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Pontormo in Hannover

Hamburg, 27. Mai 2013, 17:00 | von Dique

Hannover war für mich bisher nur Umsteigepunkt, eine Gelegenheit für einen Verspätungskurzaufenthalt, nie direktes Ziel. Im Landesmuseum Hannover gab es jetzt aber bis Mitte Mai eine Pontormo-Ausstellung. Am letzten offiziellen Tag bin ich mit San Andreas dann doch mal von Hamburg aus per Bahn zielgerichtet nach Hannover gefahren.

Um mich ein bisschen aufzuputschen und richtig in Stimmung zu kommen, wollte ich mir gleich bei der Ankunft ein erfrischendes Red Bull kaufen. Die meisten Imbissstände und Bäckereien auf dem Bahnhof hatten aber leider keines im Programm und bei Rossmann gab es nur noch die Light-Version. Erst auf diesem komischen Boulevard vor dem Bahnhof, der in die Innenstadt von Hannover führen könnte, wurde ich in einem Zeitungsgeschäft fündig. Leider war die Dose nicht genug gekühlt und die Stimmung blieb aus.

Es war sehr heiß an dem Tag und ich trug ein für diese Witterung viel zu robustes Jackett. Ich behielt es natürlich trotzdem an und kam sehr ins Schwitzen. Die Stadt Hannover veranstaltete am selben Tag auch irgendeinen Stadtlauf. Auf dem Weg zum Museum kamen uns immer neue Massen von Läufern entgegen, die noch mehr schwitzten als ich.

Irgendwann erreichten wir einen großen Platz vor einem großen Gebäude, dem Rathaus oder dem Schloss der Stadt, ich weiß es nicht, denn ich war ziemlich gedankenverloren. Es dauerte ewig bis zum Museum, und diese quälenden Menschenmassen, das war mir einfach zu viel Hannover. Auf diesem Platz wurden Bratwürste und Crêpes gegessen, es wurde getrunken und von einer Bühne schallten Musik und Ansprachen, doch wir wollten nur schnell zu Pontormo ins Museum. Irgendwann kamen wir dann an einem Park vorbei, auf dessen Wiesen sich erschöpfte Sportler ausruhten, und dahinter sahen wir dann auch endlich das Landesmuseum.

Am Ticketschalter versuchte gerade ein älteres Pärchen empört die Tickets zurückzugeben und verlangte das Eintrittsgeld zurück. Oben werde gesungen und man könne sich nicht auf die Kunst konzentrieren, so ging die Argumentation. Wir waren gespannt. Oben angekommen, war dann tatsächlich ein Raum abgesperrt, in dem Proben oder ein Vorsingen stattfand. Da wurde immer mal wieder ein Musikstück angeschmeckt und wieder abgebrochen, feierlich gekleidete Jugendliche stürzten hinter einem Vorhang hervor und verschwanden durch eine Tür oder umgekehrt.

Uns fesselte dann aber schnell ein Ensemble von Tilman Riemenschneider, drei Figuren in tiefen Emotionen gefangen, bewegt, bedrückt und bemalt. Minimalistisch stehen sie auf einem breiten weißen Sockel nebeneinander vor einer weißen Wand. Die Lockenprachten sind prächtig konturiert, ebenso die Gewänder, die leise zu rascheln scheinen. Die schmalen Gesichter wirken etwas abwesend, aber warm und weich. Sie stellen alle anderen Skulpturen der Sammlung in den Schatten und alles heute Erlebte. Die verschwitzten Sportler sind vergessen. Und das Red Bull scheint in der Erinnerung auf die genau richtige Temperatur gekühlt gewesen zu sein.

Die Pontormo-Ausstellung ist dann nur um das Gemälde des verschraubt-glatzköpfig-fragmentarischen »Hieronymus« herum aufgebaut, der sowieso auch sonst im Landesmuseum hängt. Die Schau belästigt uns zum Glück mit nur wenigen weiteren Stücken und wir haben sie uns alle angeschaut!
 


