Archiv des Themenkreises ›Filmakademie‹


Riga und die Deutschen

Riga, 18. August 2008, 23:14 | von Paco

Viele deutsche Touristen in Riga. Warum? »The Dark Knight« startet in Deutschland erst überübermorgen, am 21. August. Solange kann keiner warten. Ich habe noch letzte Woche geschätzte 30 Deutsche, Österreicher und Schweizer getroffen, die alle wegen des früheren Filmstarts hergekommen waren. Sie hatten den Tipp teilweise von Leuten bekommen, die schon seit Ende Juli Riga und andere europäische Gegenden aufsuchten, nur um »The Dark Knight« zu sehen, bevor es zu spät ist.

Ich habe den Film letzten Freitag gesehen, nach meinem Besuch der hervorragenden Sowjetkunst-Ausstellung. In den plüschigen Kinosesseln um mich herum lungerten lettische Teenager, viele von ihnen trugen in einem Ohr einen Kopfhörer, schwach konnte man aufgeregten Baltic-Pop heraushören.

Zu meiner Verwunderung blieb das Headphone auch während des Films im Ohr stecken. Nach anfänglicher Fassungslosigkeit wurde mir schnell klar warum: Die jungen Letten wollen eh nur die Untertitel lesen, die Bilder sehen sie ja trotzdem, da können sie ruhig auch nebenbei ein bisschen Musik hören. Vom teilweise brüllenden Filmsound bekamen sie sicher trotzdem noch was mit.

Zum Film selber wird our very own San Andreas noch was liefern, so fundamental wie immer, nehme ich an. In diesem Zusammenhang: Grüße an Josef »ahnungslos« Schnelle und Ekkehard Knörer.

(Edit, 26. 8. 2008: San Andis fundamentaler Text zu »The Dark Knight« und den Vorgängerfilmen ist mittlerweile fertig.)


»The Happening«:
Der Absturz des M. Night Shyamalan

Hamburg, 17. August 2008, 08:00 | von San Andreas

M. Night Shyamalan hatte es niemals leicht mit den Kritikern. Nach »The Sixth Sense«, zweifelsohne ein großer Wurf, war er von der Beurteilerzunft besonders kritisch beäugt worden. »Unbreakable« begegnete man bereits mit milder Enttäuschung, so dass Shyamalan den Rest der Trilogie kippte. »Signs«, ein astreiner Spielberg-Hitchcock-Hybride, wurde größtenteils noch jovial durchgewunken, aber »The Village« fiel komplett durch. Des Regisseurs Hang zu überraschenden Schlusswendungen wurde ihm als Masche angekreidet, seine in Interviews zu Tage tretende Selbstbezogenheit als Arroganz übel genommen.

Als der Mann dann in »Lady in the Water« einen Filmkritiker auf grausame Weise umkommen ließ, verstanden die Damen und Herren des Feuilletons überhaupt keinen Spaß mehr. Das einstige Regie-Genie wurde restlos demontiert, der Film geriet zum Flop-Debakel schlechthin. Dabei ist diese filmgewordene Gute-Nacht-Geschichte durchaus liebevoll erzählt. Doch bei aller persönlichen Anteilnahme verlor Shyamalan anscheinend zwischendurch das Publikum aus den Augen.

Nun kommt das in den besten Familien vor. Aber Shyamalan fehlt der loyale Rückhalt bei den Kritikern, die ihm solche Egotrips durchgehen lassen würden (man vergleiche mit den Kritiken zu Coppolas »Youth Without Youth«). Handelte es sich um einen introvertierten Autorenfilmer, wäre das Beharren, sich bei seinen Produktionen partout nicht reinreden zu lassen, nur folgerichtig. Fehlt es allerdings an Instinktsicherheit, können die Allüren eines Control Freaks gerade bei Großproduktionen verheerende Folgen haben.

Die Maßstäbe der Unternehmung, der Ruf der Macher und die großen Investitionen exponieren einen solchen Film, erzeugen immensen Erfolgsdruck und stellen sein Schicksal dem Urteil einer gespannt wartenden Filmgemeinde anheim. Die kritische Auswertung entwickelt dann mitunter Dynamiken, die ein Dorado für jeden Psychologen wären, scheinen doch Polemik, Sympathie, Geltungssucht und Gruppenzwang hier ebenso bestimmende Einflussfaktoren zu sein wie Sachkenntnis und Urteilsvermögen.

Jedenfalls kann das Verdikt der Meinungsmacher einen Film ruckzuck vernichten. Eine sich nach dem Schneeball-Prinzip fortpflanzende Mundpropaganda (»hab gehört, der neue Shyamalan soll schlecht sein«) vergrätzt im Nu Scharen potenzieller Kinogänger, und das vermeintlich fundierte künstlerische Urteil führt zu einem vielleicht unverdienten Exitus an der Kinokasse.

So funktioniert der Laden nun mal, und Shyamalans »Lady« hat es kalt erwischt. Wohl nur zum Teil aus Trotz erklärte der Regisseur das Werk dennoch zu seinem persönlichen Favorit und ging zur Tagesordnung über. Für seinen neuen Film »The Happening« kam die Hälfte des Budgets aus Indien, denn bei den Hollywood-Studios gilt der Regisseur freilich längst nicht mehr als sichere Bank. Cineasten ist das gleich, unter ihnen regte sich Hoffnung. Würde Shyamalan zu seinem alten Gespür zurückfinden? Das spannende Poster zumindest gab Grund zur Zuversicht: verlassene Autos auf einer finsteren Landstraße, die in die dunkle Stadt am Horizont führt. Was ist da passiert? Egal was: Wir wollen es wissen. Zeig es uns, Shyamalan.

(Einen Kinobesuch später.)

Jetzt wissen wir’s. Aber sind wir glücklich? Ist es ein guter Film? Die Antwort ist: nein. Und es ist ein resolutes Nein, ohne Furcht vor Widerspruch. Keine Kritiker-Launen rühren an der Objektivität des Urteils, auch nicht der dem gemeinen Rezensent angeborene Argwohn gegenüber Gruselstoffen: »The Happening« ist offiziell ein schlechter Film.

Kaum glaublich, dass das niemandem bei der Produktion aufgefallen ist, aber wahrscheinlich hat des Meisters strenge Ägide konstruktive Kritik unterbunden. Schlimm muss es für das Talent Wahlberg gewesen sein, Shyamalans hochnotpeinliche Dialoge zu sprechen. Das Schauspiel hölzert ambitionslos vor sich hin. Besonders Zooey Deschanel, Wahlbergs Filmfrau, ist eine einzige, wahrlich unangenehme Irritation. Die Beziehung zwischen den beiden bleibt eine Behauptung.

Auch in punkto Dramaturgie und Spannung lässt sich an dem Film kein gutes Haar finden. Zu Beginn bringen wohl einige Einstellungen einen Anflug von Gänsehaut, doch diese legt sich, sobald sich die Geschichte aus dem Chaos der Stadt ins pastorale, komplett unbedrohliche pennsylvanische Land bewegt. Hier wird einem das Bild einer sich im Wind wiegenden Weide als schreckliche Gefahr verkauft, und die Gruppe verfährt aufgrund von Erwägungen, die selbst den leichtgläubigsten Zuschauer nicht überzeugen.

Eingestreute Schockmomente bemühen sich um provokante Lapidarität, verpuffen aber mangels emphatischer Basis. Die Klaviatur filmischer Mittel bleibt ungenutzt, und die gerade in dieser Filmsparte so wichtige Qualität des »suspension of disbelief« könnte erbärmlicher nicht ausfallen. Die »Natur schlägt zurück«-Idee der Geschichte mag ihren Reiz haben und über sie hinausweisen, doch versäumt es der Film sträflich, irgendeinen höheren Anspruch einzulösen – anstatt die Apokalypse weiterzuspinnen, starrt der Zuschauer fassungslos auf den Unsinn, der ihm da geboten wird.

Es misslingt dem Publikum auch, sich den Film so schlecht zu kucken, dass er schon wieder gut wäre. Wir erinnern uns an charmante B-Movies, die das schafften, aber »The Happening« trifft einfach nicht den Ton, ist zudem bar jeden Humors, jeder Ironie. Da gibt es keine Momente memorablen Kinos, die die Distanz zum Zuschauer zu überbrücken vermögen. Die Anhäufung dilettantischer Szenen wächst sich aus zur Beleidigung unserer Intelligenz, und dies unterscheidet das Werk von allen anderen Shyamalan-Filmen – keinem anderen dringt der Eindruck künstlerischer Inkompetenz derart aus allen Poren. Und hierin sind sich offenbar die allermeisten Rezensenten einig.

