Archiv des Themenkreises ›Serienjunkiez‹


Die 30 besten US-Serien:
Besuch im Serienland 2007/08

Barcelona, 28. Juli 2008, 20:24 | von Paco

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Frage: Wie vertrieben Sie sich bei der EM die Zeit?
Michael Ballack: Ich hatte alle Staffeln von »Lost« dabei, da kommt man nicht mehr von weg. Das ist ’ne Abenteuerserie, wo die Darsteller auf einer einsamen Insel überleben müssen.
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Die US-amerikanische TV-Saison endet traditionell Ende Mai, wenn die Finalfolgen der aktuellen Staffeln laufen. In diesem Fernsehjahr wurden durch den Streik der Writers Guild of America ab Anfang November 2007 fast alle Ausstrahlungen verzögert, denn durch die Arbeitsniederlegung der Autoren mangelte es irgendwann an verfilmbaren Drehbüchern. Einige Staffeln endeten daher halbherzig irgendwo in der Mitte.

Trotzdem gab es wieder viel versprechende Serienstarts, überzeugende Fortsetzungen und grandiose Einzelfolgen. In den nächsten beiden Wochen werde ich hier täglich ein bis zwei Serienstaffeln vorstellen und kurz besprechen, insgesamt 30. Die Reihenfolge der Einträge ist als lockeres Ranking zu verstehen: Ich beginne mit den schlechteren Serien bzw. Staffeln und ende mit den besseren. (Der aktuelle Stand wird in dieser Übersicht festgehalten, die auch jederzeit über die rechte Seitenleiste zugänglich ist.)

In den letzten beiden Jahren wurde mein »Besuch im Serienland« im Online-Feuilleton satt.org sowie auf der Website serienjunkies.de veröffentlicht. Dieser dritte Teil geht nun mit 30 besprochenen Serien deutlich über die Vorgängerlisten hinaus und konstituiert sich daher zuerst hier im Umblätterer.

Warum räumen wir irgendwelchen US-Serien soviel
Platz in einem dedizierten Feuilleton-Blog ein?

Es wurde hier schon oft betont, insgesamt wird aber noch viel zu wenig darüber berichtet: dass die derzeitigen US-Serien hinsichtlich ihrer ideenreichen Narration, der durchdringenden Figuren­entwicklung und ihren messerscharfen, theatertauglichen Skripten die mit Abstand interessantesten und innovativsten Geschichten erzählen. Da kann die Romanindustrie im Moment nicht mithalten, geschweige denn die Filmindustrie. So lautet die These, die wir auch in den folgenden Beiträgen plausibilisieren wollen.

Dabei wird es vor allem um die Storykomponente gehen, um die Einschätzung von Erzählstrategien. (Achtung! Ständige Spoiler-Gefahr!) Namen der Schauspieler werden nur im Ausnahmefall genannt, auf Gossip vom Set und vonseiten der Sender wird tendenziell verzichtet. Das können die News-Seiten zum Thema, allen voran serienjunkies.de, viel besser.

(Nach dieser etwa zweiwöchigen Serienoffensive geht es auch mal wieder um Zeitungen and the likes.)


Lost: 4. Staffel, 13. und 14. Folge

Rom, 9. Juni 2008, 17:43 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »There’s No Place Like Home (Parts 2+3)«
Episode Number: 4.13+14 (#84+#85)
First Aired: May 29, 2008 (Thursday)
Deutscher Titel: »Die Rückkehr, Teil 2+3« (EA 7./14. 9. 2008)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Mit diesem Doppelfolgenschlag endete vor gut zwei Wochen die episodenmäßig leicht verkürzte 4. »Lost«-Staffel. Hinsichtlich des großen Storybogens mischt sich das Zeitreisenthema mit dem Thema des Wegbeamens von eigentlich fest in der Gegenwart verankerter Materie. Diese Space-Komponente ist neu und kommt in dieser Folge als Versetzung der Insel daher, so wie sie Ben, Locke & Co. in Jacobs Hütte aufgetragen worden war: »We gotta move the island.« (Folge 11)

Es bleiben nur noch 2 Staffeln, um uns das Insel-Mysterium plausibel zu erklären, und in der 4. Staffel, vor allem in Folge 5 (»The Constant«), wurde alles Richtung SciFi-Hokuspokus verschoben. Was zu dem als Robinsonande mit psychologischer Tiefenwirkung gestarteten »Lost« nicht so recht zu passen scheint.

Bisher hatte ich die Mystery der Serie ganz anders interpretiert: Wenn gleich in Folge 1.02 der berühmte »Lost«-Eisbär durch den Jungle rast oder in Folge 1.05 Jacks eigentlich toter Vater auf der Insel erscheint, dann hielt ich das für magischen Realismus in der Tradition von García Márquez‘ »Hundert Jahre Einsamkeit«. Mittlerweile wird dieser magische Realismus durch waschechte Science-Fiction-Elemente übertönt, auf die wohl auch alles hinauslaufen wird. Wobei zunächst auch stimmt, was sablog zur Teleologie der Serie anmerkt:

»Das Wichtigste ist wohl, dass man als Zuschauer wieder das Gefühl hat, dass dies alles irgendwo hinführt und dass es wirklich einen größeren Gesamtzusammenhang gibt und die Autoren nicht planlos vor sich hin spinnen.«

So viel zum Gesamtkonzept. Noch kurz zum großen Cliffhanger, der die 4. Staffel beschlossen hat: Lockes Beerdigung im Flashforward, außerhalb der Inselwelt. Diese Szene, die uns bis Januar bei der Stange halten soll, ist freilich nicht so stark wie die Entdeckung des Hatch am Ende von Staffel 1 oder der erste Flashforward am Ende von Staffel 3.

Trotzdem wirft der Blick in den Sarg genügend Interpretations­spielraum auf, der wohl demnächst das Thema ›Auferstehung‹ auf den Plan rufen wird. Denn auch wenn »Lost« dafür bekannt ist, einfach mal ein paar Hauptcharaktere zu killen, wird keiner ernstlich glauben, dass auch Locke endgültig dem Drehbuch geopfert wurde.

Nun zu einigen Details, die auch die Episoden 13 und 14 wieder ein echtes »Lost«-Erlebnis haben werden lassen. Gleich der Beginn der Doppelfolge ist fulminant: Die Others überfallen den Keamy-Trupp. Kurz darauf kommt es zu einer der besten Kampfszenen bisher: Sayid rennt Keamy um, der Ben und Kate verfolgt. Es geht hin und her, bis Keamy hinterrücks von Richard abgeschossen wird.

Ben: Thank you for coming, Richard.
Richard: My pleasure.

Zum Dank lässt Ben, der Insel-Gentleman, Kate und Sayid gehen, »the helicopter is yours, … have a safe journey back!« Die beiden gabeln noch Jack und Sawyer auf und heben ab Richtung Frachter. Die Treibstoffanzeige bewegt sich schnell Richtung Null, und Chopper-Frank meint, dass man ein paar Dinge rauswerfen solle, damit die Chopper leichter werde. Ein paar Metallkoffer usw. klatschen ins Meer. Als ob das helfen würde, Gallonen an Benzin zu sparen.

Also muss sich jemand opfern und zwar – Sawyer, aber erst nach ein paar Flüsterworten, die er Kate zuraunt und mit einem »Just do it!« bekräftigt. Er springt hinaus in den Ozean, taucht wieder auf und schwimmt zurück zur Insel. Am Strand trifft er auf Juliet.

(Für Sawyers Flüsterworte kursiert inzwischen eine plausible Verständnisvariante. Wahrscheinlich sagt er zu Kate: »I have a daughter in Albuquerque, I need you to find her, tell her I’m sorry.« – Könnte durchaus so stimmen, denn in Folge 2.04 hatte Sawyer von der Existenz seiner Tochter Clementine erfahren, die er zusammen mit einem seiner Betrugsopfer gezeugt haben soll. Die Kleine und ihre Mutter leben angeblich dort, in Albuquerque, New Mexico.)

Nahe der neu entdeckten Dharma-Station ist es davor übrigens wieder zum Glaubenskampf gekommen: Jack vs. Locke. Es geht diesmal um die Möglichkeit von Wundern. »There’s no such thing as miracles«, sagt Jack. »Just wait till you see what I’m about to do«, antwortet ihm Locke.

