Archiv des Themenkreises ›Filmakademie‹


Neulich vorm Kino

Hamburg, 13. März 2008, 18:03 | von San Andreas

Ein ganz normales deutsches Filmtheater, eine ganz normale Fassade. Meint man. Aber auf den zweiten Blick bemerkt der aufmerksame Kinogänger, dass alle drei Titel in fließendem Englisch daherkommen:

Marquee in Hamburg

Ebenso tun das »Into the Wild«, »27 Dresses«, »Control«, »I’m not there«, »Once« … Was ist los mit der deutschen Titelfindungs­kommission?

Ein Anruf wird Klarheit bringen. »Danke der Nachfrage«, informiert mich die Sekretärin, »der Zuständige ist leider krank und liegt zuhause im Bett.« Wie erholsam das wäre, murmele ich, und sie meint: »Ja, es geht ihm schon viel besser.« Ich beeile mich zu präzisieren: »Nein, ich meine erholsam für das Kinopublikum –«, doch da hat die gute Frau bereits aufgelegt.

Wir waren gefasst darauf gewesen, dass uns ein Titel wie »Öl! – Blut wird fließen« das Wasser in die Augen treiben würde. Oder dass zumindest die deutsche Überschrift der Coen-Vorlage – »Kein Land für alte Männer« – den Zuschlag bekommen würde. Obwohl durchaus auch Kreationen wie »Tod in Texas« oder »Anton, der Bolzenschuss­killer« denkbar gewesen wären.

Der letzte Film auf der Tafel entpuppt sich frappierenderweise als astreine deutsche Produktion. Scheint, als wolle Musik-Dokumentar Grube (erster Film: »Rhythm Is It!«) dem profanen Klang einer »Reise nach Asien« entgehen. Hat er die Zeichen der Zeit erkannt? Sind die besten deutschen Titel englisch?

Eben in der Mittagspause fuhr ich am Kino vorbei. »Meine Frau, die Spartaner und ich« stand da. Alles klar. Der Titelmann ist also wieder auf Arbeit. Hat er sich ins Büro gequält, womöglich nicht auskuriert, immer noch kränklich und bald rückfällig. Well … keine falschen Hoffnungen.

P.S. In Bälde auf dem Umblätterer: eine so umfassende wie vergnügliche Phänomenologie der deutschen Filmtitel-Landschaft.


Cloverfield!

Hamburg, 16. Februar 2008, 14:46 | von San Andreas

»I knew that if I went to the theater having never heard about this movie and saw that trailer I’d lose my mind.«

Besagter Trailer verfehlte seine Wirkung nicht. Im Vorprogramm zu »Transformers« tauchte er zum ersten Mal auf. Verwackelte Amateuraufnahmen, fremde Gesichter, eine Party. Plötzlich ein Erdstoß. Verwirrung. Eine Explosion in der Ferne. Hektik, Chaos. Ein Objekt fällt vom Himmel, stürzt krachend die Avenue entlang, kommt zu liegen. Es ist der Kopf der Freiheitsstatue. Das Bild reißt ab. Dann in kleiner Schrift der Code »1-18-08« sowie ein Name: J. J. Abrams.

Die Kino-Community spielte verrückt: Wo kam dieser Film her? Wieso wusste niemand davon? Und los ging die Schnitzeljagd. Ein T-Shirt-Aufdruck im Trailer führte zunächst zu einem japanischen Erfrischungsgetränk namens Slusho. Fotos auf der Seite www.1-18-08.com bargen Namen auf der Rückseite, zu denen komplette MySpace-Seiten aufgespürt wurden.

Auf einem der Bilder fand sich ein Rezept in japanischer Schrift, dessen obskurste Zutat – ›deep sea nectar‹ – per Babelfish und Google zum Konzern Tagruato führte, dem Slusho-Hersteller, der offenbar wegen weltweiter Tiefseebohrungen in der Kritik stand. Hatten die am Ende etwas aufgeweckt in der Tiefe des Ozeans …?

Man muss Berufs-Geheimniskrämer Abrams dankbar sein, dass er die Idee nicht zu einer zehnstaffeligen Serie ausgewalzt hat. Der Teaser und die Köder im Netz entfachten zumindest eine Euphorie, wie es der beste »Lost«-Cliffhanger nicht vermag. Freilich hatten die Info-Schnipsel nur peripher etwas mit dem Film zu tun – nichts konnte die Filmgemeinde darauf vorbereiten, was sie im Begriff war zu erleben.

»Amazing! It lives up to the hype.« (Empire Magazine)

Ja, tatsächlich. Die angesichts der sich überschlagenden Erwartungen recht wahrscheinliche Enttäuschung blieb aus. Es geschah stattdessen der seltene Fall einer Filmerfahrung, die einen mit dem Gefühl zurückließ, etwas wirklich Neues, genuin Neues gesehen zu haben.

Die Betonung liegt auf ›sehen‹. Seeing is believing, sagt man ja gerne, und die Devise findet in »Cloverfield« wohl ihre Vollendung. Mit dem Film hat der ›as real as can be‹-Anspruch des F/X-Kinos einen vorläufigen Höhepunkt erreicht.

Spielbergs »War of the Worlds« hatte vor drei Jahren diesbezüglich ein neues Kapitel aufgeschlagen – mit einer dreckigen, ungeschliffenen Optik, den Effekten gleichsam beiläufig im Hintergrund, nahtlos integriert.

