Archiv des Themenkreises ›FAS‹


Who’s Who

Konstanz, 13. Februar 2009, 12:47 | von Marcuccio

Ich verwechsle auch nach jahrelanger FAZ/FAS-Lektüre gern noch mal Michael Althen (Film) mit Michael Hanfeld (Fernsehen), und manchmal sogar Peter Körte und Tobias Rüther, weil die irgendwie immer über ähnliche Sachen schreiben. Keine Verwechslungsgefahr dagegen bei Nils Minkmar und Niklas Maak (früher notorische Verwirrung wegen ihrer Kürzel »mink« und »nma«). Von Anfang an keine Verwechslungen bei Seidl, Weidermann, Adorján, Richter.


FAS kürt Helden der Arbeit

Konstanz, 9. Februar 2009, 16:02 | von Marcuccio

Und das sind sie:

    Der »Festivaldirektorsdarsteller«

  • (Claudius Seidl über Dieter Kosslick, S. 29)
    Der »Blech-Borromini«

  • (Peter Richter über Chris Bangle, den neuen
    Ex-Chefdesigner von BMW, S. 30, vgl. hier)
    Der (»von den ahnungslosen Mainstream-Medien« als solcher
    anerkannte)
    »inoffizielle Bloggerpressesprecher«

  • (Harald Staun über Sascha Lobo, S. 31)


Volker Hages Kehlmann-Artikel vor Gericht

Konstanz, 6. Februar 2009, 17:27 | von Marcuccio

Literaturkritiker kennen sich aus im Gerichtssaal: Sie sind Ankläger und Anwälte der Literatur, fällen Urteile und gelten schon mal als »Dorfrichter Adam der Literaturszene« (Jochen Hörisch über MRR).

Aber wie gut kennen sich Gerichte eigentlich in der Literaturkritik aus? Danach fragt dieser Tage komischerweise keiner. Der Rowohlt-Verlag verklagt den »Spiegel« wegen Missachtung der Sperrfrist bezüglich des neuen Kehlmann-Buchs – eine Vertraulichkeits­erklärung hatte alle Empfänger eines Vorabexemplars verpflichtet, keine Besprechung vor dem 16. Januar zu veröffentlichen.

Die Feuilletons berichteten, am scharf­sinnigsten vielleicht die »Welt«, die feststellte, dass der Streitwert sicher nicht der vollen Konventionalstrafe (250.000 Euro) entspricht, »weil sich die verhohlene ›Ruhm‹-Rezension als Porträt tarnt. Insofern wird das Gericht sich auch zur Trennschärfe zwischen journalistischen Genres äußern müssen«.

Wohl wahr. Hochrichterlich verhandelt werden wird und muss also, zu welchen Teilen Volker Hage mit seinem Artikel eine Rezension und zu welchen Teilen er ein Porträt verfasst hat. Damit hat das Gericht etwas zu klären, was nicht mal innerhalb der Literatur­berichterstattung selbst klar ist, denn die Grenzen zwischen Personality und echter Kritik sind ja seit Jahren eigentlich an vielen Stellen fließend. Auch eine spezifische Genre-Theorie der Literatur­berichterstattung existiert bislang nicht, es gibt so gut wie keine Fachliteratur zum Thema.

Das Pikante an der Sache: Ausgerechnet (der symbolisch angeklagte) Volker Hage könnte vom Gericht nun als Sachver­ständiger, als Gutachter seiner selbst herangezogen werden. Für den August ist bei Suhrkamp nämlich sein Kompendium über »das breite Spektrum journalistischer Beschäftigung mit Literatur« angekündigt.

