Lost: 5. Staffel, 16. und 17. Folge

Paris, 21. Mai 2009, 22:03 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »The Incident (Parts 1 + 2)«
Episode Number: 5.16+17 (#101+#102)
First Aired: May 13, 2009 (Wednesday)
Deutscher Titel: »Der Vorfall (Teil 1 + 2)« (EA 23./30. 7. 2009)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Mit der finalen Doppelfolge der 5. Staffel von »Lost« hagelt es noch einmal Drastik vom Erzählhimmel. Und mit dem Auftauchen des bisher nur als Schatten und Idee existierenden Jacob (sprich: Dschäjkepp) kriegen wir eine neuerliche Macht- bzw. Machtverlust-Allegorie serviert – sowieso das thematisch interessanteste Kontinuum der Serie. Dass er am Anfang der Doppelfolge neben der noch intakten (endlich auch mal aus der Nähe zu sehenden!) vierzehigen Riesenstatue herum­lungert, dass der Kampf um die Inselherrschaft also schon seit ewigen Zeiten zu laufen scheint, gibt dem Ganzen eine nachgerade biblische Dimension.

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Montaigne, übersetzt aus dem Japanischen

Paris, 20. Mai 2009, 02:14 | von Paco

Montaigne, ca. 1578 (Quelle: Wikimedia Commons)Heute endlich mal wieder den Zeitungs- und Magazin-Stapel verarztet. Im »Nouvel Obser­vateur« von vor 2 Wochen (7. Mai) fand ich (auf S. 107) einen kurzen Artikel über zwei neue Montaigne-Übersetzungen – ins Französische. (« Montaigne traduit du japonais »)

Der Artikel kreist um die Frage, ob Montaignes Essais (die ersten Bände erschienen 1580) nicht in einer Art Fremdsprache geschrieben seien. Michel Onfray, der eines der beiden frisch erschienenen Bücher bevorwortet hat, diagnostiziert gar (im Ton von Dr. House, wie der »Nouvel Obs« schreibt), dass Montaignes Französisch nachgerade zu den toten Sprachen gehöre. Montaigne braucht Botox!, schreit es also aus dem Text, bevor dann natürlich die obligatorische Kritik an einer solchen Unternehmung folgt (Tenor: Was soll das, bitte schön???).

Die erste geupdatete Version (von André Lanly, bei Gallimard) hatte nun langweiligerweise den Urtext als Vorlage, der sprachlich einfach modernisiert wurde. Bei der zweiten Version (Pascal Hervieu, bei Flammarion) handelt es sich dann aber technisch gesehen um eine echte Übersetzung. Als Vorlage für die Neufassungen zweier ausge­wählter Kapitel der Essais (»De l’expérience« und »Sur des vers de Virgile«) diente die Übersetzung ins Japanische.

Übersetzungsspiele mit maschinellen Translatoren wie Babel Fish sind immer gut für einen Scherz zwischendurch. Im vorliegenden Fall FRA–JAP–FRA hat sich aber ein menschlicher Übersetzer mehrere hundert Seiten vorgenommen, damit sich durch das Prinzip ›Stille Post‹ die blumige Schwerfälligkeit des Originals verflüchtige. Diese Übersetzung der Übersetzung bleibt jedoch als typisch romantische Potenzierung trotzdem vor allem ein luxuriöses Spiel.

In einem ähnlichen Fall hatte man jedenfalls schlagendere Gründe: Als 1823 zwei Franzosen die 1805 erschienene, von Goethe angefertigte Diderot-Übersetzung »Rameaus Neffe« in die Originalsprache rück­übertrugen, taten sie dies, weil das französische Originalmanuskript nicht lokalisierbar war (wurde erst 1891 gefunden).

Quoi qu’il en soit, vielleicht ist es alsdann auch einfach mal an der Zeit, irgendwelche deutschen Klassiker aus einer exotischen Sprache rückzuüber­setzen. Gryphius? Grimmelshausen? Oder einfach mal Kant? Oder, wenn wir mit Montaigne im 16. Jahrhundert bleiben: Vielleicht über­setzt einfach mal jemand die Lutherbibel zurück ins Althebräische bzw. Altgriechische?

