Lost: 5. Staffel, 15. Folge

London, 16. Mai 2009, 13:17 | von Dique

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »Follow the Leader«
Episode Number: 5.15 (#100)
First Aired: May 6, 2009 (Wednesday)
Deutscher Titel: »Der Anführer« (EA 16. 7. 2009)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

Folgenlang hat uns Faraday eingebläut, und we took it for granted, dass man durch Taten in der Vergangenheit nicht die Zukunft ändern kann, whatever happened, happened. Das ist endgültig Schnee von gestern. In dieser Folge beginnen die in den 70ern gelandeten Losties, an die­ser Vergangenheit herumzudoktern, damit am Ende der Kausalkette der Oceanic-Flug 815 im Jahr 2004 eben nicht vom Himmel fällt, nur weil Desmond vergessen hat, den 108-Minuten-Knopf zu drücken.

Der brachialste Ansatz dafür ist die Zündung der auf der Insel befind­lichen Wasserstoffbombe. Und ausgerechnet Dr. Jack Shephard geht mit dieser Idee völlig d’accord, er betrachtet das als unausweichlichen Auftrag des Schicksals und erinnert dabei immer mehr an seinen esoterischen Gegenpart John Locke. Der schöne Eid des Hippokrates scheint dem ehemaligen Superarzt mittlerweile völlig Wurst zu sein.

Aber zunächst einmal hat Eloise Hawking am Ende der letzten Folge ihren eigenen Sohn, Daniel Faraday, über den Haufen geschossen, würde über dessen Identität aber leider erst durch das Raunen des Sterbenden in Kenntnis gesetzt. Nun findet sie in seinem Notizheft eine von ihr geschriebene Zeile, an welche sie sich nicht erinnern kann, denn sie kennt ja ihren Sohn noch nicht (beim Nacherzählen tut dieser Zeitreiseunfug erst so richtig weh!).

Bis zum sprichwörtlichen Erbrechen werden wir in dieser Folge mit diesem Zeitreisestuss torpediert. Ständig Fragen und Erklärungen. Kommt ihr aus der Zukunft? Ja, wir kommen aus der Zukunft! Schrecklichstes Dialogmaterial.

Und überhaupt Eloise, schon wieder ist das eine andere Schauspie­lerin, die junge Ellie vom Anfang der Staffel sehen wir wohl nie wieder, diese Camouflage-Aphrodite, die in Folge 5.03 unerwartet dem dichten, grünen Inselgesträuch entsprungen ist, sehr schade.

Jack und Kate haben Faradays Erschießung aus einem Versteck mit verfolgt. Nachdem ihr Physikerkumpel nun niedergestreckt ward, wollen sie fliehen, werden aber von dem jungen Charles Widmore aufgespürt und in einem Zelt im Hostiles-Camp gefangen gehalten. Dort gibt es dann eine interessante Konversation zwischen beiden. Wie erwähnt, Jack will die Bombe zünden, er will verändern, um ungeschehen zu machen, der 815er Flug von Sydney nach Los Angeles wird sicher landen, und »all the misery that we’ve been through, we’d just wipe it clean, never happened«. Doch Kate erhebt Einspruch: »It was not all misery!«

Da taucht Eloise auf, und Jack gewinnt sie für den Bombenplan. Die Bombenstory erinnert mich ein wenig an eines dieser furchtbaren Planet-der-Affen-Sequels, in dem irgendwelche Kriegsüberlebenden eine Bombe anbeten. Die Bombe löst alle Probleme. Jack überzeugt Eloise, dass sie durch die Bombenexplosion ihren Sohn wieder lebendig machen kann, und auch Jack glaubt, dass dadurch all die Opfer der letzten »Lost«-Staffeln wieder lebendig werden können. Er hat den Eid des Hippokrates also nicht ad acta gelegt, sondern nur um eine SciFi-Komponente erweitert, nicht schlecht.

