In Brügge

Brügge, 2. September 2008, 18:02 | von Dique

»In Bruges« ist der beste Film des Jahres und auch des letzten und bestimmt auch des nächsten. Nun bin ich selbst in Brügge, und normalerweise wäre hier alles ganz Memling und van Eyck, doch jetzt ist hier alles »In Bruges«. So richtig Memling wird es erst wieder im Memling-Museum, ist ja nicht verwunderlich. Dort, im alten Johannishospital, steht neben einer guten Handvoll anderer Memlingwerke auch der wunderbare von ihm selbst bemalte Ursula-Schrein, welcher zu besonderen Anlässen und immer am Tag der Heiligen bei Prozessionen herumgetragen wurde.

Doch bevor ich dort sein werde, gehe ich erst mal ein bisschen durch die Stadt. Wenn ich einen iPod besitzen würde, dann würde ich jetzt das Klischee komplettieren und den fabelhaften Soundtrack von Carter Burwell auflegen. Ich habe aber gar keinen iPod.

Trotzdem geht mir das Hauptthema des Scores durch den Kopf, als ich dann vorm Belfried stehe. Es ist neun Uhr morgens, ich bin fast allein, und ich suche, wohl wissend, dass es nur ein Film war, auf dem Kopfsteinpflaster nach Blutflecken und denke an den beängstigenden deutschen Titel: »Brügge sehen … und sterben?«

Sünde und Sühne. Der entscheidende Mord vor der Verbannung der Hitmen geschieht bei der Beichte, das Opfer ist der Pfarrer selbst (ein Kurzauftritt als Opfer hat hier Ciarán Hinds, dem die Menschheit noch eine Menge Preise und Huldigungen für seine Meisterleistung als Caesar im HBO-»Rome« schuldet!). Aber neben dem Pfarrer trifft es ein zweites Opfer, einen kleinen Jungen, und was ist das für eine herzzerreißende Szene, als Ray den blutigen Zettel aufhebt, auf dem der Junge seine zu beichtenden Sünden notiert hat:

1. Being moody
2. Being bad at maths
3. Being sad

Gleich im Anschluss sieht man Ken und Ray durch das Groeninge Museum spazieren. Ray steht vor dem Gemälde von Gerard David, »König Kambyses und der Richter Sisamnes«, und da stehe ich auch gerade. Wegen Bestechlichkeit wird dem Richter Sisamnes die Haut abgezogen. In der schauerlichen Szene hat einer der Schergen bereits das Bein von Sisamnes gehäutet. Der Audioguide erklärt mir etwas zum limitierten Anatomieverständnis der flämischen Primitiven, die Venen liegen nicht direkt unter der Haut …

Um die Ecke des Groeninge, in der Liebfrauenkirche (Onthaalkerk Onze-Lieve-Vrouw), gibt es eine Madonna mit Kind von Michelangelo (ja, hier in Brügge!), und nach dem Diptychon von Gerard David tut der Anblick marmorner Schönheit sehr, sehr gut. Hier, in dieser Hochburg der nordischen Renaissance, wirkt diese italienische Leichtfüßigkeit besonders stark, ohne dass ich jetzt qualitative Vergleiche ziehen will. Michelangelo passt hier auch thematisch gut rein, ok, das war auch eine Generation nach Gerard David, aber er war ja einer der ersten Künstler, der Leichen sezierte, um den Körperaufbau genauer studieren zu können.

Ken und Ray bekommen die wunderschöne Madonna nicht zu Gesicht. Sie verweilen im Groeninge vor dem »Jüngsten Gericht« von Bosch und führen diesen Dialog:

Ken: It’s Judgment Day, you know?
Ray: No. What’s that then?
Ken: Well, it’s, you know, the final day on Earth, when mankind will be judged for the crimes they’ve committed and that.
Ray: Oh. And see who gets into heaven and who gets into hell and all that.
Ken: Yeah. And what’s the other place?
Ray: Purgatory.
Ken: Purgatory … what’s that?
Ray: Purgatory’s kind of like the in-betweeny one. You weren’t really shit, but you weren’t all that great either. Like Tottenham. (Pause.) Do you believe in all that stuff, Ken?
Ken: About Tottenham?

Auf dem Bild tummeln sich die üblichen Bosch-Gestalten, ein Reptil mit Menschkopf und langem roten Zipfelhut schaut zu, wie eine Menschengruppe einen großen Schuh in einem schwarzen Fluss zu einem Schiff umfunktioniert; in einem Fass, umringt von nackten Gestalten, scheint jemand gegart zu werden; etc. Fast einen ganzen Film lang erlebt Ray das Jüngste Gericht am eigenen Leib. Auf einem Filmset mitten in Brügge, in feinem (Brueghel’schem?) Neuschnee wird Ray erschossen, und an ihm vorbei ziehen fratzenhafte Gesichter, mit und ohne Masken, und er entdeckt seine ganz persönliche Hölle:

»And I thought, if I survive all of this, I’d go to that house, apologize to the mother there, and accept whatever punishment she chose for me. Prison, death, didn’t matter. Because at least in prison and at least in death, you know, I wouldn’t be in fuckin’ Bruges. But then, like a flash, it came to me. And I realized, fuck man, maybe that’s what hell is: the entire rest of eternity spent in fuckin’ Bruges.«

Software & Erinnerung (Teil 3)

Leipzig, 1. September 2008, 21:15 | von Paco

Das Motto lautet nach wie vor:
»Et tout d’un coup le souvenir m’est apparu.« (Proust, Combray)

Vor genau einem Jahr haben wir hier zum ersten Mal ein bisschen Versionsnummern-Lyrik präsentiert. Das damalige Preface könnte ich hier gleich noch mal reinpasten, aber der Link eingangs genügt. (Nur kurz zur Auswahl: Es wird nur die Software gelistet, die wir regelmäßig benutzen. Wir haben wirklich nichts gegen Fedora oder Red Hat, wir benutzen diese Distros nur nicht. :-)

Schon der lapidare Vergleich der vor einem Jahr aktuellen Releases mit den heute stabilen Versionen grenzt an (sagen-wir-mal:) Geschichtsschreibung. Schließlich geht es oft genug um die Propagierung dringend nötiger Sicherheitsreleases – eine Parallele zu den Erscheinungen heutiger Sicherheitspolitik. Außerdem geht es natürlich um sich änderndes Look&Feel beim Bedienen aktualisierter Software, nicht nur beim neuen Firefox oder beim neuen KDE – in der derzeitigen Sozial- und Gesellschaftsgeschichtsschreibung wird das natürlich noch ausgeblendet, hehe.

