Archiv des Themenkreises ›Kunstkunst‹


William Blake im Petit Palais

Paris, 17. Juni 2009, 00:48 | von Paco

Blake, The Ancient of Days, 1794 (Quelle: Wikimedia Commons)Heute morgen bei Eric Kayser am Anfang der Rue Monge (wird hier auch bald zum Kaffeehaus des Monats gekürt), und dabei lese ich in »Libération«, dass die William-Blake-Ausstellung im Petit Palais nur noch 10 Tage vorgehalten wird. Das ist aber nicht nur irgendein kurzer Hinweis, nein, zu diesem Countdown gibt es einen echten, vollwertigen Feuilleton-Artikel (»William Blake l’enluminé«, S. 31). So eine Rezension hat es in »Libé« zwar auch schon Ende April gegeben. Aber vielleicht wollte der Autor des heutigen Textes, Philippe Lançon, einfach noch einen Blake-Artikel loswerden, den er eh auf Halde hatte.

Hat sich jedenfalls gelohnt, der Artikel ist ziemlich gut und wurde virtuos aus dem feuilletonistischen Referenzbaukasten bestückt. In den drei Spalten finden sich Nennungen von: Milton, Borges, Dickens, Michelangelo, Watteau, der deutschen Romantik insgesamt, Coleridge, Robert Walser, García Márquez.

Dank der Ermahnung vonseiten der Zeitung dann zur Mittagszeit vor Ort. In einem der Begleittexte an den Eckpfeilern des Parcours wird noch mal daran erinnert, dass die Ausstellungen zu Lebzeiten des Popromantikers Blake nur schlecht besucht waren. 1809 gab es eine im Haus seines Bruders, es kamen 6 Leute. Den Beruf ›verkanntes Genie‹ hat Blake als guter Romantiker natürlich selbst mit gewählt, zu sehen etwa anhand eines Bulletins vom 15. Mai 1809, das er mit dem weinerlichen Milton-Zitat versieht: »Fit Audience find tho‘ few«.

An den Ausstellungswänden hängen die immer wieder ansehnlichen Klassiker (»The Tyger«, »The Ancient of Days«, »Europe, supported by Africa and America« usw.) und noch ein paar andere Sachen. Und es gibt viele kleinteilige Blake-Lyrics zu entziffern, was entfernt an die Lektüre von Robert Walsers Original-Mikrogrammen erinnert, in diese Richtung zielte jedenfalls auch die oben erwähnte Walser-Anspielung in »Libé«.

Und nun, ihr alle, auf zu William Blake, der ist da jetzt nur noch 9 Tage.

 
Bildquelle: Wikimedia Commons.


Der grooooße John Flaxman

London, 7. Juni 2009, 10:05 | von Dique

Die Flaxman-Ausstellung hatte ich ja schon erwähnt, und im Kunst­BlogBuch gab es auch gerade eine schöne Kritik mit einigen Erinnerungsfotos vom Ausstellungsraum.

Die Schar der Flaxman-Bewunderer scheint mir sehr klein zu sein, selbst Bekannte mit kunsthistorischem Hintergrund schenken mir ein eher mitleidiges Lächeln, wenn ich von den Umrisszeichnungen, Reliefs und Wedgwood-Designs von John Flaxman schwärme, als gäbe es kein Morgen.

Der GROOOOSSE Flaxman war sogar mal der Running Gag eines Freun­des, mit dem ich ein Wochenende lang in der Stadt unterwegs war. Deshalb freute ich mich dann auch diebisch, als weder die Felsgrot­tenmadonna (wird restauriert) noch das »Supper at Emmaus« (war verliehen) während seines Besuches in der National Gallery zu sehen waren. Ätsch!

Die erste Flaxman-Ausstellung sah ich 2003 im Sir John Soane’s House in London. Hier waren es die Umriss­zeichnungen (outline drawings), die mich sehr beeindruckten. Diese klaren und weichen Umrisslinien, auf weißem Grund, dezent gerahmt, klassizistischer Minimalismus. Die Feinheit der Linie fasziniert mich auch immer wieder an den Zeichnun­gen von Ingres, aber das ist ein anderes Kapitel.