Er hat dabei zwar schon einen Argumentationstrumpf in der Hand: seine eigene Heilung und Auferstehung aus dem Rollstuhl nach dem Flugzeugcrash. Aber diesmal meint er sicher das bevorstehende Wegbeamen der Insel. Also endlich mal ein Punkt für Locke, den notorischen Fehleinschätzer. So ist es später auch Jacks ungläubiges Gesicht, das wir als erstes sehen, nachdem die Insel dem Meeresspiegel gleich gemacht wurde.

Die auf der Insel verbliebenen Ben und Locke entern die Orchid-Station, wo wir endlich mal wieder das Interieur eines der finsteren Dharma-Bunker bestaunen können. Auch dieser hier habe für »silly experiences« der Dharma-Leute gedient, meint Ben lustigerweise. Es gibt qua Dharma-Lehrvideo ein Wiedersehen mit Dr. Edgar Halliwax (wie lange ist das her!). Er spricht von »experiments in both space and time«. Das wirkt erst mal lächerlich, und damit ist auch der befürchtete Moment da, im Klartext: Es geht irgendwie um time-travelling.

Ben bestätigt das so halb, nimmt dem SciFi-Kram gleichzeitig aber mit einem lustigen Kommentar glücklicherweise die Aura. Außerdem stopft er die geflieste Zeitreisenkammer, die von außen aussieht wie ein futuristischer Fahrstuhl, mit Metall voll, obwohl das Lehrvideo genau das explizit verbietet. Als Ben das Ding einschaltet, ist das Zeitreisenthema auch erst mal vom Tisch, denn die Kapsel explodiert – und gibt den Weg frei zum Schacht mit dem Bewegungsrad.

Unmittelbar bevor Ben dort tätig wird, übergibt er Locke die Führerschaft, denn: »Whoever moves the island can never come back.« Der alte Leader opfert sich für die Gemeinschaft und weiht den neuen Leader ganz persönlich. John wird zu den Others geschickt, die ihn mit verklärenden Augen anblicken und begrüßen. »Welcome home«, sagt Richard.

Ben gelingt es, die vereiste Drehkreuz-Kulisse zu bewegen. Die Szene wird wie bei vielen Atombomben-Filmen ins Weiße hin ausgeblendet. Die Insel verschwindet im Meer. In welcher Parallelwelt deren Bewohner landen, sehen wir vorerst noch nicht. Jedenfalls ist das schon ziemlich starker Tobak, den man für schlecht ausgedachten Proto-SciFi-Scheiß halten könnte. Andererseits wird dadurch das Zeit/Raum-Thema in neue Dimensionen getrieben.

Ach ja, Keamy hat die auf ihn abgegebenen Schüsse durch eine Schutzweste überlebt und ist Ben in die Dharma-Station gefolgt, wo er von diesem martialisch erstochen wird. Was nicht so gut ist, denn Keamys Puls hält über eine Fernsteuerung die Riesenbombe auf dem Frachter davon ab, in die Luft zu gehen.

Es wirkt übrigens sehr holzhammerartig, dass auf der Ansammlung von Sprengstoff ganz groß draufsteht: »C4 EXPLOSIVE!« Es könnte ja auch was ganz anderes darin sein, hehe. Und Desmond, Michael und Jin machen total auf MacGyver, wenn sie sich darüber unterhalten, welches Kabel durchzutrennen sei. Sie finden aber keine Lösung und können mit irgendwelchem kühlenden Sprühzeug die Explosion verzögern.

Da landet der Heli auf dem Frachter und wird wegen der akuten Gefahr sofort wieder weggeschickt, diesmal mit Sun und dem kleinen Aaron an Bord. Dann geht der Frachter hoch, BOOOM! Jin und Michael gehen dabei offensichtlich mit drauf.

Dann verschwindet ja die Insel, der Heli hat somit keinen Landeplatz, und das Ende des Treibstoffs zwingt ihn zur Bruchlandung im Meer. Die Besatzung findet komplett in das aufblasbare Rettungsboot, wobei es zunächst schlecht aussieht für Desmond, bis er von Jack reanimiert wird. Dann stößt ein Schiff auf die Notgelandeten, Penny Widmores Schiff. Es folgt ein kleines Happy End: das Wiedersehen von Penny und Desmond.

Statt einem Freudenfest gibt Jack aber an die anderen die Anweisung weiter, die ihm Locke zugesteckt hat: »We’re gonna have to lie!« Und zwar, um die auf der Insel Verbliebenen zu schützen. Deshalb schippern sie 3.000 Meilen weiter bis zur Insel Membata, wo sie aufgefunden werden. (Die falsche Verschollenheit wurde in Folge 12 der Öffentlichkeit präsentiert.)

Im Flashforward ist übrigens die ganze Doppelfolge lang von einem Jeremy Bentham die Rede. Es handelt sich um ein Pseudonym von John Locke, der auch irgendwie die Insel verlassen hat um die abtrünnigen Losties zurückzuholen. Jack in der Schlussszene zu Ben: »He told me that after I left the island some very bad things happened. And he told me that it was my fault for leaving. And he said that I had to come back.«

In der Lostpedia, die dem Benennungszinnober der »Lost«-Autoren ja immer weitschweifig Gründe unterlegt, wird die Kritik erwähnt, die der historische Bentham an der Gewaltherrschaft der Jakobiner geübt hat. Die Jacobins könnten dann subtextuell auf den mysteriösen Inseloberen Jacob verweisen. Vielleicht aber auch nicht, hehe.

Locke alias Bentham hat jedenfalls laut Sayid Selbstmord begangen, bzw.: »They said it was suicide.« Immer diese »they«!

Sun geht im Flashforward übrigens einen eigenen Weg. Sie darf vor einer bekannten touristischen Kulisse, der Londoner Tower Bridge, auftreten, wo sie als toughe Managerin der Firma ihres Vaters (Paik Industries) ein nicht näher erklärtes Kooperationsangebot an Widmore richtet. Die Schauspielerin der Sun (Yunjin Kim) ist mit ihrer Rolle übrigens nicht mitgewachsen: Man nimmt ihr das herrische Gebahren keine Sekunde lang ab.

Suns Geschichte ist ja überhaupt die eines verspäteten Coming of Age, das noch lange nicht abgeschlossen ist und das sicher nicht 3 Jahre nach dem Inselaufenthalt damit endet, dass sie mit einem wie Widmore auf Augenhöhe sprechen kann. »As you know, we’re not the only ones who left the island«, sagt sie zu ihm. Abgesehen davon, dass sie diesen Satz mit ihrer brüchigen Stimme absolut nicht ernst rüberbringen kann, ist das ziemlich schlechte Cliffhanger-Rhetorik.

Noch eine Kleinigkeit: Vor der Insel-Versetzung gab es zwischen Miles und Rose einen schönen Kurzdialog darüber, ob Miles jetzt die Dharma-Erdnüsse der Losties essen dürfe oder nicht. Das ist überhaupt das Problem dieser vollgestopften letzten Folgen gewesen: dass es viel zu wenig Interaktion gab zwischen den Nebenfiguren.

Dabei sorgt Miles etwas später für einen äußerst interessanten Cliffhanger. Er lässt gegenüber Charlotte durchscheinen, dass er weiß, dass sie schon mal auf der Insel gewesen ist. Charlotte stellt sich daraufhin dumm, aber wir sehen an ihrem Gesichtsausdruck: Da wird was dran sein. Im Gespräch mit Faraday erzählt sie kurz darauf, dass sie »still looking for where I was born« ist.

Es ist zur Abwechslung vielleicht auch mal ganz gut, dass es mehrere kleinere Cliffhanger gibt statt eines großen, der alle anderen übertönt. Wobei: Welche Informationslücke ist größer als diejenige, die den riesigen vierzehigen Statuenrest aus Folge 2.23 betrifft?


Die FAS vom 18. 5. 2008:
Indianer, Girlsreihe, Dalai Lama

London, 20. Mai 2008, 09:01 | von Dique

Peter Richter rezensiert ein Buch über die weit verbreitete Lust vieler Ostdeutscher am Indianerspielen (S. 30). Anscheinend wurde da schon in den 50er-Jahren mit selbst gebastelten Knarren herumge­ballert. Das Begleitfoto zeigt dann auch ein Indianerzeltlager mit untergemischten Trabbis.