Zu jeder einzelnen Versionsnummer wäre im Prinzip ein Kommentar fällig, denn die Zählweisen der verschiedenen Projekte unterscheiden sich teilweise stark voneinander. Wann wird zum Beispiel eine ganze Nummer nach oben gesprungen? Trotz eines kompletten Engine-Rewrites ist Opera bei der Versionsbenennung nur den Schritt von 9.2 zu 9.5 gegangen, Firefox dagegen den von der 2.0 auf die 3.0.

Neben der manischen Lektüre ausufernder Software-Reviews bin ich immer wieder fasziniert über die steten Ausrufungen neuer Versionen auf heise.de, golem.de, fixmbr.de usw. Ein Highlight ist dabei immer der tausendfache Blogosphären-Schrei beim Release einer neuen WordPress-Version.

Wie auch immer, eine Ästhetik von Versionsnummern lässt immer noch auf sich warten. Solange horten wir hier mal weiter Material. (Wer sich gern mit Matthias Politycki an den Netscape Navigator 4 erinnern möchte, bitte.)

Jetzt die Übersicht, Stand 1. 9. 2008 – in Klammern die Version, die am 1. 9. 2007 aktuell war (die meisten Kommandozeilentools habe ich diesmal weggelassen):

Browser & Aufsätze:
Opera 9.52 (9.23)
Firefox 3.0.1 (2.0.0.6)
SeaMonkey 1.1.11 (1.1.4)
Netscape Navigator 9.0.0.6/eingestellt (9.0b3)
Konqueror 4.1.0 (3.5.7)
Safari 3.1.2 (525.21) (3.0.3 [522.15.5])
Amaya 10.0.1 (9.55)
Internet Explorer 8.0.6001.18241/Beta (7.0.5730.11)
Maxthon 2.1.4.238 (2.0.3.4643)

Server/Database/CMS:
Apache 2.2.9 (2.2.4)
MySQL Community Server 5.0.67 (5.0.45)
PostgreSQL 8.3.3 (8.2.4)
MediaWiki 1.13.0 (1.10.1)
osCommerce 2.2 RC 2a (2.2 RC1)
Trac 0.11.1 (0.10.4)
WordPress 2.6.1 (2.2.2)
Typo3 4.2.1 (4.1.2)
Joomla 1.5.6 (1.5 RC1)

Clients:
WinSCP 4.1.6 (4.0.3)
FileZilla 3.1.2 (3.0.0 RC3)
FireFTP 1.0.2 (0.98)
Trillian 3.1.10.0 (3.1.7.0)
mIRC 6.34 (6.3)
RapidSVN 0.9.6 (0.9.4) / Subversion 1.5.2 (1.4.2)
floAt’s Mobile Agent 2.1.4.0.R243 (»Outdated!«)

Media Players:
VLC media player 0.8.6i (0.8.6c)
Media Player Classic 6.4.9.1 rev 72 (6.4.9.0)
BSplayer 1.37 (letzte freie Version, immer noch gut)
Songbird 0.7.0 (0.2.5)
Amarok 1.4.10 (1.4.6)
foobar2000 0.9.5.5 (0.9.4.4)
Winamp 5.541 (5.35) (immer noch gut: 2.91)

Editoren/Word Processors:
OpenOffice 2.4.1 (2.2.1)
XMLmind 4.0.0 (3.6.1)
Notepad++ 5.0.3 (4.2.2)
UltraEdit 14.10 (13.10a)
Kate 3.1 (2.5.4)
XEmacs 21.4.21 (21.4.20)
joe 3.5 (immer noch)

Coding:
Perl 5.10.0 (5.8.8)
PHP 5.2.6 (5.2.4)
GCC 4.3.2 (4.2.1)
Ruby 1.9.0 (1.8.6)
Ruby on Rails 2.1.0 (1.2.3)
JDK 6 Update 7 (6 Update 2)

Gfx/Pics/Print:
Photoshop CS3 (immer noch)
GIMP 2.4.7 (2.2.17)
IrfanView 4.20 (4.00g)
Picasa 2.70 Build 37.36 (2.7.0)
ImageMagick 6.4.3-6 (6.3.5-6)
Ghostscript 8.63 (8.60)

Edu:
LingoPad 2.6 (360) (2.5.1 [325])
Google Earth 4.3.7284.3916 (4.2.0181.2634)

Distros:
Kubuntu 8.04 (7.04)
OpenSUSE 11.0 (10.2)
Slackware 12.1 (12.0)

Desktop/Command Line:
KDE 4.1.0 (3.5.7)
Beagle 0.3.8 (0.2.18)
Bash 3.2.33 (3.2.17)

The City’s Finest FAS

Antwerpen, 31. August 2008, 21:41 | von Dique

Heute in Antwerpen, und ich suche Stunden nach der FAS. Am Bahnhof gibt es keine, überhaupt scheint hier kein anständiger Zeitungsladen zu sein. Ich gehe dann Richtung Stadtmitte, zum Marktplatz, Grote Markt. Unterwegs ist auch Fehlanzeige, dabei habe ich gedacht, dass es ums Rubenshuis herum doch einen internationalen Zeitungsladen geben sollte, bei dem Andrang der hier überall herrscht.

Also gehe ich weiter bis zur Touristeninformation am Grote Markt und frage, wo man denn hier und heute internationale Presseerzeugnisse erwerben könne. Die beiden Angestellten, ich bin der einzige Kunde, stutzen erst etwas, doch dann verweisen sie mich, wenig Hoffnung machend, an eine Straße auf der anderen Seite des Marktes, und siehe da: Dort liegt, in all her glory, die FAS.

