Regionalzeitung (Teil 4)

Leipzig, 13. Mai 2008, 10:57 | von Austin

 
  16.   wurden zahlreich genutzt

  17.   kamen voll auf ihre Kosten

  18.   verbrachten ein paar schöne Stunden

  19.   jede Menge Spaß

  20.   tat der Stimmung keinen Abbruch
 

Regionalzeitung (Teil 3)

Leipzig, 12. Mai 2008, 13:40 | von Austin

 
  11.   in aller Herrgottsfrühe

  12.   auf Schusters Rappen

  13.   eine Stärkung einholen

  14.   ließen es sich schmecken

  15.   beeindruckte die Zuhörer mit einem interessanten Vortrag
 

Regionalzeitung (Teil 2)

Leipzig, 11. Mai 2008, 14:45 | von Austin

 
  6.   der ein oder andere wird

  7.   die kleinen Steppkes

  8.   für das leibliche Wohl war gesorgt

  9.   schmissige Rhythmen

  10.   das Tanzbein zu schwingen
 

Regionalzeitung (Teil 1)

Leipzig, 10. Mai 2008, 12:41 | von Austin

 
  1.   hieß es Vorhang auf für

  2.   traf genau den Geschmack des Publikums

  3.   trugen zum Gelingen der Veranstaltung bei

  4.   feierte einen gelungenen Einstand

  5.   hinterher war Gelegenheit
 

Paratext-Posse:
Ein Vorspann vor Gericht

Konstanz, 8. Mai 2008, 06:12 | von Marcuccio

Palma hatte in letzter Zeit eine besondere Mission: Sie war Beobachterin in einem Prozess, der außerhalb der Schweiz nicht halb so hohe Wellen geschlagen hat wie in den eidgenössischen Medien. Dabei hat die Sache, davon ist Palma überzeugt, »Brisanz und Relevanz für den ganzen Journalismus«.

Und darum ging’s: Ein »Weltwoche«-Journalist hatte sich wegen angeblich rassistischer Wortwahl vor Gericht zu verantworten. Das Kuriose: Dieser Journalist war für Teile seines Artikels angeklagt, die er nachweislich gar nicht geschrieben hatte.

Freie Journalisten kennen das Problem

Da liefern sie ihre sorgfältig erarbeiteten Reintexte ins Text-OP namens Redaktion ein und müssen wie unsere Testimonials Malte Welding oder Jürgen Dollase immer wieder feststellen, dass bestimmte Amputationen oder hässliche Operationsnarben einfach dazugehören: Hier ein wichtiger Satz, Halbsatz, Begriff rausredigiert, da Textsinn verändert, schlimmstenfalls entstellt! Wie viele Artikel auf diese Weise schon zum Krüppel gemacht wurden, hat die Journalistik bislang nicht eruiert, vielleicht sie sollte es mal tun.

Doch längst nicht nur wo durch die Redaktion gekürzt wird, sondern auch im umgekehrten Fall, also da, wo durch die so genannten Paratexte etwas zum Reintext hinzukommt, lauern Gefahren für das journalistische Gelingen. Es handelt sich zumeist um die Teile von Texten, an denen verschiedene Verfasser beteiligt sind und in der Hauptsache nicht unbedingt der Autor des Artikels selbst: Überschriften, Artikelvorspänne, Teaser, Zwischenüberschriften, herausgestellte Zitate, sonstige separate Hinweise usw.

Da kann es kleinere befremdliche Brüche geben, auf die der Umblätterer gelegentlich hinweist, aber eben auch presserechtlich richtig relevante Risiken und Nebenwirkungen. Von dem Fall, in dem solche Paratexte einen Journalisten bis vor den Kadi gebracht haben, berichtet nun Palma aus der Schweiz.

»Jäger, Räuber, Rätoromane. Die frechste Minderheit der Schweiz«

So hatte die »Weltwoche« auf ihrem Cover der Ausgabe 37/2006 getitelt, und im Heft gab es dann einen für Schweizer Konsens­verhältnisse ziemlich provokanten Artikel von Urs Paul Engeler, in dem der Autor zu dem Schluss kam: Rätoromanisch, offiziell immer noch die vierte Landessprache der Schweiz, sei bei nur mehr 34.000 verblie­benen Sprechern nichts anderes als hochsubventionierte staatliche Folklore.

