Die Metapher »2.0«

Konstanz, 31. Oktober 2008, 18:28 | von Marcuccio

Wie lange sagen wir eigentlich noch »2.0«? Das frage ich mich schon länger, auch heute wieder, wo mir via »Börsenblatt«-Newsletter eine Anzeige für einen Reader zum Thema E-Book in die Mailbox flattert:

»Gutenberg 2.0« heißt das Werk. Gab es eigentlich in den letzten 2,0 Jahren etwas, das noch nicht 2.0 war? Was und wieviel muss eigentlich noch 2.0 werden, damit es mal wieder was Neues (3.0? bestimmt nicht, hehe) geben kann.

Und ich bin mir meiner Mitschuld (»Lesen 2.0«) ja durchaus bewusst, möchte an dieser Stelle aber trotzdem Dirk Knipphals danken. Denn ich glaube, es war Feuilletonpremiere, als er neulich (taz vom 18. 9.) schon mal versuchsweise so etwas wie einen Nachruf auf die Chiffre verfasste, um sie – weil’s so schön ist – doch noch ein letztes Mal selbst in Anspruch zu nehmen:

»Aus dem engeren Umfeld von Internet und Update hat sich diese Chiffre längst gelöst. Sie besagt nur noch, dass irgendetwas anders geworden ist als früher, und zwar leichter, anpassungsfähiger, aber dennoch keineswegs unverbindlich. Von der Ehe 2.0 hat man schon gelesen (man redet in ihr auch miteinander) und auch vom Hausputz 2.0 (offenbar gibt es besonders leistungsfähige Staubwischtücher).«

Wann aber kommt der wahre, lange Ganzseiter über den Anfang vom Ende der Endung 2.0? Vielleicht druckt die FAZ – wie seinerzeit das Genom – ja auch einfach mal seitenweise 2.0-Belege ab. In Form von Wortfeldern und Tag Clouds, das wäre vielleicht ein echter Nachruf 2.0.

Thomas Buddenbrook zur Finanzkrise:
»Wenn alles schon wieder abwärts geht …«

Konstanz, 30. Oktober 2008, 22:31 | von Marcuccio

20 Jahre später als Daniel Kehlmann lese ich dann auch endlich mal die »Buddenbrooks«, halb inspiriert von Kehlmanns Rede, halb getrieben von Panik, den Buddenbrooks womöglich alsbald unvorbereitet im deutschen Fernsehfilm-Kino zu begegnen.

Und es ist jetzt natürlich Zufall (oder doch Fügung? nein, einfach nur banal!), dass ich just heute auf Seite 431 angelangt bin: Das ist gut die Mitte in der Fischer-Taschenbuchausgabe von November 1996 (812.-836. Tausend) und zugleich der Punkt, wo Tom Buddenbrook eigentlich alles hat: einen Stammhalter, einen Posten im Senat, ein neues Haus. Allein …

»Ich weiß, daß oft die äußeren, sichtbarlichen und greifbaren Zeichen und Symbole des Glückes und Aufstieges erst erscheinen, wenn in Wahrheit alles schon wieder abwärts geht. Diese äußeren Zeichen brauchen Zeit, anzukommen, wie das Licht eines solchen Sternes dort oben, von dem wir nicht wissen, ob er nicht schon im Erlöschen begriffen, nicht schon erloschen ist, wenn er am hellsten strahlt …«

Was Tom da zu seiner Schwester Tony sagt, lässt nicht nur weiter großepische Niedergangsdiagnostik (»Verfall einer Familie«) erwarten. Es liest sich irgendwie auch wie eine Miszelle zu den rekordniedrigen Arbeitslosenzahlen inmitten der globalen Finanzkrise.