Mich erinnert das an die »Seinfeld«-Folge »The Burning« (9.16), in der sich Kramer und Mickey als Schauspieler für Krankheitssymptome verdingen, damit ein paar Medizinstudenten an ihnen üben können. »The Burning« ist vollgepackt mit Dialogfeuerwerken wie diesem:

Jerry: What’s with the fake sneezing?
Kramer: Yeah, we’re going down to Mt. Sinai Hospital. See, they hire actors to help the students practice diagnosing.
Mickey: They assign you a specific disease and you act out the symptoms. It’s an easy gig.
Jerry: Do medical schools actually do this?
Kramer: Well, the better ones. Alright, let’s practice retching.
Kramer & Mickey: Huaaahh!!

Als die Krankheiten verlost werden, bekommt Kramer »gonorrhea« zugeteilt, also Tripper. Er zeigt sich anfänglich etwas enttäuscht von seiner Krankheit, wird aber von Seinfeld auf eine Idee gebracht, als dieser in einer Konversation »showmanship« erwähnt: »Showmanship. Maybe that’s what my gonorrhea is missing.«

Weil er »seinem Tripper« so ein Eins-A-Showmanship verpasst hat, fällt ihm von da ab ständig die »gonorrhea« zu – Kramer wird typecast.

Peter Richter erscheint auch immer ein bisschen getypecastet, quasi als Ostberichterstatter der FAS. Dass er diese Themen macht, ist ein Glück. Er ist der erste und einzige, der sie immer locker und mit Laune rüberbringt, auf jeden Fall ohne dräuende Stasigrundierung oder dergleichen. Dabei springen immer wieder tolle Artikel heraus, showmanship ist eben alles.

Ich bleibe gleich mal im Osten, auf S. 27 tanzt das Ballett des Friedrichstadtpalastes, und mir wird himmelangst. Eleonore Büning, die offenbar neue Musikredakteurin der FAS (vgl. Die Dschungel), weiß um solche Ängste und beginnt den Artikel gleich mal so:

»Ich war wieder im Friedrichstadtpalast. Nee, oder? Mitleidig bis sorgenvoll sind die Blicke der Nachbarn, Kinder, Freunde und Kollegen.«

Und dann geht es auch schon los und ich fühle mich lächerlich in meiner Ignoranz. Von vierundsechzig exakt in die Luft gestreckten Mädchenbeinen ist die Rede, und das ist erst der Anfang. E. B. spricht hier übrigens von der professionell getanzten »Girlsreihe«.

Dieses Wort taucht mehrfach auf im Text, Girlsreihe, was für ein Wort, bei Google bekommt man darauf im Moment gerade Mal 81 Hits. Das liegt sicher auch daran, dass die »Girlsreihe« ausstirbt. Laut Büning gibt es nur noch drei passable, in Paris, Las Vegas und eben in Berlin.

Der Text ist ganz wunderbar, Nominierungsgefahr liegt in der Luft. Die Autorin berichtet von 5 Musikveranstaltungen, angefangen bei der Revue im Friedrichstadtpalast, über Neuenfels‘ »Tannhäuser« in Essen bis hin zum Kabukitheater im Berliner Haus der Kulturen der Welt.

Diese 5 Events gehören nicht etwa irgendwie zusammen, nein, sie fanden separat und autark statt. Deren Synopsis funktioniert aber wohl gerade deshalb so wunderbar, weil sie den Text so kontrastreich macht.

Von der Startseite des Feuilletons grüßt es übrigens knallrot. Nein, nicht schon wieder Cindy McCain. Dreimal sieht man da den Dalai Lama hocken, wie er sich gerade einen roten Sonnenschutz auf den Kopf montiert.

Ich hätte mir den Text von Nils Minkmar (S. 25) fast gespart, Übersättigung. Ich fing dann doch noch an zu lesen, zum Glück! Es geht viel um Dämonen, Schutzgeister und Orakel. Der Dalai Lama redet sich in Rage, weil vor der Tür Anhänger des Schutzgeistes Shugden demonstrieren, und mit Shugden ist anscheinend nicht zu spaßen.

Vor verdutztem westlichen Publikum redet sich der Dalai Lama also über diesen Schutzgeist in Rage, und im Publikum staunen Veronica Ferres, Peter Maffay und Liz Mohn.

Hier können wir noch mal zu Peter Richter schalten, der in seiner Indianerbuchrezension schreibt:

»Hier saß Karl May in seiner sächsischen Enge und träumte sich in die Prärien, die damals in Deutschland gerade zur Projektionsfläche wurden für ein Bild von Indianern, in dem sich uralte Weisheit und kindliche Unschuld, moralische Über- und militärische Unterlegenheit die Friedenspfeife reichten (also das, wofür im Augenblick die Tibeter zuständig sind).«


Lost: 4. Staffel, 12. Folge

auf Reisen, 19. Mai 2008, 20:20 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »There’s No Place Like Home (Part 1)«
Episode Number: 4.12 (#83)
First Aired: May 15, 2008 (Thursday)
Deutscher Titel: »Die Rückkehr, Teil 1« (EA 31. 8. 2008)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Ausgehend von der Szene mit dem verzweifelten, bärtigen Jack am Ende der 3. Staffel haben wir uns in den Flashforwards der 4. Staffel mehr oder weniger folgenweise rückwärts auf dem Zeitstrahl bewegt. Die Spanne zwischen Inselzeit und Flashforwardzeit hat sich dadurch in den bisherigen 12 Folgen signifikant verringert.

Die aktuelle Episode zeigt uns nun die Ankunft der geretteten Oceanic Six auf einem hawaiianischen Militärflughafen. In dieser nachträglichen Kernszene des signifikanten Drehbuch-Twists sehen wir Jack, Kate (mit Aaron), Sayid, Sun und Hurley verschwörerisch an Bord der Militärmaschine sitzen. Bei der anschließenden Pressekonferenz geben sie abgesprochene Dinge von sich. Nur weiß man noch nicht, wer was warum abgesprochen hat.

Als Absturzort des 815er Fluges wird die Ozeangegend südöstlich von Java angegeben. Die angeblich 108 Tage, die von den Oceanic Six gebraucht wurden, um die Zivilisation in Form der bewohnten Insel Sumba zu erreichen, eignen sich wieder schön für Zahlenmystik. Die Summe der »Lost«-Zahlen 4 8 15 16 23 42, die sich wie ein Refrain durch die Serie ziehen, ergibt natürlich genau wieder 108. (Das Zeitintervall im Hatch, nach dessen Ablauf die Zahlen immer wieder in den Computer gehackt werden mussten, war auch genau 108 Minuten lang. Usw.)

Lustig hierbei ist, dass die 108 Tage der Verschollenheit als Eckdaten für die Presse ausgedacht worden sind und nicht wirklich stattgefunden haben – die Drehbuchschreiber demonstrieren damit einmal mehr, wie gern sie auf derlei zahlenmystischen Zinnober zurückgreifen. Könnte ein weiterer Wink mit dem Zaunpfahl sein, dass man die Mystery nicht zu ernst nehmen soll, super.

Ein interessanter emotionaler Kristallisationspunkt ist die anschließende Wiedervereinigung der Oceanic Six mit ihren Familien, oder eben auch das dezidierte Nicht-Wiedersehen: Niemand wartet auf Kate (und Aaron). Und Sayids Familienlosigkeit wird von Hurley aufgefangen, der ihn enthusiastisch mit zu seinen Eltern schleppt. Wobei der irakische Ex-Gardist später von seiner Sandkastenliebe Nadia rekontaktiert wird.

Als weitere Flashforward-Elemente gibt es noch ein paar Ereignisse, die zeitlich kurz nach der Pressekonferenz liegen dürften. Zunächst ist Sun dran: Nachdem Locke seine Vaterprobleme schon gelöst hat, indem er seinen alten Herrn von Sawyer hat lynchen lassen, ist es nun an Sun, ihrem Erzeuger eins reinzuwürgen. Mit der finanziellen Entschädigung der Airline kauft sie Anteile an der Firma ihres Vaters und treibt den Patriarchen damit zur Weißglut.

Hurley kriegt im Haus seiner Eltern eine Überraschungs-Geburtstagsparty geliefert, auf der sich auch die anderen Oceanics einfinden (außer Jack, der sich laut Kate verspätet hat). Das Hauptgeschenk ist Hurleys instand gesetzter Chevrolet Camaro, der ihm von seinem Vater stolz präsentiert wird. Die beiden Kilometerstände des Tachometers enthalten jedoch genau wieder die »Lost«-Numbers, mit denen Hurley vor dem Crash den unglückseligen Lottogewinn eingeheimst hat. Hurley rastet aus, wuchtet sich aus dem Fahrzeug heraus und sucht das Weite.