Die schlimme, ja fast feindliche Resonanz bei der Kritik sollte dennoch Zweifel wecken; schließlich ist es schwer vorstellbar, dass sich ein Regisseur die Vorgabe gemacht hätte, mal einen richtig schlechten Film zu drehen. Gründet das Urteil vielleicht doch eher auf einer lang gehegten Animosität als auf einer quasi-neutralen Einschätzung? Selbst die Einhelligkeit der Verrisse bietet keine Garantie: Wie oft schaukeln sich regelrechte Verrisswellen hoch, während der Film außerhalb des Feuilletons auf Begeisterung stößt und mitunter späte Rehabilitierung erfährt.

Es lohnt sich diesbezüglich, die Shyamalan-Rezensionen über die Jahre zu durchleuchten. Hier kommen eher Dimensionen subjektiver Erfahrung zum Tragen als anderswo, Kritiker scheinen Shyamalans Filme gern persönlich zu nehmen, vielleicht nicht zuletzt, weil der Regisseur in seinen Filmen selbst in Erscheinung tritt. Ein selbstverliebter Schablonenfilmer, ein talentierter Scharlatan, heißt es dann in Revision der Wunderkind-Elogen von 1999, aber immer im Brustton eines kollektiven Anspruchs auf Deutungshoheit, der niemals ganz gerechtfertigt scheint.

Die Filme von Shyamalan (Grafik)

Frappant ist der Abfall in der Kritiker-Akzeptanz im Laufe der Zeit. Mit Ausnahme von »Signs« wurde jeder Film schlechter bewertet als der vorhergehende, doch scheinen die Werke nie wirklich so furchtbar zu sein, wie die Rezensenten es gerne hätten. Bei Lichte betrachtet verbucht ein ruhiger runder Streifen wie »The Village« doch viel mehr auf der Habenseite als ein übellauniger Kritiker ihm zugestehen will – die Akzeptanz und Resonanz beim Publikum jedenfalls legen dies nahe. Dann und wann versagt der Rezensent eben in seiner Rolle als unabhängiger Mittler zwischen Macher und Zuschauer, seine Maßstäbe verabschieden sich in unwägbar subjektive Gefilde (wie der Filmproduzent Günter Rohrbach letztes Jahr in einem bestechenden Artikel im »Spiegel« beklagte).

Im Falle von »The Happening« nun aber scheint sich die Prophezeiung von Shyamalans künstlerischem Zusammenbruch doch noch zu erfüllen. Gebeutelt und gehasst, überschüttet mit Spott und seiner Selbstsicherheit beraubt, war er offenbar nur mehr im Stande, eine peinliche Nullnummer zu produzieren, und die Inaugenscheinnahme des Films bestätigt zum ersten Mal jede einzelne schlechte Kritik. Das ist umso betrüblicher, als dass mit Shyamalan eine große Kinohoffnung ihren Niedergang findet. Sein Kredit war mit »Lady« aufgebraucht, nach »Happening« steckt er tief im Minus, denn ein Film, der dermaßen am Publikum vorbeirauscht, dass man sich wünscht, man hätte es beim Betrachten des Posters belassen, wiegt schwer – gerade bei einer nachtragenden Spezies wie dem Kritiker.

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Münzstapel in der Grafik: oldskoolman.de
Einspielergebnisse: Box Office Mojo
Kritikerwertungen: Rotten Tomatoes
Userwertungen: IMDb


»Youth Without Youth«:
Helft mir nicht, ich bin Coppola!

Reykjavík, 23. Juli 2008, 12:57 | von San Andreas

Im Redaktionssystem fand ich eben folgenden Entwurf von Paco und die Frage, ob den »bitte irgendjemand« weiterschreiben kann:

Grad gesehen, den neuen Francis Ford Coppola. Hat einige harsh reviews abgekriegt, teils zu Recht. Ich fand die erste Stunde sehr verheißungsvoll, aber dann, sobald Alexandra Maria Lara und ihre Shanti-Gesänge ins Geschehen rücken, wird es schwierig. Hab trotzdem versucht zu folgen, irgendwann wollte ich aber nicht mehr. Am Ende reihen sich nur noch bedeutungsheischende Bilder aneinander.

Sehr nervig fand ich vor allem dieses zweite Tim-Roth-Ich, das ab und zu mal schräg ins Bild kuckt. Das hat bei »Heroes« besser funktioniert (ich meine Niki und ihr alter ego Jessica, das immer mal wieder heftig ausrastet).

Das linguistische Hauptthema, die Suche nach der Ursprache, ist an sich ja interessant, aber wohl nicht leicht verfilmbar. Schon vor ein paar hundert Jahren war das immer mal wieder eine beliebte Preisfrage, an der man sich lustvoll abarbeitete. Lustigerweise hielt zum Beispiel Friedrich Schlegel Sanskrit für diese ursprüngliche Sprache, von der alle anderen abstammten, und das kommt ja im Film so auch ein wenig durch. Aber mit A. M. Lara als Medium wirkt das zu seifig und dabei doch zu unzugänglich.

Matt Damon hat einen 10-Sekunden-Auftritt. Das hat mich recht erstaunt, dass er da einfach mal so uncredited am Set vorbeischaut. Da übrigens die Vorlage ja von Mircea Eliade stammt, warte ich gespannt darauf, dass auch mal so ein Capriccio von Ernst Jünger verfilmt wird, und damit bin ich sicher nicht allein, hehe.

Auch ich war aufgeschlossen, ja geradezu festlich gestimmt, und fand den ersten Teil promising, das Ganze entwickelte schon eine eigene Stimmung und war in erlesene Bilder gekleidet. Doch mit der Zeit vergurkt sich alles in einem gekrampften Transzendenz-Geschwurbel, wird anstrengend und träge. Arthouse hin oder her, wenn ein Film seine Zuschauer nicht halten kann, taugt er nichts.

Das Storytelling hinkt auf beiden Beinen, jegliche Resonanz geht flöten, und der Film schleppt sich durch immer prätenziösere Szenen wie auf einer frisch geteerten Straße. Irgendwann will man nicht mehr. Thematisch mag dieser linguistische Orientalismus für den einen oder anderen ganz nett sein, aber mir schwant, die Vorlage ist zu sehr Literatur, als dass Coppola einen Film draus zaubern könnte, der die Rauschhaftigkeit seiner alten Arbeiten entwickeln würde. »Apocalypse«, »Conversation«, »Pate« und dergleichen, selbst die Auftragsarbeit »Dracula« war filmisch-atmosphärisch famos.

Das Personal klang ganz vielversprechend, aber das Charisma von Bruno Ganz verschwindet schmerzhaft früh aus dem Film, Roth war für mich nun auch nicht gerade der Über-Sympath, und die Lara, ach geh, ja hübsch und so. Matt Damon in seiner bedeutungslosen Winz-Rolle war Onkel Coppola vielleicht noch ein Gefallen aus »Rainmaker«-Zeiten schuldig.

Wie man liest, hat sich der Cutter (guter Mann: Walter Murch) durch 170 Stunden Material kämpfen müssen. Coppola war wohl nach 10 Jahren Abstinenz ein wenig eingerostet, konnte sich nicht entscheiden und hat einfach alles mitgefilmt. Daraus eine kohärente Geschichte zu destillieren, ist ein hartes Brot, und sicher fällt es schwer, diesen großen Männern ins Gesicht zu sagen, sie hätten’s einfach mal vergeigt. Aber genauso zwecklos ist es, sich diese humorlose, undurchdringliche Narretei zur großen Kunst hochzustilisieren. Doesn’t work.

Bei alledem muss man aber bemerken, dass Coppolas Genie schon noch durchblitzt, der Mann wärmt sich auf für sein Alterswerk. Geschafft hat er den Sprung von seinem Schulden- auf seinen Weinberg, der »Youth« finanzieren half. Ein Herzensprojekt, independently gestemmt, sehr persönlich und deswegen egotripmäßig gefährdet. Er hat sich nicht reinreden lassen während der Produktion und gibt sich in Interviews auch sehr bärbeißig, was die Arbeit seiner Kollegen angeht. Das hat so was Trotziges. Helft mir nicht, ich bin Coppola. Hmm, na ja.