Und egal wie das Urteil ausfällt, die schriftliche Urteils­begründung wird ein prima Plädoyer für Hages Buch über Literatur­journalismus sein – die »Tätigkeit, die sich keineswegs nur auf das Rezensieren von Büchern beschränkt, sondern zugleich Textformen wie Porträt, Interview, Glosse, Leitartikel, Debatten­beiträge oder Nachrufe umfaßt. Ein solcher Leitfaden – nicht zuletzt für Studenten und Journalistenschüler – hat bisher gefehlt.« (Kurzbeschreibung)

Wenn sich das Gericht zur Prüfung der täterlichen Genre-Tatsachen jetzt nicht sofort ein Vorabexemplar kommen lässt, dann weiß ich auch nicht.

Und was ist eigentlich mit der FAS? Immerhin erschien der große Kehlmann-Report (in der Nr. 2/2009 vom 11. Januar) ja auch vor dem Erstverkaufstag 16. 1. – was die Frage aufwirft, ob hier entweder eigene Sperrfristen galten oder ob es mit der Institution Erstverkaufstag sowieso nicht so weit her ist, wie Rowohlt behauptet. Das Thema Sperrfrist brodelt also weiter – siehe auch den PT-Essay von Ekkehard Knörer.


En lisant la FAS du 25 janvier 2009

Leipzig, 28. Januar 2009, 18:20 | von Niwoabyl

Quelle admirable masse de papier ! Mes bras s’engourdissent déjà du doux fardeau qu’ils tâchent de maintenir à la hauteur (olym­pienne) de mon regard avide. Les francfortois (berlinois !) sont gens bien fortunés, de se farcir chaque dimanche un pareil canard !

Et cette couverture, cette couverture ! Où Helmut Schmidt tend (en effigie pur métal) à Müntefering une paluche énorme et grandiose sous les yeux bienveillants de l’Ayatollah Khomeyni.

FAS couverture (détail)

Le souffle déjà coupé, je m’apprête à franchir le seuil du sanctuaire où se révèlent les méandres (Windungen) du Zeitgeist (esprit du temps, pour autant que ça veuille dire quelque chose).

Oh ! Ah ! Mais ce sont d’autres « tronches amies » (Michel Audiard) qui me saluent gracieusement page 28 ! Le Houellebecq, le Houellebecq, plus baveux et relentifère que jamais, et surtout, surtout, ce bon Véhache, « ein Autor, mit dem ich mich in meiner Eigenschaft als Vollbartträger ganz besonders verbunden fühle » (Jules Ferry). Voilà pour nous consoler des âneries électronicolâtres et jeunistes des pages 13 et 23, héhé.

Pour le reste, bah, das Jahr (l’année) 1959 et son « Weltniveau »
(Hans Caius Enzenshügler), une actrice vous parle de ses rides, et il y a un nouveau musée de la bagnole à Stuttgart. Okay. Pas trop d’une semaine pour digérer ça. À dimanche prochain, chers amis lecteurs, « chers amis français » (Iris Radisch), à dimanche prochain !


Pflicht und Kür im Gedenkfeuilleton

Konstanz, 22. Januar 2009, 15:25 | von Marcuccio

Frankfurt, wir haben ein Problem. Die Kalenderfeuilleton-Novelle. Seit dem 5. Januar werden die Geburtstagsartikel einer FAZ-Woche immer montags auf der Feuilleton-Rückseite gebündelt, Todesnachrichten und andere wichtige Jubiläen bleiben weiterhin tagesaktuell vorn bei den Kollegen im Frontoffice.

Und gleich zum Auftakt dieser Patzer:

»Herwig Birg, dem großen Warner vor den Folgen der geburtenarmen und darum überalterten Gesellschaft, ist von uns gestern zum sechzigsten Geburtstag gratuliert worden. Er beging jedoch seinen siebzigsten. Wir bedauern den Fehler.« (FAZ vom 6. Januar)

Bürokratieabbau geht anders. Mag sich die FAS schon mal zwei Tage vor Inkrafttreten der neuen Jubiläumsartikel-Verwaltungs­richtlinie bei der FAZ gedacht haben und zeigte uns allen, wie es geht:

»So wird 2009 gewesen sein«
(FAS Nr. 1/2009 vom 4. Januar, S. 23)

Das war die Seite mit dem riesenroten Fake-»Spiegel«-Cover von der herrlichen Kat Menschik: eine zum Entkorken bereite Rotkäppchen-Sektflasche, darunter die Titel-Schlagzeile, die uns dieses Jahr in abgewandelter Form sicher noch blüht:

»Die Besser-Ossis. 20 Jahre nach dem Mauerfall:
Wo die Ossis die Nase vorn haben«

Im vorangehenden, echten »Spiegel« (Nr. 1/2009) stand ja diese Prosit-Mauerfall-Story (von und mit Matthias Matussek, S. 38-41), im Inhalt unter dem Rubrum

»Unternehmen: Die Sektkellerei Rotkäppchen
startet ins Jubiläumsjahr des Mauerfalls«

Außerdem enthielt dieses Heft das ominöse Nachrichten-Horoskop (»Was läuft 2009«). Bei der FAS muss man all das zusammenge­dacht haben, und statt der Jubiläumsartikel-Pflicht der FAZ gab es die Kür:

»Die wichtigsten Jubiläen des Jahres und wie
die Medien darauf reagieren werden«

Eine witzig-kreative Meta-Parade auf den Berichterstattungswahn zu runden Anlässen. Lauter Preziosen waren das, Thea Dorn als Running Gag und auch sonst viele feine Ideen, auf die der Umblätterer dann vielleicht mal unterm Jahr zurückkommen wird: »Aus Frankfurt nun die FAS-Jubiläumsvorhersage für morgen Mittwoch, den 500. Krönungstag von Heinrich VIII.«

Usw.


Manolo für George W. Bush

London, 5. Januar 2009, 11:51 | von Dique

Stilfragen sind nicht unsere Hauptbeschäftigungslinie, doch kommen wir nicht umhin, ab und an unsere Freude zu teilen, wenn zum Beispiel Hans Magnus Enzensberger im knallrot leuchtenden Pullunder aus dem »Spiegel« grüßt oder Peter Rühmkorf in einem besonders interessanten Trenchcoat in der FAS auftaucht.

Und natürlich können wir nicht schweigen, wenn wir bemerken, dass Erich Priebke eine Karstadt-Style-Bundjacke trägt, die der berüchtigten Ahmadinejacket des iranischen Präsidenten zum Verwechseln ähnelt, noch dazu, wenn besagter Priebke auf einem Motorroller zusammen mit seinem Anwalt auf dem Weg zum Gerichtstermin in Rom an den Quattro Fontane vorbeizirkelt.

Diesen Kleinodien widmen wir uns nur am Rande und nur dann, wenn es sich nicht vermeiden lässt, denn normalerweise hegen wir andere Sorgen und besonders jetzt stecken wir wie mehrfach berichtet tief in einem Kleinkrieg um die zu kürenden »Best of Feuilleton 2008«, der hoffentlich Ende der Woche beendet ist.

Beruhigenderweise ist unsere Arbeit in Modefragen auch nicht notwendig, denn dafür gibt es »Manolo for the Men«. Hier beschäftigt sich Izzy (Isidore Gallant), der von sich konsequent in der dritten Person schreibt, nicht nur mit den kleinen Gimmicks, welche auch wir im Programm gehabt haben könnten, wenn sich beispielsweise Fidel Castro im Adidas-Tracksuit mit Kuba-Flagge portraitieren lässt. Izzy beleuchtet auch die großen modischen Fauxpas.

Die Fliege, der Bowtie, welcher seit der Folge »The Bowtie« von »Curb Your Enthusiasm« (Season 5, Episode 2) wieder wachsende Verbreitung auch unter jungen Menschen findet, fristet trotzdem ein Nischendasein und wird, wenn überhaupt, in der vorgebundenen Variante getragen, und das ist natürlich furchtbar, wie Izzy anhand eines Vergleichs von John Travolta (pre-tied) mit Peter O’Toole (self-tied) im Beitrag »Pre-Tied Bowties: Why Not Just Wear Sweatpants?« zeigt.

