Science Fiction fürs Regal

Hamburg, 10. Januar 2008, 14:03 | von San Andreas

Heute beantworten wir wieder Leserbriefe. Gabi aus Bad Salzdetfurth möchte wissen, ob es neben »Blade Runner« noch andere tolle Science-Fiction-Filme gibt. Ja, Gabi, es gibt sie.

Das Genre ist freilich schwer zu greifen, vor allem weil SciFi häufig lediglich den Hintergrund bildet für Geschichten, die eher dem Horror- oder Actionfilm, der Komödie oder dem Drama zuzuordnen sind.

Was all diese Filme jedoch eint, ist das spekulative Element – sei das eine bestimmte Technologie oder Fähigkeit, ein alternativer Verlauf der Geschichte, die Erkundung unbekannter Welten oder der Kontakt mit fremden Lebensformen.

Beschränkt man sich auf solche Filme, die tatsächlich derlei Elemente als prominente Aufhänger haben, ergibt sich folgender – freilich unvollständiger – Reigen hervorragenden SciFi-Kinos.

Oldtimer (3) | Meilensteine (6) | Moderne Klassiker (3) | Erwähnenswert (5)

OLDTIMER

»Metropolis« (Fritz Lang, 1927). Der deutsche Expressionismus als Geburtshelfer des SciFi-Films – der Einfluss dieses Werks ist kaum zu überschätzen. Botschaft und Schauspiel sind nicht eben subtil, man sehe den Film tunlichst durch die historische Brille; aber selbst durch diese sind die Bauten und Effekte schier überwältigend.

»Things to Come« (William Cameron Menzies, 1936). H. G. Wells adaptierte seinen Roman höchstpersönlich, eine ausladende Vision über den Fortbestand der Zivilisation. Prophetisch wie Jules Verne, aber eher auf die nüchterne, idealistische, didaktische Art.

»The Day the Earth Stood Still« (Robert Wise, 1951). Eine rühmliche Ausnahme unter den haarsträubenden Invasionsszenarien der 50er Jahre. Ein kluges Script, eine zeitlose Botschaft, dazu der herrliche Score von Bernard Herrmann. Klaatu barada nikto!

Oldtimer (3) | Meilensteine (6) | Moderne Klassiker (3) | Erwähnenswert (5)

MEILENSTEINE

»2001: A Space Odyssey« (Stanley Kubrick, 1968). Kein Film, ein Ereignis. Ein Epoche machendes Kunstwerk, ein Trip kosmischen Ausmaßes, mysteriös und kontemplativ. Bilder von ausgesuchter Schönheit paaren sich mit einem ätherischen Soundtrack, erzielen schier außerweltliche Wirkung. Kein Kinowerk ist weiter über sich selbst hinausgewachsen – damals nicht, heute nicht.

»Solaris« (Andrei Tarkovsky, 1972). Die russische Antwort auf »2001«, so liest man gerne. Tatsächlich eine Lem-Story von 1961, die eher den inneren als den äußeren Kosmos thematisiert. Schwer meditativ, teils kryptisch. Während der endlosen Sequenzen horche man tief in sich hinein – begegnet einem eine große Leere, teste man vielleicht Soderberghs destillierte Remake-Version.

»Close Encounters of the Third Kind« (Steven Spielberg, 1977). Fraglos ein großes Stück Kino, das den Widerstreit zwischen Rationalem und Rätselhaftem anregend auf die Leinwand bringt. Ein immenser künstlerischer Erfolg für Spielberg, von Truffaut geadelt.

»Star Wars« (George Lucas, 1977). Lucas‘ Sternenepos ist nicht so gut gealtert wie »Encounters«, entwickelte sich jedoch mit all seinen Sequels/Prequels zu einer kulturellen Institution. Eine globale Mythologie, deren Helden nicht der Literatur entspringen, sondern direkt von der Leinwand stammen: erst mal nachmachen.

»Alien« (Ridley Scott, 1979). Meisterhafter Horror-SciFi-Thriller, dunkel poetisch, atmosphärisch dicht und ultimativ Angst einflößend. Das Raumschiff kein blinkendes High-Tech-Vehikel, sondern ein dreckiger Industrie-Koloss, die Insassen echte Menschen. Scotts geniale Choreographie steigert subtile Bedrohung in blanken Terror.

»Blade Runner« (Ridley Scott, 1982). Visionärer Überfilm, dessen differenzierte Metaphorik dem Premierenpublikum nicht auffiel. Heute gilt er vielen als der beste. Die Ästhetik arg düster, eine Spur prätentiös gar, aber in ihrer Konsistenz entwaffnend, gerade adäquat für profunde Fragen um menschliche Insolenz und Identität.