Wir warten auf »Tetro«, seinen nächsten. Bardem war gebucht, musste zurückziehen, Carmen Maura ist für ihn rein, wir kennen sie aus »Volver«. Und wieder ein Deutscher dabei: Brandauer. Ich weiß, Brandauer ist ebenso wenig deutsch wie Bruno Ganz und Frau Lara, aber wir sind trotzdem stolz, dass Coppola mit *uns* dreht. Irgendwie.


Hulk. Smash. David. Smash. Citizen Kane.

Rom, 14. Juni 2008, 10:37 | von Dique

Zur Abwechslung mal den »Guardian«. Ob man den lesen darf verraten wir ein anderes Mal. Gerade im Palazzo Doria Pamphilj, und ich bin deutlich schneller fertig als San Andreas, denn der hat auf meine Empfehlung hin den Audio Guide genommen, welcher vom aktuellen Prinzen Jonathan Doria Pamphilj in exzellentem Englisch gesprochen wird. Da gibt es neben der angenehmen Stimme auch ein paar kleine Palazzofamilienanekdoten und damit hebt er sich ein bisschen vom üblichen Audio-Guide-Einheitsbrei ab.

Ich warte also im Buchladen der Galerie neben einer gelangweilt dreinschauenden Spanierin ohne Lesematerial und beschäftige mich mit dem »Guardian«-Kulturteil. Peter Bradshaw schreibt über die neuste Verfilmung des Hulk und für eine gute Kritik braucht man ja bekanntlich nicht zwangsläufig einen guten Film. Umgekehrt läuft es oft besser.

»Hulk. Smash!« Yes. Hulk. Smash. Yes. Smash. Big Hulk smash. Smash cars. Buildings. Army tanks. Hulk not just smash. Hulk also go rarrr! Then smash again. Smash important, obviously.

So geht der Text los, so geht er weiter und so kommt er zum brillanten Ende. Und ich frage mich, ob Peter Bradshaw vielleicht heimlich »Jungle World« liest. Im dortigen Heuteblog gab es Ende März einen Kurzreview von Maik Söhler zu »Gran Turismo 5«, welcher sich so anliest:

Brum, bruuuum, brm, brm, quieeetsch, schepper, bruuuuuum, brm, brm, bruuum, knack, bruuuum, quietsch, zosch. 5000 Credits. Neues Auto. Neue Strecke. Bruum, bruuuum, knack, schepper, bruuum, bruuuuum, brm, brm, zadong. Scheiß Kiesbett. Bruuum, bruuuuuum, brm, brm, endlich im Ziel.

Aber bleiben wir im Hulk-Text, denn der ist schon ein bisschen ausgereifter als die kleine Spaßattacke der Jungle World. Da werden zum Beispiel wichtige Analysen zur Physiognomie des Hulk geliefert:

Film co-written by star. Edward Norton. Norton in it. Norton write it. Norton not need gamma-radiation poisoning to get big head. Thing is: Hulk head weirdly small. Compared with rest of big green body. Hulk not scary. Hulk look like Shrek. Wait. Critic have … second thought. Hulk look like Shrek when Shrek turn handsome, in Shrek 2. Like Gordon Brown.

Und bei dieser Exegese über die Größe von Hulks Kopf denke ich an den David von Michelangelo, denn dessen Kopf halte ich für viel zu groß. Erst vor zwei Wochen stand ich mit San Andreas (dem Filmkritiker des Umblätterers, hehe) vor der riesigen Marmorstatue in der Galleria dell’Accademia und wunderte mich erneut über dessen großen Kopf und seine recht überdimensionierten Hände.

Tatsächlich fragte ich damals San Andreas, wieso es nach der Verfilmung von Ang Lee nun schon wieder einen »Hulk« im Kino gibt? Der Film von Ang Lee sei wohl zu kopflastig gewesen, heißt es. Deshalb waren die Fans enttäuscht, und deswegen gibt es jetzt wieder einen Hulk Classic. Yes. Hulk smash. Yes. Smash. Big Hulk smash. Natürlich konnte Bradshaw diesen Kontext nicht umgehen:

Critic remember Ang Lee version. Ang Lee version slagged off. Yet rubbish new Hulk film make that look like Citizen Kane. Critic exit cinema miffed. Film take away two hours of critic’s life. Critic not get time back. Ever. Rarrrrr.

Ein bisschen dankbarer könnte er allerdings sein, denn ohne den grünhäutigen Schotter hätten wir nicht diesen Lesespaß gehabt. Ich gebe den Text spontan an meine wartende Nachbarin weiter. This is so funny, read this, sage ich. Etwas zögerlich nimmt sie die Zeitung, starrt eine Weile auf den Text und sagt: »What mean ›smash‹?«


»Indiana Jones and the
Kingdom of the Crystal Skull«

Hamburg, 30. Mai 2008, 12:40 | von San Andreas

Lange nicht mehr so lange im Voraus Karten bestellt. Lange nicht mehr in einem so vollen Kinosaal gesessen. Lange nicht mehr eine solche ehrfürchtige Vorfreude in der Luft verspürt.

Es hätte bereits im Jahre 2004 so weit sein können. Frank Darabont hatte ein ganzes Jahr an einem Drehbuch gearbeitet, war vollständig in der Materie aufgegangen, schrieb wahrscheinlich mit Schlapphut und Lederjacke. Spielberg war von dem Ergebnis begeistert und wollte sofort losdrehen, ebenso Ford. Man stelle sich vor, wie die beiden freudestrahlend mit dem noch feuchten Script bei George Lucas aufkreuzten, und der abwinkte: »Nah. Don’t like it.« Darabont hegt seither einen verständlichen Groll gegen Lucas, und sein Buch wird in der Script-Trader-Szene gejagt wie der Heilige Gral.

19 Jahre war der Mann nicht mehr auf der Leinwand, und doch braucht Spielberg im Trailer nur seinen Schatten zu zeigen, und alle Welt weiß, wen sie vor sich hat: Dr. Henry ›Indiana‹ Jones, Jr. – Jawohl, wir haben es hier mit einer veritablen Ikone zu tun. 1981 bedeutete sie die Renaissance des Abenteuerfilms: »Raiders of the Lost Ark« war als Hommage an die Groschenromane und Filmserien der 30er und 40er Jahre gedacht, wurde unversehens zum Triumph und begründete eine eigene Legende. Nach zwei weiteren Abenteuern ritt der Held stilecht in den Sonnenuntergang: der Abschluss einer Epoche machenden Trilogie.

Nun errang das Gesetz der Serie doch noch einen Sieg und beschert uns einen vierten Teil. Skepsis war angebracht, als das Projekt in Planung ging, viel stand auf dem Spiel. Das Erbe eines großen Kinokapitels konnte befleckt werden, Harrison Ford, mittlerweile jenseits der 60, konnte der Lächerlichkeit preisgegeben werden, Lucas und Spielberg konnten der Leichenfledderei bezichtigt werden. Aber als ausgewählte Kritiker und Presseleute den Film in Cannes das erste Mal zu Gesicht bekamen, entnahm man ihren Reaktionen, dass hier ein feines Stück Kinogeschichte anständig fortgeschrieben worden war: »Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull« erntete dreieinhalb Minuten Standing Ovations.

Man mag kaum glauben, welchen Hype ein derart nostalgisches Kino-Konzept dieser Tage auszulösen vermag, noch dazu eines, dessen Macher sich bereits im rechten Alter für Lebenswerk-Preise befinden und nicht gerade zur Speerspitze moderner Filmkultur zählen. Aber Kino hat einen langen Atem, Klasse wird jahrzehntelang erinnert. Meilensteine führen ein Eigenleben, legen eine Schablone im kollektiven Filmgedächtnis ab, die über Generationen an Anziehungskraft nicht einbüßt.

Tatsächlich gilt der vierte »Indiana Jones«-Streifen als der mit der größten Spannung erwartete Film des Jahres 2008. Der Trailer wurde in der ersten Woche nach Erscheinen 200 Millionen Mal angeklickt, Kenner rechnen mit einem weltweiten Einspielergebnis von einer Milliarde Dollar. Aber was sagen diese Zahlen schon …

Was uns wirklich interessiert: Kann der Film die Magie heraufbeschwören, die seine Vorgänger in den 80er-Jahren so unvergesslich gemacht haben? Dieses unbeschwerte Gefühl purer Kinounterhaltung, der befriedigende Eindruck, dass eine Geschichte vollends in ihrer filmischen Form aufgeht? Kann er uns das heimelige, lieb gewonnene Zuhause im Indy-Universum wiederbringen, mit all seinen Klischees und Unwahrscheinlichkeiten, seiner entwaffnenden Selbstironie, seiner haarsträubenden Action und seinen liebenswerten Charakteren?

