Lost: 4. Staffel, 1. Folge

London, 5. Februar 2008, 13:38 | von Dique

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »The Beginning of the End«
Episode Number: 4.01 (#72)
First Aired: January 31, 2008 (Thursday)
Deutscher Titel: »Der Anfang vom Ende« (EA 15. 6. 2008)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)

San Andreas ist in der 3. Staffel ausgestiegen, ein Fehler, wie man im sablog nachlesen kann. Paco und ich sind dabei geblieben, und nach langen 8 Monaten heißt es jetzt endlich wieder »previously on Lost«.

Seit dem Ende der zweiten Staffel warten wir auf Neuigkeiten bezüglich des riesigen Statuenrests mit den vier Zehen, gesehen durch ein Fernrohr und dem Drehbuch bisher keinen direkten Kommentar wert.

Das ist selbstverständlich nur ein Beispiel für die vielen offenen Seitenarme des Plotkanalsystems. theTVaddict.com hat mal die anderen bisher unbeantworteten Fragen gesammelt. Sehr schön gleich Frage 1: »The Smoke Monster … what’s the deal?«

Nun soll es also noch dreimal 16 Folgen »Lost« geben, das ist zumindest der Plan, wegen des Streiks sehen wir davon in dieser Staffel vielleicht nur 8. Da heißt es Ruhe bewahren, und damit sind wir auch gleich bei der ersten neuen Folge: Am Ende der Episode haben sich die Fragen natürlich gemehrt, und die Handlung, wie im ersten Drittel jeder Staffel üblich, bewegt sich im Schneckentempo.

Trotzdem werden die Gleise gelegt für eine Staffel voller Dynamik, denn die Losties teilen sich am Ende in 2 Gruppen. Eine wird von Jack geführt, der auf das nahende vermeintliche Rettungsteam zugehen will. Die andere von Locke, der nicht an die Rettung glaubt und sich Richtung Barracks entfernt.

In der letzten Folge von Staffel 3 wurde bereits klar, dass »Lost« offenbar als narratives Diptychon angelegt wurde. Die ersten Flashforwards (statt Flashbacks) waren zu sehen. Ein Stilbruch, der in der vierten Staffel offenbar zum stilistischen Standardmittel wird.

Jeder neue Informationshappen, der uns in der (vom Inselplot aus gesehenen) Zukunft erwartet, hat freilich gleich hydraartig neue Verrätselungen zur Folge. Wenn zum Beispiel Hurley sich bei Jack dafür entschuldigt, dass er sich damals Locke angeschlossen hat: »I’m sorry I went with Locke, I should have stayed with you.« – Hä? Ach so. Hä?

Die Gruppenteilung ist auf jeden Fall eine Art Wettstreit von Weltbildern und Glaubensbekenntnissen, verkörpert in Jack und Locke. Die entscheidenden Sätze stammen bereits aus Staffel 2, Folge 3:

Locke: »Why do you find it so hard to believe?«
Jack: »Why do you find it so easy?«

Jack will nicht glauben, sondern wissen. Locke will glauben und hat auch Grund dazu, nachdem er nach der Bruchlandung des Oceanic Flight 815 auf der Insel aus dem Rollstuhl aufstehen konnte. Sein Glaube hat bisher auch gravierende Fehlentscheidungen, die ihm entsprungen sind, überlebt: So wurde Locke mehrfach von seinem leiblichen Vater verarscht bis hin zum Mordversuch und hat am Ende der zweiten Staffel voller Überzeugung die Eingabe der Zahlenkombination verhindert, woraufhin der Hatch explodierte.

Wie der Jack/Locke-Wettstreit ausgeht ist auch deshalb spannend, weil beide Seiten irgendwie Sympathieträger sind und weil ja offenbar von beiden Seiten Leute den Sprung von der Insel schaffen.

