Lost: 4. Staffel, 7. Folge

London, 20. März 2008, 01:19 | von Dique

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »Ji Yeon«
Episode Number: 4.07 (#78)
First Aired: March 13, 2008 (Thursday)
Deutscher Titel: »Ji Yeon« (EA 27. 7. 2008)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Eine Sun-zentrierte Folge, und ich bin erst mal enttäuscht. Dieser ganze Affären-, Klassen- und Vaterkomplexkram geht mir gehörig auf den Zeiger. Doch die 4.07 entpuppt sich dann schnell als starke Folge mit einer ganzen Menge Puzzleteilen.

Gehen wir voll rein in die großen Bedeutungsfelder: Benjamin Linus und Charles Widmore verkörpern zwei Mächte, die sich im Kampf um die Insel gegenüberstehen und dabei informationspolitisch-manipulatorisch die Sau rauslassen. Wer wen als Scherge und Opfer benutzt, ist noch nicht ganz klar, aber beide nutzen alle Tricks, um den Gegner taktisch zu schwächen.

Wenn man den Aussagen des Frachter-Captains Glauben schenkt, hat Ben also aufwendig falsche Spuren gelegt, indem er den gecrashten Rumpf der Oceanic 815 irgendwo im Ozean platziert hat, zusammen mit 324 Leichen, die zahlenmäßig der Passagierliste des Fluges entsprechen. Mit dieser Finte will er offenbar alles und jeden von der Insel fernhalten, hat aber nicht mit Widmore gerechnet, der irgendwie (wie?) die Original-Black-Box des 815er Fluges auftreiben konnte. Und jetzt ankert sein Freighter namens »Kahana« in der Nähe der Insel.

Allerdings wird dieser auch sabotiert, wahrscheinlich von einem alten Bekannten, Michael. Denn: Ein bisschen frisiert und inkognito (als Kevin Johnson), aber immer noch mit seinem gereizten Blick, sehen wir ihn endlich wieder. Welcome back, brotha, würde Desmond sagen, sagt er aber nicht, da er ihn ja gar nicht kennt. Michael, der im Finale der 2. Staffel mit seinem Sohn Walt erfolgreich von der Insel fliehen durfte, scheint also Bens Spion an Bord des Freighters zu sein.

Benjamin Linus erschien ja von Anfang an als äußerst vierschrötig und unheimlich, schon als er sich noch als Henry Gale ausgab, mit oder ohne sein gelb-blau geschlagenes Gesicht, und nun wird ihm noch dieses »staged wreckage« des Fliegers angehangen. Aber jetzt kommt’s:

»What’s even more disturbing … where exactly does one come across 324 dead bodies? And that, Mr. Jarrah [Sayid], Mr. Hume [Desmond], is just one of the many reasons we want Benjamin Linus.«

Das sagt wiederum Widmores Kapitän. Verkörpert also Widmore die gute Seite der Insel-Medaille? Unwahrscheinlich. Das kann man der Serie gar nicht genug danken, dass sie bei ihrer Konstellation der Mächte eben nicht klar zwischen Gut und Böse unterscheidet. Die Konturen verschwimmen je nach Informationslage, und es begegnen uns auf der Mikroebene der Charaktere sowie auf der Makroebene des Plots stark ausgeprägte Ambivalenzen.

Juliet zum Beispiel ist uns in ihrer wachsenden Apathie gegen ihren Boss Ben Mal um Mal sympathischer geworden. Doch in dieser Folge lässt sie wieder ihre Skrupellosigkeit heraushängen. Mit berechnender Eiseskälte haut sie dem gerade so Englisch radebrechenden Jin das Affärengeheimnis seiner Frau ins Gesicht. Das Geheimnis, das ihr von Sun in einer prekären Lage vertraulich mitgeteilt wurde. Am Ende vertragen sich aber alle wieder, Jin & Sun, Sun & Juliet. Sie wollen ja alle bloß von dieser verdammten Insel runter, und da haben die Emotionen eben mal kurz übergekocht.

Für Sun sowieso, klar, aber auch für uns Zuschauer mit Wissensvorsprung gegenüber der koreanischen (nun) Mutter, erscheint Juliet noch immer zwielichtig, was treibt sie eigentlich, will sie wirklich einfach von der Insel runter, irgendwo sicher, aber is it as simple as that?