Cloverfield kombiniert diesen Ansatz mit dem »Blair Witch«-Kniff der subjektiven Wackelkamera. Ein cleveres Manöver, denn die ungeschönte, erratische Ästhetik von Home Movies verweist in unserer visuellen Erfahrung auf ein Höchstmaß an Authentizität. Bilder so schlecht, dass sie unmöglich künstlich sein können.

Bei Onkel Heinzens Hochzeitsvideos wirkt diese Wahrhaftigkeit durchaus schmerzhaft, denn ohne ästhetische Distanz, ohne formale Stilisierung wird das Ereignis seines Zaubers beraubt – genau des Zaubers, den Onkel Heinz eigentlich festhalten wollte. Kein Montage-Rhythmus, kein Bildaufbau, nicht die Spur einer vernünftigen Mise-en-scène. Stattdessen unerbittliche Wirklichkeit.

Derselbe profanisierende Effekt ereilt das »Cloverfield«-Publikum, nur dass der ungeschliffene Boden der Tatsachen hier keine banale Realität, sondern ein wahnwitziges Monsterszenario darstellt. Das Ergebnis ist frappierend.

»An effective film, deploying its special effects well and never breaking the illusion that it is all happening as we see it.« (Roger Ebert)

Die Abwesenheit filmischer Konventionen reduziert den Zuschauer auf ein Kaninchen im Bannstrahl der Bilder, auf einen Spielball seiner Reflexe. Konditionierte Erwartungen gehen über Bord, zur Neu-Justage bleibt keine Gelegenheit, denn der Echtzeit-Malstrom reißt einen fort. One hell of a ride.

Wiewohl sich, sieht man New Yorker Wolkenkratzer in ultimativ dokumentarischem Augenschein in sich zusammenbrechen, automatisch auch beklemmendere Assoziationen einstellen. Die Tatsache, dass die mediale Berichterstattung uns den Terror immer öfter über die fahrigen Handy-Kamera-Clips von Passanten vermittelt, findet in »Cloverfield« einen Widerhall, der den Schrecken nicht eben mindert.

Dass der Film ansonsten thematisch nicht großartig über sich hinauswächst, ist leicht verziehen. Wie soll er auch. Das Konzept kappt zerebralen Ballast, reduziert die Filmerfahrung auf das nackte, unmittelbare Erleben. Liefert man sich dem aus, wird man mit einer sensorischen Achterbahnfahrt belohnt.

Ein guter Teil des deutschen Feuilletons hatte dazu keine Lust, mäkelte sauertöpfisch, gab sich intellektuell unterfordert, degradierte Kino-Begeisterte im Handstreich zu willfährigen Objekten cleverer Hype-Strategen und mahnte eine mangelnde emotionale Tiefe ebenso an wie das Fehlen inhaltlicher Originalität.

Doch in »Cloverfield« übersteigt die Form den Inhalt, knüpft die Filmwelt direkt an die Alltagserfahrung des Zuschauers an: subjektive, selektive, ungeordnete Wahrnehmung. Irgendwo ist das Kino pur; gilt doch gerade die Filmkunst als prädestiniert dafür, perzeptive Kanäle so zu bespielen, dass fast-reale Eindrücke möglich werden. Selten kam Fiktion dem Publikum so nahe.

Dass uns die Essenz des Kinos gerade aus einem Monstermovie heraus neu begegnet, der noch dazu das Vokabular der Leinwand links liegen lässt, hätten wir nicht erwartet. Kudos, Mr. Abrams.


»There Will Be Blood«

Hamburg, 13. Februar 2008, 07:33 | von San Andreas

New Mexico, 1898. Der Mann in der Wüste, er ackert. Er gräbt, er hackt. Er meißelt, er hämmert, er sprengt. Er klettert, er fällt, er keucht, er kämpft. Er sucht Silber, findet Gold – schwarzes Gold. Der Mann in der Wüste ist Daniel Plainview. Er ist ein Ölmann.

Kein Kommentar, kein Dialog, kein einziges Wort stört die raue, körperliche Unmittelbarkeit der ersten zehn Minuten von »There Will Be Blood«. Geradeso kündigt sich ein außergewöhnlicher Film an: Bereits die Exposition atmet das Flair eines Klassikers.

Es ist dies der fünfte Film von Paul Thomas Anderson. Mit »Boogie Nights« und »Magnolia« empfahl er sich als brillanter Autor/Regisseur facettenreicher, einfühlsamer Ensembledramen. »There Will Be Blood« nun ist von einem anderen Schlag: die spröde, düstere, epische Geschichte eines materialistischen Misanthropen.

Zunächst lernen wir Daniel Plainview als integeren, fürsorglichen Mann kennen, der kompetent und instinktsicher eine beachtliche Karriere aufbaut. Hinter der Fassade des distinguierten Entrepreneurs aber verbirgt sich ein verschlagener Soziopath, dessen Hass auf seine Mitmenschen im selben Maße offenbar wird, wie seine monetäre Unabhängigkeit wächst.

Schon wird der Film mit »Citizen Kane« verglichen, mit dem er die Thematik des so gewieften wie gemütsarmen Tycoons teilt (auch »Chinatown« und »Giganten« fallen uns ein). Doch entwickelt »There Will Be Blood« seine Qualitäten aus sich selbst heraus: Reminiszenzen an andere Filme entspringen vielleicht dem Filmwissen des Cineasten, nicht aber dem Film selbst.

Anderson erzählt direkt und kraftvoll, einfach und effizient, spart Fingerzeige auf Metaebenen aus und enthält sich jeder aufdringlichen Metaphorik. Der Film steht da wie ein Axiom, gründet auf Befindlichkeiten der menschlichen Natur, die nicht expliziert oder per Symbolvorrat entziffert werden müssen.