In der FAZ vom Freitag schrieb Hubert Spiegel in seinem Artikel »Das Buch, das aus dem Äther kam« über elektronische Lesegeräte. Im Besonderen stellte er den Kindle von Amazon vor, der um die 200 Bücher speichern kann. Und natürlich stellt sich die Frage, was das für das traditionelle gedruckte Buch bedeuten wird und vor allem, wie sich unser Leseverhalten im Angesicht der Volltextsuche verändert. Seit Jahren drücke ich beim Lesen von Büchern im Geiste Ctrl+F, weil ich einen bestimmten Abschnitt suche. Das wird nun Wirklichkeit.

Der Aufmacher des heutigen FAS-Feuilletons ist ein indirekter Anknüpfungspunkt, denn Johanna Adorján hat die Internationale Funkausstellung in Berlin besucht, und ich zucke erst mit den Schultern. Was geht mich die Funkausstellung an, und warum verschwenden die dafür so viel Platz in dieser Rubrik. Das ist aber ein zu schnelles und vor allem falsches Urteil. Der Text ist ein hochgradiges Lesevergnügen. Johanna Adorján kokettiert mit ihrer Unwissenheit hinsichtlich des technischen Fortschritts in Sachen Heimelektronik und Haushaltsgeräte und begibt sich durch den Wirrwarr lautloser Kühlschränke und Waschmaschinen, die automatisch erkennen, welche Flecken sie zu behandeln haben und bei denen man im Menü seine Lieblingsflecken auf Hotkeys legen kann.

Und wie der ganze Text von Spiegel endet dieser beim elektronischen Buch, hier beim E-Reader von Sony, »eine Akkuladung reicht für das Umblättern von 6800 Seiten, man kann also ›Die Wohlgesinnten‹ von Littell fünf Mal hintereinander lesen, ohne irgendeine Seite doppelt zu lesen«, heißt es im Text.

Am Ende gibt es ein Gedicht, welches genau unseren Geschmack als Freunde der Alltagspoesie trifft. Es ist die leicht modifizierte Gebrauchsanleitung des E-Readers:

Eine Seite, zu der ich zurückkehren wollte,
konnte ich mit einem Zeichen versehen
Ich drückte das Zeichen auf der ersehnten Seite
Die Leuchtdiode leuchtete auf,
und das Zeichen erschien in der rechten Ecke der Seite

Weniger amüsiert bin ich über den Snack, welchen ich während meiner Lektüre einnehme. Gleich neben dem Zeitungsladen ist diese große Frituur, FRITUUR n° 1. Ich meine mal irgendwo über diesen Laden gelesen zu haben: »the city’s finest fries«. Neben einer Portion Pommes nehme ich auch noch so einen kleinen Spieß mit Hühnchenstücken dran, so eine Art Schaschlik. Ich weiß wirklich nicht mehr, warum ich dachte, dass das irgendwie kuhl wäre, das Hühnchenfleisch ist völlig überfrittiert, und die Pommes sind einfach schlecht. Und das in Belgien!

El destino del Umblätterer

Göttingen, 30. August 2008, 16:45 | von Paco

¡¡¡Henryk M. Broder en el »Frankfurter Allgemeine«!!! En realidad sólo responde, prudente como siempre, al texto de Patrick Bahners. Pero imaginarme que él podría escribir para el »FAZ«, como redactor, me emocionó.

En el diario »Die Welt« un tal Wolfgang Schuller escribe en contra de la genial traducción que Raoul Schrott hizo de la »Ilíada« de Homero. Schrott no usa el hexámetro y, sobre todo, juega tanto con el original que no le gusta a Schuller. Sea como sea, me gusta la idea que Helena y Paris se amaran »dass die Bettpfosten wackelten«. ¡Maravilloso!

Después de terminar todos los artículos en ambos diarios decidí comprar el »Süddeutsche« en el Tonollo, el mejor negocio de diarios en toda Baja Sajonia (digamos).

Valió la pena. Jörg Häntzschel vio los primeros episodios de la segunda temporada de »Mad Men« y escribió un buen texto sobre ésta. Absolutamente es acertada su observación de los años sesenta que muestra la serie: »noch tragen die Sekretärinnen Busen wie Atomraketen, die Moskau erreichen könnten«, jaja.

El destino del Umblätterer: Como ya leí los folletines del 30 de agosto de 2008, hay que esperar hasta mañana que se publique el »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung«.

Der Mauerkaiser mit dem Bart

London, 28. August 2008, 07:06 | von Dique

· für Marcuccio ·

Brian Sewell hatte das Glück, sich die Hadrian-Ausstellung »Empire and Conflict« im Reading Room des British Museum, abgesehen von den Teppichverlegern, allein anzusehen. Den ersten Absatz seines Reviews für den Evening Standard widmete er der allgemeinen Lage des ständig neue Besucherrekorde aufstellenden British Museum:

»But when I left the domed Reading Room that is the exhibition hall inherited from the Chinese terracotta warriors, it was to descend into the mayhem maelstrom of the Great Court and have my meditative mood cut short, all reflection swept away by the heaving tide of bodies and the uproar that they make.«

Ich musste schon durch den Malstrom des Great Court, um in die Ausstellung zu gelangen. Unter dem Kuppeldach des Reading Rooms ist es kühl und dunkel und man taucht gleich ein in die Hadrianwelt und es gibt eine Menge Hadrian zu sehen. Zuallererst diesen riesigen Schädel, den man erst kürzlich irgendwo in der Türkei ausgegraben hat. Die gesamte Statue soll um die fünf Meter hoch gewesen sein. (Vielleicht ist das der missing link zur vierzehigen Monumentalstatue aus »Lost«?)

Aber zweieinhalb Stunden später dann eben wieder in diesen Malstrom, und die Stimmung ist einfach im Eimer, da muss man Sewell einfach Recht geben. Wie in jeder Ausstellung in Großbritannien endet man direkt im Shop, nicht daneben, nicht gegenüber. Man spaziert direkt auf eine lebensgroße Antinous-Statue zu, eine Replik vom Original in der Ausstellung, und man kann sie kaufen, für 15.000 GBP in Resin und für nur 10.000 GBP in Gips.