Auch Bernard findet eine schöne Beschreibung für die wabernde gut/böse-Dichothomie. Bernard, der zusammen mit seiner Frau Rose einer der wenigen zu sein scheint, der keine Leichen im Keller hat. Nachdem Jin die Affäre seiner Frau serviert bekommen hat und sich zur Beruhigung zum Fischen aufs Meer zurückzieht (als Symbol der Reinigung funktioniert das ja immer gut), hält ihm Bernard diesen Monolog über die Ehe, der wohl Jin darin bestärkt zu verzeihen und zu Sun zurückzukehren, um dieses Kapitel ein für alle mal abzuschließen.

Vor allem stellt Bernard zum ersten Mal fest, was auch die Zuschauer noch nicht so gedacht haben werden, obwohl es stimmt: »Locke is a murderer.« Dann erklärt er Jin das Karma-Konzept, eine Hommage à »My Name Is Earl«, die NBC-Comedyserie, in der das allgegenwärtige Karma neben dem Ex-Tunichtgut Earl die Hauptrolle spielt:

»You see, now, that’s karma. We must be the good guys, huh?«

Das ist einerseits ironisch, wenn man Jins Vergangenheit als mordender Scherge von Suns Vater bedenkt. Andererseits stimmt man sofort zu, ja, Jin is one of the good guys. Das passt irgendwo auch ein bisschen zu unserer kürzlich geführten Diskussion um Schirrmachers Artikel über Peter Hacks. Schuld, Sühne, Chance, Fehler, gut, böse »und der ganze Crap«, wie George Costanza vielleicht sagen würde.

Die Sterberate ist übrigens für eine Serie, die ja immer wiederkehrende Figuren braucht, recht hoch, und manche Tode kommen und gehen ohne irgendeine Konsequenz. Da springt nun diese Regina (Tarantinos »Death Proof«-Muse Zoë Bell) mit Ketten um den Leib ganz von sich aus in den Ozean. Die Besatzung juckt das nicht, keiner springt hinterher um sie zu retten.

Gut, vielleicht kann man da auch nichts machen, cabin fever und so, aber trotzdem wird dann ziemlich schnell umgeschaltet, obwohl da gerade ein Mensch in den Tod gesprungen ist (auch wenn Z. B. im wirklichen Leben Stuntfrau ist und ihr nichts passiert sein wird, hehe). Man denke hier auch noch mal an Locke. Der ballert einfach mal Naomi ab und wird dann Führer des einen Flügels der Überlebenden. Auch diese ganzen Morde an den Others, etwa in einer der letzten Szenen der dritten Staffel, als Sawyer den Other Tom regelrecht hinrichtet.

Jack sehen wir dieses Mal nur ganz kurz. Eine dieser Jack-Szenen, in denen er sich nach irgendjemandes Wohlbefinden erkundigt. Er erinnert mich darin sehr an Doctor Livesey in irgendeine Verfilmung der »Schatzinsel«. Der kommt da auch manchmal mit der weißen Fahne ins Blockhaus und erkundigt sich nach dem Wohlbefinden der verfeindeten Piraten, die auch gerade Jim Hawkins auf ihrer Seite haben.

Auch Kate wurde etwas stiefmütterlich in die Folge hineingeschrieben und erscheint wie einer dieser Vollgummibälle, die mit unglaublicher Kraft unkontrolliert herumspringen, nicht wissen, wo sie hinwollen und dabei eine Menge Porzellan zerschlagen.

Ach ja, Jin ist angeblich tot. Das Datum auf seinem Grabstein ist das Datum des Flugzeugabsturzes. Zumindest dieses Datum hat er aber überlebt, das müssten Jin und Hurley eigentlich wissen. Andererseits scheinen beide im Flashforward trotzdem anzunehmen, dass er tot ist, warum auch immer.

Sehr schön ist die Parallelisierung von Suns Entbindung im Flashforward mit Jins Kauf eines riesigen Plüschpandas, den er slapstickhaft durch den koreanischen Großstadtverkehr schleppt, bevor er ihn als Representative von Suns Vater, Mr. Paik, in einem Krankenhaus abliefert, offenbar eine Flashback-Szene.

Sun wird jedenfalls als eine der Oceanic Six bezeichnet, also fehlt noch einer. Aaron scheint nicht zu zählen, da er ja auch nicht auf der Passagierliste stand, weil er beim Absturz noch nicht geboren war.

Okay, vielleicht ist das beste an dieser Folge, dass dieser ganze Sun/Jin-Affärenkram ein für alle mal vorbei ist. Bleiben Vaterkomplex und Klassenunterschied, also immer noch genügend Lückenfüller, hehe.

Darf man das lesen? (Teil 10: »Jungle World«)

Leipzig, 18. März 2008, 12:37 | von Paco

Ja. Und das kann man ruhig mal mit Vorsatz machen (2,90 Euro), nicht nur zufällig per Google-Suchtermen oder Buchmesse-Freiexemplaren. Aber bitte wirklich nur das Feuilleton, das seit kurzem übrigens wieder »Dschungel« heißt, und das ist doch mal eine treffliche Metapher.