Gewiss verhandelt der Film irgendwo den moralischen Zwiespalt zwischen Business und Religion, kontrastierenden Elementen der Frühzeit der Nation, doch schweben diese Kategorien wie Blaupausen über dem eigentlichen Kern der Geschichte: dem unauflösbaren Antagonismus zweier starker Persönlichkeiten.

Denn Plainview findet seine Nemesis in Gestalt Eli Sundays, einem charismatischen, hingebungsvollen Prediger und Gesundbeter, der um seine junge Gemeinde kämpft und die Toleranzbereitschaft des Ölbarons ein ums andere Mal auf eine harte Probe stellt.

Zwischen Plainview und Sunday bilden sich sehr wohl Brücken, doch erweisen die sich als kaum belastbar. Die Annäherung entspringt weder einem ehrlichen Harmoniebedürfnis noch menschlichem Respekt; sie entpuppt sich als notwendiges Übel: Der Geschäftsmann bedarf des kirchlichen Segens, um sich das Wohlwollen der Gemeinde zu sichern, während der Kleriker auf die materielle Unterstützung des Monopolisten angewiesen ist.

So kriechen beide zu Kreuze, heucheln Anerkennung, nehmen Erniedrigungen in Kauf, die der andere jeweils weidlich ausbeutet. Sunday verrät seine religiöse Würde, Plainview lässt sich in blinder Verfolgung seiner Ziele tief demütigen.

Die Persönlichkeit des Daniel Plainview aber erlaubt keine Unterordnung. Bald zeigen sich Risse auf der Oberfläche gesitteter Eloquenz; dicht darunter lauert das Unheil. So speist jede neuerliche Begegnung der beiden die bange Befürchtung, dass der fragile Moralkodex, der die Aggressionen leidlich in Schach hält, schließlich wegbrechen und die Prophezeiung des Filmtitels ihre Erfüllung finden wird.

Es ist wohl der Klischeefreiheit des Films und seiner entschlackten Ästhetik zu verdanken, dass der Zuschauer vollends die Distanz zum Geschehen verliert. So erliegt er umso einfacher den expressiven Nuancen des Werks, wird absorbiert in einen Rausch, der seine Energie vor allem aus einer Quelle bezieht: Daniel Day-Lewis.

Die schiere Präsenz dieses vermutlich besten Darstellers seiner Generation ist atemberaubend. Wie er mit raumgreifenden Schritten über seinen Claim stakst. Sein Ehrfurcht gebietender Duktus, wenn er redet. Seine kohlenschwarzen Augen, das Blitzen darin. Seine punktgenauen Gesten. Ihm zuzusehen: eine körperliche Erfahrung.

Plainviews archaischem Ego entgegengesetzt ist Sundays sanftes Gemüt. Paul Dano spielt den Prediger mit irritierender Ambivalenz. Von Anfang an nicht wirklich sympathisch, oszilliert er zwischen süßlich-bestechendem Sermon und kratzig-kreischender Ekstase. Man wird den Eindruck nicht los, dass Sunday mindestens ebenso abgefeimt und durchtrieben ist wie sein Gegenpart.

Andersons Dialoge sind von Kubrick’scher Präzision. Leicht manieriert, aber nie pathetisch, führen sie keinen Ballast mit sich und quellen wie Öl in die dunklen, dreckig-schönen Bilder von Andersons Hauskameramann Robert Elswit.

Diesen Bildern verleiht Jonny »Radiohead« Greenwoods erstaunlicher Soundtrack eine wunderbar extravagante Note, entrückt sie gleichsam eine Spur in Richtung Avantgarde. Minimalistisch, dissonant, unverhohlen modern. Was Penderecki für »Shining« war, ist Greenwood für »Blood«. Schon das erste schwellende Crescendo verbreitet ein enervierendes Gefühl unausweichlicher Bedrohung.

Manche meinen, »There will be Blood« fehle die Wärme, die Menschlichkeit. Doch enthüllt der Film vielleicht gerade dadurch viel über das Menschsein, indem er unerbittlich den Unmenschen in uns bloßlegt. Der Film laugt emotional aus, er überwältigt und erschüttert, aber die Erfahrung ist heilsam, ja kathartisch.

Ein Musterbeispiel filmgewordener Psychologie, eine cineastische Quintessenz, ein kühner künstlerischer Triumph. Großes, großes Kino.


Kein Mist: »Der Nebel«

Hamburg, 6. Februar 2008, 14:08 | von San Andreas

Der Nebel musste aus den Niederungen gekommen sein. Mit einem Mal war er aufgezogen und hatte die Stadt überspült. Er schluckte meine Schritte, raubte mir die Orientierung. Lief ich nach Süden, nach Osten? Der Höllenbach lag gewiss hinter mir. Aus dem fahlgelben Widerschein der Laternen sah ich Straßenschilder auftauchen; sie sagten mir nichts. Kahle Bäume streckten ihre Gliedmaßen durch den Dunst.

Da! In der Ferne gab der Nebel, kurz und widerwillig nur, den schwachen Umriss eines Gebäudes frei. Ich beschleunigte meinen Schritt in diese Richtung, das matte Kopfsteinpflaster verlor sich hinter mir in züngelnden Schwaden. Als ich schon meinte, mein Ziel verfehlt zu haben, ragte das Bauwerk plötzlich dräuend vor mir auf. Erlöst blickte ich die glatte Fassade empor. Es gab keinen Zweifel: Das war der UCI-Kinopalast.