Nebenbei, die Drehbuchschreiber lieben ja ihr auf einfachen Prinzipien beruhendes Erzählfundament, und dazu gehören auch die Namen der Protagonisten. Mit Sawyer, Rousseau, Bakunin und (John) Locke surft man durch die Literatur- und Philosophiegeschichte und sorgt für einen semantischen Überhang, über den man sich auf jeden Fall lustig machen muss, vor allem wenn es dann auch noch sprechende Namen wie den von Jack (Shephard) gibt, der sicher seiner Herde stets ein guter Hirte ist. Auf Namen und Etymologien werden wir sicher noch zurückkommen, jetzt aber …

… wieder zurück zur ersten Folge, die sehr viel Hurley bietet und damit viele Szenen im Irrenhaus. Dabei wieder eine der ungelösten Fragen, die auf der Fragenliste des TVaddict übrigens fehlte: Was machte eigentlich Libby, Hurleys bald dahingeraffte Inselliebe, in Staffel 2, Folge 18 in seiner alten Anstalt?

Libby, die Figur, wird in der vierten Staffel natürlich nicht wieder zum Leben erweckt, doch zumindest die Schauspielerin hat es ans Set geschafft, um immerhin einige Flashbacks abzudrehen, die vielleicht eine Erklärung statt neuer Fragen liefern.

Jetzt aber wieder Hurley: »I’m one of the Oceanic Six«, schreit er am Anfang der Folge. Neben Jack und Kate (und drei bisher unbekannten Anderen) hat er es runter von der Insel geschafft und ist im Kampf mit seiner Schizophrenie gelandet. Jack besucht ihn und könnte in diesem Moment ein Haltepunkt sein, doch das Treffen verläuft unbefriedigend.

»What are you really doing here, Jack?«, fragt Hurley. »You’re checking to see if I went nuts. If I was gonna tell.« Ähm, tell what? Genau, Stoff für viele Folgen. Jedenfalls will Hurley aus irgendeinem Grund zurück auf die Insel, und noch winkt Jack ab.

Bald wird er aber in seinen eigenen Abgrund stürzen, einen Vorgeschmack darauf bekamen wir im Flashforward der letzen Folge der dritten Staffel: einen bärtigen, verzweifelten, gebrochenen Jack, der nun auch auf die Insel zurück will und verzweifelt zu Kate sagt: »I’m sick of lying. We’ve made a mistake. We have to go back!«

Übrigens, zu Beginn der aktuellen Folge trägt Hurley eine Jeansjacke und darunter ein schwarzes T-Shirt und dazu eine schwarze Schlabberhose. Das Outfit ähnelt farblich dem Anzug von Jack am Ende der Episode, als dieser Hurley im Irrenhaus besucht. Das kann kein Zufall sein, und ich glaube, dass die linken Jackentaschennähte bei beiden genau 23 Stiche haben und dass deren Achsen jederzeit eine Linie zwischen der Cheops-Pyramide und Stonehenge bilden, hehe.

Max Bill und der Dreirundtisch

Winterthur, 4. Februar 2008, 19:45 | von Marcuccio

Das also war Zürich für Umblätterer: Gratiszeitungen dienen der Völkerverständigung, und die Einschweizerung als solche fängt beim Schnütsgüfeli an …

Auf der Rückfahrt Zwischenstopp in Winterthur, Palma am Perron. Sie fasst mir ans Hemd und will tatsächlich erst mal minutiös alles über dieses ominöse Öl im Kunsthaus wissen.

Dann hinein in die Max-Bill-Metropole. Der Meister der konkreten Kunst wird von seiner Heimatstadt prompt auf zwei Museen verteilt.

Zuerst drängeln wir uns im zweiten Stock des Gewerbemuseums, »hinten links«, also auf jenen »winzigen 200 Quadratmetern«, die schon die NZZ-Besprechung gar nicht goutierte.

Zu alledem ist die Frau, die hier grad Führung macht, auch noch in anderen Umständen: Hochrote Wangen, eine gepresste Stimme und ein fast schon designmäßig runder Kugelbauch geleiten uns durch Billschen Brückenbau, zur Billschen Höhensonne und um den legendären Ulmer Hocker.

Und dann zum so genannten Dreirundtisch, die Hochschwangere: »Das ist auch wirklich eine Wortschöpfung von Max Bill.« Nach Schnütsgüfeli schon wieder so eine Swiss-made-Vokabel, die nur 3 Google-Treffer liefert, hehe.