Ende letzten Jahres, das kann man ja nun wieder sagen, wurde das zweite George-W.-Bush-Portrait für die National Gallery Washington enthüllt, welches einen lächelnden noch amtierenden US-Präsidenten zeigt, der allerdings mit einem Hemd mit zwei eigenartigen Brusttaschen bekleidet ist, welches auf den zweiten Blick und im Kontext von Izzys scharfer Analyse recht ominös erscheint (besonders unter dem Jackett, auf dem Bild mit Putin, sieht es eigenartig aus):

»Izzy is almost certain that that light-blue shirt, with its two unusual pocket flaps, is the same one Bush wore when engaging in diplomacy with Vladimir Putin. As Izzy pointed out at the time, that quasi-militaristic style has also been favored by fellow Texan Charlie Wilson. Clearly, Bush’s choice of shirt and pose—bent over, sitting on a couch while smiling—was intended to give an air of casualness and familiarity. Unfortunately, given how the shirt’s cuffs ride up due to bent arms, Izzy mainly sees poor tailoring. (The pleats adjacent to the cuffs are a further sign that the shirt was not custom-made.)«

Die SZ bescheinigt dem Porträt eine Art Biedermeierei in schweren Zeiten, und wer will es verübeln, dass der Präsident da ein bisschen auf Kaminfeuerromantik macht. Aber auch Kia Vahland kommt nicht umhin, das Präsidentenhemd zu kommentieren:

»Nehmen Sie Platz in der guten Stube, der Gastgeber schenkt Ihnen sein Ohr. Er erwartet Sie auf der Sofakante, im frischgebügelten himmelblauen Hemd, die Brusttaschen in Cowboyart, die Manschetten dagegen staatsmännisch anzugsfähig. Noch lächelt er etwas verkrampft, aber nach zwei Gläsern wird sich die Stimmung schon auflockern. Fühlen Sie sich wie zu Hause.«

Bevor ich hier aber alle Artikel abrolle, lasse ich das so stehen. »Manolo for the Men« ist nicht nur lesbar, sondern eine seriöse Empfehlung im Namen des Umblätteres.


Die Karnickelzüchter

Leipzig, 4. Januar 2009, 03:35 | von Austin

Ein Jahr geht, das neue Jahr kommt. Und gleich nach den von der FAS noch schnell am 28. 12. ins Rennen geschickten apokalyp­tischen Reitern und Reiterinnen – übrigens, liebe FAS, bitten wir an dieser Stelle und vor diesem Hintergrund um Hilfe, die uns der Duden nicht geben kann, die aber nützlich sein könnte, um das Jahr mit der FAS verfolgen zu können, und die uns, nebenbei, auch ganz persönlich betrifft: Gesucht wird so langsam mal die kanzlerinnenkompatible Äquivalenz zum ›Herrenreiter‹ … Herrenreiterin? – gleich nach diesem Aufmarsch lässt die S-Zeitung am 2. 1. die apokalyptischen Rammler frei, mit einem Text von Holger Gertz über den Karnickelzüchterverein W152 Dortmund–Oespel, bzw. mittlerweile: Kaninchenzüchterverein W152 Dortmund–Oespel–Kley.

Ein »Seite 3«-Artikel, der sich, das Jahr ist zwar noch jung, schon jetzt als Anwärter für die Top-Ten 2009 nominiert sehen darf. Nicht nur wegen des gabrielhaften Headliners »Zucht ist Ordnung«, sondern wegen der minutiösen Sozialrecherche in einem Milieu, das über aller Lehman-Brothers-Apokalypse schon fast vergessen ist: Ja, auch das war die BRD. Der Hammersatz:

»Wenn die Namen ihrer Klubs immer länger werden, ist das kein gutes Zeichen für die Kaninchenzüchter.«

Dennoch gibt uns der Sektionschef W152 dann noch als Lösung für alle eventuellen Apokalypsen den guten alten Selbstversorger­gedanken mit auf den Weg. Seine Hasen jedenfalls haben keine Namen.