Zu Jugendzeiten bin ich ein großer Fan der King-Novelle »The Mist« gewesen; ferner hat die Liaison zwischen Stephen King und Frank Darabont dem Kino bereits zwei Schmuckstücke beschert (»The Shawshank Redemption«, »The Green Mile«). Grund genug, sich auf den Film zu freuen. Hatte es diesmal wieder geklappt? Oh ja (und ein wenig nein).

Darabonts Herangehensweise konnte freilich verschiedener nicht sein; der Stoff eignet sich auch kaum für eine ausladende A-Liga-Produktion, die hinten und vorne nach dem Oscar schielt. Solcher Ansprüche ledig, inszenierte er frank und frei ein klassisches amerikanisches Genrestück, das weder in Belangen der Story noch ihrer Umsetzung irgendwelche Kompromisse eingeht.

Das erfrischt. Obwohl die Prämisse als altbekannte Formel daherkommt: Ein zusammengewürfelter Haufen Leute sieht sich einer ominösen Gefahr gegenüber, die sie von der Außenwelt abschneidet und derer sie sich erwehren müssen. In diesem Fall: der Supermarkt einer Kleinstadt in Maine, drinnen ein paar Dutzend Kunden, und draußen: der Nebel.

Wie schon die Vorlage versteht sich der Film als Hommage an die Horrorgeschichten der 50er Jahre. Doch erzielt er – wie jeder gute Horror – eine gewisse universale Qualität, da er doch weniger von bizarren Monstern als von Menschen erzählt, ihrer Weltsicht, ihren Reaktionen. Das wahre Grauen kommt nämlich gar nicht aus dem bösen Gewölk – es befindet sich bereits im Supermarkt.

Die Makulatur des friedlichen Miteinanders zerbröselt in extremen Situationen. Die Gefahr im Nebel löst Angst aus, und Angst – so der wenig eloquente Subtitel des Films – verändert alles. Sie setzt eine verhängnisvolle Dynamik in Gang, welche die Gruppe schließlich sprengt: Anführer und Mitläufer, Aufwiegler und Beschwichtiger, Nihilisten und Idealisten. Entscheidungen müssen getroffen werden, und das Abwägen zwischen Eigennutz und Edelmut fällt nicht jedem leicht.

Also hängt man sich an Parteien und Meinungsführer. Da gibt es Drayton, den Pragmatiker, der eine Gruppe rationaler Geister um sich versammelt und altruistische Ideale hochhält. Auf der anderen Seite gibt es Mrs. Carmody, die religiöse Fanatikerin, um die herum sich spirituell angehauchte Fatalisten scharen.

Die Abwehraktionen gegen die Kreaturen aus der Nebelbank bergen so manch drastische Schockmomente, doch was die »aufgestachelten Gläubigen anrichten, stellt alles in den Schatten, was man in den letzten Jahren in einem Horrorfilm gesehen hat« (Sascha Westphal in der »Welt«).

Dem wäre eigentlich nichts hinzuzufügen … gäbe es da nicht das schlimme Ende, dass Darabont dem Film in Abweichung vom ungleich besseren, offenen Ausgang der Novelle verpasst hat. Eine böse, zynische Pointe, die den Zuschauer jäh aus dem Film herausreißt, weil sie in so krassem Gegensatz zur restlichen Handlung steht und reichlich unmotiviert inszeniert ist. Schade, schade.

Ein Gefühl der Frustration beschlich mich, als ich den Saal verließ. Der Grusel war verflogen, die Illusion lag in Scherben. Das Gebäude entließ mich ohne Verzug, ich trat auf die Straße. Eine nüchterne Nacht umfing mich, ihre Luft kühl und klar. Ich blickte auf. Der unheimliche Nebel, er war verschwunden.


Endlich fertig: Das Kinojahr 2007

Hamburg, 30. Januar 2008, 05:15 | von San Andreas

Etwas spät dran, aber nicht zu spät: Wie jedes Jahr (hehe) präsentiert der Umblätterer eine umfängliche wie kurzweilige Phänomenologie des vergangenen Filmjahres – die Spitzenleistungen, die Instant Classics, die Beachtlichen, die Erwähnenswerten, die versteckten Perlen, aber auch jene Filme, die enttäuscht haben.

Das Panoptikum speist sich ausschließlich aus Filmen, die im Jahr 2007 ins deutsche Kino kamen. Ihre Auswahl orientiert sich sowohl am Rauschen im Medienwald, an der kritischen Resonanz in den Feuilletons als auch an meinem persönlichen, hoffnungslos subjektiven Urteil. Komplettisten werden allerdings das Nachsehen haben; die Simpsons fehlen, die Piraten ebenso, und auch Herr Potter hat sich entschuldigt.

Zur kommentierten Übersicht geht es hier bzw. direkt zu den einzelnen Titeln:

5 Sterne
»The Assassination of Jesse James …« (Andrew Dominik)
»The Bourne Ultimatum« (Paul Greengrass)
»Ratatouille« (Brad Bird)

4einhalb Sterne
»The Prestige« (Christopher Nolan)
»Atonement« (Joe Wright)
»Blood Diamond« (Edward Zwick)
»Zodiac« (David Fincher)
»Little Children« (Todd Field)   Perle!

4 Sterne
»Notes on a Scandal« (Richard Eyre)
»The Queen« (Stephen Frears)
»Gone Baby Gone« (Ben Affleck)
»The Last King of Scotland« (Kevin Macdonald)
»Eastern Promises« (David Cronenberg)
»Efter brylluppet« (Susanne Bier)
»Letters from Iwo Jima« (Clint Eastwood)
»Die Fälscher« (Stefan Ruzowitzky)
»Reign Over Me« (Mike Binder)   Perle!
»Stranger than Fiction« (Marc Forster)   Perle!