Und dann ist die Führung fast zu Ende, nur der Designstudent mit der zerrissenen Jeans geht noch mit der obligatorischen Max-Bill-Abschlussfrage in die Verlängerung: »Aber, also, ich meine, so höchstpersönlich soll der Bill ja ziemlich anstrengend gewesen sein, oder …?« Wir gehen in die Winterthurer Wintersonne.

Im zweiten Teil der Ausstellung ist es dann entschieden geräumiger und insgesamt retrospektiviger. Der klare Max-Bill-Formalismus entfaltet seine Wirkung, vor allem die bunten Geometrie-Gags kommen richtig gut, ich spüre förmlich, wie mein Trauma nach dem Öltriefer einer angenehm aseptischen, konkreten Reinheit weicht.

Und außerdem hätte ich jetzt ganz bald auch wirklich Hunger: »Palma, how about Spaghetti Aglio e Olio?«

Weiber-FAS-Nacht: Die FAS vom 3. 2. 2008

Zürich, 3. Februar 2008, 18:12 | von Paco

Nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein!!! Bitte kein Feuilleton-Aufmacher über den Karneval in Köln! Bitte, bitte nicht!

Dachte ich zuerst. Peter Richter: »Der Einnahmezustand«, S. 21, Teasertext: »Seit Donnerstag ist wieder Ausnahmezustand in Köln, und das Einzige, was man dagegen tun kann, ist mitmachen«.

Der Text ist aber Erlebnis-Feuilleton der besten Sorte. Richter sagt durchgehend »ich« statt »man«, schon mal gut, und dann hält er als legitimierenden Aufhänger für seine FASnachtsbeteiligung immerhin ein zu rezensierendes Buch in die Höh‘: Petra Pluwatsch, »Weiberfastnacht. Die Geschichte eines ganz besonderen Tages«.

Ok, das Buch ist nur Vorwand, aber ein guter. Am Ende hängt P. R. mit den KiWi-Leuten im »Backes« ab, einer Kneipe in der Südstadt:

Wie die normalerweise aussieht, weiß ich gar nicht, ich kenne sie nur leergeräumt und mit hüpfenden KiWi-Mitarbeiterinnen auf den Bänken.

Denis Scheck ist mit einem Schnappschuss aus der Hüfte vertreten (»als Marilyn-Monroe-Mönch«) und erkennt in Richters Tracht lustigerweise den Oberförster aus EJs »Marmorklippen«. Usw.

Dann haben Andreas Kilb und Peter Körte angenehm umgangssprachlich Mike Nichols interviewt, es geht um Nichols‘ Frühkindheit in Berlin und New York, und überhaupt gibt es schön viele Anekdoten. Anlass fürs Entretien ist natürlich der neue Film »Der Krieg des Charlie Wilson«, aber das merkt man kaum.

Nächste Seite, Claudius Seidl nimmt die Doku »Gegenschuss – Aufbruch der Filmemacher« als Ausgangspunkt, um zu fragen, warum all die deutschen 60er-Jahre-Regisseure des »Jungen deutschen Films« keiner mehr kennt, mit Ausnahme von Fassbinder und Wenders. Er spricht von der »erschreckenden Folgenlosigkeit des deutschen Films«.

Das habe mit der Ablehnung von »Opas Kino« zu tun, so Seidl, »aber dass da zwischen lauter Nieten und Zynikern auch wundervolle Regisseure arbeiteten, Georg Tressler und Hans H. König, Victor Vicas und Robert Siodmak«, habe der »Junge deutsche Film« übersehen.

Dann Literatur, Volker Weidermann über den neuen Roman von Dirk Kurbjuweit, dem Leiter des »Spiegel«-Hauptstadtbüros. Geht um eine heimliche Affäre im unheimlichen politischen Berlin.

