Vossianische Antonomasie (Teil 89)

Berlin, 12. Oktober 2014, 20:05 | von Josik

 

  1. eine Art Stalin des 16. Jahrhunderts
  2. die Margaret Thatcher des Verlagswesens
  3. eine Art Frank Sinatra des HipHop
  4. ein deutscher Pierre Assouline
  5. der Brecht unseres Zeitalters

 

Besuch im Serienland #9:
Die 15 besten US-Serien der Saison 2013/14

Göttingen, 9. Oktober 2014, 18:28 | von Paco

Neulich in Madrid, ein Montag, nach Mitternacht in der Metro. Eine Gruppe sympathisch betrunkener US-Teens unterhält sich über Serien. Der eine wirft zunächst »True Detective« in den Ring und erzählt dann stolz, dass er jetzt auch »Breaking Bad« kuckt. Darauf die eine: »›Breaking Bad‹? Naah, I hated it. It’s completely unrealistic, I mean, a wife having an affair with a colleague, just for revenge, what is this?« Und man kann über »Breaking Bad« wirklich einiges sagen, etwa den horrenden Body Count erwähnen, aber diese Kritik war dann doch die originellste, die ich je zu BB gehört habe!

Nun aber: Ich bin ja seit einigen Jahren (hehe) serienmüde und auch deswegen wird der Serien-Rundown heuer zum neunten und definitiv letzten Mal veranstaltet. Inklusive diesem Jahr hab ich dann 120 Staffeln verarztet, das reicht erst mal. Die Charts der letzten Jahre sind hier: 2005/06, 2006/07, 2007/08, 2008/09, 2009/10, 2010/11, 2011/12, 2012/13.

Und hier nun die besten (bzw. schlechtesten) fünfzehn US-Serien des Jahrgangs 2013/14:

1. Fargo   (1. Staffel, FX)
2. Breaking Bad   (5. Staffel/zweite Hälfte, amc)
3. Louie   (4. Staffel, FX)
4. Boardwalk Empire   (4. Staffel, HBO)
5. Game of Thrones   (4. Staffel, HBO)
6. House of Cards   (2. Staffel, Netflix)
7. Mad Men   (7. Staffel/erste Hälfte, amc)
8. 24   (9. Staffel, Fox)
9. Episodes   (3. Staffel, Showtime)
10. Homeland   (3. Staffel, Showtime)
11. True Detective   (1. Staffel, HBO)
12. Veep   (3. Staffel, HBO)
13. Silicon Valley   (1. Staffel, HBO)
14. Kirstie   (1. und letzte Staffel, TV Land)
15. Dexter   (7. Staffel, Showtime)

*

1. Fargo   (1. Staffel, FX)

Warum Martin Freeman den Emmy für »Sherlock« gewonnen hat und nicht für »Fargo«, weiß kein Mensch. Freeman und »Fargo« waren jedenfalls spitze, und ich danke den Leuten, die mich gezwungen haben, die Serie doch noch zu kucken. Es gelingt ihr über weite Strecken, das, was wir coenesk nennen, zu treffen, über Charaktere, Musik und Situationen und alles. Schön geschrieben und gespielt. Manche Folgen, besonders die sechste, enthielten ein paar drastische Szenen, da denkt man kurz: huch. Aber so stand das wohl im Drehbuch. Und nun wird es ja eine zweite Staffel geben, die offenbar von den mehrfach erwähnten Vorfällen in Sioux Falls 1979 handelt.


2. Breaking Bad   (5. Staffel/zweite Hälfte, amc)

Nach der großartigen Anagnorisis in der ersten Hälfte der Finalstaffel folgt nun die reale Konfrontation von Walt und Hank. Todd und sein Onkel Jack schalten sich dazwischen, irgendwas passiert (no spoilers), Walts Doppelleben fliegt endgültig auf und er nimmt alles auf seine Kappe (und verschleiert dadurch netterweise Skylars Mitschuld). Er selbst emigriert inkognito in eine abgelegene Hütte nach New Hampshire. Doch schließlich kehrt er natürlich zurück und macht ein bisschen auf MacGyver, lässt sich von Jack und seiner Truppe fangen und rächt sich aber durch ein selbstschießendes MG. Und um jetzt doch weiter zu spoilern, weil war ja eh klar: Walt geht drauf, Jesse dagegen kommt frei und stößt einen Jubelschrei aus, der noch lange im Zuschauer nachhallt. »Breaking Bad« ist solide zu Ende gegangen und irgendwann in ein paar Jahren kann man das ruhig auch noch mal von vorn kucken.


