Archiv des Themenkreises ›FAS‹


Voyage Voyage (Teil 1):
»The coolest thing to do in Dubai«

Konstanz, 4. Dezember 2008, 09:13 | von Marcuccio

Voyage Voyage! Endlich was über Reisefeuilletons! Ich fange gleich mal mit einem der eindrücklichsten Reisetexte aller Zeiten an:

Andreas Lesti: Dubai. Ein Wintermärchen. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 2. Juli 2006.

Mein Lieblings-Alpin-Journalist heißt ja schon lange Andreas Lesti. Es war diese unerhörte Begebenheit, die seinen Skibericht aus dem Morgenland zur preisgekrönten Novelle (PDF) machte:

Mitten in der Wüstenhitze von Dubai liegt Schnee. In einer Skihalle. Und mitten in dieser Skihalle steht eine Skihütte, in der die von 46 Grad (Außentemperatur) auf minus zwei Grad runtergekühlte Luft (Skihalle) wieder auf 25 Grad (Hüttentemperatur) erwärmt wird.

»The coolest thing to do in Dubai« besticht durch sein durchweg surreales Setting, das Lestis Reportage phänomenal einfängt:

Da ist die Glaswand, durch die man das Schnee-Spektakel aus einer Shopping Mall heraus beobachten kann:

»Touristen in kurzen Hosen und ärmellosen Tops machen Bilder mit ihren Fotohandys. Frauen in Tschador und Burka sehen durch die dünnen Sehschlitze ihrer Kopfbedeckungen. (…) Drinnen liefern sich junge Männer in der Dischdascha, dem weißen Gewand, und schwarzen Daunenmänteln darüber eine Schneeballschlacht.«

Da sind die Wintersport-Fachgeschäfte der Wüsten-Metropole:

»›Im Sommer kann es bei uns zu bis 46 Grad haben‹, sagt er [der Verkäufer] – und verkauft aber Mützen, Handschuhe und Carvingski, weil es in der Halle fast 50 Grad kälter ist.«

Und da ist Lesti selbst, der das alles unaufgeregt und (wie man aus einer Neben-Storyline erfährt) irgendwie auch nicht richtig angemeldet für die »FA Sat« notiert:

»Ich fahre mit dem sehr langsamen Vierersessellift nach oben, an der Mittelstation könnte ich aussteigen, aber ich will auf den Gipfel von Dubai.«

Irgendwann wird es dann auch mal Zeit für einen Einkehrschwung, denn »schon während der vierten langsamen Sesselliftfahrt frieren meine Finger ab. Ich hatte auf Handschuhe verzichtet, weil ich mir draußen einfach nicht vorstellen konnte, daß es hier drinnen wirklich kalt wird.«

Aufwärmen dann im »Avalanche Café«, der eingangs erwähnten Skihütte, wo Nina aus Indonesien »die angeblich beste Heiße Schokolade im Nahen Osten« serviert. Und Lesti fühlt sich »ungefähr so, als würde man sich im Hochsommer mit Wärmedecke in die Gefriertruhe setzen«.

Inklusive der Überschrift einer der eindrücklichsten Reiseberichte aller Zeiten! Man liest jede Zeile schaudernd-fröstelnd und hat sich selten so amüsiert.


Die FAS vom 23. 11. 2008:
»Das Eigenheim Ich, Es, Über-Ich«

Leipzig, 25. November 2008, 09:08 | von Paco

San Andi hat angeblich die ultimative Coen-Brothers-Film-Monografie »so gut wie« fertig, um sie hier als simplen Eintrag im Umblätterer der Blogosphäre zu übergeben. Bis es soweit ist, habe ich schnell mal noch die vorgestrige FA-Sonntagszeitung gelesen.

Darin ein sehr herrlicher literaturhistorisch-sozialgeschichtlicher Doppelschlag:

Eberhard Rathgeb über Alfred Döblin und seinen Riesenroman »November 1918« (Titel: »Das Leben radikal anders denken«, S. 30)

Henning Ritter über André Gide und seine Tagebucheintragungen zum Kriegsbeginn 1914 (Titel: »Die abgeschnittenen Hände«, S. 31)

Das Duo Rathgeb/Ritter verzichtet gänzlich auf den manchmaligen Illustriertenton, für den wir die FAS ja auch lieben. Bei den beiden aber nichts davon, fast fühlt man sich wie in der »Zeit«, und zwar im aller-aller-positivsten Sinne.

