Feuilleton und Pornografie (Teil 5):
Aaralyn Barra über den »Da Vinci Code«

München, 16. Juli 2008, 11:45 | von Paco

Auch ein schönes Genre: das Pornstar-Interview. Einer der bekanntesten Textesammler in dieser Hinsicht war Luke Ford. Der ehemalige »Matt Drudge of Porn« hat sich inzwischen zurückgezogen und seine Website verkauft (deren URL übrigens auch schon mal in der FAS verbreitet wird, hehe).

Seine Interviews kann man dort trotzdem noch nachlesen, unter anderem das mit Aaralyn Barra. Es ist ein absolutes Ausnahme­gespräch, denn aus dem üblichen Fragenquiz wird auf einmal ein exegetischer Schlagabtausch über Dan Browns Roman »The Da Vinci Code« (2003):

Luke Ford: Interview mit Aaralyn Barra.
In: lukeisback.com, 4. 2. 2006.

Es handelt sich zwar schon noch um ein Pornstar-Gespräch mit den üblichen Fragen:

Luke: »What type of men are you attracted to?«
Aaralyn: »Black men and Germans.«

Aber schon von Anfang an sagt die Porno-Actrice einige super Sätze, die auf jeden Fall eine Komplettlektüre lohnen. Und dann fragt der Interviewer nach Freizeitaktivitäten. Aaralyn liest viel, zuletzt das hier: »I just got done with The Da Vinci Code. I’m no longer a Christian because of it. Have you read it?«

Das ist der Beginn eines nachgerade literaturwissenschaftlichen Streitgesprächs der Extraklasse. Es geht selbstverständlich um das Verhältnis von Realität und Fiktion.

Luke: »The DaVinci Code is a novel. (…) It’s not based on facts. How can it affect your view of anything? It’s a made-up story.«
Aaralyn: »So’s the Bible.«

In-Your-Face! Das sitzt erst mal. Luke versucht weiter abzuwiegeln, er müsste ja eigentlich die besseren Karten haben. Aaralyn erwähnt »the painting«, also Da Vincis »Abendmahl« mit dem weiblich aussehenden Johannes. Luke beharrt darauf, dass Dan Brown einen Roman geschrieben hat, eine erfundene Geschichte.

Aber Aaralyn hat alles nachgegoogelt und »things that I found convincing« gefunden. Und dann fasst sie das Buch doch auch recht schön zusammen: »Christianity is somebody’s idea. His main point in the book is who decided what was true and what was not true. Who put these things down in writing.«

Brown-Fan blieb sie allerdings nicht lange: »I’m reading Angels and Demons now. I’m not impressed. I stopped reading it after two chapters.«

Die FAS vom 13. 7. 2008:
Die schönsten Zahlen zwischen 1 und 10 000

London, 14. Juli 2008, 13:42 | von Paco

Ganz genau, die FAS wollte ich mal machen, ursprünglich wegen des Interviews, dass die New Kids on the Block mit Johanna Adorján geführt haben. Das Highlight ist aber IMHO ein anderer Text:

Eberhard Rathgeb über Roland Barthes

Eberhard Rathgeb schreibt über die deutsche Übersetzung der letzten Vorlesungen von Roland Barthes. Für den Umblätterer eine der wichtigsten Neuerscheinungen des Jahres. Titel: »Die Vorbereitung des Romans«. Geht da u. a. auch um das Verhältnis zwischen der so genannten ›Schriftstellerei‹ und dem so genannten ›Journalismus‹:

»Die ausufernde Sprache des Journalismus enthalte, so Barthes, ›nichts Archaisches, keinen Ursprungssinn, kein (sprachliches) Ritual, keine Liturgie, kurz: nichts Religiöses‹.«

Interessant ist dieses Zitat deshalb, weil unsere vermessene Arbeitshypothese ja vorsieht, die FAS so zu behandeln, als sei sie ein unendlich fortsetzbarer Roman der Gg.wart.