In der Ausstellung im Soane’s gab es außerdem ein Gipsmodell des Schildes von Achilles zu sehen, welches so extraordinary wirkte, eben weil es noch nicht gegossen war, es noch nicht metallen glänzte, sich also die Konturen, die Figuren des reichlich berelieften Schildes um­risshaft in der weißen, beschliffenen Oberfläche abzeichneten. Es stellte sich ebenso reduziert und minimalistisch dar wie seine Umriss­zeichnungen, mit welchen er Dante (Göttliche Komödie) und Homer (Odyssee) illustrierte.

Flaxman: Ulysse descend aux enfers, par les conseils de Circé ; pour y consulter l'ombre de Tyrésias
« Ulysse descend aux enfers, par les conseils de Circé ;    
pour y consulter l’ombre de Tyrésias »    

Wenn man Glück hat, findet man sogar mal eine schöne Ausgabe im Antiquariat und begibt sich bei der Lektüre (oder einfach nur beim An­sehen) automatisch in beste Gesellschaft. Denn wie ich erst kürzlich las, lernte Anselm Feuerbach in seiner Kindheit die homerische Welt anhand von Flaxman-Illustrationen kennen.

Feuerbach werde ich hier demnächst mal mit Lawrence Alma-Tadema vergleichen, aber erst wenn endlich die große Coen-Brothers-Werk­monografie von San Andreas gelaufen ist, zum ersten Mal angekündigt im November letzten Jahres! Quousque tandem, San Andi, abutere patientia nostra!

(Bildquelle: Wikimedia Commons)


Das Kleiderproblem

London, 28. Mai 2009, 13:56 | von Dique

»Auch zur Polizei hatte Irrsigler ja nur gehen wollen, weil ihm mit dem Beruf als Polizist das Kleiderproblem als gelöst erschien.«

Einen Uniformberuf wählen, um das Kleiderproblem zu lösen, was für ein Ansatz! Irrsigler ist eine Figur aus »Alte Meister« von Thomas Bern­hard, ein Museumswärter im Wiener KHM. Diese Art livrierter Mitarbei­ter ist überhaupt spannend (also natürlich völlig unspannend), jetzt mal ganz allgemein, diese Leute, die da den lieben langen Tag neben diesen Bildern stehen, auf Stühlen neben Türen sitzen oder langsam durch ein paar Museumsräume schleichen.

Manche wissen dann auch ganz gut über die hauseigene Sammlung Bescheid. Nach all den Jahren haben sie sich einen Wissensschatz angeeignet, immer wieder Führungen gesehen, Diskussionen haus­eigener Experten vor den Bildern vielleicht auch, vielleicht auch ein bisschen selbst etwas angelesen, sie besitzen aber normalerweise keinerlei Referenzwissen.

Mir passierte das neulich im Hampton Court. Der Wärter, der eben noch eine tolle Story über eines der Bilder erzählte – er kam ungefragt, nachdem er uns sehr lange vor einem bestimmten Bild stehen sah –, hatte überhaupt keine Peilung von ähnlichen Bildern aus der National Gallery zum Beispiel, obwohl das so offensichtlich war, besonders nachdem er derart passioniert über jenes eine Bild im Hampton Court gesprochen hatte.

Bei dem Bild handelt es sich übrigens um das Vollportrait einer jungen, wohl schwangeren Frau. Man geht mittlerweile davon aus, dass es sich um Elisabeth I. handelt, welche zu dieser Zeit gerade unehelich schwanger war, und der Sohn sei kein anderer als Francis Bacon. Das Bild ist ein Schlossdachbodenfund, es schlummerte dort quasi Jahr­hunderte und es gibt dazu keinerlei Dokumentation, but that’s a different story.

Die Figur des Irrsigler ist jedenfalls ein sehr gutes Abbild dieses zu­meist im älteren Semester befindlichen uniformierten Museumsperso­nals. Tja, und wir haben in unseren Jobs oder Funktionen immer noch das Kleiderproblem, so geil, das Kleiderproblem.


Lazarillo, Hoffmann, ZERN, Gemäldegalerie, Bode

London, 11. Mai 2009, 21:48 | von Dique

Neulich kurz in Berlin gewesen, dort auf dem Flohmarkt endlich mal den Lazarillo von Tormes gekauft, welchen mir Paco immer wieder ans Herz gelegt hatte. Ich las ihn gleich auf der nächsten Kaffeehausbank in einem Zug, und er hat mir natürlich bestens gefallen.