Dann sehen wir Jack die Grabrede auf seinen Vater halten (dessen Leiche aber nicht anwesend ist – das Motiv des materialisierten Christian Shephard wurde in der letzten Folge behandelt). Danach wird er von einer Mittvierzigerin angesprochen (Typ MILF, hehe) – und endlich wird offiziell die biografisch-biologische Schnittmenge zwischen Jack & Claire bekannt: Die Mami mit britischem Akzent ist Claires Mutter und erzählt Jack, dass Claire qua Christian Shephard seine Halbschwester war (ist).

Meanwhile, auf der Insel

Der zum Überflug gezwungene Chopperpilot (Frank) hat heimlich einen dieser GPS-Kommunikatoren am Strand abgeworfen. Faraday schaltet das Ding auf »Monitor Only«, und die Strandleute hören, wie Keamy in der Nähe der Orchid-Station landen lässt. Jack & Kate beschließen, dem Choppersignal zu folgen. Faraday meint verstohlen zu Charlotte: »We have to get off this island! Right now!« Er bringt die erste Ladung Losties auf den Frachter und will sich offenbar auch um den Rest kümmern. Überhaupt Faraday: Er trägt immer noch dieses ausgebeulte, verschwitzte Hemd und hat auch die Krawatte noch nicht abgelegt, herrlich.

Auf dem Frachter kommt es zu einer giftigen Szene zwischen den Koreanern und dem Verräter Michael (sein Leitthema wieder: er will Buße tun). Die Begegnung wird von der Entdeckung unterbrochen, dass sich in einer Kammer im Schiffsrumpf massenweise Sprengstoff befindet – sicher genug, um damit die Insel zu pulverisieren. Mal sehen.

Im Dschungel begegnen Kate & Jack dem versprengten Sawyer. Der erklärt kurz die Neuigkeit, dass Claire verschwunden ist, und reicht den kleinen Aaron an Kate weiter, die ihn zum Strand zurückbringt. Jack & Sawyer dringen mit geladenen Pistolen weiter in den Dschungel.

Inzwischen ist Sayid mit dem Beiboot des Frachters am Strand eingetroffen und will sich mit Kate an die Fersen von Jack & Sawyer heften. Leider werden die beiden Verfolger unterwegs von Richard und ein paar Others gestellt (endlich zeigen die mal wieder Präsenz) und irgendwohin abgeführt.

Das herrlich anzusehende Trio Hurley – Ben – Locke macht sich auch auf den Weg zur Orchid, weil sie dort zur Ausführung ihres Auftrags schreiten müssen, der ihnen in der letzten Folge in Jacobs Hütte erteilt worden ist. Als Recap gibt es diesen lustigen Dialogfetzen:

Ben: We’re going to move the island.
Hurley: Right. And how are we gonna do that?
Ben: Very carefully.

Eine sehr schön ausweichende Antwort, Ben ist mal wieder in seinem Element als heimlicher Witzbold. Es folgt seinerseits gleich noch ein super Kommentar: Er enthüllt gegenüber Locke ein paar Widmore betreffende Dinge (dass dieser auch um die Bedeutung der Orchid weiß, dass er Ben schnappen und die anderen Losties killen will), worauf Locke meint, dass Ben doch behauptet habe, dass er da nicht Bescheid wisse. Darauf Ben: »I wasn’t entirely truthful.« Auch hier wieder dieser entertainende Ben-Style, mit dem wir schon so viel Spaß hatten.

Keamy & sein Killertrupp haben die Orchid übrigens schon erreicht und gesichert. Ben weist Locke an, sich in die Station hinabzubegeben, während er selbst die Frachter-Soldateska ablenken will. Locke fragt, wie er das zu tun beabsichtige, worauf ihm Ben schulmeisterlich antwortet: »How many times do I have to tell you, John? I always have a plan.«

Ben wirkt immer mehr wie eine janusköpfige Variante des Col. Hannibal Smith vom »A-Team«. Sobald die Insel gerettet ist, werden wir ihn sicher eine Zigarre zücken sehen und sagen hören: »Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert.«


Lost: 4. Staffel, 11. Folge

auf Reisen, 14. Mai 2008, 16:51 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »Cabin Fever«
Episode Number: 4.11 (#82)
First Aired: May 8, 2008 (Thursday)
Deutscher Titel: »Hüttenzauber« (EA 24. 8. 2008)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Seit Langem ist das mal wieder eine Folge mit ganz normalen Flashbacks, wie wir das bis zum Ende der 3. Staffel gewöhnt waren. Wir sehen keine Vorschauen auf die things to come, sondern können uns ganz auf drei Abschnitte aus Lockes Vergangenheit konzentrieren:

1. Lockes Geburt. Damit ihr bei der Benamsung keiner in die Parade fährt, ruft die Mutter ihrem gerade entbundenen Sohn nach: »His name is John.« So wie das Elisabeth in Lukas 1:63 tut, die Mutter von John the Baptist, die damit den Befehl des Erzengels befolgt, der ihrem Mann Zacharias erschienen war.

Dieser deutliche Hinweis auf den Täufer-Johannes, der das Kommen des Messias vorbereitet, spitzt Lockes Rolle in der Serie prägnant zu. In diesem Zeitabschnitt des Flashbacks wird uns außerdem vermittelt, dass Locke ein kränkliches Frühchen ist, wobei die Krankenschwester anmerkt: »he’s a fighter, he’s a miracle baby«. Und Ben wird später zu Locke sagen: »My time is over, John. It’s yours now.«

2. Locke als schlaksiger Teenager, über den sich alle lustig machen (erinnert vom Aussehen her ein wenig an »Napoleon Dynamite«, aber nicht wirklich). Sein Tutor sagt zu ihm: »You can’t be the prom king. You can’t be the quarterback. You can’t be a superhero.« Locke kommentiert das so: »Don’t tell me what I can’t do.« Das ist sein Lebensthema. Genauso reagiert er, als er, noch an den Rollstuhl gefesselt, seinen »Walkabout« im australischen Outback plant und dafür verlacht wird (Folge 1.04).

3. Als erwachsener Locke bekommt er dann den »Walkabout« empfohlen, von diesem Abaddon, der immer schon mal aufgekreuzt ist und eventuell im Auftrag von Widmore arbeitet (er hat Faraday, Naomi, Charlotte, Miles und den Chopperpiloten rekrutiert). Er ist der typisch undurchsichtige Fädenzieher-Mann, angelehnt an Vorgänger wie den Cigarette Smoking Man aus den »X-Files« oder Mr. Benett aus »Heroes«.

Bei Lockes Geburt taucht übrigens Richard Alpert auf, den wir schon als Other kennengelernt haben. Obwohl Locke 1956 geboren wurde, sieht Richard in diesem Jahr altersmäßig genauso aus wie in der Inselgegenwart. Das ist bisher der wohl stärkste Phänotyp des Zeitreise- bzw. Zeitmanipulations-Themas von »Lost«.

Richard taucht dann noch mal auf, als Locke etwas älter ist. Er sieht eine leicht abstrakte Zeichnung des Black Smoke Monsters, die der kleine John gekritzelt hat, und legt ihm dann ein paar Gegenstände vor, aus denen John aber irgendwie den falschen heraussucht. Richard verschwindet wieder, denn der Steppke sei »not ready for our school«. So richtig »ready« scheint er sowieso erst zu sein, als er nach dem Absturz des 815er Fluges aus dem Rollstuhl aufersteht.

Soweit zur Locke-Zentrik dieser Episode. Inzwischen ist Keamy auf den Frachter zurückgekehrt, nachdem er und seine Mannen ja vom Black Smoke Monster attackiert worden sind. Michael soll nun büßen, denn er muss Ben die Details über Keamy verraten haben. Er gibt das gleich zu und wird dreimal mit dem Klicken von Keamys Waffe konfrontiert – die klemmt aber irgendwie, und so bleibt der schwitzende Michael erst mal lebendig.

Im Dschungel imaginiert Locke ein Mitglied der Dharma Initiative (einen Horace), das angeblich seit 12 Jahren tot ist. Das Trugbild spricht zu ihm: »You gotta find me. And when you do, you’ll find him.« Mit him ist natürlich Jacob gemeint: »He’s been waiting for you a real long time, man.« Diese Prophezeiung erinnert sofort wieder an die Anspielung auf Johannes den Täufer und das Messias-Thema.