(Bildquelle: Wikimedia Commons)

Dique — Das Interview

Paris, 18. Mai 2009, 12:00 | von Paco

Auf Wall of Time ist heute in der Reihe »Time traveler’s wisdom« ein großes Interview mit Le Dique erschienen, der hier beim Umblätterer vor allem für pindarische Sprünge und bisher nicht existierende Zusammenhänge zuständig ist. Hier zwei Auszüge aus dem Gespräch:

Zur Wirkungsgeschichte der Slayer-Platte »Reign in Blood«:

»Ich denke, wenn Stefan Zweig das noch erlebt hätte, hätte er bei Insel noch eine seiner Sternstunden der Menschheit dazu veröffentlicht.«

Zur Überwindung des Zeitlochs beim Zähneputzen:

»Ja, das Zähneputzen sollte man ja mindestens drei Minuten tun und je nach Schriftsatz kann man in dieser Zeit ungefähr ein bis zwei Buchseiten konsumieren. Ich brauche aber für die Dentalpflege etwas mehr Zeit, weil ich vor dem Bürsten noch die Zahnzwischenräume reinige, mittlerweile nicht mehr mit Zahnseide, dazu braucht man ja zwei Hände und kann kein Buch halten, sondern mit diesen kleinen borstigen Reinigungsstäbchen, und schaffe also in dieser Zeit einen längeren Artikel oder einige Buchseiten

Das Gespräch gibt es auch als entzückend schön gesetztes PDF-Handout.

Dique zur Einführung:

The Best Newsagent (05/2007)
Der beste Investment-Essay aller Zeiten (09/2007)
Die FAS und die Tauben (01/2008)
Der letzte »Economist« (09/2008)
Der Vagina-Katalog (01/2009)
Im Halbschlaf (02/2009)
Im Apsley House (03/2009)

Usw.

Lost: 5. Staffel, 15. Folge

London, 16. Mai 2009, 13:17 | von Dique

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »Follow the Leader«
Episode Number: 5.15 (#100)
First Aired: May 6, 2009 (Wednesday)
Deutscher Titel: »Der Anführer« (EA 16. 7. 2009)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Folgenlang hat uns Faraday eingebläut, und we took it for granted, dass man durch Taten in der Vergangenheit nicht die Zukunft ändern kann, whatever happened, happened. Das ist endgültig Schnee von gestern. In dieser Folge beginnen die in den 70ern gelandeten Losties, an die­ser Vergangenheit herumzudoktern, damit am Ende der Kausalkette der Oceanic-Flug 815 im Jahr 2004 eben nicht vom Himmel fällt, nur weil Desmond vergessen hat, den 108-Minuten-Knopf zu drücken.

Der brachialste Ansatz dafür ist die Zündung der auf der Insel befind­lichen Wasserstoffbombe. Und ausgerechnet Dr. Jack Shephard geht mit dieser Idee völlig d’accord, er betrachtet das als unausweichlichen Auftrag des Schicksals und erinnert dabei immer mehr an seinen esoterischen Gegenpart John Locke. Der schöne Eid des Hippokrates scheint dem ehemaligen Superarzt mittlerweile völlig Wurst zu sein.

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Lazarillo, Hoffmann, ZERN, Gemäldegalerie, Bode

London, 11. Mai 2009, 21:48 | von Dique

Neulich kurz in Berlin gewesen, dort auf dem Flohmarkt endlich mal den Lazarillo von Tormes gekauft, welchen mir Paco immer wieder ans Herz gelegt hatte. Ich las ihn gleich auf der nächsten Kaffeehausbank in einem Zug, und er hat mir natürlich bestens gefallen.