E. R. erklärt Döblins Schreibe so:

»Die kunstvolle Mischung verschiedener Welten, die weit über das Eigenheim Ich, Es, Über-Ich hinausreichen, hebt die Revolution aus ihren theoretischen, die Politik aus ihren pragmatischen und die Möglichkeit eines fest gefügten, auf das Vergessen des Krieges gegründeten Daseins aus ihren existentiellen Angeln.«

Bla bla bla, höre ich euch sagen, aber allein die »Eigenheim«-Formulierung ist Gold wert, pures Gold.

Dann H. R. zu Gide und der in den ersten Tagen des Grande Guerre einsetzenden Greuelpropaganda:

»[Es] läuft das Gerücht um, sie [die Deutschen] töteten auf dem Schlachtfeld ihre eigenen Verwundeten. Und auch bei Evakuierungen, heißt es, töteten sie ihre eigenen Verwundeten, ließen aber die der Franzosen am Leben. ›Erklär das, wer kann‹, schreibt Gide.«

Das Fehlen eines einleuchtenden Grundes für dieses Vorgehen bewirkt eine inkommensurable Unheimlichkeit, und gerade weil es sich offenbar um eine propagandistische Fiktion handelt, würde ich sehr gern vom Fiktionsverantwortlichen einmal die Gründe der Deutschen für ihr unverständliches Tun erfahren.

So, und dann hat Tobias Rüther noch das neue Guns N‘ Roses-Album »Chinese Democracy« Song by Song untersucht (Titel: »Vom Axl des Bösen«, S. 28). Sehr gut der wiederkehrende Satz: »Ist das jetzt der Refrain?« Und so hat auf diese mise-en-abyme-hafte Weise auch Rüthers Rezension einen schönen Refrain bekommen.

Usw.


Thomas Buddenbrook zur Finanzkrise:
»Wenn alles schon wieder abwärts geht …«

Konstanz, 30. Oktober 2008, 22:31 | von Marcuccio

20 Jahre später als Daniel Kehlmann lese ich dann auch endlich mal die »Buddenbrooks«, halb inspiriert von Kehlmanns Rede, halb getrieben von Panik, den Buddenbrooks womöglich alsbald unvorbereitet im deutschen Fernsehfilm-Kino zu begegnen.

Und es ist jetzt natürlich Zufall (oder doch Fügung? nein, einfach nur banal!), dass ich just heute auf Seite 431 angelangt bin: Das ist gut die Mitte in der Fischer-Taschenbuchausgabe von November 1996 (812.-836. Tausend) und zugleich der Punkt, wo Tom Buddenbrook eigentlich alles hat: einen Stammhalter, einen Posten im Senat, ein neues Haus. Allein …

»Ich weiß, daß oft die äußeren, sichtbarlichen und greifbaren Zeichen und Symbole des Glückes und Aufstieges erst erscheinen, wenn in Wahrheit alles schon wieder abwärts geht. Diese äußeren Zeichen brauchen Zeit, anzukommen, wie das Licht eines solchen Sternes dort oben, von dem wir nicht wissen, ob er nicht schon im Erlöschen begriffen, nicht schon erloschen ist, wenn er am hellsten strahlt …«

Was Tom da zu seiner Schwester Tony sagt, lässt nicht nur weiter großepische Niedergangsdiagnostik (»Verfall einer Familie«) erwarten. Es liest sich irgendwie auch wie eine Miszelle zu den rekordniedrigen Arbeitslosenzahlen inmitten der globalen Finanzkrise.