Auf derselben Seite »Fragen Sie Reich-Ranicki«, Mann Mann Mann Mann Mann, die Einrichtung eines solchen literaturkritischen Kramladens erscheint mir immer plausibler, sowas wollen ›die Leute‹ lesen, ich will das lesen, das ist so geil. Allein diese Frage heute …

»Wäre es nicht einmal an der Zeit, die wahre Geschichte der Gruppe 47 zu schreiben? (…) Wer war mit wem im Bett, wer intrigierte am geschicktesten? Das wäre doch endlich mal interessant.« (ein Leser aus Saarbrücken)

… bringt mich auf den Vorschlag, demnächst mal nur die Fragen abzudrucken und keine einzige Antwort. Überhaupt war es am Ende doch eine gute Entscheidung, letzthin mehrere kurze Fragen/Antworten in die Rubrik zu drucken als nur eine einzige, ausführlichere.

Dann Eberhard Rathgeb über »Handwerk«, den neuen Richard Sennett. Im Text dankenswerterweise auch ein Rundown wichtiger vorhergehender Sennett-Studien:

»Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität« (dt. 1983)

»Autorität« (dt. 1985)

»Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschieds« (dt. 1991)

»Fleisch und Stein. Der Körper und die Stadt in der westlichen Zivilisation« (dt. 1995)

»Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus« (dt. 1998)

»Respekt im Zeitalter der Ungleichheit« (dt. 2004)

Ja, na ja, sagt man zu den einzelnen Beschreibungssätzen pro Werk, aber solche Auffrischungskuren sind Gold wert. Hervorragender Nebeneffekt hervorragenden Feuilletons.

Dann kommt noch ein Interview von Peer Schader mit Fred Kogel. Es geht, ähm, genau, vor allem natürlich um Fred Kogel. Und die Produktionen der Constantin (sie »muss als börsennotierte Gesellschaft auch eine gewisse Berechenbarkeit liefern: Literaturverfilmungen, familientaugliche Produktionen, internationales Starkino und kommerzielles Arthouse«).

Auch ein Satz zu den deutschen Seriendesastern gibt es:

»Auch für mich ist es nur zum Teil nachvollziehbar, wie eindeutig derzeit die Zuschauer Absagen an deutsche Serien erteilen. Das sind ja nicht alles schlechte Produkte.«

Kogel sieht auf dem mitgelieferten sympathischen Foto übrigens aus wie ein Startenor mit wallendem Haar, und der Himmel über Fred Kogel ist genauso hellblau wie hier in Zürich, Schiffländeplatz, wo ich in 1 Stunde und 42 Minuten das FAS-Feuilleton weglas.

Öl

Zürich, 2. Februar 2008, 19:48 | von Paco

Marcuccio, Hauptbahnhof, F-Zeitung, Jonathan Littell, das ganz große nächste Ding, bzw. Schirrmacher: »kein Jahrhundertbuch«. Der schön neu eingerichtete Reading Room, ein Anglizismus in der FAZ, sehr gut.

In Zürich

Ins Kunsthaus, Tischbeins »Brutus entdeckt die Namen seiner Söhne auf der Liste der Verschwörer und verurteilt sie zum Tode«, epischer Titel, epische Story, epische Größe. Besser als David, sage ich. Nicht besser als David, sagt Marcuccio.

Als wir zum zweiten Mal vor dem Brutus stehen, kommt aus der Tür neben dem Bild ein Typ auf uns zu, ein Problemtyp irgendwie. Seine Hände triefen: »Olio«, schreit er, »ooolio!«

Er habe sich gerade auf dem Bagno die Hände waschen wollen, »solo le mani«, das sei doch ein Menschenrecht, und aus dem Wasserhahn sei aber Öl gekommen, »olio, che cazzo, olio-olio«.

Wir weichen zurück, offenbar will er an unseren Hemden die Hände abwischen, auch ein Menschenrecht offenbar.

Das Öl auf dem Bagno scheint vielleicht eine Aktion für/gegen/über den Nahen Osten zu sein, wir werden es nicht erfahren, wir schießen runter ins Erdgeschoss, der Typ hinter uns her, olio-olio, wir rennen um unsere Hemden, Schließfach, Überzieher, Mützen, raus aus dem Kunsthaus, rein ins cabaret voltaire, gerettet.

Dort treffen wir nicht: Stefan/sms, den rebell.tv, denn: »ich meide zürich, wann immer es geht ;-))«.