Die FAS vom 26. 10. 2008:
Peter Richter meets Gerhard Richter

Lipsia, 30. Oktober 2008, 00:27 | von Paco

für Joachim Lottmann,
il peggior fabbro :-)

Die beste deutsche Literatur entsteht im Moment oft direkt als Automaten­übersetzung ins Italienische. Siehe Joachim Lottmann, il peggior fabbro, der das mit seinem Text »Barack Obama in Italia« so gemacht hat (tazblogs, 23. 7. 2008). Sia come sia, quello che manca è un rundown della FAS in italiaaano, quindi, ragazzi, lo facciamo adesso:

Bene, è stata un’edizione dominata dall’articolo in apertura della rubrica ›Feuilleton‹: Peter Richter ha incontrato Gerhard Richter (»Vor einem Wasserfall aus Farbe«, pag. 25). Tutti e due sono nati a Dresda, tutti e due hanno lo stesso cognome. Non sarebbe il ›Feuilleton‹ della FAS, se non venisse tematizzato. Il dialogo dei due diventa un po‘ improduttivo, fortunatamente, dal momento che …

»… deswegen sprachen wir dann eben doch über den Namen Richter und darüber, dass ihm ein Lehrer einmal riet, sich aus Karrieregründen lieber Waltersdorf zu nennen, nach seinem Heimatort; aber so etwas machen, von Schmidt-Rottluff bis Baselitz, nur Expressionisten. Er sei seinem Ziehvater sehr dankbar für den Namen, und auch seine Kinder trügen ihn gern. Wir einigten uns darauf, dass fehlende Seltenheit kein Makel sei, sondern schön wie die seriellen Objekte von Donald Judd.«

Ecco! L’occasione per l’articolo sono due mostre, una nel museo Ludwig a Colonia (»Abstrakte Bilder«), l’altra nel museo Morsbroich di Leverkusen (»Übermalte Fotografien«).

Delle altre cose che ho letto:

Bernard Henri-Lévy e Claudius Seidl prendono le parti di Milan Kundera (come del resto molti altri al momento).

Johanna Adorján si intrattiene con la ricomparsa Grace Jones.

Reich-Ranicki scrive di Stefan Zweig.

Peter Körte ci mostra come la TV tedesca distrugga (congiuntivo!) il cinema del paese.

E Stefan Niggemeier propone una trasmissione dal nome »XY … ungelesen« (divertente!).

(eccetera)

Christian Kracht in Leipzig

Leipzig, 26. Oktober 2008, 10:19 | von Paco

Eigentlich hatte ich gestern Abend schon was vor, dann rief aber Millek an. Frage: Ob ich mit zu der Kracht-Lesung komme. Nun wusste jeder in Leipzig, dass es bei der diesjährigen Kracht-Tour keine Leipziger Lesung geben würde, weil irgendetwas nicht geklappt hatte.

Nun also doch. Auf der Homepage stand nichts davon: »24.10. Berlin, 26.10. Göttingen.« Und am 25.10.: kein Leipzig. Aber auf MySpace, sagte Millek. Er hatte tatsächlich Recht. »25.10. Leipzig, Galerie Bode & Rillert.« Ich hatte von dem Ort noch nie gehört, aber laut Millek handelte es sich dabei um einen spontan eingerichteten Lesungsraum, der sich in einem der verfallenden Häuser in der Langen Straße befinden sollte.

Wir warteten vor dem Haus noch eine Weile auf einige Leute. Der Eintritt war schönerweise frei. Als aber plötzlich jemand mit Barbourjacke aufkreuzte, baute sich sofort ein Connewitz-Punk vor der Türe auf und verlangte 8 Euro Eintritt. Als er merkte, dass die anstandslos bezahlt wurden, machte er weiter, kam so auf fast 50 Euro, übertrieb es aber schließlich. Als er einem Abiturienten 20 Euro abknöpfen wollte, schubste der ihn einfach beiseite und beschimpfte ihn.

Als dieser Spaß vorbei war, gingen wir ins Gebäude. Kracht musste schon dagewesen oder durch einen Hintereingang angelangt sein. Er las auch schon, hörte allerdings nach etwa 5 Minuten mitten im Satz wieder auf. Danach verging mindestens eine Viertelstunde, bis sich ein Moderator zu ihm gesellte, ein Literaturwissenschaftler namens Schubert, der aber gerade sein Studium abgebrochen hatte, wenn das richtig bei mir ankam.