Ansonsten? Im April ist die große Anja Silja, eben noch in Covent Garden, an der Oper der Umblätterer-Homebase Leipzig. Nicht als Rosina Leckermaul (und auch nicht als Gräfin in »Pique Dame«), sondern in der dritten Rolle ihres nun schon länger währenden Altersrepertoires, in Schönbergs »Erwartung«, wo sie die ebenso große Deborah Polaski ersetzt, die letztes Jahr diese Sache sensationell über die Bühne gebracht hat. Mit Marcuccio also ist an diesem Punkt zu sagen: 1:1 in und für Leipzig. Bezüglich der »Erwartung«. Und bezüglich London.


Die FAS vom 21. 12. 2008:
Hänsel, Gretel und der Wolf (und Buddenbrooks)

London, 22. Dezember 2008, 08:52 | von Dique

Das britische Pfund hat nun fast Parität zum Euro erreicht. Deshalb offenbar hat sich die halbe Feuilleton-Redaktion der FAS nach London begeben, und das beschert uns nicht etwa eine Ansammlung von Alibitexten parallel zum Weihnachtsshoppingtrip, sondern ein paar schöne und auch nützliche Texte.

Ganz allgemein angemerkt kann man nicht dankbar genug sein, dass Eleonore Büning seit diesem Jahr als Redakteurin für die FAS schreibt. Dieses Mal berichtet sie von ihrem vorweihnachtlichen Besuch im Royal Opera House in Covent Garden. Sie sah dort »Hänsel und Gretel« von Humperdinck, und in ihrem Text widmet sie sich besonders der Sopranistin Anja Silja, welche die Hexe Rosina Leckermaul singt, und informiert außerdem über die Wagner-Anleihen in diesem Stück, und zu diesem, Wagner, kehre ich hier gleich noch mal zurück.

Vorher aber noch zu Nils Minkmar, den anderen London-Besucher der gestrigen FAS. Er traf sich mit dem Philosophen Mark Rowlands, der 11 Jahre mit einem Wolf namens Brenin verbrachte und darüber Bücher schreibt.

Ich schwärme hier ja ständig von Tierzeichnungen verschiedener Renaissancekünstler und werde deshalb in internen Umblätterer-Konferenzen unverhohlen als der neue Heinz Sielmann gehandelt, und deshalb erwähne ich jetzt nicht auch noch, wie schön ich das zeitgenössische Foto von Brenin bei seinem Besuch in Irland finde.

Vielmehr erwähne ich noch kurz den Artikel von Andreas Kilb über die neue »Buddenbrooks«-Verfilmung, denn schließlich hat Marcuccio gerade das Buch noch mal gelesen und dem Roman hier und hier und hier bereits mehrere Heutigkeiten entrissen, um einmal mit Claus Peymann zu sprechen.

Reiner Logik und dem Kilb-Text folgend ist die Breloer-Verfilmung ein Erlebnis, welches man getrost wie den viel zitierten Kelch an sich vorbei gehen lassen kann, und am Beispiel wird deutlich gezeigt, dass die meisten Literaturverfilmungen so überflüssig sind wie nur was. Mit böser Zunge könnte man sie audiovisuelle Vereinfachungen für Lesefaule, die mitreden wollen, nennen oder einfach wie Kilb in diesem Falle den Regisseur als Geschichtendekorateur bezeichnen.