Er kann.

Aber nicht immer. Und nicht für jeden. 19 Jahre sind 19 Jahre. Die Welt ist kleiner geworden, und die Aussicht, dass Indiana Jones uns in exotische Winkel des Planeten führt, hat an Faszination eingebüßt. Die schmuddeligen Abenteuerserien der 40er-Jahre sind in noch weitere Ferne gerückt, die Filmwelt hat sich weitergedreht. Schatzsucher-Adepten haben sich auf der Leinwand versucht, der »Da Vinci Code« und das »National Treasure«-Franchise sind die letzten Beispiele. Am Mythos »Indiana Jones« haben sie nicht zu kratzen vermocht, denn der ist bereits eingehüllt von einer dicken Patina wehmütiger Verklärung.

Eine Neuinstallation im Hier und Jetzt verlangt auch eine Interpretation im Hier und Jetzt, und da hat der Film nicht gerade einen guten Stand. Was nostalgisch gemeint ist, läuft Gefahr, antiquiert zu wirken. Altbewährte Plotformeln müssen sich gegenüber neuen Kinokonventionen behaupten, und gerade die jüngere Generation wird diverse Elemente als reichlich hanebüchen empfinden. Der neue Film nimmt keinerlei Verbindung zum aktuellen Zeitgeist auf, weder was seine Charaktere, noch seine Handlung, noch seine Machart anbelangt. Man kann wirklich nicht behaupten, Indiana Jones wäre im Jahre 2008 angekommen.

Und genau das rettet den Film. Denn all das ist ihm schnurzegal. Die »Indiana Jones«-Abenteuer haben ihr eigenes Universum erschaffen, und nichts veranlasst sie dazu, außerhalb davon Aktivitäten zu entfalten. Wenn man »Skull« beurteilen möchte, dann nur im Vergleich zu den anderen Teilen, und da wiederum macht der Streifen eine gute Figur – er ist tatsächlich ein echter »Indiana Jones« geworden, und als solcher, wenn auch ausschließlich als solcher, funktioniert er formidabel.

Schon die traditionelle Überblendung des Paramount-Logos auf eine real-life-Bergform lässt dem Indy-Fan das Herz schwellen. Und als die von finsteren Gestalten zu Fall gebrachte Gestalt den abgewetzten Fedora aufsetzt, sich langsam in die Kamera dreht und ein angewidertes »Russen.« hervorpresst, kennt die Freude keine Grenzen mehr. Ford macht immer noch eine gute Figur, das muss man ihm lassen.

Auftritt Cate Blanchett als Irina Spalko, eine Art KGB-Domina. Auch wenn einem eine solche Person noch in keinem Film begegnet ist – sie kommt dennoch als wandelndes Klischee daher, füllt den Platzhalter des traditionellen Indy-Antagonisten: ultimativ böse, süffisant parlierend, übermächtig und blind vor Gier. Im Falle von Spalko fällt die Bedrohlichkeit leider ein wenig dünn aus, obwohl sich Blanchett redlich bemüht.

Ähnlich geht es John Hurt und Ray Winston, die mit ihren Rollen nicht mehr anfangen können, als das Drehbuch ihnen Redezeit zugesteht. Die meiste davon aber erhält naturgemäß der Held, sowie sein neuer, junger Kompagnon, Mutt Williams. Shia LaBeouf ist exzellent in seiner Rolle; seine unaufgeregte Vorstellung zerstreut auch gleich die Bedenken, die Figur wäre nur geschaffen worden, um der Jugend einen Zugang zum Indy-Kosmos zu schaffen.

Das Duo erreicht nicht die glänzende Chemie, die im dritten Teil Ford und Connery auf die Leinwand zauberten, aber eine Verstärkung eilt herbei in Form von Marion Ravenwood (Karen Allen), Dr. Jones‘ love interest aus dem ersten Teil. Das Gerangel der drei auf ihrer abenteuerlichen Reise holt sogar noch etwas aus der Figur des Helden ans Tageslicht, obwohl wir ja dachten, er sei zu Ende erforscht seit der denkwürdigen Szene, in der sein Vater ihn zum ersten Mal »Indiana« ruft und er vernünftigerweise den Gral fahren lässt.

Diverse dröge Dialoge lassen den Film bisweilen an Zugkraft verlieren. Aber der nächste Gag kommt bestimmt, und siehe da, es ist ein gelungener. Von denen gibt es eine erkleckliche Menge, ebenso von den übrigen lieb gewonnenen »Indiana Jones«-Zutaten: abenteuerliche Verfolgungsjagden, die bisweilen auch den Leichtgläubigsten auf eine harte Probe stellen, knackige Faust- und andere Kämpfe, Schatzkarten, Geheimschriften, zu entschlüsselnde Piktogramme, aufzuspürende archäologische Artefakte und verschollene Stätten. Auch der Besuch an Dr. Jones‘ College darf nicht fehlen.

Das Übernatürliche, ebenfalls ein unverzichtbares Element eines jeden »Indiana Jones«-Abenteuers, zieht gegen Ende alle Register, und hier mag manch einer aussteigen. Spielberg und Lucas (der die Geschichte schrieb) gehen hier etwas die Pferde durch, zudem verliert ihre gern zitierte Beteuerung an Glaubwürdigkeit, den Film ganz im Geiste der alten Werke herstellen zu wollen, also ohne Greenscreen und Computeranimation. Denn das ist die ganz große CGI-Keule.

Sei’s drum. Dafür birgt der Film neben den vielen »Indiana Jones«-Momenten, denen trotz der vielen Jahre Pause etwas routinemäßiges anhaftet, noch einen echten Spielberg-Moment. Der Held findet sich plötzlich auf einem Atomtestgelände mitten in der Wüste wieder, stolpert in einer leblosen Siedlung zwischen Schaufensterpuppen umher, die zur unmittelbar bevorstehenden Detonation drapiert sind. Eine Spielberg’sche Vorstadtidylle, grotesk verdreht ins Zeitalter des Kalten Krieges und des Atomwettstreits, und in kuriosem Gegensatz zur eher zeitlosen Schatzsuche-Metapher. Die Szene ist so verblüffend wie gruselig, hebt sich ab vom gut gelaunten Rest.

Der tut niemandem weh. Vielleicht ist diese arglose, warmherzige Grundstimmung der Grund für den Erfolg der Filme. Indiana Jones ist ein Jedermann. Er verbringt die meiste Zeit damit zu versuchen, irgendwie am Leben zu bleiben. Trotz allen übernatürlichen Brimboriums schafft das ein bodenständiges Grundvertrauen. Bei anderen filmischen Großtaten wie »Star Wars« oder »The Lord of the Rings« teilen sich traditionell die Lager, entbrennen erbitterte Grabenkämpfe zwischen ergebenen Fans und leidenschaftlichen Hassern. Gegen Indiana Jones hat komischerweise niemand etwas.

Gut, der Hype dieser Tage wird Gegen-den-Strom-Schwimmern Gelegenheit geben, sich zu profilieren, und der Film hat genug Schwächen, um ihnen zumindest teilweise Recht zu geben. Aber wer die Kirche im Dorf lässt und den Film sieht als das, was er ist und sein will, nämlich ein astreiner, familienfreundlicher Sommer-Blockbuster alter Tradition, wird einen erquicklichen Abend haben.

Von dieser Sorte hat Spielberg im Grunde seit »Jurassic Park« (1993) keinen mehr gedreht. Sowohl in dessen Sequel »The Lost World« als auch in Spielbergs anderen Big-Budget-Produktionen wie »Minority Report« oder »War of the Worlds« dominierten eher düstere Töne, von durch und durch seriösen Werken wie »Schindler’s List«, »Amistad« und »Munich« ganz abgesehen. Es ging die Kunde, Spielberg sei endlich erwachsen geworden. Wie schön, dass er das Kind in sich wieder entdeckt hat. Es gibt auch eines in uns, und die beiden dürfen gerne miteinander spielen.