Danach gleich noch von Hoffmann den »Meister Martin der Küfner und seine Gesellen« (was soll man auch sonst in Berlin machen?), auch sehr fein und die von uns neulich begonnene Liste der besten 100-Seiten-Bücher wächst. Wenn wir 100 beisammen haben, geben wir einen entsprechenden Kanon heraus. Goldschnitt, Lesebändchen, säurefreies Papier, gedruckt bei Alfred A. Knopf.

Dann zur Eröffnung in die ZERN Gallery, obwohl ich kaum noch was erkennen konnte, nach all der Leserei. Dort war auch Ingo Niermann, und ich erzählte ihm von der hier berichteten Drill/Vril-Verwechslung, er freute sich aber mehr über die Erinnerung an den Auftritt von Gilbert & George (ebenda). Gesa Johanna Roskamp erinnerte mich an Pontormo und das wurde mit Wohlwollen quittiert.

Am nächsten Tag in der Gemäldegalerie zur Rogier-van-der-Weyden-Ausstellung, danach die italienische Reproduktionsgrafik von Mantegna bis Caracci. »Gibt es zu der Ausstellung einen Katalog?« »Nein.« »Mist.«

Dann noch schnell ins Bode-Museum, um das Flaxman-Relief anzuschauen, ultraklein für die Größe, mit der es überall in diesem Berlin beworben wird, aber trotzdem sehr schön. Wobei das Schönste im Bode immer noch diese wunderschöne Dorothea-Terrakottafigur von Andrea della Robbia ist.

Diese altarmäßige Präsentation und diese schöne Figur, welche durch das Material so weich wirkt, sieht fast aus wie Holz und ist mal eine angenehme Abwechslung zu den sonst meist weiß-blauen glasierten Reliefs des della-Robbia-Clans.

Usw.


Curb Your Michelangelo

London, 24. April 2009, 08:00 | von Dique

Das »Jen Cafe« kann nur dem Namen nach Kaffeehaus des Monats werden, es gibt jedenfalls keinen Kaffee. Es ist eine kleine chinesische Snackbar und hat sehr gute Beijing Dumplings. Dort sitze ich und lese eines dieser weißen Phaidon-Bücher, über Michelangelo, und neben mir sitzt ein amerikanisches Pärchen.

Ob ich denn wisse, dass Michelangelo auch Gedichte geschrieben habe, fragt mich der Mann, als er sieht, was ich lese. Später sagt er noch, dass er immer, wenn er in London ist, auf ein paar Dumplings ins Jen Cafe gehe, schon seit Jahren. Und noch später unterhalten wir uns kurz über »Curb Your Enthusiasm«, weil irgendetwas »Curb« war, ich habe nur vergessen, was. Ich rede sehr gern mit Amerikanern, weil wirklich alle Seinfeld kennen und zumeist auch »Curb Your Enthusiasm«. Mit Detailkenntnis, da muss man nichts erklären.

»Michelangelo, Bildhauer in Rom«, so unterschrieb er häufig seine Korrespondenz. Außerdem schrieb er Sonette, und manchmal war er ein Spaßvogel. Die kleine rororo-Bio (die ältere von Heinrich Koch, nicht die neuere von Daniel Kupper) bringt folgenden Auszug aus einem Brief an seinen Vater. Michelangelo ist in Bologna, wo die Pest tobt, und anscheinend hat ihm der Vater vorher brieflich einige altkluge Belehrungen über die Krankheit zukommen lassen, woraufhin er jetzt antwortet:

»Du schreibst mir von einem gewissen Arzt, Deinem Freund, der Dir gesagt hat, daß die Pest eine böse Krankheit und tödlich sei. Es ist mir wertvoll, das zu erfahren; denn hier grassiert sie stark, und diese Bologneser sind noch nicht dahinter gekommen, daß man daran sterben kann. Deshalb wäre es gut, wenn er hierher käme, denn sicherlich kann er sie durch seine Erfahrungen belehren. Das wäre für sie bestimmt äußerst nützlich.«

Usw.