Am Ende berichtet Kilb noch von Thomas Manns eigenen fruchtlosen Annäherungsversuchen an den Film im Hollywood der 40er-Jahre. Später soll dieser ernüchtert mit einem abgewandelten Wagner-Zitat bemerkt haben: »Wer auf den Film baut, baut auf Satans Erbarmen.«

Wo wir gerade bei Familienromanen sind, erwähne ich noch einmal meine augenblickliche Lektüre, »Zombie Nation«. Hier beschreibt der große Schriftsteller und Autor Lottmann den Verfall der Familie Lohmer, welche man auch durchaus als mikrokosmisches Paradebeispiel unserer gerontokratischen Gesellschaft auffassen könnte, nach Lottmann, nicht mir.

Usw.


Don’t Be Such a Tourist

London, 14. Dezember 2008, 20:14 | von Dique

Letzten Sonntag wie immer die FAS gekauft und dann nicht ein Stück davon gelesen, weil ich »Brideshead Revisited« von Evelyn Waugh nicht aus der Hand legen konnte.

Ein mindestens wundervolles Buch, und Waugh schreibt einfach superst. Es geht um eine Jungen-/Männer-Freundschaft in Oxford, der eine aus einer noblen Familie und der andere einfach nur normal wohlhabend. Es spielt Anfang 19.20. Jahrhundert und beschreibt den langsamen Verfall der Upperclass-Familie des einen Burschen. Es gibt aber verschiedene Zeitebenen und handelt in aller Welt, es ist also kein lahmes Oxford-Burschen-Drama.

Ok, lange Rede und extremst kurzer Sinn, eigentlich wollte ich nur meine Freude über dieses Zitat teilen:

»Oh, Charles, don’t be such a tourist.«

Das sagt Sebastian, als Charles bei seinem ersten Besuch auf Brideshead Castle wissen will, ob irgendein Dach der Familienkapelle zur gleichen Zeit wie das Gebäude erbaut wurde.

Mir passierte noch ein kleines Verhör-Malheur à la »Der weiße Neger Wumbaba«. Es gibt nämlich »Brideshead Revisited« als BBC-Serie (von 1981) und ich schaute mal in die erste Folge rein. Das sah alles sehr gut aus, Jeremy Irons spielt Charles Ryder, und auch Anthony Andrews als Sebastian Flyte scheint gut getroffen. Ich hielt es nur nicht lange durch, weil die Dialoge und auch der Off-Kommentar direkt dem Buch folgen, es also mehr oder weniger eine Bebilderung des gerade Gelesenen für mich bedeutete.

Jedenfalls dachte ich irgendwie, dass die nicht Brides–head sagen, sondern Bride–shead, und ich habe das einfach mal geglaubt. Bis ich dann später ein paar Leute traf, die gerade vom Christie’s Preview kamen. Sie hatten sich den 36-karätigen Blauen Wittelsbacher angesehen, der dort zur Versteigerung anstand.

Ich erntete jedenfalls ungläubige Lacher, als ich behauptete, dass es Bride–shead heißt und nicht Brides–head, und das war peinlich, zumal ich erst neulich mehrfach »Vril« verstanden hatte, wo doch einfach von »Drill« die Rede war.

Der Blaue Wittelsbacher kam dann ein paar Tage später unter den Hammer, für ca. 16 Millionen Pfund, das beste Ergebnis für einen Naturstein ever, und ich hoffe, wenigstens das stimmt jetzt so wie von mir behauptet.

Heute Morgen habe ich dann natürlich wieder die FAS gekauft, und auch diesmal wird sie wohl nicht so richtig gelesen werden können, denn die Konkurrenz ist auch heute gut, ich lese gerade endlich mal Lottmanns »Zombie Nation«, wegen dessen steigender literaturhistorischer Bedeutung.


Voyage Voyage (Teil 3):
»Männer über fünfzig mit Digitalkameras«

Konstanz, 6. Dezember 2008, 09:48 | von Marcuccio

Arezu Weitholz: Die Tosca-Fraktion. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 26. Juli 2007.