Tod und Spiele: Hanekes »Funny Games U.S.«

Hamburg, 21. Mai 2008, 13:03 | von San Andreas

Der Trailer fetzt schon mal. Eine Musterfamilie auf Urlaub im Haus am See, zwei unbekannte junge Männer tauchen auf. Zunächst freundlich, dann zunehmend renitent, verwickeln sie die Familie in irritierende Psychospielchen. Aus Irritation wird Angst, aus Angst schierer Terror. Zum kulminierenden Rhythmus des vierten Peer-Gynt-Satzes prasselt ein Stakkato dramatischer Bilder auf den Zuschauer ein: das irre Lächeln der Eindringlinge, eine großkalibrige Flinte, angstverzerrte Gesichter, ein Messer, hastige Bewegungen, ein Tritt, ein Stoß, ein Schuss, holla! Das sieht nach einem spannenden Kinoabend aus.

Der Film ist das amerikanische Remake von Hanekes eigenem Werk »Funny Games«, vor 10 Jahren in Österreich gedreht. Wer das Original kennt, kratzt sich am Kopf: Ist Haneke zum Mainstream überge­treten? Hat Hollywood ihn mit Millionen gelockt? Hat er den verstörenden, harten Realismus, der erst seinen letzten Kritiker-Erfolg »Caché« auszeichnete, zugunsten abgewetzter Thrillerklischees aufgegeben?

Derlei Bedenken haben sich drei Minuten nach Beginn des Films erledigt, als unvermittelt – genau wie im Original – brüllender Thrash Metal über uns hereinbricht und wir eigentlich nur noch wollen, dass es aufhört. Was soll das? Diese akustische Breitseite hat nichts mit den Bildern zu tun, die wir sehen – sie ist offensichtlich nur dazu da, uns zu ärgern. Sie schafft das mühelos.

Was folgt, ist praktisch eine Eins-zu-eins-Kopie des Originals, lediglich mit anderen Schauspielern und in englischer Sprache. Ansonsten alles identisch: Einstellungen, Ausleuchtung, Musik, Ausstattung, alles, sogar die Uhrzeit auf dem stehen gebliebenen Wecker im Küchenregal stimmt überein. Wir erinnern uns bange an Gus Van Sants so zweck- wie erfolglose »Psycho«-Farbkopie und fragen uns: Warum würde jemand so etwas machen?

Haneke: »I made this film originally for an audience that ordinarily consumes violent films, and then I found out that the film had only found an audience in American art-houses.« (EMPIRE, April 2008)

Ein Regisseur, der feststellt, seine Zielgruppe nicht erreicht zu haben und mit einer maßgeschneiderten Version nachsetzt? Ein solches Maß an Intentionalität, gerade bei sonst als introvertiert geltenden Autorenfilmern, ist ungewöhnlich. Welche Mission verfolgt Haneke?

»Funny Games U.S.« zeigt Strukturen eines konventionellen Thrillers, doch bewegt er sich von den gewohnten Wirkungsmomenten weg und wird zum ultimativen Anti-Genre-Film. Er kommentiert sich selbst auf irritierende Weise, thematisiert so die Beziehung des Publikums zum Film und bringt es offensiv in moralische Bedrängnis. Der Anschein, den das Marketing dem Film gibt – eine Finte?

Haneke: »Oh yes. It’s definately a trap.«

Die Therapie ist schmerzhaft. Haneke geht mit einer Schonungs­losigkeit zu Werke, die heftige Reaktionen auslöst. Es gab wohl Zuschauer, die wütend gegen Kinositze getreten und frustriert das Kino verlassen haben. Sie sind der Läuterung entgangen, die der Film bewirken kann, wenn (ja wenn!) man zu gewissen Einsichten kommt. Haneke ist explizit darauf aus, dass so viele Menschen wie möglich den Film sehen, doch nicht jeder verkraftet diesen Anschlag auf Konventionen und Erwartungen, dieses ätzende Gegengift zu Hollywoods Gewaltvermarktung.

An vier oder fünf Stellen im Film durchbricht Haneke die Vierte Wand, etabliert einen Blickkontakt der Peiniger mit dem Publikum, lässt diese sogar provokante Fragen in den Zuschauerraum stellen. Zunächst nimmt man das vielleicht als intellektuelles Gimmick wahr, doch bald verdichtet sich die unbequeme Einsicht, dass die Delinquenten diese unschuldigen Menschen nicht zu ihrem bloßen Vergnügen massakrieren – sondern zu unserem.

Die Einsicht ist beschämend. Sind wir tatsächlich in den Film gegangen, um Menschen leiden zu sehen? Aber ja. Und zwar möglichst unterhaltsam, spannend und in gewohnter Manier. Doch Haneke tut uns den Gefallen nicht, enttäuscht diese Erwartungen auf ganzer Linie. Etwa finden Gewaltausbrüche permanent außerhalb des Bildausschnittes statt. Welche konditionierende Wirkung die Gewaltdarstellung des Kinos hat, realisiert man erst, wenn man diese Szenen verfolgt. Situationen von unglaublicher Beklemmung, von erschütternder Intensität, und doch sehen wir nichts von dem, was andere Filmemacher glauben unbedingt zeigen zu müssen.

Die Erfahrung fiktionaler Gewalt im Film ist dem Erleben realer Gewalt offenbar näher als gedacht und auffallend unabhängig von dem, was dem Kino eigen ist, nämlich von Bildern. Dies ist nicht wirklich neu: Wir schätzen es, wenn Filme subtil vorgehen und gewisse Dinge einer expliziten Visualität entziehen, um eine umso größere Wirkung im Kopf des Betrachters zu erzielen. Aber scheinbar braucht es einen Haneke, um uns diese Maxime stilistischer Raffinesse wieder zu vergegenwärtigen.

Explizite Bilder überführen Konzepte der Gewalt in eine allzu profane, schnell obszöne Vordergründigkeit, die der Gewalt den Schrecken nimmt und sie nach einigen Wiederholungen schlicht erträglich macht. Das Ergebnis heißt Verrohung. Bilder werden gesehen, Gedanken werden gedacht, das nächste Mal ist es nur halb so schlimm. Im Kino wird heute gemeuchelt, gefoltert und gemordet, was das Zeug hält, keine kranke Idee ist zu abgefahren. Die neue Sparte des Torture Porn befördert Menschen mithilfe sadistischer Gadgets ins Jenseits, und in »300« kann man 585 wackeren Kämpfern beim Ableben zusehen. Zur Entspannung.

Haneke: »Hollywood makes violence unreal, it makes it unrealistic and therefore consumable for an audience. And this is detestable to me. It’s dishonest.«

Egal ob man Gewalt am eigenen Leib erfährt oder über sein Empathievermögen nachvollzieht – sie ruft starke Emotionen hervor und trifft einen tief. Gewalt ist Bestandteil der menschlichen Kultur, sie hängt mit Macht zusammen und mit Angst, um sie herum formieren sich Grundsätze der Moral. Mit einem solchen Element soll man kein Schindluder treiben, selbst die Fiktion befreit einen nicht von einer gewissen Verantwortung, gerade bei einem Massenmedium wie dem Film.

Dennoch werden Bedenkenträger gerne in die Spießer-Ecke gestellt, wo auch schon Killerspiel-für-Amoklauf-Verantwortlich-Macher und andere Moralapostel vergnatzt Däumchen drehen. Ihre Gegenredner gefallen sich in unendlicher Toleranz, kehren eine weltmännische Offenheit heraus, wenn sie üble Machwerke als muntere Lebenszeichen einer unverzagten Filmkultur lobpreisen.

Doch man muss nicht alles nehmen, was kommt. Ein joviales Durchwinken hat etwas fatalistisches, trägt den Beigeschmack falsch verstandener Laisser-faire. Seit jeher arbeitet die Zivilisation daran, das Ausleben der dem Menschen offenbar eigenen morbiden Faszination an Gewalt zugunsten humanistischer Werte zurückzudrängen. Ethische Grundsätze brandmarken Entertainment-Gewalt als barbarisch. Wieso sollte man dem Kino eine Art kulturellen Rückfall durchgehen lassen? Ist Film etwa ein pietätfreier Raum?

Korrektive Kräfte sind sehr wohl am Werk. Sie bestehen nicht in Zensur (auch sie verbietet sich im Lichte hehrer freiheitlicher Grundsätze), sondern entstehen aus dem System heraus, im kulturellen Diskurs. Über die Resonanz bei Kritik und Publikum formieren und verschieben sich Tabuzonen und moralische Grenzlinien, die wiederum Künstler und Produzenten beeinflussen.

