine Weile auf den Text und sagt: »What mean ›smash‹?«

Graw-tsee-yeah!

Rom, 13. Juni 2008, 16:40 | von Paco

Von unserer Erasmus-WG in Parioli ist es nicht weit bis zur Villa Borghese. Nach einem Zwischenstopp bei Il Cigno gehen wir direkt zur Galleria Borghese, wo im Moment eine Correggio-Ausstellung läuft, das dritte der Dekadenprojekte der Galerie nach Raffael und Canova – es folgen u. a. 2009 Bacon & Caravaggio, 2011 Tizian, 2012 Cranach.

Eine Correggio-Einzelausstellung war längst mal fällig, allerdings wird man von der unerwarteten Phylle halb erschlagen. Außerdem befinden sich im Präsenzbestand der Galleria natürlich auch noch die Wahnsinnsstatuen von Bernini und Canova, dazu noch 6 Bilder von Caravaggio, mehr als irgendwo sonst, Raffaels »Kreuzabnahme« und Correggios »Danae«.

Davon muss man sich erst mal mit ein paar Nebenwerken erholen: Ein Sassoferrato hängt überraschenderweise im selben Raum wie ein de Hooch. Das glaubt man immer gar nicht, dass das Zeitgenossen waren. Von Sasso hängt hier die übliche wächserne und superschöne Madonna, von de Hooch das Flötistenbild, das inklusive offenem Fenster wieder voller lüsterner Anspielungen ist.

Wir kommen dann irgendwann wieder auf das Veronese-Mocking und die Leonardo-Relativierung von Sébastien2000 zu sprechen und das Alan-Bennett-Interview neulich in »La Repubblica« (28. 5., S. 53, Aufmacher von »R2 Cultura«). »Leonardo? Non mi piace« war die Überschrift. Das ist wie wenn Umberto Eco in der SZ zitiert wird mit »Goethe? Find ich echt scheiße«.

Der Interviewer (Enrico Franceschini) hatte dann nachgefragt, was seine beleidigten Landsleute mit so einer Aussage bitteschön machen sollen. Bennett erwiderte, dass er Leonardo als Meister der Renaissance natürlich schon irgendwie anerkenne, dass seine Werke aber nicht seine Interessenssphäre berührten. Ob er nicht mal die »Mona Lisa« gut finde? Nun ja, er habe sich das Bild nie angesehen, da er stets von dem Massenauflauf davor abgeschreckt worden war.

Der Anlass für die Intervista war übrigens das Erscheinen der italienischen Übersetzung seines Buches über die Londoner National Gallery bei Adelphi. Er macht in dem Gespräch auch wieder Stimmung für den unvoreingenommenen Blick auf Kunstwerke. Das ist subtextuell natürlich auch ein Diss gegen die Audio-Guide-Kultur. Außerdem zeigt sich Bennett belustigt darüber, dass alle immer mit diesem Pathos ins Museum gehen und dadurch jedes dort ausgestellte Ding automatisch als anerkannt gut empfinden.

Nach 2 Stunden wird man bekanntlich aus der Galleria Borghese geschmissen, wir legen ein paar alte SZs und FAZs auf eine Villa-Wiese und machen Siesta. Noch im Halbschlaf kriege ich nach einer Weile mit, wie Dique einem Amerikaner mit »Lone Star State«-T-Shirt den Weg zur Piazza del Popolo beschreibt.

Der gut ausgestattete Touri hält Dique dann wegen seines blauen Hemds eventuell für einen Italiener und bedankt sich mit einem kräftigen: »Graw-tsee-yeah!« So ungefähr dürfte die »Grazie«-Ausspracheanweisung im Lonely Planet lauten. Diese herrlichen Amerikaner!

Auf einmal ist alles graw-tsee-yeah, wir schießen auch noch mal Richtung Piazza del Popolo, noch mal wegen ein paar Lieblingsdetails in die Caravaggio-Kirche rein, und danach mache ich ziemlich in der Mitte des Platzes noch dieses Bild, ich, Dique, Millek, Sébastien2000 (hat heute frei), San Andreas:

Piazza del Popolo