Die FAS vom 26. 10. 2008:
Peter Richter meets Gerhard Richter

Lipsia, 30. Oktober 2008, 00:27 | von Paco

für Joachim Lottmann,
il peggior fabbro :-)

Die beste deutsche Literatur entsteht im Moment oft direkt als Automaten­übersetzung ins Italienische. Siehe Joachim Lottmann, il peggior fabbro, der das mit seinem Text »Barack Obama in Italia« so gemacht hat (tazblogs, 23. 7. 2008). Sia come sia, quello che manca è un rundown della FAS in italiaaano, quindi, ragazzi, lo facciamo adesso:

Bene, è stata un’edizione dominata dall’articolo in apertura della rubrica ›Feuilleton‹: Peter Richter ha incontrato Gerhard Richter (»Vor einem Wasserfall aus Farbe«, pag. 25). Tutti e due sono nati a Dresda, tutti e due hanno lo stesso cognome. Non sarebbe il ›Feuilleton‹ della FAS, se non venisse tematizzato. Il dialogo dei due diventa un po‘ improduttivo, fortunatamente, dal momento che …

»… deswegen sprachen wir dann eben doch über den Namen Richter und darüber, dass ihm ein Lehrer einmal riet, sich aus Karrieregründen lieber Waltersdorf zu nennen, nach seinem Heimatort; aber so etwas machen, von Schmidt-Rottluff bis Baselitz, nur Expressionisten. Er sei seinem Ziehvater sehr dankbar für den Namen, und auch seine Kinder trügen ihn gern. Wir einigten uns darauf, dass fehlende Seltenheit kein Makel sei, sondern schön wie die seriellen Objekte von Donald Judd.«

Ecco! L’occasione per l’articolo sono due mostre, una nel museo Ludwig a Colonia (»Abstrakte Bilder«), l’altra nel museo Morsbroich di Leverkusen (»Übermalte Fotografien«).

Delle altre cose che ho letto:

Bernard Henri-Lévy e Claudius Seidl prendono le parti di Milan Kundera (come del resto molti altri al momento).

Johanna Adorján si intrattiene con la ricomparsa Grace Jones.

Reich-Ranicki scrive di Stefan Zweig.

Peter Körte ci mostra come la TV tedesca distrugga (congiuntivo!) il cinema del paese.

E Stefan Niggemeier propone una trasmissione dal nome »XY … ungelesen« (divertente!).

(eccetera)


»Die Messe ist gelesen«

Konstanz, 20. Oktober 2008, 21:50 | von Marcuccio

Was für eine naheliegende, nichtsdestotrotz geile FAS-Headline für den Sonntag gestern, und für eine SONNTAGszeitung überhaupt.

Ich bin jetzt auch durch die FAS-Lit-Beilage vom vorletzten Wochenende: Tobias Rüthers Text zur JoachimKaiser-Biografie – voller Einlassungen und Anekdoten: Rainald Goetz, der leider nie zum Vorstellungsgespräch kam …

Meine Lieblingsstelle in der »Suada«: die Frage, wo Juli Zeh eigentlich steckt und die Mutmaßung:

»Bestimmt arbeitet sie zur Stunde an einem diesmal etwas ausführlicheren Essay über die Wirtschaftskrise und darüber, was speziell ihre Generation jetzt dagegen tun muss.«

Mäßig eigentlich nur Dirk Schümer, von dem ich ja sonst gern lese, aber vielleicht doch lieber über Slowfood- und andere italienische Themen als über deutsche Nachkriegsliteratur.

Übrigens, die »Teenage«-Besprechung in der Beilage der werktäglichen FAZ ist mit einem Bild von Franz Marc illustriert, witzigerweise musste ich sofort an Austins Diktum denken, über das Paco und ich uns im Kunsthaus Zürich unterhielten: Franz Marc ist der Deko-Maler fürs Mädchenzimmer.

Die FAZ-Rezensionen sind immer vollkornig, d. h. man kann die echt nur stückweise zu sich nehmen, wird dafür aber ausnahmslos nahrhaft versorgt und nicht so wischi-waschi-softi wie zuletzt vom neuen ZEIT-Literatur-Magazin, in dem man das Meiste vergessen kann und den Rest auch – bis auf Ursula März‘ Homestory bei Ruth Klüger.