3. Louie   (4. Staffel, FX)

Ganz anders als Larry David in »Curb Your Enthusiasm« hat sich Louie CK für seine Ego-Comedy ein stilles, leises, verunsichertes Schluffidasein ins Drehbuch geschrieben. Das ist teilweise so was wie sentimental comedy, speziell die Rückblendstorys (etwa das überlange »In The Woods«). Es gibt diesmal mehrere multiepisodische Storybögen, etwa »Elevator«, und dieser handelt in ganzen sechs (von den insgesamt vierzehn) Teilen von Louies unmöglicher Liebe zur ungarischen Nichte seiner ungarischen Nachbarin, der er nebenbei zweimal im Fahrstuhl sozusagen das Leben rettet. Die Nichte spricht wirklich kein Wort Englisch und lernt es auch nicht (anders als damals Jin in »Lost«, hehe). Und diese incommunicado-Szenen erzeugen wieder diese Intensität, die man Louie CK immer wieder aufs neue nicht zutraut, obwohl ihm das schon dutzendfach gelungen ist. Das Ende der Staffel wird zu einer Anti-RomCom, die alte Liebe zu Pamela wird nach ihrer Rückkehr aus Paris rethematisiert (Pamela Adlon, schon in »Lucky Louie« seine Frau), und da auch Louie CK nicht am Lena-Dunham-Hype vorbeigehen kann, zieht er am Ende sein T-Shirt aus und schwabbelt in die Badewanne zu Pam. Ganz wunderbar ist auch Folge 4×03, »So Did the Fat Lady«, die hab ich dann sogar gleich noch mal angeschaut.


4. Boardwalk Empire   (4. Staffel, HBO)

Gut, Staffel 4 ist jetzt schon eine ganze Weile her, aber ich muss sagen, dass das bisher die beste Staffel war. Einfach weil der neue Ekelbösewicht Dr. Valentin Narcisse wieder so interessant und fast noch besser ist als einst Gyp Rosetti. Und der bisher anstrengend dumpfe Chalky White kriegt eine richtig gute Storyline verpasst. Und so weiter! Staffel 5 läuft bereit und ist die letzte, was jetzt wirklich ein bisschen schade ist.


5. Game of Thrones   (4. Staffel, HBO)

Ok, in Folge 2 treten Sigur Rós auf mit ihrer Coverversion des Westeros-Chartbreakers »The Rains of Castamere«. In der selben Folge passiert auch etwas mit Joffrey, er endet mit so blutiger Kotze unter der Gesichtshaut. An viel mehr kann ich mich grad nicht erinnern, aber in Folge 4×10 unternimmt Tyrion seinen ganz persönlichen Rachefeldzug und dann hat man tatsächlich direkt Lust, mit Staffel 5 weiterzumachen, was aber erst ab April 2015 gehen wird.


6. House of Cards   (2. Staffel, Netflix)

Nachdem in Folge 9 die Freundschaft zum BBQ-Joint-Betreiber Freddy wegen medialer Rachefeldzüge von Frank Underwoods Gegnern in die Brüche geht, heißt es: »The road to power is paved with hypocrisy. And casualties. Never regret.« Laut dem sanften Verriss, den salon.com gebracht hat, ist es etwas enttäuschend, wie hier politische Pseudothemen durchgehechelt werden, nur um wieder auf das alte Stammtischding hinzuweisen: Dass Politik ab einem gewissen Level nicht mehr von Inhalten, sondern von Macht und Karriere handelt. Aber »House of Cards« ist wenigstens kurzweilig. Schon in Folge 1 der neuen Staffel gibt es einen saftigen main character kill. Und in Folge 7 kommt es zu einem Double Date zwischen Präsidenten- und Vizepräsidentenpaar. Und es wird mit Plastesoldaten gespielt, was natürlich sofort an Horst Seehofer und seine Modelleisenbahn im Keller erinnert.