Aber bleiben wir lieber in der Ausstellung. Der architektur­begeisterte Hadrian ließ ja das Pantheon bauen, also neu bauen, nachdem der durch Marcus Agrippa errichtete Vorgängerbau um das Jahr 80 herum abgebrannt war. Freundlicherweise ließ Hadrian aber den prominenten Spruch, der auf den ursprünglichen Baumeister verweist, über dem Eingangsportal stehen:

M AGRIPPA L F COS TERTIVM FECIT

In der Ausstellung kann man die kleine Anekdote über den Hobbyarchitekten und Kuppelfreund Hadrian hören, der, bevor er Trajan als Imperator nachfolgte, dem Architekten Apollodorus einen Designverbesserungsvorschlag machte, welchen dieser mit der Bemerkung ablehnte, dass er sich besser trolle und »seine Kürbisse« male. Das Pantheon ein großer Kürbis.

Es gibt ein beeindruckendes Modell des Pantheon zu sehen (das kann man leider nicht im Museumsshop erwerben), und das steht natürlich genau unter der Kuppel des Reading Rooms, in dem die Ausstellung stattfindet. Und diese Kuppel ist ja, wie jede große Kuppel nach dem Pantheon, der Mutter aller Kuppelbauten, an eben dieses angelehnt.

Gleich daneben gibt es dann ein paar Fotos von anderen wichtigen Kuppeln zu sehen. Es ist nur eine kleine Auswahl, die Hagia Sophia und die Süleymaniye-Moschee, beide in Konstantinopel, Brunelleschis Duomo in Florenz, die Kuppel des Reading Rooms, unter welcher wir uns gerade befinden, und noch eine: die nie gebaute Kuppel für die »Halle des Volkes« für Hitlers Traumwelthauptstadt Germania.

In den Rezensionen zur Ausstellung wird Hadrian mehrheitlich als moderner Kaiser gefeiert und aktuelle Parallelen werden gezogen. Weil er sich nach seiner Machtübernahme sogleich aus dem heiß umkämpften Mesopotamien zurückzog und überhaupt wegen allgemeiner Friedensbemühungen, und das kommt natürlich immer gut, und vielleicht stand das so in dieser Richtung in den PR-Unterlagen der Veranstalter. Erfrischenderweise sieht Brian Sewells Beitrag das anders:

»These parallels may seem significant to the naïve, but they are irrelevant – Hadrian was wholly a man of his time, not ours, and any dictator we might set up as an example from our day, Hitler, Stalin, Ceausescu and the tyrants of the Middle East, is a transitory ninepin in comparison, for what Hadrian achieved politically in the two decades of his rule had lasting influence – for two centuries and more, and his architectural legacy has lived on for almost two millennia«.

Von den zahlreichen weiteren Objekten der Ausstellung beeindrucken zwei Pfauen aus Bronzeguss, welche normalerweise in den Vatikanischen Museen in Rom zu bewundern sind. Sie wurden im Castel Sant’Angelo gefunden, der Engelsburg, auf der neulich, in unserer kleinen Geschichte über den Sacco di Roma, Benvenuto Cellini Kanonen auf das spanisch-deutsche Söldnerheer abfeuerte und die ursprünglich Hadrians Mausoleum war.

Ebenfalls von ausgezeichneter Qualität ist die Büste des jungen Marcus Aurelius. Es gibt überhaupt sehr viele Büsten zu sehen. Sie sind sehr schön über die Ausstellung verteilt, mal einzeln, mal im Cluster. Gleich zu Anfang zum Beispiel gibt es eine Büstengruppe von Hadrians engstem Familienkreis, später dann, natürlich unter der Kuppel, starrt Agrippa allein von einer Säule.

Ach so, ja, eh ich das vergesse, Hadrian hatte einen Jüngling zum Geliebten, mit dem er gern Löwen jagte und der dann irgendwann im Nil unter leicht verschwommenen Umständen ertrank, und er trug Vollbart, Hadrian, nicht Antinous, unter römischen Kaisern eher unüblich, aber das hatte vielleicht mit seiner Liebe zu allem Griechischen zu tun, einige seiner Untertanen nannten ihn deshalb sogar ›Greekling‹.

In Großbritannien ist Hadrian besonders beliebt wegen seiner die Insel in der oberen Hälfte teilenden Mauer, damals erbaut zum Schutz gegen die nördlichen Inselbewohner, also eine Art antischottischer Schutzwall. Die Mauer, der Wall, war nicht lange in Betrieb, aber die Reste kann man immer noch entlangwandern, und erst kürzlich las ich von jemandem, der die Insel in neun Tagen den Wall entlang durchmessen hat. Und das ist auch mein Vorschlag zum nächstjährigen Betriebsausflug des Umblätterers.

Kurz bevor der bärtige Mauerkaiser starb, soll er folgende Worte gedichtet haben.

»Little soul, little wanderer, little charmer,
Body’s guest and companion,
To what places will you set out now?
To darkling, cold and gloomy ones –
And you won’t be making your usual jokes.«

Mit diesen Worten endeten Hadrians (physisches) Leben, die Ausstellung und dieser Text. Und ich dränge mich durch den Malstrom des Great Court und habe großen Appetit auf Kürbiscremesuppe.

Die neuen Comic Book Movies (Teil 4):
The Dark Knight

Hamburg, 26. August 2008, 14:17 | von San Andreas

(Agenda: PrologIron ManThe Incredible HulkThe Dark Knight.)

TJ: Wanna know how I got these scars? My father was … a drinker. And a fiend. And one night he goes off crazier than usual. Mommy gets the kitchen knife to defend herself. He doesn’t like that. Not. One. Bit. So, me watching, he takes the knife to her, laughing while he does it. Turns to me and he says, »Why so serious?« Comes at me with the knife, »Why so serious?« He sticks the blade in my mouth. »Let’s put a smile on that face!« And …

Ein Flattern geht durchs Land. Millionen hatten seiner Ankunft geharrt. Nun verdunkeln seine nächtlichen Farben landesweit die Leinwände. Sein düsteres Antlitz infiltriert die Feuilletons. Der Rest der Welt feiert ihn seit Wochen, nun ist es auch hier so weit. Der neue Batman. Er ist da.