Im letzten Jahr hat die Wochenzeitung ihr zehnjähriges Jubiläum gefeiert, und Ivo Bozic hatte damals mal schön aufgeschrieben, wie es dazu kam, dass es plötzlich die Jungle World gab. (Nach einem redaktionsinternen Streit beim alten FDJ-Tageblatt »junge Welt« wurde sie ursprünglich als Streikzeitung gegründet.) Zusammen mit der Tatsache, dass die Independentzeitung mehr als 30 Herausgeber hat, ist das doch der abgefahrenste Gründungsmythos seit dem One-Man-Relaunch der »Fackel« im Jahre 1912.

Immer empfehlenswert waren die Literaturkritiken von Jörg Sundermeier (exemplarisch sein Aufsatz über die Veränderungen auf dem Buchmarkt) sowie die populär-germanistischen Artikel von Jan Süselbeck.

Immer wieder gab es auch überraschende outgesourcte Texte, z. B. den von Dietmar Dath über die popkulturellen Implikationen des Analverkehrs oder das vorabgedruckte Grünbein-Kapitel aus Steffen Jacobs’ »Lyrik-TÜV«. Legendär ist auch die Tagebuch-Fortsetzungsreihe von Detlef Kuhlbrodt in 1, 2, 3, 4, 5 Teilen (Februar/März 2002), da kann man immer mal wieder reinlesen.

Eine Augenweide, aber das nur nebenbei, ist auch das cleane Design der Homepage jungle-world.com mit der schönsten Druckansicht aller Onlineauftritte deutschsprachiger Zeitungen.

Usw.

Leipziger Buchmesse: Lesungswahnsinn

Leipzig, 16. März 2008, 14:05 | von Paco

Donnerstagabend, Kuppelhalle der LVB. Dort werden gern rauschende Feste gefeiert, für Lesungen ist der hallende Raum eher nicht geeignet. Die Tür gibt beim Öffnen und Schließen ein inkommensurables Kojotengeheul von sich.

Für 20 Uhr ist also eine Lesung angesetzt, mit 7 Autoren aus aller Herren Länder. Jenny Erpenbeck liest als erste, während immer mal wieder ein paar Nachzügler hereinkrächzen, zuletzt auch der beauftragte Lesungsfotograf.

Dieser packt sein Equipment aus und schraubt die Kamera zusammen, klack, ratter, zzzzz. Er ist schon jetzt unschöner Mittelpunkt der Veranstaltung, aber dann …

… dann klingelt auch noch sein Handy. Einmal, zweimal, er beutelt das Ding, wo das Handy drin ist, hin und her, dreimal, viermal, endlich hat er es. Statt es jetzt auszumachen, geht er ran. »Hallo?«

»Fucking hell«, tönt es von irgendwoher hinten, es murrt, es zischt. Irgendwann hat er zuende gemurmelt, zückt dann aber das Fotomachgerät und hält es erst mal frontal in die Menge.

Ähm, könntest du mir jetzt bitte mal nicht so voll in die Fresse reinfotografieren? Öffentlicher Ort hin oder her, es nervt. Alle halten sich irgendwie die Hände vors Gesicht.

Sicher keine schöne Aussicht, kein repräsentatives Publikumsfoto mit konzentrierten und erheiterten Zuhörern. Der Fotograf tingelt seitlich durchs Publikum, sucht sich irgendeinen Platz und schickt sein Blitzlicht jetzt voll in den Lesewinkel der Frau Erpenbeck.

Die zuckt zusammen und fragt ganz freundlich, ob man das bitte vielleicht mal lieber nach der Lesung machen könne (correct Konjunktiv used by courtesy of Die Dschungel). Es herrscht aber irgendwie ein wenig Uneinsichtigkeit bei der Fotoabteilung. Da prescht ein Autorenkollege vor und packt den Kamerahalter am Schlafittchen.

»Il sloveno!« rauscht es durch die Reihen. Ich kenne den mit seiner Kollegin solidarischen Autor nur von einer Handvoll Gedichten aus dem EDIT-Sonderheft »Slowenien« vom letzten Frühjahr. Jedenfalls …

… reicht es jetzt nämlich offenbar wirklich, überall wird Zustimmung signalisiert. Leider wird der Sloveno forsch und besteht mehrmals darauf, dass der Fotograf den Ort verlässt. Als seine Jacke aus der Tür hinaus die Treppen runterfliegt, schlägt die Zustimmung sofort in Mitleid um. Einige wenige verlassen mit dem Fotomenschen den Raum, aber das mag noch mal fünf andere Gründe gehabt haben.