7. Mad Men   (7. Staffel/erste Hälfte, amc)

Da kann man auch nur froh sein, dass MM endlich zu Ende geht. Nach Staffel 6 wäre eigentlich perfekt gewesen. In der bisher gesendeten ersten Hälfte von Staffel 7 kommt Don aber nach der erzwungenen Auszeit ins Büro zurück und muss persönlichen Restriktionen zustimmen, die sich die anderen Partner für ihn ausgedacht haben: »Outside of client hospitality, there will be no drinking in the office.« Wissen schon, eine Ära geht zu Ende. Und eine neue beginnt: Die Agency schafft sich einen Mainframe-Computer an (einen IBM System/360). Thematisiert wird das auch als Bedrohung, denn der Coypwriter Ginsberg wird wegen des Computers paranoid und tut sich Gewalt an (nipple multilation). In Folge 6 gibt es im Office wieder so ein schönes one-on-one mit Peggy und Don, so wie damals in Staffel 4, diesmal aber inkl. Tanzeinlage zu Sinatras »My Way«. In der vorerst letzten Folge 7×07 wird am Ende mondgelandet und Bert Cooper stirbt (20. Juli 1969). In der Folge lässt sich die Agency von McCann kaufen. Und nun warten bis Frühjahr 2015 und dann ist Schluss, Schluss, Schluss, dann sind endlich alle Werbemänner vom Hochhaus auf die Straße hinuntergefallen.


8. 24   (9. Staffel: »Live Another Day«, Fox)

Das wuchtige Uhrengeticke kam kurz zurück und mit ihm Jack Bauer, wieder aufgetaucht unter den fadenscheinigsten Drehbuchwendun­gen, na schön. Die diesmal nur 12-episodige Zusatzstaffel zu »24« trägt den Untertitel »Live Another Day«, die 12. Folge spielt von 10 pm bis 11 am, inkl. einem Zeitsprung von 10:46 pm auf 10:50 am. Worum geht es: Also, die ganze Staffel hindurch reden alle über dieses herrlich bekloppt ausgedachte »Override Device«, ein Gerät, mit dem man amerikanische/westliche Drohnen fremdsteuern und bevorzugt gegen zivile Ziele richten kann. Im Zuge der Irrungen und Wirrungen steht dann in Folge 8 der amerikanische Präsident himself in der Mitte des Wembley-Stadions, um sich von einer dieser fremdgesteuerten Drohnen abschießen zu lassen und sich für die britische Bevölkerung zu opfern! (Nicht!) Ansonsten wieder diese unfassbaren gelaberten Versatzstücke: »Sorry, I gotta take this.« »Put him on speaker!« »I can explain later, but you need to leave now before it’s too late.« »I think you wanna see this.« »At this point, I think I’m the only friend you have left.« »Where is the override device!!!«


9. Episodes   (3. Staffel, Showtime)

Die UK/US-Crossover-Serie »Episodes« geht einfach weiter, mit Sean und Beverly, mit Carol und Merc und Jamie und natürlich Matt LeBlanc. Nach Mercs Abtritt kommt ein neuer Executive (über die abgrundtief langweilige Rolle des Castor lieber nichts). Die gemeinsame TV-Serie »Pucks« soll aus dem Programm genommen werden, darum also geht es diesmal. Ein bisschen zu viel langwieriges Hin und Her, viel Luft ist in der Story nicht mehr drin, aber es kommt Anfang 2015 tatsächlich Staffel 4. Eigentlich hätte ich es lieber gesehen, wenn Stephen Merchants schöne neue HBO-Sitcom »Hello Ladies« eine zweite Staffel bekommen hätte, hat sie aber leider nicht.


10. Homeland   (3. Staffel, Showtime)

Spätestens jetzt nach Snowden fällt richtig auf, um was für eine Mickey-Mouse-Serie es sich bei »Homeland« handelt. Dieser Pseudo-CIA-Slang: »I’m gonna play you back into Iran«, Agentensätze zum Kaputtlachen. Das Drehbuch ist mit dem ganzen Iran-Thema auch etwas spät dran, diese Diskussion ist ja ziemlich over, aber was soll man machen, wenn man eine Serie mit reichlich dünner Story am Leben halten will, da passiert so was eben. Die thematische Exploitation zeigt sich auch am Anfang der Staffel im Venezuela-Plot um den irgendwie dort gestrandeten Brody. Und gerade den Hauptverdächtigen des Langley-Attentats vom Ende der 2. Staffel holt man dann, um ihn im Iran den Kopf der Revolutionsgarde fraggen zu lassen. Das Bootcamp-Training des zugedrogten Brody, um ihn wieder auf Vordermann zu kriegen, ist dann »Rocky« für ganz Arme (Folge 9). Also, wer rein systematisch das Gesamtwerk von Claire Danes seit »My So-Called Life« verfolgt, hat eine gute Ausrede für den weiteren »Homeland«-Konsum, die anderen eher nicht. Ansonsten könnte man noch mal den maßgeblichen »Homeland«-Artikel von Michael Cohen im »Guardian« lesen und dann für immer lieber andere Sachen kucken. Ach so, zur beginnenden 4. Staffel ist neulich noch ein herrlicher Artikel in der »Washington Post« erschienen: »›Homeland‹ is the most bigoted show on television«.