NKOTB

Dann das Interview mit den New Kids. Johanna Adorján kommt gleich am Anfang mit: »Sie sind nicht mehr New, Sie sind keine Kids mehr …« Das geht eine Weile so weiter, bis Donnie das hier bringt: »Green Day sind auch nicht grün.« Ein gutes Argument, hehe.

Klickstrecken

Einen ausführlichen Artikel zum Thema hat Stefan Niggemeier für die Medien-Seite abgeliefert. Geht darum, dass immer sinnlosere Klickstrecken immer mehr Klicks erzeugen sollen, denn Klicks sind momentan die Richtwerte, nach denen bei Onlinemedien Werbung platziert wird.

Der Teasertext fragt zynisch: »Sollen wir die schönsten Zahlen zwischen 1 und 10 000 bringen?« Die FAS selbst bringt sie dann nicht, also übernehmen wir, hier sind die 10 schönsten natürlichen Zahlen im genannten Zahlenbereich (wenn auch nicht als Klickstrecke):

76
811
1945
2192
2525
2666
3499
5401
7938
9817

Soweit zur FAS, jetzt muss ich einen Roman zuende lesen, dann doch noch Zeruya Shalev, »Liebesleben«, doch was ist das, auf Seite 193 bereitet der zu liebe und zu langweilige Ehemann Joni seiner Frau Ja’ara (unverdientermaßen, hehe) eine Portion Schakschuka zu, hmmm, da kann ich jetzt nicht weiterlesen, Schakschuka, genau, ich hab Hunger, also weg mit dem Roman, raus zum Essen, irgendwas, egal, Hunger.

(Nachtrag um 22:54 Uhr: Auf Seite 359 bäckt Ja’ara ihrem Joni »zu Ehren« einen Schokoladenkuchen. Schokoladenkuchen! Das Roman-Ende ist zwar greifbar nah, aber ich muss vorher noch mal schnell zum Off-Licence, vielleicht haben die noch irgendwas zum Nachtisch.)

Der nicht existierende Zusammenhang:
Die Sachsen LB und Robert Graves

London, 13. Juli 2008, 21:54 | von Dique

Die FAS will Paco machen, er ist irgendwo in Tottenham verschollen, seiner alten Hood, ich fahre da nie hin, wer fährt schon gern nach Tottenham (oder T’nam, wie Leute von da immer sagen).

Dafür noch mal kurz zum »Spiegel«-Artikel über die Sachsen LB (Ausg. 28, S. 80 ff.), kurz bevor morgen offiziell die neue Ausgabe erscheint. Habe den mit großer Lust gelesen, inhaltlich und auch von der Schreibe her mehr als super, da stimme ich jedem, der das auch sagt, voll zu.

Irgendwo ist es natürlich auch gemein, wie da über die Provinz­banker abgelästert wird, andererseits schwingt ein Hauch Nick Leeson mit, obwohl es in dieser Geschichte keine schillernde Persönlichkeit gibt, die da allein auf die Kacke gehauen hat, außer vielleicht Wilsing, aber der kommt dann doch ein wenig zu sehr als smart ass rüber. Geil natürlich auch, wie da KPMG und PwC nichts so richtig gepeilt zu haben scheinen. »Casino provincial« ist auch schon ein geiler Titel für den Artikel.

Ich habe mir heute auf dem Flohmarkt zwei Bücher von Robert Graves gekauft, über: griechische Mythologie. Später im Kaffeehaus meiner Wahl habe ich dann festgestellt, dass das der Autor von »I, Claudius« ist. Ich werde das heute endlich mal anfangen zu kucken (Pacos Review hier).