Danach gleich noch von Hoffmann den »Meister Martin der Küfner und seine Gesellen« (was soll man auch sonst in Berlin machen?), auch sehr fein und die von uns neulich begonnene Liste der besten 100-Seiten-Bücher wächst. Wenn wir 100 beisammen haben, geben wir einen entsprechenden Kanon heraus. Goldschnitt, Lesebändchen, säurefreies Papier, gedruckt bei Alfred A. Knopf.

Dann zur Eröffnung in die ZERN Gallery, obwohl ich kaum noch was erkennen konnte, nach all der Leserei. Dort war auch Ingo Niermann, und ich erzählte ihm von der hier berichteten Drill/Vril-Verwechslung, er freute sich aber mehr über die Erinnerung an den Auftritt von Gilbert & George (ebenda). Gesa Johanna Roskamp erinnerte mich an Pontormo und das wurde mit Wohlwollen quittiert.

Am nächsten Tag in der Gemäldegalerie zur Rogier-van-der-Weyden-Ausstellung, danach die italienische Reproduktionsgrafik von Mantegna bis Caracci. »Gibt es zu der Ausstellung einen Katalog?« »Nein.« »Mist.«

Dann noch schnell ins Bode-Museum, um das Flaxman-Relief anzuschauen, ultraklein für die Größe, mit der es überall in diesem Berlin beworben wird, aber trotzdem sehr schön. Wobei das Schönste im Bode immer noch diese wunderschöne Dorothea-Terrakottafigur von Andrea della Robbia ist.

Diese altarmäßige Präsentation und diese schöne Figur, welche durch das Material so weich wirkt, sieht fast aus wie Holz und ist mal eine angenehme Abwechslung zu den sonst meist weiß-blauen glasierten Reliefs des della-Robbia-Clans.

Usw.

Die FAS vom 10. 5. 2009:
Motive sind verzichtbar

Paris, 10. Mai 2009, 14:55 | von Paco

Es ist einmal wieder Zeit für einen Sonntagszeitungs-Recap, den Umbl-Klassiker. Also saß ich heute morgen zweieinhalb Stunden im damals noch menschenleeren Jardin du Luxembourg und las alles genau durch.

Schon die sehr gute Teaser-Überschrift auf der Frontseite, »Taten deutscher Dichtung«, zog mich hinein ins Feuilleton (S. 25), auch wenn die Fakten um Frenzels komisches Dichtungsdatenwerk, die Herkunft der Autorin aus der Nazigermanistik usw., schon weithin bekannt sind.

Obwohl dieses J’accuse von Volker Weidermann also etwas spät kommt – zumal der Verlag verlauten ließ, dass es sozusagen bald eh keine Neuauflage mehr geben wird –, klingt diese Geschichte immer wieder aufs Neue unglaublich, haarsträubend, unerhört, unfassbar, unvorstellbar, unsäglich oder, wie Weidermann selber an zwei Stellen schreibt, skandalös.

Dann weiter, Stichwort: one of us. Nach Horst Tappert, Roger Willemsen und dem Umblätterer outet sich auch Daniel Kehlmann als Hamsun-Leser. Auf S. 29 gibt es einen Vorabdruck seines Nachworts zu einer Neuausgabe von »Hunger« (Überschrift: »Der Bruch«). Es ist ein sehr hervorragendes Nachwort, sehr zweckorientiert und pointiert, da wird die ganze Herrlichkeit des Hamsun einfach mal auf den Punkt gebracht:

»Genau das ist die epochale Entdeckung des Romanciers Knut Hamsun: Motive sind verzichtbar. Es ist nicht nötig, zu verstehen, warum Figuren sich so verhalten, wie sie es tun; (…).«

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die neulich (vor einem Jahr) hier von Dique zelebrierte Geigen-Szene aus den »Mysterien«.