Als Nächstes begegnen wir der Grube mit den Dharma-Leichen wieder, in der Ben auch mal den von ihm angeschossenen Locke verrotten lassen wollte (Folge 3.20). Dort finden sie Horace‘ Leiche sowie eine Karte, mit deren Hilfe sie Jacobs Hütte ausfindig machen.

Vor dem grandiosen Ende dieser Folge folgt noch ein Intermezzo auf dem Frachter: Michael warnt Frank (den Piloten) davor, Keamy zurück zur Insel zu bringen. Das scheint sinnvoll zu sein, denn Keamys Parole ist jetzt: »torch the island«.

Als Frank dann wirklich den Flug verweigern will, schneidet Keamy zur Abschreckung dem Frachter-Doc die Kehle durch – auf dem Boot befinden wir uns zeitlich also VOR Inselzeit. Denn in der vorletzten Folge (4.09) wird der Doc ja an den Strand gespült. Keamy steigert die Drastik, indem er auch noch den Frachter-Käptn erschießt, und endlich erklärt sich Frank bereit zur Insel rüberzufliegen. Inzwischen hat sich übrigens auch Sayid auf den Weg dorthin gemacht, mit einem Beiboot und auf Anraten des Käptns.

Nun zu den Schlussszenen: Es kommt zu einer überraschenden Begegnung in Jacobs Hütte. Locke trifft dort auf, nein, nicht auf Jacob, sondern auf Christian Shephard. Und auf eine seltsam abgeklärt wirkende Claire, der ihr Vater ja schon in einer Vorgängerepisode erschienen war.

Kurzer Rückblick auf Christian Shephards unmittelbare Vergangenheit: Er war in Sydney an einem Herzschlag gestorben, und sein Sohn Jack sollte die sterblichen Überreste in der Oceanic 815 mit nach Hause nehmen. Jack fand den Sarg nach dem Absturz intakt vor, allerdings war die Leiche seines Vaters nicht mehr drin. Kurz darauf erschien ihm dessen Gestalt (Folge 1.05).

Nach der Szene mit Locke und Claire in Jacobs Hütte müssen wir annehmen, dass sich Christian offenbar tatsächlich irgendwie materialisiert hat. Alle akuten Nachfragebedürfnisse – die von Locke, die von uns Zuschauern – werden weggewischt mit dem Hinweis, dass es jetzt erst mal gelte, die Insel vor ihren Zerstörern zu bewahren.

Locke kommt aus der Hütte und präsentiert als ultimative Rettungsmaßnahme: »He wants us to move the island.« Diese Direktive klingt wie Vieles in der aktuellen »Lost«-Staffel ziemlich lächerlich. Aber sicher gibt es irgendwo einen Hebel, der die Insel mit einem Unterwasser-Propeller ausstattet. Er könnte seitlich von dem Hebel angebracht sein, mit dem Ben schon das Black Smoke Monster auf Keamys Trupp angesetzt hat, hehe.


Lost: 4. Staffel, 10. Folge

London, 7. Mai 2008, 01:07 | von Dique

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »Something Nice Back Home«
Episode Number: 4.10 (#81)
First Aired: May 1, 2008 (Thursday)
Deutscher Titel: »Die Operation« (EA 17. 8. 2008)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Nach der grandiosen Folge mit Ben im Flashforward-Fokus steht dieses Mal Jack im Mittelpunkt, vielleicht eine Licht-und-Schatten-Anspielung der Autoren. Nach der voll gestopften Vorgängerfolge geht es diesmal storytechnisch aber kaum weiter. Es gibt zu viele Momente, in denen man »Zeitspiel!« schreien könnte.

Von Jacks psychischen Schwächen haben wir schon viel gesehen. Man denke an die zerrüttete Beziehung zu seinem Vater und seiner Ex-Frau sowie an seine Neigung »to fix things«. Heute bekommt er noch einen physischen Schmiss dazu – eine Blinddarmentzündung.

Die ganze Story um den schwärenden Appendix erschien mir vollkommen irrelevant, aber okay, sie ist vielleicht im weiteren Verlauf von Interesse, doch dafür hätte man nicht die ganze Folge darin baden müssen. Liegt vielleicht auch an mir, denn OP-Szenen kann ich nicht ertragen, es sei denn aus weiter Ferne und wenn Kramer ein Junior Mint in die Wunde schnippst, so wie in der »Seinfeld«-Folge 4.20, »The Junior Mint«, hehe.

Einspruch Paco, eben über Skype:

»Bist du noch zu retten! Das ist doch eines der ganz großen ›Lost‹-Themen: DIE ABRUPTE ÄNDERUNG VON MACHTVERHÄLTNISSEN. So wie damals in Folge 3.07, als Ben operiert werden musste und Jack seine Stellung als Operateur mit einem angeblich lebensgefährlichen Nierenschnitt ausnutzte, um Kate & Sawyer freizupressen.

So eben auch jetzt: Jacks Blinddarm muss raus, er kann sich nun mal nicht selbst operieren, sondern ist auf VERTRAUEN angewiesen. Das bringt Juliet wieder ganz dick ins Spiel, ihr ganzes Ambivalenz-Potenzial.

Und was passiert? Der toughe Jack will bei der OP wach bleiben, um ein wenig Kontrolle behalten zu können, wird dann aber von Juliet rüde anästhesiert. Sie holt den entzündeten Appendix dann natürlich trotzdem ordnungsgemäß raus, aber wer weiß, wozu ihr dieser Vertrauensbeweis später noch mal nützen wird.«

Also gut, beiseite mit meiner Jammerei, immerhin sind auch ein paar gigantische Dinge passiert: Jack & Kate, Kate & Jack. Endlich knutschen sie, im Flashforward, und dann folgt auf der Insel, unmittelbar vor Jacks Blinddarm-OP, sein Heiratsantrag, der von Kate auch angenommen wird.

In der Zukunft außerhalb der Insel leben sie dann auch zusammen, das macht gleich drei der Oceanic Six auf einem Haufen, denn der kleine Aaron ist auch mit dabei. Sawyer habe sich für die Insel entschieden, heißt es zwischendurch lapidar. Das wirft mal wieder die Frage nach den Insel-Ereignissen vor dem Entkommen der Oceanic Six auf.

Dann bekommen wir noch den Beginn von Jacks Tablettensucht zu sehen, die wahrscheinlich durch die dämonischen Worte von Hurley ausgelöst wird, als Jack ihn in seinem dunklen Loch in der Irrenanstalt besucht.

Ich erinnere hier an die letzte Folge der dritten Staffel: Jack mit Vollbart und auf dem Weg zu einer Beerdigung, immer das Tablettenröhrchen in Griffweite. Da zeigt sich das traumhafte Konzept der 4. Staffel (das sicher auch die Staffeln 5 und 6 bestimmen wird) – Zukunft und Inselgegenwart nähern sich langsam an, die Spannung steigt. So ähnlich sieht es auch Critique en séries: »les flash forwards sont le meilleur concept de la série car on en a quasiment fini avec les flash chiants«, hehe.

Kate und Jack ziehen nun also Aaron auf. Wir bekommen Einblicke in einen sortierten Haushalt, Dad liest seinem Sohn vor, während die Kate-Mutter liebevoll lächelnd im Türrahmen steht. Dass das Familienglück zu dritt nicht stabil ist, liegt dann schon am Adoptivsohn – solange man nicht weiß, wie er dazu kam, Kates Sohn zu werden, ist auch das Schlimmste denkbar.

Aaron ist übrigens das ödeste TV-Serien-Kind ever. Noch nie hat der einen Mucks von sich gegeben. Er sieht im Flashforward gar nicht mehr jung aus, sollte schon sprechen können, tut es aber nicht, man hätte gleich eine Puppe für diese Rolle besetzen können.

Endlich scheint in ganz kleinen Ansätzen auch durch, warum der Kleine ohne seine eigentliche Mutter Claire die Insel verassen haben könnte. Denn beide irren seit der Attacke der Widmore-Soldaten in der letzten Folge zusammen mit Sawyer und Miles durch den Dschungel, um zum Beach Camp zurückzukehren. Nachts erscheint Claire dann eine Fantasmagorie ihres Vaters (auch Jacks Vater!), der ihren Sohn in seinen Händen wiegt. Am nächsten Morgen ist sie verschwunden, Sawyer kann nur noch den eingewickelten Aaron im Dschungel aufsammeln.