»Ancient Aliens«

Barcelona, 21. April 2013, 10:26 | von Dique

»Ancient Aliens«, eine Doku-Serie vom History Channel, läuft bereits in der 5. Staffel. Nur beinah durch Zufall sah ich den Piloten »Ancient Aliens: Chariots, Gods & Beyond« und danach dann alle Folgen. Nach den ersten beiden Staffeln war mir unklar, woher noch Stoff für weitere Folgen kommen sollte, aber auch Erich von Däniken, Godfather der Prä-Astronautik, hat nicht nur zwei bis drei Bücher geschrieben, sondern Dutzende. Von diesen habe ich auch mehr als zwei bis drei gelesen, wenn auch längst nicht alle.

Meine Däniken-Lektüre liegt schon so lange zurück, dass ich mich jahrelang auf ein »Was macht eigentlich Erich von Däniken«-Portrait in einer schlechten Illustrierten gefreut habe. Das ist nun aber nicht mehr nötig, denn auch bei den »Ancient Aliens« ist er mit dabei und macht noch immer das Gleiche.

Ich war immer schon ganz versessen auf die H-Blocks von Pumapunku, die Scharrzeichnungen von Nazca oder die kuriosen Steinformationen auf Nan Madol. Wie bei jeder guten Verschwörungstheorie bieten die Prä-Astronauten Erklärungen für scheinbar nicht nachvollziehbare Phänomene. Nebenbei liefert die Serie natürlich in guter »History Channel«-Manier herrliche Aufnahmen von all diesen mysteriösen Orten.

Nehmen wir Pumapunku, gelegen auf der bolivianischen Hochebene in der Nähe des Titicacasees. Dort befinden sich die Reste einer Kultur, über die man fast nichts weiß, das Rad war ihr noch unbekannt, auf über 4.000 Meter Höhe wurden mit einfachsten Werkzeugen riesige Steine bearbeitet und bewegt, und nicht irgendwelche, sondern solche aus Diorit, das zu den härtesten Gesteinsformationen gehört. Früher kannte ich von Pumapunku einige Bilder, dann gab es irgendwann einen kurzen Clip über die Stätte auf YouTube und jetzt, dank den »Ancient Aliens«, gibt es massig Videomaterial und sogar eine ganze Folge, die sich nur Pumapunka widmet. Wow.

Einer der Hauptmotoren der Show ist übrigens Giorgio A. Tsoukalos, den man am besten als »den mit den Haaren« beschreibt. Tsoukalos wird nicht nur von Folge zu Folge braungebrannter, sondern seine Haare werden immer wilder und länger und er toupiert sie höher und höher nach oben. Mittlerweile wickelt er sich auch noch ungebändigte Schals um den Hals und trägt ein modisches Lederjäckchen.

In der ersten Staffel war es noch ein dreiteiliger brauner Anzug, natürlich mit übergroßem »Ancient Aliens«-Sticker am Kragen. Tsoukalos hat eine riesige Fangemeinde im Netz, die sich weniger der prä-astronautischen Theorie widmet, sondern überwiegend seinen Haarstyle diskutiert, debattiert und verehrt. Und weil wir hier ständig Pumapunku erwähnen, sei auch mein Lieblingszitat von ihm genannt:

»While the Pyramids at Giza are an incredible feat of achievement, compared to Pumapunku the pyramids are like child’s play. Logic does not exist in Pumapunku.«

Dieses Zitat trägt er mit solcher Inbrunst und Überzeugung vor, dass man einfach nicht widerstehen kann und über die lächerliche Erklärung »richtiger« Archäologen nur lachen kann. Pumapunku ist crazy, wer auch immer dafür verantwortlich ist, irgendwas ist dort faul und das gilt für noch viele, viele weitere archäologische Stätten dieser Erde. Fast hirngewaschen habe ich mich trotzdem nie getraut, so richtig an die Ancient Astronauts Theory zu glauben, aber der Übergang von Faszination zu Glauben ist verschwommen.

Man könnte meinen, spätestens nach Folgen mit Titeln wie »Aliens and Mega-Disasters«, das Fukushima indirekt den Aliens unterschiebt, oder »The Da Vinci Conspiracy«, in der der arme Leonardo fast zum Außerirdischen wird, oder »Aliens and Dinosaurs«, an dessen hanebüchenen Inhalt ich mich nicht mehr erinnere, sollte man (ich!) doch geheilt sein von dem Käse. Aber neben Pumapunku bleiben die Flugzeugdarstellungen aus dem brasilianischen Dschungel, die Terrasse von Baalbek, Steinkreise überall, Pyramiden, Cargo-Kulte, Ezekiel und altägyptische Glühlampen!