3einhalb Sterne
»3:10 to Yuma« (James Mangold)
»Vier Minuten« (Chris Kraus)
»La Tourneuse de pages« (Denis Dercourt)
»A Prairie Home Companion « (Robert Altman)
»Sicko« (Michael Moore)
»Irina Palm« (Sam Gabarsky)
»Waitress« (Adrienne Shelly)   Perle!
»Jesus Camp« (Heidi Ewing, Rachel Grady)   Perle!
»Junebug« (Phil Morrison)   Perle!

Enttäuschung
»The Golden Compass« (Chris Weitz)
»The Invasion« (Oliver Hirschbiegel)
»Spider-Man 3« (Sam Raimi)
»Death Proof« (Quentin Tarantino)
»The Good German« (Steven Soderbergh)
»The Number 23« (Joel Schumacher)


Bücher, Kino, Ben Gurion, Super illu, München

München, 13. Januar 2008, 00:26 | von Paco

I.

Ruhige Tage in Gedera. Wir lagen am Hinterhof-Pool und ließen uns die Passionsfrüchte und Kakis auf die Köpfe prasseln. Nebenbei lasen wir. Ich den neuen Andreas-Eschbach-Roman, der im November als Taschenbuch erschienen ist. Millek zog mich so lange damit auf, bis ich ihm das Schirrmacher-Empfehlungszitat auf dem Buchrücken zeigte.

Ich las auch endlich Jens Biskys Kleist-Buch, das ich hiermit jedem empfehle. Außerdem zog ich widerum Millek damit auf, dass er Pascal Mercier, »Nachtzug nach Lissabon«, las. Seine Rechtfertigung: Weihnachtsgeschenk. Als Belohnung las er mir ab und zu seine Lieblings-Frauenbuch-Sätze (no offence!) daraus vor.

Ansonsten unterhielten wir uns über die Top-10. Es ging vor allem um das Autorenporträt-Gespräch »Wie sehen die denn aus?« zwischen Ursula März und Claudia Schmölders, erschienen im Januar 2007 in der »Zeit«. Jedenfalls: unsere Feuilleton-Charts sind nach diesen letzten Reibereien endlich fertig, VÖ am Dienstag, 15. 1. 2008.

II.

Gestern abend dann in Ness Ziona, kleine Party mit den leidenschaftlichen Bloggerjournalisten von israelvalley.com. Und plötzlich geht es um dieses eine Starbucks in Paris in der Nähe der Opéra, genau da, definitives Kaffeehaus des Monats, dort kann man Zeitungen lesen als ob es kein Morgen gäbe sozusagen.

Dann über den sehr sehr sehr guten neuen Claude-Lelouch-Film »Roman de gare«. Wir sahen ihn neulich im Dizengoff. Und waren begeistert. Der Film hätte ein bisschen eher enden sollen, das sagen alle, wirklich alle. Wie auch immer, die Art, wie da die immer wieder wechselnden Erzählrahmen um die Kerngeschichte geworfen werden, ist grandios.

Es geht ein bisschen zäh los, aber schon bei der ersten Begegnung des Nègre/Ghostwriters mit der Ex-sagen-wir-mal-»Friseurin« weiß man, dass das ein gut geschriebener Film ist. Der Ghostwriter beschreibt in dieser Szene am Straßenrand minutiös seine Arbeit hinter den Kulissen der Erfolgsautorin, nur um diese Informationen dann selbst für ausgedacht zu erklären. Usw.

III.

Ben Gurion Airport. Heute morgen wollte ich gerade das Display des Laptops entstauben, als mich Millek davon abhielt und meinte, dass die Security das auf dem Airport gleich selber machen würde. Gute Idee. Insofern ein Loblied auf die Sicherheitsmaßnahmen vor Ort, die übrigens auch der Turmsegler Benjamin Stein vor einer Woche über sich ergehen lassen musste.

Vorher noch schnell gebloggt, dann Übergabe des Bloggeräts an die Sicherheitskräfte, und jetzt läuft das Thinkpad viel leiser, da nach dem Auseinanderlegen die ganzen Staubhindernisse weg sind und der Lüfter die Prozessorwärme wieder frei hinausposaunen kann.

Back in Munich, mit der S8 zum Isartor. Die Frau gegenüber liest wirklich und tatsächlich die SUPER illu, es ist nicht zu fassen, die SUPER illu in Bayern. In diesem Zusammenhang erinnere ich an den umbedinkt lesenswerten taz-Artikel zum Thema, erschienen Anfang Oktober, geschrieben von Jenni Zylka.

IV.

Morgen: Parmigianino in der Alten Pinakothek.


Science Fiction fürs Regal

Hamburg, 10. Januar 2008, 14:03 | von San Andreas

Heute beantworten wir wieder Leserbriefe. Gabi aus Bad Salzdetfurth möchte wissen, ob es neben »Blade Runner« noch andere tolle Science-Fiction-Filme gibt. Ja, Gabi, es gibt sie.

Das Genre ist freilich schwer zu greifen, vor allem weil SciFi häufig lediglich den Hintergrund bildet für Geschichten, die eher dem Horror- oder Actionfilm, der Komödie oder dem Drama zuzuordnen sind.