Eine Parallele hat Claires Vision in der inselfernen Zukunft, wenn auch Jack seinen Vater kurz in Blickweite sitzen sieht. Auch hier ist es spät nachts, im Krankenhaus, kurz nachdem ihm Hurley seine Prophezeiung zugeraunt hat.

Vor Claires Verschwinden kam es übrigens wie nebenbei wieder zu einer dieser ultragruseligen »Lost«-Szenen. Die Flüchtenden passieren die Stelle, an der Rousseau und Karl verscharrt wurden, nachdem sie der Keamy-Trupp erschossen hat. Miles hat dort einen seiner medialen Momente, er spürt die Geister der Toten, und dann sieht man die grauen Gesichter unter dem Staub. Das ist fast eine Genreszene, so schaurig wie damals in Folge 3.14, als Paolo und Nikki aus Versehen lebendig begraben wurden.

Überhaupt hatte diese Episode zu viele dunkle Settings: das OP-Zelt, Kates und Jacks Appartement, Jacks Krankenhaus und die Irrenanstalt, in der ein scheinbar immer dicker werdender Hurley herumhockt. Freuen wir uns also auf die nächste Folge, auf irgendeine Sonnenschein-Szene mit creepy Ben in hellen Chinos.


Lost: 4. Staffel, 9. Folge

auf Reisen, 26. April 2008, 18:15 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »The Shape of Things to Come«
Episode Number: 4.09 (#80)
First Aired: April 24, 2008 (Thursday)
Deutscher Titel: »Konturen der Zukunft« (EA 10. 8. 2008)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

»Lost est de retour et la guerre de l’île peut vraiment commencer«, schreibt Critik en séries, das beste französische Serienblog. Und ein Krieg ist es tatsächlich, der nach einmonatiger Pause in der neuen »Lost«-Folge am Horizont aufscheint. Endlich wird mit offenem Visier gekämpft: Ben Linus gegen Charles Widmore. Aber diese Ansage kommt erst in der Schlusszene, davor kriegen wir noch eine Handvoll weiterer fulminanter Drehbuchideen zu sehen:

Nach dem üblichen Kurzintro (der »Lost«-Schriftzug wabert uns ins Gesicht) sehen wir Ben in der Sahara aufwachen. Wieder mal mindblowing: Was zur Hölle macht er da! Zwei Reiter kommen angesprungen, jeweils eine AK-47 in der Hand. Eine Szene, die vom Setting her an die Brunnenszene von »Lawrence of Arabia« erinnert (Sherif Ali: »What’s your name?« – Lawrence: »My name is for my friends. None of my friends is a murderer!«).

Die Typen scheinen kein Englisch zu verstehen, Ben fragt sie daher radebrechend, ob sie Arabisch sprechen (ungefähr »تتكلم العربية؟«) und dann komischerweise auch noch: »Türkçe biliyor musunuz?« Ein Wunder, dass er sie nicht auch noch fragt, ob sie vielleicht des Isländischen mächtig sind, hehe. Wie Türken sehen die Wüstenreiter nämlich nicht aus, aber da ist schon klar, dass er seine Fragen nur gefragt hat, um die Beiden zu verwirren.

Denn dann erschießt er den einen und drischt dem anderen den Gewehrkolben ins Gesicht. Ben in einer kleinen Actionszene, sehr ungewöhnlich, wo er doch sonst immer eher besonnen agiert. Und schon sitzt er auf einem der Pferde und reitet davon. Er taucht in einem Hotel in Tozeur (SW-Tunesien) wieder auf.

Dort gibt er sich als »Dean Moriarty« aus. Das ist zwar auch eine Referenzerweisung an Jack Kerouacs »On the Road« und unterstreicht das Reisemotiv, das »Lost« ja auch durchzieht. Aber »Moriarty« ist kulturhistorisch gesehen natürlich vor allem der Gegner von Sherlock Holmes. Mit diesem Falschnamen wird also besonders der sich anbahnenden absolute Antagonismus zwischen Ben und Widmore anspielungsreich herausgekehrt.

Außerdem erfahren wir von der Hoteldame, dass heute der 24. 10. 2005 ist, wir uns also in einem Flashforward befinden, etwas mehr als ein Jahr nach dem Absturz der Oceanic 815. Ben entdeckt in einer TV-Übertragung Sayid, der sich einem Paparazzi-Gewimmel gegenüber sieht und sagt: »Please, I just want to bury my wife in peace.«

Die Beerdigung findet in Tikrit im Irak statt. Sayid ist dort, Ben ist dort (getarnt als Fotojournalist). Außerdem vor Ort ist ein glatzköpfiger Unsympath namens Ishmael Bakir. Er scheint für Widmore zu arbeiten. Ben verfolgt ihn, Bakir merkt das und lockt Ben in eine Falle. Er hat die Waffe auf ihn gerichtet, wird aber seinerseits von Sayid durchlöchert, der kurz vorher von Ben davon überzeugt wurde, dass es Bakir war, der seine Frau Nadia vor 5 Tagen in L.A. ermordet hat.

Ok, die in Tunesien und im Irak zu sehenden arabischen Beschriftungen sind wieder mal krass falsch geschrieben (etwa Sayids Name im tunesischen Fernsehen: »س ي د«, also mit unverbundenen Buchstaben, statt »سعيد«). Es ist ja ein Faible von US-Produktionen, fremde Sprachen einfach nur als desemantisierte Ornamente zu benutzen, hehe.

Aber egal. »Benjamin, who’s next?«, fragt Sayid, sobald er das Magazin leergeschossen hat. Auf diese Weise wird er offenbar zum Auftragskiller von Bens Gnaden. Ein Ergebnis dieses Deals haben wir ja schon in Folge 3 gesehen.

Soweit der Flashforward. Auf der Insel kommt es in dieser Episode zu einer wilden Schießerei. Es sind dieselben Leute, die in der Folge davor Alex‘ Begleiter (ihre Mutter Rousseau sowie Karl) erschossen haben. Nun haben sie Alex (die ja auch Bens Tochter ist) als Geisel mitgenommen und sind bei den Barracks angelangt. Dort jagen sie mit einer Panzerfaust eine der Hütten in die Luft. Claire wird dabei verletzt (ihr kleiner Sohn Aaron saß auf Hurleys Schoß in Sicherheit).

Und dann …

… kommt eine dieser unfassbaren »Lost«-Szenen, die man lange nicht vergessen wird.

Dieser Army-Typ, der den Militärtrupp von Widmores Frachter anführt, droht vor Bens Hütte, dessen Tochter Alex umzubringen, wenn er nicht herauskommt. Ben taktiert und opfert dadurch seine Tochter. Wer hätte das gedacht? Auch wenn wir in »Lost« schon von einem Dutzend Toten überrascht wurden (Boone, Shannon, Doc Arzt, Ana Lucia, Libby usw.), ist diese Attacke auf die Erwartungshaltung des Publikums der bisherige Gipfel. Wir werden Zeuge einer eiskalten Hinrichtung.

Diese Szene erinnert etwas an Hitchcocks »Sabotage« (1936): Ein Botenjunge soll ein Paket überbringen, in dem sich – was er natürlich nicht weiß – eine per Zeitzünder aktivierte Bombe versteckt. NIEMALS, denkt man die ganze Zeit, NIEMALS wird Hitchcock die Bombe explodieren lassen, solange der kleine Junge sie bei sich trägt. Man ist sich so sicher. Und plötzlich: BOOOM!

In der entsprechenden »Lost«-Szene kommt noch verschärfend hinzu, dass der Army-Typ (Keamy heißt er, und Ben kennt ihn, er rasselt seine Biografie runter), dass also der Army-Typ schießt, lange bevor er die 10 Sekunden zuende gezählt hat.

Ben ersteinert zur Statue: »He changed the rules«, sagt er nach der Werbepause. Dann ist es Zeit für ein bisschen Rache: Ben öffnet eine Geheimtür in der Hütte und kommt leicht verschmiert zurück. Er weist die anderen (Locke, Sawyer, Hurley, Miles, Claire mit Aaron) an, auf sein Zeichen schnellstmöglich zum Waldrand zu rasen.