Er habe das neue Kracht-Buch »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten« nach eigenen Angaben erst heute »angelesen«, das allerdings »in einem Rutsch«. Es sei wohl eher eine lange Erzählung, kein Roman. Aber natürlich trotzdem irgendwie gut, wenn es auch, wie immer bei Kracht, unfertig erscheine, »angekocht« (genau das hat er wirklich gesagt), aber nicht bis zum Ende durchgezogen.

Leichter Tumult im Publikum, aber eher fröhlich, in Erwartung irgendeines Folge-Ereignisses. Kracht lächelte und sagte auf charmante Weise: »Er hat ja Recht.« Ein Johlen setzte ein, und dann sagte der Literaturwissenschaftler Schubert noch ein paar Dinge, nicht viel, auch weniger über das Buch selber, wenigstens immer rückgekoppelt an Bemerkungen, die oft mit »in unserer heutigen Zeit« begannen.

Dann las Kracht den Anfang des Buches. Bei der Stelle, wo sich der Protagonist bis zur »militärischen Heeresleitung der 5. Armee« durchfragt (in der Originalausgabe auf S. 30), hielt Kracht kurz inne und schaute leicht irritiert auf uns.

Jemand begann zu klatschen, andere auch kurz, vielleicht weil dieser militärhistorische Benennungsbrei angesichts der jüngsten SS-Rang-Orgien von Jonathan Littell eine Wohltat war, je ne le sais pas, aber vielleicht wird mal ein pazifistischer Schlachtruf daraus.

Ich weiß die Stelle auch deshalb noch so genau, weil Kracht den Satz dann noch einmal las. Er und kein anderer ist also der Erfinder der Prosalesung mit da capo.

Nachdem Kracht das Buch zugeschlagen und sich bedankt hatte, sammelten sich draußen die ungefähr 30-40 Lesungsgäste und tauschten ihre MySpace-Adressen aus. Mir war die feuchte Luft in dem Gemäuer irgendwie nicht bekommen, ich strebte nach Hause, wo es mir dann schlagartig besser ging, etwas später kam Millek noch mal vorbei und wir sahen einen Visconti-Film bis zur Hälfte.

 
(Edit: Auch im gelblog und bei walloftime wird über die Lesung berichtet. Die Ankündigung ist noch mal hier.)

Und noch ’ne Liste:
The 500 Greatest Movies Of All Time

Hamburg, 24. Oktober 2008, 12:50 | von San Andreas

Die neue »Empire« kommt mit 100 verschiedenen Covern in die Läden. Jeder möchte sein Lieblingsmotiv haben. Tumultartige Zustände. Ein Student mit Schlafsack hat sich »Citizen Kane« gesichert, während sich hinten zwei Mädchen um »Donnie Darko« prügeln. Ein Mittvierziger hält Jimmy Stewart und Cary Grant in den Händen und kann sich ums Verrecken nicht entscheiden.

Ein Teenager stopft das letzte »Dark Knight«-Exemplar in seine Schultasche, als einer mit Sonnenbrille »Dirty Dancing« aus dem Regal reißt – »Für meine Freundin«, wie er dem Mann mit der Aktentasche zuruft, der auch danach gegriffen hatte, sich nun aber mit »Amélie« zufrieden geben muss.

Eine ältere Dame schnappt sich »Fight Club« und zieht damit fragende Blicke auf sich, doch regelrechtes Entsetzen verursacht der Langhaarige mit dem Ikea-Beutel, der sich anschickt, sämtliche noch verbliebenen Exemplare zu packen und zur Kasse zu schleppen. Weit kommt er nicht, ein schmieriger Italiener fängt ihn ab und macht ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann. Der Mittvierziger eilt mit dem zur Waffe gerollten »Vertigo« zur Hilfe, doch der Langhaarige händigt dem Italiener bereits zähneknirschend den »Godfather« aus.