Problem: Die Bombe wurde in der Vergangenheit den Anweisungen Faradays gemäß vergraben, und inzwischen hat die Dharma-Initiative ihr Camp darüber gebaut. Es gibt trotzdem einen Weg dahin, das Abtauchen unter einem Wasserfall hindurch hinein in einen unterirdischen Höhlenraum – das ist genau das Ambiente von »Tomb Raider«. Kate aber hat keine Lust, Lara Croft zu spielen und macht sich nach diesem Streit mit Jack von dannen:

KATE: Since when did shooting kids and blowing up hydrogen bombs become okay!
JACK: The three of us disappeared off that plane and ended up here, ended up now, because this is our chance to change things.
KATE: And if you’re wrong, then everyone on the island dies. Do you understand that?
JACK: I’m not wrong, Kate. This is it. This is why we’re here. This is our destiny.
KATE: Do you know who you sound like? Because he was crazy, too, Jack. You said so yourself.
JACK: Well, maybe I was wrong.
KATE: No, you were right.

Der erwähnte Verrückte ist natürlich der neue Führer der Hostiles, Locke, und der erreicht in dieser Folge mehrere neue Weltrekorde im Bescheuertsein, aber dazu später. Richard, Jack und Eloise tauchen in Richtung Bombe, und nachdem sich Kate verzogen hat, folgt wenigstens der wieder aufgetauchte Sayid ins Höhlenreich nach, ein Umstand, der Jack sehr erfreut.

Sayid hat vorher noch einen der Hostiles über den Haufen geknallt, der Kate daran hindern wollte, die Biege zu machen. Der Mord bleibt vorerst ungesühnt, aber das passiert ja nicht zum ersten Mal bei »Lost«, überhaupt hätten auf der »Lost«-Insel mehrere Menschenrechtsorganisationen über mehrere Jahrzehnte hinweg eine ganze Menge zu tun (wäre mal eine Idee für die demnächstige sechste, die Finalstaffel, hehe).

»Well, now what?«, fragt Eloise in die Runde, ein perfekter Cliffhanger für diesen Handlungsstrang, und da warten wir mal ab bis zur nächsten Folge (oder Staffel, mal sehen).

Zwischenzeitlich geht es Sawyer ordentlich an den Kragen, weil seine Kontaktaufnahme mit den Hostiles aufgeflogen ist. Dabei revoltiert Radzinsky gegen den Softie-Leader Horace, weil der nicht konsequent genug ist, um Sawyer und Juliet zum Sprechen zu bringen. Nach ein paar Jack-Bauer-artigen Folteransätzen kommt es durch den gehetzten Auftritt des Dr. Chang endlich zu einem Deal. Gegen eine Lageskizze des Hostiles-Camps werden Sawyer und Juliet entlassen und sollen mit dem U-Boot zurück in die Freiheit des Jahres 1977 entlassen werden.

Im Tumult wollen sich Miles, Hurley und Jin davonmachen, schließlich fliegt gerade ihre Tarnung auf, und Sawyer und Juliet hat es schon erwischt. Wir sehen den herrlichen Hurley Dharma-Konserven hamstern, ein altbekanntes und immer mal wiederkehrendes Bild, dem wir uns noch viel zu wenig gewidmet haben, hehe. Am Treffpunkt im Wald werden die drei Ausreißer von Dr. Chang ertappt, der den Zeitreisekram nun wohl auch gekauft hat. Hurley versucht ihm das zwar auszureden, wird aber durch geschickte Fangfragen in die Enge getrieben, und dieser Dialog ist einfach feinste Comedy:

DR. CHANG: What year were you born? What year?
HURLEY: Erm, 1931?
DR. CHANG: You’re 46?
HURLEY: Yeah. Yes, I am.
DR. CHANG: So you fought in the Korean War?
HURLEY (zögert): There’s no such thing.
DR. CHANG: Who’s the President of the United States?
HURLEY: Alright, dude, we’re from the future, sorry.

Was für ein Satz. Alright, dude, we’re from the future, sorry!!! Das ist dann wieder sehr lustig und entschädigt ein bisschen für die Bürden und Schmerzen, welche uns in den letzten Folgen dieser Staffel aufgeladen wurden.