Und dann …

… sehen wir das Black Smoke Monster so mächtig wie nie durch die Gegend schießen. Wir hören die Schreie des sterbenden Militärtrupps, die Losties scheinen gerettet. Ben bleibt zurück und verabschiedet sich weinend von seiner Tochter.

Am Strand (wo sich die Jack-Getreuen befinden) passiert in dieser Folge auch ein bisschen was: Der Doktor vom Frachter wird tot angeschwemmt. Faraday fragt per Morsezeichen auf dem Schiff nach, was mit dem Doc passiert ist. Er kriegt auch eine Antwort und übersetzt sie – aber falsch, wie Bernard bemerkt. »The doctor is fine«, lautet die Antwort. Damit scheint das Thema der verschiedenen Zeitebenen wieder auf. Es gibt nun offenbar zwei Doktoren, einen lebenden, einen toten.

Zum Ende der Folge: Ben macht sich auf den Weg in ein Londoner Penthouse. Er überrascht dort Charles Widmore, der im Bett liegt und sich mit Scotch zuschüttet. Sie schieben sich gegenseitig die Schuld am Tod von Alex zu. Ben jedenfalls will nun im Gegenzug Widmores Tochter Penelope killen, die ja auch Desmonds Geliebte (und Konstante) ist.

Gleichzeitig hebt der Krieg um die Insel an: »That island’s mine, Benjamin. It always was. It will be again«, sagt Widmore. Und als Ben ihn damit aufzieht, dass er sie nie finden wird, entgegnet er: »Then I suppose the hunt is on for both of us.«


»Hey, that’s our stuff!« – Seinfeld und Tarantino

Leipzig, 9. April 2008, 23:18 | von Paco

Niemals wäre mir eingefallen, diese Beiden zusammenzudenken, niemals. Doch dann hielt mir San Andreas das Interview aus der »Empire« unter die Nase (Ausgabe vom Januar 2008, S. 163-168), das Nick de Semlyen mit Jerry Seinfeld geführt hat. Und auf einmal konnte ich nicht verstehen, wie mir das jahrelang entgangen sein konnte.

Vincent: »You know what they call a Quarter Pounder with Cheese in Paris?«
Jules: »They don’t call it a Quarter Pounder with Cheese?«
Vincent: »No, man, they got the metric system, they don’t know what the fuck a Quarter Pounder is.«

Einer von vielen Dialogfetzen aus der unfassbarsten, herrlichsten, uneigentlichsten Filmszene der Neunzigerjahre. Mit diesem Gespräch beginnen Vincent und Jules ihren Auftritt in Tarantinos »Pulp Fiction«. Sie sind im Auftrag von Marcellus Wallace unterwegs und werden kurz darauf ein paar säumige Geschäftspartner ins so genannte Jenseits befördern, einen davon aus Versehen, was zur Bekanntschaft mit Mr. »I solve problems« Wolfe führen wird.

Im erwähnten Interview mit Seinfeld steht dann Folgendes:

EMPIRE: Halfway through Seinfeld’s run came Pulp Fiction, arguably a movie about nothing. Tarantino has said he’s a fan of yours – do you see a connection there?

SEINFELD: Oh, definitely, I think Pulp Fiction was definitely influenced by the show. That opening scene, about the Big Mac, when Larry [David] and I saw that we went, »Hey that’s our stuff!« (Laughs) Yeah, Larry and I went along to the theatre and we loved it. It’s very flattering. I love the stuff Tarantino does – Kill Bill was an incredible piece of work, really cool, and so was Grindhouse.

Warum mir die Ähnlichkeit des Dialogstils nicht früher aufgefallen ist? »Seinfeld« ist eine dezidierte Sitcom, eine TV-Serie. Tarantino dagegen macht Filme. Diese handeln von Gewalt und Mythos, zwei Themenkreisen, die in »Seinfeld« nicht vorkommen.

Man muss die pointierten Dialoge über den Alltag, die »Seinfeld« und Tarantinos Filmen gemein sind, erst von der jeweiligen Handlung abkoppeln. Und auf diese Idee kommt man nicht so einfach. Aber erst dann wird die Verwandtschaft offensichtlich.

Auch für Larry Davids eigene Serie »Curb Your Enthusiasm«, die ja einige »Seinfeld«-Prämissen übernommen hat, stimmt die Diagnose. Nehmen wir die »Pulp Fiction«-Szene, in der Vincent die Frau von Marcellus Wallace ausführt, Mrs. Mia Wallace:

Vincent: »Goddamn, this is a pretty fucking good milkshake.«
Mia: »Told ya.«
Vincent: »I don’t know if it’s worth five dollars, but it’s pretty fucking good.«

Das erinnert doch sehr stark an eine Szene aus »Curb Your Enthusiasm«, an das Jandl-artige »Milk and coffee«-Gedicht, das Larry im Starbucks performt, in Folge 2.08 (»Shaq«), auf die ich schon mal hingewiesen habe.

Auch die Trinkgeld-Diskussion am Anfang von »Reservoir Dogs« ist eine »Seinfeld«-mäßige Szene, und so könnte man lange weiter aufzählen, aber gut, the point is made.


Das Spiel ein Traum: »Lost – Via Domus«

Leipzig, 8. April 2008, 09:56 | von Paco

Ludere necesse est, soll Pompeius so oder ähnlich gesagt haben, und außerdem pausiert die 4. »Lost«-Staffel gerade einen Monat. Also habe ich mir kurz das Spiel zur Serie installiert und am wetter­wendischen Sonntag in einem Rutsch durchgespielt: »Lost – Via Domus«, erschienen Ende Februar.

Von der Story her ist die Übersetzung des »Lost«-Konzepts in die Spielewelt gelungen. Da die zu erwartenden Ausmaße des Serienendes nicht mal ansatzweise absehbar sind, haben die Ubisoft-Entwickler vor allem auf das Look & Feel der Serie gesetzt und drumherum eine eigene Geschichte erzählt. Hier beginnen jetzt auch die Spoiler:

Elliott Maslow heißt die Figur, die durchs Spiel gesteuert wird. Sieht ein bisschen aus wie Jack, ist aber ein Fotograf mit Amnesie, der im Laufe seiner Gedächtnisrückgewinnung skrupellose Seiten zeigt wie fast alle aus dem TV schon bekannten Mitabgestürzten. Für ein gelungenes Foto würde er alles tun, und das meint in der Konsequenz, dass er dafür sogar seine Freundin Lisa Gellhorn opfern würde, was auch geschieht. Sie wird vom finsteren Forschungsgangster Savo erschossen, während Elliott das Ganze in einem Versteck beobachtet und lieber ein Beweisfoto macht statt zu helfen.

Logikorgien am Schaltkasten

Insgesamt gibt es in »Via Domus« 7 Level, die dramaturgisch mehr oder weniger ausgestattet sind wie eine »Lost«-TV-Episode. Es gibt den bekannten »previously on Lost«-Vorspann, dasselbe kurze In- und Outro, einen Cliffhanger und vor allem die figurenzentrierten Flashbacks, die für die Serie so konstitutiv sind. Sie wurden auch in Gameplay umgesetzt: Mit einer Kamera muss man immer wieder vergangenes Geschehen im richtigen Maßstab und mit der korrekten Schärfe fotografieren, bis irgendwelche Erinnerungsfetzen auszumachen sind. Na ja.

Aber das hauptsächlichste Element des Spiels sind die Logikorgien am Schaltkasten. Ständig muss man irgendwelche Relais so einpassen, dass ein Mechanismus ausgelöst wird, seien das Türen oder andere Dinge. Es gibt auch zwei Jump’n’Run-Einlagen, die aber extremst leicht zu meistern sind. Eine Herausforderung ist das Spiel sicher nicht. Die Level müssen außerdem arg linear durchstreift werden, nach großen Abwegen sucht man vergebens.