11. True Detective   (1. Staffel, HBO)

Woody Harrelson kann man in »True Detective« sekundenlang dabei zusehen, wie er zum Sprechen den Mund öffnet und ihn nach seiner Ansage wieder sekundenlang schließt. Und Matthew McConaughey lassen die Autoren einen Gedankenproll spielen, der vor allem diejenigen Zuschauer begeistert hat, die auch Kalendersprüche für Kantphilosopheme halten. Und dann nervt da noch die viel zu ausgestellte Unzuverlässigkeit des jeweiligen Erzählers, das instagrammige Zeitkolorit, das behäbig-verschlossene Louisiana­bildschirmtreiben. Aber! Ab dem Ende der fünften (von acht) Folgen, also nach nicht einmal zwei Dritteln der arg gestreckten Handlung, wird es sogar noch spannend. Ein längerer Film mit solider Rotten-Tomatoes-Wertung um die 60% hätte es also wahrscheinlich auch getan.


12. Veep   (3. Staffel, HBO)

Diese Sarah-Palin-Verschnitt-Serie ist leider schon länger nicht mehr lustig. Denn das einzige Stilmittel, der dauernde Zynismus überengagierter Imwegsteher, ist nur noch nervtötend. Okay, ein guter Witz ist drin in der Staffel, in Folge 3×10, der letzte Dialog nach der verlorenen Primary in New Hampshire. Amy: »Don’t get too concerned about New Hampshire, ma’am.« Selina: »I came in third, Amy. Okay? Even the Nazis came in second!«


13. Silicon Valley   (1. Staffel, HBO)

Eigentlich herrschen momentan gute Voraussetzungen für so eine Serie, die im Herzen des Silicon Valley spielt, wo ja grad unsere Gegenwart programmiert wird, of sorts. Aber schon der zuckerbergige Hauptdarsteller ist auf so himmelschreiende Weise fehlbesetzt, dass es als genau richtig verkauft wird. So stotternd wie strubbelhaarig, ein kaum mehr als mittelmäßiger Coder, der einen Kompressionsalgorithmus für Musikdaten geschrieben hat, um den herum die Company Pied Piper gegründet werden soll. Könnte man sich auch als Alan-Sorkin-Drama vorstellen, ist aber als Comedy eher ein »Big Bang Theory« in schlecht geworden. Bei den angeblichen Insiderwitzen fühlt man sich wie Timm Thaler, der Junge, der sein Lachen verkauft hat. Die Sprache, die Dialoge, die das Produktionsteam in jedem Zeitungsinterview selbst so abfeiert, wirken wie Beispielsätze von Sprachforschern. Von den wenigen Ausnahmen ist eine in Folge 7: »Just face it, Dinesh, you’re gay for my code, you’re code gay. (…) You’d like to fuck my code, wouldn’t you? Hey, would you like to masturbate to the subroutine I just wrote?«


14. Kirstie   (1. Staffel, TV Land)

»Fat Actress« war ja damals, 2005, wirklich nicht schlecht, wurde aber leider nach 7 Folgen abgesetzt. Und diese neue Serie um Kirstie Alley schien so ein bisschen daran anzuknüpfen. Was sie dann in keiner Weise tat. Es ist einfach eine Lachsack-Sitcom von der Stange, aber immerhin spielt auch »Seinfeld«-Veteran Michael Richards mit. Wobei er wieder nur mit Slapstick-Einlagen à la Kramer hantieren muss. Man sieht richtig, wie er in den ersten Folgen unterfordert ist und sich beinahe schämt, so eine armselig funktionale Nebenrolle zu spielen, aber das wird im Lauf der ersten (und allerdings auch letzten) Staffel ein bisschen besser. Und immerhin, das Season und Series Finale endet mit einem der wohl schönsten Hitler-Zitate ever, hehe.


15. Dexter   (8. Staffel, Showtime)

OMFG, was für ein schlechter Abgang, siehe die IMDb-Bewertungen für die letzte »Dexter«-Folge. Aber gut, dass das vorbei ist, about effing time!
 