Doch ab jetzt sind all die schönen Mysterien, all die schönen Theorien, all die schönen Ideen nichts mehr wert. »Ab jetzt« heißt: Seit Chris Whites »Ancient Aliens Debunked«. In dem dreistündigen Video widmet sich White allen »Ancient Aliens«-Theorien und überführt die Ancient Astronaut Theorists der Manipulation. Die H-Blocks von Pumapunku sind nämlich gar nicht aus Diorit und neben den ganzen fertigen Stücken liegen ein paar Meter weiter unfertige Teile, die alle Bearbeitungsstufen einfach nachvollziehbar machen. So führt White all die schönen Indizien für prä-astronautische Besuche ad absurdum. Lustig daran ist, dass Chris White angeblich ein christlicher Fundamentalist ist und an Kreationismus glaubt.
 


Die große Ulla-Berkéwicz-Festwoche (Tag 2):
»Michel, sag ich« (1984)

Barcelona, 9. April 2013, 10:25 | von Dique

(= 100-Seiten-Bücher – Teil 56)

Logo der Festwoche

(Vorwort zur Festwoche hier. Inhaltsübersicht hier.)

Zwei Jahre nach ihrem Debuthit »Josef stirbt« folgte 1984 »Michel, sag ich«. Es ist ein kurzes Buch und erzählt in kurzen Sätzen kurze, apokalyptische Traumsplitter. Eine Frau vom Land geht in die Stadt (Frankfurt), um Michel zu suchen. Dort begegnen ihr Leere, Gewalt, Repression und Widerstand. Da es sich um Literatur handelt, erfährt man nie so recht, was die Ursache des ganzen Elends ist. Alles bleibt schemenhaft in Traumsequenzen stecken. Hätte Christa Wolf je eine Endzeit-Liebesgeschichte geschrieben, sie hätte so geklungen wie »Michel, sag ich« von Ulla Berkéwicz.

Aber nicht nur das macht diesen großzügig gesetzten und daher sehr kurzen Hundertseiter so bemerkenswert und so wertvoll. Nicht nur zeitlich muss man diese Dystopie aus den Achtzigern irgendwo zwischen Carl Amerys »Der Untergang der Stadt Passau« (1975) und Cormac McCarthys »The Road« (2006) ansiedeln. Neben dem Inhalt begeistern natürlich auch die Kürze und die Dynamik des Buches, was in einem sehr flotten Lesetempo resultiert. Dadurch lässt sich die Lektüre gut auf ca. zweimal Frühstücken verteilen. Das Frühstück sollte aber einigermaßen karg sein, damit es auch gut zur Stimmung passt.

Länge des Buches: ca. 75.000 Zeichen. – Ausgaben:

Ulla Berkéwicz: Michel, sag ich. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1984. S. 5–100 (= 96 Textseiten).

(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)


Velázquez

Madrid, 3. April 2013, 22:43 | von Dique

Ich bin drei Tage in Madrid und nehme als erstes Infobit mit, dass es im Louvre keinen einzigen Velázquez gibt. Und das, wo doch in Orléans, in Rouen und selbst in São Paulo einer hängt. Aber der Louvre, das Museum mit der z. B. auch höchsten Leonardo-Dichte, hat einfach keinen. Ich nehme das also zur Kenntnis, während wir durch den Prado laufen, wo es wiederum so vor Velázquessen wimmelt, dass man es kaum aushält. Man kann sich kein Bild wirklich anschauen, weil gleich daneben das nächste Spitzenstück hängt.

Velázquez ist natürlich auch ein schöner Name, vielleicht reden wir auch deshalb so viel von ihm, um immer wieder Velázquez sagen zu können. Mir gefällt eigentlich die Malerei von Ribera viel besser, auch wenn der natürlich rein technisch gesehen keineswegs besser ist, aber der Name hat natürlich gegen Velázquez keinen Klang.