Lektüreliste:
Aira, Waugh, da Vinci

London, 22. April 2009, 08:09 | von Dique

Gerade César Aira beendet, »Humboldts Schatten«. Eine waschechte Novelle, die inhaltlich stark an Kehlmann und seine »Vermessung der Welt« erinnert (und auch zwei Jahre vor ihr auf deutsch erschienen ist). Die Konstellationen entsprechen sich deutlich: Dort Humboldt als großer Checker mit Bonpland als Schattengänger, ähnlich hier das Verhältnis zwischen Rugendas und Krause. Rugendas befindet sich im Fahrwasser der ersten großen Brasilienmaler aus dem Gefolge des Moritz von Nassau, Frans Post und Albert Eckhout, aber das erwähnen weder Aira noch Ottmar Ette im gelehrten Nachwort.

Außerdem gelesen: Evelyn Waughs Bericht aus Abessinien, »Befremdliche Völker, seltsame Sitten«. Er war dort bei der Krönungsfeier von Haile Selassie, und das ist schon sehr stark. Waugh gibt sich immer dezent distanziert gegenüber all den irren Dingen. Definitiv eine der Christian-Kracht-Quellen für seine Reisenummern. Die Ausgabe der »Anderen Bibliothek« ist auch sehr schön, grüner Samt mit blauen Tupfen.

Und hatte ich schon von »A Handful of Dust« berichtet? Auch von Waugh, der Titel natürlich ein Zitat aus »The Waste Land«. Das Buch selbst ein britisches upper/middle-class-drama, welches dann aber im Dschungel Brasiliens endet: Der sehr passive Protagonist, Anthony Last, hat sich von seiner Frau betrügen lassen und sich auf der Suche nach Sinn mit dem schrägen Scharlatan, Dr. Messinger, auf eine Brasilien-Expedition begeben.

Er hängt dann in einem Indianerdorf in Brasilien fest, der Mitreisende Dr. Messinger ist umgekommen, und Tony überlebt mehr oder weniger durch Zufall, weil er auf einen Indianerstamm stößt. Dieser befindet sich unter der Führung des mysteriösen Mr. Todd, welcher einige Colonel-Kurtz-Anleihen aufweist. Der immer sehr höfliche und ruhige Mr. Todd lässt Tony nicht mehr weg, denn er braucht ihn, damit er ihm Dickens vorliest, denn er selbst kann nicht lesen.

Irgendwann entdeckt Tony das Grab seines Vorgängers, welcher im Dschungel verstarb, und so fristet er als Vorleser sein Dasein bis ans Ende seiner Tage. Das erinnert auch wieder ein bisschen an Kracht, das Ende von »1979«, hier bei Waugh ist es zwar kein Umerziehungslager, aber irgendwie auch eine Art lebenslängliche Lagerhaft.

Außerdem las ich die RoRoRo-Bio zu da Vinci, und die war wirklich gut, von Kenneth Clark geschrieben, sehr guter Mann anscheinend. Da Vinci auch edel, nichts fertig gemacht, alles angefangen, Dandy und Eigenbrötler, ein hervorragender Typ, vor allem im Vergleich zu diesen Idealtypen, zu denen Michelangelo zählt, aber eigentlich auch nicht wirklich, vielleicht gegenüber dem Typus Alles-Gelinger à la Rubens.

Las das Buch eigentlich nur als Anwärmer, bevor ich mich mehr auf den da-Vinci-Umkreis in Mailand stürze, Luini und Boltraffio, welche mir sehr gut gefallen, indem sie dieses weiche Lächeln der Leonardo-Madonnen kopieren wollen und dabei aber ihre eigenen Quirks aufweisen. Clark bürstet beide und auch den Rest des da-Vinci-Umfeldes gnadenlos ab, nicht mal zweite Reihe seien die alle, aber gut, das würde ich auch erst mal so hinschreiben.


Von Biografien und Berberaffen

London, 7. April 2009, 00:42 | von Dique

Irgendwann hat sich Oliver Gehrs in seinem mittlerweile beerdigten Watchblog mit einem kleinen Seitenhieb über die kleinen Bildmono­grafien von Rowohlt lustig gemacht. Angeblich seien die für Leute gedacht, die zu faul sind, eine richtige echte Biografie zu lesen.