Neulich sprach ich mit meinem Newsagent darüber, und der kannte die Serie noch aus seiner Kindheit, als sie zum ersten Mal auf BBC lief, und er befand sie ebenfalls für sehr gut. Ich habe ihm dann (erneut!) ans Herz gelegt, endlich »Rome« zu schauen. Aber wie immer sagt er nur etwas gelangweilt: »Erm, I don’t know.«

Feuilleton und Pornografie (Teil 4):
Ariadne von Schirach über die Generation Porno

London, 12. Juli 2008, 08:14 | von Paco

Buchstäblich aus dem Nichts kam der »Spiegel«-Essay einer bis dahin unbekannten Philosophiestudentin:

Ariadne von Schirach: Der Tanz um die Lust.
In: Der Spiegel 42/2005 (17. 10. 2005), S. 194-200.

Die These der Autorin lautet ungefähr so: Wenn sogar der niedliche Berlin-Mitte-Boy von nebenan (»stilecht mit Freitag-Umhängetasche«) ungeniert durch die Pornoabteilung einer Videothek surft, dann muss das etwas bedeuten. Nämlich: Porno ist überall, Porno ist gesellschaftsfähig.

Der Ariadne-v.-Schirach-Artikel mit dem wallend blonden Foto als Beweis der Autorschaft war ein Scoop für den »Spiegel«. Alle, wirklich alle wollten wissen, wer das ist – und was dieser Text eigentlich jetzt genau soll. Einordnungsversuch: Der Artikel und Schirachs daran anschließendes Buch »Der Tanz um die Lust« (Goldmann 2007) sind eine Art Porno-Edition von Illies‘ »Generation Golf«.

All die hoffnungsfrohen jungen Leute, die sich von einer ubiquitären Pornografie dominieren lassen, verlängern so ihre Jugend und zögern ihr endgültiges Erwachsenwerden hinaus. Wo Pornos sind, sind Singles, männliche vor allem, denn die sprichwörtlichen »Sexbomben mit Staatsexamen« sind schon noch an Bindung interessiert, befinden sich schon noch in Erwartung des Mr. Right und zeigen sich daher »ungehalten über mangelnde sexuelle Bereitschaft. Die Männer sind verunsichert und flüchten ins Internet.«

»Die Hinweise häufen sich. Rund ein Drittel der deutschen Bevölkerung soll sich angeblich regelmäßig auf Sexseiten im Internet vergnügen. Es gibt Seiten, die ein komplettes Porno-Alphabet anbieten, jede nur erdenkliche Neigung, kunstvoll sortiert, der alte de Sade hätte seine helle Freude gehabt.«

Über Advanced Porn-Surfing hat übrigens Jens Friebe ein sehr schönes Lied geschrieben, es heißt »Gespenster«, stammt vom 2004er Album »Vorher Nachher Bilder« und wird hier später verhandelt.

Zurück zu Schirach. Ihr ist auf jeden Fall eine beeindruckende Phänomenologie der pornografisierten Gesellschaft gelungen. Der »Spiegel«-Text wird vor allem durch die unterhaltsame Beispielgebung getragen, angetreten ist »die Frau von der Triebabfuhr« (taz) aber auch, um irgendwie zu warnen: »Das Problem beginnt, wenn das pornografische Menschenbild zur Norm wird, und Gegenbilder fehlen«, sagte sie im SP*N-Interview. Wohin sie mit ihren Bedenken allerdings will, wird nicht so richtig deutlich.

Patrick Leigh Fermor

London, 11. Juli 2008, 17:32 | von Dique

Nachdem Paco und ich fünf Stunden mit Jonathan Dimbleby in Russland waren und Paco in seinem Text Wolfgang Büschers 82-tägigen Fußmarsch von Berlin nach Moskau erwähnte, setze ich die Assoziationskette mal fort.

Denn ich las parallel zufälligerweise Patrick Leigh Fermors »Between the Woods and the Water«. Fermor (God of travel literature!) brach 1933 vom Hoek van Holland aus nach Konstantinopel auf, zu Fuß.

Im ersten Teil, »A Time of Gifts«, wandert er durch Holland, Deutschland, Österreich, Tschechien und die Slowakei. »Between the Woods and the Water« setzt sich mit dem Donauübertritt nach Ungarn fort. Bevor der Text beginnt, gibt es übrigens als Epigraph folgende Schiller-Passage, auf Deutsch zitiert:

Völker verrauschen,
Namen verklingen,
Finstre Vergangenheit
Breitet die dunkelnachtenden Schwingen
Über ganzen Geschlechtern aus.