Das wichtigste Cover der ganzen Aktion, denn laut der »most ambitious movie poll ever attempted« stellt dieses Werk die schiere Krönung der Filmgeschichte dar. Nanu? Hatte den Platz nicht »Citizen Kane« abonniert? Wohl nicht nach Meinung der teilnehmenden 10.000 »Empire«-Leser sowie der 150 Hollywood-Schaffenden und 50 führenden Kritikern, die eingeladen worden waren, ihre persönlichen Top-10s in einen Topf zu schmeißen.

Zur Gewichtung der Stimmen findet sich keine Info, aber das Ergebnis zeigt, dass hier das filmbegeisterte Volk das Sagen hatte, weniger die Spezialisten und Kapazitäten. Die nämlich tendieren dazu, ehrfurchtgebietende, mit akademischer Reputation beladene Meilensteine an die Spitze zu wählen (siehe die aktuelle Liste des American Film Institute).

Wie das kommt, ist klar. Es geht um Image und Selbstdarstellung: Ein ehrwürdiges Gremium wie das AFI möchte öffentlich genau mit diesen Werken identifiziert werden. Individuelle Vorlieben treten hinter dieser Selbstverständigung zurück, das kollektive Bewusstsein diktiert eine gewisse Objektivierung: Famose Genrewerke mit womöglich gefährlich hohem Unterhaltungswert haben gegenüber zeitlosen, filmgeschichtlich verdienstvollen Filmereignissen das Nachsehen.

David Finchers Wahlzettel »Butch Cassidy« »8 1/2« »Chinatown« »All the President’s Men« »Dr. Strangelove« »Citizen Kane« »Days of Heaven« »Alien« »Paper Moon« »Rear Window« »Monty Python & The Holy Grail« »Being There« »Jaws« »Zelig« »American Graffiti«

Dagegen fördern anonyme, offene Abstimmungen in der breiten Masse ganz ohne Hintergedanken einfach mal die Lieblingsfilme der Leute zutage. Und »Citizen Kane«, diese »Kathedrale von Film« (»Empire«), kann man vergöttern wegen seiner handwerklichen Kühnheit, seiner thematischen Wucht, seiner dramaturgischen Perfektion – richtig lieben aber kann man ihn nicht.

So ist es auch nicht wirklich die Qualität, die von solche Umfragen gemessen wird – diese Kategorie ist auf ewig unscharf und subjektiv. Wer mag schon beurteilen, ob »Godfather« oder »Kane« der bessere Film sei; die »Empire«-Liste zeigt lediglich, dass Don Vito Corleone unter (vornehmlich britischen) Filmenthusiasten dieser Tage beliebter ist als Charles Foster Kane (Platz 28). Aus welchen Gründen auch immer.

Comedy »The Apartment« (12) »Dr. Strangelove« (26) »Some like it hot« (27) »Kind Hearts and Coronets« (42) »The Big Lebowski« (43) »This is Spinal Tap« (48) His Girl Friday (58) The King of Comedy (87)

Allein die Resonanz des Publikums kann helfen, die Qualität eines Films irgendwie greifbar zu machen. Man kann sich einen Teil dieses Publikums herausnehmen – die Kritiker – und auf deren objektiveres Urteilsvermögen hoffen. Finden viele Rezensenten einen Film ganz prima, dann schält sich aus dem Rauschen des Diskurses die gleichsam offizielle Auffassung heraus: »Dies ist ein guter Film.«

Wir alle wissen, das klappt nicht immer. Aber es ist ein Trugschluss zu glauben, die Einbeziehung von Hinz und Kunz in die Erhebung würde ihre Aussagekraft weiter schmälern. Das Gegenteil ist der Fall: Nur so werden unliebsame Störfaktoren der Kritiker-Subkultur nivelliert. Noch besser ist es, wenn die Umfrage zeitlich nicht befristet ist, wie die IMDb-Top-250, dann verabschieden sich nämlich auf lange Sicht Modeerscheinungen und Zeitgeistfavouriten auf die hinteren Ränge.