Das WLAN im cv schwächelt, wie von sms vorhergesagt, auch das noch. À propos, sms: Grüße von Karin oder Andrea. Bis bald am Bodensee.

»Züri Ziitig mit«

Zürich, 1. Februar 2008, 23:00 | von Paco

Heute kurz in der Blogwerk-Zentrale in downtown Zurich. Es geht gleich noch kurz um das gestrige Schnütsgüfeli, dann aber auch gleich um all die anderen Dinge, und demnächst gibt es wieder eine Blog-Co-op wie neulich beim konzertierten Sonntagstaucher, wird wieder schön was Exemplarisches.

Dann raus ins Freitagsgemenge, alle erreichbaren Gratisblätter eingesammelt. In der »NEWS« haben sie immerhin der Meldung Platz gemacht, dass überraschenderweise Walsers Goethe/Levetzow-Roman ab Mitte Februar in der F-Zeitung vorabgedruckt wird.

Als es dunkelt, fliegt auch die Abendzeitung »heute« noch herein. Darin ein schönes Interview mit dem Publizisten Karl Lüönd, der zum 175. Jahrestag des Ringier-Verlags eine Firmenbiografie geschrieben hat.

Ringier wird im Frage-Antwort-Spiel auch ziemlich gefeiert, und dass »heute« zum Konzern gehört, wird aber disclaimerartig auch dazugesagt, okay. Jedenfalls erinnert sich Lüönd daran, wie man früher als 14-jähriger den »Blick« kaufen ging:

Wir haben den Blick heimlich gelesen. Den hat man wie Pornografie konsumiert, verbotene Schundliteratur. Es gab am Kiosk die berühmte Formel »Züri Ziitig mit«: Die »NZZ«, und darin eingewickelt den »Blick«.

Idee für einen kulturhistorisch orientierten Artikel: In welche Zeitungen wurden und werden welche anderen Zeitungen eingewickelt, um deren Kauf zu kaschieren? Es gibt ja wirklich Leute, die kaufen sich die »taz« und lassen sie in die »FAZ« einwickeln. Oder umgekehrt!

Im Starbucks meiner Wahl gibt es dann auch die NZZ, endlich wieder ein Feuilleton! Unsere Hausfreundin czz (Grüße!) schreibt darin heute über neue Hörbücher, unter anderem Komplettlesungen von Th.-Mann-Sachen (»Felix« und »Mario«, inkl. MP3-Versionen).

Genau, Thomas Mann und Zürich, und Zürich ist ja zufällig auch der Sehnsuchtsort der frühen Popliteratur II, Thomas Manns nicht gefundenes Grab, und dann endet 1995 hier auf dem See die Faserland-Reise.

Zum Thema Schnütsgüfeli hat mir Fabian Unteregger übrigens gerade persönlich geantwortet, seine Erklärung ist eindeutig und lässt keine Zweifel offen, ich verstehe sie nur nicht, hehe. Hier also die Erläuterung des Wortverwenders himself, unbedingt zu berücksichtigen für den Definitionswortschatz in der nächsten Duden-Neuauflage:

Schnütsgüfeli ist nichts anderes als ein Ausdruck der Freude. Wichtig ist es laut und schrill zu sagen. Mit leicht gedrückter Stimme. Ich ziehe dabei jeweils das Gesicht zusammen. So als ob Du eine Zitrone gegessen hättest. Man kann getrost auch noch ein ›hui‹ hinten anhängen. Dann jedoch wärs wichtig das Zitronengesicht noch ca. 2 Sekunden zu halten. No joke.

Schnütsgüfelige Grüße
Paco

Schnütsgüfeli

Zürich, 31. Januar 2008, 18:15 | von Paco

Die Zeit im ICE reicht genau, um die heutige F-Zeitung und den »Spiegel« vom Montag durchzulesen. Als der Zug anfängt auf dem Zürcher Hbf zu halten, lese ich gerade den letzten Satz (»Shame on you.«) des 5-Seiten-Artikels zum US-Vorwahlkampf, den Gregor Peter Schmitz und Gabor Steingart geschrieben haben (S. 100-104).