Schiller
from Die Braut von Messina

Denn anders als Dimbleby und Büscher (ok, Dimbleby can at least do ›spasibo‹, hehe), lernt Fermor auf seiner Wanderung einigermaßen Deutsch und interessiert sich auch für all die anderen Sprachen und Dialekte, denen er auf seinem Weg begegnet. Als er zum Beispiel, nachdem er Ungarn durchquert hat, die ersten Rumänen in Transsilvanien trifft, heißt es:

»They could all understand my hard-won fragments of Magyar; but I soon felt that the language they spoke to each other would be much easier to learn. A man was om, a woman, femeie; and ochi, nas, mâna and foaie were eyes, nose, hand and leaf. They were a little puzzled at first by my pointing at everything in sight with gestures of enquiry. Dog? Ox? Cow? Horse? Câine, bou, vaca, cal! It was marvellous: homo, femina, nasus, manus, folium, canis, bos, vacca, and caballus thronged through my brain in a delirious troop. Câmp was a field and fag a beech-tree (… ›quatit ungula campum!‹ … ›sub tegmine fagi …!‹). How odd to find this Latin speech marooned so far from its kindred!«

Klar, das ist schon alles ein bisschen anders als bei Dimbleby, aber man muss bedenken, dass Letzterer eine BBC-Fernseh­doku­mentation macht und damit einem medialen Zwang unterliegt. Und trotzdem ziehe ich Parallelen, natürlich weil ich es gerade gelesen habe und es auch in (im weitesten Sinne) Osteuropa spielt.

Doch daneben sind es diese kleinen historischen Bögen, die beide aufschlagen, wenn Dimbleby über die Herkunft der Tataren philosophiert oder Leigh Fermor über die der Magyaren, und kurioserweise gibt es ja zwischen beiden durchaus Verbindungen.

Und es ist auch die Art, sich mit all diesen verschiedenen Menschen verschiedener Klassen und Völkern unbedingt einzulassen, ohne Bewertung, ohne Schmäh, mittendrin und doch mit der nötigen Distanz.

Fermor hat seine Bücher viele Jahrzehnte nach seiner Reise geschrieben, basierend auf seinen Aufzeichnungen. Bei Reiseantritt war er gerade 18 Jahre alt. Er hatte danach also genügend Zeit, die historischen und kulturellen Kontexte zu verfeinern. Fermor ist mittlerweile 93 Jahre alt und arbeitet angeblich noch immer am dritten und letzten Band über seine Reise.

Mit BBC Two durch Russland:
Jonathan Dimbleby? A Great Man!

London, 10. Juli 2008, 07:49 | von Paco

Jonathan Dimbleby»Lost« findet bis Januar 2009 erst mal nicht mehr statt, und auch sonst ist gerade Sommerpause im Serienland. Also kuckten wir letzthin die fünfteilige Russland-Doku von Jonathan Dimbleby, die zwischen dem 11. Mai und dem 8. Juni, sonntags, auf der BBC Two lief (»Russia – A Journey with Jonathan Dimbleby«). Parallel dazu ist ein Buch erschienen, die DVDs sind auch schon da (cf. die Website des Projekts).

Ein ungenannter Nachbar von Dique hatte schönerweise die 5 Teile aufgenommen, während wir unseren Giro d’Italia absolvierten, so konnten wir nach unserer Rückkunft wie jeder gute Serienjunkie alle Folgen hintereinander wegkucken. Bei der TV-/VCR-Klapperkiste des Nachbarn war manchmal wahlweise der komplette Empfang oder der Ton ausgefallen, oder vielleicht war das auch Teil des BBC-Plans, ein wenig zusätzliche russische Authentizität zu erzeugen, hehe.