Damit sich der Schwierigkeitsgrad ein wenig erhöhte, hatte sich unser Wappentier kurzzeitig vor dem Screen positioniert. Hier sind wir am Ende von Level 5, unser Maulwurf und Elliott kucken gemeinsam auf einen Computerschirm, auf dem gleich ein alberner IQ-Test gemacht werden muss, damit der Reaktor abgeschaltet wird:

Wappentier Elliott Lost Via Domus

Zurück zur Story. Die anderen Survivors misstrauen Elliott und halten ihn teilweise sogar für einen Other, was natürlich inakzeptabel ist (wir wissen, was mit Ethan und Goodwin passiert ist, hehe). Am Ende macht er aber tatsächlich den Michael, indem er mit den Others einen Deal abschließt. Er serviert ihnen Jack, dafür darf er mit einem Boot nach Hause reisen, wie Michael. Er soll auch demselben Kurs folgen wie dieser (325). Anders als Michael entscheidet er sich aber kurzfristig dafür, den Losties zu helfen, die ihm wiederum bei der Schluss­verfolgung durch die Others zur Hand gehen, sodass er ohne Probleme sein Boot erreicht.

We’re the good guys, duuude!

Während des Spiels trifft man übrigens auf einige der TV-Losties, vor allem am Midsection Beach. Sawyer ist gewohnt abweisend, Hurley haut einem sein »Duuude!« um die Ohren, und Jin redet nur Koreanisch und ist daher keine große Hilfe. Viele Figuren bekommen nur einen Alibi-Auftritt. Wenn man sie nicht aus der Serie kennt, wird man storymäßig völlig alleingelassen.

Ben taucht erstmals am Ende von Level 2 auf, natürlich mit dem schönen Satz: »We’re the good guys.« Hernach hat er nicht mehr viel zu vermelden, wir sehen ihn nur noch mal kurz bei der Anstiftung zum Verrat gegen Jack. Von seinem beschwingt-maliziösen Wesen kriegen wir gar nichts mit.

Trotz allem macht sich teilweise so etwas wie Stimmung breit. Es beginnt beim Dharma-Ladezeichen. Spätestens wenn man im Hatch die Zahlenkombination 4 8 15 16 23 42 in den Uralt-Computer hacken muss, damit der Bunker nicht in die Luft fliegt, kehrt Atmosphäre ein. Am Anfang von Level 5 wird man dann in derselben Kammer gefangen gehalten wie Ben in der 2. Staffel. Der Hatch selber ist auch stimmig nachgebildet. Ebenso das Black Smoke Monster, das einen gern mal am Schlafittchen packt und ins Game Over befördert.

Ansonsten zerrt das eintönige schwere Geigenthema etwas an den Nerven. Die Grafik ist für meine 8800 GT kein Problem, eher für die Augen. Wenn man »Crysis« gewöhnt ist, wirken die Figuren­bewegungen recht ruppig.

Das Spiel ein Traum?

Große Diskussionen hat die ambivalente Endsequenz hervorgerufen. Elliott beobachtet bei seiner Abreise von der Insel den gleichen Flugzeugabsturz noch einmal, den er auch als Passagier mitgemacht hat. Plötzlich befindet er sich wieder lädiert am Strand. Die totgeglaubte Lisa kommt angerannt, sie lebt und freut sich. Hä? Verunsicherung.

»Alles nur ein Traum?«, fragen enttäuschte Fans im Netz reihenweise. Andere meinen, dieses komische Happy End könnte mit dem Zeitreisenthema aus der »Lost«-Folge 4.05 zu tun haben. Wieder andere halten den Schluss für die verrätselte Vorbereitung eines Sequels.

Dass Elliott trotz seiner Abreise letztlich wieder auf der Insel landet, folgt aber ganz deutlich dem bekannten Dialog aus Novalis‘ »Heinrich von Ofterdingen«: »›Wo gehen wir denn hin?‹ ›Immer nach Hause.‹«

Es könnte sich bei dem Ende aber auch einfach um Mindfuck handeln. Das Subgenre hat ja auch in der Serie seine Heimat. Wenn man das dann erkannt hat, kann man das Spiel endlich frisch deinstallieren und sich anderen schönen Dingen widmen. Zum Beispiel einer Runde Public mit »Call of Duty 4«.


FAS-Nachschlag:
Obama, Stromberg, Pastewka, Dr. Psycho

Leipzig, 1. April 2008, 15:50 | von Paco

Nur kurz: Dique hat vorgestern in seinem Rundown der FA-Sonntagszeitung natürlich einiges weggelassen, z. B. den Doppelseiten-Artikel von Hans Ulrich Gumbrecht (S. 30-31). Das Erwähnen von Gumbrecht-Artikeln bleibt unabgesprochenerweise aber sowieso meist dem Romanistik-Subsidiary des Umblätterers (Marcuccio, Millek, ich) überlassen, daher hier schnell die Nachreichung:

Es ist ein Text über Barack Obama und dessen Wahlkampf, und zwar ungefähr der beste Text dieses Themenkreises so far. »Kann man Wähler fangen mit der Wahrheit?« lautet die Überschrift, und es geht um »jenes paradoxale politische Charisma, das eben daraus erwachsen ist, dass er [Obama] sich nicht wie ein Politiker verhält«.

Als sich Bill Richardson, ein ehemaliges Kabinettsmitglied unter Bill Clinton, aufgrund von Obamas Philadelphia-Rede innerhalb der demokratischen Partei für diesen ausgesprochen hatte, wurde er von Clinton mit Judas verglichen. Und jetzt kommt’s:

»Vielleicht liegt es also tatsächlich jenseits des Vorstellungsvermögens eines Vollblutpolitikers wie Bill Clinton, dass Entscheidungen in seiner Welt nicht als Ausgleich für vergangene und in Vorbereitung zukünftiger Begünstigungen fallen, sondern einfach, weil jemand, der sich entscheidet, das, wofür er sich entscheidet, als richtig ansieht.«

Was für ein schöner klarer Satz.

Eine Umblätterung weiter (S. 33) gibt es dann noch einen Artikel von Peer Schader über die Produktionsfirma Brainpool. Eine der herrlichen Kat-Menschik-Zeichnungen lockt sehr gelungen in den Text hinein. Zu sehen sind die Köpfe von Ulmen, Barth, Herbst, Engelke, Pocher, Pastewka, Raab.

Das Bild führt jedoch ein wenig in die Irre, denn es geht vorrangig um Brainpools Firmenpolitik, nicht um die Comedy-Produkte selbst. Deswegen bauen wir mal schnell ein bisschen enttäuschte Erwartungshaltung ab und erinnern noch mal an die drei besten Brainpool-Serien der Welt:

1. »Stromberg«

Wer noch mal behauptet, dass das Original-»Office« der BBC besser sei, soll das gerne tun. Wahrer wird die Behauptung dadurch nicht. Auch die vor einem Jahr gesendete 3. »Stromberg«-Staffel war wieder so genuin strombergig, so dicht geschrieben, so voller Einfälle, so überzeugend kausal verknüpft, so voller unfassbarer Dialoge und vor allem ungeahnter Emotionen (Erika!), dass man es immer wieder gar nicht glaubt, dass so etwas im deutschen Fernsehen läuft. Die 4. Staffel soll im Frühjahr 2009 gesendet werden.

2. »Pastewka«

Ok, die Ende letzten Jahres gesendete 3. Staffel war die bisher schlechteste: Die Geschichten um die ungarische Haushälterin/Kurtisane von Pastewkas Vater bergen einfach keine tragenden Storylines, und die eigentlich gut ausgedachte Rolle der »Frau Bruck« wirkt mittlerweile ausgewrungen. Die Serie ist aber eben immer noch gut, in der letzten Staffel vor allem die Til-Schweiger-Folge. Der selbst gesetzte Standard war aber nach den ersten beiden Staffeln auch wirklich hoch. Das Kausalitätentheater à la »Curb Your Enthusiasm«, das in Folge 2.02 (»Die Strategie der Schnecke«) in Szenen gesetzt wird, ist unübertroffen. Wer die nicht gesehen hat, weiß nicht, wie gut ein deutsches Drehbuch sein kann.

3. »Dr. Psycho«

Christian Ulmen wird als Psychologe Max Munzl der Abteilung für organisiertes Verbrechen zugeteilt. Ulmen spielt den ambitionierten Schluffi so genial, dass es reichen würde, seine Szenen einfach willkürlich aneinanderzureihen: Ewig könnte man ihm zusehen. Leider gibt es aber auch noch Handlung in den 6 Folgen der ersten Staffel, und die wird schön gestreckt. Das einstündige Sendeformat ist einfach zu lang für »Dr. Psycho«. Macht aber nichts: Viele schöne Einzelszenen und ein gut gecastetes Polizeiteam (vor allem der dumpfe Eddie kommt sehr gut) lassen das vergessen. Eine 2. Staffel ist in der Mache.

+++ End of Nachschlag +++