Die Überschrift lautet: »Die Clintons im Krieg«, und es geht um die Endausscheidung im demokratischen Lager, um die rhetorischen Offensiv-Strategien, die Hillary und Bill gegen Barack fahren. Usw.

In der Innenstadt sammle ich dann alle erreichbaren Gratiszeitungen ein, die ich von der Berichterstattung auf medienlese.com her kenne, und gehe damit ins nächste Starbucks. Die dürren Blätter lesen sich von der Informationsdichte her wie gestreckte SMS-Nachrichten, man hat in eineinhalb Minuten einmal komplett umgeblättert.

In .ch stoße ich auf S. 18 im »people«-Teil auf ein schönes Interview mit Fabian Unteregger. Darin die Passage:

Frage: Wen würden Sie gern imitieren?

Antwort: Den Papst. Dann könnte ich ja 180 Sprachen. Ein Wort kann aber auch der Papst nicht aussprechen: Schnütsgüfeli.

Ich kenne natürlich das letzte Wort nicht und frage die Studentin neben mir. Innerhalb von 30 Sekunden spricht sich meine Wissbegier herum, die ganze untere Etage des Cafés ist in einer Art hilfsbereiter Aufruhr und strömt so halb auf mich zu mit immer wieder neuen Antworten.

Das Wort wird lauthals in seine Bestandteile zerlegt, dann die Bedeutung wieder zusammengesetzt. Jemand googelt die Vokabel, aber ein bisschen erfolglos.

Scheint evtl. ein interner Witz für die Unteregger-Gemeinde zu sein. Sachdienliche Hinweise sind willkommen, hehe.

Morgen dann Stippvisite beim Blogwerk. Und dann kommt noch Marcuccio angefahren und wir gehen umblättern in den zukünftigen Kaffeehäusern des Monats.

Endlich fertig: Das Kinojahr 2007

Hamburg, 30. Januar 2008, 05:15 | von San Andreas

Etwas spät dran, aber nicht zu spät: Wie jedes Jahr (hehe) präsentiert der Umblätterer eine umfängliche wie kurzweilige Phänomenologie des vergangenen Filmjahres – die Spitzenleistungen, die Instant Classics, die Beachtlichen, die Erwähnenswerten, die versteckten Perlen, aber auch jene Filme, die enttäuscht haben.

Das Panoptikum speist sich ausschließlich aus Filmen, die im Jahr 2007 ins deutsche Kino kamen. Ihre Auswahl orientiert sich sowohl am Rauschen im Medienwald, an der kritischen Resonanz in den Feuilletons als auch an meinem persönlichen, hoffnungslos subjektiven Urteil. Komplettisten werden allerdings das Nachsehen haben; die Simpsons fehlen, die Piraten ebenso, und auch Herr Potter hat sich entschuldigt.

Zur kommentierten Übersicht geht es hier bzw. direkt zu den einzelnen Titeln:

5 Sterne
»The Assassination of Jesse James …« (Andrew Dominik)
»The Bourne Ultimatum« (Paul Greengrass)
»Ratatouille« (Brad Bird)

4einhalb Sterne
»The Prestige« (Christopher Nolan)
»Atonement« (Joe Wright)
»Blood Diamond« (Edward Zwick)
»Zodiac« (David Fincher)
»Little Children« (Todd Field)   Perle!

4 Sterne
»Notes on a Scandal« (Richard Eyre)
»The Queen« (Stephen Frears)
»Gone Baby Gone« (Ben Affleck)
»The Last King of Scotland« (Kevin Macdonald)
»Eastern Promises« (David Cronenberg)
»Efter brylluppet« (Susanne Bier)
»Letters from Iwo Jima« (Clint Eastwood)
»Die Fälscher« (Stefan Ruzowitzky)
»Reign Over Me« (Mike Binder)   Perle!
»Stranger than Fiction« (Marc Forster)   Perle!