Irgendwann reden wir dann doch noch über was anderes, leider ist das neue Thema der frühe Rubens, und zu Rubens muss ich mich immer ziemlich zwingen. Zu allem Übel läuft auch gerade eine große van-Dyck-Ausstellung, Rubens-Schüler bekanntlich, und diese Ausstellung laufen wir noch schnell Stück um Stück ab, nach jeder Ecke hoffe ich auf ein Ende, aber für eine lange Zeit schließt sich ganz verwinkelt immer direkt der nächste Raum an.

Es dauert etwas, bis wir endlich in die Dauerausstellung gelangen, in der wir dann leider auch gleich auf die Venezianer stoßen. Tizian ist ja immer herrlich und hier hängt auch das Wahnsinns-Reiterportrait von Karl V. auf dem Mühlberg, das beste aller Reitergemälde, noch besser als die Philipp-IV.-Reiterportraits von Velázquez. Aber wir stoßen zuerst auf den venezianischen Schrecken von Veronese und Tintoretto. Irgendwann ist der auch vorbei, aber dann müssen wir leider schon los, weil wir noch zur Vorbesichtigung bei Ansorena wollen. Dort gibt es neben zwei van Dycks im Freiverkauf auch einen sehr, sehr guten Meister von Frankfurt. Der steht im Obergeschoss einfach so auf einem klassizistischen Stuhl rum, ebenfalls im Freiverkauf zum stattlichen Preis.

Dann gehen wir endlich was essen und bestellen Percebes. Denn ein Paar am Fenster hat diese ungewöhnlichen Dinger auf dem Teller liegen, und wir fragen aus Neugier nach. Die Dame, die auf jeden Fall einem Rubensgemälde entstiegen ist und nun nach einem harten Tag an den Wänden des Prado hier ihren Feierabend begeht, sagt uns, dass es sich eben um Percebes handele, was wir akustisch erst nach einigen Nachfragen verstehen.

Die Percebes sind so länglich und krustig und sehen aus wie Schildkrötenfüße, man dreht sie auf und isst das salzige, rosa Innere, die Konsistenz liegt zwischen Muschel und Calamares. Ich texte einer einheimischen Freundin, doch die Antwort erreicht mich erst am nächsten Morgen: »Percebes are some kind of seafood. They are disgusting und expensive. Don’t order them.« Mittlerweile wissen wir, dass es sich um sogenannte Entenmuscheln handelt. Sie sind expensive und disgusting und ich werde sie nicht noch einmal bestellen.
 


Husten und Durst
Giacometti in der Hamburger Kunsthalle

Hamburg, 11. Februar 2013, 11:29 | von Dique

Vor ein paar Jahren wurden ja in einer Garage rund 1000 gefälschte Giacometti-Skulpturen gefunden. Am besten fand ich damals einen Kommentator, der sagte, dass sich Arbeiten dieses Künstlers durch ihre Schlankheit eben auch besonders gut zur massenweisen Einlagerung eignen. Daran dachte ich auch, als ich in die Giacometti-Ausstellung in Hamburg ging. Diese beginnt chronologisch mit seiner surrealistischen Phase und das erste Learning ist, dass der Künstler erst gegen Ende seiner Karriere so richtig stapelfreundlich wurde.

Giacometti ist auch einer dieser nach Paris gespülten Künstler, die dann dort im Brutkasten moderner Kunst groß wurden. Er erinnert mich ein bisschen an Brâncuşi, nicht nur wegen seiner Kunst und Auswanderung nach Paris, auch wegen seiner Physiognomie und der vielen Schwarzweißfotoaufnahmen, die sein Atelier und ihn in seinem Atelier zeigen. Das Atelier von Giacometti ist aber viel gipsiger und erdiger als das von Brâncuşi, es erinnert mich, wie auch einige der in der Ausstellung gezeigten Ölgemälde, an die Textur großflächiger Anselm-Kiefer-Gemälde, rissiges Grau mit einem bisschen Weiß oder auch Braun, alles sehr ausgetrocknet.

Ich bekomme beim Ansehen der Bilder von Anselm Kiefer immer unglaublichen Durst, bei den Fotos von Giacomettis Atelier geht es mir ganz genauso. Auf einem Foto sieht man eine ganz ordentliche Frauenhandtasche auf der rissigen staubigen Ablage stehen, das gibt einen schönen Kontrast, und geraucht hat er ja auch, der Giacometti, wie wird das in diesem Atelier gerochen haben, man musste bestimmt die ganze Zeit husten und hatte ständig Durst.