Dass mit Haneke eine solche korrektive Instanz von der Produktionsseite her aktiv wird, ist bemerkenswert. Die Botschaft seines Films richtet sich nicht nur an gleichgeschaltete Zuschauermassen, sondern ebenso an Kollegen, die seiner Ansicht nach bewusst oder unbewusst Moral und Verantwortungsbewusstsein schleifen lassen. Ungern benennt Haneke dabei Schuldige, aber ein Name taucht auf:

Haneke: »Admittedly Tarantino’s films are brilliantly made, but he depicts violence in a way that makes it look harmless and I find that irresponsible.«

Die Ideen von Tarantino und Konsorten sind bei Lichte besehen tatsächlich haarsträubend. Da werden komatöse Patientinnen vergewaltigt, Fahrzeuginsassen aus Versehen in den Kopf geschossen, Augäpfel zertreten, Frauen mit dem Auto zu Klump gefahren, Männer mit der Flinte entmannt, Mütter vor den Augen ihrer Töchter ermordet. Doch eine meisterliche Ästhetisierung sowie ein flotter Soundtrack machen diese Grässlichkeiten gut verdaulich, überformen deren Schockpotenzial in Richtung einer coolen, genre-verbrämten Lapidarität, gar einer grotesken Komik.

Haneke: »He thinks violence is funny, he uses it as a joke in his films. Personally I think violence can never be funny.«

Diese Sicht mag etwas apodiktisch und verknöchert erscheinen, doch braucht es vielleicht gerade einen solchen idealistischen, wertebewussten Standpunkt, um der zuchtlosen Fahrlässigkeit der Gewaltfilmer ein Gegengewicht zu sein. In diesem Sinne ist »Funny Games U.S.« ein filmgewordenes Manifest, eine kathartische Selbstverständigung in Form einer bestürzenden Studie menschlicher Abgründe.

Im Zuge dieser bitteren Lektion wird die Bewertung filmischen Horrors neu austariert. Bekanntes und Erwartetes erfährt angesichts des wahren Horrors, den der Film wie kaum ein anderes Werk im Zuschauer entfacht, eine nachhaltige Neubemessung. Haneke stößt sein Publikum in einen Zustand ohnmächtigen Entsetzens, indem er Konventionen antäuscht, sich ihnen aber strikt verweigert und dies auch noch zynisch kommentiert.

An einer Stelle der Geschichte lässt der Regisseur das Blatt sich wenden, die Gepeinigten erringen einen erlösenden Siegpunkt. Welche Erleichterung! Applaus im Publikum. Doch da greift einer der Akteure in einem unerhörten Akt technischer Manipulation in den Fluss der Erzählzeit ein, das retardierende Moment des Dramas ist binnen Sekunden wieder vernichtet, der Zuschauer verbleibt hilflos, perplex, unendlich frustriert.

Solche Akte der Willkür provozieren aufs Äußerste; sie mögen den einen oder anderen gar ernstlich verärgern. Aus diesem Grunde ist dies kein Film, den man leichtfertig empfiehlt. Er ist zweifelsohne eine Tortur (was Hanekes Impetus eine eigene sadistische Note verleiht …), und entzieht sich unangenehmerweise auch dem sonst so tröstlichen Hollywood-Spruch »It’s only a movie.« Er ist eben mehr als das. So bedrückend wie heilsam, so ungemütlich wie unvergesslich.


Ein ›Killerspiel‹ als Film: »Shoot ’Em Up«

auf Reisen, 25. April 2008, 21:03 | von Paco

Ist jetzt schon eine Weile her: Wir sahen »Shoot ’Em Up« von Michael Davis (2007) in einem von uns hier ungenannten Kino irgendwo in den Suburbs von Tel Aviv. Nie wieder Dizengoff-Kino war die Devise! Da passte es gut, dass Clive Owen den Film mit demselben »Fucking hell!« beginnt, mit dem schon Millek dem niesenden Italiener im Dizengoff seine Unzufriedenheit mitteilte.

Clive Owen als Smith geht dann allerdings noch einen Schritt weiter und rammt einem offensichtlichen Übeltäter eine Möhre in den Hals, bevor dieser die am Boden liegende Schwangere abschießen kann. Dann kommen die anderen Gangster, dazu Nirvanas »Breed«, während die Frau gebiert. Smith disst noch schnell einen Ponytail-Träger und schießt auch ihn ab. Nach 2 Minuten ist klar, das wird ein Mordsspektakel, sozusagen.

Bei rottentomatoes.com steht der Film auf 67 Prozent, gilt also nur relativ knapp noch als FRESH, und wird so zusammengefasst: »Plenty of humor and non-stop action make for a very enjoyable film.«

Owen rettet das Baby der inzwischen tödlich verletzten Mutter, er isst weiter Möhren, die Knarre fällt ihm ins Ekel-Klo (»Damn!«). Er föhnt sie schnell trocken und schießt sich seinen Weg durch die Gangster-Prärie. Witzig geht es weiter: Smith will seine Ammo mit Food Stamps bezahlen – was für eine Filmwelt, es ist zum Schießen. Ebenso die Ratte als Türöffner, eine ›Kultszene‹ wie sie im Buche steht.

»Fuck you, you fucking fuckers!« Immer weiter wird im Film so geredet. »Fuck me sideways«, sagt der Hauptgangster. »Vaffanculo, screw yourself«, sagt Monica Bellucci, als sie das Baby übernehmen und mit Laktose versehen soll. »Brutto figlio di puttana bastardo« hat sie auch noch zu bieten, und Smith ist freundlicher und findet alles nur »pretty fucked-up«.

Der Film speist sich aus einer Ästhetik, die im Erwachsenen-Feuilleton und von Politiker-Noobs immer gern als »Killerspiel« bezeichnet wird. Wie bei der Einzelmission eines richtig schlechten Ego-Shooters tauchen von überall her ständig unintelligente neue Feinde auf.

Also: Abschießen und unflätig werden. Der Film ist irgendwie gut, aber das kann weder an dem einen noch an dem anderen liegen. Keine Ahnung, unser Lieblingsfilmkritiker H.-U. Pönack weiß mehr:

»Shoot ’Em Up« ist ein Kugel-Ballett vom Allerfeinsten; ist eine glänzend wie komisch inszenierte, herrlich dauer-unanständige »Baller-Orgie«; ist ein ideenreicher, origineller, scharf-witziger, phantastisch-schmutzig choreographierter Rock’n’Roll-Thriller-Django-Western. (19. 9. 2007)

Soviel zum Genre. Den Einwürfen von Bedenkenträgern schießt Pönack das hier entgegen:

Das ist Genre-Entertainment in Reinkultur, das macht Spaß, besitzt die nötige Kracher-Distanz, den Anarcho-Charme der totalen Übertreibung. Und ist letztlich, Gipfel des Zynismus, bei dieser »genüsslichen« Dauer-Ballerei, sogar ein cleveres Plädoyer gegen die Waffenlobby in den USA!

Hui.


»Before the Devil Knows You’re Dead«

Hamburg, 11. April 2008, 01:25 | von San Andreas

Manche Filme kommen einfach so daher, schleichen sich hinterrücks an und erwischen einen kalt. »Before the Devil Knows You’re Dead« ist so einer. Wer hätte gedacht, dass Sidney Lumet zwei Jahre nach seinem Ehren-Oscar – der Mann ist 83 – mit einem solch kühnen, brodelnden, vielschichtigen Thriller auftrumpfen würde. Alterswerk? Sieht so nicht aus.

Der Film atmet die ehrliche, dunkle Aura seiner Meisterstücke aus den Sechzigern und Siebzigern (»The Pawnbroker«, »Serpico«, »Network«); mit »Dog Day Afternoon« teilt er sogar ein zentrales Story-Element: den Raubüberfall, der gründlich misslingt. Doch »Before the Devil Knows You’re Dead« ist auch das erschütternde Psychogramm einer Familie, die von Gier und Verbrechen heimgesucht wird, ein Drama shakespearscher Ausmaße.

Das Perfide an der Sache ist, dass die Demontage der Familienbande ihren Keim im Schoße der Familie selbst hat: Ein notgebeuteltes Bruderpaar plant das perfekte Verbrechen auf dem Rücken seiner Eltern, natürlich ohne deren Wissen. Somit steht jede Aktion moralisch nicht nur in einem gesellschaftlichen, sondern auch in einem familiären Kontext: Jede Verwerflichkeit, jede Schuld, jeder Konflikt wiegt doppelt so schwer.