Laut Dirk Knipphals (»buchmessern«) wird da hinter den Kulissen wohl noch um die Ausrichtung gerungen (Greiner vs. Illies).

Überhaupt ist ja ein ziemlicher Trend zur Ausdifferenzierung zu erkennen. Die FAZ macht jetzt sogar eine extra Buchmessenzeitung (!), mit People-Kram und Pics wie in der »Bunten« (schon gesichtet? Jürgen Dollase: in PDF Nr. 5, S. 12).

Insofern hoffe ich wirklich, dass die klassischen Rezensionsfriedhöfe noch viele Jahre weiter leben, weil die eben auch wirklich ein Service sind und das Saisonpanorama bieten.

Ende der Durchsage bzw. um zum Titel zurückzukommen: Amen.


Bionade-Biedermeier jetzt auch als Kaffee-Remix

Konstanz, 12. Oktober 2008, 08:54 | von Marcuccio

Das Schöne am Feuilleton ist ja, dass es das doppelte Privileg hat, »die Krise« (seit Wochen der neue Beiname für den Wirtschaftsteil der FAS)

a) unterhaltsamer als alle anderen Ressorts zum Thema zu machen oder

b) eben auch gar nicht – und stattdessen weiter abgetaucht zu berichten über wirklich wichtige Dinge wie zum Beispiel: Kaffee.

Dessen Konsum fällt wohl spätestens seit Carl Gottlieb Hering in die Allzuständigkeit des Ressorts, behauptete aber erst in den letzten Jahren Eigenständigkeit. Zur Crema des noch jungen Genres würde ich (neben unserer Google-Earth-Datei natürlich) auf jeden Fall mal Martin Reichert und Christopher Schmidt zählen:

Reichert mit seinem legendären Legalize-it-Beitrag in der taz (»Konsensdroge Nummer eins«). Schmidt, der uns das Soundsystem einer Espressomaschine mit Wolfgang Petersen erklärte: »Unter dem extremen Druck stöhnt und ächzt das Material, bevor der Ka-Leu die erlösenden Worte spricht: ›Das muss das Boot abkönnen!‹«

In der taz vom vorletzten Samstag geht Jan Feddersen den notwendigen nächsten Schritt. Sein Porträt der Coffee-Shop-Kette Aran macht klar, dass es nach der Grundversorgung zunehmend um Diversifizierung geht, um die feinen Unterschiede zwischen Starbuck’s, McCafé & Co einerseits und Aran-Lifestyle andererseits.

Feddersens Idee ist die einer Milieuskizze: Aran als die bessere Kaffeehauskette für die besseren Menschen. Doch ein Heißgetränk und ein paar aufgebrühte Allgemeinplätze über die Selbstveredler in den Slowfood-Städten des reichen deutschen Südens machen noch keine gute Cover-Version des »Bionade-Biedermeier«. Umso mehr noch mal Glückwunsch an Hennig Sußebach, dessen Original demnach schon jetzt das Zeug zum Klassiker hat.


Anstreichungen zu Peter Richter

Leipzig, 7. Oktober 2008, 23:42 | von Paco

Am Montagmorgen fand ich auf der hintersten Bank der Straßen­bahn eine zerlesene, aber noch intakte FAS. Es war die Ausgabe vom Vortag (5. 10. 2008), aus der ein Zipfel des Feuilletons hervorlugte. Darauf befand sich ein hellgrüner Anstrich, der mein Interesse weckte.

Ich blätterte die verdeckenden Teile weg und sah vor mir den Feuilleton-Aufmacher von Peter Richter (»Alles muss raus!«, S. 25), der dann mit insgesamt 7 dunkelgrünen Textmarkerzeichen durchwirkt war.

Irgendjemand musste die besten, relevantesten, komischsten, unbotmäßigsten Stellen angestrichen haben. Und diese Stellen sind die Folgenden, und mit diesem Beitrag zur anonymen Leserfor­schung schließe ich auch diesen marginalen Rundown der letzten FAS:

Aber trotzdem: die vom Wirtschaftsteil können mich allmählich mal.

ich fang‘ jetzt erst recht nicht an, Goldbarren mit mir herumzuschleppen (ich verachte Hip-Hop)

»Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?« (»Da, wo man Leute, die so etwas fragen, feuern kann.«)

Das Erschaudern angesichts alter Kontoauszüge nenne ich Ruinenromantik.

