»There Will Be Blood«

Hamburg, 13. Februar 2008, 07:33 | von San Andreas

New Mexico, 1898. Der Mann in der Wüste, er ackert. Er gräbt, er hackt. Er meißelt, er hämmert, er sprengt. Er klettert, er fällt, er keucht, er kämpft. Er sucht Silber, findet Gold – schwarzes Gold. Der Mann in der Wüste ist Daniel Plainview. Er ist ein Ölmann.

Kein Kommentar, kein Dialog, kein einziges Wort stört die raue, körperliche Unmittelbarkeit der ersten zehn Minuten von »There Will Be Blood«. Geradeso kündigt sich ein außergewöhnlicher Film an: Bereits die Exposition atmet das Flair eines Klassikers.

Es ist dies der fünfte Film von Paul Thomas Anderson. Mit »Boogie Nights« und »Magnolia« empfahl er sich als brillanter Autor/Regisseur facettenreicher, einfühlsamer Ensembledramen. »There Will Be Blood« nun ist von einem anderen Schlag: die spröde, düstere, epische Geschichte eines materialistischen Misanthropen.

Zunächst lernen wir Daniel Plainview als integeren, fürsorglichen Mann kennen, der kompetent und instinktsicher eine beachtliche Karriere aufbaut. Hinter der Fassade des distinguierten Entrepreneurs aber verbirgt sich ein verschlagener Soziopath, dessen Hass auf seine Mitmenschen im selben Maße offenbar wird, wie seine monetäre Unabhängigkeit wächst.

Schon wird der Film mit »Citizen Kane« verglichen, mit dem er die Thematik des so gewieften wie gemütsarmen Tycoons teilt (auch »Chinatown« und »Giganten« fallen uns ein). Doch entwickelt »There Will Be Blood« seine Qualitäten aus sich selbst heraus: Reminiszenzen an andere Filme entspringen vielleicht dem Filmwissen des Cineasten, nicht aber dem Film selbst.

Anderson erzählt direkt und kraftvoll, einfach und effizient, spart Fingerzeige auf Metaebenen aus und enthält sich jeder aufdringlichen Metaphorik. Der Film steht da wie ein Axiom, gründet auf Befindlichkeiten der menschlichen Natur, die nicht expliziert oder per Symbolvorrat entziffert werden müssen.

Gewiss verhandelt der Film irgendwo den moralischen Zwiespalt zwischen Business und Religion, kontrastierenden Elementen der Frühzeit der Nation, doch schweben diese Kategorien wie Blaupausen über dem eigentlichen Kern der Geschichte: dem unauflösbaren Antagonismus zweier starker Persönlichkeiten.

Denn Plainview findet seine Nemesis in Gestalt Eli Sundays, einem charismatischen, hingebungsvollen Prediger und Gesundbeter, der um seine junge Gemeinde kämpft und die Toleranzbereitschaft des Ölbarons ein ums andere Mal auf eine harte Probe stellt.

Zwischen Plainview und Sunday bilden sich sehr wohl Brücken, doch erweisen die sich als kaum belastbar. Die Annäherung entspringt weder einem ehrlichen Harmoniebedürfnis noch menschlichem Respekt; sie entpuppt sich als notwendiges Übel: Der Geschäftsmann bedarf des kirchlichen Segens, um sich das Wohlwollen der Gemeinde zu sichern, während der Kleriker auf die materielle Unterstützung des Monopolisten angewiesen ist.

So kriechen beide zu Kreuze, heucheln Anerkennung, nehmen Erniedrigungen in Kauf, die der andere jeweils weidlich ausbeutet. Sunday verrät seine religiöse Würde, Plainview lässt sich in blinder Verfolgung seiner Ziele tief demütigen.

Die Persönlichkeit des Daniel Plainview aber erlaubt keine Unterordnung. Bald zeigen sich Risse auf der Oberfläche gesitteter Eloquenz; dicht darunter lauert das Unheil. So speist jede neuerliche Begegnung der beiden die bange Befürchtung, dass der fragile Moralkodex, der die Aggressionen leidlich in Schach hält, schließlich wegbrechen und die Prophezeiung des Filmtitels ihre Erfüllung finden wird.

Es ist wohl der Klischeefreiheit des Films und seiner entschlackten Ästhetik zu verdanken, dass der Zuschauer vollends die Distanz zum Geschehen verliert. So erliegt er umso einfacher den expressiven Nuancen des Werks, wird absorbiert in einen Rausch, der seine Energie vor allem aus einer Quelle bezieht: Daniel Day-Lewis.