Miles steht ja mit dabei, und dem Dr. Chang wird nun endlich offiziell sein aus der Zukunft hier gelandeter Sohn vorgestellt, wieder feinste Soap-Schreibe:

DR. CHANG: It’s true then? You are my son?
MILES: Yeah, it’s true.

Und wie schon bei der Generationenbegegnung zwischen Eloise und ihrem Faraday wird auch hier die als eisenhartes Elternteil eingeführte Person weich und einsichtig. Miles bestätigt seinem Vater, dass Faraday meistens recht habe, dass er also vielleicht doch lieber die Insel evakuieren lassen möge.

Ok, dann gibt es eine kleine Idylle am Bootssteg. Sawyer und Juliet finden sich im U-Boot ein, Sawyer meldet an, dass er Microsoft kaufen und beim 78er Super Bowl wetten werde. Bahn frei für ein spießiges Nachinselleben!

Doch dann, kurz vor Schluss, kommt leider auch Kate ins U-Boot geklettert, gerade nachdem Juliet zu Sawyer gesagt hat, dass sie ihn liebe und er »I love you back!« geantwortet hat. Das alte Spiel kann also von vorn beginnen, Kate oder Juliet, Jack oder Sawyer, vielleicht sollten einfach alle vier zusammenziehen, wobei Jack leider erst mal zurückgeblieben ist, um eine Atombombe hochzujagen. Das Boot fährt jedenfalls wirklich kurz vor Schluss ab, aber das heißt ja erst mal gar nichts.

In der Zwischenzeit, im Zeltlager der Anderen …

… baut Richard Alpert gerade so ein Schiffsmodell in eine Flasche ein, will gerade in filigraner Kleinarbeit die Segel hissen, als ihm jemand meldet, dass »er« gerade ins Camp gekommen sei. »Er« ist kein anderer als John Locke, der gekommen ist, um die ihm verheißene Führung der Hostiles zu übernehmen. Richard ist sichtlich überrascht von Lockes Rückkehr und auch von seinem Auftreten. »Something (is) different about you«, meint er, und Locke erwidert mit leuchtendem Gesicht: »I have a purpose now.«

Dieser neue Locke, dieser Purpose-Locke, ist ultranervig und macht mit seiner Ungehbarkeit sogar der talentlosen Sun-Schauspielerin Konkurrenz. Das hat sich schon länger angebahnt, schon als er nach seiner wundersamen Auferstehung auf der Insel auf theatralische Weise diese Mango verzehrte.

Locke hat jetzt den Durchblick und alle anderen nicht mehr. Gerade die einstigen Bastionen wissender Geheimnistuerei, Alpert, Ben Linus, erscheinen plötzlich ein bisschen trottelig und verlieren ihren Nimbus. Und das funktioniert im Moment leider überhaupt nicht, und die einzige Begründung für diese Verschiebung muss in dieser ganzen Jacob-Geschichte liegen, und die ist hoffentlich dann auch gut.

À propos Ben, er taumelt ziemlich ramponiert ins Camp der Hostiles nach, mit Sun im Gefolge, die aussieht wie eine New-York-Touristin, die sich in ein prähistorisches Dorf verirrt hat. Beide waren ja zusammen mit Locke aufgebrochen, nun kommen sie erschöpft und verspätet an, während Locke frisch und fröhlich mit einem erlegten Wildschwein auf den Schultern aufgekreuzt war (schönes Bild). Und im Gespräch Sun/Ben gibt es dann auch mal eine kurze Erklärung zur Person Richard Alpert, welcher sich ja nie verändert, immer gleich aussieht, egal ob das in den 50ern, 70ern oder Nuller Jahren des neuen Jahrtausends ist:

»He is a kind of … adviser. And he has had that job for a very, very long time«, sagt Ben. Für wen der ewige Jüngling diese beratende Rolle ausführt, wird aber nicht erklärt, man kann nur ahnen, dass diese Angabe wieder mal in Richtung Jacob zeigt. Sun haut ihm nach dieser Information sofort das Dharma-Foto um die Ohren, welches die Losties in Dharma-Overalls inmitten der Dharma-Crew zeigt. Richard wisse über sie Bescheid, kenne sie, doch sagt ihr auch, dass sie alle tot seien, er habe sie sterben sehen.