Das war für die inneralpinen Restposten des Vulgärlateins sicher nicht nett, politisch ebenso wenig bequem, aber alles andere als rassistisch. Doch der Stein des Anstoßes lag anscheinend auch weniger im eigentlichen Artikel als in seinem Vorspann:

»Anachronistisch, kryptisch, erpresserisch, exotisch, fanatisch, neurotisch, räuberisch: Diese Worte fallen einem ein zu Rätoromanisch. Erfinderisch auch. Das sind die paar Schweizer, die diese Sprache sprechen, wenn es um Subventionen geht: um gigantische Subventionen.«

Vorspann mit Nachspiel

Für Palma ist der Lead »offenkundig satirisch«, und überhaupt: die terroni in ihrer Heimat müssten die gleichen Attribute über sich quasi nonstop in »La Padania« lesen … Grinsende Zustimmung meinerseits. Umgekehrt kann man sich natürlich schon fragen, wie hierzulande die Sorben darauf reagiert hätten, wenn sie in einem Leitmedium entsprechend angefeatured worden wären.

Ein rätoromanischer Verein jedenfalls sah darin lauter diskriminierende Attribute und reichte Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Die wurde abgelehnt, der Verein erstattete sodann Strafanzeige und hatte das Glück, auf einen Staatsanwalt zu treffen, der es mal grundsätzlich wissen wollte.

Angeklagt wegen mutmaßlichem Rassismus gegen die Rätoromanen wurde: Urs Paul Engeler. Der aber konnte, wie Palma aus dem »Tages-Anzeiger« vorliest, beim ersten Prozesstermin 2007 geltend machen, diesen Lead gar nicht verfasst zu haben:

»(…), die Produktionsabteilung der ›Weltwoche‹ habe die umstrittenen Passagen verfasst, und nicht er selber. Sein eigener Vorspann habe anders gelautet. Er wäre aber bereit, ›für das Gesamtkunstwerk‹ die Verantwortung zu übernehmen.

Dies gehe nicht, befand damals der zuständige Staatsanwalt. Es müssten die tatsächlichen Autoren zur Verantwortung gezogen werden.«

Dann war Engeler also plötzlich der falsche Angeklagte, versuche ich zu verstehen. Ja, und es war ziemlich peinlich für das Gericht, das erst während der Verhandlung festzustellen, meint Palma. Überhaupt: Wie wenig Ahnung vom Redaktionsalltag müsse man haben, um daraufhin die Verhandlung zu vertagen mit der Forderung, jetzt sollten »die tatsächlich Verantwortlichen für die inkriminierten Passagen« belangt werden?! Als ob jemand ein Register darüber führt, wer welchen Artikelvorspann und wer welche Bildlegende getextet hat!

Kennt die Schweiz kein »V.i.S.d.P.«?

Wieso stand eigentlich überhaupt Engeler und nicht die »Weltwoche« vor Gericht, will ich jetzt dann doch mal von meiner persönlichen Prozessbeobachterin wissen.

Na ja, so Palma: Das konnte die Hauptverhandlung nicht klären. Immer­hin wurde Engeler am 18. April freigesprochen. Ob der Artikelvorspann nun polemisch-provokant, rassistisch, diskriminierend oder was auch immer war, wurde erst gar nicht weiter verhandelt.

Jetzt prüfen die Untersuchungsbehörden wohl noch, ob und wie es weitergeht. Aber es ist doch schon verrückt: Da ist der Verfasser eines Artikels ist für Teile seines Artikels freigesprochen worden, die er gar nicht verfasst hat. Und die »Weltwoche« entzog sich ihrer Verant­wortung in der juristischen Paratext-Posse bislang anscheinend ganz.