Ok, was sonst noch. Julia Encke überführt auf sehr schöne Weise Jan Fleischhauer einer von ihm unbemerkt begangenen mise en abîme (S. 26):

»Fleischhauers Grundvorwurf an die Linken ist das, was er die ›Erfindung des Opfers‹ nennt. Das Opfer, sagt er, stehe am Anfang aller linken Politik, als dessen Anwalt diese sich aufspiele. (…) Dass er in einer mise en abîme sein eigenes Vorgehen mit so bemer­kenswerter Präzision beschreibt, scheint ihm allerdings zu entgehen. Denn als nichts anderes stilisiert er sich ja die ganze Zeit: als Opfer jener linken Sozialisation, (…).«

Außerdem sei sein Buch »Unter Linken« langweilig wie nur was. Eine Umblätterung weiter, unter dem Kehlmann-Text, prangt dann eine drittel­seitige Verlagswerbung für den Fleischhauer, schön signalfarbig in Rot gehalten.

Ansonsten gibt es auch wieder einen instantanen Reich-Ranicki-Klassiker unter den von ihm beantworteten Sonntagsfragen (S. 27):

Welches der Kinder Thomas Manns war literarisch am begabtesten?
Bastian Nitzschke, Hünfeld

Golo.

Liebe Klaus-Mann-Fans (zum Beispiel), bitte schreibt jetzt Abbesteller-Leserbriefe voller Protest und Anklage, sie würden gut in unsere Sammlung passen, danke.

Usw.

Lost: 5. Staffel, 14. Folge

Paris, 6. Mai 2009, 22:20 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »The Variable«
Episode Number: 5.14 (#99)
First Aired: April 29, 2009 (Wednesday)
Deutscher Titel: »Die Variable« (EA 9. 7. 2009)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

(Vorab: ABC feiert mit dieser Episode offiziell die 100. Folge »Lost«, meint damit aber die 100. produzierte TV-Stunde »Lost«. Wir sind wie viele ande­re mit unserer Zählung erst bei #99, da wir die zweistündige Folge 1.24, »Exodus, Part 2«, nur einfach zählen. *egal*)

2008

In der vorletzten Folge wurde Desmond von Ben angeschossen, und als diesmaligen Opener erleben wir eine »Emergency Room«-mäßige Krankenhaus-Sequenz mit Desmond auf einer Bahre, die hektisch durch einen Krankenhausgang gerollt wird. Dem verletzten Schotten wird ein Atemgerät aufs Gesicht gepresst, und ein paar Ärzte schreien so klischiert wie möglich irgendwelche Begriffe durch die Gegend.

Dann tritt Eloise Hawking in den Wartesaal, die Frau, die alle Lächer­lichkeiten der 5. Staffel so perfekt personifiziert. Wie ein Orakel ihrer selbst verkündet sie Penny nun, dass Daniel Faraday ihr Sohn sei, der wiederum Desmond nach L. A. geschickt habe, um sie zu finden und die Rückkehr der Oceanic Six zu organisieren. Ansonsten sind ihr ähnlich wie Ben mittlerweile die Zügel aus der Hand geglitten: »For the first time in a long time, I don’t know what’s going to happen next.« (Was für eine Wohltat, hoffentlich wird die Alte jetzt erträglicher, hehe.)

Die Szene im Spital funktioniert als Klammer für die gesamte Folge und wird erst am Ende wieder aufgenommen. Dann kreuzt schließlich auch Widmore auf und erkundigt sich so nach dem Neuesten. Dabei kommt heraus, dass Faraday nicht nur der Sohn von Eloise, sondern auch der von Widmore ist. Also ist Faraday der Halbbruder von Penny, der Schwager von Desmond usw. Dazu gibt es noch die Andeutung, dass der Physikus von seiner Mutter geopfert werden musste. Und das wird dann auch der Cliffhanger, doch dazu später.

Faradays Kindheit und Karriere

Diese Faraday-centric episode inszeniert den Zeitreise-Wissenschaftler so ein bisschen als Hanno Buddenbrock für Arme. Seine Mutter unter­bricht ihn in ganz jungen Jahren beim glückseligen Pianospiel. Sie fragt ihn, ob er wisse, was destiny sei. Äh, nein, sagt er. Die richtige Antwort lautet: »Destiny means that, if one has a special gift, then it must be nurtured.« Und das wird Faradays Trauma, etwas zaunpfahlartig in diesen vorausdeutenden Dialog gepresst:

FARADAY: But I want to keep playing the piano. I can do both. I can make time.
ELOISE: If only you could.