Was all diese Filme jedoch eint, ist das spekulative Element – sei das eine bestimmte Technologie oder Fähigkeit, ein alternativer Verlauf der Geschichte, die Erkundung unbekannter Welten oder der Kontakt mit fremden Lebensformen.

Beschränkt man sich auf solche Filme, die tatsächlich derlei Elemente als prominente Aufhänger haben, ergibt sich folgender – freilich unvollständiger – Reigen hervorragenden SciFi-Kinos.

Oldtimer (3) | Meilensteine (6) | Moderne Klassiker (3) | Erwähnenswert (5)

OLDTIMER

»Metropolis« (Fritz Lang, 1927). Der deutsche Expressionismus als Geburtshelfer des SciFi-Films – der Einfluss dieses Werks ist kaum zu überschätzen. Botschaft und Schauspiel sind nicht eben subtil, man sehe den Film tunlichst durch die historische Brille; aber selbst durch diese sind die Bauten und Effekte schier überwältigend.

»Things to Come« (William Cameron Menzies, 1936). H. G. Wells adaptierte seinen Roman höchstpersönlich, eine ausladende Vision über den Fortbestand der Zivilisation. Prophetisch wie Jules Verne, aber eher auf die nüchterne, idealistische, didaktische Art.

»The Day the Earth Stood Still« (Robert Wise, 1951). Eine rühmliche Ausnahme unter den haarsträubenden Invasionsszenarien der 50er Jahre. Ein kluges Script, eine zeitlose Botschaft, dazu der herrliche Score von Bernard Herrmann. Klaatu barada nikto!

Oldtimer (3) | Meilensteine (6) | Moderne Klassiker (3) | Erwähnenswert (5)

MEILENSTEINE

»2001: A Space Odyssey« (Stanley Kubrick, 1968). Kein Film, ein Ereignis. Ein Epoche machendes Kunstwerk, ein Trip kosmischen Ausmaßes, mysteriös und kontemplativ. Bilder von ausgesuchter Schönheit paaren sich mit einem ätherischen Soundtrack, erzielen schier außerweltliche Wirkung. Kein Kinowerk ist weiter über sich selbst hinausgewachsen – damals nicht, heute nicht.

»Solaris« (Andrei Tarkovsky, 1972). Die russische Antwort auf »2001«, so liest man gerne. Tatsächlich eine Lem-Story von 1961, die eher den inneren als den äußeren Kosmos thematisiert. Schwer meditativ, teils kryptisch. Während der endlosen Sequenzen horche man tief in sich hinein – begegnet einem eine große Leere, teste man vielleicht Soderberghs destillierte Remake-Version.

»Close Encounters of the Third Kind« (Steven Spielberg, 1977). Fraglos ein großes Stück Kino, das den Widerstreit zwischen Rationalem und Rätselhaftem anregend auf die Leinwand bringt. Ein immenser künstlerischer Erfolg für Spielberg, von Truffaut geadelt.

»Star Wars« (George Lucas, 1977). Lucas‘ Sternenepos ist nicht so gut gealtert wie »Encounters«, entwickelte sich jedoch mit all seinen Sequels/Prequels zu einer kulturellen Institution. Eine globale Mythologie, deren Helden nicht der Literatur entspringen, sondern direkt von der Leinwand stammen: erst mal nachmachen.

»Alien« (Ridley Scott, 1979). Meisterhafter Horror-SciFi-Thriller, dunkel poetisch, atmosphärisch dicht und ultimativ Angst einflößend. Das Raumschiff kein blinkendes High-Tech-Vehikel, sondern ein dreckiger Industrie-Koloss, die Insassen echte Menschen. Scotts geniale Choreographie steigert subtile Bedrohung in blanken Terror.

»Blade Runner« (Ridley Scott, 1982). Visionärer Überfilm, dessen differenzierte Metaphorik dem Premierenpublikum nicht auffiel. Heute gilt er vielen als der beste. Die Ästhetik arg düster, eine Spur prätentiös gar, aber in ihrer Konsistenz entwaffnend, gerade adäquat für profunde Fragen um menschliche Insolenz und Identität.

Oldtimer (3) | Meilensteine (6) | Moderne Klassiker (3) | Erwähnenswert (5)

MODERNE KLASSIKER

»The Matrix« (Andy & Larry Wachowski, 1999). Durch seine Sequels ein wenig in Misskredit geraten, bleibt »The Matrix« dennoch ein fulminanter Meilenstein des modernen Kinos. Ein berauschender Genre-Mix, berstend vor kinetischer Energie und innovativ im Stil. Was steckt hinter der ganzen Ästhetik? Substanz, wer hätt’s gedacht.

»Minority Report« (Steven Spielberg, 2002). Ein pulsierender, intelligenter future-noir-Thriller, der wie »Blade Runner« eher pessimistisch in die Zukunft blickt: Es lügt der Mensch, solang er strebt. Einfallsreich im Visuellen, nervenzerrende Spannungsspitzen, famos inszeniert. Kein Whodunit, sondern ein Whowilldoit!

»Children of Men« (Alfonso Cuarón, 2006). Dieses Juwel kam überraschend: eine ungeschminkte, vielschichtige Dystopie über eine infertile, desolate Zivilisation. Perfekt die Regie: Dramatische Plansequenzen bringen ein beispielloses Level an Authentizität.

Oldtimer (3) | Meilensteine (6) | Moderne Klassiker (3) | Erwähnenswert (5)

ERWÄHNENSWERT

»THX 1138« (George Lucas, 1971). Eine orwellsche Vision unserer Zukunft, kühl, minimalistisch und spröde, das komplette Gegenteil des Star-Wars-Pomp. Auch mal angenehm.