Das ist schon sehr lustig formuliert, aber die kleinen RoRoRo-Monos ersparen es einem so vor allem, sich durch 500 Seiten Kindheit und das Werden und Gedeihen von Eltern, Großeltern und dem Dackel der Familie zu wühlen.

Derartige inhaltliche Banalität von Biografien betrachtete auch Gómez Dávila als abschreckend, da nur nichtssagende Details und unbedeutender Tratsch ans Licht gezerrt würden. »So traurig wie eine Biografie«, soll er manchmal als Redewendung benutzt haben.

Bezüglich Kürze und Handlichkeit könnte man auch mal wieder die Lebensbeschreibungen von Giorgio Vasari preisen, besonders wenn es sich um die handlichen und für Paperbacks sogar recht schönen Ausgaben von Wagenbach handelt. Aber ganz gegenteilig sind diese gerade wegen der Anekdoten und wegen der Tratschigkeit des Autors so gut, denn hier werden oft eben diese zum Höhepunkt der kleinen Lebenserzählung.

Ganz besonders im Leben des Sodoma, welchen Vasari zum Anti-Renaissance-Ideal stilisiert, also zum Gegen-Raffael oder Gegen-Michelangelo. In den wenigen Fällen, in denen er Sodomas Werke positiv beurteilt, schreibt er es dem Zufall zu oder den Einflüssen anderer. Sodoma wird als fauler Dandy gezeichnet, der nach Lust und Laune und nur dann arbeitet, wenn das Geld stimmt, so trug er »Jacken aus Brokat, mit goldenem Stoff gesäumte Mäntel, reichver­zierte Hauben, Ketten und ähnlichen Firlefanz nach Art von Hofnarren und Bänkelsängern«.

Außerdem hielt er sich eine Vielzahl von Tieren, welche Vasari detailreich beschreibt. Auch er hatte wieder einen Berberaffen (ähnlich wie Rosso Fiorentino) und man sollte mal genauer untersuchen, warum Vasari bestimmten Künstlern, die er weniger schätzt, so gern einen Berberaffen unterjubelt. Im Text über Sodoma heißt es jedenfalls weiter:

»Außerdem bereitete es ihm Vergnügen, sich außergewöhnliche Haustiere unterschiedlichster Art zu halten, wie Dachse, Eichhörn­chen, Berberaffen, Meerkatzen, Zwergesel, Berberpferde für Wettrennen, kleine Pferde aus Elba, Eichelhäher, Zwerghühner, indische Turteltauben und andere solcher Tiere, derer er habhaft werden konnte. Neben all diesem Viehzeug besaß er insbesondere einen Raben, dem er so gut das Sprechen beigebracht hatte, dass dieser Giovan Antonio selbst zu sein schien. (…)

Diese abstruse Art zu leben, die Werke und Gemälde, bei denen er trotz allem manch Gutes hervorbrachte, machten ihn bei den Sienesen – das heißt beim Pöbel und dem niederen Volk, nicht bei den Edelleuten, die ihn von vornherein durchschauten – derart bekannt, dass viele ihn für einen großen Mann hielten.«

Wenn man mehr über Sodoma wissen möchte, sollte man also vielleicht lieber in einen Zoo gehen statt in ein Museum, denn in den großen Häusern dieser Welt gibt es sowieso nicht viel von ihm zu sehen.


Mit Fritz J. Raddatz in der Kunsthalle Emden:
»In gewisser Weise hängt da der Stern«

Emden, 30. März 2009, 07:46 | von Marcuccio

Schade eigentlich, dass es den Henri-Nannen-Kunstexpress nicht mehr gibt. So verschlug es uns mit dem ganz privaten Navi nach Norden, und von Norden nach Emden. Hier, und dieser Gag fehlt wirklich nirgends, befindet sich die Kunst exakt »Hinter dem Rah­men 13«.