Die schiere Präsenz dieses vermutlich besten Darstellers seiner Generation ist atemberaubend. Wie er mit raumgreifenden Schritten über seinen Claim stakst. Sein Ehrfurcht gebietender Duktus, wenn er redet. Seine kohlenschwarzen Augen, das Blitzen darin. Seine punktgenauen Gesten. Ihm zuzusehen: eine körperliche Erfahrung.

Plainviews archaischem Ego entgegengesetzt ist Sundays sanftes Gemüt. Paul Dano spielt den Prediger mit irritierender Ambivalenz. Von Anfang an nicht wirklich sympathisch, oszilliert er zwischen süßlich-bestechendem Sermon und kratzig-kreischender Ekstase. Man wird den Eindruck nicht los, dass Sunday mindestens ebenso abgefeimt und durchtrieben ist wie sein Gegenpart.

Andersons Dialoge sind von Kubrick’scher Präzision. Leicht manieriert, aber nie pathetisch, führen sie keinen Ballast mit sich und quellen wie Öl in die dunklen, dreckig-schönen Bilder von Andersons Hauskameramann Robert Elswit.

Diesen Bildern verleiht Jonny »Radiohead« Greenwoods erstaunlicher Soundtrack eine wunderbar extravagante Note, entrückt sie gleichsam eine Spur in Richtung Avantgarde. Minimalistisch, dissonant, unverhohlen modern. Was Penderecki für »Shining« war, ist Greenwood für »Blood«. Schon das erste schwellende Crescendo verbreitet ein enervierendes Gefühl unausweichlicher Bedrohung.

Manche meinen, »There will be Blood« fehle die Wärme, die Menschlichkeit. Doch enthüllt der Film vielleicht gerade dadurch viel über das Menschsein, indem er unerbittlich den Unmenschen in uns bloßlegt. Der Film laugt emotional aus, er überwältigt und erschüttert, aber die Erfahrung ist heilsam, ja kathartisch.

Ein Musterbeispiel filmgewordener Psychologie, eine cineastische Quintessenz, ein kühner künstlerischer Triumph. Großes, großes Kino.

5 Reaktionen zu “»There Will Be Blood«”

  1. Cobalt

    exzellent geschriebener artikel – hat spass gemacht, ihn zu lesen
    wer verdient denn den diesjährigen oscar deiner meinung nach mehr? DDL oder Viggo Mortensen?

  2. Besteckfachinlaufrichtung

    Umblättereresk umfassend. Die dialogfreien Szenen zu Beginn sind laut imdb 11:30 Minuten lang. Allein dafür lohnt es sich schon, den Film zu sehen.

    Ungefragt mein Gefühl für den Oscar: DDL. Spannend auch der Nebendarsteller-Oscar, denn sowohl Bardem als auch Hoffman tragen ihre Filme fast alleine.

  3. San Andreas

    DDL oder Mortensen? DDL, aber haushoch! Seine Performance steht schon ziemlich singulär da. Ich verweise auf die bestechende Argumentation, die David Spade in seinem Clip »There will be Oscars« zum besten gibt. So funny.
    Die anderen wichtigen Kategorien werden wohl eher an die Coens gehen, schätze ich, wobei »Juno« dort Chancen hat, wo »No Country…« naturgemäß nicht punkten kann (Best Actress, Org. Screenplay). Bardem ist eine sichere Bank bei den Supporting Actors, Hoffman fand ich so prominent jetzt nicht bei »Charlie Wilson«, wenn auch er eine grandiose Vorstellung gab. Dann schon eher Casey Affleck.

  4. Filmflip

    Im Vergleich mit Viggo Mortensen würde ich auch DDL favorisieren. Viggo hat die Rolle des Nikolai in Eastern Promises zwar grandios gespielt, aber insgesamt war mir der Film zu „flach“. Naja, warten wirs mal ab, aktuell laufen ja gerade die Oscars, und schon gleich wissen wir mehr…

  5. San Andreas

    Yo… es kam, wie es kommen mußte. Niemand konnte dem Ölmann das Wasser reichen. Die Kamera von »Blood« hat sich gegen den doppelten Deakins durchgesetzt (»Jesse James«, »No Country«) – bemerkenswerterweise alles düstere Männerduelle im Western-Setting. Der Ölfilm erhielt viel Szenenapplaus, aber die Coens obsiegten um zwei Nasenlängen, war ihnen doch derlei Anerkennung seit »Fargo« verwehrt geblieben. Ob sie die brauchen, sei dahingestellt. Starkes Aufgebot jedenfalls dieses Jahr, zeitgemäße Preisträger und ein bissiger Host: »Even Norbit got a nomination, which I think is great. Too often the Academy ignores movies that aren’t good.«

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