Oldtimer (3) | Meilensteine (6) | Moderne Klassiker (3) | Erwähnenswert (5)

MODERNE KLASSIKER

»The Matrix« (Andy & Larry Wachowski, 1999). Durch seine Sequels ein wenig in Misskredit geraten, bleibt »The Matrix« dennoch ein fulminanter Meilenstein des modernen Kinos. Ein berauschender Genre-Mix, berstend vor kinetischer Energie und innovativ im Stil. Was steckt hinter der ganzen Ästhetik? Substanz, wer hätt’s gedacht.

»Minority Report« (Steven Spielberg, 2002). Ein pulsierender, intelligenter future-noir-Thriller, der wie »Blade Runner« eher pessimistisch in die Zukunft blickt: Es lügt der Mensch, solang er strebt. Einfallsreich im Visuellen, nervenzerrende Spannungsspitzen, famos inszeniert. Kein Whodunit, sondern ein Whowilldoit!

»Children of Men« (Alfonso Cuarón, 2006). Dieses Juwel kam überraschend: eine ungeschminkte, vielschichtige Dystopie über eine infertile, desolate Zivilisation. Perfekt die Regie: Dramatische Plansequenzen bringen ein beispielloses Level an Authentizität.

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ERWÄHNENSWERT

»THX 1138« (George Lucas, 1971). Eine orwellsche Vision unserer Zukunft, kühl, minimalistisch und spröde, das komplette Gegenteil des Star-Wars-Pomp. Auch mal angenehm.

»Contact« (Robert Zemeckis, 1997). Gerne übersehen: feinsinnige, ruhige Verfilmung der Geschichte des großen Carl Sagan, die auch die Debatte Wissenschaft vs. Religion nicht scheut.

»Pi« (Darren Aronofsky, 1998). Aronofskys Debüt, so befremdend wie der frühe Cronenberg, so anspruchsvoll wie Nolan, so sperrig wie Lynch, so originell wie … wie Aronofsky.

»Primer« (Shane Carruth, 2004). Außergewöhnliche Low-Budget-Produktion um profitables Zeitreisen. Faszinierend authentisch gefilmt, gleichwohl inhaltlich beinahe unzugänglich. Für Mitdenker.

»War of the Worlds« (Steven Spielberg, 2005). Spielberg hält das Genre am Leben. Das eindrucksvolle Remake verleiht Wells’ politischer Parabel aktuelle Bezüge, setzt visuell neue Maßstäbe.

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10 Reaktionen zu “Science Fiction fürs Regal”

  1. Horatiorama

    Was ist mit Soylent Green? Ein Beispiel dafür, dass es eine Vergangenheit der Zukunft gibt, die ihrer Realität widerspricht.

  2. San Andreas

    »Soylent Green« war gut, na klar, rangiert meines Erachtens jedoch nicht wirklich als Klassiker. Die Thematik ist genial, das Ende unvergesslich, die Botschaft ehrenhaft, doch laviert der Film ein wenig holperig durch die Story, passt eher zu den üblichen exploitation flicks der Siebziger, die ihren schrulligen Charme haben, aber letztlich nicht vollends überzeugen. »Soylent Green« wirkt teilweise naiv, was wissenschaftliche Grundlagen angeht, aber ich mag ihn trotzdem, weil er weniger auf Effekte setzt als auf Moral mit Weitblick.
    Richard Fleischer hatte ja auch den herrlichen »20000 Leagues under the Sea« gemacht, Gott wie hab ich den geliebt, und »Fantastic Voyage«, ein anderer Klassiker-Anwärter. Aber irgendwo muss man die Grenze ziehen, sonst sprengt das den Umblätterer.

  3. georg_feuerstein

    Ein Film, der in SciFi-Listen häufig nicht auftaucht, ist „Phase IV“ von Saul Bass aus dem Jahr 1974. Wie der Autor fairerweise zu verstehen gibt, hat dies mit der Problematik der Genre-Definition zu tun.

    Ebenso ließe sich trefflich streiten, inwieweit „Terminator 1 + 2“ aufgrund ihres stilbildenden Einflußes aufgeführt werden müssten.

    Zu kritisieren wäre an obiger Liste allenfalls, dass mit dem Hinweis auf „Star Wars“ als „kulturelle Institution“ diese Zuweisung auch für das „Star Trek“-Universum gelten müsste. Richtig ist allerdings, dass es keinen wirklich bedeutenden „Star Trek“-Spielfilm gibt.

    P.S. Spielberg, Lucas, Scott und Cameron nennen „Alarm im Weltall“ (1956) als einen sehr wichtigen Einfluß für ihr eigenes Schaffen.