Dieser Tage muss ich aber lernen: Das gute alte »I hope I die, before I get old« ist gar nicht Rock ’n’ Roll, sondern VWL.

Georges Bataille, der alte Frauenversteher

Natürlich ist das alles immer ein bisschen Hermann Hesse für Zweitsemester.

Anstreichungen


Die FAS vom 28. 9. 2008:
Varus, Arminius, Dexter

Leipzig, 28. September 2008, 18:40 | von Paco

Millek und ich lehnten an einem Geländer in der Nähe der Theologischen Fakultät und unterhielten uns über Ptolemäus I.

An uns vorbei stiefelte ein Mann, der wie Maxim Biller aussah, und wir blickten ihm nach. Kann eigentlich nicht sein, denn der müsste ja rein rechnerisch irgendwo sitzen und Glossen schreiben. Einige Meter weiter, vor der heute natürlich geschlossenen Norma-Filiale in der Otto-Schill-Straße, standen ein paar Schüler mit Bierflaschen und riefen: Lach doch mal. Und der stiefelnde Mann kuckte kurz rüber, war aber offenbar gar nicht gemeint.

Ptolemäus I. also, aber wir waren auf Abwege geraten, denn eigentlich hatten wir heute morgen nur das sehr gute Antike-Spezial des FAS-Feuilletons gelesen, komplett gelesen.

Im Aufmacher von Peter Körte (S. 25-26) geht es um die Örtlichkeit der Varusschlacht / Hermannsschlacht / Schlacht im Teutoburger Wald. Seit dem Sommersemester 1997 schaue ich fast täglich auf der universitären Website zum Thema nach, ob es Neuigkeiten gibt. Gab es aber eigentlich nie und wird es auch nicht geben, vermutet Körte.

Die Gegend um Kalkriese steht als Gemetzelort nicht wirklich fest, ist als solcher aber wegen des dort gefundenen Schlachtfeldschrotts sehr wahrscheinlich. Das widerspricht jedoch den Angaben der (allerdings nie in Germanien gewesenen) römischen Autoren, die sich in den ersten Jahrhunderten u. Z. zur Schlacht geäußert haben.

»Schnitzel Arminius«, das ist notabene die hervorragende Überschrift zu dem Körte-Artikel, und genau so mit nur halber Ernstigkeit beschreibt er den Zweiklang der archäologisch-touristischen Bemühungen vor Ort. Seinen grandiosen Schluss leitet er mit dieser Idee ein: »Warum will man überhaupt wissen, wo es war? Niemand braucht mehr die Sinnressource Hermann« (usw., S. 26).

Inzwischen waren wir in den Clara-Zetkin-Park gegangen, wo wir andere Leute trafen, die auch alle die FAS natürlich bereits schon gelesen hatten.

Sonntags im Clara-Park

Jemand regte sich darüber auf, dass Stefan Niggemeier die gerade auf RTL 2 anlaufenden erste Staffel von »Dexter« nicht gut fand (S. 34). Seine Gründe: »Plädoyer für die Todesstrafe«, außerdem zu unkomplex und zu unvielschichtig. Ich bin zumindest bei den letzten Punkten anderer Meinung, meine damit aber vor allem die 2. Staffel.

Und außerdem ist es doch gut, dass jemand der ungehinderten »Dexter«-Begeisterung mal den Spiegel vorhält. Es kam zu einem kleinen Disput, der sich aber zwischen allen irgendwie verlief, Themen wurden gewechselt, die Sonne schien, und irgendwann lief ich wieder neben Millek, und wir setzen unser Gespräch über Ptolemäus I. fort.


Die FAS vom 21. 9. 2008:
»Ich dachte, es würde draußen schneien«

Leipzig, 22. September 2008, 18:57 | von Paco

Потому что в данный момент вышла новая советская книга Кристиана Крахта мне очень хочется обобщить вчерашнею »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« по-русски – к сожалению, швейцарский я не знаю!