Ok, es geht natürlich um – Russland, aber vor allem geht es um Dimbleby, und das ist ganz genau gut so. Er ist irgendwie eine Mischung aus Gerd Ruge (Russlandreisender) und Günter Jauch (gilt irgendwie als Intellektueller). Seine insistierende, manchmal bedenkenträgerische, manchmal ironische Art macht jedenfalls süchtig. Teilweise wusste ich gar nicht mehr, worum es gleich noch mal ging.

Die Reise von Murmansk nach Wladiwostok fand 2006 statt, »at a particularly critical stage in Russia’s history«, und die mehr als einjährige Verzögerung der Ausstrahlung hat diese Einschätzung im weitesten Sinne plausibler gemacht, wenn man der westlichen Lesart folgt, was man ja nicht unbedingt muss.

Dimbleby jedenfalls führt in seinen Dialogen gern die Demokratie­defizite der Russen vor, sein Fazit am Ende der letzten Folge: »The appetite for democracy in Russia is diminishing, and that, for me, is a dispiriting prospect.« Diesen politischen Kommentarton bringt er aber immer erst im Nachhinein, gegenüber seinen Gesprächs­partnern verhält er sich stets non-judgmental (außer wenn die Stalin-Liebe einer dicken Russin mal etwas zu heftig durchkommt).

Dimbelby hat die 10.000-Meilen-Reise übrigens angetreten, ohne ein Wort Russisch zu können – ein Hauch von Wolfgang Büscher weht durchs weite russische Land, hehe. Nach dem erfolgreichen Kauf eines Tickets auf dem Kursker Bahnhof in Moskau scherzt er: »I’m getting better. At least I can do ›spasibo‹.«

Umso erstaunlicher ist es, dass er mit seinen Annäherungs­versuchen ans russische Volk wirklich immer für authentisch wirkende Szenen sorgt. Die Einheimischen setzen sich durchweg zutraulich zu ihm in Beziehung. Wenn jemand kein Englisch kann oder nicht gut genug, fungiert eine russische Muttersprachlerin aus seinem Doku-Team als Übersetzerin. Sie hält sich aber dezent im Hintergrund, im Fokus ist immer nur Dimbleby.

Er stellt sich zum Beispiel in eine Undergroundparty in Jekaterinburg und schaut sich später in derselben Stadt eine Schnapsbrenner-Razzia an. Oder er küsst eine zahnlose, aufgedrehte Bäuerin und lässt sich dafür von der umstehenden Bäuerinnen-Peergroup feiern. Oder er besucht in Tschita eine Gedenkveranstaltung zu Ehren der Dekabristen.

Oder er lässt sich von einem Sumo-Masseur kneten, in einem Sauna-Ambiente, das an die Nacktkampfszene in »Eastern Promises« erinnert. Während er durchgewalkt wird, sagt er in abgehackten Sätzen, dass er sich dabei wie das russische Volk fühlt:

»It’s a bit fanciful but there is a kind of metaphor here. If you think, all down the centuries the Russians have been oppressed in one way or another, by czars, autocrats, bloody tyrants, dictators, the Soviet system, and now, well, whatever it is now. I kind of feel I’m the Russian people here. Frivolous thought but it’s the kind of thing that comes to your mind when you’re going through this.«

Weitere anekdotenfähige Szenen: Im 30-Stunden-Zug nach Nischnewartowsk kommentiert er einen halb vergammelten Riesensamowar, der auf dem Gang steht: »The samovar. Russian icon. I never quite understand why it’s so special because it does, infact, a very simple thing which is give you water.« (Hehe.)

Im Zug ab Moskau teilt er sich mit einem ukrainischen Arbeitsmigranten ein Bier. Er wedelt mit der Penguin-Ausgabe seines Lieblingsromans und erklärt seinem kurzfristigen Saufbruder: »It’s a very famous Russian book, called ›Anna Karenina‹, by Tolstoy. You know Tolstoy? Great man, yeah, he’s a great man!«

Dieser Klappentextduktus wirkt seltsamerweise ähnlich sympathisch wie das genaue Gegenteil, wenn etwa Hamsun seinen Johan Nilsen Nagel über Tolstoi herziehen lässt (Dique hat das neulich erwähnt).