Ostertag crosst GÖttke

Berlin, 7. Oktober 2014, 18:07 | von Göttke

Als ich letztens durch die Straßen ging, sah ich ein astreines GÖttke-Bombing an einer der zahllosen Berliner Hauswände. Selbst wenn es nicht GÖttke meinte, sah es doch, jedenfalls für mich, schwer danach aus. Ich hatte gleich ein beschwingtes Gefühl, ganz so wie der Schriftsteller HIPOLITO in »Le fabuleux destin d’Amélie Poulain«, als er nahezu am Ende des Films an einer Hauswand seine Worte liest: »Sans toi, les émotions d’aujourd’hui ne seraient que la peau morte des émotions d’autrefois.«

Endlich hat man mich erkannt, dachte ich, endlich. Und dachte weiter: GÖttke, GÖttke! Nur vier Umblätterer-Artikel und schon an der Hauswand. Sofort erzählte ich es meiner ganzen Familie und die ist groß, was auch sonst. Sogar Josik rief ich an und die Verbindung war nicht so gut (Kosovo).

Doch dann wurde ich traurig. Mir fiel auf, dass viel zu wenig Menschen die GÖttkeraner Verbindung zwischen Berliner Hauswand und Umblätterer-Homepage ziehen würden, trotz diverser offensichtlicher Überschneidungen. Doch noch mehr verstörte mich die Ungewissheit: Wer steckt hinter GÖttke? Monatelang strich ich durch die Straßen, doch es kamen keine neuen GÖttkes dazu. Ich lief sogar, wie ich es aus Büchern gelernt hatte, um dreiviertel zehn gegen die GÖttke-Wand, doch nichts passierte.

Als dann auch noch Deutschlandradio Kultur den Hamburger S-Bahn-Tod von OZ verlas, verlor ich endgültig die Lust an der Hauswand, nahm mutlos eine nicht aktuelle FAS zur Hand und blieb an der Überschrift »Ich bin der Troll« mitsamt der Fotografie von und dem dazugehörigen Artikel über Uwe Ostertag hängen. Ich dachte: Toll, endlich ein Gesicht.

Dass Ostertag nicht grade das war, was man einen Menschenfreund nennt, verschreckte mich kaum und so fasste ich den Entschluss, meine beiden Lieblingssätze aus diesem Interview über das GÖttke sprühen zu lassen: »Provozieren, das ist wie ein Orgasmus. (…) Wenn sich jetzt jemand aufregt, dann ist das mein Ejakulat.« So.
 

Vossianische Antonomasie (Teil 88)

Göttingen, 5. Oktober 2014, 22:22 | von Paco

 

  1. der Woody Allen des Barock
  2. der Bruce Willis der Quartalsberichte
  3. der Don Quichote des Ozeans
  4. der J. D. Salinger der elektronischen Musik
  5. the Italian Wallace Beery

#436: Dank an @FJ_Murau.
#437: Bei ca. Min. 58:00 in »Stromberg – Der Film«.
#439: Dank an @CastorUndPollux.

 

Strandlektüre 2014

Jena, 4. Oktober 2014, 22:00 | von Montúfar

Meine jährliche Strandlektüre (2012, 2013) konnte diesmal leider nicht stattinden. Als ich sie am Strand von Portimão aufschlug, begann es für immer zu regnen. Die Bilderflut der Abendnachrichten im portugie­sischen Staatsfernsehen bewies mir allerdings, dass ich mit einem nun durchgeweichten schlechten Buch gar nicht so schlecht weggekommen war.

Es blieb mir nichts weiter übrig, als meine Lektürehoffnungen auf die Zeitungsauslage beim Rückflug zu verlegen. Und tatsächlich war ich nicht der einzige, der enthusiastisch auf den Stand mit den Zeitungen zustürmte, der sich auf der Passagierbrücke wie immer unmittelbar vor der Eingangsluke zum Flugzeug befand. Einer von diesem unerwarteten Ansturm bedrängten Stewardess entfuhr deshalb auch ein leises: »Nicht zu fassen!« – und ein lautes: »Aber na ja, Sie hatten ja jetzt eine Woche lang keine Nachrichten.« »Zwei«, antwortete der Herr vor mir trocken, woraufhin die Stewardess verstummte und ich so überrascht war, dass ich es verpasste darauf zu achten, welches Blatt sich der so arg nachrichtenausgehungerte Reisende griff. Ich nahm die FAZ und hatte einen angenehmen Heimflug.