Später sehen wir ihn an der Uni wieder, nach seinem Abschluss als »youngest doctorate that ever graduated from Oxford«. Er schleppt eine Theresa an, Freundin und Forschungsassistentin, doch seine Mom will lieber mit ihm allein lunchen. Als sie dann beieinander sitzen, macht sie aber gleich die Biege, kurz nachdem sie gehört hat, dass Daniel für seine Forschungen 1,5 Mio. Pfund zur Verfügung gestellt wurden, von einem Industriellen namens – Charles Widmore.

Als nächstes betrachten wir die Spätfolgen des Faraday’schen Traumas: Er ist depressiv, heult die ganze Zeit und hat Erinnerungs­probleme. Irgendwann nach dem Absturz des Oceanic-Fluges 815 sieht er rein zufällig eine Fernsehsendung über die Bergung des (von Widmore gefakten) Oceanic-Flugzeugwracks. In diesem Moment taucht zufällig Widmore selber bei ihm auf, um ihn für die Kommando-Tour auf die Insel zu gewinnen. Widmore lockt ihn damit, dass er von der Insel geheilt werde, Eloise damit, dass es sie mit Stolz erfüllen würde, wenn er Widmore zusage.

1977

MILES: What the hell are you doing back here, Dan? Once you left for Ann Arbor, I figured you’d gotten rich, invented the DVD or something.

Faraday ist seit dem Ende der letzten Folge also in der 1977er Hand­lung angekommen, nachdem er nach Folge 5.08 zunächst spurlos verschwunden war. Er lässt sich von Miles zu Jack bringen. Dieser darf einige Suggestivfragen beantworten, damit Faraday ihn dann belehrt: Entgegen den Behauptungen seiner Mutter Eloise sei die Rückkehr zur Insel gar kein unausweichliches Schicksal gewesen, ätsch. »I got some bad news for you, Jack. You don’t belong here at all. She was wrong.«

Nach dieser Verkündung macht sich Faraday auf den Weg zur Orchid-Station. Die Szene aus 5.01 wird wiederholt, in der sich Faraday und Dr. Chang in der Nähe des Energiefeldes begegnen. Und dann (aaaaahh!) kommt der Unsatz aller Unsätze, gesprochen von Faraday: »I’m from the future.«

Und Chang lacht sich nicht kaputt darüber, sondern kuckt Faraday weiter ernst an. Dann will der kittelbewehrte Dharma-Wissenschaftler abhauen, doch Faraday bekniet ihn weiter. Um ihn auf den Ernst der Lage aufmerksam zu machen, spoilert er ihn sogar mit der Info voll, dass Miles sein Sohn sei (was ja nun wirklich obvious ist: »A Chinese man named Miles – the same name as your baby – shows up with me from the future. You really think this is all coincidence?«) Miles seiner­seits streitet das dann ab, Faraday argumentiert weiter auf verlore­nem Posten.

Schauplatz-Wechsel. Endlich ist auch Sawyer, der es sich in den 70ern so schön bequem gemacht hatte, zu der Erkenntnis gelangt, dass es an der Zeit sei, dem Dharma-Dorf den Rücken zu kehren. Ganz weg von der Insel oder bloß rein in den Dschungel, das ist die Frage. Zufällig taucht dann Faraday auf und verklickert allen, dass er die Hostiles finden muss, allen voran seine Mom, denn die sei »the only person on this island who can get us back to where we belong«. Sawyer, der ewige Wortspielheld, erwidert Richtung Faraday: »Your mother is an Other?«

Und wie so oft, wenn es handlungsmäßig voran zu gehen scheint, bilden sich zwei Lager. Das ist ein narratives Kontinuum bei »Lost« und auch eine der Stärken der Serie. Sawyer, Juliet, Miles und Hurley wollen jedenfalls nicht mit zu den Others und entscheiden sich, zurück zum Beach zu ziehen, »right where we started«.