  4. San Andreas

    Saul Bass verehre ich ja sehr, vor allem wegen seiner Arbeit für Hitchock. Nun hat er diesen einen Film gemacht, und an den erinnert man sich, wenn man ihn einmal gesehen hat: die Wüste, die Ameisen. Es ist manchmal schwierig und von Fall zu Fall auch unmöglich, Horror und SciFi auseinanderzudividieren. »Phase IV« mag man vielleicht zu den creature horror movies rechnen, wenn auch zu den intelligenteren.

    Bei »Terminator« gehe ich mit, der hat definitiv Meilensteinstatus, der zweite Teil nicht weniger. Sie waren auf der Liste, bei der Endauswahl gaben dann Platzmangel und persönlicher Geschmack den Ausschlag, sowie die Tatsache, dass die Filme eher Action im SciFi-Gewand darstellen. Trotzdem, in der Author’s-Cut-Version des Artikels sind sie drin, so viel Platz muss sein. Leid tat es mir zum Beispiel auch um »The Abyss«, der eigentlich ziemlich gut ist.

    Die Trekker mögen Nachsicht walten lassen, aber ihre zweifellos bedeutsame Kultur basiert eher auf der *Serie*, und diese Trennung sollte man schon haben. Die Filme… na ja, reden wir nicht drüber.

    »Forbidden Planet« (Alarm im Weltall) ist ein guter Tipp, den hatte ich nicht auf der Rechnung. Ich sah ihn mal vor Jahren, tatsächlich ein Pulp-Kult-Klassiker. Und da merkt man erstmal, wie lange Leslie Nielson schon im Geschäft ist ;-)

  5. ThoHa

    Ach da würde ich doch gerne noch mindestens haben: Trumbulls „Silent Running“ als Fastschonklassiker, Cronenbergs „eXistenZ“ als Irritations-Champion, und den mit Christopher Walken, wie hieß er gleich… „Brainstorm“ als … da fällt mir schon gar keine Kategorie mehr ein. „Total Recall“ als Modern Classic ebenfalls, ganz Verhoeven wird hoffentlich filmhistorisch stärker haften bleiben als die Matrix-Überschätzung.

  6. Stefan Kluge

    Zwei interessante Low Budget-SF-Produktionen aus 2007: „The Nines“ und „The Man From Earth“.
    Letzterer war übrigens zeitweise auf Platz 1 der IMDB-Charts dieses Genres, nachdem der DVDRip im Releaselog erschien. Produzent Wilkinson bedankte sich dann später öffentlich bei den „Raubkopierern“.

  7. San Andreas

    @ThoHa: »Silent Running« ist ein Unikum, schön melancholisch, die Botschaft relevant as ever, aber filmisch leider schon recht antiquiert. Ich hab mal was von einem geplanten Remake gehört.

    Irritierender noch als »eXistenZ« fand ich den themenverwandten »Videodrome«, aber beide fielen irgendwann als krude Genre-Hybriden aus der Auswahl raus, genau wie »The Fly«, bei dem der Horror überwiegt.

    Für die Erwähnung von »Brainstorm« bin ich dankbar, den hatte ich zugegebenermaßen nicht aufm Zettel. Aber er war damals einer meiner Lieblingsfilme. Mind-blowing, im wahrsten Sinne des Wortes. Und dass Natalie Wood vor Dreh-Ende verstorben war, hatte mich irgendwie mitgenommen und den ganzen Film mit Tragik aufgeladen. Louise Fletcher war auch klasse. Ich muß mir den Film unbedingt nochmal besorgen.

    »Total Recall« war für mich teilweise verkappte Baller-Action, ich hätte mir eine nicht so laute Verfilmung der PKD-Story gewünscht. Verhoeven hat einen unübersehbaren Kult-Faktor, aber seine schrille, extravagante Ader ist nicht jedermanns Geschmack. »Matrix« geht da vielleicht besser ins Blut.

    @Stefan: Danke für die Tipps. »The Nines« sah ich erst kürzlich, ziemlich großartig, aber wohl eher ein Mystery-Drama-Thriller-Ding als genuine Science Fiction. »The Man from Earth« klingt auch interessant, da klemm ich mich mal dran.

  8. ThoHa

    Fast vergessen: „Dark Star“, wegen des besten Aliens aller Zeiten.

  9. San Andreas

    :-) Yeah right, seit ich den Film gesehen habe, leide ich unter einer schlimmen Wasserballphobie.

  10. The Man from Earth - Fan

    Hey,

    Du hast echt die wichtigsten Sci fis aufgelistet. Nur bei War of the Worlds muss ich dir wiedersprechen den fand ich nicht so gut. Wie man an meinem Namen schon erkennen kann finde ich den The Man from Earth auch sehr gut. Leider fehlt er bei dir noch ;)

    Aber sonst kann ich die liste echt mit unterstreichen echt das wichtigste dabei.

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