Und heißt nicht einmal so. Es ist der erste Film der nun siebenteiligen Serie, der den Namen seines Helden nicht im Titel trägt. Selbst Deutschland, das Land der Spaghetti-Titel, beließ es beim schlichten »The Dark Knight«. Eine Chance für breite Bevölkerungsschichten, endlich zu lernen, wie ein führendes ›K‹ im Englischen ausgesprochen wird.

À propos stumm. Kaum zu vernehmen sind negative Stimmen im Blätterwald. Überaus selten nutzt ein Kritiker die Chance, sich zu profilieren. Zu mächtig der Ruf, der dem Film vorauseilt. Zu wenig Angriffspunkte aber auch, an denen sich ein missgelaunter Rezensent würde hochziehen können. Angesichts der klar zutage tretenden Meisterschaft des Films in vielen Bereichen erscheinen seine Schwächen schlicht nicht erwähnenswert.

Ein Ereignis, heißt es stattdessen allerorten, ein fulminantes, Rekorde brechendes Meisterwerk von Film, das Genregrenzen sprengt und all jene, die meinten, Qualität und Kommerz wären sich spinnefeind, eines besseren belehrt. »The Dark Knight« wurde im Handstreich nicht nur zum besten Film der Serie erklärt, sondern auch zum besten Comic Book Movie überhaupt (»Spider-Man 2« entthronend), sowie freilich zum bislang besten Film des Jahres. Er brach sämtliche Kassenrekorde und wurde der erste Film, der binnen zwei Tagen die IMDB-Bestenliste anführte. In Wiesbaden erhielt er postwendend das Prädikat ›Besonders Wertvoll‹, und die Anzahl an Preisen, die der dunkle Ritter noch einheimsen wird, wagt man sich gar nicht vorzustellen.

Vorzustellen gewagt haben es sich bestimmt auch Bob Kane und Bill Finger nicht, welch monumentalen Erfolg ihr Superheld 70 Jahre nach seiner Geburt haben würde (beide leben leider nicht mehr). Sie erschufen ihn im Kielwasser des Erfolgs der Figur Superman, bemühten allerdings im Gegensatz zu den Vätern des fliegenden Stretchkostüms keine übernatürliche Talente, sondern gründeten die Stärke des Fledermannes allein auf sein riesiges Vermögen, seine antikriminellen Ideale sowie allerlei ausgefuchste Gerätschaften.

DIE FILME 1966–2005

Das Fernsehen verarbeitete die Comics in mehreren Serien, bis unser Held im Jahr 1966 das erste Mal auf die große Leinwand segelte. Bunt und billig kam er daher, war mehr Kitsch als Klasse, entsprach ganz dem populären Comic-Zeitgeist. Trotzdem der Film einigermaßen erfolgreich war, sollte Batman bis 1989 das Pantoffelkino nicht mehr verlassen dürfen. In diesem Jahr entschloss sich nämlich Tim Burton, dem Batman-Universum seinen charakteristischen Stempel aufzudrücken.

Die 7 Batman-Filme (Grafik)
Die 7 Batman-Filme: Einspielergebnisse (Box Office Mojo),
Userwertungen (IMDb), Tenor der Kritik (Rotten Tomatoes)

Der sinnfällig betitelte »Batman« wurde ein phänomenaler Erfolg (bis vor wenigen Tagen immer noch der einträglichste Film von DC-Comics), 60 Millionen allein wirtschaftete Jack Nicholson in seine Tasche. Aber nicht alle waren begeistert – aufmerksamen Fans entging nicht Burtons laxer Umgang mit der Legende. So wird im Film der Joker zum Mörder von Bruce Waynes Eltern erklärt, während es im Comic ein Kleinkrimineller namens Joe Chill gewesen war. Künstlerische Freiheiten sind gewiss akzeptabel, gerade wenn sie im Dienste einer adäquaten Film-Dramaturgie stehen, aber eine Um-Erzählung der Ursprünge von Batmans Mission fand in den Augen vieler Liebhaber keine Gnade.

Das Sequel »Batman Returns« (1992, ebenfalls von Burton) war noch einen Zacken düsterer, was viele Kritiker als Verbesserung werteten. Batman-Kenner hingegen zeigten sich abermals enttäuscht: Ihr Held würde doch niemals im Vorbeigehen Mitglieder der Pinguin-Bande über den Jordan schicken! Seine Ideale ließen das nicht zu; er würde damit selbst zum Kriminellen werden.

Drei Jahre später brachte Joel Schumacher mit »Batman Forever« einen Stilwechsel in die Reihe. Es wurde wieder bunter in Gotham City, und wir treffen Robin und Two-Face. An letzterem aber entzündete sich erneut der Groll pingeliger Fans: Der bedingungslose Glaube des zwiegespaltenen Charakters an das Element Schicksal und dessen Eigenart, seine Handlungen von einem Münzwurf abhängig zu machen, werden in einer Szene empfindlich kompromittiert. Er wirft die Münze einfach mehrmals, bis er das gewünschte Ergebnis erhält. Undenkbar!

Essig war es mit der Glaubwürdigkeit des Regisseurs, aber der beglückte 1997 die Filmwelt nichtsdestoweniger mit noch einem Batman-Abenteuer. Trotz geballter Starpower (Clooney, Schwarzenegger, Thurman) fiel »Batman & Robin« bei Kritik und Publikum in Bausch und Bogen durch. Der ganze Film war lachhaft. Batman hatte erst einmal ausgeflattert.

Hinter den Kulissen aber versuchte Warner, den immer noch lukrativ erscheinenden Superhelden am Leben zu erhalten. Regisseure wie Andrew Davis, Wolfgang Petersen, Darren Aronofsky und die Wachowski-Brüder werkelten abwechselnd an unterschiedlichsten Bat-Konzepten, keines bekam grünes Licht, bis, ja bis –

– vor drei Jahren dann etwas Wunderbares geschah. Christopher Nolan, der die Intelligenz des Publikums noch nie unterschätzt hatte, nahm sich des Stoffes an, goss mit »Batman Begins« das Fundament einer modernen Mythologie und machte dabei alles richtig: Die Waynes kommen durch die Hand Joe Chills ums Leben, was die Wandlung ihres Sprosses zum Dunklen Rächer in Gang setzt. Inspiriert von den Graphic Novels »The Long Halloween« und »Dark Victory« (in Details auch von Frank Millers »Year One«) entwarf der Film eine durch und durch zufrieden stellende ›origin story‹.