Marcel Beyer ist übrigens auch bei der Rausschmisslesung dabeigewesen. Einen Abend später liest er dann noch mal aus »Kaltenburg« vor, im »smow« am Burgplatz, und zwar diesmal allein. Eine Stunde, vier Substorys.

Im Vergleich zum Vorabend macht sich nun der komplette herrliche Lesungswahnsinn breit. Menschen halten Wein in ihren Händen, hören da jetzt genau zu, der Autor erklärt vorab ein bisschen den Roman. Das ist sehr angenehm, wenn im Kneipengeschichtenstil schnell über die Figuren gesprochen wird, damit jeder weiß, worum es jetzt gleich noch mal geht.

Dann die Lesung, das Aufschnappen einzelner schöner Sätze, das Verlieren in der Betonung, das Sammeln von erzählerischen Informationsbits, kurze Langeweile, dann plötzlich wieder die Freude über Konjunktive, jemand hustet, ein paar grinsen. Und kein Kojotengeheul.

Neulich vorm Kino

Hamburg, 13. März 2008, 18:03 | von San Andreas

Ein ganz normales deutsches Filmtheater, eine ganz normale Fassade. Meint man. Aber auf den zweiten Blick bemerkt der aufmerksame Kinogänger, dass alle drei Titel in fließendem Englisch daherkommen:

Marquee in Hamburg

Ebenso tun das »Into the Wild«, »27 Dresses«, »Control«, »I’m not there«, »Once« … Was ist los mit der deutschen Titelfindungs­kommission?

Ein Anruf wird Klarheit bringen. »Danke der Nachfrage«, informiert mich die Sekretärin, »der Zuständige ist leider krank und liegt zuhause im Bett.« Wie erholsam das wäre, murmele ich, und sie meint: »Ja, es geht ihm schon viel besser.« Ich beeile mich zu präzisieren: »Nein, ich meine erholsam für das Kinopublikum –«, doch da hat die gute Frau bereits aufgelegt.

Wir waren gefasst darauf gewesen, dass uns ein Titel wie »Öl! – Blut wird fließen« das Wasser in die Augen treiben würde. Oder dass zumindest die deutsche Überschrift der Coen-Vorlage – »Kein Land für alte Männer« – den Zuschlag bekommen würde. Obwohl durchaus auch Kreationen wie »Tod in Texas« oder »Anton, der Bolzenschuss­killer« denkbar gewesen wären.

Der letzte Film auf der Tafel entpuppt sich frappierenderweise als astreine deutsche Produktion. Scheint, als wolle Musik-Dokumentar Grube (erster Film: »Rhythm Is It!«) dem profanen Klang einer »Reise nach Asien« entgehen. Hat er die Zeichen der Zeit erkannt? Sind die besten deutschen Titel englisch?

Eben in der Mittagspause fuhr ich am Kino vorbei. »Meine Frau, die Spartaner und ich« stand da. Alles klar. Der Titelmann ist also wieder auf Arbeit. Hat er sich ins Büro gequält, womöglich nicht auskuriert, immer noch kränklich und bald rückfällig. Well … keine falschen Hoffnungen.

P.S. In Bälde auf dem Umblätterer: eine so umfassende wie vergnügliche Phänomenologie der deutschen Filmtitel-Landschaft.

Das Uefa-Cup-Finale von Leipzig

Konstanz, 13. März 2008, 11:58 | von Marcuccio

Für alle Fans des Feuilleton-Sports wird dann heute nachmittag erst mal der Uefa-Cup der deutschen Buchpreise ausgetragen. Das war übrigens schön, wie Wiebke Porombka in der taz das Standing der konkurrierenden Buchmesse-Awards (Frankfurt vs. Leipzig) mal so beschrieb:

» (…) der ›Preis der Leipziger Buchmesse‹ (…) gilt hinter vorgehaltener Hand eher als Uefa-Cup-Teilnahme. Entspannen wir uns also ein bisschen bis zur Frankfurter Champions League, die im Oktober 2008 ausgetragen wird.«

Wobei so ein Uefa-Cup ja durchaus auch mal mehr Qualität bieten kann als ein vermeintlich hochkarätiges CL-Finale: Wir alle erinnern uns an 2003, als es bei Juve gegen Milan auch nach 90 Minuten plus Verlängerung immer noch 0:0 stand (gähn). Rein von der Aufstellung (keine Julia Franck II, kein Arno Geiger IV) steckt dieses Leipziger Shortlist-Finale heute sowieso schon voller Überraschungen. 16 Uhr wissen wir mehr.