Der beste Raum ist der letzte, der Entwurf der schlanken Dreifiguren­komposition für die Chase Manhattan Bank, der dann aber nicht umgesetzt wurde. Neben einer überlebensgroßen Büste und einer überlebensgroßen schlanken Frauengestalt ist auch L’Homme qui marche I dabei, der berühmte Schreitende. Den kennt man vom 100-Franken-Schein und von Sotheby’s, dort wurde vor ein paar Jahren mal einer der Bronzegüsse für über 100 Millionen Dollar versteigert. Das war deshalb ein besonderer Rekord, weil der Schreitende kein Einzelstück ist, es gibt davon sechs Abgüsse. Der hier in Hamburg hat nicht so viel gekostet, viele Besucher ziehen deshalb achtlos an ihm vorbei.
 


Neue Projekte

Hamburg, 18. Dezember 2012, 09:02 | von Dique

Nach hundert gelesenen 100-Seiten-Büchern und dem tausendsten besuchten Buchladen hat Richard Deiss längst neue Projekte in Angriff genommen. Im Rahmen unserer Richard-Deiss-Berichterstattung bringen wir hier kurz eine Auswahl bereits abgeschlossener und noch in Durchführung befindlicher Projekte. Deiss bleibt seinem Motto treu, sich als Geograf großflächig-oberflächlich zu bewegen und nicht zu sehr mit Tiefenschürfungen aufzuhalten (»Sonst wäre ich ja Geologe geworden.«).

Abgeschlossene Projekte:

  • 1.000 Buchläden besichtigt (die Geschäfte wurden mit dem eigens dafür entwickelten Buchladometer gezählt; der tausendste besuchte Laden war »25books« in Berlin)
  • 1.000 Exemplare seines Buchladen-Buchs verkauft
  • 100 Hundertseiter gelesen (obwohl er hierbei getrickst hat: nur 60 der Bücher stammten von unserer Liste, den Rest hat er mit Comicbüchern aufgefüllt, die er dann aber fast alle an einem einzigen Wochenende gelesen hat: »Ich dachte nur noch in Sprechblasen.«)
  • 100 Bootstouren absolviert (die letzte fand kürzlich in Wilhelmshaven statt)
  • 1.000 Bahnhöfe besichtigt (bereits letztes Jahr abgeschlossen)
  • 1.000 Städte besucht (auch letztes Jahr abgeschlossen)
  • 100 Reisebuchläden besucht (Anfang 2012 abgeschlossen)

Noch in Durchführung:

  • 1.000 Kirchen besichtigen (aktueller Stand ist 954; auch die Kirchen werden mit einem eigenen Apparat gezählt, dem Kirch-o-meter; der finale Besuch soll dem Petersdom gelten)
  • 100 Leuten begegnen, über die es eine Wikipedia-Seite gibt (zuletzt Udo Lindenberg auf der Durchreise in Hamburg, ganz klassisch im Hotel »Atlantic«)
  • 1.000 Städte in Deutschland besichtigen (»Dann kann man wirklich sagen, das Land zu kennen!«)
  • 1.000 Bahnhofsbücher verkaufen (aktueller Stand ist 851)
  • 1.000 Bücher verschenken (Stand 785; zur Beschleunigung der Zielerreichung erwägt Deiss, die 100er-Kassette der SuKuLTuR-Lesebändchen zu plündern und einzeln zu verteilen
  • 1.000 Skulpturen besichtigen (»Das Skulpturenziel ist ganz gut, hier kann man bis zu Dutzende bei einem einzigen Spaziergang sehen.«)

Nach Erreichung der genannten 1.000er-Ziele soll es erst einmal keine weiteren geben. Deiss möchte sich dann auf 100er-Ziele konzentrieren und z. B. 100 Stadtmodelle besuchen. Als neues Langfristziel hat er gerade auch ausgerufen, insgesamt 100 Bücher schreiben zu wollen (aktueller Stand: 23). Weitere 100er-Ziele geistern in seinem Kopf herum, haben aber noch nicht den Status der Spruchreife erlangt. Jedenfalls ist die Quelle für neue abenteuerliche Projektideen noch nicht versiegt.