THE DARK KNIGHT

War diese erst einmal etabliert, konnte Nolan noch einen draufsetzen: »The Dark Knight« erzählt keine Variante des Konflikts, den unser Held als erste Prüfung in »Batman Begins« durchstehen musste. Das wäre TV-Serien-Niveau. Stattdessen erhöht er den Einsatz beträchtlich, setzt er seinen Helden in Zugzwang, die Macht, die er sich im ersten Film mühsam hat erkämpfen müssen, verantwortungsvoll einzusetzen und bis aufs Blut zu verteidigen gegen einen Antagonisten, der die Essenz von Batmans Mission auf die härtesten vorstellbaren Proben stellt.

Nolan erweitert die dramaturgische Bandbreite von einer persönlichen, nahezu subjektiven Perspektive auf eine stadtumspannende, epische Geschichte des Verbrechens. Neue Charaktere füllen diese Landschaft, nur überfrachten sie bei Nolan das Geschehen nicht als austauschbare Stichwortgeber (vgl. »Spider-Man 3«), sondern faszinieren jeder für sich als genuine Figuren mit plastischer, glaubhafter Zeichnung.

Schon seit Burton war die Balance der Aufmerksamkeit, die ein Batman-Film seinem Protagonisten widmete, und der, die er dessen jeweiligen Gegenspielern schenkte, am Kippeln gewesen. Es ist eine Leistung, in einer ruhelosen, zweieinhalbstündigen Geschichte, die von Schauplatz zu Schauplatz eilt, eine charakterliche Ausgewogenheit zu erzielen, ohne auch nur eine einzige Figur entgegen ihres Wesens zu verbiegen. Sowohl der Joker als auch Two-Face finden in »The Dark Knight« zu ihrer definitiven Form.

Doch die Versöhnung mit der Fangemeinde greift als Erklärung für den immensen Erfolg des neuen Kino-Batmans viel zu kurz. Mit seinem ernsthaften, zugleich leidenschaftlichen Ansatz, der sich weg von einer überzeichneten Fantasiewelt, hin zu einer realistischen Dystopie wendet, macht Nolan die Serie auch kompatibel mit den Ansprüchen derer, die eines sinnentleerten Blockbusterkinos überdrüssig waren.

Man muss kein Comic-Enthusiast sein, um sich in Nolans Batman-Welt zurechtfinden zu können. Nicht einmal die Bekanntschaft mit dem schwarz Gewandeten und seinen Marotten ist unbedingt notwendig. Nolan eliminiert in einem mutigen Manöver den fantastischen Überbau, den seltsamen Comic-Schutzmantel, der dem Geschehen üblicherweise Narrenfreiheit garantierte, gleichzeitig den Zuschauer aber auch auf Distanz hielt. Im Falle von »The Dark Knight« bleibt die manierierte Grummelstimme des dunklen Ritters vielleicht das einzige Hindernis für abgeklärte Geister.

Im Zuge dieses Beinahe-Realismus entfällt ein Zwischenschritt, der immer auf ein Stück Wohlwollen seitens des Publikums angewiesen war, es mithin auf jene Zeitgenossen einschränkte, die den Eigenarten der Comic-Kultur zugetan waren. Nun liegt der Weg frei zu echten Charakteren, und sie alle halten den Aufprall aus. Auf der Folie einer scheinbar simplen Verbrecherstory (Bösewicht mischt Stadt auf) muss sich jede Figur moralisch positionieren, und in einem explosiven Umfeld krimineller Willkür gerät dies zu einem haarsträubenden Drama.

Das Skript der Gebrüder Nolan verdichtet die Handlung zu Situationen schmerzhafter Unausweichlichkeit, deren Spannung niemals zum Selbstzweck verkommt. An diesen neuralgischen Punkten hat das Gewissen der verschiedenen Lager unter der Drangsal einer gewissenlosen Tyrannei einen Feuerprobe zu bestehen – entweder man wächst daran oder man zerbricht.

Viel ist darüber geschrieben worden, welche realen politischen Dimensionen sich wohl in diesen Strukturen widerspiegeln. Der Joker stünde für den Al-Qaida-Terror, Batman für die USA als selbsternannte Weltpolizei, Harvey Dent für die UNO als Instanz der Vernunft. Dass die Autoren die Intentionalität dieser Bezüge leugnen, ist so erwartbar wie unerheblich: Die Weltbilder von Machern fließen ebenso unweigerlich in ihre Werke ein, wie Rezipienten die ihrigen auf sie projizieren.

Dass »The Dark Knight« derlei Deutungsversuche unbeschadet übersteht, spricht für seine unerschütterliche Integrität (ein Film wie »300« scheitert hier). Wohl aber kaum als politische Parabel konzipiert, funktioniert der Film am ehesten als Charakterstudie zweier getriebener Seelen. Batman und der Joker, beide belastet durch schwere adoleszente Traumata, dazu verdammt, gegensätzlichen Zielen zuzustreben: der eine dem rechtschaffenen Frieden, der andere der chaotischen Anarchie. Wie die Pole eines Magneten könnten sie verschiedener nicht sein, und doch ziehen sie sich an, komplettieren sie sich, bedürfen sie einander, um sich zu definieren.

Dieses perfide Verhältnis beutet Nolans Dramaturgie weidlich aus, und das mit einer Präzision, die dem Regie-Kalkül eines Michael Mann zur Ehre gereicht. Das dichte Netz moralischer Fallstricke geht dabei eine erstaunliche Allianz ein mit der monumentalen, überbordenden Action des Films, der keine Sekunde verleugnet, ein Blockbuster zu sein. Gleichwohl hält er sich mit Humor zurück, und seine Schauplätze orientieren sich eher am heruntergekommenen, düsteren Flair eines »Blade Runner«.