Lumet überträgt diese Belastung unbarmherzig auf das Publikum, indem er uns in abwechselnden, zeitlich parallel laufenden Erzählabschnitten am Innenleben jeder einzelnen Figur teilhaben lässt. Dieser Perspektivwechsel erinnert an einige berühmte Beispiele der Filmgeschichte, am ehesten aber an Kubricks »The Killing«, weil dort wie hier nicht Interpretationen (»Rashōmon«) oder Erinnerungen (»Citizen Kane«) verschiedener Erzähler, sondern separate Blickwinkel einer allwissenden Erzählinstanz präsentiert werden, frappierenderweise ebenfalls um einen missglückten Coup.

Zuletzt versuchte sich Hollywood dieses Jahr mit »Vantage Point« an dieser Erzählstruktur – ein ehrenhafter, wenngleich gescheiterter Versuch. Mit »Before the Devil Knows You’re Dead« aber haben wir ein rastloses, komplexes Vexierspiel, das nach und nach schwelende Konflikte und innerlich ramponierte Charaktere freilegt. Verzweiflung und Desorientierung türmen sich unaufhaltsam auf, bis sich die Vernunft ausklinkt und brutale Gewalt aufblitzt. Scorsese hätte seine Freude daran.

Die Unausweichlichkeit dieser Eskalation erklärt sich zum Teil auch aus der kranken Gesellschaft, die das Umfeld der Tragödie bildet. Hier dominieren Existenzängste, hier floriert ein dekadenter Drogensumpf, und staatliche Institutionen bieten alles, nur keinen Rückhalt, keine Unterstützung. Es war seit jeher Lumets Stärke, diese sozialen Bezüge unprätentiös ins Geschehen einzuflechten.

Wenn die dramatischen Wellen hochschlagen, sorgen hervorragende Schauspielerleistungen für Bodenhaftung: Philip Seymour Hoffman, selten einen Deut schlechter als perfekt, gibt den großen Bruder Andy, einen unangenehmen, emotionslosen Karrieristen, dessen krimineller Energie keine Skrupel Einhalt gebieten. Seinen jüngeren Bruder, das völlig unsouveräne, sich durchs Leben schleppende Nesthäkchen der Familie, spielt Ethan Hawke mit ungeahnter Ausdruckskraft. Der große Albert Finney verleiht Charles, dem pater familias, mittelständische Würde, die zu beherrschen angesichts des familiären Trümmerhaufens viel Mühe kostet.

Zwei Szenen hat der Film, die Diskussionen provozieren: Die erste, in der Hoffmans weißer Walfischkörper zu zweifelhafter Geltung kommt, und die letzte, in der Charles eine überraschend grausame Konsequenz zieht. Zwei Szenen, emblematisch für den ganzen Film: Das ist sprödes, aufregendes Kino, hässlich wie das Leben sein kann, wenn es einfach so daherkommt, und furchtbar wie der Tod, wenn er einen kalt erwischt.


»Hey, that’s our stuff!« – Seinfeld und Tarantino

Leipzig, 9. April 2008, 23:18 | von Paco

Niemals wäre mir eingefallen, diese Beiden zusammenzudenken, niemals. Doch dann hielt mir San Andreas das Interview aus der »Empire« unter die Nase (Ausgabe vom Januar 2008, S. 163-168), das Nick de Semlyen mit Jerry Seinfeld geführt hat. Und auf einmal konnte ich nicht verstehen, wie mir das jahrelang entgangen sein konnte.

Vincent: »You know what they call a Quarter Pounder with Cheese in Paris?«
Jules: »They don’t call it a Quarter Pounder with Cheese?«
Vincent: »No, man, they got the metric system, they don’t know what the fuck a Quarter Pounder is.«

Einer von vielen Dialogfetzen aus der unfassbarsten, herrlichsten, uneigentlichsten Filmszene der Neunzigerjahre. Mit diesem Gespräch beginnen Vincent und Jules ihren Auftritt in Tarantinos »Pulp Fiction«. Sie sind im Auftrag von Marcellus Wallace unterwegs und werden kurz darauf ein paar säumige Geschäftspartner ins so genannte Jenseits befördern, einen davon aus Versehen, was zur Bekanntschaft mit Mr. »I solve problems« Wolfe führen wird.

Im erwähnten Interview mit Seinfeld steht dann Folgendes:

EMPIRE: Halfway through Seinfeld’s run came Pulp Fiction, arguably a movie about nothing. Tarantino has said he’s a fan of yours – do you see a connection there?

SEINFELD: Oh, definitely, I think Pulp Fiction was definitely influenced by the show. That opening scene, about the Big Mac, when Larry [David] and I saw that we went, »Hey that’s our stuff!« (Laughs) Yeah, Larry and I went along to the theatre and we loved it. It’s very flattering. I love the stuff Tarantino does – Kill Bill was an incredible piece of work, really cool, and so was Grindhouse.

Warum mir die Ähnlichkeit des Dialogstils nicht früher aufgefallen ist? »Seinfeld« ist eine dezidierte Sitcom, eine TV-Serie. Tarantino dagegen macht Filme. Diese handeln von Gewalt und Mythos, zwei Themenkreisen, die in »Seinfeld« nicht vorkommen.

Man muss die pointierten Dialoge über den Alltag, die »Seinfeld« und Tarantinos Filmen gemein sind, erst von der jeweiligen Handlung abkoppeln. Und auf diese Idee kommt man nicht so einfach. Aber erst dann wird die Verwandtschaft offensichtlich.

Auch für Larry Davids eigene Serie »Curb Your Enthusiasm«, die ja einige »Seinfeld«-Prämissen übernommen hat, stimmt die Diagnose. Nehmen wir die »Pulp Fiction«-Szene, in der Vincent die Frau von Marcellus Wallace ausführt, Mrs. Mia Wallace:

Vincent: »Goddamn, this is a pretty fucking good milkshake.«
Mia: »Told ya.«
Vincent: »I don’t know if it’s worth five dollars, but it’s pretty fucking good.«

Das erinnert doch sehr stark an eine Szene aus »Curb Your Enthusiasm«, an das Jandl-artige »Milk and coffee«-Gedicht, das Larry im Starbucks performt, in Folge 2.08 (»Shaq«), auf die ich schon mal hingewiesen habe.

Auch die Trinkgeld-Diskussion am Anfang von »Reservoir Dogs« ist eine »Seinfeld«-mäßige Szene, und so könnte man lange weiter aufzählen, aber gut, the point is made.


Does this town need a hug? — »No Country
for Old Men« und das neue Hollywood

Hamburg, 4. April 2008, 06:20 | von San Andreas

Die Nonchalance eines Hannibal Lecter, die Treffsicherheit eines Schakals, die Mitleidlosigkeit eines Dr. Christian Szell, die Zielgerichtet­heit eines HAL 9000, der Zynismus eines Agent Smith, der Wahnsinn eines Jack Torrance, die Wertelosigkeit eines Weißen Hais, die Unzerstörbarkeit eines Terminators, die Gerissenheit eines Gordon Gekko, die Frisur einer Mireille Mathieu: Anton Chigurh schreibt sich aus dem Stand in die Filmgeschichte ein, als verheerende Mixtur des Bösen, ein ikonischer, tatsächlich Furcht einflößender Schurke, dessen Willkür man ohnmächtig gegenübersteht; der Mann ist das Schicksal in Person.

Und er ist lediglich ein Teil dieses erstaunlichen Films: Der Held, dem wir zwei Stunden lang auf seiner Flucht vor diesem kreuzgefährlichen Killer gefolgt sind, wird unversehens von Namenlosen getötet – off-screen, denn die Kamera war gerade nicht zur Stelle. Der Killer beseitigt noch – völlig grundlos – die Frau des Helden, um dann völlig unbehelligt das Geschehen zu verlassen. Der Sheriff, der während der ganzen Geschichte nicht das Geringste hat ausrichten können, erzählt seiner Frau gerade, was er letzte Nacht geträumt hat, als ihm der Abspann beinahe das Wort abschneidet. Ein Film wie eine Ohrfeige.

Dieses rundweg unwahrscheinliche Werk nun, dieses fiese, harte, zynische Stück Autorenkino, gelangt in Hollywood zu allerhöchsten Ehren, natürlich zu Recht, und befindet sich mit Kandidaten wie »There Will Be Blood«, »The Assassination of Jesse James«, »Gone Baby Gone« oder »Sweeney Todd« in ebenso düsterer, psychopatischer, blutiger Gesellschaft.