»Contact« (Robert Zemeckis, 1997). Gerne übersehen: feinsinnige, ruhige Verfilmung der Geschichte des großen Carl Sagan, die auch die Debatte Wissenschaft vs. Religion nicht scheut.

»Pi« (Darren Aronofsky, 1998). Aronofskys Debüt, so befremdend wie der frühe Cronenberg, so anspruchsvoll wie Nolan, so sperrig wie Lynch, so originell wie … wie Aronofsky.

»Primer« (Shane Carruth, 2004). Außergewöhnliche Low-Budget-Produktion um profitables Zeitreisen. Faszinierend authentisch gefilmt, gleichwohl inhaltlich beinahe unzugänglich. Für Mitdenker.

»War of the Worlds« (Steven Spielberg, 2005). Spielberg hält das Genre am Leben. Das eindrucksvolle Remake verleiht Wells’ politischer Parabel aktuelle Bezüge, setzt visuell neue Maßstäbe.

Oldtimer (3) | Meilensteine (6) | Moderne Klassiker (3) | Erwähnenswert (5)


»I Am Legend«: Alter Schinken mit Will Smith

London, 8. Januar 2008, 16:09 | von Dique

Viel zu früh zum Essen verabredet, schon um sieben. Zu bald waren wir schon fertig und saßen satt und auch sitt (hehe) herum. Gleich nebenan ein Kino und jemand machte den launigen Vorschlag hineinzugehen, die Zeit passte gerade und dann so nach dem Essen etc. Ich weiß nicht, ob wirklich alle Lust hatten, aber es gab ein großes »why not« und »I don’t mind« um den Tisch herum, auch meinerseits, und so gingen wir in »I Am Legend«.

Ich hatte im Voraus keine Informationen über den Film, nur viele Plakate gesehen, auf denen man Will Smith auf sich zukommen sieht. Nach einer Minute weiß ich Bescheid, ein Neuaufguss des »Omega Man« (old-school Science Fiction mit Charlton Heston in der Hauptrolle). Hier nun Will Smith in der Rolle des Charlton Heston, hehe.

Als Ulknudel und aufgezogene Quasselstrippe mag Will Smith vielleicht funktionieren, aber hier steht er auf verlorenem Posten, völlig verkrampft müht er sich damit ab, Emotionen zu transportieren. Ganz allein, begleitet von seinem Hund, seit nun schon fast drei Jahren, zieht er tagsüber durch das leere New York und verzieht sich gen Abend in sein zur Festung umfunktioniertes Haus, wo er die Stadt dem durch einen Virus extrem aggressiv wie lichtempfindlich gewordenen Rest der Menschheit überlässt.

Während der alte Schinken mit Heston noch eine Menge Charme hat, wie er da am Tage bei Sonnenschein im Sportwagen durch die leere Stadt rauscht und beim »Einkaufen« mit den Schaufensterpuppen Smalltalk hält, entbehrt die Krampfdarbietung von Will Smith jeglicher Komik. Pure Langeweile, unterbrochen von Spannungsmomenten, wenn er auf die zombiehafte Restbevölkerung trifft, die sich als übercomputeranimierte, fauchende Viecher gerieren und vollkommen unrealistisch wirken, sodass man sich vor denen nicht wirklich erschrecken muss.

Dann verliert er seinen Hund an den Zombiefeind, muss ihn selbst töten und trifft schließlich doch noch zwei menschliche Wesen. Die Reaktionen auf die anderen Überlebenden sind nicht etwa Freude oder tausende Fragen, nein, der Protagonist zeigt sich bockig und verstört und klatscht schließlich einen Teller mit Rührei gegen die Wand, und man fragt sich, warum da niemand am Set oder im Schnittraum gesessen und einfach mal eingegriffen hat, um uns diese peinlichen Momente zu ersparen.

Hätte ich mir mal ein bisschen mehr Zeit für die Tom Ka Ghai Suppe gelassen.


»Elizabeth – The Golden Age« im Dizengoff-Kino

Tel Aviv, 2. Januar 2008, 00:54 | von Paco

Lazy Sunday, wake up in the late afternoon,
Call Parnell just to see how he’s doin‘.
Hello? – What up, Parns? – Yo Samberg, what’s crackin‘?
You thinkin‘ what I’m thinkin‘? – Narnia! – Man, it’s happenin‘!

(Samberg & Parnell, SNL, 17. 12. 2005)

Ok, war zwar nicht Sonntag heute, aber dafür lazy Neujahr, und wir sahen vorhin nicht die »Narnia«-Verfilmung sondern – und man muss sagen: leider – den neuen »Elizabeth«-Film von Shekhar Kapur.

Es ging im Jahr 1585 los und dauerte zwei Stunden. Im Saal 4 des Top-Floor-Kinos im Dizengoff Center raschelten schon bei unserem Eintreten die Popcorntüten und knisterten die Bonbonbeutel. Das veranlasste noch vor Beginn des eigentlichen Films die Ersten in den vorderen Reihen, sich rumorend umzudrehen und um Ruhe zu bitten.

Es folgten französische Schimpfwörter, hebräische und US-englische Entgegnungen. Es war Stimmung im Saal, der Film lief längst, und vor uns nieste ein Italiener ständig mit halber Rechtsdrehung seine neben ihm sitzende Begleiterin voll. Die schien das nicht zu stören, aber das dauernde krachende Hatschi nötigte Millek schließlich ein »Fucking hell!« ab, und auch ich spürte die Bazillen herüberwabern. Der Italiener verschwand auf Nimmerwiedersehen, einige klatschten ihm den Weg nach draußen.