Das Rezept funktioniert, es trifft den Nerv der Zeit. Das ureigen amerikanische Pathos hat ausgedient (»Superman Returns« ging nicht umsonst baden), der prototypische Held ist toterzählt, das Kino der Stunde dient nicht als rosa Brille, sondern als Spiegel der doch so komplizierten Welt. So wohlmeinend unser Protagonist auch ist, er steht außerhalb der Gesellschaft, lebt nicht nach deren Regeln und erfüllt mit seinem Handeln den Tatbestand der Selbstjustiz. Eine Gesellschaft, die etwas auf sich hält, muss dies ahnden.

Diese Konsequenz zeigt abermals, dass, obwohl der narrative Rahmen reine Fiktion darstellt, die sich darin entspinnenden Konflikte bar jeder poetischen Autonomie verhandelt werden: Hier regiert auf beinahe qualvoll prosaische Weise das fehlerbehaftete menschliche Naturell. Batman ist in unserer Welt angekommen, und doch ist er es nicht. Er bleibt eine geplagte und gejagte Existenz, so bewunderns- wie bedauernswert.

JG: … and so we’ll hunt him, because he can take it. Because he’s not a hero. He’s a silent guardian, a watchful protector … a dark knight.

Kaffeehaus des Monats (Teil 39)

sine loco, 24. August 2008, 19:45 | von Millek

Wenn du mal richtig Zeitung lesen willst:

Helsinki, Wayne's Coffee

Helsinki
Das Wayne’s Coffee auf dem Bulevardi.

(Das schnellste WLAN der Stadt, tatsächlich nur in dieser einen Filiale
der eigentlich gar nicht so unschrecklichen schwedischen Chain.
Und auch nur hier kommt so alle 2 Stunden dieser eine lustige
Kellner rausgeschossen und schreit: »No porn, please!« Die
Neulinge klicken dann ertappt auf ihrem Touchpad herum, bis der
Spaßvogel sagt: »Just kidding.« So geht das jetzt schon Wochen.)

Die neuen Comic Book Movies (Teil 3):
The Incredible Hulk

Hamburg, 22. August 2008, 14:10 | von San Andreas

(Agenda: PrologIron ManThe Incredible HulkThe Dark Knight.)

EB: You’ve seen what he becomes, right?
SS: I have … and it’s beautiful, godlike.
EB: I want that. I need that. Give me that.
SS: I don’t know what you’ve got in you already … the mix could be an abomination.

»Achtung! Gekürzte Fassung!« stand in großen Lettern im Kinoprogramm. Nicht gerade ein intelligenter Werbeschachzug, dachte man. Aber so gaben die Kinos den Protest ihrer Kunden an den Verleih weiter; nach den Vorstellungen hatte es nämlich Beschwerden gehagelt ob der Schnitte, die der Film in Deutschland für eine geschäftsträchtigere Altersfreigabe hinnehmen musste.

Ist es wieder so weit? Wird Kunst hierzulande verstümmelt und zensiert? Jugendschutz ist OK, aber hier wird geschnitten nicht im Namen der Moral, sondern der Penunse. Und das prangern wir an. Besonders, wenn es so stümperhaft geschieht wie in diesem Fall. Offenbar durfte der fahrige Pförtner mit dem Buttermesser den Endkampf entschärfen – ein Sakrileg sondergleichen. Auf die Proteste hin erhielten 25 Kinos in Deutschland die Gnade der ungeschnittenen Version – eins davon ganz bestimmt in Ihrer Nähe!

Zum Film. Alle wissen, dies ist der zweite Anlauf des grünen Nervenbündels. Dass die Produktion so tat, als hätte es Ang Lees Version von 2003 gar nicht gegeben, verlieh dem Ganzen einen merkwürdigen Beigeschmack, aber das Kaliber der Produktion sowie des Personals ließ dann doch die Vorfreude wachsen. Gerade in dieser Sparte können verschiedene Herangehensweisen an ein und dasselbe Thema ganz erhellend und unterhaltsam sein.

»Iron Man« hatte gerade den Reigen der Sommer-Blockbuster eröffnet und dem Superhelden-Metier zu einem neuen, aufregenden Spin verholfen. Gerne hätte man angesichts der neuen Hulk-Verwurstung gesagt: »Dasselbe in grün!« Aber man muss konstatieren: nicht ganz. Louis Leterriers Film steht auf eigenen Beinen, ist gut gemacht und unterhält bisweilen ganz prächtig, wächst jedoch nicht in demselben Maße über sich hinaus wie sein Protagonist.

Das mag an der Beschaffenheit des Helden liegen. Super an ihm sind – wenn in erregtem Zustand – lediglich seine unbändige Kraft und seine rasende Wut. Von einem um sich schlagenden Muskelpaket aber ist rationales Denken nicht mehr zu erwarten, das Ding ist nicht mehr Herr seiner selbst. Ang Lee hatte seinem Hulk noch ein Quäntchen mehr Selbstbewusstsein bewahrt, sodass das immer interessante Jekyll-und-Hyde-Thema ein wenig ausgelotet werden konnte.

Edward Norton aber kann nur bibbernd auf seinen Pulsmesser starren, wenn es mal wieder heiß hergeht, und auf den nächsten Ausbruch warten. Und wenn dann sein Schwellkörper die Trikotagen sprengt, gibt es kein Halten mehr; das Grraarrgh! des Monsters schickt die Hirnzellen des Publikums für die nächsten paar Minuten auf Standby. Es gibt mächtig was auf die Augen in »The Incredible Hulk«, und ja, es macht Spaß, auch wenn der Spaß austauschbar ist (originell ist allenfalls die Sequenz auf dem Uni-Kampus).

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Die neuen Comic Book Movies (Teil 2):
Iron Man

Hamburg, 21. August 2008, 07:30 | von San Andreas

(Agenda: PrologIron ManThe Incredible HulkThe Dark Knight.)

TS: What are you trying to get rid of me for? You got plans?
PP: As a matter of fact, I do.
TS: I don’t like it when you have plans.
PP: I’m allowed to have plans on my birthday.
TS: It’s your birthday?
PP: Yes.
TS: I knew that. Already?
PP: Yeah, isn’t that strange? It’s the same day as last year …
TS: Well, get yourself something nice from me.
PP: I already did.
TS: Yeah? Nice?
PP: Oh, it’s very nice, yes … very tasteful. Thank you, Mr. Stark.
TS: You’re welcome, Ms. Potts.