Im Feuilleton beklagte sich der Feuilletonchef, dass es in Deutschland keine satisfaktionsfähigen Autorinnen und Autoren gebe, die die jüngste (west)deutsche Vergangenheit literarisch bearbeiten könnten. Seiner Analyse ließ er einen Appell folgen, der deutlicher nicht sein könnte:

»Wir brauchen mutige Künstler, um für latent zunehmende tektonische Spannungen einen kontrollierten Auslöser anzubieten, einen Moment zu stiften, an dem sich manche zum Aufbruch entschließen, nachdem sie zu lange schon aus Müdigkeit abhängen.«

Den Satz musste ich jetzt aus dem Internet rausschreiben, denn auf meine Printausgabe war ein Teil der Füllung des Flugsnacks geronnen, eines »gefüllten Pizzaschiffchens mit Thai Chicken Füllung«. Ein paar Printseiten weiter – und damit auch jetzt noch deutlich lesbar – fanden sich Auszüge aus der Rede des Joachim Gauck zur Eröffnung des Historikertages in Göttingen. Er frage sich manchmal, ob bei der ganzen Beschäftigung mit Geschichte nicht ein wenig die Zukunft vergessen werde. Vielleicht liegt das ja tatsächlich an unserer gesamtgesellschaftlichen literarischen Neigung, jedenfalls steht bei Gauck: »Wir alle lieben (…) die Epen, in denen Helden ein schweres Schicksal erleiden, daran zu scheitern drohen, aber alle Widrigkeiten besiegen und auferstehen.«
 

Die 20 beliebtesten Kater- und Katzennamen

Berlin, 1. Oktober 2014, 23:23 | von Jonesy

1. Jimmy Kater
2. Gustav Flohbär
3. Franz Katzka
4. Wolfdietrich Schnurrer
5. Käterchen Frost
6. Maunz Tse-tung
7. Robert Schmusil
8. Cat Steven
9. Kitty Scherbatsky
10. Marion von Katzenhaaren
11. Miau Farrow
12. Kraul McCartney
13. Diana Kralle
14. Jago
15. Günter Katzengras
16. Kurt von Schleicher
17. Denis Schleck
18. Franz Xaver Kratz
19. Pfoto Strauß
20. Muschi Glas

Zur FAS vom 21. September 2014:
Besuch in der Redaktion!

Berlin, 26. September 2014, 19:07 | von Paco

Wir saßen oben in der Kantine vom Deutschlandradio Kultur am Hans-Rosenthal-Platz, es gab einmal Pommes Weltkrieg für alle (Ketchup, Mayo, Senf) und Göttke sagte, dass ihr schlecht werde vom SZ lesen. Also jetzt nicht schlecht wegen der Inhalte oder Schreibe, sondern wegen der kleinen Schrift und dem geringen Durchschuss, das ergebe so Moiré-Effekte beim Draufkucken und davon werde ihr eben schlecht und deshalb lese sie wieder mehr FAZ im Besonderen und die FAS im Speziellen.

Diese Einzelmeinung ließen wir alle nicht unkommentiert und sprachen dann doch auch weiter über die SZ und da jetzt auch über Nico Fried, denn der schreibt doch super Sachen in letzter Zeit und wahrscheinlich auch schon davor, und Montúfar meinte, er wolle bald einen schwärmerischen Aufsatz über Nico Fried verfassen, und darauf müssen wir nun eben warten.

Eigentlich wollte ich aber etwas anderes erzählen. Nämlich ich war am Wochenende auf eine Hochzeit in Weimar eingeladen, Weimar-Blankenese sozusagen, und in der Zubringerregionalbahn hatte nun wiederum ich mal wieder zwei Stunden Zeit, das FAS-Feuilleton als integralen Gesamttext komplett zu textminen. Wobei ich in dieser Bahn aus Platzgründen neben einer stark tätowierten Internetbloggerin sitzen musste, die auf ihrem 18"-Laptop Blogeinträge las, die sie für den Offlinegebrauch gespeichert hatte und nun einzeln in den Firefox reinlud. Die nicht geladenen Grafiken und JavaScripte erzeugten diese typischen Fehlerartefakte, bei deren Anblick man sofort erschrickt, weil man denkt, dass plötzlich das Internet wieder abgeschafft wurde, und ich musste aber auch aus beruflichen Gründen ständig wieder heimlich auf ihren Screen lugen und versuchte dabei, ihre verschiedenen Special Interests zu erraten.

Nach einer Weile schlug ich dann doch lieber vorsichtig die FAS auf. Das ging trotz der Kleinraumbüroatmosphäre ganz gut und dann ging es auch für mich los. Und passenderweise wurden Josik und ich gerade für diese Woche in die Berliner Mittelstraße eingeladen, um bei der FAS Blattkritik zu üben, also umkreiste ich auch Stellen mit einem Stift, den mir die Internetbloggerin dankenswerterweise auslieh. Inzwischen schaute sie auch rüber zu mir und freute sich so über die Bilder in der FAS, dass ich ihr am Ende die Zeitung einfach komplett und inklusive meiner weiträumigen Anstreichungen da ließ. Die maßgeblichen Stellen hatten sich sowieso in mein Hirn gebrannt.