Locke, Ben und Richard begeben sich dann auf einen Ausflug, den Locke anbefohlen hat. Es folgt mal wieder eine dieser typischen Nachtwanderungen im Fackelschein. Es geht zum niedlichen kleinen Schmuggler-Flugzeug aus heimeligen Mr.-Eko-Zeiten. Das Wrack bezeichnet die Stelle, an der Richard von Locke der Kompass übergeben wurde, während der kleinen Pause zwischen den Zeitsprüngen am Anfang der Staffel.

Also eine Szene, die wir bereits aus der ersten Folge der Staffel kennen, welche wir hier aber noch einmal aus anderer Perspektive sehen, eigentlich nicht schlecht. Der verletzte Locke stürzt durch den Dschungel, gerade von einem Flash irgendwo auf dem Zeitstrahl platziert, und dabei steht er selbst im Gebüsch und beobachtet diese ihm bereits bekannte Szene.

Der Moment ist dann leider wenig ergreifend, zu müde ist man von all der Zeitreiserei. Jedenfalls trifft Richard den verblutenden John und weiß, dass dieser eine Kugel im Bein hat. John fragt, warum er das wisse, und Richard sagt, dass er ihm das selbst erzählt habe bzw. erzählen wird. Während Locke und Ben auf Richards Rückkehr warten, gibt es diesen Dialog:

BEN: Your timing was impeccable, John. How did you know when to be here?
LOCKE: The Island told me. Didn’t it ever tell you things?
BEN: No, John. And clearly it hasn’t told you where Jacob is, or you wouldn’t need Richard to show you.

Diesen Diss federt Locke locker ab, indem er Ben triumphierend verklickert, dass er Jacob ja auch noch nie selber gesehen habe. Das scheint zu sitzen, Ben hält die Klappe.

Nachdem Locke, Ben und Richard ins dunkle Strandcamp zurückgekehrt sind, hält Locke eine relativ dämliche Rede. Er wolle zu Jacob pilgern, ihn ausfindig machen, jetzt gleich, sofort, mitten in der Nacht, und er möchte, dass alle Hostiles mitkommen. Schließlich sei Jacob sowas wie der generelle Auftraggeber, und da müsse man doch endlich mal nachsehen, wer das so sei. »If there’s a man telling us what to do, I want to know who he is.« Das klingt sehr nach dem Turmbau zu Babel, nach der ultimativen Hybris, und Ben und Richard flüstern sich gegenseitig ihr Nichteinverstandensein zu:

RICHARD: I’m starting to think John Locke is gonna be trouble.
BEN: Why do you think I tried to kill him?

Die Folge endet mit einer biblisch anmutenden Wanderung, wir sehen die Hostiles in einer Supertotalen wie Ameisen dem Sonnenaufgang entgegen pilgern. Ben scheint wieder Blut geleckt, scheint Locke durchschaut zu haben und will nun vielleicht mit Richards Hilfe wieder die Führerschaft über die Hostiles übernehmen. Doch dann dieser Dialog:

BEN: I know we’ve had our differences in the past, John, but I’m here to follow you now. So if you need Jacob to help you reunite your people, then I’ll do whatever –
LOCKE: I’m not interested in being reunited with my people.
(…)
BEN: Then why are we going to Jacob?
LOCKE: So I can kill him.

Ben ist sofort all seiner wiedererlangten Souveränität beraubt und steht da wie ein Idiot. Diese Locke’sche Vermessenheit macht es jedenfalls wieder ein wenig spannend. Das wird es dann auch gewe­sen sein mit Staffel 5, fehlt noch die finale Doppelfolge 5.16/17, and this better be good.

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