Top 20 »The Godfather« (1) »Raiders of the Lost Ark« (2) »The Empire Strikes back« (3) »The Shawshank Redemption« (4) »Jaws« (5) »GoodFellas« (6) »Apocalypse Now« (7) »Singin’ in the Rain« (8) »Pulp Fiction« (9) »Fight Club« (10) »Raging Bull« (11) »The Apartment« (12) »Chinatown« (13) »Once Upon a Time in the West« (14) »The Dark Knight« (15) »2001: A Space Odyssey« (16) »Taxi Driver« (17) »Casablanca« (18) »The Godfather Part II« (19) »Blade Runner« (20)

Die Spitzenplätze belegen nun auf jeden Fall Werke, die prototypisch für das stehen, was in den Augen der Filmgemeinde ganz großes Kino ist. Diese Filme stellen die Essenz dessen dar, was die Filmkunst über die Jahre hervorgebracht hat, und dabei ist es nebensächlich, ob der Beurteilende darüber im Bilde ist, warum genau diese Filme so gut funktionieren.

Truffaut war oft daran gescheitert, Hitchcocks »The Lady Vanishes« filmanalytisch zu sezieren, weil er ein ums andere Mal in den Bann der Geschichte gezogen wurde. Hitchcock hatte eben den Dreh raus, Emotionen und Inhalte per Filmsprache zu vermitteln. Dass dieser Prozess so reibungslos funktioniert, macht den Film zu einem guten Film; wie er funktioniert, muss allenfalls Filmstudenten interessieren.

Statistik Knapp die Hälfte der Filme sind 25 Jahre oder älter. Der älteste Film stammt von 1924 (»Greed«, Platz 399), der neueste von 2008 (»Wall-E«, Platz 373). Die Liste enthält 24 Sequels. 14 Filme stammen von deutschen Regisseuren (Herzog, Lang, Lubitsch, von Donnersmarck, Reitz, Hirschbiegel, Murnau, Petersen, Wenders, Stroheim).

Nun gibt es viel mehr gute Filme als diese Liste fassen kann; manch einer mag etwa David Lynchs »Inland Empire« (keine Platzierung) für genauso gut oder besser halten wie »Raiders of the Lost Ark« (Platz 2). Doch für einen Listenplatz muss ein Film nicht nur gut sein, er muss auch wichtig sein. Er muss ein Eigenleben entwickeln, kulturell verhandelt werden, zitiert werden, über sich selbst hinauswachsen, er muss beeinflussen und inspirieren. Vor allem, er muss gesehen werden, erinnert werden, geliebt werden.

»Inland Empire« möchte gar nicht geliebt werden. Ein sehr spezieller Film ist das, und er ist sich seiner Unzugänglichkeit bewusst (wäre er das nicht, wäre er schlecht). Gerade deswegen greifen sich Individualisten den Film als Talisman, genießen das wohlige Gefühl, außerhalb der grauen Masse zu stehen, einen eigenen Geschmack zu besitzen. Bitteschön.

Doch das Gerede von Massentauglichkeit, Kommerz und Mainstream verfehlt oft genug den Kern. Dabei ist es so einfach: Gute Filme können erfolgreich sein, aber nicht alle erfolgreichen Filme sind gut. Tatsächlich ist Kino seinem Wesen nach nicht für Eliten gemacht. Film ist am besten, wenn er allen gefällt, so unglaublich das klingt. Denn wie kaum eine andere Kunst lebt er vom Zuspruch des Publikums, ja er ist darauf angewiesen, dass diese Interaktion funktioniert. Film muss gefallen, um zu überleben.

Regie Spielberg (11) Scorsese (8) Hitchcock (7) Kubrick (7) Burton (6) Kurosawa (6) Allen (6) Wilder (5) De Palma (5) Coen (5) Jackson (5) Coppola (5) Tarantino (5) Lynch (4) Lucas (4) Huston (4) Reiner (4) Zemeckis (4) Cameron (4) Raimi (4) Lumet (4) Nolan (4) Wyler (4) Linklater (4)

Schlimm ist das nicht. Dass es ein Film darauf anlegt, verstanden zu werden, heißt ja nicht, dass er sämtlichen zerebralen Ballast abwürfe und seinen Anspruch auf Kindergartenniveau drosselte. Er wird nur versuchen, formal an das Alltagserleben des Publikums anzuknüpfen, dessen Erfahrungen und Erwartungen einzubeziehen und, ausgehend von vertrauten Konzepten, eine interessante Geschichte zu erzählen, die mit Wirkungsmomenten nicht geizt.