Lost: 4. Staffel, 10. Folge

London, 7. Mai 2008, 01:07 | von Dique

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »Something Nice Back Home«
Episode Number: 4.10 (#81)
First Aired: May 1, 2008 (Thursday)
Deutscher Titel: »Die Operation« (EA 17. 8. 2008)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Nach der grandiosen Folge mit Ben im Flashforward-Fokus steht dieses Mal Jack im Mittelpunkt, vielleicht eine Licht-und-Schatten-Anspielung der Autoren. Nach der voll gestopften Vorgängerfolge geht es diesmal storytechnisch aber kaum weiter. Es gibt zu viele Momente, in denen man »Zeitspiel!« schreien könnte.

Von Jacks psychischen Schwächen haben wir schon viel gesehen. Man denke an die zerrüttete Beziehung zu seinem Vater und seiner Ex-Frau sowie an seine Neigung »to fix things«. Heute bekommt er noch einen physischen Schmiss dazu – eine Blinddarmentzündung.

Die ganze Story um den schwärenden Appendix erschien mir vollkommen irrelevant, aber okay, sie ist vielleicht im weiteren Verlauf von Interesse, doch dafür hätte man nicht die ganze Folge darin baden müssen. Liegt vielleicht auch an mir, denn OP-Szenen kann ich nicht ertragen, es sei denn aus weiter Ferne und wenn Kramer ein Junior Mint in die Wunde schnippst, so wie in der »Seinfeld«-Folge 4.20, »The Junior Mint«, hehe.

Einspruch Paco, eben über Skype:

»Bist du noch zu retten! Das ist doch eines der ganz großen ›Lost‹-Themen: DIE ABRUPTE ÄNDERUNG VON MACHTVERHÄLTNISSEN. So wie damals in Folge 3.07, als Ben operiert werden musste und Jack seine Stellung als Operateur mit einem angeblich lebensgefährlichen Nierenschnitt ausnutzte, um Kate & Sawyer freizupressen.

So eben auch jetzt: Jacks Blinddarm muss raus, er kann sich nun mal nicht selbst operieren, sondern ist auf VERTRAUEN angewiesen. Das bringt Juliet wieder ganz dick ins Spiel, ihr ganzes Ambivalenz-Potenzial.

Und was passiert? Der toughe Jack will bei der OP wach bleiben, um ein wenig Kontrolle behalten zu können, wird dann aber von Juliet rüde anästhesiert. Sie holt den entzündeten Appendix dann natürlich trotzdem ordnungsgemäß raus, aber wer weiß, wozu ihr dieser Vertrauensbeweis später noch mal nützen wird.«

Also gut, beiseite mit meiner Jammerei, immerhin sind auch ein paar gigantische Dinge passiert: Jack & Kate, Kate & Jack. Endlich knutschen sie, im Flashforward, und dann folgt auf der Insel, unmittelbar vor Jacks Blinddarm-OP, sein Heiratsantrag, der von Kate auch angenommen wird.

In der Zukunft außerhalb der Insel leben sie dann auch zusammen, das macht gleich drei der Oceanic Six auf einem Haufen, denn der kleine Aaron ist auch mit dabei. Sawyer habe sich für die Insel entschieden, heißt es zwischendurch lapidar. Das wirft mal wieder die Frage nach den Insel-Ereignissen vor dem Entkommen der Oceanic Six auf.

Dann bekommen wir noch den Beginn von Jacks Tablettensucht zu sehen, die wahrscheinlich durch die dämonischen Worte von Hurley ausgelöst wird, als Jack ihn in seinem dunklen Loch in der Irrenanstalt besucht.

Ich erinnere hier an die letzte Folge der dritten Staffel: Jack mit Vollbart und auf dem Weg zu einer Beerdigung, immer das Tablettenröhrchen in Griffweite. Da zeigt sich das traumhafte Konzept der 4. Staffel (das sicher auch die Staffeln 5 und 6 bestimmen wird) – Zukunft und Inselgegenwart nähern sich langsam an, die Spannung steigt. So ähnlich sieht es auch Critique en séries: »les flash forwards sont le meilleur concept de la série car on en a quasiment fini avec les flash chiants«, hehe.