Neues vom 1. FC Feuilleton

Konstanz, 12. März 2008, 07:01 | von Marcuccio

Paco und ich hatten an dieser Stelle schon mal den legendären Mannschaftstausch zwischen S- und F-Zeitung rekapituliert – den größten Spielertransfer der jüngeren Feuilleton-Geschichte! Nun geht ein Leser der F-Zeitung den nächsten Schritt und präsentiert seine persönliche Feuilleton-Auswahl:

Der FAZ-Linksaußen

Manche werden jetzt erst mal fragen, ob diese Position überhaupt bespielt wird. Aber ja doch, zumindest wenn man die »Angriffe auf die Feuilletonredaktion« ernst nimmt, von denen Stefan Kleie aus Basel auf der Leserbriefseite der F-Zeitung vom 28. Februar (S. 38) schreibt. Danach haben die »Leser Herbert J. Exner und Ernst Liebert in der F.A.Z. vom 11. und 22. Februar« dem für die Sachbuchseite zuständigen Redakteur Christian Geyer »Linksfundamentalismus« vorgeworfen. Das möchte Kleie so nicht gelten lassen:

»Geyers subtile Anmerkungen (…) sind keineswegs schlicht links, sondern können ebenso als Bekenntnisse eines skrupulösen Wertkonservatismus gelesen werden.«

Der Rechtsaußen

Ähnliches, so Kleie, gelte auch für die »Beiträge von Lorenz Jäger, in dem manche den Rechtsaußen des Feuilletons sehen wollen, und die Versuche Frank Schirrmachers, mit Blick auf Stefan George und Ernst Jünger nichts Geringeres als eine Neubwertung der deutschen Geistesgeschichte vor 1945 vorzunehmen.«

Insgesamt hält Leser Kleie nicht viel vom althergebrachten, starren Rechts-Links-Schema. Vielmehr gibt er sich – wie wohl die meisten Feuilleton-Fans seines Alters – als Anhänger eines flexiblen Spielsystems zu erkennen:

»Für mich als Angehörigen einer jüngeren, noch dazu in Ostdeutschland geborenen Generation sind solche Grabenkämpfe der alten Bundesrepublik irrelevant (…).«

So wundert’s einen auch nicht, dass Kleies größte Sympathie einer Feuilleton-Position gilt, die sowieso alle gängigen Schemata unterläuft:

Der Libero

»Zu Dietmar Daths großartigen Pop- und Marxismus-Exegesen brauche ich hier nicht eigens etwas auszuführen. Es wäre zu wünschen, dass er wieder einmal ganze Artikel schriebe.«

Ja, so bescheiden klingen Fans der Halbwelt … Tatsächlich liest man Dath zurzeit nur noch in der samstäglichen Sputnik-Kolumne. (Vielleicht macht er aber auch gerade Kreativpause für ein nächstes Buch? Was weiß ich. Dienstältester Dath-Umblätterer ist ja auch Paco …)

Und die Mannschafts-Hymne

»Es ist die Polyphonie der unterschiedlichen Ressorts und der einzelnen Positionen im Feuilleton, die die F.A.Z. für mich zu einer der besten Zeitungen der Welt macht.«

Das ist doch mal ein Bekenntnis. Und überhaupt wäre es toll, wenn sich auf den Leserbriefseiten neben all den Herrenreitern noch viel mehr Stefan Kleies zu ihren feuilletonistischen Lieblingsspielern zu Wort melden würden. Forza!

Lost: 4. Staffel, 6. Folge

auf Reisen, 12. März 2008, 02:42 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »The Other Woman«
Episode Number: 4.06 (#77)
First Aired: March 6, 2008 (Thursday)
Deutscher Titel: »Die andere Frau« (EA 20. 7. 2008)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Jetzt wird es konkreter, jetzt muss es konkreter werden, denn es geht dem Ende entgegen. Nach dem SciFi-Zeitsprung-Kram der letzten Folge kriegen wir nun von Ben bestätigt, dass Pennys Vater, Mr. Widmore, die Insel will.

Damit ist wieder eines der Hauptthemen da: Väter. Viele Subgeschichten handeln von Vater-Sohn-Beziehungen, von Sohnes- oder Tochterleid und Vatermord. Locke und Sawyer und Kate und Jack. Es ist kein Zufall, dass all diese Hauptcharaktere schwere father issues haben.