Großes Kino ist keine introvertierte Nischenkunst. Und so ist die neue Liste kein zu belächelndes Konstrukt bemühter Ranking-Spielchen, sie ist ein Schnappschuss lebendiger Filmkultur. Leute lieben nun mal Listen, sie schaffen Überblick über ein weites Feld. Und regen an: Die »Empire«-Top-500 versammelt dann doch etliche ungesehene Juwelen, nicht bloß die üblichen Verdächtigen. Ach so, Moment: »The Usual Suspects«, Platz 61, also doch.

Regionalzeitung (Teil 10)

Leipzig, 22. Oktober 2008, 21:44 | von Austin

 
  46.   erwiesen sich als Renner

  47.   der beliebte Fernsehstar

  48.   rasante Action

  49.   ein Mix aus bunten Themen

  50.   meisterten sie mit Bravour
 

Lovis Corinth in Leipzig

Leipzig, 21. Oktober 2008, 13:59 | von Paco

Vorgestern: Letzter Tag der Lovis-Corinth-Ausstellung im MDBK. Zeit für mich, noch mal kurz rüberzugehen und heute hier kurz zu berichten, wenn die Ausstellung schon abgebaut ist, wenn also gar keine Möglichkeit mehr besteht, dadurch bei anderen einen Besuchswunsch auszulösen. Indem wir so den Servicegedanken untergraben, geben wir der sympathischen Sigrid Löffler einmal mehr Recht.

Schon während ich die Treppe ins Souterrain (in dem die Wechselausstellungen immer stattfinden) nahm, begann dieses Summen, das sich durch die gesamte Ausstellung ziehen sollte.

Es handelte sich um das überkommene Camouflage-Lied »Love Is A Shield«. Irgendwann wurde mir genau klar: Jemand musste den Künstlervornamen »Lovis« laut vorgelesen und dabei eben diese ältliche Melodie assoziiert haben, die nun als Ohrwurm von Wirt zu Wirt weiterzog, obwohl dieser Soundtrack völlig konträr zu den Bildern stand.

Der in der Schreibung von V zu U latinisierte Vorname (aus Louis wurde eben Lovis) zeigt aber darüber hinaus sofort, mit was für einem Maler man es zu tun hat. Einem intellektuellen Maler, der sich zumindest vor seinem Schlaganfall 1911 vor allem an klassischen Vorbildern abarbeitete, hauptsächlich den Werken des holländischen/flämischen 17. Jahrhunderts.

Deshalb lag diese eine Museumsführerin, die das Gemälde »Geschlachteter Ochse« (1905) mit biografischen Details hinsichtlich irgendwelcher Schlachthausbesuche erklärte, auch erst mal falsch. Wie oft Corinth auch tierische Innereien live gesehen hat, das Bild ist eben vor allem eine manische Reprise des Rembrandt-Vorbilds.

So ging es weiter, mit der »Susanna im Bade« (1890) und den Mutter-Bildern zum Beispiel, immer wieder vor allem Rembrandt, dann aber eben doch auch anderen Sachen.

Das populärste Corinth-Bild, auch dieser Ausstellung, ist natürlich das »Mädchen mit Stier (Charlotte)« (1902). Wieder eine Anlehnung an ein Vorbild, diesmal an den besten Kuhmaler der Welt, Paulus Potter (natürlich ebenfalls Holland, ebenfalls 17. Jh.).

Von dessen Gemälde »Der junge Stier« (1647) weicht Corinth allerdings in einem wichtigen Punkt ab: Statt eines Hirten stellt er neben den Stier ein Abbild seiner Charlotte-Frau, die das sanft dreinblickende Stierungetüm holzhammerartig sanft mit einem rosa Seidenband als Leine gebändigt hat.

