Ein Interview mit dem Interviewmüller

Konstanz, 21. Februar 2012, 13:04 | von Marcuccio

Moritz von Uslar gegen Jahresende in der »Zeit« (Nr. 50/2011): »Warum habe ich den Interviewer André Müller nie interviewt?«

Vor gut einem Jahr, am 10. April 2011, ist der Interviewmüller gestorben. »Interviewkünstler« haben ihn die Nachrufe genannt. Interviews mit dem Interviewer gibt es kaum, und in Uslars Frage schwingt mit, was für ein kulturhistorisches Versäumnis das ist.

Einige wenige gibt es immerhin doch (Claudia von Arx für NZZ Folio 1997 und, besonders toll, das Videointerview mit amadelio von 2007). Und Volker Weidermann hat ihn zum Gespräch getroffen und dieses dann im Januar 2011 für die FAS beschrieben.

Beim Entstauben der Bücherregale habe ich nun in einem Handbuch für Journalisten noch ein weiteres leibhaftiges Interview mit André Müller entdeckt, geführt von Michael Haller im Februar 1990. [*] Ein Werk­stattgespräch mit hervorragendem Material für Zitatdatenbanken.

Haller fragt Müller sinngemäß: Warum eigentlich Interviews, und nur Interviews?

Das habe, wie so typisch bei den Großen, banalere Gründe als man denkt. Interviews seien einfach das gegen Redigiermaßnahmen am besten gefeite Genre gewesen. Müller:

»Ich hatte mit anderen journalistischen Formen überwiegend schlechte Erfahrungen gemacht. Wenn ich ein Feature schrieb, für den ›stern‹ zum Beispiel, dann wurde mir der Text in der Redaktion umgeschrieben. Mich ärgerte das.«

Für die Spezialisierung auf Interviews sprach aber nicht nur das Redigierungsgebaren, sondern auch die Einkommensfrage. Müller:

»Ich begriff, dass dies eine Form ist, mit der ich rasch auf einen großen Umfang komme. Das wirkt sich im Honorar aus. Einen ähnlich langen Text selbst zu erarbeiten, kostet viel Anstrengung.«

Ernst Jünger lachte auf eine merkwürdige Weise viel

Auf Hallers Frage, wie das eigentlich mit dem Warm-up in Interviews vonstatten gehe, hat Müller eine aparte Anekdote zu Ernst Jünger parat:

»Sie wissen ja, wenn man jemanden interviewt und der macht zu Beginn des Gesprächs ein paar Witze, dann lacht man als Interviewer einfach mit, ob man diese nun lustig findet oder nicht. Ernst Jünger lachte auf eine merkwürdige Weise viel. Ganz zu Beginn habe ich ein, zwei Mal mitgelacht. Doch er hat sein Lachen, als meines einsetzte, abrupt beendet. Ich verstand: Er verbittet sich jede Solidarisierung, jede Annäherung. Das war ein sehr schönes Erlebnis für mich.«

Irgendwann geht es dann darum, dass die besten Interviews die sind, bei denen Interviewer und Interviewter in stiller Übereinkunft wissen, dass sie Leser bedienen müssen und sich die Bälle deswegen ruhig ein bisschen zuspielen:

»Thomas Bernhard sagte mal zu mir: ›Es ist wurscht, was Sie schreiben; schreiben Sie, wie Sie es haben wollen.‹«

Daraufhin stellt Haller die (heute muss man sie so nennen) Tom-Kummer-Frage: »Erfinden Sie im Spiel auch Dialoge – oder müssen die sich real ereignet haben?« Müller:

»Ich habe mich mal als Theaterstückeschreiber versucht, es aber dann bleiben lassen: ich kann keine Dialoge erfinden. Ich benötige das tatsächlich stattgefundene Gespräch.«

Haller spricht Müller daraufhin auf das Interview »mit Ihrer eigenen Mutter« an (»Die Zeit« Nr. 40/1989): »Die Frau, ungebildet und offenbar Alkoholikerin, war betrunken, gelegentlich flossen Tränen. Doch die Sprache, die Sie Ihrer Mutter in den Mund legen, ist ungeheuer prägnant, von literarischer Qualität. Der Text hat Tiefe, die ein Interview eigentlich nicht erreicht.«

Woraufhin Müller zugibt, dass das Gespräch in diesem Fall »nur den Stoff für den Text« geliefert habe:

»Ja, ich habe ihn gestaltet wie ein Stück Literatur, mit Spannungsbögen, mit Dehnungen und Verkürzungen. Es sind meine Formulierungen.«

Vom Stoff sprach und spricht ja auch Kummer immer gern, wenn er sinngemäß sagt, er habe nur den Stoff geliefert, den die Medien von ihm wollten. Die feinen Unterschiede zwischen einer Müllermutter-Interviewmontage und der ins Interviewformat gegossenen Hollywood-Fanfiction eines Tom Kummer hätte man von der Journalistik und/oder Literaturwissenschaft aber schon noch mal gerne aufgearbeitet.


[*] Das ganze Interview: »Nein, ich habe kein Schamgefühl«. Ein Gespräch mit dem hauptberuflichen Interviewer André Müller über seine besondere Art, Gespräche zu führen. In: Michael Haller: Das Interview. Ein Handbuch für Journalisten. München: Ölschläger 1991. Alle Zitate aus der 2. Auflage, Konstanz: UVK 1997, S. 419–429.
 

4 Reaktionen zu “Ein Interview mit dem Interviewmüller”

  1. Gregor Keuschnig

    Und sehr viele der Interviews von André Müller gibt es hier.

    (Man beachte den Hinweis am Ende der Seite: „Sämtliche hier wiedergegebenen Texte sind urheberrechtlich geschützt und dürfen ohne ausdrückliche Erlaubnis in keiner Form wiedergegeben oder zitiert werden“.)

  2. Tom Kummer

    Auf der DVD „Bad Boy Kummer“ gibt es Bonusmaterial mit
    deleted scenes: U.a. Gespräch zwischen André Müller und mir…..
    check it out

  3. krusty20

    @ Gregor Keuschnig:

    Vielen Dank für den tollen Hinweis. Da sind wirklich ganz große Perlen dabei.

  4. Jeeves

    Ich wollte das gerade, aber da hat Gregor K. schon…
    Tipp: mit Alice Schwarzer.

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