3einhalb Sterne
»3:10 to Yuma« (James Mangold)
»Vier Minuten« (Chris Kraus)
»La Tourneuse de pages« (Denis Dercourt)
»A Prairie Home Companion « (Robert Altman)
»Sicko« (Michael Moore)
»Irina Palm« (Sam Gabarsky)
»Waitress« (Adrienne Shelly)   Perle!
»Jesus Camp« (Heidi Ewing, Rachel Grady)   Perle!
»Junebug« (Phil Morrison)   Perle!

Enttäuschung
»The Golden Compass« (Chris Weitz)
»The Invasion« (Oliver Hirschbiegel)
»Spider-Man 3« (Sam Raimi)
»Death Proof« (Quentin Tarantino)
»The Good German« (Steven Soderbergh)
»The Number 23« (Joel Schumacher)

Wir Möchtegern-Römer: Die FAS vom 27. 1. 2008

Leipzig, 28. Januar 2008, 14:52 | von Paco

Gestern keine Zeit, deshalb heute Lesen der FAS von genau 6:34 bis 9:06, mit einer Pause am Kaffeeautomaten inkl. Gespräch mit einem der Hausmeister über den gestrigen ZDF-Blogbuster »Das Wunder von Berlin« (ich fing mit der Hessen-Wahl an, aber er winkte ab und fragte stattdessen nach dem Wendefilm mit dem NVA-Punk).

Das FAS-Feuilleton wie immer hinten angefangen zu lesen, daher zuerst der übliche Medienkolumnen-Doppelschlag auf der Seite mit dem TV-Programm: Stefan Niggemeiers »Teletext« und der anschließende, aus dem Fernseher abgeschriebene »Teledialog«.

S. N. schreibt über Niels Ruf, und ich wollte gerade aufhören zu lesen (schon wieder ein Verriss, dachte ich), als es ganz anders gemeint war und Niels Ruf und seine Kotzbrockenserie »Herzog« schön gelobt wurden. Zumindest für nächsten Freitag steht die Serie auch noch in den Online-TV-Zeitschriften, und S. N.s Sorge um eine neuerliche Zu-früh-Absetzung ist vielleicht unbegründet.

Speaking of which, Niggemeiers Mitautor Michael Reufsteck (»Das Fernsehlexikon«, ein ganz großer Wurf der TV-Geschichtsschreibung in Form eines dunkelblauen Ziegelsteins), Reufsteck also schreibt passend zur Niggemeier-Kolumne auf der Seite davor einen Artikel, in dem es genau darum geht: um panische frühzeitige Absetzungen deutscher Eigenproduktionen durch diverse Sender. Die Überschrift des Artikels lässt alle Headliner-Herzen höher schlägen, denn sie lautet: »Die Serienkiller«. Ein Volltreffer.

Volker Weidermann rezensiert dann die rororo-Biografie zu Céline. Das Buch wird gelobt vor allem, aber: »manchmal übertreibt es Geyersbach auch mit seinem Entzauberungswillen«.

Dann schreibt noch Peter Körte über den Sean-Penn-Film »In die Wildnis«. Nach der Lektüre hat man einen Film à la Werner Herzogs Doku »Grizzly Man« vor Augen, der aber nicht erwähnt wird.

Dann mein heutiger Lieblingsartikel: Andreas Kilb über die Ausstellung »Roma e i Barbari«. Warum interessieren uns Größe und Fall des RR, wieso kucken wir alle die HBO-Serie »Rome«, wieso weshalb warum, und Kilb findet eine richtige Antwort:

»Schließlich sind wir alle kleine Möchtegern-Römer, die das Pathos der imperialen Großbauten und den Luxus der zentralgeheizten Villen und Badehäuser bewundern (…)«.

Genau das predigt Millek übrigens schon seit einiger Zeit, nur mit anderen Worten, und wurde so gestern zum Andreas-Kilb-Zitatensammler (eins hat er jetzt schon, hehe).

Dann Reich-Ranicki und seine »Fragen Sie …«-Rubrik. Die wird immer mehr l’arte pour l’arte, und er macht es sich zu einem Spaß, im Prinzip rhetorische Fragen dann doch zu beantworten. Beispiel heute, ein Leser aus Göttingen fragt:

Warum soll ich Richard Ford lesen?

