Helmut Krausser über Oliver Kahn

Konstanz, 3. Mai 2008, 08:05 | von Marcuccio

Zwar lässt das erste Panini-Album der Halbwelt wegen Willi Winklers Weigerung, Bildchen von sich rauszurücken, weiter auf sich warten. Aber ansonsten müssen Feuilleton und Fußball irgendwie fusioniert haben.

So überträgt der Perlentaucher neuerdings schon mal ein mittel­mäßiges Derby mit allen Fouls live. Und umgekehrt ist »auffem Platz« (Otto Rehhagel) wahrlich keine feuilletonfreie Zone mehr:

– alles großartige Rasen-Aktionen, die überhaupt nur fürs Feuilleton stattgefunden zu haben scheinen. Und ja, der Kahn-Text von Helmut Krausser erschien tatsächlich im »stern« (17/2008) – was beweist: Auch was man nicht lesen darf, muss der Umblätterer ab und zu anblättern.

Kraussers Artikel steckt voller guter Beobachtungen. Allein der Ausgangspunkt: Kahns jetzt zu Ende gehende Karriere mal nicht mit der großen Meistererzählung abzurunden, sondern festzustellen,

»dass Oliver Kahn zu jener raren Sorte Mensch gehört, zu der ich noch immer keinen klaren Standpunkt habe«

– das zog mich sofort in den Text hinein.

»Normalerweise legt man sich ja irgendwann fest und stellt sich da oder dort hin. Selten gibt es Typen, die einem die Wahl derart schwer machen, und beinahe immer spricht das für diese Typen.«

Und was Krausser weiter über den inkommensurablen Typen Kahn schreibt, trifft den Punkt:

»Er tat immer so, als ob das Spiel in Wahrheit blutiger Ernst sei. Und ich glaube sogar, er tat nicht nur so. Natürlich ist man ihm für alle Ausraster, selbst jene am Rand des Amoklaufs, letztlich dankbar. Angesichts entsetzlich vieler früh saturierter Fußballer ist ein wenig Wahnsinn stets willkommen. Andererseits trug der Wahnsinn Kahns manchmal den Strampelanzug eines im Grunde etwas biederen Ehrgeizes.«

Strampelanzug ist herrlich, im gemeinen Mediendeutsch kommt bei ähnlichen Gedanken ja immer das »Hamsterrad«, »Laufband« oder dergleichen …

Angenehm auch, dass endlich mal einer die ewige Medien-Floskel vom »Kahn-Titan« ins Reich der Legende verweist: Denn diesen seinen Mythos hat Kahn, wie Krausser notiert, ja längst selbst vereitelt:

»Er lieferte in den letzten beiden Jahren einfach nur gute Arbeit ab. Und genau das ist der Punkt. Von Titanen erwartet man entweder geniale Arbeit oder den kompletten Absturz.«

Und eben weil da einer noch eine Rechnung mit dem eigenen Mythos offen hat, ist man mit Kahn genauso wenig fertig wie Krausser am Ende seines Artikels:

»Ich bin sehr gespannt, was passiert, wenn dem Menschen Kahn die Altlast des sportlichen Ehrgeizes von den Schultern gefallen sein wird. Wenn er sich als physische Maschine ein für alle Mal abhakt. Es kann gut sein, dass er dann auf ganz andere Art interessant werden wird.«

Ich hoffe doch sehr, dass Krausser im Fall der Fälle weiter informiert, und wenn’s wieder der »stern« ist …

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