Eigentlich sollte das hier nur eine kurze Sammlung der Sammelsiege und Sammelziele werden. Dann haben wir aber doch noch die offensichtliche Frage gestellt, und hier ist die Antwort:

»Eigentlich hat alles im Jahr 2003 angefangen, als ich zu einer Weihnachtsfeier ein Quiz mit 20 Fragen mitbrachte. Das hat einem Kollegen so gut gefallen, dass ich für ihn im Januar 2004 ein weiteres Quiz gemacht habe, diesmal speziell mit geografischen Fragen. Die hatte er dann sogar alle richtig beantwortet, und in der Woche darauf gab es wieder ein Quiz. So habe ich dann jede Woche ein neues Quiz mit 20 Fragen erstellt, und am Ende des Jahres waren es 1.000 geografische Quizfragen, aus denen später meine ersten Bücher entstanden.

Das brachte mich auf die Idee, jedes Jahr ein Millenniumsziel erreichen zu wollen. 2005 arbeitete ich an Holzpuzzles mit Regionen von Ländern als Puzzlesteinen und sägte 1.000 Regionen aus. 2006 kaufte ich dann eine Buttonmaschine und produzierte 1.000 Buttons, v. a. zu den Namensgebern von EU-Bildungsprogrammen wie Erasmus, Leonardo und Comenius.

Von der Puzzlesägerei habe ich immer noch eine Staublunge und von der Buttonpresserei trage ich Wundmale an den Händen. Einmal presste ich manuell 100 Eurydike-Buttons für eine Konferenz an einem Abend. 2007 kam dann die Idee, 1.000 Beinamen zu sammeln, woraus dann die sieben Beinamen-Bücher wurden. Damit kam auch das Ziel auf, 1.000 Bücher zu verkaufen.

Eigentlich wollte ich in meinem Leben einhundert 1.000er-Ziele erreichen, bin davon aber inzwischen wieder abgekommen. Doch als ich irgendwann feststellte, dass ich schon 750 Buchläden besichtigt hatte, kam wieder ein 1.000er-Ziel in Sicht. Letztes Jahr war dann der Höhepunkt der 1.000er-Manie und ich denke fast mit Grausen an den letzten Sommer zurück, denn kaum hatte ich den tausendsten Buchladen besucht, war ich bald am Bahnhofssammeln (einmal waren es zwölf Bahnhöfe am Tag). Als auch da der tausendste erreicht war, kam das Städtesammeln (acht Städte im Rheinland an einem Tag), und dann musste auch noch die tausendste Bahnhofsanekdote geschrieben werden und zwischendurch wollte ich auch noch 100 Bücher im Jahr lesen.«

Man sieht leicht: Ein Ende unserer Richard-Deiss-Berichterstattung ist nicht absehbar. Während übrigens dieser Bericht hier schlussredaktio­niert wurde, ist das 1.000-Buchelemente-Buch fertig geworden, das unter dem Titel »Plattenbau-Proust und Detroit-Dickens« wie immer bei BoD lieferbar ist. Es enthält u. a. 200 Schriftstellerbeinamen, 100 Zitate und 100 Witze zu Büchern und eine Liste mit den 100 schönsten Buchläden Europas, insgesamt eben 1.000 Informationselemente. Das Buch befindet sich aber in ständiger Überarbeitung und kann, nach Aussage des Autors, im jetzigen Zustand nicht empfohlen werden.
 


Kaffeehaus des Monats (Teil 73)

sine loco, 1. Dezember 2012, 09:18 | von Dique

Wenn du mal richtig Zeitung lesen willst:

Pudding, Carrer de Pau Claris, Barcelona (foto oficial)

Barcelona
Das »Pudding« im Carrer de Pau Claris.