Nachdem sich die Soap-Ideen des Drehbuchs bereits beträchtlich vermehrt hatten, schrie jemand endlich »Drecksfilm!«, und zwar auf Deutsch, und zwar kurz nachdem die coole Elizabeth angeblich selber Deutsch gesprochen hat mit diesem nervösen habsburgischen Erzherzog. Bei dem Kostümwahn, den der Film exerziert, wirkte das bestürzend grottig, um eine Lieblingsvokabel unseres Lieblings-DLF-Filmkritikers Hans-Ulrich Pönack zu verwenden, genau wie das Spanisch, das am spanischen Hof gesprochen wird, ganz unliebevoll ist das alles gemacht, anders als die Russifizierung neulich in »Eastern Promises«.

Noch bis zum Filmende kamen übrigens Leute in die Vorstellung, die Tür blieb dabei meist offen, sodass von vorne links ständig ein unangenehmes Licht von der Leinwand ablenkte. Die Forderungen nach Schließung der Türe zogen zwar einige Bestätigungsrufe nach sich, aber niemand stand etwa auf, im Gegenteil: Die Rufe wurden schön belacht, als Antwort flogen außerdem leere Tüten durch die Reihen, und der Spaß steigerte sich, als die einzig gute Szene im Film kam, die Kartoffelszene, bei der während einer Audienz der Queen einige Erdäpfel aus der Neuen Welt als rohe Delikatessen verspeist werden.

Bei dieser Szene kicherte es auch von hinten, wo vorher und nachher eine aufgeweckte Israelin ihrem unaufgeweckten Nachbarn ununterbrochen erklärte, wer gleich noch mal Mary Stuart war. Als kurz darauf der Name Heinrichs VIII. mehrmals fiel, geschah das so laut, dass sich einige entfernte Sitznachbarn (gegenüberliegendes Ende der Reihe) bemüßigt fühlten, zu widersprechen.

Der Historikerstreit in den hinteren Reihen ebbte erst ab, als es endlich 1588 war und die spanische Armada eintraf. Zeit wurde es, ein Amerikaner schrie, »I hope the Spaniards kick their lazy butts!«, und genau, nach so viel eigenwilliger Geschichtsverfilmung schien selbst ein Sieg des watschelnden Philipp II. möglich, wir alle hofften, ein Hapoel-Fan münzte einen Fan-Song um auf die Spanier, einige gröhlten mit, der Text passte sehr gut.

Eine erboste Mädchentruppe mit Hadag-Nachash-T-Shirts verließ geschlossen den Saal, als Cate Blanchett wie ein Schluck Wasser in ihrer Ritterrüstung hing und vom Pferd herunter ihre Tilbury-Brandrede hielt. Selten dürfte Pathos so danebengelungen sein, diese Szene war wirklich dermaßen schlecht, dass es einem die berühmten Schuhe auszog.

Am Ende brannte das Bild, na gut, wir waren versöhnlich gestimmt, es war ja vorbei, Elizabeth und England haben nach einem schlechten Spiel gewonnen, dann gab es noch ein paar Abspannsätze über die Nachgeschichte, und diese groß tönenden Abspannsätze waren wieder unterste Kanone, die letzten »What the fuck!«s des Abends erklangen, das Licht ging an, alle sahen sich nach den anderen um, ein schönes Filmerlebnis da oben im Dizengoff-Center, aber empfehlen können wir »Elizabeth« natürlich nicht, hehe.


Eastern Promises

London, 22. Dezember 2007, 07:25 | von Dique

Armin Müller-Stahl als russischer Mafiaboss ist ja eigentlich ein Witz. In Amerika mag das funktionieren, aber ich kaufe keinen russischen Mafiaboss mit eindeutig deutschem Akzent. Überhaupt schaffte es kein einziger Russe in diesen Film über Mafiarussen in London.

Aber das ist auch nicht der Punkt, der Film ist von David Cronenberg, der Film läuft rund, der Film fesselt und wird ähnlich packend und stringent erzählt wie »A History of Violence«, und wie dieser wird auch »Eastern Promises« von Viggo Mortensen getragen.

»I am just the driver. I go left. I go right.« Er erklärt das mit stoischer Ruhe – aber natürlich ist der bis auf die Handrücken tätowierte, in schwarzem Zuhälterchic auftretende Mortensen ein bisschen mehr als nur der Fahrer.

Es ist auch ein Film über London, und es ist erfrischend (wenn auch auf schauerliche Weise), die Stadt mal nicht als Kulisse für Filme à la »Bridget Jones«, »Love Actually« oder »Notting Hill« zu sehen. Ein Film wie »Match Point« hatte auch schon andere Seiten gezeigt, auch Brüche. »Eastern Promises« gewährt ebenso ungewohnte Blicke hinter die unscheinbaren Fassaden der Backsteinhäuser.

Dabei ist der Film keine Sozialstudie. Es wird nichts erklärt oder bewertet, es wird einfach gezeigt, und das kompromisslos. Die Kamera bleibt drauf, auch bei den Eruptionen der Gewalt, die ich mir eigentlich weggeblendet oder nur angedeutet wünschen würde.

Und weil der Film keine Sozialstudie, sondern ein Film für große Kinos und ein großes Publikum ist, benötigt er auch keine echten Russen mit Untertiteln, sondern gute Schauspieler, und die (oder einfach nur den?) hat Cronenberg gefunden, zumindest kommt mir das so vor, trotz des Akzents von Müller-Stahl.