Eine Gruppe aus Groningen steht im Foyer, mit einer Reiseleitung Marke Sylvie van der Vaart, da schließen wir uns doch glatt an:

»In 1986 liet Henri Nannen, oprichter van het beroemde weekblad Stern, in zijn geboorteplaats Emden een museum bouwen voor zijn verzameling twintigste-eeuwse kunst. Zijn passie voor het verza­melen van kunst heeft tot een omvangrijke collectie met een geheel eigen karakter geleid. Nannens verzameling en tentoon­stellingen trekken kunstliefhebbers uit binnen- en buitenland naar de Kunsthalle in Emden.«

Leider scheint Sylvie van Emden dann doch nur die Website der Kunsthalle auf Niederländisch auswendig gelernt zu haben. Nicht ohne unsere blauen Franz-Marc-Pferdchen, die Eintrittskarte, hochzuzeigen, galoppieren wir noch mal geschwind raus und holen unseren eigenen Führer aus dem Spind: Fritz J. Raddatz! Der hat mit seinem Buch »Unruhestifter« so eine Art inoffiziellen Rundgang zur Kunsthalle Emden verfasst, drei herrlich böse Seiten (S. 173 ff.) über den Kunstsammler Henri Nannen.

»Nannen führte mich zwar durch das Museum, aber erzählte ausschließlich, wie günstig er dieses Bild und wie teuer er jenes erworben habe, bei wem, durch wen und wie teuer es jetzt sei, … dass das Museum 6,5 und alles zusammen 13,8 Millionen gekostet habe. Dreizehnkommaacht war ohnehin jedes dreizehnkommaachte Wort, warum sagt er nicht dreizehn oder vierzehn?«

Raddatz, genervt, notiert »zumeist zweite und dritte Qualität, kaum ein Spitzenbild und: nur diese deutsche Kunst, der ewige Nolde, der ewige Barlach, dazwischen diese Modersohns und noch Namen­loseren – Altmeppen und Scharl und wenn eine Beckmann-Quappi, dann eben doch nicht die Quappi.«

Yeah, Kunstführer, die einem erzählen, was die Sammlung, die man gerade schaut, alles nicht zu bieten hat. Vielleicht überhaupt noch eine Marktlücke.

Die Holländer, aber ohne Sylvie van Groningen, laufen uns wieder über den Weg. Wir schlagen uns seitwärts und landen direkt vor unserer gerahmten Eintrittskarte. Museen aller Ligen anhand ihrer Art von Eintrittskarten analysieren, das wäre doch noch mal ein echter Job für die Museumsphilatelie. Die hätte auch (interdiszi­plinärer Ansatz!) herauszufinden, warum es im Museumscafé, das wirklich »Henri’s« heißt, original Topfenstrudel gibt. Zum Nachtisch lesen wir den Rest vom Raddatz-Rundgang:

»… kein Max Ernst oder Magritte oder Dalí, nicht mal Oelze – das Raffinierte in der Kunst liegt diesem Mann nicht. Er hat eben doch einen ›Musikdampfer‹ gesteuert, in gewisser Weise hängt da der STERN – auf den er allen Ernstes stolz ist … – noch einmal an den Wänden; es hat etwas Brüllendes.«

Großer Brüller jetzt auch im Henri’s. Die Holländer (immer noch ohne Sylvie) sind in der Kantine angekommen. Ein Guus-Hiddink-Double macht obszöne Grimassen, keiner weiß warum.


Im Apsley House

London, 23. März 2009, 16:04 | von Dique

Wie von Paco anlässlich des »Lost«-Reviews schon angekündigt, waren wir am Sonntag im Apsley House. Wir erschienen 16 Uhr und wollten uns in einer Stunde schnell die Sammlung ansehen. Denn im Netz und auch auf einem Leaflet steht, dass die bis 17 Uhr aufhaben.

Als wir ankamen, sahen wir einen wütenden Besuchswilligen, der sich mit einer Angestellten in den Haaren lag und voller Rhetorik fragte, wie es denn sein kann, dass die schon schließen, obwohl überall steht, dass das Museum bis fünf offen wäre. Neben ihm stand ein Gentleman um die 60, extrem akkurat gekleidet, Marineblazer, Einstecktuch, eine sehr schöne Krawatte, Oxfordakzent. Wir gesellten uns dazu, gaben vor, extra aus Deutschland angereist zu sein, während der aufgebrachte jüngere Herr und der Gentleman die Dame vom Apsley House in der Mangel hatten. Es war eine fast klassische Good Cop, Bad Cop-Konstellation.