(Aus verschiedenen logistischen Gründen musste ich mich letzte Woche mehrfach in diesem schönen Familienkaffeehaus mit dem eher komischen Namen »Pudding« aufhalten. Von der Decke hängen Ausdellungen eines rot-weiß gestreiften Ballons, die mit lauter kleinen Lampen durchsetzt sind. Den Kaffee con leche gibt es aus Sammeltassen und so bekam ich jeden Tag eine andere, bevorzugte aber die schöne weite rote vom ersten Tag. Das Kaffeehaus ist noch kein Jahr alt und erinnert mich an Heintje und seine Oma, denn die Bedienung ist extrem lieb und nett. Trotzdem, hehe, gibt es hier den »Economist«, den ich dann über drei Tage verteilt komplett durchgelesen habe. An meinem letzten Tag gab es noch ein Ereignis, eine Frau führte einen Herrn im Anzug an einer Hundeleine durch die Straßen und am »Pudding« vorbei und ließ ihn an Passanten schnüffeln. Ich habe es selbst nicht gesehen, ich habe ja den »Eco­nomist« gelesen, aber der freundlichste der Kellner war ganz aus dem Häuschen und wiederholte immer wieder begeistert die Worte perro und hombre, den Rest verstand ich nicht, denn ich spreche kaum Spanisch.)
 

(Foto: wepudding.com – Moltes gràcies, Kamela!)
 


Die Mona Lisa von Krakau

Hamburg, 12. Oktober 2012, 15:35 | von Dique

Eigentlich hätte Leonardos Portrait der Cecilia Gallerani, der »Dame mit dem Hermelin«, den Ruhm der Mona Lisa haben bzw. diesen noch übertreffen sollen. So lautet zumindest die Legende und dafür gibt es auch viele Argumente.

Und eigentlich hängt das Bild im Czartoryski-Museum, doch im letzten Jahr hat es eine große Europatour absolviert (Madrid–Berlin–London). Ich wäre auch fast irgendwo hingegangen, zum Beispiel am Eröff­nungstag der »Gesichter der Renaissance« ins Bode-Museum. Ich war gerade zufällig in der Stadt und in der Nähe der Museumsinsel und hatte noch ein bisschen Zeit und schaute vorbei, doch das Museum kämpfte von Tag eins an gegen den Besucherstrom und ich kam also nicht so einfach da hinein. Herausgesprungen ist dann immerhin noch eine unglaublich gute Currywurst am Bahnhof Friedrichstraße und das ist ja auch nicht so schlecht.

Bei der Leonardo-Retrospektive in London erging es mir ähnlich. Ich schlenderte wiederum eher zufällig an der National Gallery vorbei und hatte nicht genug Zeit, die restriktiven Einlassmethoden zu überste­hen, und so entging mir auch dort die Besichtigung. Wiederum war ein Wurststand in Reichweite, diesmal gab es einen dieser ziemlich furchtbaren englischen Hotdogs. Die Würste sind so ein eigenartiges Hybrid aus Thüringer und Frankfurter mit sehr hohem Getreideanteil und sie schwimmen immer zusammen mit leicht angebratenen Zwie­beln in einer öligen Brühe. Diese Hotdogs soll man normalerweise, wenn überhaupt, nur nach 3 Uhr nachts essen, ich tat das nun am hellichten Tag und vollkommen nüchtern und hätte es mir aber weitaus schlimmer vorgestellt.

Inzwischen ist Leonardos Hermelinfrau wieder in Krakau angelangt und mit einem strikten Reiseverbot belegt worden. Laut »Art News­paper« darf sie die Stadt in den nächsten 50 Jahren nicht mehr verlassen. Nun war ich neulich vor Ort, und das Czartoryski-Museum ist zwar wegen Renovierung geschlossen. Doch kann man das Gemälde, nur dieses eine, in einem speziellen Saal auf dem Krakauer Wawel besichtigen. Ich war etwas unsicher, ob ich da überhaupt noch hingehen sollte, nach all den verpassten Chancen. Außerdem kenne ich das Bild aus minutiösen kunsthistorischen Beschreibungen und von Reproduktionen, und sagte nicht schon Andy Warhol, als die Mona Lisa, also die echte, in den 60ern nach New York verschifft wurde: »Why didn’t they just send a copy. No one would know the difference.«

Ich bin dann doch in den Wawel gegangen, zur Frau mit dem Hermelin, zu Cecilia Gallerani, und hielt mich eine ganze Weile da auf und schlenderte anschließend langsam wieder hinunter in die Stadt zurück und aß auf dem Rynek Główny eine leckere Krakauer. Es hat sich gelohnt.
 