Natürlich besucht er auch Tolstois Landgut, Jasnaja Poljana, hervorzuheben sind außerdem seine Auseinandersetzung mit dem Veteranentum im Umfeld der 9.-Mai-Parade in Moskau oder der Besuch des Jüdischen Autonomen Gebietes im Südosten des Landes.

Übrigens haben ihn die Gremlins überall hin verfolgt. Die Gremlins? Ach so, der Kreml heißt auf englisch ›Kremlin‹, und da kann man sich schon mal verhören, besonders wenn der nachbarliche VCR gerade mal wieder den Ton verrauscht hat, hehe.

Also also, die BBC hat da eine ganz feine Doku gemacht, die man weiterempfehlen kann wie warme Semmeln.

Foto: »JD in Snowscape«
(© Random House; mit Dank an Claire Scott!)

Die FAS vom 6. 7. 2008:
Die nackten Wandersleut

London, 9. Juli 2008, 01:18 | von Dique

Ich diskutiere noch immer mit Paco, inwieweit der Artikel »Raus aus den Klamotten, rein in den Wald« von Philip Eppelsheim in der letzten FAS (S. 58) zu ›Porno & Feuilleton‹ passen könnte. Paco meint: überhaupt nicht, und das stimmt eventuell auch.

In genanntem Artikel jedenfalls beschäftigt sich Eppelsheim mit dem zunehmenden Phänomen des Nacktwanderns und beschränkt sich dabei nicht auf die Befragung von Anhängern und Opfern (hehe) dieses Hobbys, sondern entscheidet sich knallhart für teilnehmendes Beobachten.

Er lässt also die Hosen runter und marschiert mit Socken, Schuhen, Rucksack und sonst nichts bekleidet mit einer Gruppe nackter Wandersleut durch den Wald.

»Nach zehn Minuten gibt Helmut das Kommando: ›Fertigmachen, es kann losgehen.‹ T-Shirt und Shorts fallen. Und Helmut steht da, wie Gott ihn schuf. Abgesehen von den Snoopy-Socken und den Turnschuhen.«

Die Rucksack tragenden Nackedeis auf dem zugehörigen Foto, welches der Autor selbst schoss, sehen auch einigermaßen bizarr aus.

Ich denke bei Wanderslust, im Allgemeinen nicht der nackten, an Schubert und die schöne Müllerin, aber schöne Müllerinnen scheinen dieser entblößten Lust eher selten zu frönen:

»Wobei ich mich allerdings frage, weshalb fast nur Männer jenseits der vierzig mitlaufen. Warum hat der Mann fortgeschrittenen Alters das Bedürfnis, sich zu zeigen, wie die Natur ihn schuf?«

Weil sie eben Individualisten seien und nicht 08/15, antwortet einer der Nacktwanderer.

Sechs Stunden hat Eppelsheim sich das angetan, Radfahrer und bekleidete Wanderer kamen über den Weg und sogar ein Hubschrauber zog seine Kreise über den Nackten. Eine Leidenschaft konnte er für dieses Hobby nicht entwickeln:

»›400 Meter noch.‹ Helmuts Worte – eine Erlösung. Schnell in die Klamotten. Helmut hat vorausgesagt, dass sie unangenehm zwicken werden. Tun sie nicht. ›Bist du nächste Woche wieder dabei?‹, fragt Helmut. Mein Blick verrät mich. Eher nicht.«

Von Feuilleton-Seite 1 (S. 23) strahlt ein wunderschönes Biedermeier-Familienporträt von August von der Embde (»Portrait der Familie von Ditfurth«, 1829). Die Besitztums­verhältnisse sind strittig, Johanna Adorján hat den Text zum Bild geschrieben, darin geht es weniger um das Bild selber, dessen Marktwert mit ca. 30.000 bis 40.000 Euro vergleichsweise gering ist. Es geht eher um die Geschichte drumherum, »eine deutsche Geschichte«, wie es im Untertitel heißt.