Der Beschwerdeführer wurde immer schärfer, »your apology is not worth a penny to me, where is the director, put him on the phone at once« usw. Und der Gentleman, »why don’t you let us have a quick look for half an hour, everybody is gone, give us one of your staff, we are only interested in the pictures«. Das ging eine Weile so, und dann hat uns die arme Managerin eine 15-Minuten-Tour angeboten, sozusagen eine Speed Tour ganz in unserem Sinn (cf. Madrid, cf. Rom).

Ein Museumswärter begleitete uns vier, wir sahen uns im Schnelldurchlauf die Bilder an, zwei Mal de Hooch übrigens, aber mir gefiel ähnlich wie in der Wallace Collection eigentlich der Nicolas Maes besser, abgesehen von anderen Genres, die haben dort – es ist ja das Wellington-Anwesen, und der First Duke focht in Spanien – ein paar spektakuläre Velázquez‘ und Riberas etc. und eines der besten (vielleicht das beste, wenn man von Arcimboldos Gemüseportrait absieht) Rudolf-II.-Portraits von Hans von Aachen, der in Köln geboren wurde und eigentlich Hans von Köln heißen müsste, egal, ein Kleinod am Rande und »Hauptsache, gut gemalt«, wie es Gerhard Richter neulich im Interview mit der SZ formulierte.

Als wir rauskamen, es war jetzt 16:30 Uhr, fuhr ein Taxi mit drei Japanern vor, welche entsetzt feststellen mussten, dass das Haus schon geschlossen war. »They may never see this collection«, sagte der Gentleman beim Verabschieden.


»Travels with Vasari« (BBC4)

Paris, 20. März 2009, 10:24 | von Paco

Neulich gab es wieder so eine kunsthistorische BBC-Doku, diesmal ein 2-teiliges Vasari-Special von Andrew Graham-Dixon (»Travels with Vasari«, 26. 11./3. 12. 2008 auf BBC4). Es geht hier noch unterkomplexer zu als zum Beispiel bei Hughes‘ Caravaggio-Doku von 1975, aber das ist auch ganz genau gut zu.

Vorderhand geht es natürlich um Vasari als Wegbereiter der Kunstgeschichte, als Autor der 1550 bzw. 1568 erschienenen »Vite«, aber auch ein wenig um den Maler und Architekten Vasari. Die Tour beginnt in Arezzo, wo Graham-Dixon zu einem Vasari-Selbstbildnis sagt: »Hey, Giorgio!« Der herrliche G.-D. ist so schön emotionally involved und begeistert, es ist eine wahre Freude. Für einen Kunsthistoriker spricht er ein ziemlich abenteuer­liches Italienisch, aber er nimmt’s mit einem lachenden Auge, spielt auf Understatement und ist mit dieser komischen Art von Begeisterung unterwegs.

Und man sieht viel, er reist durch ganz Italy, ist überwiegend aber natürlich in Florenz, das er »a Renaissance New York« nennt. Zur Einschätzung von Vasaris künstlerischer Produktion nutzt er eine weitere fürs moderne Publikum gedachte Vergleichsziehung: »He could almost be described as a kind of Andy Warhol of his time because he was a pioneer of studio mass production employing a factory of apprentices to help him carry out his major commissions.«

Am Ende des 1. Teils bekommen wir sogar einen Blick in den berühmten Vasari-Korridor geschenkt, in den man ja nicht so ohne Weiteres hineinkommt. G.-D. nun wird von einer »less than talkative lady called Rita« hingeführt und scherzt munter drauf los. Er bleibt vor einem wirklich ziemlich ungewöhn­lichen Selbstbildnis von Nicolas van Houbraken stehen: Der Maler schaut klein und verdruckst aus dem halbdunklen Zentrum eines übergroßen Blumenkranzes heraus. Und Graham-Dixon sieht sich das belustigt an und imitiert einen grabenden Maulwurf: »Hello, let me out, I’m a still-life painter!«

Auch sonst bekommen wir ein paar seltene Einblicke. In der St. Giovanni Evangelista in Parma steht ein Gerüst für eine laufende Restaurierung, und da können wir auch noch schnell mit rauf. Und dann darf G.-D. auch noch allein in die Sixtinische Kapelle hinein, in der wir uns neulich zum Abschluss unserer Speed-Tour durch die Vatikanischen Museen schnell durch die üblichen Menschenmassen schlagen mussten, um in der Zeit zu bleiben.