Und nun Mr. Widmore, wieder so ein Vatervieh, das irgendwas im Schilde führt. Laut Ben hegt Widmore ganz normale Bereicherungs- und Ausbeutungspläne, ob dieser notorisch unzuverlässigen Quelle diesmal zu trauen ist, wissen wir natürlich nicht. Jedenfalls hat der Offshore-Feind jetzt ein Gesicht.

Daneben gab es vor allem viel Juliet in dieser Folge. Sie hat sich nach ihrer Ankunft auf der Insel mit Goodwin eingelassen, dem Mann der Other-Therapeutin Harper, den wir schon aus früheren Staffeln kennen. Die Affäre ist aber insofern ein Fehler, als Ben von Anfang an einen crush on Juliet hat, und warum: »She looks just like her.« Die Frage »Like who?« ergänzt wieder mal den Strauß dringend zu beantwortender Fragen.

In weiteren Szenen sehen wir einen verliebten Ben, der Juliet mit einem Dinner for two hofieren will. Sie soll dann allerdings auch begreifen, »that you’re mine«, uh-oh, sowas kommt schlecht an bei einer modernen Frau – da hat Ben auf der Insel wohl ein paar Jahrhunderte Menschheitsentwicklung verpasst.

Jedenfalls hat er Goodwin aus Eifersucht unter die Überlebenden von Oceanic 815 geschickt, wo er irgendwann von Ana Lucia gekillt wurde. Ben führte Juliet dann persönlich zum gepfählten Goodwin, um Juliet seine Rache effektvoll unter die Nase zu reiben.

Als Spannungselement gibt es diesmal übrigens ein Wettrennen zu The Tempest, dem Elektrowerk, das die Insel mit Energie versieht. Wieder so ein Inselbunker.

Faraday und Charlotte erreichen das Ziel als erste, doch werden vorher im Dschungel kurz von Kate gestellt. Die kriegt aber von Charlotte eins übergebraten. Jack und Juliet finden die zusammengeschlagene Kate, Jack befragt sie, doch darüber verschwindet dann wieder Juliet voreilig Richtung Tempest.

Dort stellt sie Faraday, der gerade an so einem Monogreen-Bildschirm herumtippt. Charlotte probt wieder ihre Überzieherkünste und bringt Juliet zu Fall. Die letzten Sekunden zählen sich herunter, die Szene ist ähnlich wie damals beim Hatch-Computer ein bisschen hollywoodesk überzogen.

Charlotte meint, sie wollen mit ihrer Aktion das Ausströmen eines tödlichen Gases verhindern, mit dem Ben alle Insulaner killen wollen würde. Und siehe da, Juliet glaubt das offenbar und hält Faraday nicht auf. Der schafft es dann auch einen Moment vor der Nullsekunde das Ding anzuhalten: »That … that was a close one.«

Und ach ja, Claire kriegt von den Autoren mal wieder ein paar Zeilen zugeschanzt. Sie darf heute mal Locke anzweifeln, und wenn sogar sie nicht mehr glaubt, dass er es reißen kann, muss was dran sein. Das erkennt auch Locke und entschließt sich endlich zu einem Deal mit Ben. Der führt ihn zu einer Videokassette mit einer heimlich gefilmten Tiefgaragenszene, in der Charles Widmore auftaucht.

Wir müssen dann den Erklärungen von Ben glauben, aber Locke bekommt von ihm immerhin eine Akte über Widmore ausgehändigt, zusammen mit dem Geständnis, dass das Bens letzter Trumpf war. Na gut, fehlt nur noch Bens Mann auf dem Boot: »You need to sit down«, meint Ben, aber die Antwort hören wir in dieser Folge nicht mehr.

Am Ende gibt es eine Szene mit Hurley und Sawyer, damit wir auch die beiden nicht ganz vergessen. Sie spielen Hufeisenboccia, als sie plötzlich ungläubig den freigelassenen Ben vorbeispazieren sehen: »See you guys at dinner«, meint er grinsend zu den glotzenden Hufeisenwerfern, und da ist es mal wieder Zeit für eine Hommage an die Figur Ben, an deren Vielschichtigkeit, die sich so schön langsam herausgeschält hat. Man muss sich wirklich noch mal die 2.14 ansehen, in der er zum ersten Mal auftaucht. Damals glaubt man ihm noch seine Unschuldsstory – mit dem geballten Wissen um seine geheimnisvolle coole Verlogenheit wird man diese Szenen jetzt anders sehen.

Javier Cáceres interviewt Alfredo Di Stéfano:
Mann! Bah! Tchis!