»Does this town need a hug?«, fragte Jon Stewart bei den Oscars folgerichtig. Filme wie diese sind nicht nur Teil des Hollywood-Outputs; sie bilden das neue Aushängeschild. Eine gewisse Ernsthaftigkeit macht sich breit, aber nicht nur von der sozial- und selbstkritischen Sorte (»Crash«), der man als argwöhnischer Europäer noch gut eine Prise Scheinheiligkeit andichten konnte. Vielmehr besinnt sich Holly­wood wieder seiner gewachsenen cineastischen Kompetenz und produziert lustvoll kompromisslose Genrekunst.

Dabei fallen profunde Metaebenen keinesfalls unter den Schneidetisch. Gerade die ›Revisionist Westerns‹ der letzten Monate beschreiben in ihren Subtexten ureigene Befindlichkeiten – sei das im Zusammenhang mit den formativen Prozessen der amerikanischen Gesellschaft (»Blood«), ihrem Umgang mit Regelbrechern (»Jesse James«) oder ihrem tief greifenden Wandel in jüngerer Zeit (»Country«). Man kann sagen, was man will: Hier entsteht großes, amerikanisches Kino.

Dennoch, sie hält sich hartnäckig, die Vokabel ›Hollywood‹ als Etikett für alles Massentaugliche, Rundgelutschte, Weichgespülte. Wer sich dieser Tage »Jumper« oder »10,000 B.C.« ansieht, wird trefflich damit um sich werfen können. Die Tatsache aber, dass im selben Multiplex auch »Juno«, »Michael Clayton«, »Half Nelson« und »In the Valley of Elah« auf dem Plan stehen, lässt solch Schubladentum gänzlich obsolet erscheinen.

Welchen Film zierte in letzter Zeit denn schon ein klassisches Hollywood-Happy-End? Disneys bezaubernde Märchenklamotte »Enchanted« fällt uns ein, »Ratatouille« etwa, »Dan in Real Life« (Hochzeit!) und »Mr. Magorium’s Wonder Emporium« vielleicht noch, aber dann wird es auch schon dünn. Stattdessen verlassen Holly­woods Protagonisten die Leinwand doch mittlerweile regelmäßig mit den Füßen voran.

Scorsese hatte da einen Markstein gesetzt, indem er in »The Departed« praktisch den kompletten Cast ausradierte. Respekt. Aber auch die Helden von »Into the Wild«, »Cloverfield«, »Jesse James«, »3:10 to Yuma« und »Sweeney Todd« erleben nicht das Ende der Vorstellung. Selbst ein Old-School-Horrorfilm wie »The Mist« gefällt sich am Schluss mit einem rabiaten, multiplen Exitus.

Und wenn schon nicht gestorben wird, fallen Film-Enden dieser Tage gern traurig und ambivalent aus. »Gone Baby Gone« lässt den Zuschauer gnadenlos zwischen Herz und Verstand hängen, »Before the Devil Knows You’re Dead« schließt mit einem drastischen, verstörenden Racheakt, und selbst ein Blockbuster wie »I Am Legend« beeilt sich, dem ursprünglichen, ziemlich schlimmen Kino-Ende den kommerziellen Anstrich zu nehmen. Im ›Alternate Cut‹ entfällt Nevilles heroischer Freitod; er realisiert, dass er die Bedrohung, der Fremdkörper in dieser Welt ist und verlässt die Stadt in eine ungewisse Zukunft.

Dr. Neville zählt ja noch zu den Gutmenschen, aber was sind das sonst für gemeine Gestalten, die heute die Leinwände bevölkern! Mit Daniel Plainview treffen wir den Inbegriff eines selbstgerechten Soziopathen, sein todgeweihter Gegenpart Eli Sunday ist als bigotter, von Gier zerfressener Heilprediger keinen Deut sympathischer. Jesse James wird als der gebrochene, paranoide Schatten eines Westernhelden redefiniert, und Jason Bourne verkörpert als wortkarger, schroffer Anti-Bond eine neue Klasse des Action-Helden. Wo sind sie geblieben, die so vertrauten wie verspotteten Hollywood-Klischeefiguren? Zugegeben, sie sind noch da (Hallo, die Herren Rambo und McClane?), aber die Konkurrenz aus der authentischen Sparte wächst.

Spannende Charaktere hin oder her – taugen denn die eigentlichen Filminhalte etwas? Europas Filmkritik bemäkelt an Hollywoodfilmen ja gern den scheinbar unauslöschlichen amerikanischen Stempel: diese gewisse Prüderie in der Handhabung sensibler Themen, die leicht verlogene Political Correctness und vor allem den allgegenwärtigen Widerschein eines hoffnungslos egozentrischen Weltbildes.

Nun, Selbstbezogenheit muss nicht zwangsweise in narzisstische Überheblichkeit ausarten; sie kann auch etwas mit Selbstverständigung zu tun haben. Wer für etwas verantwortlich ist – und Amerika ist das für vieles – kann und soll sich dazu äußern. Längst übt sich Amerika vermittels seiner Filme in kritischer Selbstreferenz, liefert gescheite, teils hervorragende Beiträge für den politischen Diskurs, angesichts derer sich Europa im Zugzwang sieht, ähnlich Relevantes zu liefern.

Dabei geht man durchaus ans Eingemachte – ob es das Thema Folter in der Terrorismusbekämpfung (»Rendition«) betrifft, die Verrohung der Jungs an der irakischen Front (»Elah«), latenten Rassismus in den Städten (»Crash«), die religiöse Indoktrination des eigenen Nachwuchses (»Jesus Camp«) oder die Konflikte in Afghanistan gestern (»Charlie Wilson’s War«) und heute (»Lions for Lambs«). Selbst härteste Schicksale wie die des Daniel Pearl (»A Mighty Heart«) werden nicht ausgespart.

Diese Bandbreite zeugt von einem erstarkten Selbstbewusstsein ebenso wie von einer ernüchterten Weltsicht. Zwischen den Zeilen schwingt ehrliches Bekennermut. Und mit dem Gewinn thematischer Wahrhaftigkeit geht eine Revision gängiger Dramaturgien, Genre-Schablonen und Figurenkonstellationen einher. Trotzdem der Film produktionsbedingt eher ein Konsensmedium ist, zeigt sich eine erfrischende Bereitschaft zu Wagnissen in größerem Stil.

Das neue Hollywood schaut zunehmend über formale und inhaltliche Tellerränder hinaus, kippt ausgetretene Plotmuster und besetzt mutig gegen den Strich (etwa Pitt in »Babel«, Sandler in »Reign Over Me« und Jolie in »A Mighty Heart«). Man erfreut sich am Formelbruch, selbst nachgerade experimentelle Formen lockern den so genannten Mainstream auf (»I’m Not There«, »Redacted«).

Ein interessanter systemischer Aspekt ist hierbei, dass ein Formelbruch nur dann als solcher wahrnehmbar ist, wenn ein gewisses Regelwerk gegeben ist – in diesem Fall eine stillschweigende Übereinkunft zwischen Machern und Publikum, die sich nicht in einem Statut festschreibt, sondern langsam, über viele, viele Werke, im kollektiven Filmbewusstsein verankert hat. Und maßgeblich geprägt hat diesen Prozess natürlich Hollywood selbst.

Nur wer das Handwerk beherrscht, produktionstechnische Freiheitsgrade besitzt und beim Filmemachen Erfahrungen und Erwartungen mitdenken kann, vermag damit zu spielen – ebenso wie ein Zirkusclown ein perfekter Jongleur und Balletttänzer sein muss, bevor er anfangen kann, Blödsinn zu machen. Erst dann finden Wollen und Können zusammen, erst dann können Bausteine zu neuen Formen kombiniert werden, die neue Bedeutungen transportieren.

Hollywood versammelt hierfür wie kein anderer Ort auf dem Planeten die idealen Ressourcen, und es ist gut zu sehen, dass sich kreative Kräfte ihrer mit frischer Energie bedienen. Die Studios stoßen ein kunterbuntes Konvolut von Filmen aus, Jahr für Jahr, Monat für Monat, Woche für Woche. Das Spektrum an künstlerischer Integrität, Kommerzialität oder einer wie auch immer gearteten Qualität könnte breiter nicht sein. Doch das Angebot zu sichten ist ein lohnendes Unterfangen, denn hier verstecken sich immer noch die wahrscheinlich besten Filme der Welt.