Tigersprung von 99423 Weimar nach 10117 Berlin und in die Mittelstraße 2–4. Am Fahrstuhl, mit dem man dort nach oben und später wieder nach unten fährt, erwartete uns Volker Weidermann. Und das ist das Schöne, dass man gleich zum Beispiel begeistert über die dreibändige Ausgabe des Briefwechsels zwischen Rudolf und Marie Luise Borchardt reden kann. Dies ist ein guter Ort, dachte ich sofort, im selben Tonfall dachte ich das, wie Joachim Gauck einmal sagte: »Dies ist ein gutes Deutschland.«

Und so ging es weiter, zumindest am Anfang der Redaktionssitzung. Claudius Seidl äußerte sich angenehm aufgebracht zur angeblich letzten Raddatz-Kolumne in der »Literarischen Welt« und verriet uns dann noch die geheimen Entstehungsbedingungen der »Suada« (vgl. »Die Suada der FAS ist so was wie Der Umblätterer in gut.«), die natürlich wieder in der aufkommenden Buchmessenbeilage erscheinen wird. Dann lachten wir mit Cord Riechelmann über eine Stelle aus der Wochenzeitung »der Freitag«, über die wir bald noch Näheres berichten werden. Und dann wurden wir gebeten, Blattkritik zu üben, und da Claudius Seidl ein Exemplar des aktuellen Feuilletons via Volker Weidermann und Harald Staun zu mir spielte, war ich nun dran, und das klang ungefähr so:

Okay, der Opener, Helene Hegemann über »Romeo & Julia« am Hamburger Thalia Theater mit der boah-ey-Überschrift: »Warum haut mich dieser Abend so um?« Als Nächstes schreibt die Hegemannfrau wahrscheinlich für heftig.co, aber das soll gar nicht kritisch gemeint sein, denn das liest sich trotzdem schön weg, und wenn die Textstelle kommt »Fortsetzung auf Seite 42«, dann liest man sofort am angegebenen Ort weiter!

Auf Feuilletonseite 2 hier dann also Harald Stauns Interview mit diesen vier ost-west-südlichen Schriftstellern: mit Junot Díaz, Pankaj Mishra, Priya Basil und Dinaw Mengestu, von denen Ersterer den längsten Wikipedia-Artikel hat. Es geht in dem Zehn-Augen-Gespräch ja um den Westen, meinen und deinen Westen, um den problematischen Ruf dieser kapitalistischen Himmelsrichtung, na ja, aber super.

Dann nächste Seite Andreas Kilb über Christian Petzolds »Phoenix«, super. Und Volker Weidermann über Botho Strauß‘ neuen Hundertseiter »Herkunft«, in dem es so offen um dessen Vater zu gehen scheint, dass man sich wie ein »Leser-Stalker« vorkomme, super. Und Antonia Baum über Celo & Abdi, ähnlich angelegt wie neulich Olli Schulz‘ Besuch bei Haftbefehl, aber in der poetischen Ausführung viel besser als Schulz.

(Antonia Baum hat auch mal eine Reportage gemacht: »Der Kampf gegen Paco«, deswegen wollte ich mit meinem Lob vorsichtig sein, konnte dann aber nicht mehr an mich halten.)

Weiter, Boris Pofallas Bericht von der Berlin Art Week, genau so muss so was klingen, das konkrete Ungefähre so eines Rundgangs summt an jeder Stelle aus dem Text, super. Und ich hab dann sogar die Anzeigen-Sonderveröffentlichung mitgelesen, wo hier ein Interview drin ist über Selfpublishing, mit Wolfgang Tischer, den ich noch von ganz früher kenne, Neunziger, Mailingliste Netzliteratur. Oh, hab ich da gedacht, aha. Dann hier Julia Enckes Interview mit Ulrich Raulff über die Siebziger, und alles, was Raulff da so gesagt hat, hat sich aufs Schönste mit all dem vermischt, was ich während der letzten 15 oder so Jahre noch so alles von Raulff gelesen und gehört habe.

Dann Cord Riechelmanns Text über die jüngsten Bewegtbilder von Michel Houellebecq, wo ja der schöne Satz drinsteht: »In Frankreich hat man einfach mehr Erfahrungen im Umgang mit den derangierten Körpern von Intellektuellen.«

(Und ich erwähnte noch das Tom-Schilling-Interview von Julia Schaaf, das aber im Ressort »Leben« stattgefunden hat. Jedenfalls lässt dort der bekannte Schauspieler seinem Hass auf Comics jeglicher Art freien Lauf, was auch sofort eine DPA-Meldung nach sich zog, super.)

