Die FAS vom 18. 5. 2008:
Indianer, Girlsreihe, Dalai Lama

London, 20. Mai 2008, 09:01 | von Dique

Peter Richter rezensiert ein Buch über die weit verbreitete Lust vieler Ostdeutscher am Indianerspielen (S. 30). Anscheinend wurde da schon in den 50er-Jahren mit selbst gebastelten Knarren herumge­ballert. Das Begleitfoto zeigt dann auch ein Indianerzeltlager mit untergemischten Trabbis.

Mich erinnert das an die »Seinfeld«-Folge »The Burning« (9.16), in der sich Kramer und Mickey als Schauspieler für Krankheitssymptome verdingen, damit ein paar Medizinstudenten an ihnen üben können. »The Burning« ist vollgepackt mit Dialogfeuerwerken wie diesem:

Jerry: What’s with the fake sneezing?
Kramer: Yeah, we’re going down to Mt. Sinai Hospital. See, they hire actors to help the students practice diagnosing.
Mickey: They assign you a specific disease and you act out the symptoms. It’s an easy gig.
Jerry: Do medical schools actually do this?
Kramer: Well, the better ones. Alright, let’s practice retching.
Kramer & Mickey: Huaaahh!!

Als die Krankheiten verlost werden, bekommt Kramer »gonorrhea« zugeteilt, also Tripper. Er zeigt sich anfänglich etwas enttäuscht von seiner Krankheit, wird aber von Seinfeld auf eine Idee gebracht, als dieser in einer Konversation »showmanship« erwähnt: »Showmanship. Maybe that’s what my gonorrhea is missing.«

Weil er »seinem Tripper« so ein Eins-A-Showmanship verpasst hat, fällt ihm von da ab ständig die »gonorrhea« zu – Kramer wird typecast.

Peter Richter erscheint auch immer ein bisschen getypecastet, quasi als Ostberichterstatter der FAS. Dass er diese Themen macht, ist ein Glück. Er ist der erste und einzige, der sie immer locker und mit Laune rüberbringt, auf jeden Fall ohne dräuende Stasigrundierung oder dergleichen. Dabei springen immer wieder tolle Artikel heraus, showmanship ist eben alles.

Ich bleibe gleich mal im Osten, auf S. 27 tanzt das Ballett des Friedrichstadtpalastes, und mir wird himmelangst. Eleonore Büning, die offenbar neue Musikredakteurin der FAS (vgl. Die Dschungel), weiß um solche Ängste und beginnt den Artikel gleich mal so:

»Ich war wieder im Friedrichstadtpalast. Nee, oder? Mitleidig bis sorgenvoll sind die Blicke der Nachbarn, Kinder, Freunde und Kollegen.«

Und dann geht es auch schon los und ich fühle mich lächerlich in meiner Ignoranz. Von vierundsechzig exakt in die Luft gestreckten Mädchenbeinen ist die Rede, und das ist erst der Anfang. E. B. spricht hier übriges von der professionell getanzten »Girlsreihe«.

Dieses Wort taucht mehrfach auf im Text, Girlsreihe, was für ein Wort, bei Google bekommt man darauf im Moment gerade Mal 81 Hits. Das liegt sicher auch daran, dass die »Girlsreihe« ausstirbt. Laut Büning gibt es nur noch drei passable, in Paris, Las Vegas und eben in Berlin.

Der Text ist ganz wunderbar, Nominierungsgefahr liegt in der Luft. Die Autorin berichtet von 5 Musikveranstaltungen, angefangen bei der Revue im Friedrichstadtpalast, über Neuenfels‘ »Tannhäuser« in Essen bis hin zum Kabukitheater im Berliner Haus der Kulturen der Welt.

Diese 5 Events gehören nicht etwa irgendwie zusammen, nein, sie fanden separat und autark statt. Deren Synopsis funktioniert aber wohl gerade deshalb so wunderbar, weil sie den Text so kontrastreich macht.

Von der Startseite des Feuilletons grüßt es übrigens knallrot. Nein, nicht schon wieder Cindy McCain. Dreimal sieht man da den Dalai Lama hocken, wie er sich gerade einen roten Sonnenschutz auf den Kopf montiert.

Ich hätte mir den Text von Nils Minkmar (S. 25) fast gespart, Übersättigung. Ich fing dann doch noch an zu lesen, zum Glück! Es geht viel um Dämonen, Schutzgeister und Orakel. Der Dalai Lama redet sich in Rage, weil vor der Tür Anhänger des Schutzgeistes Shugden demonstrieren, und mit Shugden ist anscheinend nicht zu spaßen.

Vor verdutztem westlichen Publikum redet sich der Dalai Lama also über diesen Schutzgeist in Rage, und im Publikum staunen Veronica Ferres, Peter Maffay und Liz Mohn.

Hier können wir noch mal zu Peter Richter schalten, der in seiner Indianerbuchrezension schreibt:

»Hier saß Karl May in seiner sächsischen Enge und träumte sich in die Prärien, die damals in Deutschland gerade zur Projektionsfläche wurden für ein Bild von Indianern, in dem sich uralte Weisheit und kindliche Unschuld, moralische Über- und militärische Unterlegenheit die Friedenspfeife reichten (also das, wofür im Augenblick die Tibeter zuständig sind).«

Einen Kommentar schreiben