München, 11. März 2008, 10:48 | von Millek

Neulich wurde im Madrider Estadio Santiago Bernabéu eine Alfredo-Di-Stéfano-Bronzestatue enthüllt, die »einem der größten, wenn nicht gar dem größten Fußballer aller Zeiten« gilt, wie Javier Cáceres in der S-Zeitung schreibt (Ausgabe vom 16. 2.). Als gute River-Plate-Fans haben Paco und ich natürlich das aus diesem Anlass geführte Gespräch zwischen Cáceres und dem Geehrten gelesen.

Vor 2 Jahren hat Cáceres in seinem Buch »Fútbol« geschrieben, dass Di Stéfano ein mittlerweile griesgrämiger Achtzigjähriger sei, der keine Interviews mehr mag. Das kann so nicht stimmen, denn anhand des SZ-Gesprächs sieht man, wieviel Spaß der noch hat. Überhaupt, den Interview-Style kann man gar nicht genug loben:

Die beiden duzen sich im Deutschen. Entweder kennen sie sich also oder sie haben den ›voseo‹ benutzt, was zwischen einem gebürtigen Chilenen und einem gebürtigen Argentinier nicht unwahrscheinlich ist. Dieser kumpelhafte Ton ist auch der einzig richtige für dieses Gespräch (ganz anders als in der FAS, wo sich Charlotte Roche und Julia Encke neulich siezten, als sie über Intimrasuren sprachen, hehe).

Und Di Stéfano sagt »Mann!«, also vielleicht ein lässiges »hombre«, ein gefälliges »boludo« wie unter alten Freunden oder eben ein anderes der reichhaltigen »Mann!«-kompatiblen Wörter im Spanischen. Er bezeichnet sich als »ein Kind des Viertels«, das klingt sehr übersetzt, man hört da noch den »pibe del barrio« durch. Und er sagt, dass er die Straßenbahn nehmen musste, um Buenos Aires zu durchqueren – das ist Jahrhunderte her, dass die Capital Federal eine Tram hatte – erst seit Juli 2007 fährt wieder eine.

Zischgeräusche werden korrekt wiedergegeben: »In Europa ist der Rasen kurz, und der Ball fliegt über die Narbe, als würde ihn jemand – tchis! – ausspucken.« Und auch Antwortfragmente wie »Sí, señor.« bleiben unübersetzt im Originalzustand. Man müsste die sowieso mit »Auf jeden!« oder so übersetzen, jedenfalls nicht mit »Ja, mein Herr.« Wir sind ja nicht im 18. Jahrhundert.

Als es um das legendäre Glasgower 7:3 geht (Real gg. Eintracht Frankfurt, Finale des Europapokals der Landesmeister 1960, siehe Wikipedia), kommt Di Stéfano auf das perfekte Zusammenspiel seiner Mannschaft zu sprechen: »Puskas mit seinem unfassbaren Antritt, Del Sol … Bah, es war ein Riesenteam.« – Auch dieses kastilische »Bah«: so herrlich und so unübersetzbar.

»Früher war der Fußball romantischer. Bohème.« sagt Di Stéfano an einer Stelle. Dieser Text ist auch Bohème, ein Musterbeispiel für gelungenes Sportfeuilleton. Bah …

Die FAS vom 9. 3. 2008:
90 Wörter von Peter Hacks

London, 9. März 2008, 22:12 | von Dique

Zwei Wochen fremdgekauft, weil auf Reisen, heute wieder die FAS bei meinem Newsagent. Ich habe manchmal ein schlechtes Gewissen, wenn ich meine Lektüre unterwegs kaufe und nicht wie gewohnt in seinem kleinen Laden auf Westbourne Grove.

Letzteren laufe ich nun hinunter, und mir kommt Peer Steinbrück entgegen bzw. eine sehr gute Kopie in einem furchtbaren hellen Anzug. Was will der denn hier, Budget Hotel in Bayswater? Es ist wohl die Combo aus Frisur und Brille, die ihn dem deutschen Finanzminister so täuschend ähneln lässt, und der Anzug natürlich.

Ich denke sofort an eine »Seinfeld«-Szene (»The Diplomat’s Club«, Folge 6.22), in der George Costanza seinem Boss Mr. Morgan sagt, dass er aussehe wie Sugar Ray Leonard. Der findet das aber gar nicht komisch und sagt: »I suppose we all look alike to you, right, Costanza?«

Wer die Folge kennt: Ich befinde mich nicht auf der Suche nach einem Freund mit Halbglatze und Brille, um eventuellen Verdachtsmomenten vorzubeugen, obwohl mir da sofort Jason Alexander oder eben gleich Larry David selber als mögliche Kandidaten einfallen, hehe. Jedenfalls raune ich dem Westbourne-Grove-Steinbrück leise aber verständlich »Ypsilanti« zu, als wir auf gleicher Höhe sind, aber keine Reaktion, strahlend marschiert er weiter.