Vor dem großen Aufbruch findet sich noch Zeit für ein kleines Zwischen­spiel: Faraday spricht zu einem rotblonden Mädchen auf einer Schaukel. Es ist Charlotte, seine demnächst große Liebe. Er will sie warnen und sie auffordern, samt ihrer Mommy mit dem nächsten U-Boot die Insel zu verlassen. Er widerspricht sich damit selbst, seinem bisher ubiquitären Slogan »whatever happened, happened«. Jetzt heißt die Devise: »I didn’t think I could change things. But maybe I can.« Diese Aussage kommt nicht gerade gut motiviert daher, ein weiteres Indiz für die Beliebigkeit, mit der unserem schönen »Lost« dieses bescheuerte Zeitreise-Thema aufgebürdet wurde.

Aber egal, viel Zeit zum Reflektieren bleibt nicht, denn Radzinsky trifft ein und fragt die Aufbrechenden (Kate, Jack, Faraday), was da los sei. Eine wilde Schießerei setzt ein (endlich mal wieder Action), Faraday wird verwundet. Mit Ach und mit Krach entfliehen die Drei im hellblauen Dharma-Jeep. Radzinsky und seine Mannen ziehen indessen weiter zu LaFleur/Sawyer und entdecken dort den gefesselten und geknebelten Phil. Sieht schlecht aus für Sawyer & Juliet, aber dieser Handlungs­strang bricht hier erst mal ab, to be continued in der nächsten Folge.

Bei einer Rast im Dschungel hält Faraday dann eine Rede, in der er einen gut Teil des magischen Realismus der ersten drei Staffeln auf eine plausible »chain of events« zurückführt: In ein paar Stunden werde man bei der Swan-Station auf ein riesiges Energiefeld (»a massive pocket of energy«) stoßen, und deshalb werde der Hatch gebaut, und deshalb habe der Button gepusht werden müssen. Desmond werde ihn dann eines Tages vergessen zu betätigen, im September 2004, was zum bekannten Flugzeug-Crash führen werde. Und all das »is gonna start happening this afternoon. But – we can change that.«

Weil er von seinen artigen Zuhörern Jack und Kate nicht unterbrochen wird, ereifert sich Faraday immer weiter und ergeht sich dann Paolo-Coelho-haft in einer esoterischen Menschlichkeitssuada: »I forgot about the variables. Do you know what the variables in these equations are, Jack? Us. We’re the variables. People. We think. We reason. We make choices. We have free will. We can change our destiny.« So billig wird also die vormalige Direktive »whatever happened, happened« endgültig widerlegt. Und endlos gähnt das Murmeltier.

Faraday will nun das Energiefeld unter der Swan zerstören, und zwar mit der Jughead-Wasserstoffbombe aus Folge 5.03. Dann werde der Oceanic-Flug 815 auch nicht crashen, sondern vielmehr sanft in Los Angeles landen. Und »Lost« hätte es nie gegeben.

Der Plan wird jedoch erst mal volle Kanne durchkreuzt, denn als sich Faraday im Lager der Hostiles mit Waffengewalt Zugang zu seiner Mutter verschaffen will, wird er hinterrücks angeschossen – von seiner Mutter. Japsend, mit dem Tode ringend, versucht er ein letztes klärendes Gespräch mit ihr:

FARADAY: Eloise. You knew. You always knew. You knew this was gonna happen. You sent me here anyway.
ELOISE: Who are you?
FARADAY: I’m your son.

Bitte was? Das ist doch so ein abgrundtief schlechter Seifenopern-Satz, wenn irgendein neuer Charakter mit dem Presslufthammer ins Drehbuch geschrieben wurde, »I’m your son«. Nach dem vorhin gehörten Unsatz »I’m from the future« ist das dann gleich Faradays zweites Stil-Verbrechen. Mal sehen, was noch kommt, hehe.