Antwort MRR:

Das weiß ich nicht, wohl aber weiß ich, dass Sie unbedingt Philip Roth lesen sollten und auch John Updike.

Zack! Dann weiter zurückblättern, dahin, wo Claudius Seidl die Tom-Cruise-Biografie von Andrew Morton bespricht und die Position der F-Zeitung in der anhaltenden Tom-Cruise-Debattiererei festigt, und was er unter »erstens« und »zweitens« sagt, ist auf jeden Fall richtig, auch wenn er dabei von »einer deutschen Spielart des McCarthyismus« spricht, hehe. Darüber kann man den Kopf schütteln, aber es klingt jedenfalls nicht schlecht.

Am Ende noch der Aufmacher, »Das Leben der anderen«, ein Artikel von Johanna Adorján über das überbordende öffentliche Interesse am Privatleben der what-so-ever Stars. Er kommt etwas bedenkenträgerig daher, vor allem das Ende, aber die Beispiele sind schlagend, das Phänomen treffend dargestellt, und allein für die Darstellung dieser einen Szene aus der »Late Late Show« mit Craig Ferguson lohnt sich der Artikel.

Soweit die FAS, wie immer jede Zeile wert.

Kaffeehaus des Monats (Teil 23)

sine loco, 27. Januar 2008, 08:21 | von Paco

Wenn du mal richtig Zeitung lesen willst:

La Giralda sobre Corrientes, Buenos Aires

Buenos Aires
La Giralda in der Corrientes.

(Der Schwung des mozo ließ einige churros vom Teller
rutschen, genau auf den einen Artikel in Radar Libros,
eine Rezension von Rodrigo Fresán, die ich beinahe
überblättert hätte. Die leichten Fettflecken ließen
mich den Text noch mal fokussieren, zum Glück,
und ich las dann durch das Fett hindurch den
Artikel, ein Hammer, wie alle Artikel von R. F.)

Im Gewandhaus: Dimitrij »Chailly« Kitajenko

Leipzig, 25. Januar 2008, 00:02 | von Austin

Bin also diese Woche überhaupt nicht mehr zum Kaffeeautomaten. »Na, wieder plötzlich Karten über für heute Abend?« Ja. Doch. Und auch heute Abend wieder konsequent selbst hingegangen zu den Einspringer-Wochen im Gewandhaus.

Der erste Eindruck heute: Ein Schlachtfeld. Alte Herrschaften belagern Tische im Foyer. Das Programm für die nächste Saison ist da. Das Gewühl gibt schlaglichtartig Blicke frei auf ältere Damen, die sich gleich fünf Broschüren in ihre Handtaschen laden. Eine davon treffe ich wieder, als sie mich fragt, mit Blick auf meine Jeans, ob der eine Anzug in der Reinigung sei.

Das Gewandhausorchester selbst setzt nahtlos dort an, wo es letzte Woche mit Dvořák aufgehört hat. Ansatzlos zieht Kitajenko die Streichereröffnung von Beethovens »Egmont«-Ouvertüre in die tiefsten Tiefen. Was für ein satter Sound. Und eisenhart dirigiert er weiter. Ein in Erz gegossenes Klangbild. Respekt. Was für ein Einstieg.

Und so geht es weiter in Beethovens 8. und Bruckners 4. Wunderfein, wenn ältere Dirigenten sich darauf verlassen können, sonnenklare Einsätze zu geben, die souverän den Klangfluss facettieren.

Die Lady auf dem Nachbarplatz hingegen – »eine Egmont-Ouvertüre ist doch kein Grund zum Jubeln« – setzt ihre eigenen Akzente mit conaisseurhaftem Gespür für die pianissimo-Passagen. Und sie ist nicht alleine. Idee für »Wetten, dass …?«: Erkennen Sie anhand des Auswurfs und der Röchler den Konzertsaal.

22.30 Uhr. Konzert vorbei. Ovationen für den Solo-Hornisten. Draußen regnet es. Warum das? Neben mir hustet jemand, ich weiche aus, und mein Blick fällt wieder auf Masurs Robotron-Digitalanzeige. Heute ist sie defekt.