Это новое произведение »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten« обсуждает на первой странице в фельетоне Фолькер Вейдерманн. Он в особенности подчеркивает одну из типичных фраз Крахта: »Ich dachte, es würde draußen schneien.« (»Я думал, что на улице будет падать снег.«)

И ужасно интересно был неудачный интервью, что взяла Иоганна Адорьян у Роберта Дауни-младшего.

В кратком эпилоге она пишет: »Dies, beschließe ich, ist mein letztes Interview mit einem Schauspieler.« (»Это, я решила, был мой последний интервью с актерами.«)

Но кто же, если не она, тогда должен это делать!


Was es heißt, Grass zu lesen

Leipzig, 17. September 2008, 16:32 | von Paco

»Die Zeit« hatte die äußerst gute Idee, das neue autobiografische Günter-Grass-Buch »Die Box« von jemanden besprechen zu lassen, der vorher noch nie ein Buch von Grass wirklich gelesen hat, und zwar von dem Autor Andreas Maier. Der so entstandene Artikel »Und Vater fand endlich Ruhe« war vor drei Wochen Aufmacher des Literatur-Teils (Nr. 36/2008, S. 53/54) und ist ein heißer Kandidat für unsere Feuilleton-Top-Ten 2008.

Maier hatte davor lediglich in Grass‘ »Treffen in Telgte« mal reingelesen. Auch die »Blechtrommel« hat er kurz mal aus dem Regal eines Bekannten hervorgezückt: »Ich hatte eine Viertelstunde Zeit und las den Anfang.« Immerhin: »Er schien mir kraftvoll, ich musste an Max Frischs Stiller denken.«

Das Experiment der »Zeit« erinnert an ein ähnliches Experiment der »FAS«. Sie hatte den letzten »Harry Potter«-Band von Jochen Schmidt (sagen wir mal:) rezensieren lassen, obwohl er die 6 Vorgängerteile gar nicht kannte (und sich darüber in der Wikipedia informierte).

Damals wie heute geht es also darum, ob man Bücher überhaupt lesen kann, die am Ende eines Œuvres stehen, ohne dass man die etlichen Vorgängertexte zur Kenntnis genommen hätte.

Ebenso wie Schmidt liefert Maier einen souveränen Text ab, der eben dieses Problem implizit mitdenkt. Nur weil er noch nie ein Grass-Buch gelesen hat, kann er im folgenden ganz unvorein­genommen mal beschreiben, was es überhaupt heißt, Grass zu lesen.

Für jüngere Literaturkritiker ist jedes neue Grass-Buch ja immer wieder die Aufforderung, die eigenen Verriss-Künste zu proben. (Mir fällt da spontan der Sundermeier-Text zum »Krebsgang« ein, der das rezensierte Buch inhaltlich und stilistisch locker in den Schatten stellt.)

Maier dagegen hat seine Beobachtungen ganz nüchtern hingeschrieben, fern jeder Polemik. Am deutlichsten scheint ihm die Diskrepanz zwischen einfachem, chronologischen Inhalt und formaler, stilistischer Verkomplizierung: »Aus dem formalen Aufwand schließe ich, dass der Autor dem einfachen Text, der zugrunde liegt, nicht traut«, schlussfolgert Maier. Den titelgebenden Hauptkniff, die »Box«, nennt er dann aber sogar »einen schönen Einfall«.

Letztlich ist Maiers Beschreibung natürlich doch ein Verriss. Er hat das neue Grass-Buch »recht beflissentlich, aber (…) ohne einen Funken Begeisterung« gelesen, wie der Perlentaucher zusammenfasst.

Arno Schmidt hat ja mal extrapoliert, dass man in seinem Leben höchstens 3.150 Bände lesen kann, und »die wollen sorgfältigst ausgewählt sein!« Mit Maier hat also einmal mehr jemand exemplarisch festgestellt, dass man von Grass Abstand halten und eine Ausnahme nur machen soll, wenn man von der »Zeit« dazu beauftragt wird.

[Dank an Artificios für den Hinweis!]