Regionalzeitung (Teil 20)

Leipzig, 1. Mai 2009, 20:04 | von Austin

 
  96.   beherrschte sein Handwerk perfekt

  97.   eine beeindruckende Show auf die Bühne zauberte

  98.   konnte nicht mithalten

  99.   klingt erst mal nach schwerer Kost

  100.   mit einem lachenden und einem weinenden Auge
 

Kaffeehaus des Monats (Teil 44)

sine loco, 30. April 2009, 07:24 | von Guest Star

(Gastbeitrag von Benjamin Stein)

Wenn du mal richtig Zeitung lesen willst:

Jazzbar Vogler, München

München
Das Vogler in der Rumfordstraße 17.

(Kein Café-Haus, sondern eine Jazz-Bar. Umblättern kann man
dort dennoch in Seelenruhe, und zwar 1 Stunde lang von der
Lokalöffnung um 19:30 Uhr bis 20:30 Uhr, wenn der Live-Jazz
beginnt. – Unbedingt den Mail-Rundbrief des Inhabers Thomas
Vogler abonnieren, den er regelmäßig verschickt, um Freunde
des Lokals über das Programm und die unerhörten Ereignisse
zu unterrichten, die sich im Voglers gelegentlich zutragen.)

Das Feuilleton schwänzt den Walser-Wandertag

Konstanz, 27. April 2009, 14:06 | von Marcuccio

Was dem Dique seine RoRoRo-Monografien, sind mir ja die Suhrkamp-Prachtbände »Sein Leben in Bildern und Texten«. Okay, sie passen eher auf Tische als in Taschen, und hinein kommt auch nur, wer zwingend altgedienter Suhrkamp-Backlist-Autor ist: Also Hesse. Brecht. Und natürlich Walser, Robert, nicht (mehr) Martin.

Doch schon mit diesen wenigen Großkalibern haben sich mir ganze Ikonografien deutscher Literaturgeschichte ins Gehirn gefräst: Hesse mit Strohhut und Gartenfeuer, Brecht auf Frischs Letzibad-Baustelle in Zürich – und eben Robert Walser mit Schirm und Hut am Rand der langen, leeren Straße.

Es ist DAS Bild des Spaziergängers Robert Walser, oder muss man sagen: des von seinem Vormund zum Spazierengehen abgeholten Anstalts-Insassen Robert Walser? Das Foto, aufgenommen von Carl Seelig am 23. April 1939, wurde dieser Tage 70 Jahre alt. Aber was macht das sonst so jubiläumsgeile Feuilleton? Es schwänzt diesen Wandertag.

Dabei war es doch ein großer Tag: »Wir machen den Weg Herisau–Wil, ständig plaudernd, in dreieinhalb Stunden«, schreibt Seelig, und weiter: »Er läßt sich auch ohne Widerstand fotografieren. Ich bin baff. Es macht ihn glücklich und lustig, daß wir die 26 Kilometer so schnell hinter uns gebracht haben, nur mit einem Vermouth als ›Benzin‹.«

Und naja, in Wil wurde natürlich, wie immer bei solchen Gelegen­heiten, noch zünftig eingekehrt: »Wir essen ›Im Hof‹, haben gewaltigen Hunger und kehren nachher von einer Wirtschaft zur anderen ein. Im ganzen waren es fünf.« So halb stolz, halb betreten konnte es nur ein Carl Seelig protokollieren, wahlweise auch mit Speisenfolge, Rotweinsorten, Walsers Worten zu den Serviertöchtern.

Solange »Der Vormund und sein Dichter« nicht endlich mal wieder gesendet wird, bleibt »Robert Walser. Sein Leben in Bildern und Texten« die einzige Alternative zum Nachwandern durch Text und Bild, herausgegeben und gestaltet von dem wie immer unermüd­lichen Bernhard Echte.