Im Umkreis dieses Bildes wurde sogar das »Love Is A Shield«-Gesumme von Grinsgeräuschen übertönt. Überhaupt war Corinth kein störrischer Gemetzelmaler. Die Leipziger Zusammenstellung hob auch den Quatschmacher hervor, der sich in albernen historischen Ritterkostümen selber porträtierte. Für diese Dichotomie hat Hanno Rauterberg in der »Zeit« eine schöne Formulierung gefunden: »Corinth, ein Vulkan, der auch Konfetti speien kann.«

Usw.

»Die Messe ist gelesen«

Konstanz, 20. Oktober 2008, 21:50 | von Marcuccio

Was für eine naheliegende, nichtsdestotrotz geile FAS-Headline für den Sonntag gestern, und für eine SONNTAGszeitung überhaupt.

Ich bin jetzt auch durch die FAS-Lit-Beilage vom vorletzten Wochenende: Tobias Rüthers Text zur JoachimKaiser-Biografie – voller Einlassungen und Anekdoten: Rainald Goetz, der leider nie zum Vorstellungsgespräch kam …

Meine Lieblingsstelle in der »Suada«: die Frage, wo Juli Zeh eigentlich steckt und die Mutmaßung:

»Bestimmt arbeitet sie zur Stunde an einem diesmal etwas ausführlicheren Essay über die Wirtschaftskrise und darüber, was speziell ihre Generation jetzt dagegen tun muss.«

Mäßig eigentlich nur Dirk Schümer, von dem ich ja sonst gern lese, aber vielleicht doch lieber über Slowfood- und andere italienische Themen als über deutsche Nachkriegsliteratur.

Übrigens, die »Teenage«-Besprechung in der Beilage der werktäglichen FAZ ist mit einem Bild von Franz Marc illustriert, witzigerweise musste ich sofort an Austins Diktum denken, über das Paco und ich uns im Kunsthaus Zürich unterhielten: Franz Marc ist der Deko-Maler fürs Mädchenzimmer.

Die FAZ-Rezensionen sind immer vollkornig, d. h. man kann die echt nur stückweise zu sich nehmen, wird dafür aber ausnahmslos nahrhaft versorgt und nicht so wischi-waschi-softi wie zuletzt vom neuen ZEIT-Literatur-Magazin, in dem man das Meiste vergessen kann und den Rest auch – bis auf Ursula März‘ Homestory bei Ruth Klüger.

Laut Dirk Knipphals (»buchmessern«) wird da hinter den Kulissen wohl noch um die Ausrichtung gerungen (Greiner vs. Illies).

Überhaupt ist ja ein ziemlicher Trend zur Ausdifferenzierung zu erkennen. Die FAZ macht jetzt sogar eine extra Buchmessenzeitung (!), mit People-Kram und Pics wie in der »Bunten« (schon gesichtet? Jürgen Dollase: in PDF Nr. 5, S. 12).

Insofern hoffe ich wirklich, dass die klassischen Rezensionsfriedhöfe noch viele Jahre weiter leben, weil die eben auch wirklich ein Service sind und das Saisonpanorama bieten.

Ende der Durchsage bzw. um zum Titel zurückzukommen: Amen.

Wie die FR das FAZ-Titelbilder-Voting erfand

Konstanz, 19. Oktober 2008, 20:12 | von Marcuccio

–Auch schon gevotet?
–Nee.
–Aber schon gehört?!
–Was?
–Na, wovon die halbe Halbwelt flüstert …
–???
–Von dem FAZ-Titelbilder-Voting, das ja eigentlich die FR erfunden hat. Genauer gesagt Arno Widmann, als er am 12. Juli diese Hymne anstimmte:

Das Foto ist inzwischen meistens völlig unerwartet und die Bildunterschrift klärt dieses Überraschungsmoment nicht flugs auf, »um die Leser« – wie es auf Journalistenschulen heißt – »abzuholen«, sondern spielt mit ihm, treibt es weiter bis zur Selbstpersiflage.