Kate und Jack ziehen nun also Aaron auf. Wir bekommen Einblicke in einen sortierten Haushalt, Dad liest seinem Sohn vor, während die Kate-Mutter liebevoll lächelnd im Türrahmen steht. Dass das Familienglück zu dritt nicht stabil ist, liegt dann schon am Adoptivsohn – solange man nicht weiß, wie er dazu kam, Kates Sohn zu werden, ist auch das Schlimmste denkbar.

Aaron ist übrigens das ödeste TV-Serien-Kind ever. Noch nie hat der einen Mucks von sich gegeben. Er sieht im Flashforward gar nicht mehr jung aus, sollte schon sprechen können, tut es aber nicht, man hätte gleich eine Puppe für diese Rolle besetzen können.

Endlich scheint in ganz kleinen Ansätzen auch durch, warum der Kleine ohne seine eigentliche Mutter Claire die Insel verassen haben könnte. Denn beide irren seit der Attacke der Widmore-Soldaten in der letzten Folge zusammen mit Sawyer und Miles durch den Dschungel, um zum Beach Camp zurückzukehren. Nachts erscheint Claire dann eine Fantasmagorie ihres Vaters (auch Jacks Vater!), der ihren Sohn in seinen Händen wiegt. Am nächsten Morgen ist sie verschwunden, Sawyer kann nur noch den eingewickelten Aaron im Dschungel aufsammeln.

Eine Parallele hat Claires Vision in der inselfernen Zukunft, wenn auch Jack seinen Vater kurz in Blickweite sitzen sieht. Auch hier ist es spät nachts, im Krankenhaus, kurz nachdem ihm Hurley seine Prophezeiung zugeraunt hat.

Vor Claires Verschwinden kam es übrigens wie nebenbei wieder zu einer dieser ultragruseligen »Lost«-Szenen. Die Flüchtenden passieren die Stelle, an der Rousseau und Karl verscharrt wurden, nachdem sie der Keamy-Trupp erschossen hat. Miles hat dort einen seiner medialen Momente, er spürt die Geister der Toten, und dann sieht man die grauen Gesichter unter dem Staub. Das ist fast eine Genreszene, so schaurig wie damals in Folge 3.14, als Paolo und Nikki aus Versehen lebendig begraben wurden.

Überhaupt hatte diese Episode zu viele dunkle Settings: das OP-Zelt, Kates und Jacks Appartement, Jacks Krankenhaus und die Irrenanstalt, in der ein scheinbar immer dicker werdender Hurley herumhockt. Freuen wir uns also auf die nächste Folge, auf irgendeine Sonnenschein-Szene mit creepy Ben in hellen Chinos.

Die FAS vom 4. 5. 2008:
Lindenstraße, Lenz, Löwenzahn

Göttingen, 4. Mai 2008, 22:42 | von Paco

In der Kolumne von Stefan Niggemeier, die immer als Seitenfüller neben dem TV-Programm vom Sonntag steht, wird heute gegen die »Lindenstraße« gewettert (S. 34). Auch wenn der altehrwürdige ARD-Dauerhit in Wirklichkeit natürlich eine der interessantesten, einfallsreichsten & trotz der nur knapp 30 Sendeminuten pro Woche abwechslungsreichsten Serien der Welt ist, geht der Verriss absolut in Ordnung. So wie man ja auch Niggemeier-Artikel öfters mal schlecht findet, obwohl man sie eigentlich meist gern wegliest.

Goddag! Volker Weidermann hat Siegfried Lenz in Sønderhav besucht, knapp hinter der deutsch-dänischen Grenze (S. 27). Wieder wurde eines der beiden Fotos vom Autor geschossen – solche Schnappschuss-Eigeninitiativen forciert die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« ja in ihrem Feuilleton, und wie von uns schon mehrfach behauptet, das kommt sehr gut: Siegfried Lenz mit offener Jacke, einem rötlichen Schal und einer Art Herrenhand­tasche, sympathisch lächelnd. Warum immer Agenturfotos wenn ein Autor nicht auch vor Ort schnell mal seine Digicam draufhalten kann? Die dadurch erzielte Authentizität steht problemlos höher im Kurs als eine korrekte Brennweiteneinstellung.