Durst im Reisejournalismus, das müssen nicht zwangsläufig pointenrülpsende Geschichten aus der Biertrinkerzone sein:

»Im Prospekt steht ein Zitat aus der Zeitung: ›Intimes Musizieren – ein Festival, das die durstige Seele erfrischt.‹ Das klingt gut«, denkt sich Arezu Weitholz und fliegt spontan von Berlin in die Toskana, zum so genannten Tuscan Sun Festival von Cortona.

Erste Zweifel kommen unterwegs: »Kann eine Seele überhaupt Durst haben?« Egal.

Vor Ort dann noch mehr Irritierendes: Name und künstlerische Leitung des Tuscan Sun Festival stellt die US-Amerikanerin Frances Mayes, die Cortona schon mit dem gleichnamigen Buch und Film ›beglückt‹ hat.

Ein Festival wie ein Amazon-Algorithmus

Leute, die »Under the Tuscan Sun« gesehen/gelesen und darüber hinaus Bücher gekauft haben, die »Cappuccino zu dritt« oder »How I discovered my inner Italian« heißen – diese Leute mögen sicher nicht nur die Toskana, sondern auch Tosca (zumal das so schön toskanisch klingt), Anna Netrebko, Joshua Bell, Lang Lang usw. Warum also nicht Weinproben, Wellness und Klassik-Konzerte zu einem Paket schnüren? Warum Toskana- und Tosca-Fraktion nicht vereinigen?

Doch bevor Arezu Weitholz realisiert, in welcher Zielgruppenfusion sie da gelandet ist, kommt es schon zum Showdown in Cortona:

»Acht Uhr abends vor dem Konzertsaal. Viele Leute wirken, als kämen sie aus Baden-Baden. Oder einer Folge vom ›Traumschiff‹, kurz vorm Abendessen. Frauen mit schimmernden Lappen um die Schultern. Männer über fünfzig mit Digitalkameras. Eine Frau, die aussieht wie Nancy Reagan, kommt vom Klo.«

Kopfkino vom Feinsten!

Der Artikel hat einen Trick, mit dem Arezu Weitholz die ganze Tuscan-Sun-Szenerie vorführt. Sie sagt nämlich kein einziges Mal »ich«, sondern hält während ihres ganzen Artikels die Wellness verheißende Anrede des Festival-Prospekts durch: Die versprach, die »durstige Seele« zu erquicken. Nur: Für die meisten Festivalbesucher scheint Klassik eher das Gegenteil von Wellness zu sein:

»Alle werfen einander ernste Blicke zu. Sie haben sicher Angst vor der Musik, denkt die Seele. Als Joshua Bell zehn Minuten später die Bühne betritt, lächelt er. Dann spielt er, und sofort schließt die Seele ihre Augen und freut sich: Endlich. Doch nein. Jemand knipst. Es macht plötzlich ›ksst‹. Dann noch mal ›krscht‹. Vom Rang ein ›Pling‹. Es sind die Männer mit ihren Kameras.«

Und die Szene ist noch nicht zu Ende:

»In der Mitte vom letzten Stück (Prokofjew) reißt Bell die Bogensaite. Er zieht sie mit einer Hand sekundenschnell weg, die Männer knipsen jetzt erst recht, ›pling‹, Bell spielt unbeirrt weiter, ›Kssrt‹, doch dann unterbricht er, jetzt ist ihm auch noch der Geduldsfaden gerissen, er bittet das Publikum um Stille: ›Bitte!‹ Dafür gibt es Applaus. Er beginnt von vorn, nun sind alle leise. Am Ende bekommen er und der Pianist weiße Blumen. Die Seele hat noch immer Durst.«

So wird die Kitsch-Ansprache aus dem Prospekt zum Running Gag, und Arezu Weitholz gelingen ein paar schöne Notate über den Klassiker: die Dissonanz zwischen Katalog und Wirklichkeit beim Reisen.