Handke-Landschaften in Karlsruhe:
Kling, Chaville, klingelingeling

Konstanz, 4. Dezember 2012, 19:00 | von Marcuccio

Die Feuilletons hatten sich zum Soundcheck verabredet:

Tilman Krause (Welt): »Diese Bilder muss man hören.«

Andreas Kilb (FAS): »Er hat der Landschaft einen Klang gegeben.«

Volker Bauermeister (Badische Zeitung): »Selbst Ziegen sieht er tanzen.«

Willibald Sauerländer (SZ): »… in einer behutsamen, man möchte sagen kammermusikalischen Ausstellung.«

Heute zog dann sogar noch die NZZ nach und berichtet über Camille Corot »mit seinen klangvoll nachhallenden Landschaften«.

Karlsruhe zeigt ja gerade die erste Retrospektive hierzulande. Ich war in der Ausstellung und habe außer zwei vollverkabelten Rentnern im Audioguide-Synchronrundgang jetzt eher wenig Sound im Wortsinn erlebt. Die Hörstation mit den Melodien von Gluck war nämlich dauerbesetzt, wahrscheinlich weil schon zu viele Kritiker geschrieben haben: »intensiv schaut man wohl nur, wenn man sich gleichzeitig dem Hören hingibt«.

Hörverhindert schlug ich mich dann auf die Seite von Sauerländer (SZ): »Corot hat die Stille, den Frieden, die Einsamkeit der französischen Provinzlandschaft entdeckt«. Das klang für mich plötzlich nur noch nach Peter Handke, zumal ein Corot-Bild »La Petite Chaville« heißt: Chaville neben Corots Heimat Ville-d’Avray war 1825 petite.

Sigrid Löffler gab mal zu Protokoll, Handke lebe vor den Toren von Paris ja wirklich »so bukolisch, wie es sich Handke-Verächter zur Bestätigung ihrer hämischsten Ressentiments nur vorstellen können« (vgl. ihre Rezension zur »Niemandsbucht« 1994). Ja, wie konsequent, dass in der Gegend der Corot-Bäume und Bäche heute Handkes »Felsenbienen« summen. Und mit Handkes Blick auf »Birken, die sich als erstes belaubt haben«, landet man unweigerlich bei der Frage, die Andreas Kilb vor diesem Corot-Bild stellt: »Wer weiß, wovon die Waldwege träumen?«

Es kann kulturtopografisch nur eine Antwort geben: Durch diese hohle Gasse muss er kommen. Hiesige Pilze soll er sammeln. Vor dem Lärm der Laubbläser-Nachbarn soll er hierher fliehen. Davon träumen die Waldwege bei Corot. Die Karlsruher Ausstellung ist so gesehen auch ein grandioser Versuch über den stillen Ort.
 

Eine Reaktion zu “Handke-Landschaften in Karlsruhe:
Kling, Chaville, klingelingeling”

  1. Gregor Keuschnig

    Du verknüpftst da wieder sehr Interessantes miteinander: Kilb und Handke beispielsweise. Handke greift ja in der „Winterlichen Reise“ Kilbs Rezension zu Kusturicas „Underground“ an, wobei er ihn durchaus noch lobte als jemanden, der „sonst für manche Lichtblicke gut“ war (WR 24). Kilb ergriff nach dem Sturm der Entrüstung gegen Handke zunächst halbwegs Partei für ihn, distanzierte sich jedoch nach der „Sommerlichen Reise“. Da war er noch bei der Zeit; bei der FAZ stimmte er dann auch in die Häme ein.

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