Textlich gibt es vor allem Anekdoten: die vom »deutschen Dänen Lenz«, wie der Autor von einer Regionalzeitung genannt wurde; oder die von seiner Handschrift, die Lenz‘ verstorbene Frau als »künstlerisch organisierten persischen Küchendreck« bezeichnet hat. Wie in jedem guten Autorenporträt wird hier nicht wohlfeil an irgendwas herumgekrittelt, und überhaupt, schreibt Weidermann, scheint es »unmöglich, ein böses Wort in seiner Gegenwart auch nur zu denken«. Konkreter Anlass des Treffens war übrigens das Erscheinen des neuen Lenz-Romans »Schweigeminute«. Am Ende wird der FAS-Redakteur von Lenz auch noch brüderlich umarmt. Farvel!

Eine Seite weiter gibt es, jetzt schon, eine würdige feuilletonis­tische Einordnung des Amstetten-Falls, eine Materialsammlung zum »manischen Wunsch nach Deutung« solcher Tragödien (S. 28). Nils Minkmar schlägt viele Bedeutungsbrücken, beginnt mit Kaspar Hauser, zitiert dann Reemtsma genauso herbei wie einen »Daily Mail«-Autor, außerdem Sarkozy, Manfred Deix und Elfriede Jelinek, »Tante Prusselise« aus dem Pippi-Langstrumpf-Storykosmos (sehr gute Idee), dann noch Platon, Dante und Pulp Fiction, David Lynch und J.-C. Carrière. Minkmars Diagnose fällt dabei pessimistisch aus:

»Vergewaltigung, Folter und Mord sind bereits verboten. (…) Etwas mehr Ermittler in den Jugendämtern wären gut, aber auf Sadisten, Kannibalen und Serienmörder ist keine Verwaltung vorbereitet.«

Er geht aber in der Deutung noch einen Schritt weiter: Die schallgedämpften Privatverliese, aus denen kein Mucks nach außen dringt, haben auf der Ebene der modernen Kriegsführung nämlich ihre Äquivalente in »nicht ausgewiesenen Gefängnissen, Folter ohne Blutvergießen und unrechtmäßig entführten Personen«. Soweit die Feststellung, leichter wird das Verständnis durch so eine Einordnung natürlich nicht. Trotzdem ist dieser Artikel mehr wert als alle zum gerade aktuellen Fall stattfindenden Detailhatzen.

Unter diesem Artikel beantwortet dann Marcel Reich-Ranicki eine Frage zu Wolf Biermann. Er ergeht sich eigentlich in einem ziemlichen Lob des Dichters. Vor allem dessen Nichteinordenbarkeit wird für gut befunden. Lustigerweise beginnt aber der letzte Absatz so: »Es ist jetzt still um Biermann geworden, …« – Reich-Ranicki schreibt damit dasselbe, was Volker Weidermann vor 2 Jahren in seiner Literaturgeschichte »Lichtjahre« geschrieben hat (»sehr, sehr still«). Damals hatte Biermann seinen Verlag Ki&Wi verlassen, bei dem auch das Buch von V. W. erschienen war.

Noch kurz zum Wirtschaftsteil: Aus irgendeinem Grund gibt es in diesem FAS-Ressort mit die besten Interviews der deutschen Medienlandschaft – das ist in unseren FAS-Rundowns schon oft durchgeschienen. Ob man da dem »Spiegel« den Rang abgelaufen hat (der ja bis auf ein paar lustige Patzer weiter souverän Leute interviewt), das will nicht ich beantworten müssen. Heute ist jedenfalls der seltene Gesprächspartner Bernhard Schadeberg dran, der Krombacher-Chef (S. 37). Auch dieses Entretien trifft wieder die für eine Sonntagszeitung ideale Mischung aus Business & Entertainment.