Jetzt habe ich schon die Hälfte der Zeilen, die mir Paco für heute eingeräumt hat, für das Vorgeplänkel verballert, deshalb mal ein bisschen was zum Inhalt der heutigen FAS:

Mein Lieblingssatz stammt aus dem Artikel »Neue Herren, harte Schnitte, freche Mode« von Bettina Weiguny, der vom Engagement vieler Private-Equity-Gesellschaften in Modefirmen handelt. Thomas Schlytter-Henrichsen von der Alpha-Gruppe wird da zitiert:

»Wenn Sie einem Designer als Einsparmaßnahme die Kekse streichen, kippt die Stimmung. Das ist tödlich für ein kreatives Team.«

In einer Extra-Beilage gibt es mal wieder ein Städte-Ranking (»Städte im Wettbewerb«), dieses Mal geordnet nach Kreativitätspotenzial. München ist vorn, und die FAS kommentiert das im Teasertext mit einem »Wer hätte es gedacht«. Dabei wurde die bayrische Metropole bereits letztes Jahr von »Vanity Fair« und »Monocle« zur coolsten Stadt gekürt (wir berichteten), bei »Monocle« sogar im weltweiten Maßstab.

Das Feuilleton wird von Frank Schirrmacher persönlich eröffnet, mit einer Hymne auf 90 Wörter von Peter Hacks. 90 Wörter formvollendet ausgewählt und zusammengeführt, ein traumhaftes Gedicht (»Beeilt euch, ihr Stunden«), von dem Stefan Amzoll schon vor einem halben Jahr im »Freitag« geschrieben hat, dass es »das schönste« der Hacksgedichte sei. Man liest es zweimal oder dreimal, bevor es mit Schirrmacher weitergeht:

»Die Frage ist, ob diese paar Zeilen eine halbe Bibliothek von politischen Gemeinheiten aufwiegen. Die Antwort lautet, dass neunzig Worte in der richtigen Reihenfolge mehr wert sind als zehntausend Worte in der falschen. Das Letztere ist Gesellschaft, das Erstere ist Kunst.«

Ich folge einfach. Das betrifft ja nicht nur Hacks. Vor ein paar Tagen las ich die Céline-Biografie von Ulf Geyersbach, ebenfalls erst kürzlich in der FAS empfohlen. Geyersbach lässt kaum ein gutes Haar an Leben und Werk Célines, aber dann gibt es ja noch die »Reise ans Ende der Nacht«. Und vielleicht sollte man auch hier richtigerweise in Kunst und Gesellschaft trennen.

Ansonsten viele Buchvorstellungen (Buchmesse approaching), von denen Tobias Rüthers Rezension »Der Dandy im Kochtopf« in grotesker Weise hervorsticht. Der Artikel endet mit dem Satz:

»Herr Ehlers war längst zum nächsten Sehnsuchtsort unterwegs: Neuguinea. Etwas später ist er dann aufgegessen worden.«

Es geht um die Neuauflage des Buchs »Samoa. Die Perle der Südsee« vom reiselustigen Otto E. Ehlers (hier der Link zu einer Altauflage). Tatsächlich wurde Ehlers Opfer von »Hungerkannibalismus«, was für ein Wort, aufgegessen von seinen melanesischen Trägern. Details bleibt uns die FAS schuldig, aber ich denke an den finsteren Heroismus des Untergangs des Medusa-Floßes auf dem fantastischen Bild von Géricault im Louvre, auch wenn die Umstände etwas anderer Natur waren.

Nicht zu vergessen ein Interview mit Clemens Meyer, von dem wir hören, dass er seinen auch finanziellen Erfolg mit »Als wir träumten« vor allem für »Wein, Weib und Gesang« verschossen hat. Darauf ein Prosit.

Und habe ich schon erwähnt, dass Billers »Moralische Geschichte« wieder sehr gut ist, nein, aber das ist sie ja immer, dieses Kleinod am Rande.

Kaffeehaus des Monats (Teil 26)

sine loco, 9. März 2008, 09:50 | von Guest Star

(Gastbeitrag von Benjamin Stein)

Wenn du mal richtig Zeitung lesen willst:

Café Bracha, München

München
Das Café Bracha in der Klenzestraße.

(Das einzige koschere Café in der Stadt (milchig). Unsere
Kinder schätzen dort besonders die heiße Schokolade und
die ausliegenden Comic-Hefte. Ich selbst komme dort eher
nicht zum Lesen, weil ich bei jedem Besuch unweigerlich
Bekannte treffe und in Gespräche verwickelt werde.)