Und jedenfalls lobten und affirmierten wir, wie es der Grundsatz des Umblätterers immer gewesen ist, und dann waren wir fertig und alle konsterniert. Das war wahrscheinlich keine Blattkritik, sondern eine Blattaffirmation.

Und wo Danilo Scholz neulich in Sachen FAS schrieb: »Der Sommer ist vorbei, das tut dem Feuilleton gut«, da müssen wir natürlich widersprechen, denn wie der Umblätterer ja seit Jahren nachweist, ist das deutschsprachige Feuilleton immer genau gleich gut. Aber das half jetzt hier niemandem weiter, und die Ödön-von-Horváth’sche Stille, die da eintrat, wurde dankenswerterweise irgendwann durchbrochen, als Johanna Adorján souverän das Thema wechselte und Josik fragte, ob er aus dem Kosovo stammt (was ich selbst seit langem vermute).

Und da wir anlässlich der Fernsehprogrammseite nach Stefan Niggemeier gefragt hatten, wurde uns noch angeboten, ihm etwas auszurichten, was wir aber sofort und unmissverständlich ablehnten. »Richten Sie bitte Stefan Niggemeier nichts aus!« Das sollte wie die Sympathiebekundung klingen, als die sie gemeint war, denn wieso sollte man jemanden, den man so gut findet, mit ausgerichteten Nachrichten nerven wollen. Es kam aber möglicherweise sehr falsch rüber.

Also, um das alles mal zusammenzufassen: Ich glaube nicht, dass wir jemals wieder zu einer FAS-Redaktionssitzung eingeladen werden.
 

Hommage an Marcel Reich-Ranicki (1920–2013)
»Er war ein nicht ganz schlechter Dichter«

Berlin, 18. September 2014, 07:54 | von Guest Star

(Gastbeitrag von cehaem)

Er war ein hochbegabter russischer Poet. Ja, er war ein nicht ganz schlechter Dichter. Er hat auch Geschichten und Romane geschrieben, die allerdings nicht von literarischer Bedeutung waren. Ein Kritiker hat ihn damals sehr gelobt.

Ihn zu charakterisieren fällt mir schwer. Für seine Dichtung waren die Frauen und sein Judentum von großer Bedeutung. Ob das eine wichtiger als das andere war, vermag ich nicht zu beurteilen. Er hat zwar keine bedeutenden Werke geschrieben, dafür aber zahlreiche. Für die Älteren waren diese Erzählungen damals lustig.

Er hat keine Ahnung von Literatur, nun gut, aber muß man das lauthals verkünden? Er hat sich in allen seinen Romanen die größte Mühe gegeben, seine Leser eben nicht zu langweilen, sondern zu amüsieren. Die Romane, die er nach dem Ersten Weltkrieg geschrieben hat, sind allesamt ziemlich schlecht.

Seine zahlreichen Essays und Rezensionen waren zwar anspruchsvoll, haben aber viele seiner Leser gelangweilt. Einige seiner Biographien sind beinahe so lesenswert wie die Werke der Autoren, mit denen sie sich befassen. Es sind dankbar zu lesende und zugleich vergessene Bücher. Wer Lust hat, mag sich von diesen Büchern weiterhin anregen lassen.

Es sind inzwischen mehrere Romane von ihm erschienen, und wenn ich mich recht entsinne, wurden die meisten von den Lesern sehr gelobt. Jeder dieser Romane hat den Lesern der Unterhaltungsliteratur offenbar viel Vergnügen verschafft. Seine Bücher sind mir immer wieder empfohlen worden, ich solle sie unbedingt lesen, sie wären hochinteressant. Das mag alles stimmen, aber ich bin nie dazu gekommen.

Hierüber ist viel zu sagen, aber doch bei anderer Gelegenheit.

(Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 2003–2013)
 

Vossianische Antonomasie (Teil 87)

Berlin, 15. September 2014, 12:55 | von Josik

 

  1. der Rick Wakeman der Tastatur
  2. der Usain Bolt des Krimis
  3. der Helmut Rahn des 21. Jahrhunderts
  4. die russische Paris Hilton
  5. der europäische Putin

 

Vossianische Antonomasie (Teil 86)

Berlin, 14. September 2014, 15:56 | von Josik

 

  1. der John Connor der Intellektuellen
  2. der verstorbene Bernd Eichinger des deutschen Schreiberwesens
  3. eine Art kalifornischer Heinrich Böll
  4. der Hegel unserer Zeit
  5. der amerikanische James Joyce