Öffentliche Nacktheit kommt mir auch immer wie eine deutsche Geschichte vor. Eine schwedische Freundin, die nur einmal in Deutschland war, in Hamburg, wurde dort von ihren Gastgebern angeblich zu einer Nacktparty in einem Schwimmbad mitgenommen. Es habe Drinks und Häppchen gegeben und alle seien nackt gewesen. Sie dachte, das sei in Deutschland normal.

Feuilleton und Pornografie (Teil 3):
Tobias Rapp über Pornpop

London, 8. Juli 2008, 11:50 | von Paco

Nachdem in den letzten beiden Teilen in kritischem und ironischem Ton über Pornografie geschrieben wurde, folgt heute der verwissenschaftlichte Ton. Tobias Rapp hat vor einigen Jahren in der »taz« den Begriff »Pornpop« geprägt und damit die fortschreitende Pornografisierung der Gesellschaft beschrieben:

Tobias Rapp: Sag deine Wahrheit, Baby.
In: die tageszeitung, 2. 4. 2004.

Holzhammerartige Anspielungen auf Sex und Pornografie gibt es in der Popmusik natürlich mindestens seit Elvis‘ Hüftschwung und Mick Jaggers Mundporträts. Neu ist nun allerdings laut Rapp, dass die Pornografie im »Herzen des Pop-Mainstreams« stattfindet und dass ihr keine Subversionskonzepte mehr zugrunde liegen.

Der geplante Zungenkuss, den sich Madonna und Britney Spears bei den MTV Video Music Awards 2003 gegenseitig in die Gesichter drückten, wird von Rapp zwar nicht erwähnt, eignet sich aber gut zur Illustration dieser These. Diese Live-Aktion zielte eben nicht mehr auf sowas wie die Befreiung der Frau oder die Legitimation der Homo-Ehe.

Diesem eher seichten »Crossover zwischen Pornografie und Mainstream-Pop« stellt der taz-Text die Pornovideos von Snoop Dogg zur Seite. Die Filme, sie sogar kurzzeitig seinen Karriereknick aufhalten konnten, sind die logische Weiterentwicklung der pimpigen Rapvideos: Hier findet der Sex wirklich statt, der in den Clips nur angedeutet wird. »Pornpop ist die vorläufig letzte Möglichkeit, in der Karaokewelt des Mainstreams authentische Geschichten zu erzählen.«

Nun sind Snoop Dogg und Britney Spears etwas weg vom Erfolgsfenster, der Pornpop ist geblieben. Inzwischen hat er ein Update zur These »Alles ist Porno« erfahren, die wenig später von Ariadne von Schirach in den Raum gestellt und über einen berüchtigten »Spiegel«-Essay (in Nr. 42/2005) und später in ihrem Buch »Der Tanz um die Lust« (2007) verbreitet wurde. Darum geht es dann demnächst.

Kaffeehaus des Monats (Teil 35)

sine loco, 5. Juli 2008, 16:31 | von Paco

Wenn du mal richtig Zeitung lesen willst:

Weinheim, Café Florian

Weinheim
Das Café Florian, Am Marktplatz 8.

(Es empfiehlt sich, draußen Platz zu nehmen, denn
manchmal werfen die Marktfrauen treffsicher Erdbeeren
und Weintrauben auf die Gäste des Cafés Florian, und
die Fischhändler haben tonnenweise alte Feuilletons
auf Lager, die sie auf Zuruf gern herüberbringen.)

Regionalzeitung (Teil 7)

Leipzig, 4. Juli 2008, 15:06 | von Austin

 
  31.   will es noch einmal wissen

  32.   gaben sich ein Stelldichein

  33.   bevor sie zum gemütlichen Teil des Abends übergingen

  34.   die Freunde des runden Leders

  35.   konnten zeigen, aus welchem Holz sie geschnitzt sind