Im Wissenschaftsteil gibt es dann noch einen Artikel von Susanne Donner über die »Nazi-Pflanze« Löwenzahn (S. 67). Diese Deutungsvariante vergisst aber vollkommen, dass die kulturhistorische Stellung der schönen Pflanze Löwenzahn im deutschen Sprachraum durch die gleichnamige Kindersendung mit Peter Lustig unabänderlich bestimmt ist. Da hilft auch kein Foto mit Löwenzahnblüten, in das so eine Art Hakenkreuz-Wasserzeichen eingearbeitet ist (holla!). Der Artikel eignet sich aber sicher hervorragend als Materialbasis für einen noch ausstehenden Teil der »Hitler«-Serie von Guido Knopp: »Hitler und die Blumen«.

(Ganz kurz noch: Nachdem der zweifelhafte Ruf des kautschukhaltigen Löwenzahn verjährt sei, beginne jetzt so langsam wieder die Löwenzahnforschung.)

Usw.

Helmut Krausser über Oliver Kahn

Konstanz, 3. Mai 2008, 08:05 | von Marcuccio

Zwar lässt das erste Panini-Album der Halbwelt wegen Willi Winklers Weigerung, Bildchen von sich rauszurücken, weiter auf sich warten. Aber ansonsten müssen Feuilleton und Fußball irgendwie fusioniert haben.

So überträgt der Perlentaucher neuerdings schon mal ein mittel­mäßiges Derby mit allen Fouls live. Und umgekehrt ist »auffem Platz« (Otto Rehhagel) wahrlich keine feuilletonfreie Zone mehr:

– alles großartige Rasen-Aktionen, die überhaupt nur fürs Feuilleton stattgefunden zu haben scheinen. Und ja, der Kahn-Text von Helmut Krausser erschien tatsächlich im »stern« (17/2008) – was beweist: Auch was man nicht lesen darf, muss der Umblätterer ab und zu anblättern.

Kraussers Artikel steckt voller guter Beobachtungen. Allein der Ausgangspunkt: Kahns jetzt zu Ende gehende Karriere mal nicht mit der großen Meistererzählung abzurunden, sondern festzustellen,

»dass Oliver Kahn zu jener raren Sorte Mensch gehört, zu der ich noch immer keinen klaren Standpunkt habe«

– das zog mich sofort in den Text hinein.

»Normalerweise legt man sich ja irgendwann fest und stellt sich da oder dort hin. Selten gibt es Typen, die einem die Wahl derart schwer machen, und beinahe immer spricht das für diese Typen.«

Und was Krausser weiter über den inkommensurablen Typen Kahn schreibt, trifft den Punkt:

»Er tat immer so, als ob das Spiel in Wahrheit blutiger Ernst sei. Und ich glaube sogar, er tat nicht nur so. Natürlich ist man ihm für alle Ausraster, selbst jene am Rand des Amoklaufs, letztlich dankbar. Angesichts entsetzlich vieler früh saturierter Fußballer ist ein wenig Wahnsinn stets willkommen. Andererseits trug der Wahnsinn Kahns manchmal den Strampelanzug eines im Grunde etwas biederen Ehrgeizes.«

Strampelanzug ist herrlich, im gemeinen Mediendeutsch kommt bei ähnlichen Gedanken ja immer das »Hamsterrad«, »Laufband« oder dergleichen …

Angenehm auch, dass endlich mal einer die ewige Medien-Floskel vom »Kahn-Titan« ins Reich der Legende verweist: Denn diesen seinen Mythos hat Kahn, wie Krausser notiert, ja längst selbst vereitelt:

»Er lieferte in den letzten beiden Jahren einfach nur gute Arbeit ab. Und genau das ist der Punkt. Von Titanen erwartet man entweder geniale Arbeit oder den kompletten Absturz.«

Und eben weil da einer noch eine Rechnung mit dem eigenen Mythos offen hat, ist man mit Kahn genauso wenig fertig wie Krausser am Ende seines Artikels:

»Ich bin sehr gespannt, was passiert, wenn dem Menschen Kahn die Altlast des sportlichen Ehrgeizes von den Schultern gefallen sein wird. Wenn er sich als physische Maschine ein für alle Mal abhakt. Es kann gut sein, dass er dann auf ganz andere Art interessant werden wird.«

Ich hoffe doch sehr, dass Krausser im Fall der Fälle weiter informiert, und wenn’s wieder der »stern« ist …

Kaffeehaus des Monats (Teil 31)

sine loco, 2. Mai 2008, 08:44 | von Millek

Wenn du mal richtig Zeitung lesen willst:

Mansour Eddahbi, Marrakech, Morocco

Marrakesch
Das Refektorium des Mansour Eddahbi
auf dem Blvd. Mohamed VI

(Lange, aber vergeblich deutschsprachiges Feuilleton
gesucht. Hervorragender Orangensaft.)

Darf man das lesen? (Teil 12):
»The Daily Reckoning«

London, 30. April 2008, 07:05 | von Dique

»In a surprising flash of crass commercialism, I interrupt this newsletter to introduce the latest ›gotta have it‹ item from Mogambo Interstellar Enterprises (MIS), which is a new diet program based on the idea that if you are always too frightened to eat or keep food down, then your caloric intake is reduced, and you should lose weight. Easy and brilliant!

This caloric-attenuation regimen is scientifically paired with an aerobic, cardio program to insure that you get a terrific exercise workout from merely cleaning up your own puke all the time.« (25. 4. 2008)

So liest sich der Mogambo Guru bei dailyreckoning.com, dem einzigen Newsletter, auf den ich mich freue. Der Mogambo Guru ist ein Goldbug. Und Goldbugs denken, dass bald schon – morgen, übermorgen oder eben einfach bald – das Finanzsystem zusammenbrechen wird und es vorbei sein wird mit dem breiten Wohlstand.

Sie denken das schon seit vielen Jahren (gut, der kontinuierliche Goldpreisanstieg gibt ihnen Recht), und dann wird Papiergeld keinen Pfifferling mehr wert sein, und das einzige richtige Geld wird, genau: Gold sein.

Welche Einstellung man auch immer zum Zustand des Währungs­systems haben mag, darum geht es erst in zweiter Linie. In erster sind da die »Angry Mogambo Tirades« (AMT), und manchmal wird er ganz schön böse und ballert diese herrlichen Abkürzungen heraus, so wie seine im Eingangszitat vorgestellte Diät, the Mogambo Diet Plan (MDP), entwickelt von den Mogambo Nutritional Laboratories (MNL), vorgestellt in the Rude Way Of The Mogambo (RWOTM) im Shadow Of A Freaking Doubt (SOAFD).

Und neulich gab es dann zur Abwechslung mal eine Ladung Immortal Mogambo Poetry (IMP). Herausgekommen ist dieses Gedicht, »which doesn’t have a title yet, but the opening stanza is:«

The governments have firepower out the wazoo,
Looking for something to do.
One of these days, in dozens of ways,
They’ll be coming after you, too, and you’ll be in deep doo-doo.

Diese naive Gelegenheitslyrik erinnert mich an einen der schönsten Dichtunfälle im öffentlichen Raum, ein Gedicht, welches dem »Café P.« des Panoramamuseums in Bad Frankenhausen gewidmet ist (Paco hat es vor Jahren mal für satt.org interpretiert).

Bleibt die Herkunft der naiven Dichtung des Museumscafés ungeklärt (mittlerweile ist es auch von der Homepage verschwunden), so schenkt uns der Mogambo Guru wenigstens reinen Wein ein und erklärt:

»Well, those who have any familiarity with poetry whatsoever recognize right away that I have absolutely no talent, and it is obvious that I spent less than twenty seconds writing it, including thinking up the original idea, writing it, re-writing it, then editing it before giving it that final polish that turns it into a shining gem of literature.«

Vielleicht hätte ich mir auch nur 20 Sekunden Zeit nehmen sollen, um zu sagen, dass man dailyreckoning.com mit gutem Gewissen lesen darf.