Hammershøi

Kopenhagen, 5. Oktober 2012, 12:00 | von Dique

Vilhelm Hammershøi lebte über 10 Jahre in der Strandgade und widmete sein malerisches Werk beinah ausschließlich dem Interieur seiner dortigen Wohnung. Dieser minimalistischen Beschränktheit haben wir seine schönsten Gemälde zu verdanken. Die entweder menschenleeren oder höchstens mit einem Frauenrücken bestückten Innenräume referenzieren die offenen Türen bei Pieter de Hooch, nehmen die schlierig graue Textur der Stillleben von Giorgio Morandi vorweg und sind dabei meditativ wie ein frisch geharkter japanischer Kiesgarten. All das wurde von uns schon nach dem Besuch der 2008er Ausstellung in der Royal Academy of Arts detailliert erörtert.

Die Strandgade befindet sich in Christianshavn direkt auf dem Weg zum Noma, und wir gehen da neulich sozusagen aus Versehen vorbei. Hammershøi lebte in der Hausnummer 30, da sind wir uns sicher, schauen aber vor Ort doch noch mal im Blackberry nach (ein paar Jahre lebte er auch in der 25, aber die meiste Zeit in der 30). An dem Haus weist dennoch nichts auf Hammershøi hin, kein Schild, keine Tafel, keine Plakette. In minimalistischer Stille verehrt die Stadt den arguably besten Maler Skandinaviens.

Nach der Mittagsmahlzeit schlendern wir rüber zum SMK, zum Statens Museum for Kunst, wo eigentlich eine gute Auswahl der Werke von Hammershøi hängt. Doch wir haben eine seltsame Form von Glück bei unserem Besuch, denn alle, wirklich alle Hammershøi-Gemälde befinden sich anlässlich der Hammershøi-Großausstellung noch in München. Und so gelingt es uns zum ersten Mal, auch den Rest der Sammlung anzusehen, ohne dieses melancholische Störfeuer, das sonst von den Hammershøi-Bildern ausgeht.
 


Investmentliteratur

Hamburg, 22. August 2012, 13:44 | von Dique

Aus mir selbst nicht ganz klaren Gründen lese ich sehr gern Klassiker der Investmentliteratur. Die weltbekannten Highlights sind zum Beispiel Benjamin Grahams »Intelligent Investor« oder »One Up On Wall Street« von Peter Lynch. Dazu zähle ich aber auch die wunderbare Reise durch die Welt der Spekulation »Devil Take the Hindmost: A History of Financial Speculation« von Edward Chancellor.

Ein weiteres Spitzenwerk ist »Market Wizards« von Jack D. Schwager. 1988 zum ersten Mal erschienen, beinhaltet es 17 Interviews mit Top-Tradern, jedes einzelne mit einem kurzen Intro und Outro von Schwager versehen. Eine denkbar einfache Vorgehensweise, aber äußerst effektvoll und erfolgreich. Das Buch ist ein Megabestseller in seiner Klasse und wegen der Skalierbarkeit der Methode hat Jack D. Schwager einfach eine ganze Serie daraus gemacht, es erschienen noch »The New Market Wizards«, »Stock Market Wizards« und erst kürzlich »Hedge Fund Market Wizards«. Und für Sequels normalerweise unüblich, sind all diese Folgetitel genauso gut lesbar wie der erste »Market Wizard«-Kracher. Für die Investmentwelt sind diese Bücher so etwas wie Eckermanns Goethe-Buch. Ein etwas komischer Vergleich, aber er stimmt nun mal.

Es ist übrigens überraschend, dass fast alle interviewten Trader des ersten »Market Wizard«-Bandes ein Buch, noch dazu einen Roman, von 1923 als Pflichtlektüre benennen. Es handelt sich dabei um »Reminiscences of a Stock Operator« von Edwin Lefèvre. Erzählt wird die Lebensgeschichte des Traders Lawrence Livingston. Die Hauptfigur ist sehr eng an einen der ersten großen wirklichen Trader angelehnt, Jesse Livermore (»who might be considered the original day trader«). Natürlich habe ich das Buch sofort gelesen.