Iron Man? Als die Ankündigung des neuen Marvel-Films die Filmwelt erreichte, zuckte man mit den Schultern. Noch ein Superheld, noch dazu einer aus der B-Liga? Die Flaggschiffe der legendären Comic-Schmiede sind schließlich Spider-Man, der unglaubliche Hulk und die wackeren X-Men. Alle erfreuen sich in Sequels und Spin-Offs bester Gesundheit, und die Konkurrenz schiebt mit Super-, Bat- und Spider-Man ebenfalls unablässig neue Superhelden-Abenteuer ins Kino. Jetzt also noch dieser Eisenmann.

Damals ahnte noch niemand, dass der Film ein einziger Glücksfall werden würde, ein frischer Wind in Blockbuster-Gefilden, der selbst die zynischsten Kritiker reihenweise zu spitzen Schreien des Entzückens veranlassen würde: »Marvel-ous!« Sogar Roger Ebert würde sich die Höchstwertung abringen, und das will was heißen.

Wie hat es also dazu kommen können? Die Figur des Iron Man ist schließlich über 40 Jahre alt, aus welchem Grund würde sie 2008 die Leinwände im Sturm erobern? Weil sie sich wie kaum eine andere für ein Update eignet. Hatte Tony Stark im Comic seinerzeit einschneidende Erlebnisse in Vietnam, geschehen diese heute während einer Waffenvorführung im Hinterland Afghanistans.

Tony Stark ist Waffenproduzent und Genie, muss man wissen, ein Windhund, ein Titan, und ein Playboy dazu. Wer ›Howard Hughes‹ denkt, hat Recht: dessen industrielle wie gesellschaftliche Ausnahmestellung hatten Stan Lee und Larry Lieber im Sinn, als sie die Figur erfanden. Welch Klasse hat dann der Moment im Film, als der Kriegsprofiteur inmitten des detonationsreichen Überfalls auf das Label der sich bereits aufblähenden Granate vor seiner Nase starrt und lesen muss: Stark Industries. Und dann: Ka-Boom!

Die Verletzung reicht tief, ja sie bedroht – bezeichnenderweise – sein Herz, und setzt einen Prozess des Umdenkens in Gang. Vom Waffennarr zum Samariter, das klingt konstruiert, aber schließlich befinden wir uns in einem Comic Book Movie, und das Element ›Moral‹ ist hier durchaus eine Größe, über die andere Helden nicht in die Verlegenheit kommen nachzudenken. Natürlich wird Tony Stark den Teufel tun und den Terroristen, die ihn festhalten, ihre Superwaffe bauen. Stattdessen schmiedet er sich in dieser Höhle ein beeindruckendes, stählernes Exoskelett und marschiert, unverwundbar wie ein überdimensionierter Robocop, in die Freiheit.

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Die neuen Comic Book Movies (Teil 1/Prolog):
Super Helden für alle

Hamburg, 20. August 2008, 07:05 | von San Andreas

(Agenda: PrologIron ManThe Incredible HulkThe Dark Knight.)

Zing! Crunch! Kawoom! Nach Hochkultur klingt das nicht. Obwohl. Feuilletonisten werden nicht müde, soziale Metaphern, politische Bezüge und gesellschaftliche Kritik aus dem brodelnden Genre herauszulesen, das uns neben den bunten Superhelden-Klassikern auch unvermutete Kandidaten wie »A History of Violence« oder »Road to Perdition« beschert hat.

Aber grüne Kraftklopse und Spinnenmenschen, dunkle Rächer mit Cape und Maske, die durch die Gegend flattern und die Welt retten? Kaum die erste Wahl für Kinogänger, deren Vorstellung eines Helden bei Oskar Schindler aufhört und die fliegende Menschen nur in Form ostasiatischer Martial-Arts-Kämpfer klaglos hinnehmen.

Letztere ließ Kunstkino-Ikone Ang Lee einst die Gravitation verleugnen (»Crouching Tiger, Hidden Dragon«), doch fand sich der Regisseur vor fünf Jahren ebenso bereit, ganz unvoreingenommen dem Unglaublichen Hulk zu seinem Bogenlampen-Sprung auf die große Leinwand zu verhelfen.

Der Film war kein Flop, gilt aber beileibe nicht als Erfolg, vor allem da er den Erwartungen der eigentlichen Zielgruppe völlig zuwiderlief. Zehn Minuten Selbstfindungs-Dialog im Dunkeln zwischen Dr. Banner und einem schlimm frisierten Nick Nolte? Das irritierte den Comicfan, das war zu viel Blah, zu wenig Peng. Und Liebhabern distinguierten Kopfkinos blieb der Film verborgen, weil Superhelden, Gott bewahre, in ihrer Welt einfach nicht stattfinden.

Sollten sie aber. Lees zerebraler Entwurf zeigte nämlich vor allem eins: dass der Comicfilm tatsächlich jene profunden Dinge in petto hat, die Essayisten und Kulturphilosophen in das Phänomen hineinanalysieren – nur können sie sich bereits im Film manifestieren, nicht erst in der Nachbereitung.

Die fantastischen Prämissen, die den Geschichten der verschiedenen Comic-Universen zugrunde liegen (Superkräfte aufgrund eines Spinnenbisses, einer außerirdischen Heimat, eines besonderen Gencodes, kosmischer Strahlung, eines Gammastrahlen-Experiments …), mögen mitunter infantil und schablonenhaft erscheinen, motivieren aber gleich eines MacGuffin lediglich das Geschehen, machen das Genre ebenso zum Verhandlungsort menschlicher Befindlichkeiten, wie es etwa die Prämissen der Science Fiction oder der Fantasy tun.

Die besten Werke jeder Sparte benutzen Genre-Schablonen nur als Behelf, um Abgründe der Existenz zu erforschen, in die ›herkömmliche‹ Dramen nur schwer vordringen können. Denn diese besitzen in punkto Prämissen kaum Freiheitsgrade, hängen mit ihnen gleichsam in der schnöden Realität fest und kommen damit nur so und so weit. Der Comic postuliert einfach Superkräfte und erschließt sich damit im Handstreich einen Reigen elementarer Bezüge und Bedeutungen, die dann so fantastisch gar nicht mehr sind.

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