Tatsächlich ist das Seite-1-Foto der F-Zeitung nur selten ein klassisches Nachrichtenbild (dann ohne Strich direkt an den Aufmacher-Artikel gekittet). Meistens bildet das Titelbild eine Nische für sich, vom informationsjournalistischen Nachrichten-Rest durch einen mitteldicken Strich getrennt. Gedeiht hier also so was wie ein neues Feuilleton über dem Strich? Wenn man Widmann glauben darf, schon:

Man lese den von durchtriebenster Jean Paulscher Umständlichkeit inspirierten FAZ-Zehnzeiler, der gestern unter dem Foto von Seite eins stand: »›Unterteuft‹ nannte Thomas Mann die Tiefenschichten deutscher Geschichte und Politik (im ›Doktor Faustus‹), ein Wort aus dem Bergbau, wo Schächte nicht einfach gebohrt, sondern abgeteuft werden. Das Wort hat aber auch etwas von Taufe und Teufel in sich, weshalb es zu weitreichenden Betrachtungen über die unterschwellige Religion mancher Politik taugen könnte (zum Beispiel in der Atompolitik). Unser Bild zeigt eine Nische im Endlager Schacht Konrad mit der heiligen Barbara, der Schutzheiligen der Bergleute.«

Ein Klick ins Titelbilder-Mosaik und schon ist Widmanns Lieblingsnische (2. von links, 2. von unten) zu entdecken. »Auf sie soll’s tausend Preise regnen«, sagt Widmann, der seinerseits aber auch einen Preis verdient hat, für seine FAZ-Foto-Love-Story.

Frieze, Zoo, Manifesto Marathon

London, 19. Oktober 2008, 08:13 | von Dique

»Erstaunt über die Dinge und wegen meiner Unwissenheit fragte ich einen von meinen Kölner Freunden mit jenem Vergilvers: ›Was will die Menge am Flusse? Was verlangen die Seelen?‹« – Petrarca

Frieze Art Fair, und in der Stadt brodeln die Kunstevents in deren Fahrwasser. Neben der Frieze im Regent’s Park gibt es die Zoo in der Royal Academy und in der Serpentine Gallery den Manifesto Marathon, und da bin ich gerade, und es lesen Ingo Niermann und Zak Kyes.

Ich bekomme das Gelesene nur fetzenweise mit, höre aber immer wieder das Wort ›Vril‹, eine Art Kraft, welche sich die Menschen nutzbar machen können. Ich denke natürlich an »The Coming Race« von Edward Bulwer-Lytton. Ich las das Buch auf Deutsch, »Vril oder Eine Menschheit der Zukunft«.

Vril ist eine geheimnisvolle Kraft, welche eine unter der Erde lebende Zivilisation beherrscht. Jeder Verschwörungstheoretiker denkt dann natürlich an die Vril-Gesellschaft, eine angebliche Geheimgesellschaft, die sich ihren Namen angeblich von Bulwer-Lyttons Buch geliehen haben soll. Ich nehme das so hin und rede darüber, bis ich darauf hingewiesen werde, dass Niermann nicht ›Vril‹ sagte, sondern ›Drill‹.

Conan O’Brien hatte früher den Sidekick Andy Richter, und ich erinnere mich an einen Sketch, in dem die beiden im Central Park sind und plötzlich »the Woody Allens« sehen. Man sieht also einige Leute herumlaufen, die wie Woody Allen gekleidet sind, also »the Woody Allens«, sehr bizarr.

Ich erinnere mich daran, weil ich gerade Gilbert & George über die Wiese spazieren sehe, es sind nur die beiden, also Gilbert und George, aber mir kommen sie wie viel mehr vor, und ich sitze wie geplant mit Stefan von rebell.tv auf einer Bank unweit der Serpentine Gallery, und er winkt ihnen zu, und Gilbert (oder George?) winkt zurück.

Die Lesungen finden mehr oder weniger unter freiem Himmel statt, in diesem Holzgebilde von Frank Gehry, welches schon seit ein paar Monaten vor der Galerie steht. Kurz bevor Yoko Ono liest, gehen wir essen.